es droht ein weiterer Krieg in Europas direkter Nachbarschaft: Nach dem Überraschungsangriff aus dem Gaza-Streifen auf Israel kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gestern einen “langen und schwierigen” Kampf gegen die Hamas an. Die Zwischenbilanz von gestern Abend ist verheerend: Mehr als 700 Israelis wurden getötet, über 100 von den Angreifern als Geiseln verschleppt. Bei den anschließenden Luftangriffen starben im Gaza-Streifen laut Gesundheitsministerium insgesamt 370 Menschen.
Die israelischen Sicherheitsdienste wurden von dem Großangriff zu Land, zu Wasser und aus der Luft völlig überrumpelt. Gerhard Conrad, der frühere Nahost-Vermittler und Direktor des EU-Intelligence Analysis Centre (INTCEN), vergleicht die Attacke im Interview mit Markus Bickel daher mit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor.
Die Verantwortlichen in Europa und den USA stellten sich uneingeschränkt auf die Seite Israels. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von “reinem Terrorismus”. Kanzler Olaf Scholz betonte, Israel habe das Recht, “sich gegen diese barbarischen Angriffe zu verteidigen”. Er kündigte ein ausführliches Telefonat mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Rishi Sunak an. Biden versprach zusätzliche Unterstützung für Israels Militär.
Der Einfluss der Europäer auf den Konflikt ist überschaubar. Allerdings mehren sich nun die Stimmen, die eigenen Finanzhilfen für die Palästinenser infrage zu stellen. Im EU-Parlament gebe es eine “latent unreflektierte Sympathie für die Palästinenser, die oftmals blind für extremistische Tendenzen ist”, sagte der CDU-Politiker Armin Laschet, der Vorstand des Abraham Accords Institute for Peace and Regional Integration ist, zu Table.Media.
Der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, fordert eine sorgsame Überprüfung der Gelder, die in die palästinensischen Gebiete fließen. Die EU gebe zwar seit mindestens 2007 keine Gelder mehr an die Terrororganisation Hamas. “Niemand kann wollen, dass notwendige humanitäre Hilfe eingestellt wird, aber die Projektpartner müssen genau überprüft werden”, sagte er.
Der Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen geriet darüber in den Hintergrund. Dabei machten die Wähler in beiden westdeutschen Flächenstaaten die AfD zur zweitstärksten Kraft. Die beiden großen Wahlverlierer kommen aus der Berliner Ampel-Koalition: Der FDP drohte am späten Abend noch der Abschied aus beiden Landtagen, auch die SPD verzeichnete zwei miserable Ergebnisse. Beschädigt ist damit nicht nur Innenministerin Nancy Faeser, sondern auch Kanzler Scholz: Er hatte Faeser ermutigt, die fatale Doppelrolle Ministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin zu bekleiden.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.
Herr Conrad, in Tel Aviv und Jerusalem ist nach dem Überraschungsangriff bereits von Israels 11. September die Rede. Zu Recht?
Soweit bereits heute erkennbar, ist der konzertierte und offenbar weitgehend ungehinderte Durchbruch von bewaffneten Hamas-Elementen durch die Grenzbefestigungen zum Gazastreifen ins israelische Kernland präzedenzlos. Dies ist ein Vorgang, der nach fester israelischer Überzeugung nie hätte passieren dürfen. Alle Bemühungen zur Aufklärung von Hamas, zur Befestigung der Grenze wie zur Abwehr von Raketenbeschuss waren darauf gerichtet gewesen, bereits einzelne Infiltrationen zu verhindern und Raketenbeschuss in seiner Wirkung maximal zu beschränken.
Der 7. Oktober 2023 hat auf dramatische Weise die Grenzen dieses Ansatzes vor Augen geführt. Insoweit kann der Angriff sehr wohl mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verglichen werden. Auch die historische Bezugnahme auf den japanischen Überraschungsangriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbour im Dezember 1941 ist durchaus angemessen. Selbst bei einer derzeit eher fraglichen Begrenzung des aktuellen Konflikts sind tiefgreifende Konsequenzen für die Sicherheitsarchitektur des Landes und voraussichtlich auch für die politischen Verhältnisse zu erwarten.
Könnten die Proteste von Reservisten und die anhaltende Mobilisierung gegen die Regierung Netanjahu den Sicherheitsapparat so geschwächt haben, dass die komplexe Operation der Hamas ohne dessen Wissen vorbereitet wurde?
Für eine seriöse Bewertung dieses bemerkenswerten Vorgangs ist es noch viel zu früh. Zunächst einmal müssen die konkreten Elemente und Ebenen der zweifellos gravierenden Fehlleistungen ermittelt werden: Lag es an fehlenden nachrichtendienstlichen Aufklärungsergebnissen? Wenn ja, wie wäre dies angesichts einer umfassenden Penetration des Gaza-Streifens durch israelische Nachrichten- und Sicherheitsdienste zu erklären? Hat Hamas Mittel und Wege für eine komplette Geheimhaltung oder auch Täuschung des Gegners gefunden, und wenn ja, welche?
Eine andere zentrale Frage: Wie sind angesichts einer – jedenfalls stets behaupteten – technisch lückenlosen Überwachung der Grenzsicherungsanlagen, die offenbar eher langsame und unzureichende militärische Reaktion auf die Durchbruchsoperationen von Hamas zu erklären. Ein Erklärungsansatz könnte hier die rasche, offenbar vorgeplante geografische Verteilung bewaffneter Hamas-Elemente auf zahlreiche Ziele im Einsatzraum unter Ausnutzung der allgemeinen Feiertagsruhe sein.
Sie haben in der Vergangenheit zwischen Hamas und Israel vermittelt. Wie lange wird es dauern, bis Gespräche zwischen beiden Seiten wieder möglich sind?
Im Fall Gilad Shalit hat es bekanntlich mehr als fünf Jahre (2006 bis 2011) gedauert, um zu einem Ergebnis zu kommen. Gespräche sind erst nach einem derzeit noch gar nicht absehbaren Ende der Kampfhandlungen vorstellbar. Unter anderem wird entscheidend sein, wer nach den klaren Vergeltungsdrohungen der israelischen Regierung gegen die Verantwortlichen von Hamas als künftiger Gesprächspartner dann überhaupt noch zur Verfügung stehen wird. Viel wird davon abhängen, ob und insbesondere wann die zu erwartenden Bemühungen, etwa von ägyptischer Seite, zur Schadensbegrenzung greifen können.
Ein limitierendes Moment für eine ungehemmte Gewalteskalation dürften allerdings die offenbar zahlreichen zivilen und militärischen Gefangenen in Händen von Hamas sein, die mit großer Wahrscheinlichkeit als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Hier werden auf israelischer Seite ganz erhebliche Dilemmata zu erwarten sein, die Hamas vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrungen mit dem Gegner zu nutzen wissen dürfte. Dass Hamas mit präzedenzlosen Geiselnahmen eine präzedenzlose Austauschaktion beabsichtigt, hat deren Führung bereits gestern verlautbaren lassen.
Könnten Verhandlungen über die Freilassung der Gefangenen nicht endlich eine größere Lösung des Konflikts in den Blick nehmen?
Ein gewiss frommer Wunsch, für dessen Realisierung jedoch bis auf Weiteres keine Ansatzpunkte erkennbar sind. Entscheidend wird zunächst sein, welche Lage nach Ende des militärischen Konflikts in Israel und seinem geografischen Umfeld eingetreten sein wird: Welche Verwüstungen sind angerichtet, welche militärischen und politischen Weiterungen hat der Konflikt nach sich gezogen, welche Akteure stehen mit welcher Agenda und mit welchen Ressourcen am Ende des Krieges zur Verfügung. Das Potenzial für katastrophale Entwicklungen muss erst einmal reduziert werden, bevor man an weitreichende, aus heutiger Sicht illusionäre Perspektiven denken kann.
