Table.Briefing: Europe

Fico siegt + Sánchez am Zug + Grüne Liste

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute Abend wird es ernst für Wopke Hoekstra. Der designierte Klimakommissar steht ab 18:30 Uhr drei Stunden lang im Umweltausschuss (ENVI) den Abgeordneten Rede und Antwort. Einige offene Fragen hat der Niederländer am Freitag bereits beantwortet, wie Sie in den News lesen können. Dabei geht es um sein Bekenntnis zum Green Deal und dem auf der COP27 in Sharm el-Sheikh beschlossenen Fonds für Loss & Damage. Keine Antworten lieferte Hoekstra bislang zu seiner beruflichen Vergangenheit beim niederländischen Ölkonzern Shell, wozu Tiemo Woelken (SPD) Redebedarf hat. Für den klimapolitischen Sprecher der EVP, Peter Liese (CDU), ist die Vergangenheit Hoekstras kein Thema.

Deutlich problematischer sehen einige in der EVP offenbar den zweiten Kommissarsanwärter. Maroš Šefčovič, bereits seit 2009 in wechselnder Funktion Mitglied der EU-Kommission, stellt sich am morgigen Dienstag ab 8:30 Uhr ebenfalls den ENVI-Abgeordneten. Er soll das Green-Deal-Dossier von Frans Timmermans übernehmen und auch Exekutivvizepräsident werden.

Liese betont zwar, dass er Šefčovič unterstütze, berichtet aber auch von anderen Stimmen bei den Christdemokraten. In der EVP hat man nicht vergessen, dass der Nationalist Robert Fico in seinen vorhergehenden Amtszeiten als Ministerpräsident der Slowakei zweimal maßgeblich seinem Landsmann Šefčovič zur Nominierung für einen Kommissarsposten in Brüssel verholfen hat. Sollte Hoekstra bei Grünen und Sozialisten durchfallen, könnte es für Šefčovič im Hinblick auf Fico eng im Lager der Christdemokraten werden.

Eben jener Fico hat jetzt die Parlamentswahl in der Slowakei mit seiner sozialistischen SMER-Partei gewonnen. Er hatte angekündigt, als Regierungschef die Waffenhilfe für das Nachbarland Ukraine zu stoppen und nur noch humanitäre Hilfe zu leisten. SMER ist zwar mit 23 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden. Dennoch ist es längst nicht ausgemacht, dass Fico zum vierten Mal eine Regierung bilden wird. Hintergründe zur Wahl in der Slowakei entnehmen Sie unserer Analyse. Kommen Sie gut in die Woche!

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Slowakei: Wahlsieger Fico sucht Verbündete

Robert Fico
Robert Fico.

Fröhliche Gesänge und Sprechchöre schallten in der Nacht zum Sonntag aus der ersten Etage der Zentrale der Partei Smer-SD von Robert Fico. Dort hatte sich die Führung der nationalistischen Partei SMER des schon dreimaligen slowakischen Premiers Fico versammelt, die nur dem Namen nach noch sozialdemokratisch ist. Die Stimmung wurde immer besser, je mehr Stimmen ausgezählt waren. Dabei sah es am Anfang des spannenden Wahlabends völlig anders aus. 

Da waren zwei Prognosen veröffentlicht worden, die auf Nachwahlbefragungen beruhten. Die sahen nicht Smer-SD vorn, sondern die liberalen Widersacher Progressive Slowakei (PS) unter dem 39-jährigen Spitzenkandidaten Michal Šimečka, der derzeit im EU-Parlament sitzt. Šimečka und seine Getreuen blieben jedoch vorsichtig. Sie sind gebrannte Kinder. Bei den vorhergehenden Wahlen verfehlten sie entgegen den Prognosen haarscharf den Einzug in den Slowakischen Nationalrat. Gestern Nachmittag kündigte Präsidentin Zusana Caputova an, dass sie heute den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Dies würde bedeuten, dass Fico am Zug wäre und sich um Koalitionspartner bemühen müsste.

Institute lagen mit Prognosen daneben

Diesmal lagen die Vorhersagen der Meinungsforschungsinstitute noch krasser neben dem Ergebnis. Der 59-jährige Fico und seine Smer-SD kamen auf 22,94 Prozent, die liberale PS landete abgeschlagen bei 17,96 Prozent. Zum Zünglein an der Waage bei den komplizierten Verhandlungen zur Bildung einer Regierung wird die sozialdemokratische Partei Hlas des früheren Premiers Peter Pellegrini. Ins neue Parlament schafften es noch die antisystemische Antikorruptionspartei Olano, die Christdemokraten KDH, die liberale SAS und die extreme Nationalpartei SNS, die voll auf der Linie von Kreml-Chef Putin liegt. Positiv wurde allgemein vermerkt, dass die offen faschistische Partei Republika nicht wieder im neuen Parlament vertreten sein wird. Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 68 Prozent die zweitbeste in der Geschichte der noch jungen Slowakei.

