Table.Briefing: Europe

FPÖ und ÖVP wollen Kommissar stellen + Wie weiter mit dem Green Deal?

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Europawahlen beginnen heute, und es sind die Wähler in den Niederlanden, die den Anfang machen. Sie sind aufgerufen, heute bis 21 Uhr an die Urnen zu gehen, wenn die Wahllokale geschlossen werden. Am Freitag sind die Iren am Zug, am Samstag dann die Wähler in Malta, Lettland und der Slowakei. Am Sonntag schließen die Wahllokale der übrigen Mitgliedstaaten am Abend.

Die ersten nationalen Prognosen werden ab 18 Uhr erwartet. Zwei Stunden später, gegen 20:15 Uhr, folgt die erste Hochrechnung für das neue Parlament auf der Grundlage der Prognosen in den Mitgliedstaaten, in denen die Wahllokale geschlossen haben. Nach 23 Uhr folgt eine weitere Hochrechnung für die Sitzverteilung, die auf ersten vorläufigen Ergebnissen aus allen 27 Ländern beruht.

Für EU-Nerds wie uns ist diese Wahl wie unsere eigene Olympiade. Deshalb startet die Redaktion von Table.Briefings heute einen News-Ticker. Dort werden Sie alles rund um die Europawahlen nachlesen können. Am Sonntag steht die gesamte Redaktion in Brüssel und Berlin an Deck, begleitet von unseren Korrespondenten in Paris, Madrid, Rom, Warschau und Prag.

Wir werden genau hinschauen, was sich bei der Europawahl bewegt: die neuen Kräfteverhältnisse, die Gewinner und Verlierer der Wahlen ebenso wie die Auswirkungen auf nationaler Ebene – sei es in Deutschlands oder Frankreichs, Italien oder Spanien. Im Getümmel und Getöse dieser Wahlen werden wir danach suchen, was wirklich von Bedeutung ist.  

Eine spannende Lektüre wünsche ich Ihnen.

Ihre
Claire Stam
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Analyse

Das sind die möglichen Kommissare nach der Europawahl – Teil II

Am Mittwoch hatte Table.Briefings mögliche Kommissaranwärter aus 13 Mitgliedstaaten benannt, heute kommen Kandidaten der restlichen Mitgliedstaaten. Doch Vorsicht: Die Europawahl und der anschließende Machtpoker um die Topjobs bringen viele Unwägbarkeiten mit sich, nicht nur für von der Leyen. Die Liste ist ein Annäherungsversuch, vieles kann sich noch ändern.

Malta

Premierminister und Labour-Chef Robert Abela wollte eigentlich seinen Stellvertreter Chris Fearne nach Brüssel schicken, doch dieser trat Anfang Mai zurück, wegen Vorwürfen der Veruntreuung von Steuergeldern. Als Favoritin gilt nun die frühere Europaabgeordnete Miriam Dalli, die einst die schärferen CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw ausgehandelt hatte. Sie ist aktuell Ministerin für Klima und Energie

Niederlande  

Klimakommissar Wopke Hoekstra würde gern weitermachen. Als Christdemokrat hat er aber nach der Regierungsbildung im Haag das falsche Parteibuch. Es ist nicht bekannt, ob die neue liberal-konservativ-populistische Koalition eine Absprache getroffen hätte. Sollte sie sich nicht einigen können und dem Land ein attraktives Dossier angeboten werden, könnte Hoekstra im Spiel bleiben.  

Österreich  

Die FPÖ dürfte stärkste Kraft bei der Europawahl werden, dennoch wird wohl erneut die ÖVP den neuen Kommissar vorschlagen (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Gehandelt wird insbesondere Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, die bereits Österreichs jüngste EU-Ratspräsidentschaft prägte. Außenminister Alexander Schallenberg hat ein Interesse dementiert, zuletzt wurde in den Medien auch noch Finanzminister Magnus Brunner genannt. 

Polen

Premier Donald Tusk hat großes Interesse am Posten eines Verteidigungskommissars, den Ursula von der Leyen nun schaffen will. Manche PO-Politiker in Warschau glauben sogar, Polen könnte sich um das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik bewerben. Als aussichtsreicher Kandidat für beide Posten gilt der gegenwärtige Außenminister Radoslaw Sikorski

Portugal  

Klar ist, dass Elisa Ferreira, Kommissarin für Kohäsion, keine Chance mehr hat. Sie ist Sozialdemokratin, und ihre Partei ist in der neuen, von den Christdemokraten geführten Minderheitsregierung in Lissabon nicht mehr vertreten. Sollte die EVP-Mitgliedspartei PSD den Kommissar vorschlagen, werden diese Namen genannt: Miguel Poiares Maduro, Maria Luísa Albuquerque und Jorge Moreira da Silva.   

Rumänien  

Klaus Iohannis, amtierender Präsident Rumäniens, würde gern nach Brüssel wechseln. Seine erste Wahl wäre, Nato-Generalsekretär zu werden, die zweite Ratspräsident. Die Chancen dafür sind nicht groß. Ob er als einfacher Kommissar nach Brüssel wechseln würde, ist ungewiss. Zudem stehen in Rumänien im Herbst Wahlen an, bei denen es für seine christdemokratische Partei nicht gut aussieht.    

Schweden  

EU-Ministerin Jessika Roswall, deren Partei zur EVP-Parteienfamilie gehört, gilt als Favoritin. Sie hat bei der schwedischen Ratspräsidentschaft ein gutes Bild abgegeben. Der ehemalige Ministerpräsident Carl Bildt wird als Alternative genannt. Die amtierende Kommissarin Ylva Johansson dürfte als Sozialdemokratin keine Chance auf ein weiteres Mandat haben.   

Slowakei  

Es zeichnet sich deutlich ab, dass Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič in Brüssel bleiben wird. Premier Robert Fico weiß, was er an dem parteilosen Diplomaten hat. Šefčovič gehört der Kommission seit 2009 an, mit unterschiedlichen Aufgabengebieten. Als 2023 Frans Timmermans seinen Rücktritt einreichte, übertrug von der Leyen Šefčovič die Rolle des Exekutiv-Vizepräsidenten für den Green Deal. Die Kommissionschefin schätzt die Arbeit des 57-Jährigen, unter ihr dürfte er weiter eine wichtige Rolle spielen.  

Slowenien  

Die Regierung will offenbar Tomaž Vesel vorschlagen, ehemals Mitglied des EU-Rechnungshofes. Er ist parteilos. Der Außenministerin Tanja Fajon, ehemalige Europaabgeordnete, werden Ambitionen auf das Amt der Außenbeauftragten nachgesagt. Ihre Chancen gelten als gering, weil die sozialistische Parteienfamilie zunächst nach dem Vorsitz des Rates greifen dürfte und dann nicht mehr beim Außenbeauftragten zum Zuge kommen würde.   

Spanien  

Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez haben Teresa Ribera, Ministerin für den ökologischen Wandel, als Spitzenkandidatin für die Europawahl aufgestellt. Sie dürfte auch Kommissarin werden. Ribera hat sich einen Namen gemacht als entschlossene Kämpferin für den Klimaschutz und will dem Vernehmen nach Vize-Präsidentin mit entsprechendem Themenbereich werden. Allerdings gilt sie als streitbar und unverblümt. Von der Leyen würde sich dies daher wohl gut überlegen. Für die EVP dürfte Ribera in einer solchen Position schwierig zu akzeptieren sein, nach den Erfahrungen mit Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans.  

Tschechien  

Regierungschef Petr Fiala strebt in der künftigen Kommission ein “starkes Wirtschaftsressort” an, wie er wiederholt betont hat. Drei Kandidaten sind im Gespräch: die bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen unterlegene Wirtschaftswissenschaftlerin Danuše Nerudová, der Minister für Industrie und Handel, Jozef Síkela, (beide von der Bürgermeisterpartei STAN), und der Europaabgeordnete Marcel Kolaja von der Piratenpartei. Alle drei gelten als geeignet. Síkela etwa hat sich während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel einen Namen gemacht. Das Vorschlagsrecht für den Kandidaten liegt in der Regierung bei der Bürgermeisterpartei. Die Piraten bestreiten das, wollen ebenfalls mitreden.  

Ungarn 

Rechtspopulist Viktor Orbán wird erneut einen linientreuen Vorschlag machen. Sollte seine Wahl wieder auf Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi fallen, dürfte er bei der Anhörung im Parlament durchfallen. Wer danach kommt, das ist nicht sicher.   

Zypern  

Stella Kyriakides, Kommissarin für Gesundheit, galt in der Pandemie als überfordert. Daher dürfte die Christdemokratin geringe Chancen auf eine erneute Berufung haben. Gehandelt werden der ehemalige Finanzminister Harris Georgiades sowie der ehemalige Energieminister George Lakkotrypis, die beide zur EVP-Mitgliedspartei zählen. Markus Grabitz, Till Hoppe, Hans-Jörg Schmidt

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Wahlausblick Österreich: Wie FPÖ und ÖVP um den Kommissarsposten rangeln

“EU-Wahnsinn stoppen”, liest man auf Wahlplakaten in ganz Österreich. Ein Konterfei eines Kandidaten für das EU-Parlament sucht man vergebens. Stattdessen Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj, die sich vor Panzern, Windrädern und Geflüchteten küssen. Schlagwörter wie “Kriegstreiberei”, “Corona-Chaos”, und “Öko-Kommunismus” prangen auf dem schwarz-weißen Plakat der FPÖ. 

Mit ihrem EU-kritischen Kurs führt die rechtspopulistische Partei seit Monaten die Umfragen an. Ihr Spitzenkandidat Harald Vilimsky liegt mit knapp unter 30 Prozent vorn und sieht daher für seine Partei einen Anspruch auf den Posten eines EU-Kommissars, sollte man Platz eins erreichen.  