Droht Israel nach dem Beschuss aus dem Libanon ein Mehrfrontenkrieg auch mit der Hisbollah?
Eine horizontale Eskalation bleibt bis auf Weiteres ein Risiko, das es zu beachten gilt. Die bisherigen Aktionen von Hisbollah, erklärtermaßen “in Solidarität mit Hamas”, wirken erst einmal eher als symbolisch, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Begrenzung auf die Shebaa-Farmen/Mount Dov im weitgehend unbesiedelten Dreiländereck Israel, Libanon und Syrien.
Welche Interessen hat Hisbollah in dieser Situation?
Hisbollah hätte in einem Krieg mit Israel sehr viel zu verlieren. Es erscheint erst einmal fraglich, ob dieses Risiko so ohne weiteres in Kauf genommen würde, und mit welcher strategischen Zielsetzung. Hisbollah ist eher eine Status-quo-Macht im Libanon und teilweise auch in Syrien; die Organisation befindet sich in einem Zustand relativ stabiler gegenseitiger Abschreckung zu Israel. Um einen extrem verlustreichen und folgenschweren Krieges auszulösen, müsste es sehr gravierende, langfristig angelegte Opportunitätserwägungen geben. Dafür sind im öffentlichen Raum erst einmal keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar.
Welche Rolle könnte die Bundesregierung für eine Beendigung des Konflikts spielen – auch längerfristig?
Wie würde Präsident Biden hierzu sagen: “That’s above my paygrade”.
Hat der Fokus auf den Ukraine-Krieg zu einer Vernachlässigung der Krisen im Nahen Osten geführt?
Die geopolitischen Rahmenbedingungen in der Region haben sich in den vergangenen beiden Jahren erheblich verändert durch die chinesischen und russischen Einflussnahmen auf Akteure wie Iran und Saudi-Arabien. Wir haben es hier inzwischen mit unterschiedlichen, wenn nicht gegenläufigen Tendenzen und Interessen aller drei Großmächte in der Region zu tun. Von einer Vernachlässigung der Region kann jedenfalls nicht die Rede sein, wenngleich die wirtschaftliche wie potenziell auch militärische Rückendeckung für Iran durch China und Russland dessen Handlungsspielraum und Resilienz gegenüber westlicher Einflussnahme erheblich fördern dürfte. Erneut wird hier allerdings die Frage zu stellen sein, welche Vorteile aus der gegenwärtigen Eskalation zwischen Israel und Hamas, bzw. deren Weiterungen in Teheran, Peking oder Moskau gezogen werden sollten.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass westliche Waffen über Afghanistan an die Hamas geliefert wurden, wie nun berichtet wurde?
Erst einmal sollten diese westlichen Waffen einmal im Kriegsgebiet auftauchen und in ihrer Herkunft bestimmt worden sein.
Wie ist es überhaupt möglich, dass im streng abgeriegelten Gazastreifen eine solche Aufrüstung erfolgen kann?
Die Frage stellt sich bereits seit bald zwei Jahrzehnten immer wieder aufs Neue. Letztlich liegt es an einem ausgeklügelten, langfristig betriebenen und offenbar nie wirksam unterbundenen System der Konterbande, organisiert über eine grenzüberschreitende organisierte Kriminalität im Süden Israels (Negev) und in Ägypten (Sinai), zu Wasser wie zu Lande, über Jahre hinweg auch betrieben über ein lukratives System der Tunnelwirtschaft, über die Gaza mit dem Sinai verbunden war.
Glauben Sie, dass der Zeitpunkt der Operation dazu diente, die Verhandlungen zwischen Israel, den USA und Saudi-Arabien über einen Friedensschluss zwischen Riad und Jerusalem zu torpedieren?
Die aktuelle Eskalation des Nahostkonflikts liegt aufgrund seiner polarisierenden Wirkung in der Region jedenfalls im Interesse von Iran und seiner Klientel. Insoweit liegt diese cui bono-Annahme nahe. Sie müsste jedoch wie so oft erst einmal durch entsprechende Aufklärungsergebnisse zu erhärten sein. Ein klarer Fall also für die Nachrichtendienste.
Gerhard Conrad ist Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland. Von 1990 bis 2020 arbeite er für den Bundesnachrichtendienst (BND), unter anderem als Leiter des Leitungsstabs – und als Vermittler bei Gefangenenaustauschen zwischen Israel, der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah, was ihm den Namen “Mr. Hisbollah” einbrachte. Von 2016 bis 2019 war Conrad Direktor des EU Intelligence Analysis Centre (INTCEN) in Brüssel.
Es gibt Zahlen, die man nicht unbedingt erwartet. In Polen stieg die Stromerzeugung aus Fotovoltaik 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 prozent auf acht Terawattstunden. Und die Stromerzeugung aus Onshore-Windkraftanlagen stieg im Vergleich zum Jahr 2021 um 10,8 Prozent auf 19 THW. Im gleichen Zeitraum verzeichnete die Kohle einen Rückgang um 2,7 Prozent auf 79 THW.
Zugleich kletterte Polen 2022 beim Verkauf von Wärmepumpen pro 1000 Haushalte auf Platz acht unter den EU-Ländern. Das erklärt, warum die Bosch-Gruppe den Bau eines großen Werks unweit von Warschau angekündigt hat: Dort sollen Wärmepumpen hergestellt werden, für den polnischen Markt und andere europäische Länder.
“Die Energiewende findet statt“, fasst Aleksandra Gawlikowska-Fyk zusammen, Programmdirektorin für den Stromsektor beim Think-Tank Forum Energii in Warschau.
Dies sei mehreren Programmen der polnischen Regierung zu verdanken, erklärt Adam Guibourge-Czetwertyński, Staatssekretär im Ministerium für Klima und Umwelt. Die wichtigste Initiative unter ihnen sei das 2019 gestartete Programm “Mein Strom” (Mój Prąd), das die Installation von Solarpanels im Gesamtwert von 435 Millionen Euro unterstützte. “Dank dieses Programms sind in Polen etwa 500.000 Erzeuger-Verbraucher entstanden” – also Haushalte, die sowohl Erzeuger als auch Verbraucher von Strom aus kleinen Fotovoltaikanlagen sind.
Der Staatssekretär betont jedoch, dass die polnische Energiewende auf zwei Säulen beruhe: erneuerbare Energien und Kernenergie. Eine Strategie, die sich im 2021 veröffentlichten und erst kürzlich aktualisierten Energieplan, dem PEP2040, widerspiegelt: So plant Polen den Bau von drei Kraftwerken, wobei das erste 2033 in Betrieb gehen soll. Warschau setzt auch auf Small Modular Reactors (SMR), die in der neuen Version des Plans erwähnt werden.
Dennoch ist Polen immer noch eine weitgehend von Kohle dominierte Wirtschaft: Dieser fossile Energieträger macht noch 70 Prozent des Mixes aus, was einer Gesamtproduktion von 124 THw entspricht. Zum Vergleich: Deutschland produziert 181 TWh Kohlestrom, was 31 Prozent seines Energiemixes entspricht. “Kohle wird hauptsächlich zum Heizen in Privathaushalten verwendet”, erklärt Gawlikowska-Fyk.
Diese Eigenschaft hat eine ganz konkrete Auswirkung auf das Land: die Luftverschmutzung. In der Tat ist die schlechte Luftqualität zu einem Politikum geworden, da sie eng mit der Gesundheit zusammenhängt. “Wenn zum Beispiel Kinder davon abgehalten werden, wegen der Luftverschmutzung draußen zu spielen, trifft das die Menschen direkt und tief”, erklärt die Energieexpertin. Eine Situation, die große Städte wie Warschau, aber auch kleinere Gemeinden wie Piastow dazu veranlasst hat, eigene Pläne zur Bekämpfung der Luftverschmutzung aufzustellen. Sie haben, mit oder ohne staatliche Unterstützung, unter anderem Programme zum Austausch alter Heizkessel eingeführt.