PS-Chef Šimečka respektierte den Sieg Ficos, der jedoch eine “ganz schlechte Nachricht” sei. Man wolle in den Verhandlungen zur Bildung einer Regierung noch alles versuchen, um Fico als neuerlichen Premier zu verhindern, versprach er. Fico hat verschiedene Möglichkeiten zur Bildung einer Koalition, die zur Mehrheit im Nationalrat 76 der 150 Abgeordneten benötigt. Gemeinsam mit Hlas und der Nationalpartei SNS käme er auf 79 Mandate, mit Hlas und den Christdemokraten auf 81. Die liberale PS käme mit Hlas, den Christdemokraten und der liberalen SAS auf 82 Abgeordnete. 

Jetzt kommt es auf die Sozialdemokraten an

Beide Modelle stehen und fallen vor allem mit den Sozialdemokraten von Hlas. Die Partei von Ex-Premier Pellegrini ist eine Abspaltung von Smer-SD aus dem Jahr 2020. Ideologisch sind sich beide Parteien zwar immer noch nahe. Politologen bezweifelten jedoch, weshalb Hlas jetzt wieder in den Schoß von Fico zurückkehren sollte, den sie erst verlassen hatte. 

Auseinander sind beide Parteien in der Ukrainefrage. Hlas besteht bislang auf der Fortsetzung jeglicher Hilfe für Kiew, während Fico den überfallenen Nachbarn “keine Patrone” mehr liefern will, wie er im Wahlkampf betonte. Am Sonntag fügte er vor der Presse hinzu: “Die Slowakei und die Menschen hier haben wichtigere Probleme als die Ukraine. Und diese Probleme haben für uns Priorität.” 

Bei Ukrainefrage ist Fico isoliert

Als Premier werde er – auch auf dem Boden der EU – alles unternehmen, damit schnellstmöglich Friedensverhandlungen aufgenommen werden. “Ein weiteres gegenseitiges Umbringen bringt niemandem etwas.” Der Krieg und die Haltung der Slowakei ist demnach das mögliche Bindeglied eher zwischen Hlas und der liberalen PS.

Ein weiteres Problem zwischen Hlas und Smer-SD benannte Ex-Premier Pellegrini: “Zwei Premiers in einer Regierung sind zu viel.” Was sofort Spekulationen auslöste, Fico und Pellegrini könnten sich auf eine Variante einigen, wonach eine Regierung Fico mit Hlas voraussetze, dass Fico im Gegenzug die Kandidatur Pellegrinis zum künftigen Präsidenten unterstützen sollte.

Die PS wiederum hätte es in Verhandlungen schwer, die Christdemokraten von der KDH ins Boot zu holen. Die Liberalen stoßen vor allem mit ihren Vorstellungen für eine Ehe für alle auf Ablehnung der KDH. Ein PS-Sprecher sagte jedoch, dass man selbstverständlich zu Kompromissen bereit sei.

Fico betont Kontinuität in der Außenpolitik

Besonders umstritten bei Beobachtern war, wie ernst Ficos Ankündigungen namentlich in der Außenpolitik zu nehmen seien. Fico selbst suchte vor der Presse zu beruhigen: “Wir werden unsere Außenpolitik um keinen Millimeter ändern.” Von einem Austritt aus der EU, dem Schengenraum oder eine Rückkehr vom Euro könne nicht ernsthaft die Rede sein. “Wir werden aber die EU kritisieren, wo Kritik erforderlich ist”, fügte er hinzu.

Der frühere slowakische Botschafter in Prag, Peter Weiss, erinnerte daran, dass das Land 85 Prozent seines Handels innerhalb der EU abwickle. “Da ist kein Platz für außenpolitische Alleingänge. Wir brauchen unsere westlichen Verbündeten.” Hans-Jörg Schmidt

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Spanien: Sánchez nimmt Anlauf für Regierungsbildung

Den Preis ist hoch, den die katalanischen Separatisten für die Unterstützung des Sozialisten Pedro Sánchez bei der Wahl zum Ministerpräsidenten fordern. Esquerra per Catalunya (ERC) und Junts per Catalunya machen ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien sowie eine Amnestie zur Bedingung. Sie fordern eine Amnestie für die zwölf Separatisten, die im Prozess für ihre Beteiligung rund um die Organisation des Referendums und der Ausrufung der Unabhängigkeit Kataloniens 2017 verurteilt wurden.