Nationale Wahlen im September

Nominiert wird der EU-Kommissar allerdings von der jeweiligen Bundesregierung. Er oder sie braucht zudem eine Mehrheit im Nationalrat. In Österreich regieren ÖVP und Grüne, doch im September 2024 wird neu gewählt. Die ÖVP rangiert in Umfragen bei rund 20 Prozent, die Grünen bei zehn Prozent. Eine neuerliche Koalition scheint damit weit entfernt. 

Dennoch könnte erneut die ÖVP den EU-Kommissar stellen, was sie seit dem EU-Beitritt von Österreich im Jahr 1995 immer getan hat – sehr zum Missfallen der Opposition. Derzeit hat Johannes Hahn diese Rolle inne, er ist Kommissar für Haushalt und Verwaltung.

Während der Koalitionsverhandlungen haben ÖVP und Grüne in einem “Sideletter” festgelegt, dass erneut die ÖVP den Kommissar stellen darf. Darauf pocht Bundeskanzler Karl Nehammer. Solche geheimen Vereinbarungen, die die wichtigsten politisch besetzten Posten wie Nationalbank-Direktor, ORF-Generaldirektor und am EuGH regeln, gab es bereits in der Vorgängerregierung zwischen ÖVP und FPÖ, wie der Standard berichtet. 

FPÖ will “Kommissar für Remigration”  

Die FPÖ protestiert. Sie erklärte auf Anfrage, dass “die Nominierung des österreichischen EU-Kommissars der neuen Regierung obliegen soll”. Der neue Kommissar solle erst nach der Nationalratswahl bestellt und ein “Kommissar für Remigration” werden. Entweder solle er von der FPÖ gestellt werden, oder “in einer halbierten Kommission mit anderen [Ländern] gemeinsam”, wie FPÖ-Spitzenkandidat Vilimsky im April in einem Interview mit dem ORF sagte. Dieser neue Kommissar solle das “Versagen der EU bei den Rückführungen von illegal in der Union Aufhältigen angehen”, erklärte Vilimsky zudem in einer Presseaussendung

FPÖ und ÖVP schweigen beide zur Personalfrage. Im Umfeld der ÖVP wurden zuletzt einige Namen genannt: Europaministerin Karoline Edtstadler, Außenminister Alexander Schallenberg und kürzlich auch Finanzminister Magnus Brunner. Schallenberg hat mögliche Ambitionen aber ausdrücklich verneint. 

Meinungsforscher Peter Hajek sieht die ÖVP im Vorteil. “Die Koalitionsgründung könnte sich in die Länge ziehen, weil zwei neue Parteien ins Parlament einziehen könnten. Daher ist es leicht möglich, dass noch die schwarz-grüne Regierung den Kommissar stellt”, sagte er zu Table.Briefings. Die Zeit läuft gegen die rechtspopulistische Partei.  

Wahlkampf von ÖVP und SPÖ dümpelt vor sich hin

Im Wahlkampf ums Europarlament fielen ÖVP und SPÖ ansonsten kaum auf. Beide liegen bei rund 20 Prozent.  “Ich kann die Wahlkampftaktik von SPÖ und ÖVP nicht erkennen”, sagt Meinungsforscher Hajek. “Beide Parteien hätten langgediente, erfahrene Spitzenkandidaten. Die Sozialdemokraten werben dafür, “Europa fair zu gestalten” – doch das würden sie seit 20 Jahren sagen. Die ÖVP mache es nach dem Motto “Europa geht besser”. Da sei “keine Emotion und nichts Greifbares drin”.

Bei der FPÖ, den NEOS und den Grünen gehe es dagegen um Emotionen. Die liberalen NEOS – sie liegen mit Spitzenkandidat Helmut Brandstätter bei 13 Prozent – seien klar die pro-europäischste Partei. Sie fordern mit den “Vereinigten Staaten von Europa” eine Vertiefung der EU. Dagegen positioniere sich die FPÖ auf der anderen Seite: Ausweisung von Ausländern, mehr Subsidiarität, weniger Regulierung und Bürokratieabbau sowie die Rückführung von Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten. Einen “Öxit” gebe es mit der FPÖ zwar nicht, Spitzenkandidat Vilimsky drohte aber im Interview mit dem Standard, dass man die Zahlungen an Brüssel einstellen könnte. 

Pannenreicher grüner Wahlkampf 

Emotional ausgelegt sei auch der Wahlkampf der Grünen, so Hajek weiter. “Für sie geht es ums Klima, da tun sie sich leicht.” Doch der Wahlslogan “Herz statt Hetze” der Grünen-Spitzenkandidatin Lena Schilling bekam Anfang Mai eine neue Bedeutung. Schilling soll einem Bericht des Standard zufolge mehrfach falsche Behauptungen über Dritte aufgestellt und diese damit in teils existenzgefährdende Probleme gebracht haben. Der Standard recherchierte dafür tief im Privatleben von Schilling; ein Novum im Journalismus in Österreich, was auch Fragen aufwirft, wie weit Journalismus gehen darf. 

Die Parteispitze der Grünen steht geschlossen hinter Schilling. Sie hält an der Spitzenkandidatin fest, die erst kürzlich aus dem Klimaaktivismus in die Politik wechselte. In einer Pressekonferenz leisteten sich die Grünen aber mehrere Fauxpas. So bezeichnete Vizekanzler Werner Kogler etwa die Berichterstattung als “Gefurze” und “Gemurkse”. Die Vorwürfe gegen Schilling wurden hingegen nicht dementiert. Das Krisenmanagement war so ziemlich das schlechteste, was man in Österreich lange Zeit gesehen hat”, meint Hajek dazu. Umfragen seines Meinungsforschungsinstituts würden allerdings zeigen, “dass die Grünen gar nicht so sehr an Boden verloren haben.” Sie hätten eine stabile Wählerbasis, könnten aber ihr drittes Mandat an die NEOS verlieren. 

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Klimaausblick: Wie es nach der EU-Wahl weitergeht

Viel Zeit ist nicht, um die Ergebnisse der Europawahl am Sonntag zu verdauen. Während es für die frisch gewählten Abgeordneten des Europaparlaments zunächst noch keine großen klimapolitischen Entscheidungen zu treffen gilt, geht es für Kommission und Rat beinahe nahtlos weiter. Die Mitgliedstaaten müssen noch über liegengebliebene Gesetze aus der auslaufenden Legislatur entscheiden und die Verhandlungen über das EU-Klimaziel 2040 sowie das nächste NDC starten. Die Kommission und ihre Generaldirektion Klimaschutz arbeiten bereits am nächsten Klimaschutzpaket.

Direkt nach der Wahl werden sich die Mitgliedstaaten noch einmal mit dem strittigsten Dossier des Green Deals befassen. Die belgische Ratspräsidentschaft unternimmt einen weiteren Versuch, das Renaturierungsgesetz doch noch über die Ziellinie zu bringen. Beim Umweltrat am 17. Juni soll es zur finalen Abstimmung der Mitgliedstaaten kommen. Das Parlament hat das Trilog-Ergebnis formal schon durchgewinkt, somit fehlt nur noch die Zustimmung der Ministerinnen und Minister.

Nur wenige Tage darauf hätte Klimaschutz wieder weit oben auf der Agenda stehen sollen – beim EU-Gipfel am 27./28. Juni. Dort werden sich die Staats- und Regierungschefs auf die strategische Agenda einigen – also die Richtung und Ziele der EU-Staaten für die kommenden fünf Jahre. Doch die Mitgliedsstaaten konnten sich nicht auf ambitionierte Klima-Inhalte für die strategische Agenda einigen. Zur Debatte stand, ob sich die Staaten schon hier auf eine eigene Position zum EU-Klimaziel 2040 verständigen würden. Da es Einstimmigkeit braucht, ist eine Einigung jedoch nicht in Sicht. Die Staaten konnten sich bislang weder auf den Kommissionsvorschlag von 90 Prozent CO₂-Reduktion im Vergleich zu 1990 noch auf ein niedrigeres Ziel oder einen Zielkorridor verständigen.

Neues NDC im Frühjahr 2025 fällig

Auch die Bundesregierung hat noch keine geeinte Position für das EU-Klimaziel 2040, obwohl sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Ende April beim Petersberger Klimadialog in Berlin demonstrativ hinter den Kommissionsvorschlag gestellt hatte. Insider aus Brüssel berichten, dass die kommende ungarische Ratspräsidentschaft das Thema beim EU-Gipfel im Dezember aufs Tableau bringen will.

Spätestens im Frühjahr 2025 müssen die EU-Staaten dann auch ihr Klimaziel für 2035 (NDC) bei den Vereinten Nationen hinterlegen. Dafür reicht theoretisch eine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat. In der EU-Logik muss dafür allerdings zunächst ein Ziel für 2040 feststehen, aus dem das Ziel für 2035 hervorgeht, was den Prozess zusätzlich verkompliziert. In den Wochen und Monaten nach der Europawahl wird es also mehr um die grundsätzlicheren klimapolitischen Linien gehen, anstatt um regulative Tätigkeiten.

Wird das Verbrenner-Aus gekippt?

Es sei denn, die neue Kommission gibt dem Druck der EVP nach und macht die Debatte um die CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw aus dem Fit-for-55-Paket wieder auf, um das Verbrenner-Aus rückgängig zu machen. Das gilt zwar nicht als sonderlich wahrscheinlich, solange Ursula von der Leyen im Amt bleibt. Vor allem die restlichen deutschen Christdemokraten meinen es dennoch ernst mit ihrem Wunsch, auch nach 2035 noch neue Verbrenner zulassen zu können.

Die klimapolitisch wenig versierte ungarische Ratspräsidentschaft wird sich in der zweiten Jahreshälfte stark zurückhalten. Zum einen, weil keine neuen Vorschläge aus der Kommission zu erwarten sind. Zum anderen, weil sie ihre Prioritäten nicht in der Klimapolitik setzen wird.