Zu diesem Druck durch die Wähler kommt der Druck durch die Instrumente hinzu, die die EU im Rahmen des Fit-for-55-Pakets eingeführt oder verschärft hat. Vor allem das Emissionshandelssystem, das EU-ETS. Da die Menge der CO₂-Emissionen in Polen höher ist als die zugeteilte Menge der Verschmutzungsrechte, ist Warschau gezwungen, Zertifikate zuzukaufen. Im Jahr 2022 waren das fast sieben Milliarden Euro.
Die europäischen Daten zeigen aber, dass allein auf Deutschland ein Viertel der gesamten CO₂-Emissionen der EU aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe für Energiezwecke entfällt. Italien und Polen (jeweils 12,4 Prozent) sowie Frankreich (10,7 Prozent) folgen auf der Liste der größten CO₂-Emittenten im Jahr 2022.
Warschau fordert weiterhin eine Reform des ETS, da es sich bewusst ist, dass der Preisanstieg der Zertifikate direkt auf die Preise für häusliche Heizungen durchschlagen kann – und somit einen starken Einfluss auf die Wahlen haben wird. Dies erklärt auch, warum sich Polen gegen die Abschaffung der kostenlosen Emissionszertifikate gewehrt hat, allerdings ohne Erfolg.
Andere Energie- und Klimakomponenten des europäischen Green Deals gerieten ebenfalls ins Visier Warschaus. Die nationalkonservative Regierung widersetzte sich zum Beispiel im April 2023 im Rat dem CO₂-Grenzausgleich und dem Aus für Autos mit Verbrennungsmotor. Polen ficht außerdem einige Fit-for-55-Regelungen vor dem Europäischen Gerichtshof an.
Diese Streitigkeiten gehen jedoch über den Energie- und Klimaschutzrahmen hinaus, da sie sich hauptsächlich auf die von der polnischen Regierung eingeleiteten Reformen des Justizsystems beziehen. Diese ungelösten Rechtsstreitigkeiten haben dazu geführt, dass die Kommission die Auszahlung von rund 32 Milliarden Euro für Polen aus dem Corona-Aufbaufonds blockiert. Eine Summe, die einen großen Beitrag zur Finanzierung der Energiewende in Polen leisten könnte – und deren Verfügbarkeit von der am kommenden Sonntag stattfindenden Wahl abhängen dürfte.
Desinformationskampagnen und Fake News haben bereits in den vergangenen Jahren weltweit Wahlen beeinflusst und die Wählerschaft populistischer Parteien wachsen lassen. Mit dem Einsatz großer Sprachmodelle und Künstlicher Intelligenz steigt die Gefahr, dass populistische Akteure den demokratischen Prozess weiter untergraben: “Wenn wir an die Europawahl im kommenden Jahr denken, sind die bestehenden Regeln zur Moderation von Inhalten, wie sie im Gesetz über digitale Dienste (DSA) vorgesehen sind, im Zeitalter von generativer KI bereits veraltet“, warnt der Berliner Digitalexperte Anselm Küsters.
Gemeinsam mit anderen Forschern des Centrums für Europäische Politik (cep) hat Küsters in einer Studie untersucht, wie populistische Parteien plattformübergreifende Nachrichtenübermittlung und KI nutzen. Die Studie wird am Dienstag vorgestellt und liegt Table.Media bereits vor. Dabei haben die Forscher vor allem Deutschland, Italien und Frankreich in den Fokus genommen. Sie identifizieren neue Herausforderungen bei der Bekämpfung von Desinformation.
Große Sprachmodelle ermöglichten es, personalisierte Desinformation sekundenschnell und kostengünstig zu verteilen, warnen die Autoren. Dabei machten plattformübergreifende Strategien die Korrektur von Inhalten und regulatorische Reaktionen unmöglich. Durch KI erzeugte Deepfakes verzerrten unser Verständnis von Wahrheit und einer objektiv geteilten Realität. In diesem Umfeld werde es schwierig, einen gemeinsamen rationalen Diskurs aufrechtzuerhalten. “Um dieses Szenario zu verhindern, benötigen wir mehr digitale Bildung und einen präventiven Ansatz, um den Online-Populismus zu bekämpfen”, heißt es in der Studie.
Die Grenze zwischen von Menschen erzeugten und KI-generierten Inhalten verschwimme zusehends. Dies untergrabe den politischen Diskurs und erhöhe die Erfolgsaussichten der Populisten, warnt cep-Forscherin Camille Réau. Es sei daher wichtig, “diesen kaputten digitalen Marktplatz für Ideen zu reparieren, um einen integrativeren und intellektuell robusteren Online-Diskurs zu kultivieren, der einen echten Austausch von Ideen fördert”.
Häufig vorgeschlagene Ex-post-Maßnahmen wie das automatische Filtern von problematischem Inhalt, manuelle Inhaltsmoderation und neue Regulierungsbehörden halten die Autoren für nicht mehr ausreichend, um Desinformationskampagnen zu bekämpfen. Kein einzelner Akteur könne “das exponentielle, Feedback-getriebene, semiautonome Wachstum moderner digitaler Netzwerke” vollständig kontrollieren.
Vielversprechender erscheint den Autoren ein indirekter ex-ante Ansatz, der populistische oder irreführende Beiträge nicht vollständig verhindern, aber deren gesellschaftliche Auswirkungen mildern und schädliche Viralität durchbrechen könne. Dafür schlagen die Autoren neben Transparenzanforderungen für Trainingsdaten weitere technische Maßnahmen vor, wie:
In Luxemburg hat die bisherige Dreier-Koalition von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen laut Hochrechnungen am Sonntagabend ihre Mehrheit verloren. Das seit 2013 regierende Bündnis von Premierminister Xavier Bettel würde im günstigsten Fall insgesamt 30 der 60 Sitze im Parlament erringen, berichtete der Fernsehsender RTL. Das ist ein Mandat zu wenig für eine Fortsetzung des Bündnisses.
Derzeit hat die Regierungskoalition eine knappe Mehrheit von 31 Mandaten im Parlament. Die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) um Spitzenkandidat Luc Frieden würde laut Hochrechnung mit 21 Mandaten auch im nächsten Parlament die stärkste Fraktion werden.
Rund 284.000 Wahlberechtigte waren in Luxemburg am Sonntag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Im zweitkleinsten Land der EU mit rund 660.000 Einwohnern besteht Wahlpflicht. Die Wahlbeteiligung lag 2018 bei rund 90 Prozent. dpa
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Gemeinsamkeiten mit den Liberalen betont. Die Partei Renaissance, der französische Zweig von Renew, trage “Europa im Herzen”, sagte die CDU-Politikerin bei einer Veranstaltung der Versammlung von Präsident Emmanuel Macron in Bordeaux. “Das eint uns, Sie und mich!”
Die Anwesenheit Kommissionspräsidentin diene dazu, das ausgesprochen europäische Profil der Renew-Partei zu zeigen, sagte Antoine Guery, Sprecher des Renew-Fraktionsvorsitzenden Stéphane Séjourné, zu Table.Media. “Die Anwesenheit von Ursula von der Leyen steht in der französischen und bei uns besonders starken Tradition, Politiker anderer politischer Familien zu solchen Veranstaltungen einzuladen”, sagte er. Bei der Veranstaltung mit 2500 Teilnehmern sprach auch EU-Kommissar Thierry Breton.
Die Versammlung mit dem Namen “Europäischer Campus” sei kein Wahlkampfauftakt, sondern “ein Aufwärmen” in einem Vorwahljahr, fügte Guery hinzu. Renaissance hat noch keinen Spitzenkandidaten für die nächsten Europawahlen bestimmt. Parteichef Stéphane Séjourné scheint die natürliche Wahl zu sein, hat aber nicht durchblicken lassen, ob er antreten wird. Die Europa-Staatssekretärin Laurence Boone macht kein Geheimnis aus ihrem Interesse. In der französischen Presse wurde außerdem auch der Name Bretons mehrfach genannt.
Der Campus zu Beginn des Herbstes markierte auch den ersten Jahrestag der Gründung von Renaissance, mit Séjourné an der Spitze. Vor einem Jahr hatte er damit begonnen, mehrere französische Minister in die Parteiführung aufzunehmen, darunter Innenminister Gérald Darmanin und Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, die beide stellvertretende Generalsekretäre sind. Die Amtszeit von Séjourné läuft bis November 2024. cst
Die EU-Kommission prüft, eine Anti-Subventionsuntersuchung gegen chinesische Windkraftunternehmen Hersteller einzuleiten. In dem Sektor gebe es Konkurrenz aus China bei bestimmten Komponenten, sagte der amtierende Wettbewerbskommissar Didier Reynders am Freitag im französischen Fernsehen. “Wenn wir dort erneut womöglich zu hohe chinesische Hilfen feststellen sollten, könnten wir eine vergleichbare Untersuchung einleiten.”
Die Brüsseler Behörde hatte vergangene Woche wie angekündigt eine Untersuchung wegen staatlicher Förderung für chinesische Elektroautos begonnen. Industriekommissar Thierry Breton hatte sich bereits vor Wochen dafür ausgesprochen, auch in Sachen Windindustrie aktiv zu werden. Chinesische Hersteller von Windkraftanlagen verfolgten “eine aggressive Strategie, um auf den europäischen Markt zu gelangen”, schrieb der Franzose. So böten chinesische Unternehmen europäischen Projektentwicklern um 15 bis 55 Prozent niedrigere Preise für Windturbinen an als europäische Konkurrenten, und zugleich einen Zahlungsaufschub von bis zu drei Jahren.
Eine Anti-Subventionsuntersuchung könnte Teil des Maßnahmenpakets für die Windkraft sein, das die Kommission am 24. Oktober vorstellen will. Ein solcher Schritt dürfte aber weitere Spannungen mit Peking und womöglich Gegenmaßnahmen auslösen. Die chinesische Regierung hatte bereits das Verfahren zu Elektroautos als “blanken Protektionismus” kritisiert. tho
Das Interesse an gemeinsamen Erdgaseinkäufen in der EU hält an. In einer dritten Ausschreibungsrunde gaben Lieferanten Angebote mit einem Volumen von 18,1 Milliarden Kubikmetern Gas ab, wie der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, am Freitag sagte. In der ersten Runde waren es 18,7 und in der zweiten 15,2 Milliarden. Von 39 europäischen Unternehmen waren zuvor insgesamt 16,5 Milliarden Kubikmeter nachgefragt worden – ein Rekord.
Für ein Volumen von 11,9 Milliarden Kubikmeter konnten Unternehmen und Lieferanten zusammengeführt werden, hieß es von der Kommission. Die Unternehmen könnten nun die Lieferverträge direkt mit den Gaslieferanten aushandeln. In der ersten Runde waren es 10,9 Milliarden und in der zweiten 12 Milliarden Kubikmeter.
Die EU-Länder hatten vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs im vergangenen Jahr beschlossen, gemeinsam Gas zu kaufen, um Unternehmen stabilere Preise zu sichern und die Gasspeicher wieder aufzufüllen. Außerdem soll vermieden werden, dass sich die EU-Staaten gegenseitig überbieten. “Insgesamt liefert die EU-Energieplattform durchweg hervorragende Ergebnisse bei der Bündelung der Nachfrage und der Koordinierung des Erdgaseinkaufs”, sagte Šefčovič. dpa
Die Legislaturperiode ausklingen zu lassen, das kommt für Birgit Sippel nicht infrage. Die SPD-Europaabgeordnete spielt eine wichtige Rolle in den Verhandlungen um die Asylreform. Während viele andere Legislativvorhaben bereits abgeschlossen sind, werden die nächsten Monate entscheidend für das Gesetzespaket zu Asyl und Migration. Sippel hofft darauf, die Verhandlungen zwischen Parlament und Mitgliedstaaten rechtzeitig vor den Europawahlen im Juni abzuschließen.
Der Weg dafür scheint geebnet, seit die Regierungen am Mittwoch sich auf einen Kompromiss zur sogenannten Krisenverordnung geeinigt haben. Nun stünden harte Verhandlungen bevor, sagt Sippel: Die Mitgliedstaaten pochten auf “massive Verschärfungen des Asylrechts in Krisensituationen”, während das Europaparlament einen solidarischen Ansatz propagiere, “bei dem sich Mitgliedstaaten in Krisensituationen unter die Arme greifen sollen”.
Die 63-Jährige beobachtet mit Sorge, wie die Debatte über Asyl und Migration inzwischen weit nach rechts gerückt ist. Und zeigt sich doch kompromissbereit, denn sie ahnt wohl, dass die Verhandlungen nach der Europawahl nicht einfacher werden, sollten rechte Parteien weiter erstarken.
Dabei mahnt Sippel: Die grundsätzliche Herausforderung für Europa sei heute, die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu untergraben. Man könne nicht andere Länder ermahnen, demokratischer zu werden und stets die Menschenrechte zu wahren, während man selbst die eigenen Grundsätze missachte. Dies gelte für die Migrationspolitik wie die zunehmende Überwachung bis zum drohenden Rechtsruck: “Ich bin besorgt, dass man sich an all dies gewöhnt. Wenn man da nicht aufpasst, dann ist es zu spät – und wir leben nicht länger in einer Demokratie.”
Seit 2009 setzt sich die Westfälin im Europaparlament für ihre Themen ein. Nach einer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin leitete sie das Regionalbüro des Europaabgeordneten Helmut Kuhne, bevor sie 2009 selbst ins Europäische Parlament einzog. Im Jugendverband der SJD und in der Kommunalpolitik in Südwestfalen habe sie immer wieder erkannt, dass für Politik auf allen Ebenen die maßgeblichen Veränderungsimpulse aus der europäischen Zentrale kämen: “Es hat mich fasziniert, wie viel man transeuropäisch erreichen kann”.
Eine wichtige Lektion lernte sie dabei im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, in dem sie seit ihrer ersten Wahl ordentliches Mitglied ist. Dort vertrat sie 2015 in der Frage der Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten eine starke Position “gegen Massenüberwachung”. Ihre Fraktion war hingegen anderer Ansicht, was für Sippel insofern problematisch war, als sie die Berichterstatterin ihrer Fraktion war. Die Lösung hieß: Haltung und Fassung bewahren. Die offene Art im Umgang mit dieser Differenz, so blickt Sippel heute zurück, habe sie innerhalb der Fraktion gestärkt: “Denn auch mit Minderheitenmeinungen, respektvoll vorgetragen, kann man viel Akzeptanz in der eigenen Gruppe gewinnen”.
Sippel ist keine besonders melancholische Person. So sieht sie vor allem zwei Aktionsfelder, in denen sich vorbeugende Maßnahmen treffen lassen. Zum einen müssen die Programme für Begegnung und Austausch gestärkt werden. Sippels Wunsch für die Zukunft ist es, dass jeder Mensch in Europa bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mindestens einmal die Möglichkeit hatte, an einem solchen Programm teilzunehmen.
Zum anderen müsse zweifellos klar sein, dass die großen Aufgaben unserer Tage nicht dadurch lösbar sind, dass niemand belastet wird: “Es ist kein Skandal und keine Neiddebatte, wenn man in einer solchen Situation erwartet, dass die sehr Wohlhabenden ein bisschen mehr dazu finanziell beitragen“. Auf dieser Grundlage seien zielgenaue Förderungen die Voraussetzung dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt auch in Zukunft sichergestellt wird – trotz aller herannahenden Krisen und Gefahren. Julius Schwarzwälder
es droht ein weiterer Krieg in Europas direkter Nachbarschaft: Nach dem Überraschungsangriff aus dem Gaza-Streifen auf Israel kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gestern einen “langen und schwierigen” Kampf gegen die Hamas an. Die Zwischenbilanz von gestern Abend ist verheerend: Mehr als 700 Israelis wurden getötet, über 100 von den Angreifern als Geiseln verschleppt. Bei den anschließenden Luftangriffen starben im Gaza-Streifen laut Gesundheitsministerium insgesamt 370 Menschen.