Ein neues Gesetzespaket zur Umsetzung des Klimaziels ist erst für 2026 geplant. Anders als das Fit-for-55-Paket zum 2030er-Klimaziel soll es weniger neue Maßnahmen beinhalten, sondern die bestehenden Maßnahmen auf die potenzielle Ambitionserhöhung ausrichten. So könnte beispielsweise das europäische Emissionshandelssystem für Energie und Industrie (ETS 1) auf weitere Industriezweige ausgeweitet werden. Im Fokus steht der Agrar- und Lebensmittelsektor. Auch für die Integration von natürlichen Kohlenstoff-Senken (Carbon Farming) sowie technischen CO₂-Entnahmen (Direct Air Capture) braucht es Lösungen, die beim Klimaziel 2040 eine Rolle spielen werden.

Einige dieser Maßnahmen dürften innerhalb der turnusmäßigen Revisionen der Gesetze umgesetzt werden, die 2026 oder 2027 fällig sind. Darunter fallen das ETS sowie der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM, aber auch die Gemeinsame Agrarpolitik. Erste Vorschläge für die GAP nach 2027 werden für das kommende Jahr erwartet.

Wie wird Klimaschutz künftig finanziert?

Für die kommenden Jahre stellt sich auch die Frage, wie Energie- und Industriewende finanziert werden können. Der Pandemie-Wiederaufbaufonds läuft Ende 2026 aus und die öffentlichen Mittel werden auch durch die neuen EU-Schuldenregeln wieder knapper gehalten. Ein zentrales Anliegen der EU-Kommission und einiger Mitgliedstaatsregierungen ist deshalb die Vertiefung der Kapitalmarktunion. Dies soll europäischen Unternehmen einen einfacheren Zugang zu Finanzmitteln sichern, um in ihr Wachstum zu investieren.

Nationale Hürden könnten diesem Ziel aber weiterhin im Weg stehen. Auch wenn die Kapitalmarktunion zustande kommt, ist nicht garantiert, dass das zusätzliche Kapital in klimafreundliche Maßnahmen fließen wird. Eine weitere Möglichkeit für mehr Finanzmittel bietet der nächste mehrjährige Finanzrahmen der EU (MFF) für die Periode von 2028 bis 2034. Der erste Vorschlag dafür ist Mitte 2025 fällig. Mit János Ammann

Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier. Unseren Newsfeed finden Sie hier.

  • CO₂-Flottengrenzwerte
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  • EU-Klimaziel 2040
  • EU-Schuldenregeln
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  • Klima & Umwelt
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Termine

10.06.2024 – 08:30 Uhr, online
Table.Briefings/EBD, Diskussion Europa nach der Schicksalswahl – Was ändert sich jetzt in der Europäischen Union?
Table.Briefings und die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) setzen sich mit den Ergebnissen der Europawahl auseinander. INFOS & ANMELDUNG

10.06.2024 – 08:30-09:30 Uhr, online
DGAP, Panel Discussion The European Election: Results, Interpretations, Implications
The German Council on Foreign Relations (DGAP) discusses the results of the European elections. INFOS & REGISTRATION

10.06.2024 – 10:30-16:00 Uhr, Frankfurt
HBS, Konferenz Betriebspolitische HSI-Tagung 2024
Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) diskutiert aktuelle Entwicklungen im Betriebsverfassungsrecht und drängende Fragen der Betriebspolitik. INFOS & ANMELDUNG

10.06.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin
EK, Seminar Europa hat gewählt – was jetzt?
Die Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin setzt sich mit den Ergebnissen der Europawahl auseinander. INFOS & ANMELDUNG

10.06.2024 – 19:00-20:30 Uhr, Berlin
FES, Panel Discussion Ukraine’s Recovery in the European Context
The Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) discusses Ukraine’s Recovery in the European context. INFOS & ANMELDUNG

11.06.2024, Berlin
DIHK, Konferenz UBi Dialog 2024 – Nationale Jahreskonferenz zu Wirtschaft & Biodiversität
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) thematisiert Biodiversität in wirtschaftlichen Prozessen. INFOS & ANMELDUNG

11.06.2024 – 16:30-19:30 Uhr, Berlin/online
FZE, Konferenz Bottleneck Verteilnetze – Wie kann der Ausbau beschleunigt werden?
Das Forum Zukunftsenergien (FZE) setzt sich damit auseinander, wie der Ausbau von Verteilnetzen beschleunigt werden kann. INFOS & ANMELDUNG

11.06.2024 – 19:00-20:30 Uhr, Düsseldorf
FNF, Podiumsdiskussion Die Ukraine und ihr EU-Beitritt
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) setzt sich mit einem mögliche EU-Beitrag der Ukraine auseinander. INFOS & ANMELDUNG

News

Scholz: Bankenunion nur bei Erhalt der Institutssicherung für Sparkassen

Bundeskanzler Olaf Scholz pocht auf die Vollendung der EU-Kapitalmarktunion, bremst aber bei der europäischen Bankenunion. “Wir sind bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme als Teil eines umfassenden Gesamtpakets zu schaffen”, sagte der Kanzler auf dem Treffen der Volks- und Raiffeisenbanken am Mittwoch in Berlin.

Aber die Voraussetzung dafür sei “eine weitere Stärkung des Abwicklungsregimes und einer wirksamen Verhinderung einer übermäßigen Konzentration von Staatsanleihen in Bankbilanzen”, fügte er hinzu. “Voraussetzung ist auch – und das ist mir besonders wichtig – der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken“, betonte der SPD-Politiker. Denn in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten gebe es gut funktionierende Sicherungssysteme für kleinere Banken, die man nicht gefährden sollte.

Positionen von Parlament und Kommission ungenügend

Der Erhalt der Institutssicherung bleibe also Richtschnur bei den Verhandlungen zur Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken, betonte der Kanzler. Entsprechende Planungen der EU-Kommission zu einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung (EDIS) habe auch das Europäische Parlament nicht ausreichend geändert. Deshalb müssten sie korrigiert werden. “Die Arbeiten zu den verbleibenden Elementen der Bankenunion – inklusive EDIS – sollen erst im Anschluss daran wieder aufgenommen werden”, sagte er.

Bei der Kapitalmarktunion wiederum sei es wichtig, die nationalen Insolvenzrechtsregime in den 27 EU-Staaten zu harmonisieren und gemeinsame Steuerharmonisierung, forderte der Kanzler. Wichtig sei auch, dass Privatanleger in der EU eine breitere Palette von Finanzprodukten zur Verfügung hätten, “beispielsweise durch Einführung von europaweiten Spar- und Rentenprodukten.” Die nächste EU-Kommission müsse zudem Finanzmarktregeln überprüfen und vereinfachen, besonders bei den Berichts- und Meldepflichten. Dafür setze er sich zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein. rtr

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Wie Ariane 6 Europa Zugang zum All verschaffen soll

Europa ist dem eigenen Zugang zum All wieder einen Schritt näher: Am 9. Juli soll die europäische Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal starten. Das gab die Europäische Raumfahrtagentur ESA am Mittwoch auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) bekannt. “Die Ariane 6 markiert eine neue Ära der autonomen, vielseitigen europäischen Raumfahrt”, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher in Berlin. Der erste kommerzielle Flug soll noch vor Ende 2024 stattfinden, bis 2028 sollten neun Starts im Jahr möglich sein – vorausgesetzt, der erste Start ist erfolgreich.

Auf der ILA versprach Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend deutlich, die Raumfahrt – und das europäische Projekt Ariane 6 – zu stärken. “Wir wollen diesem Träger eine klare Perspektive geben, auch über den Erstflug hinaus. Deshalb haben wir die Unterstützung für die Zulieferer zugesagt, die dadurch nun Planungssicherheit bekommen”, sagte Scholz am Mittwoch in seiner Eröffnungsrede.

Ariane-Start kommt vier Jahre später als geplant

Dabei ist die Ariane 6 nicht unumstritten. Der jetzt geplante Start findet aufgrund zahlreicher Probleme etwa vier Jahre später als eigentlich angedacht statt, insgesamt ist das Projekt viel teurer als geplant. Doch gebe die “A6” Europa endlich einen eigenen Zugang zum All, so Scholz. Deutschland gehört zu den größten Finanzierern der ESA.

Die Vorgänger-Rakete Ariane 5 war im Juli 2023 außer Betrieb gegangen, so entstand eine Lücke. Seit dem russischen Angriffskrieg hat Europa auch die Option, auf russische Trägerraketen und Startmöglichkeiten zurückzugreifen, verloren. Somit fehlte der eigene Zugang zum All, aber nicht nur im Bereich der Trägerrakete, sondern auch aufgrund des fehlenden Weltraumbahnhofs auf europäischem Boden. Für den Start der Ariane 6 muss Europa auf den Weltraumbahnhof an der Nordküste Südamerikas, in Französisch-Guyana, zurückgreifen. klm

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FCAS: Wie Belgien dem Luftkampfsystem neue Aufträge verschaffen soll

Belgien erhält am heutigen Donnerstag offiziell den Beobachterstatus beim Future Combat Air System (FCAS). Am Nachmittag soll auf der ILA die Absichtserklärung dafür unterzeichnet werden, erfuhr Table.Briefings aus französischen Regierungskreisen. Bereits im Dezember 2023 hatte die belgische Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder angekündigt, dass Belgien offiziell als Beobachter einsteigen werde.

Dafür dürften die bisherigen Vertragspartner Deutschland, Frankreich und Spanien aber erwarten, dass Belgien sich auch an Beauftragungen für das System beteiligt. Bisher setzt die belgische Luftwaffe stark auf die amerikanische F-16 oder F-35-Kampfjets. Kürzlich waren die Vertragspartner beim Design des Next Generation Fighters vorangekommen, der im Zentrum des Systems stehen soll.