Die israelischen Sicherheitsdienste wurden von dem Großangriff zu Land, zu Wasser und aus der Luft völlig überrumpelt. Gerhard Conrad, der frühere Nahost-Vermittler und Direktor des EU-Intelligence Analysis Centre (INTCEN), vergleicht die Attacke im Interview mit Markus Bickel daher mit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor.
Die Verantwortlichen in Europa und den USA stellten sich uneingeschränkt auf die Seite Israels. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von “reinem Terrorismus”. Kanzler Olaf Scholz betonte, Israel habe das Recht, “sich gegen diese barbarischen Angriffe zu verteidigen”. Er kündigte ein ausführliches Telefonat mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Rishi Sunak an. Biden versprach zusätzliche Unterstützung für Israels Militär.
Der Einfluss der Europäer auf den Konflikt ist überschaubar. Allerdings mehren sich nun die Stimmen, die eigenen Finanzhilfen für die Palästinenser infrage zu stellen. Im EU-Parlament gebe es eine “latent unreflektierte Sympathie für die Palästinenser, die oftmals blind für extremistische Tendenzen ist”, sagte der CDU-Politiker Armin Laschet, der Vorstand des Abraham Accords Institute for Peace and Regional Integration ist, zu Table.Media.
Der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, fordert eine sorgsame Überprüfung der Gelder, die in die palästinensischen Gebiete fließen. Die EU gebe zwar seit mindestens 2007 keine Gelder mehr an die Terrororganisation Hamas. “Niemand kann wollen, dass notwendige humanitäre Hilfe eingestellt wird, aber die Projektpartner müssen genau überprüft werden”, sagte er.
Der Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen geriet darüber in den Hintergrund. Dabei machten die Wähler in beiden westdeutschen Flächenstaaten die AfD zur zweitstärksten Kraft. Die beiden großen Wahlverlierer kommen aus der Berliner Ampel-Koalition: Der FDP drohte am späten Abend noch der Abschied aus beiden Landtagen, auch die SPD verzeichnete zwei miserable Ergebnisse. Beschädigt ist damit nicht nur Innenministerin Nancy Faeser, sondern auch Kanzler Scholz: Er hatte Faeser ermutigt, die fatale Doppelrolle Ministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin zu bekleiden.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.
Herr Conrad, in Tel Aviv und Jerusalem ist nach dem Überraschungsangriff bereits von Israels 11. September die Rede. Zu Recht?
Soweit bereits heute erkennbar, ist der konzertierte und offenbar weitgehend ungehinderte Durchbruch von bewaffneten Hamas-Elementen durch die Grenzbefestigungen zum Gazastreifen ins israelische Kernland präzedenzlos. Dies ist ein Vorgang, der nach fester israelischer Überzeugung nie hätte passieren dürfen. Alle Bemühungen zur Aufklärung von Hamas, zur Befestigung der Grenze wie zur Abwehr von Raketenbeschuss waren darauf gerichtet gewesen, bereits einzelne Infiltrationen zu verhindern und Raketenbeschuss in seiner Wirkung maximal zu beschränken.
Der 7. Oktober 2023 hat auf dramatische Weise die Grenzen dieses Ansatzes vor Augen geführt. Insoweit kann der Angriff sehr wohl mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verglichen werden. Auch die historische Bezugnahme auf den japanischen Überraschungsangriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbour im Dezember 1941 ist durchaus angemessen. Selbst bei einer derzeit eher fraglichen Begrenzung des aktuellen Konflikts sind tiefgreifende Konsequenzen für die Sicherheitsarchitektur des Landes und voraussichtlich auch für die politischen Verhältnisse zu erwarten.
Könnten die Proteste von Reservisten und die anhaltende Mobilisierung gegen die Regierung Netanjahu den Sicherheitsapparat so geschwächt haben, dass die komplexe Operation der Hamas ohne dessen Wissen vorbereitet wurde?
Für eine seriöse Bewertung dieses bemerkenswerten Vorgangs ist es noch viel zu früh. Zunächst einmal müssen die konkreten Elemente und Ebenen der zweifellos gravierenden Fehlleistungen ermittelt werden: Lag es an fehlenden nachrichtendienstlichen Aufklärungsergebnissen? Wenn ja, wie wäre dies angesichts einer umfassenden Penetration des Gaza-Streifens durch israelische Nachrichten- und Sicherheitsdienste zu erklären? Hat Hamas Mittel und Wege für eine komplette Geheimhaltung oder auch Täuschung des Gegners gefunden, und wenn ja, welche?
Eine andere zentrale Frage: Wie sind angesichts einer – jedenfalls stets behaupteten – technisch lückenlosen Überwachung der Grenzsicherungsanlagen, die offenbar eher langsame und unzureichende militärische Reaktion auf die Durchbruchsoperationen von Hamas zu erklären. Ein Erklärungsansatz könnte hier die rasche, offenbar vorgeplante geografische Verteilung bewaffneter Hamas-Elemente auf zahlreiche Ziele im Einsatzraum unter Ausnutzung der allgemeinen Feiertagsruhe sein.
Sie haben in der Vergangenheit zwischen Hamas und Israel vermittelt. Wie lange wird es dauern, bis Gespräche zwischen beiden Seiten wieder möglich sind?
Im Fall Gilad Shalit hat es bekanntlich mehr als fünf Jahre (2006 bis 2011) gedauert, um zu einem Ergebnis zu kommen. Gespräche sind erst nach einem derzeit noch gar nicht absehbaren Ende der Kampfhandlungen vorstellbar. Unter anderem wird entscheidend sein, wer nach den klaren Vergeltungsdrohungen der israelischen Regierung gegen die Verantwortlichen von Hamas als künftiger Gesprächspartner dann überhaupt noch zur Verfügung stehen wird. Viel wird davon abhängen, ob und insbesondere wann die zu erwartenden Bemühungen, etwa von ägyptischer Seite, zur Schadensbegrenzung greifen können.
Ein limitierendes Moment für eine ungehemmte Gewalteskalation dürften allerdings die offenbar zahlreichen zivilen und militärischen Gefangenen in Händen von Hamas sein, die mit großer Wahrscheinlichkeit als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Hier werden auf israelischer Seite ganz erhebliche Dilemmata zu erwarten sein, die Hamas vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrungen mit dem Gegner zu nutzen wissen dürfte. Dass Hamas mit präzedenzlosen Geiselnahmen eine präzedenzlose Austauschaktion beabsichtigt, hat deren Führung bereits gestern verlautbaren lassen.
Könnten Verhandlungen über die Freilassung der Gefangenen nicht endlich eine größere Lösung des Konflikts in den Blick nehmen?
Ein gewiss frommer Wunsch, für dessen Realisierung jedoch bis auf Weiteres keine Ansatzpunkte erkennbar sind. Entscheidend wird zunächst sein, welche Lage nach Ende des militärischen Konflikts in Israel und seinem geografischen Umfeld eingetreten sein wird: Welche Verwüstungen sind angerichtet, welche militärischen und politischen Weiterungen hat der Konflikt nach sich gezogen, welche Akteure stehen mit welcher Agenda und mit welchen Ressourcen am Ende des Krieges zur Verfügung. Das Potenzial für katastrophale Entwicklungen muss erst einmal reduziert werden, bevor man an weitreichende, aus heutiger Sicht illusionäre Perspektiven denken kann.
Droht Israel nach dem Beschuss aus dem Libanon ein Mehrfrontenkrieg auch mit der Hisbollah?
Eine horizontale Eskalation bleibt bis auf Weiteres ein Risiko, das es zu beachten gilt. Die bisherigen Aktionen von Hisbollah, erklärtermaßen “in Solidarität mit Hamas”, wirken erst einmal eher als symbolisch, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Begrenzung auf die Shebaa-Farmen/Mount Dov im weitgehend unbesiedelten Dreiländereck Israel, Libanon und Syrien.
Welche Interessen hat Hisbollah in dieser Situation?
Hisbollah hätte in einem Krieg mit Israel sehr viel zu verlieren. Es erscheint erst einmal fraglich, ob dieses Risiko so ohne weiteres in Kauf genommen würde, und mit welcher strategischen Zielsetzung. Hisbollah ist eher eine Status-quo-Macht im Libanon und teilweise auch in Syrien; die Organisation befindet sich in einem Zustand relativ stabiler gegenseitiger Abschreckung zu Israel. Um einen extrem verlustreichen und folgenschweren Krieges auszulösen, müsste es sehr gravierende, langfristig angelegte Opportunitätserwägungen geben. Dafür sind im öffentlichen Raum erst einmal keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar.
Welche Rolle könnte die Bundesregierung für eine Beendigung des Konflikts spielen – auch längerfristig?
Wie würde Präsident Biden hierzu sagen: “That’s above my paygrade”.
Hat der Fokus auf den Ukraine-Krieg zu einer Vernachlässigung der Krisen im Nahen Osten geführt?
Die geopolitischen Rahmenbedingungen in der Region haben sich in den vergangenen beiden Jahren erheblich verändert durch die chinesischen und russischen Einflussnahmen auf Akteure wie Iran und Saudi-Arabien. Wir haben es hier inzwischen mit unterschiedlichen, wenn nicht gegenläufigen Tendenzen und Interessen aller drei Großmächte in der Region zu tun. Von einer Vernachlässigung der Region kann jedenfalls nicht die Rede sein, wenngleich die wirtschaftliche wie potenziell auch militärische Rückendeckung für Iran durch China und Russland dessen Handlungsspielraum und Resilienz gegenüber westlicher Einflussnahme erheblich fördern dürfte. Erneut wird hier allerdings die Frage zu stellen sein, welche Vorteile aus der gegenwärtigen Eskalation zwischen Israel und Hamas, bzw. deren Weiterungen in Teheran, Peking oder Moskau gezogen werden sollten.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass westliche Waffen über Afghanistan an die Hamas geliefert wurden, wie nun berichtet wurde?
Erst einmal sollten diese westlichen Waffen einmal im Kriegsgebiet auftauchen und in ihrer Herkunft bestimmt worden sein.
Wie ist es überhaupt möglich, dass im streng abgeriegelten Gazastreifen eine solche Aufrüstung erfolgen kann?
Die Frage stellt sich bereits seit bald zwei Jahrzehnten immer wieder aufs Neue. Letztlich liegt es an einem ausgeklügelten, langfristig betriebenen und offenbar nie wirksam unterbundenen System der Konterbande, organisiert über eine grenzüberschreitende organisierte Kriminalität im Süden Israels (Negev) und in Ägypten (Sinai), zu Wasser wie zu Lande, über Jahre hinweg auch betrieben über ein lukratives System der Tunnelwirtschaft, über die Gaza mit dem Sinai verbunden war.
Glauben Sie, dass der Zeitpunkt der Operation dazu diente, die Verhandlungen zwischen Israel, den USA und Saudi-Arabien über einen Friedensschluss zwischen Riad und Jerusalem zu torpedieren?
Die aktuelle Eskalation des Nahostkonflikts liegt aufgrund seiner polarisierenden Wirkung in der Region jedenfalls im Interesse von Iran und seiner Klientel. Insoweit liegt diese cui bono-Annahme nahe. Sie müsste jedoch wie so oft erst einmal durch entsprechende Aufklärungsergebnisse zu erhärten sein. Ein klarer Fall also für die Nachrichtendienste.
Gerhard Conrad ist Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland. Von 1990 bis 2020 arbeite er für den Bundesnachrichtendienst (BND), unter anderem als Leiter des Leitungsstabs – und als Vermittler bei Gefangenenaustauschen zwischen Israel, der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah, was ihm den Namen “Mr. Hisbollah” einbrachte. Von 2016 bis 2019 war Conrad Direktor des EU Intelligence Analysis Centre (INTCEN) in Brüssel.
Es gibt Zahlen, die man nicht unbedingt erwartet. In Polen stieg die Stromerzeugung aus Fotovoltaik 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 prozent auf acht Terawattstunden. Und die Stromerzeugung aus Onshore-Windkraftanlagen stieg im Vergleich zum Jahr 2021 um 10,8 Prozent auf 19 THW. Im gleichen Zeitraum verzeichnete die Kohle einen Rückgang um 2,7 Prozent auf 79 THW.
Zugleich kletterte Polen 2022 beim Verkauf von Wärmepumpen pro 1000 Haushalte auf Platz acht unter den EU-Ländern. Das erklärt, warum die Bosch-Gruppe den Bau eines großen Werks unweit von Warschau angekündigt hat: Dort sollen Wärmepumpen hergestellt werden, für den polnischen Markt und andere europäische Länder.
“Die Energiewende findet statt“, fasst Aleksandra Gawlikowska-Fyk zusammen, Programmdirektorin für den Stromsektor beim Think-Tank Forum Energii in Warschau.
Dies sei mehreren Programmen der polnischen Regierung zu verdanken, erklärt Adam Guibourge-Czetwertyński, Staatssekretär im Ministerium für Klima und Umwelt. Die wichtigste Initiative unter ihnen sei das 2019 gestartete Programm “Mein Strom” (Mój Prąd), das die Installation von Solarpanels im Gesamtwert von 435 Millionen Euro unterstützte. “Dank dieses Programms sind in Polen etwa 500.000 Erzeuger-Verbraucher entstanden” – also Haushalte, die sowohl Erzeuger als auch Verbraucher von Strom aus kleinen Fotovoltaikanlagen sind.
Der Staatssekretär betont jedoch, dass die polnische Energiewende auf zwei Säulen beruhe: erneuerbare Energien und Kernenergie. Eine Strategie, die sich im 2021 veröffentlichten und erst kürzlich aktualisierten Energieplan, dem PEP2040, widerspiegelt: So plant Polen den Bau von drei Kraftwerken, wobei das erste 2033 in Betrieb gehen soll. Warschau setzt auch auf Small Modular Reactors (SMR), die in der neuen Version des Plans erwähnt werden.
Dennoch ist Polen immer noch eine weitgehend von Kohle dominierte Wirtschaft: Dieser fossile Energieträger macht noch 70 Prozent des Mixes aus, was einer Gesamtproduktion von 124 THw entspricht. Zum Vergleich: Deutschland produziert 181 TWh Kohlestrom, was 31 Prozent seines Energiemixes entspricht. “Kohle wird hauptsächlich zum Heizen in Privathaushalten verwendet”, erklärt Gawlikowska-Fyk.
Diese Eigenschaft hat eine ganz konkrete Auswirkung auf das Land: die Luftverschmutzung. In der Tat ist die schlechte Luftqualität zu einem Politikum geworden, da sie eng mit der Gesundheit zusammenhängt. “Wenn zum Beispiel Kinder davon abgehalten werden, wegen der Luftverschmutzung draußen zu spielen, trifft das die Menschen direkt und tief”, erklärt die Energieexpertin. Eine Situation, die große Städte wie Warschau, aber auch kleinere Gemeinden wie Piastow dazu veranlasst hat, eigene Pläne zur Bekämpfung der Luftverschmutzung aufzustellen. Sie haben, mit oder ohne staatliche Unterstützung, unter anderem Programme zum Austausch alter Heizkessel eingeführt.