Das Programm, bei dem ein Verbund aus Kampfflugzeugen mit Drohnen über eine sogenannte Combat Cloud entwickelt werden soll, soll ab 2040 nutzbar sein. Derzeit verläuft das Projekt geräuschlos, die Aufgabenverteilung für Phase 2, die im Herbst 2025 geregelt werden soll, könnte allerdings für neue Konflikte zwischen den wichtigsten Vertragspartnern Airbus Defence and Space auf deutscher Seite und Dassault Aviation auf französischer sorgen. Weil das Auslaufen von Phase 1B auf die Zeit kurz nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 fällt, gibt es Diskussionen, die Verhandlungen vorzuziehen. Aus Frankreich heißt es, dass man Verständnis habe, wenn es bei den Deutschen etwas länger dauern werde. Man wolle den Übergang zu Phase 2 aber so sanft wie möglich gestalten. bub

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Asylverfahren in Albanien: Wann Meloni ihr Wahlkampfversprechen einlöst

Die von Italien geplanten Aufnahmezentren für Migranten außerhalb der EU in Albanien werden nach den Worten der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ab August in Betrieb gehen. Knapp sieben Monate nach der Unterzeichnung eines Migrationsabkommens zwischen Italien und Albanien verkündeten Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama in Shengjin die Fertigstellung des Lagers in der Hafenstadt. Dieses dient laut Plan der ersten Aufnahme von Bootsmigranten sowie einer ersten Prüfung der Asyl-Chancen von Geflüchteten. Ein zweites Lager in Gjader ist allerdings noch nicht fertig.

In beide Lager werden den Plänen zufolge Menschen gebracht, die zuvor von den italienischen Behörden auf hoher See an Bord genommen wurden. Das Vorhaben zielt auf Migranten ab, die sich auf Booten übers zentrale Mittelmeer nach Italien aufmachen. Italien ist eines der Länder, die von der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa übers Mittelmeer besonders betroffen sind. Jedes Jahr kommen Zehntausende Menschen dort an. Meloni war im Herbst 2022 mit dem Versprechen ins Amt gelangt, die Zahlen deutlich zu senken.

Italien trägt alle Kosten

In den beiden Einrichtungen in Shengjin und Gjader sollen den Plänen zufolge rund 36 000 Menschen pro Jahr unterkommen können. In Shengjin soll es die ersten medizinischen Untersuchungen sowie die erste Prüfung der Chancen der Migranten auf Asyl geben. Von dort sollen die Menschen sieben Kilometer landeinwärts nach Gjader gebracht werden. 

Die Zentren sind ausdrücklich nicht für Migranten vorgesehen, die per Boot an italienischen Küsten ankommen oder von privaten Hilfsorganisationen aufgegriffen werden – sondern nur für jene, die von den italienischen Behörden in internationalen Gewässern an Bord genommen werden. Italien verwaltet die Lager und sorgt für Sicherheit darin. Außerdem trägt das Mittelmeerland dafür alle “direkten und indirekten” Kosten. Eingeplant sind 675 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre, davon 142 Millionen Euro in diesem Jahr. dpa

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Presseschau

Europa feilscht um neue Milliardenhilfen für die Ukraine SÜDDEUTSCHE
Umfrage vor EU-Wahl: Junge Menschen sehen Europa positiv ZDF
Europawahl: Als erste können heute die Wähler in den Niederlanden ihre Stimme abgeben DEUTSCHLANDFUNK
EU-Klimadienst verzeichnet seit einem Jahr jeden Monat Temperaturrekorde RND
Übung für den Kriegsfall: Schweizer Kampfjets landen auf Autobahn TAGESSCHAU
Veteranen im Mittelpunkt des D-Day-Gedenkens FAZ
Britischer König Charles dankt Veteranen am 80. Jahrestag des D-Days DER STANDARD
Nach dem Attentat: Robert Fico gibt slowakischer Opposition die Schuld NZZ
Meloni in Albanien: 1.000 Plätze für Flüchtlinge RAI-NEWS
Land im Dauerwahlmodus: Bulgarien wählt erneut DW
Frankreich: 26-Jähriger wegen Planung eines Anschlags in Polizeigewahrsam STUTTGARTER-NACHRICHTEN
Zugunglück in Tschechien 100 Kilometer östlich von Prag: Tote und Verletzte ZDF
EU fordert schärfere Maßnahmen: Jugendliche tappen häufiger in Kleinkredit-Schuldenfalle N-TV
Kampf gegen Greenwashing: EU-Behörden haben zu wenig Ressourcen dafür FAZ
EU-Gericht schränkt Markenrechte von Fast-Food-Konzern am “Big Mac” ein HANDELSBLATT
König Charles III.: Porträt erscheint auf den Banknoten FAZ

Heads

Cesar Cunha Campos: Brückenbauer zwischen Brasilien und Deutschland

Cesar Cunha Campos leitet das Büro der brasilianischen Stiftung Getulio Vargas in Europa.

Viel zu lange galt Lateinamerika als Hinterhof der USA, dabei habe Brasilien viel zu bieten, so Cesar Cunha Campos: “Brasilien wird oft unterschätzt, obwohl es in Wirklichkeit ein vielfältiges Land mit bedeutenden technologischen und energetischen Ressourcen ist.”  

Als Geschäftsführer der Fundação Getulio Vargas (FGV) setzt er sich seit 2003 für die Entwicklung Brasiliens ein. Bis 2018 leitete er die technische Beratungseinheit FGV Projetos mit über 300 Fachleuten aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Management und Politik. Dort entwickelte der Ingenieur Projekte für führende brasilianische Unternehmen im öffentlichen und privaten Sektor, einschließlich Durchführbarkeitsstudien zur Beschaffung von Finanzmitteln bei großen Banken und Entwicklungsagenturen. Zudem repräsentierte er die FGV seit 2010 als Wissenspartner der OECD. 

Als führende Bildungs- und Forschungseinrichtung Brasiliens spielt die FGV eine bedeutende Rolle in der akademischen Welt des Landes und hat einen Einfluss auf das politische und wirtschaftliche Geschehen, so der 68-Jährige. Die brasilianische Stiftung hat ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro und ist mit über 4.000 Mitarbeitern in allen großen Städten des Landes vertreten. Um die internationale Präsenz insbesondere in Europa zu stärken, kam Campos 2016 mit FGV Europe nach Köln. Damals stellte die Stadt der Stiftung für ihr weltweit erstes Auslandsbüro Räume im Gebäude der Messe zur Verfügung.  

Campos hat einen Abschluss in Bauingenieurwesen von der Pontificia Universidade Católica in Rio de Janeiro und einen Master in Betriebswirtschaft von der London Business School. Er promovierte in Verkehrsplanung an der Technischen Universität Wien und arbeitete zunächst als Ingenieur im Verkehrswesen Brasiliens. 

Pionierarbeit im ersten Auslandsbüro  

Campos war für die Einrichtung und das Management des ersten internationalen FGV-Büros verantwortlich, wobei er internationale Beziehungen zu relevanten Akteuren aus dem öffentlichen und privaten Sektor aufbaute und internationale Studien und Projekte entwickelte. FGV Europe beschreibt er als Thinktank mit dem Hauptziel, Brasilien internationaler zu positionieren. Die Institution teilt das Know-how der FGV über Brasilien durch Forschung, Projekte, technische Unterstützung, Seminare und Veröffentlichungen. Dabei gehe es nicht primär um Profit, sondern vielmehr darum, Expertisen auszutauschen und die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Europa zu fördern, um beide Seiten zu bereichern, so Campos. 

Nicht nur, weil die brasilianische Kultur eng mit der europäischen verbunden sei, sondern auch, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und aufzuklären: “Brasilien ist groß, aber die Leute denken, es sei eine Insel.” Auf der anderen Seite spiele auch die Vermittlungsfunktion beim Wissenstransfer über die Strukturen und Funktionen der Europäischen Union eine wichtige Rolle, um sicherzustellen, dass die EU in Lateinamerika besser verstanden wird.  

Deutsche Bürokratie schreckt Brasilianer

Die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Brasilien sieht Campos in der Bürokratie. Während seine brasilianischen Kollegen damit manchmal kämpfen, fällt es dem Brasilianer selbst leicht, sich in die deutsche Mentalität einzufühlen. Er sei strukturiert, verliere nie den Überblick und plane sorgfältig. Ein Vorteil für seine vermittelnde Position und möglicherweise in seinem deutschen familiären Hintergrund begründet, sagt er.  Seit letztem Jahr pendelt Campos zwischen Köln und Berlin. Die Stiftung hat auch einen Sitz in der Hauptstadt eröffnet. So ist es einfacher, die Verbindungen zur Bundesregierung zu pflegen.  

Brasilien verzeichnet insbesondere Fortschritte in grüner Energie, nachhaltiger Rohstoffgewinnung und Landwirtschaft, so Campos. “Präsident Lula strebt danach, Brasilien als Führungsmacht des globalen Südens neben Indien und China zu etablieren.” Mit der kommenden G-20-Präsidentschaft und der COP30-Konferenz im Jahr 2025 böten sich Brasilien ‘goldene Gelegenheiten’, die Führungsqualitäten des Landes zu demonstrieren. Eine engere Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien wäre für beide Seiten äußerst vorteilhaft.

Mercosur 

Durch das Mercosur-Freihandelsabkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Dies sei von hoher Bedeutung für Lateinamerika, aber noch mehr für die EU, die drastisch an Wirtschaftskraft verliere und deren Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung kontinuierlich sinke. Die Exportnation Deutschland leide am meisten unter diesen Trends. Daher sei dieses Freihandelsabkommen nun dringend erforderlich, und es sei bedauerlich, dass die Verhandlungen zwanzig Jahre gedauert haben, ohne zu einem Abschluss zu kommen. 