Zu diesem Druck durch die Wähler kommt der Druck durch die Instrumente hinzu, die die EU im Rahmen des Fit-for-55-Pakets eingeführt oder verschärft hat. Vor allem das Emissionshandelssystem, das EU-ETS. Da die Menge der CO₂-Emissionen in Polen höher ist als die zugeteilte Menge der Verschmutzungsrechte, ist Warschau gezwungen, Zertifikate zuzukaufen. Im Jahr 2022 waren das fast sieben Milliarden Euro.
Die europäischen Daten zeigen aber, dass allein auf Deutschland ein Viertel der gesamten CO₂-Emissionen der EU aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe für Energiezwecke entfällt. Italien und Polen (jeweils 12,4 Prozent) sowie Frankreich (10,7 Prozent) folgen auf der Liste der größten CO₂-Emittenten im Jahr 2022.
Warschau fordert weiterhin eine Reform des ETS, da es sich bewusst ist, dass der Preisanstieg der Zertifikate direkt auf die Preise für häusliche Heizungen durchschlagen kann – und somit einen starken Einfluss auf die Wahlen haben wird. Dies erklärt auch, warum sich Polen gegen die Abschaffung der kostenlosen Emissionszertifikate gewehrt hat, allerdings ohne Erfolg.
Andere Energie- und Klimakomponenten des europäischen Green Deals gerieten ebenfalls ins Visier Warschaus. Die nationalkonservative Regierung widersetzte sich zum Beispiel im April 2023 im Rat dem CO₂-Grenzausgleich und dem Aus für Autos mit Verbrennungsmotor. Polen ficht außerdem einige Fit-for-55-Regelungen vor dem Europäischen Gerichtshof an.
Diese Streitigkeiten gehen jedoch über den Energie- und Klimaschutzrahmen hinaus, da sie sich hauptsächlich auf die von der polnischen Regierung eingeleiteten Reformen des Justizsystems beziehen. Diese ungelösten Rechtsstreitigkeiten haben dazu geführt, dass die Kommission die Auszahlung von rund 32 Milliarden Euro für Polen aus dem Corona-Aufbaufonds blockiert. Eine Summe, die einen großen Beitrag zur Finanzierung der Energiewende in Polen leisten könnte – und deren Verfügbarkeit von der am kommenden Sonntag stattfindenden Wahl abhängen dürfte.
Desinformationskampagnen und Fake News haben bereits in den vergangenen Jahren weltweit Wahlen beeinflusst und die Wählerschaft populistischer Parteien wachsen lassen. Mit dem Einsatz großer Sprachmodelle und Künstlicher Intelligenz steigt die Gefahr, dass populistische Akteure den demokratischen Prozess weiter untergraben: “Wenn wir an die Europawahl im kommenden Jahr denken, sind die bestehenden Regeln zur Moderation von Inhalten, wie sie im Gesetz über digitale Dienste (DSA) vorgesehen sind, im Zeitalter von generativer KI bereits veraltet“, warnt der Berliner Digitalexperte Anselm Küsters.
Gemeinsam mit anderen Forschern des Centrums für Europäische Politik (cep) hat Küsters in einer Studie untersucht, wie populistische Parteien plattformübergreifende Nachrichtenübermittlung und KI nutzen. Die Studie wird am Dienstag vorgestellt und liegt Table.Media bereits vor. Dabei haben die Forscher vor allem Deutschland, Italien und Frankreich in den Fokus genommen. Sie identifizieren neue Herausforderungen bei der Bekämpfung von Desinformation.
Große Sprachmodelle ermöglichten es, personalisierte Desinformation sekundenschnell und kostengünstig zu verteilen, warnen die Autoren. Dabei machten plattformübergreifende Strategien die Korrektur von Inhalten und regulatorische Reaktionen unmöglich. Durch KI erzeugte Deepfakes verzerrten unser Verständnis von Wahrheit und einer objektiv geteilten Realität. In diesem Umfeld werde es schwierig, einen gemeinsamen rationalen Diskurs aufrechtzuerhalten. “Um dieses Szenario zu verhindern, benötigen wir mehr digitale Bildung und einen präventiven Ansatz, um den Online-Populismus zu bekämpfen”, heißt es in der Studie.
Die Grenze zwischen von Menschen erzeugten und KI-generierten Inhalten verschwimme zusehends. Dies untergrabe den politischen Diskurs und erhöhe die Erfolgsaussichten der Populisten, warnt cep-Forscherin Camille Réau. Es sei daher wichtig, “diesen kaputten digitalen Marktplatz für Ideen zu reparieren, um einen integrativeren und intellektuell robusteren Online-Diskurs zu kultivieren, der einen echten Austausch von Ideen fördert”.
Häufig vorgeschlagene Ex-post-Maßnahmen wie das automatische Filtern von problematischem Inhalt, manuelle Inhaltsmoderation und neue Regulierungsbehörden halten die Autoren für nicht mehr ausreichend, um Desinformationskampagnen zu bekämpfen. Kein einzelner Akteur könne “das exponentielle, Feedback-getriebene, semiautonome Wachstum moderner digitaler Netzwerke” vollständig kontrollieren.
Vielversprechender erscheint den Autoren ein indirekter ex-ante Ansatz, der populistische oder irreführende Beiträge nicht vollständig verhindern, aber deren gesellschaftliche Auswirkungen mildern und schädliche Viralität durchbrechen könne. Dafür schlagen die Autoren neben Transparenzanforderungen für Trainingsdaten weitere technische Maßnahmen vor, wie:
In Luxemburg hat die bisherige Dreier-Koalition von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen laut Hochrechnungen am Sonntagabend ihre Mehrheit verloren. Das seit 2013 regierende Bündnis von Premierminister Xavier Bettel würde im günstigsten Fall insgesamt 30 der 60 Sitze im Parlament erringen, berichtete der Fernsehsender RTL. Das ist ein Mandat zu wenig für eine Fortsetzung des Bündnisses.
Derzeit hat die Regierungskoalition eine knappe Mehrheit von 31 Mandaten im Parlament. Die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) um Spitzenkandidat Luc Frieden würde laut Hochrechnung mit 21 Mandaten auch im nächsten Parlament die stärkste Fraktion werden.
Rund 284.000 Wahlberechtigte waren in Luxemburg am Sonntag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Im zweitkleinsten Land der EU mit rund 660.000 Einwohnern besteht Wahlpflicht. Die Wahlbeteiligung lag 2018 bei rund 90 Prozent. dpa
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Gemeinsamkeiten mit den Liberalen betont. Die Partei Renaissance, der französische Zweig von Renew, trage “Europa im Herzen”, sagte die CDU-Politikerin bei einer Veranstaltung der Versammlung von Präsident Emmanuel Macron in Bordeaux. “Das eint uns, Sie und mich!”
Die Anwesenheit Kommissionspräsidentin diene dazu, das ausgesprochen europäische Profil der Renew-Partei zu zeigen, sagte Antoine Guery, Sprecher des Renew-Fraktionsvorsitzenden Stéphane Séjourné, zu Table.Media. “Die Anwesenheit von Ursula von der Leyen steht in der französischen und bei uns besonders starken Tradition, Politiker anderer politischer Familien zu solchen Veranstaltungen einzuladen”, sagte er. Bei der Veranstaltung mit 2500 Teilnehmern sprach auch EU-Kommissar Thierry Breton.
Die Versammlung mit dem Namen “Europäischer Campus” sei kein Wahlkampfauftakt, sondern “ein Aufwärmen” in einem Vorwahljahr, fügte Guery hinzu. Renaissance hat noch keinen Spitzenkandidaten für die nächsten Europawahlen bestimmt. Parteichef Stéphane Séjourné scheint die natürliche Wahl zu sein, hat aber nicht durchblicken lassen, ob er antreten wird. Die Europa-Staatssekretärin Laurence Boone macht kein Geheimnis aus ihrem Interesse. In der französischen Presse wurde außerdem auch der Name Bretons mehrfach genannt.