Insgesamt beschreibt er die Beziehungen Brasiliens zur EU als positiv und wachsend. Die Herausforderung liege nicht bei den Menschen, sondern in der geografischen Distanz, da Deutschland etwa China näher ist als Brasilien. Künftig will er akademische Kooperationen mit Universitäten in der EU, insbesondere in Osteuropa, ausbauen. “Die großen Universitäten haben ein großes Interesse daran, internationaler zu werden, und das kommt uns als FGV sehr entgegen.” Er sei gerade an der Karls-Universität in Prag und der Mendel-Universität in Brünn gewesen, wo großes Interesse an einer Zusammenarbeit bestehe. Sarah Birkhäuser

  • Brasilien
  • Mercosur

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Europawahlen beginnen heute, und es sind die Wähler in den Niederlanden, die den Anfang machen. Sie sind aufgerufen, heute bis 21 Uhr an die Urnen zu gehen, wenn die Wahllokale geschlossen werden. Am Freitag sind die Iren am Zug, am Samstag dann die Wähler in Malta, Lettland und der Slowakei. Am Sonntag schließen die Wahllokale der übrigen Mitgliedstaaten am Abend.

    Die ersten nationalen Prognosen werden ab 18 Uhr erwartet. Zwei Stunden später, gegen 20:15 Uhr, folgt die erste Hochrechnung für das neue Parlament auf der Grundlage der Prognosen in den Mitgliedstaaten, in denen die Wahllokale geschlossen haben. Nach 23 Uhr folgt eine weitere Hochrechnung für die Sitzverteilung, die auf ersten vorläufigen Ergebnissen aus allen 27 Ländern beruht.

    Für EU-Nerds wie uns ist diese Wahl wie unsere eigene Olympiade. Deshalb startet die Redaktion von Table.Briefings heute einen News-Ticker. Dort werden Sie alles rund um die Europawahlen nachlesen können. Am Sonntag steht die gesamte Redaktion in Brüssel und Berlin an Deck, begleitet von unseren Korrespondenten in Paris, Madrid, Rom, Warschau und Prag.

    Wir werden genau hinschauen, was sich bei der Europawahl bewegt: die neuen Kräfteverhältnisse, die Gewinner und Verlierer der Wahlen ebenso wie die Auswirkungen auf nationaler Ebene – sei es in Deutschlands oder Frankreichs, Italien oder Spanien. Im Getümmel und Getöse dieser Wahlen werden wir danach suchen, was wirklich von Bedeutung ist.  

    Eine spannende Lektüre wünsche ich Ihnen.

    Ihre
    Claire Stam
    Bild von Claire  Stam
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    Analyse

    Das sind die möglichen Kommissare nach der Europawahl – Teil II

    Am Mittwoch hatte Table.Briefings mögliche Kommissaranwärter aus 13 Mitgliedstaaten benannt, heute kommen Kandidaten der restlichen Mitgliedstaaten. Doch Vorsicht: Die Europawahl und der anschließende Machtpoker um die Topjobs bringen viele Unwägbarkeiten mit sich, nicht nur für von der Leyen. Die Liste ist ein Annäherungsversuch, vieles kann sich noch ändern.

    Malta

    Premierminister und Labour-Chef Robert Abela wollte eigentlich seinen Stellvertreter Chris Fearne nach Brüssel schicken, doch dieser trat Anfang Mai zurück, wegen Vorwürfen der Veruntreuung von Steuergeldern. Als Favoritin gilt nun die frühere Europaabgeordnete Miriam Dalli, die einst die schärferen CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw ausgehandelt hatte. Sie ist aktuell Ministerin für Klima und Energie

    Niederlande  

    Klimakommissar Wopke Hoekstra würde gern weitermachen. Als Christdemokrat hat er aber nach der Regierungsbildung im Haag das falsche Parteibuch. Es ist nicht bekannt, ob die neue liberal-konservativ-populistische Koalition eine Absprache getroffen hätte. Sollte sie sich nicht einigen können und dem Land ein attraktives Dossier angeboten werden, könnte Hoekstra im Spiel bleiben.  

    Österreich  

    Die FPÖ dürfte stärkste Kraft bei der Europawahl werden, dennoch wird wohl erneut die ÖVP den neuen Kommissar vorschlagen (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Gehandelt wird insbesondere Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, die bereits Österreichs jüngste EU-Ratspräsidentschaft prägte. Außenminister Alexander Schallenberg hat ein Interesse dementiert, zuletzt wurde in den Medien auch noch Finanzminister Magnus Brunner genannt. 

    Polen

    Premier Donald Tusk hat großes Interesse am Posten eines Verteidigungskommissars, den Ursula von der Leyen nun schaffen will. Manche PO-Politiker in Warschau glauben sogar, Polen könnte sich um das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik bewerben. Als aussichtsreicher Kandidat für beide Posten gilt der gegenwärtige Außenminister Radoslaw Sikorski

    Portugal  

    Klar ist, dass Elisa Ferreira, Kommissarin für Kohäsion, keine Chance mehr hat. Sie ist Sozialdemokratin, und ihre Partei ist in der neuen, von den Christdemokraten geführten Minderheitsregierung in Lissabon nicht mehr vertreten. Sollte die EVP-Mitgliedspartei PSD den Kommissar vorschlagen, werden diese Namen genannt: Miguel Poiares Maduro, Maria Luísa Albuquerque und Jorge Moreira da Silva.   

    Rumänien  

    Klaus Iohannis, amtierender Präsident Rumäniens, würde gern nach Brüssel wechseln. Seine erste Wahl wäre, Nato-Generalsekretär zu werden, die zweite Ratspräsident. Die Chancen dafür sind nicht groß. Ob er als einfacher Kommissar nach Brüssel wechseln würde, ist ungewiss. Zudem stehen in Rumänien im Herbst Wahlen an, bei denen es für seine christdemokratische Partei nicht gut aussieht.    

    Schweden  

    EU-Ministerin Jessika Roswall, deren Partei zur EVP-Parteienfamilie gehört, gilt als Favoritin. Sie hat bei der schwedischen Ratspräsidentschaft ein gutes Bild abgegeben. Der ehemalige Ministerpräsident Carl Bildt wird als Alternative genannt. Die amtierende Kommissarin Ylva Johansson dürfte als Sozialdemokratin keine Chance auf ein weiteres Mandat haben.   

    Slowakei  

    Es zeichnet sich deutlich ab, dass Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič in Brüssel bleiben wird. Premier Robert Fico weiß, was er an dem parteilosen Diplomaten hat. Šefčovič gehört der Kommission seit 2009 an, mit unterschiedlichen Aufgabengebieten. Als 2023 Frans Timmermans seinen Rücktritt einreichte, übertrug von der Leyen Šefčovič die Rolle des Exekutiv-Vizepräsidenten für den Green Deal. Die Kommissionschefin schätzt die Arbeit des 57-Jährigen, unter ihr dürfte er weiter eine wichtige Rolle spielen.  

    Slowenien  

    Die Regierung will offenbar Tomaž Vesel vorschlagen, ehemals Mitglied des EU-Rechnungshofes. Er ist parteilos. Der Außenministerin Tanja Fajon, ehemalige Europaabgeordnete, werden Ambitionen auf das Amt der Außenbeauftragten nachgesagt. Ihre Chancen gelten als gering, weil die sozialistische Parteienfamilie zunächst nach dem Vorsitz des Rates greifen dürfte und dann nicht mehr beim Außenbeauftragten zum Zuge kommen würde.   

    Spanien  

    Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez haben Teresa Ribera, Ministerin für den ökologischen Wandel, als Spitzenkandidatin für die Europawahl aufgestellt. Sie dürfte auch Kommissarin werden. Ribera hat sich einen Namen gemacht als entschlossene Kämpferin für den Klimaschutz und will dem Vernehmen nach Vize-Präsidentin mit entsprechendem Themenbereich werden. Allerdings gilt sie als streitbar und unverblümt. Von der Leyen würde sich dies daher wohl gut überlegen. Für die EVP dürfte Ribera in einer solchen Position schwierig zu akzeptieren sein, nach den Erfahrungen mit Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans.  

    Tschechien  

    Regierungschef Petr Fiala strebt in der künftigen Kommission ein “starkes Wirtschaftsressort” an, wie er wiederholt betont hat. Drei Kandidaten sind im Gespräch: die bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen unterlegene Wirtschaftswissenschaftlerin Danuše Nerudová, der Minister für Industrie und Handel, Jozef Síkela, (beide von der Bürgermeisterpartei STAN), und der Europaabgeordnete Marcel Kolaja von der Piratenpartei. Alle drei gelten als geeignet. Síkela etwa hat sich während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel einen Namen gemacht. Das Vorschlagsrecht für den Kandidaten liegt in der Regierung bei der Bürgermeisterpartei. Die Piraten bestreiten das, wollen ebenfalls mitreden.  

    Ungarn 

    Rechtspopulist Viktor Orbán wird erneut einen linientreuen Vorschlag machen. Sollte seine Wahl wieder auf Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi fallen, dürfte er bei der Anhörung im Parlament durchfallen. Wer danach kommt, das ist nicht sicher.   

    Zypern  

    Stella Kyriakides, Kommissarin für Gesundheit, galt in der Pandemie als überfordert. Daher dürfte die Christdemokratin geringe Chancen auf eine erneute Berufung haben. Gehandelt werden der ehemalige Finanzminister Harris Georgiades sowie der ehemalige Energieminister George Lakkotrypis, die beide zur EVP-Mitgliedspartei zählen. Markus Grabitz, Till Hoppe, Hans-Jörg Schmidt

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    Wahlausblick Österreich: Wie FPÖ und ÖVP um den Kommissarsposten rangeln

    “EU-Wahnsinn stoppen”, liest man auf Wahlplakaten in ganz Österreich. Ein Konterfei eines Kandidaten für das EU-Parlament sucht man vergebens. Stattdessen Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj, die sich vor Panzern, Windrädern und Geflüchteten küssen. Schlagwörter wie “Kriegstreiberei”, “Corona-Chaos”, und “Öko-Kommunismus” prangen auf dem schwarz-weißen Plakat der FPÖ. 

    Mit ihrem EU-kritischen Kurs führt die rechtspopulistische Partei seit Monaten die Umfragen an. Ihr Spitzenkandidat Harald Vilimsky liegt mit knapp unter 30 Prozent vorn und sieht daher für seine Partei einen Anspruch auf den Posten eines EU-Kommissars, sollte man Platz eins erreichen.  

    Nationale Wahlen im September

    Nominiert wird der EU-Kommissar allerdings von der jeweiligen Bundesregierung. Er oder sie braucht zudem eine Mehrheit im Nationalrat. In Österreich regieren ÖVP und Grüne, doch im September 2024 wird neu gewählt. Die ÖVP rangiert in Umfragen bei rund 20 Prozent, die Grünen bei zehn Prozent. Eine neuerliche Koalition scheint damit weit entfernt. 

    Dennoch könnte erneut die ÖVP den EU-Kommissar stellen, was sie seit dem EU-Beitritt von Österreich im Jahr 1995 immer getan hat – sehr zum Missfallen der Opposition. Derzeit hat Johannes Hahn diese Rolle inne, er ist Kommissar für Haushalt und Verwaltung.

    Während der Koalitionsverhandlungen haben ÖVP und Grüne in einem “Sideletter” festgelegt, dass erneut die ÖVP den Kommissar stellen darf. Darauf pocht Bundeskanzler Karl Nehammer. Solche geheimen Vereinbarungen, die die wichtigsten politisch besetzten Posten wie Nationalbank-Direktor, ORF-Generaldirektor und am EuGH regeln, gab es bereits in der Vorgängerregierung zwischen ÖVP und FPÖ, wie der Standard berichtet. 

    FPÖ will “Kommissar für Remigration”  

    Die FPÖ protestiert. Sie erklärte auf Anfrage, dass “die Nominierung des österreichischen EU-Kommissars der neuen Regierung obliegen soll”. Der neue Kommissar solle erst nach der Nationalratswahl bestellt und ein “Kommissar für Remigration” werden. Entweder solle er von der FPÖ gestellt werden, oder “in einer halbierten Kommission mit anderen [Ländern] gemeinsam”, wie FPÖ-Spitzenkandidat Vilimsky im April in einem Interview mit dem ORF sagte. Dieser neue Kommissar solle das “Versagen der EU bei den Rückführungen von illegal in der Union Aufhältigen angehen”, erklärte Vilimsky zudem in einer Presseaussendung

    FPÖ und ÖVP schweigen beide zur Personalfrage. Im Umfeld der ÖVP wurden zuletzt einige Namen genannt: Europaministerin Karoline Edtstadler, Außenminister Alexander Schallenberg und kürzlich auch Finanzminister Magnus Brunner. Schallenberg hat mögliche Ambitionen aber ausdrücklich verneint. 

    Meinungsforscher Peter Hajek sieht die ÖVP im Vorteil. “Die Koalitionsgründung könnte sich in die Länge ziehen, weil zwei neue Parteien ins Parlament einziehen könnten. Daher ist es leicht möglich, dass noch die schwarz-grüne Regierung den Kommissar stellt”, sagte er zu Table.Briefings. Die Zeit läuft gegen die rechtspopulistische Partei.  

    Wahlkampf von ÖVP und SPÖ dümpelt vor sich hin

    Im Wahlkampf ums Europarlament fielen ÖVP und SPÖ ansonsten kaum auf. Beide liegen bei rund 20 Prozent.  “Ich kann die Wahlkampftaktik von SPÖ und ÖVP nicht erkennen”, sagt Meinungsforscher Hajek. “Beide Parteien hätten langgediente, erfahrene Spitzenkandidaten. Die Sozialdemokraten werben dafür, “Europa fair zu gestalten” – doch das würden sie seit 20 Jahren sagen. Die ÖVP mache es nach dem Motto “Europa geht besser”. Da sei “keine Emotion und nichts Greifbares drin”.

    Bei der FPÖ, den NEOS und den Grünen gehe es dagegen um Emotionen. Die liberalen NEOS – sie liegen mit Spitzenkandidat Helmut Brandstätter bei 13 Prozent – seien klar die pro-europäischste Partei. Sie fordern mit den “Vereinigten Staaten von Europa” eine Vertiefung der EU. Dagegen positioniere sich die FPÖ auf der anderen Seite: Ausweisung von Ausländern, mehr Subsidiarität, weniger Regulierung und Bürokratieabbau sowie die Rückführung von Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten. Einen “Öxit” gebe es mit der FPÖ zwar nicht, Spitzenkandidat Vilimsky drohte aber im Interview mit dem Standard, dass man die Zahlungen an Brüssel einstellen könnte. 

    Pannenreicher grüner Wahlkampf 

    Emotional ausgelegt sei auch der Wahlkampf der Grünen, so Hajek weiter. “Für sie geht es ums Klima, da tun sie sich leicht.” Doch der Wahlslogan “Herz statt Hetze” der Grünen-Spitzenkandidatin Lena Schilling bekam Anfang Mai eine neue Bedeutung. Schilling soll einem Bericht des Standard zufolge mehrfach falsche Behauptungen über Dritte aufgestellt und diese damit in teils existenzgefährdende Probleme gebracht haben. Der Standard recherchierte dafür tief im Privatleben von Schilling; ein Novum im Journalismus in Österreich, was auch Fragen aufwirft, wie weit Journalismus gehen darf. 

    Die Parteispitze der Grünen steht geschlossen hinter Schilling. Sie hält an der Spitzenkandidatin fest, die erst kürzlich aus dem Klimaaktivismus in die Politik wechselte. In einer Pressekonferenz leisteten sich die Grünen aber mehrere Fauxpas. So bezeichnete Vizekanzler Werner Kogler etwa die Berichterstattung als “Gefurze” und “Gemurkse”. Die Vorwürfe gegen Schilling wurden hingegen nicht dementiert. Das Krisenmanagement war so ziemlich das schlechteste, was man in Österreich lange Zeit gesehen hat”, meint Hajek dazu. Umfragen seines Meinungsforschungsinstituts würden allerdings zeigen, “dass die Grünen gar nicht so sehr an Boden verloren haben.” Sie hätten eine stabile Wählerbasis, könnten aber ihr drittes Mandat an die NEOS verlieren. 

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    Klimaausblick: Wie es nach der EU-Wahl weitergeht

    Viel Zeit ist nicht, um die Ergebnisse der Europawahl am Sonntag zu verdauen. Während es für die frisch gewählten Abgeordneten des Europaparlaments zunächst noch keine großen klimapolitischen Entscheidungen zu treffen gilt, geht es für Kommission und Rat beinahe nahtlos weiter. Die Mitgliedstaaten müssen noch über liegengebliebene Gesetze aus der auslaufenden Legislatur entscheiden und die Verhandlungen über das EU-Klimaziel 2040 sowie das nächste NDC starten. Die Kommission und ihre Generaldirektion Klimaschutz arbeiten bereits am nächsten Klimaschutzpaket.

    Direkt nach der Wahl werden sich die Mitgliedstaaten noch einmal mit dem strittigsten Dossier des Green Deals befassen. Die belgische Ratspräsidentschaft unternimmt einen weiteren Versuch, das Renaturierungsgesetz doch noch über die Ziellinie zu bringen. Beim Umweltrat am 17. Juni soll es zur finalen Abstimmung der Mitgliedstaaten kommen. Das Parlament hat das Trilog-Ergebnis formal schon durchgewinkt, somit fehlt nur noch die Zustimmung der Ministerinnen und Minister.

    Nur wenige Tage darauf hätte Klimaschutz wieder weit oben auf der Agenda stehen sollen – beim EU-Gipfel am 27./28. Juni. Dort werden sich die Staats- und Regierungschefs auf die strategische Agenda einigen – also die Richtung und Ziele der EU-Staaten für die kommenden fünf Jahre. Doch die Mitgliedsstaaten konnten sich nicht auf ambitionierte Klima-Inhalte für die strategische Agenda einigen. Zur Debatte stand, ob sich die Staaten schon hier auf eine eigene Position zum EU-Klimaziel 2040 verständigen würden. Da es Einstimmigkeit braucht, ist eine Einigung jedoch nicht in Sicht. Die Staaten konnten sich bislang weder auf den Kommissionsvorschlag von 90 Prozent CO₂-Reduktion im Vergleich zu 1990 noch auf ein niedrigeres Ziel oder einen Zielkorridor verständigen.

    Neues NDC im Frühjahr 2025 fällig

    Auch die Bundesregierung hat noch keine geeinte Position für das EU-Klimaziel 2040, obwohl sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Ende April beim Petersberger Klimadialog in Berlin demonstrativ hinter den Kommissionsvorschlag gestellt hatte. Insider aus Brüssel berichten, dass die kommende ungarische Ratspräsidentschaft das Thema beim EU-Gipfel im Dezember aufs Tableau bringen will.

    Spätestens im Frühjahr 2025 müssen die EU-Staaten dann auch ihr Klimaziel für 2035 (NDC) bei den Vereinten Nationen hinterlegen. Dafür reicht theoretisch eine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat. In der EU-Logik muss dafür allerdings zunächst ein Ziel für 2040 feststehen, aus dem das Ziel für 2035 hervorgeht, was den Prozess zusätzlich verkompliziert. In den Wochen und Monaten nach der Europawahl wird es also mehr um die grundsätzlicheren klimapolitischen Linien gehen, anstatt um regulative Tätigkeiten.

    Wird das Verbrenner-Aus gekippt?