Der Campus zu Beginn des Herbstes markierte auch den ersten Jahrestag der Gründung von Renaissance, mit Séjourné an der Spitze. Vor einem Jahr hatte er damit begonnen, mehrere französische Minister in die Parteiführung aufzunehmen, darunter Innenminister Gérald Darmanin und Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, die beide stellvertretende Generalsekretäre sind. Die Amtszeit von Séjourné läuft bis November 2024. cst
Die EU-Kommission prüft, eine Anti-Subventionsuntersuchung gegen chinesische Windkraftunternehmen Hersteller einzuleiten. In dem Sektor gebe es Konkurrenz aus China bei bestimmten Komponenten, sagte der amtierende Wettbewerbskommissar Didier Reynders am Freitag im französischen Fernsehen. “Wenn wir dort erneut womöglich zu hohe chinesische Hilfen feststellen sollten, könnten wir eine vergleichbare Untersuchung einleiten.”
Die Brüsseler Behörde hatte vergangene Woche wie angekündigt eine Untersuchung wegen staatlicher Förderung für chinesische Elektroautos begonnen. Industriekommissar Thierry Breton hatte sich bereits vor Wochen dafür ausgesprochen, auch in Sachen Windindustrie aktiv zu werden. Chinesische Hersteller von Windkraftanlagen verfolgten “eine aggressive Strategie, um auf den europäischen Markt zu gelangen”, schrieb der Franzose. So böten chinesische Unternehmen europäischen Projektentwicklern um 15 bis 55 Prozent niedrigere Preise für Windturbinen an als europäische Konkurrenten, und zugleich einen Zahlungsaufschub von bis zu drei Jahren.
Eine Anti-Subventionsuntersuchung könnte Teil des Maßnahmenpakets für die Windkraft sein, das die Kommission am 24. Oktober vorstellen will. Ein solcher Schritt dürfte aber weitere Spannungen mit Peking und womöglich Gegenmaßnahmen auslösen. Die chinesische Regierung hatte bereits das Verfahren zu Elektroautos als “blanken Protektionismus” kritisiert. tho
Das Interesse an gemeinsamen Erdgaseinkäufen in der EU hält an. In einer dritten Ausschreibungsrunde gaben Lieferanten Angebote mit einem Volumen von 18,1 Milliarden Kubikmetern Gas ab, wie der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, am Freitag sagte. In der ersten Runde waren es 18,7 und in der zweiten 15,2 Milliarden. Von 39 europäischen Unternehmen waren zuvor insgesamt 16,5 Milliarden Kubikmeter nachgefragt worden – ein Rekord.
Für ein Volumen von 11,9 Milliarden Kubikmeter konnten Unternehmen und Lieferanten zusammengeführt werden, hieß es von der Kommission. Die Unternehmen könnten nun die Lieferverträge direkt mit den Gaslieferanten aushandeln. In der ersten Runde waren es 10,9 Milliarden und in der zweiten 12 Milliarden Kubikmeter.
Die EU-Länder hatten vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs im vergangenen Jahr beschlossen, gemeinsam Gas zu kaufen, um Unternehmen stabilere Preise zu sichern und die Gasspeicher wieder aufzufüllen. Außerdem soll vermieden werden, dass sich die EU-Staaten gegenseitig überbieten. “Insgesamt liefert die EU-Energieplattform durchweg hervorragende Ergebnisse bei der Bündelung der Nachfrage und der Koordinierung des Erdgaseinkaufs”, sagte Šefčovič. dpa
Die Legislaturperiode ausklingen zu lassen, das kommt für Birgit Sippel nicht infrage. Die SPD-Europaabgeordnete spielt eine wichtige Rolle in den Verhandlungen um die Asylreform. Während viele andere Legislativvorhaben bereits abgeschlossen sind, werden die nächsten Monate entscheidend für das Gesetzespaket zu Asyl und Migration. Sippel hofft darauf, die Verhandlungen zwischen Parlament und Mitgliedstaaten rechtzeitig vor den Europawahlen im Juni abzuschließen.
Der Weg dafür scheint geebnet, seit die Regierungen am Mittwoch sich auf einen Kompromiss zur sogenannten Krisenverordnung geeinigt haben. Nun stünden harte Verhandlungen bevor, sagt Sippel: Die Mitgliedstaaten pochten auf “massive Verschärfungen des Asylrechts in Krisensituationen”, während das Europaparlament einen solidarischen Ansatz propagiere, “bei dem sich Mitgliedstaaten in Krisensituationen unter die Arme greifen sollen”.
Die 63-Jährige beobachtet mit Sorge, wie die Debatte über Asyl und Migration inzwischen weit nach rechts gerückt ist. Und zeigt sich doch kompromissbereit, denn sie ahnt wohl, dass die Verhandlungen nach der Europawahl nicht einfacher werden, sollten rechte Parteien weiter erstarken.
Dabei mahnt Sippel: Die grundsätzliche Herausforderung für Europa sei heute, die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu untergraben. Man könne nicht andere Länder ermahnen, demokratischer zu werden und stets die Menschenrechte zu wahren, während man selbst die eigenen Grundsätze missachte. Dies gelte für die Migrationspolitik wie die zunehmende Überwachung bis zum drohenden Rechtsruck: “Ich bin besorgt, dass man sich an all dies gewöhnt. Wenn man da nicht aufpasst, dann ist es zu spät – und wir leben nicht länger in einer Demokratie.”
Seit 2009 setzt sich die Westfälin im Europaparlament für ihre Themen ein. Nach einer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin leitete sie das Regionalbüro des Europaabgeordneten Helmut Kuhne, bevor sie 2009 selbst ins Europäische Parlament einzog. Im Jugendverband der SJD und in der Kommunalpolitik in Südwestfalen habe sie immer wieder erkannt, dass für Politik auf allen Ebenen die maßgeblichen Veränderungsimpulse aus der europäischen Zentrale kämen: “Es hat mich fasziniert, wie viel man transeuropäisch erreichen kann”.
Eine wichtige Lektion lernte sie dabei im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, in dem sie seit ihrer ersten Wahl ordentliches Mitglied ist. Dort vertrat sie 2015 in der Frage der Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten eine starke Position “gegen Massenüberwachung”. Ihre Fraktion war hingegen anderer Ansicht, was für Sippel insofern problematisch war, als sie die Berichterstatterin ihrer Fraktion war. Die Lösung hieß: Haltung und Fassung bewahren. Die offene Art im Umgang mit dieser Differenz, so blickt Sippel heute zurück, habe sie innerhalb der Fraktion gestärkt: “Denn auch mit Minderheitenmeinungen, respektvoll vorgetragen, kann man viel Akzeptanz in der eigenen Gruppe gewinnen”.
Sippel ist keine besonders melancholische Person. So sieht sie vor allem zwei Aktionsfelder, in denen sich vorbeugende Maßnahmen treffen lassen. Zum einen müssen die Programme für Begegnung und Austausch gestärkt werden. Sippels Wunsch für die Zukunft ist es, dass jeder Mensch in Europa bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mindestens einmal die Möglichkeit hatte, an einem solchen Programm teilzunehmen.
Zum anderen müsse zweifellos klar sein, dass die großen Aufgaben unserer Tage nicht dadurch lösbar sind, dass niemand belastet wird: “Es ist kein Skandal und keine Neiddebatte, wenn man in einer solchen Situation erwartet, dass die sehr Wohlhabenden ein bisschen mehr dazu finanziell beitragen“. Auf dieser Grundlage seien zielgenaue Förderungen die Voraussetzung dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt auch in Zukunft sichergestellt wird – trotz aller herannahenden Krisen und Gefahren. Julius Schwarzwälder