    Es sei denn, die neue Kommission gibt dem Druck der EVP nach und macht die Debatte um die CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw aus dem Fit-for-55-Paket wieder auf, um das Verbrenner-Aus rückgängig zu machen. Das gilt zwar nicht als sonderlich wahrscheinlich, solange Ursula von der Leyen im Amt bleibt. Vor allem die restlichen deutschen Christdemokraten meinen es dennoch ernst mit ihrem Wunsch, auch nach 2035 noch neue Verbrenner zulassen zu können.

    Die klimapolitisch wenig versierte ungarische Ratspräsidentschaft wird sich in der zweiten Jahreshälfte stark zurückhalten. Zum einen, weil keine neuen Vorschläge aus der Kommission zu erwarten sind. Zum anderen, weil sie ihre Prioritäten nicht in der Klimapolitik setzen wird.

    Ein neues Gesetzespaket zur Umsetzung des Klimaziels ist erst für 2026 geplant. Anders als das Fit-for-55-Paket zum 2030er-Klimaziel soll es weniger neue Maßnahmen beinhalten, sondern die bestehenden Maßnahmen auf die potenzielle Ambitionserhöhung ausrichten. So könnte beispielsweise das europäische Emissionshandelssystem für Energie und Industrie (ETS 1) auf weitere Industriezweige ausgeweitet werden. Im Fokus steht der Agrar- und Lebensmittelsektor. Auch für die Integration von natürlichen Kohlenstoff-Senken (Carbon Farming) sowie technischen CO₂-Entnahmen (Direct Air Capture) braucht es Lösungen, die beim Klimaziel 2040 eine Rolle spielen werden.

    Einige dieser Maßnahmen dürften innerhalb der turnusmäßigen Revisionen der Gesetze umgesetzt werden, die 2026 oder 2027 fällig sind. Darunter fallen das ETS sowie der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM, aber auch die Gemeinsame Agrarpolitik. Erste Vorschläge für die GAP nach 2027 werden für das kommende Jahr erwartet.

    Wie wird Klimaschutz künftig finanziert?

    Für die kommenden Jahre stellt sich auch die Frage, wie Energie- und Industriewende finanziert werden können. Der Pandemie-Wiederaufbaufonds läuft Ende 2026 aus und die öffentlichen Mittel werden auch durch die neuen EU-Schuldenregeln wieder knapper gehalten. Ein zentrales Anliegen der EU-Kommission und einiger Mitgliedstaatsregierungen ist deshalb die Vertiefung der Kapitalmarktunion. Dies soll europäischen Unternehmen einen einfacheren Zugang zu Finanzmitteln sichern, um in ihr Wachstum zu investieren.

    Nationale Hürden könnten diesem Ziel aber weiterhin im Weg stehen. Auch wenn die Kapitalmarktunion zustande kommt, ist nicht garantiert, dass das zusätzliche Kapital in klimafreundliche Maßnahmen fließen wird. Eine weitere Möglichkeit für mehr Finanzmittel bietet der nächste mehrjährige Finanzrahmen der EU (MFF) für die Periode von 2028 bis 2034. Der erste Vorschlag dafür ist Mitte 2025 fällig. Mit János Ammann

    Alle Texte zur Europawahl 2024 finden Sie hier. Unseren Newsfeed finden Sie hier.

    • CO₂-Flottengrenzwerte
    • Emissionshandel
    • ETS
    • EU-Klimaziel 2040
    • EU-Schuldenregeln
    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024
    • GAP
    • Gemeinsame Agrarpolitik
    • Klima & Umwelt
    • Nature Restoration Law
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    Termine

    10.06.2024 – 08:30 Uhr, online
    Table.Briefings/EBD, Diskussion Europa nach der Schicksalswahl – Was ändert sich jetzt in der Europäischen Union?
    Table.Briefings und die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) setzen sich mit den Ergebnissen der Europawahl auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    10.06.2024 – 08:30-09:30 Uhr, online
    DGAP, Panel Discussion The European Election: Results, Interpretations, Implications
    The German Council on Foreign Relations (DGAP) discusses the results of the European elections. INFOS & REGISTRATION

    10.06.2024 – 10:30-16:00 Uhr, Frankfurt
    HBS, Konferenz Betriebspolitische HSI-Tagung 2024
    Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) diskutiert aktuelle Entwicklungen im Betriebsverfassungsrecht und drängende Fragen der Betriebspolitik. INFOS & ANMELDUNG

    10.06.2024 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin
    EK, Seminar Europa hat gewählt – was jetzt?
    Die Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin setzt sich mit den Ergebnissen der Europawahl auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    10.06.2024 – 19:00-20:30 Uhr, Berlin
    FES, Panel Discussion Ukraine’s Recovery in the European Context
    The Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) discusses Ukraine’s Recovery in the European context. INFOS & ANMELDUNG

    11.06.2024, Berlin
    DIHK, Konferenz UBi Dialog 2024 – Nationale Jahreskonferenz zu Wirtschaft & Biodiversität
    Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) thematisiert Biodiversität in wirtschaftlichen Prozessen. INFOS & ANMELDUNG

    11.06.2024 – 16:30-19:30 Uhr, Berlin/online
    FZE, Konferenz Bottleneck Verteilnetze – Wie kann der Ausbau beschleunigt werden?
    Das Forum Zukunftsenergien (FZE) setzt sich damit auseinander, wie der Ausbau von Verteilnetzen beschleunigt werden kann. INFOS & ANMELDUNG

    11.06.2024 – 19:00-20:30 Uhr, Düsseldorf
    FNF, Podiumsdiskussion Die Ukraine und ihr EU-Beitritt
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) setzt sich mit einem mögliche EU-Beitrag der Ukraine auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    News

    Scholz: Bankenunion nur bei Erhalt der Institutssicherung für Sparkassen

    Bundeskanzler Olaf Scholz pocht auf die Vollendung der EU-Kapitalmarktunion, bremst aber bei der europäischen Bankenunion. “Wir sind bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme als Teil eines umfassenden Gesamtpakets zu schaffen”, sagte der Kanzler auf dem Treffen der Volks- und Raiffeisenbanken am Mittwoch in Berlin.

    Aber die Voraussetzung dafür sei “eine weitere Stärkung des Abwicklungsregimes und einer wirksamen Verhinderung einer übermäßigen Konzentration von Staatsanleihen in Bankbilanzen”, fügte er hinzu. “Voraussetzung ist auch – und das ist mir besonders wichtig – der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken“, betonte der SPD-Politiker. Denn in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten gebe es gut funktionierende Sicherungssysteme für kleinere Banken, die man nicht gefährden sollte.

    Positionen von Parlament und Kommission ungenügend

    Der Erhalt der Institutssicherung bleibe also Richtschnur bei den Verhandlungen zur Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken, betonte der Kanzler. Entsprechende Planungen der EU-Kommission zu einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung (EDIS) habe auch das Europäische Parlament nicht ausreichend geändert. Deshalb müssten sie korrigiert werden. “Die Arbeiten zu den verbleibenden Elementen der Bankenunion – inklusive EDIS – sollen erst im Anschluss daran wieder aufgenommen werden”, sagte er.

    Bei der Kapitalmarktunion wiederum sei es wichtig, die nationalen Insolvenzrechtsregime in den 27 EU-Staaten zu harmonisieren und gemeinsame Steuerharmonisierung, forderte der Kanzler. Wichtig sei auch, dass Privatanleger in der EU eine breitere Palette von Finanzprodukten zur Verfügung hätten, “beispielsweise durch Einführung von europaweiten Spar- und Rentenprodukten.” Die nächste EU-Kommission müsse zudem Finanzmarktregeln überprüfen und vereinfachen, besonders bei den Berichts- und Meldepflichten. Dafür setze er sich zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein. rtr

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    Wie Ariane 6 Europa Zugang zum All verschaffen soll

    Europa ist dem eigenen Zugang zum All wieder einen Schritt näher: Am 9. Juli soll die europäische Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal starten. Das gab die Europäische Raumfahrtagentur ESA am Mittwoch auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) bekannt. “Die Ariane 6 markiert eine neue Ära der autonomen, vielseitigen europäischen Raumfahrt”, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher in Berlin. Der erste kommerzielle Flug soll noch vor Ende 2024 stattfinden, bis 2028 sollten neun Starts im Jahr möglich sein – vorausgesetzt, der erste Start ist erfolgreich.

    Auf der ILA versprach Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend deutlich, die Raumfahrt – und das europäische Projekt Ariane 6 – zu stärken. “Wir wollen diesem Träger eine klare Perspektive geben, auch über den Erstflug hinaus. Deshalb haben wir die Unterstützung für die Zulieferer zugesagt, die dadurch nun Planungssicherheit bekommen”, sagte Scholz am Mittwoch in seiner Eröffnungsrede.

    Ariane-Start kommt vier Jahre später als geplant

    Dabei ist die Ariane 6 nicht unumstritten. Der jetzt geplante Start findet aufgrund zahlreicher Probleme etwa vier Jahre später als eigentlich angedacht statt, insgesamt ist das Projekt viel teurer als geplant. Doch gebe die “A6” Europa endlich einen eigenen Zugang zum All, so Scholz. Deutschland gehört zu den größten Finanzierern der ESA.

    Die Vorgänger-Rakete Ariane 5 war im Juli 2023 außer Betrieb gegangen, so entstand eine Lücke. Seit dem russischen Angriffskrieg hat Europa auch die Option, auf russische Trägerraketen und Startmöglichkeiten zurückzugreifen, verloren. Somit fehlte der eigene Zugang zum All, aber nicht nur im Bereich der Trägerrakete, sondern auch aufgrund des fehlenden Weltraumbahnhofs auf europäischem Boden. Für den Start der Ariane 6 muss Europa auf den Weltraumbahnhof an der Nordküste Südamerikas, in Französisch-Guyana, zurückgreifen. klm

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    FCAS: Wie Belgien dem Luftkampfsystem neue Aufträge verschaffen soll

    Belgien erhält am heutigen Donnerstag offiziell den Beobachterstatus beim Future Combat Air System (FCAS). Am Nachmittag soll auf der ILA die Absichtserklärung dafür unterzeichnet werden, erfuhr Table.Briefings aus französischen Regierungskreisen. Bereits im Dezember 2023 hatte die belgische Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder angekündigt, dass Belgien offiziell als Beobachter einsteigen werde.

    Dafür dürften die bisherigen Vertragspartner Deutschland, Frankreich und Spanien aber erwarten, dass Belgien sich auch an Beauftragungen für das System beteiligt. Bisher setzt die belgische Luftwaffe stark auf die amerikanische F-16 oder F-35-Kampfjets. Kürzlich waren die Vertragspartner beim Design des Next Generation Fighters vorangekommen, der im Zentrum des Systems stehen soll.

    Das Programm, bei dem ein Verbund aus Kampfflugzeugen mit Drohnen über eine sogenannte Combat Cloud entwickelt werden soll, soll ab 2040 nutzbar sein. Derzeit verläuft das Projekt geräuschlos, die Aufgabenverteilung für Phase 2, die im Herbst 2025 geregelt werden soll, könnte allerdings für neue Konflikte zwischen den wichtigsten Vertragspartnern Airbus Defence and Space auf deutscher Seite und Dassault Aviation auf französischer sorgen. Weil das Auslaufen von Phase 1B auf die Zeit kurz nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 fällt, gibt es Diskussionen, die Verhandlungen vorzuziehen. Aus Frankreich heißt es, dass man Verständnis habe, wenn es bei den Deutschen etwas länger dauern werde. Man wolle den Übergang zu Phase 2 aber so sanft wie möglich gestalten. bub

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    Asylverfahren in Albanien: Wann Meloni ihr Wahlkampfversprechen einlöst

    Die von Italien geplanten Aufnahmezentren für Migranten außerhalb der EU in Albanien werden nach den Worten der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ab August in Betrieb gehen. Knapp sieben Monate nach der Unterzeichnung eines Migrationsabkommens zwischen Italien und Albanien verkündeten Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama in Shengjin die Fertigstellung des Lagers in der Hafenstadt. Dieses dient laut Plan der ersten Aufnahme von Bootsmigranten sowie einer ersten Prüfung der Asyl-Chancen von Geflüchteten. Ein zweites Lager in Gjader ist allerdings noch nicht fertig.

    In beide Lager werden den Plänen zufolge Menschen gebracht, die zuvor von den italienischen Behörden auf hoher See an Bord genommen wurden. Das Vorhaben zielt auf Migranten ab, die sich auf Booten übers zentrale Mittelmeer nach Italien aufmachen. Italien ist eines der Länder, die von der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa übers Mittelmeer besonders betroffen sind. Jedes Jahr kommen Zehntausende Menschen dort an. Meloni war im Herbst 2022 mit dem Versprechen ins Amt gelangt, die Zahlen deutlich zu senken.

    Italien trägt alle Kosten

    In den beiden Einrichtungen in Shengjin und Gjader sollen den Plänen zufolge rund 36 000 Menschen pro Jahr unterkommen können. In Shengjin soll es die ersten medizinischen Untersuchungen sowie die erste Prüfung der Chancen der Migranten auf Asyl geben. Von dort sollen die Menschen sieben Kilometer landeinwärts nach Gjader gebracht werden. 

    Die Zentren sind ausdrücklich nicht für Migranten vorgesehen, die per Boot an italienischen Küsten ankommen oder von privaten Hilfsorganisationen aufgegriffen werden – sondern nur für jene, die von den italienischen Behörden in internationalen Gewässern an Bord genommen werden. Italien verwaltet die Lager und sorgt für Sicherheit darin. Außerdem trägt das Mittelmeerland dafür alle “direkten und indirekten” Kosten. Eingeplant sind 675 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre, davon 142 Millionen Euro in diesem Jahr. dpa

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    Cesar Cunha Campos: Brückenbauer zwischen Brasilien und Deutschland

    Cesar Cunha Campos leitet das Büro der brasilianischen Stiftung Getulio Vargas in Europa.

    Viel zu lange galt Lateinamerika als Hinterhof der USA, dabei habe Brasilien viel zu bieten, so Cesar Cunha Campos: “Brasilien wird oft unterschätzt, obwohl es in Wirklichkeit ein vielfältiges Land mit bedeutenden technologischen und energetischen Ressourcen ist.”  

    Als Geschäftsführer der Fundação Getulio Vargas (FGV) setzt er sich seit 2003 für die Entwicklung Brasiliens ein. Bis 2018 leitete er die technische Beratungseinheit FGV Projetos mit über 300 Fachleuten aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Management und Politik. Dort entwickelte der Ingenieur Projekte für führende brasilianische Unternehmen im öffentlichen und privaten Sektor, einschließlich Durchführbarkeitsstudien zur Beschaffung von Finanzmitteln bei großen Banken und Entwicklungsagenturen. Zudem repräsentierte er die FGV seit 2010 als Wissenspartner der OECD. 

    Als führende Bildungs- und Forschungseinrichtung Brasiliens spielt die FGV eine bedeutende Rolle in der akademischen Welt des Landes und hat einen Einfluss auf das politische und wirtschaftliche Geschehen, so der 68-Jährige. Die brasilianische Stiftung hat ihren Hauptsitz in Rio de Janeiro und ist mit über 4.000 Mitarbeitern in allen großen Städten des Landes vertreten. Um die internationale Präsenz insbesondere in Europa zu stärken, kam Campos 2016 mit FGV Europe nach Köln. Damals stellte die Stadt der Stiftung für ihr weltweit erstes Auslandsbüro Räume im Gebäude der Messe zur Verfügung.  

    Campos hat einen Abschluss in Bauingenieurwesen von der Pontificia Universidade Católica in Rio de Janeiro und einen Master in Betriebswirtschaft von der London Business School. Er promovierte in Verkehrsplanung an der Technischen Universität Wien und arbeitete zunächst als Ingenieur im Verkehrswesen Brasiliens. 

    Pionierarbeit im ersten Auslandsbüro  

    Campos war für die Einrichtung und das Management des ersten internationalen FGV-Büros verantwortlich, wobei er internationale Beziehungen zu relevanten Akteuren aus dem öffentlichen und privaten Sektor aufbaute und internationale Studien und Projekte entwickelte. FGV Europe beschreibt er als Thinktank mit dem Hauptziel, Brasilien internationaler zu positionieren. Die Institution teilt das Know-how der FGV über Brasilien durch Forschung, Projekte, technische Unterstützung, Seminare und Veröffentlichungen. Dabei gehe es nicht primär um Profit, sondern vielmehr darum, Expertisen auszutauschen und die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Europa zu fördern, um beide Seiten zu bereichern, so Campos. 

    Nicht nur, weil die brasilianische Kultur eng mit der europäischen verbunden sei, sondern auch, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und aufzuklären: “Brasilien ist groß, aber die Leute denken, es sei eine Insel.” Auf der anderen Seite spiele auch die Vermittlungsfunktion beim Wissenstransfer über die Strukturen und Funktionen der Europäischen Union eine wichtige Rolle, um sicherzustellen, dass die EU in Lateinamerika besser verstanden wird.  

    Deutsche Bürokratie schreckt Brasilianer

    Die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Brasilien sieht Campos in der Bürokratie. Während seine brasilianischen Kollegen damit manchmal kämpfen, fällt es dem Brasilianer selbst leicht, sich in die deutsche Mentalität einzufühlen. Er sei strukturiert, verliere nie den Überblick und plane sorgfältig. Ein Vorteil für seine vermittelnde Position und möglicherweise in seinem deutschen familiären Hintergrund begründet, sagt er.  Seit letztem Jahr pendelt Campos zwischen Köln und Berlin. Die Stiftung hat auch einen Sitz in der Hauptstadt eröffnet. So ist es einfacher, die Verbindungen zur Bundesregierung zu pflegen.  

    Brasilien verzeichnet insbesondere Fortschritte in grüner Energie, nachhaltiger Rohstoffgewinnung und Landwirtschaft, so Campos. “Präsident Lula strebt danach, Brasilien als Führungsmacht des globalen Südens neben Indien und China zu etablieren.” Mit der kommenden G-20-Präsidentschaft und der COP30-Konferenz im Jahr 2025 böten sich Brasilien ‘goldene Gelegenheiten’, die Führungsqualitäten des Landes zu demonstrieren. Eine engere Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien wäre für beide Seiten äußerst vorteilhaft.

    Mercosur 

    Durch das Mercosur-Freihandelsabkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Dies sei von hoher Bedeutung für Lateinamerika, aber noch mehr für die EU, die drastisch an Wirtschaftskraft verliere und deren Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung kontinuierlich sinke. Die Exportnation Deutschland leide am meisten unter diesen Trends. Daher sei dieses Freihandelsabkommen nun dringend erforderlich, und es sei bedauerlich, dass die Verhandlungen zwanzig Jahre gedauert haben, ohne zu einem Abschluss zu kommen. 

    Insgesamt beschreibt er die Beziehungen Brasiliens zur EU als positiv und wachsend. Die Herausforderung liege nicht bei den Menschen, sondern in der geografischen Distanz, da Deutschland etwa China näher ist als Brasilien. Künftig will er akademische Kooperationen mit Universitäten in der EU, insbesondere in Osteuropa, ausbauen. “Die großen Universitäten haben ein großes Interesse daran, internationaler zu werden, und das kommt uns als FGV sehr entgegen.” Er sei gerade an der Karls-Universität in Prag und der Mendel-Universität in Brünn gewesen, wo großes Interesse an einer Zusammenarbeit bestehe. Sarah Birkhäuser

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