Über zwei Monate nach der Parlamentswahl im Juli richtet sich der Blick jetzt auf Pedro Sánchez, Chef der PSOE. Zuvor war Alberto Núñez Feijóo, Kandidat der Partido Popular (PP), zweimal mit dem Versuch gescheitert, sich die Mehrheit für die Wahl zum spanischen Ministerpräsidenten zu sichern. Bei der zweiten Abstimmung am Freitag, bei der nur eine einfache Mehrheit erforderlich war, erhielt Feijóo 172 Ja-Stimmen und 177 Nein-Stimmen, eine Stimme war ungültig. Genau diese ungültige Stimme war umstritten.

Chaotische Abstimmung

Es handelte sich um den Junts-Abgeordneten Eduard Pujol, der irrtümlicherweise den PP-Kandidaten gewählt hatte. Pujol versuchte daraufhin, die Situation zu bereinigen. Und nach einigen Minuten der Beratung erklärte das Präsidium der Abgeordnetenkammer dessen Stimmabgabe für ungültig. Das wiederum rief den Protest der Unterstützer von Feijóo hervor. Obwohl Feijóo eine Niederlage einstecken muss, beansprucht die PP einen Sieg: Feijóo habe eine klare Linie zu Sánchez gezogen, der mit ERC und Junts über eine Amnestie und ein Referendum verhandele, auch wenn beide verfassungswidrig sind.

Während in Madrid die Abstimmung lief, wurden im katalanischen Parlament zwei Resolutionen verabschiedet: In der einen wird gefordert, dass der künftige spanische Regierungschef eine Amnestie garantiert. In der anderen, dass der Weg für ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien geebnet wird. ERC und Junts fordern per Resolution: Das nationale Parlament soll keinen Kandidaten unterstützen, der kein Referendum verspricht. Im O-Ton heißt es: Niemand solle gewählt werden, “der sich nicht dafür einsetzt, die Bedingungen für die Durchführung des Referendums zu schaffen”.

Amnestie für Separatisten gefordert

In einer weiteren Resolution haben ERC und Junts “die Notwendigkeit eines Amnestiegesetzes” verteidigt. Es gehe darum, “das zu annullieren, was im Zusammenhang mit der Verteidigung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts Kataloniens als Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingestuft wurde.” Dies steht im Gegensatz zur spanischen Verfassung, die den Regionen nicht das Selbstbestimmungsrecht einräumt.

Verfassungsrechtsexperten wie ehemalige Richter des Verfassungsgerichts haben zuletzt wiederholt erklärt, dass eine mögliche Amnestie verfassungswidrig wäre. Auch Sánchez hatte noch im November in einem Interview mit Al rojo vivo erklärt, dass seine Partei den an dem “procés 2017” Beteiligten keine Amnestie gewähren könne. Eine Amnestie würde gegen das Gesetz und die Verfassung verstoßen. Auch im Wahlkampf für die Wahlen am 23. Juli verteidigte Sánchez, dass es keine Amnestie und kein Referendum geben werde.

Im Gespräch mit Table. Media erklärt der Verfassungsrechtler und Autor Roberto L. Blanco Valdés, dass die Amnestie “radikal und absolut verfassungswidrig” wäre. Blanco weist darauf hin, dass eine mögliche Amnestie gegen zwei Artikel der Verfassung verstoßen würde: Es gehe um Artikel 117, der die Gerichtsbarkeit ausschließlich Richtern und Staatsanwälten zuweise sowie um Artikel 62 Buchstabe i, in dem es um das Recht auf Begnadigung gehe.

Sozialisten weichen Fragen zu Amnestie aus

In den letzten Wochen haben sich sowohl Sánchez als auch seine Minister geweigert, Fragen zur Amnestie zu beantworten. Auf Fragen, ob etwa Carles Puigdemont, Ex-Chef von Junts und Exilant in Belgien, strafrechtlich verfolgt werden solle, haben verschiedene PSOE-Minister die Auskunft verweigert, etwa Haushaltsministerin María Jesús Montero und Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Sánchez hat in seinen Reden zuletzt das Wort Amnestie nicht erwähnt. Der geschäftsführende Ministerpräsident weigerte sich zudem, Feijóo in der Debatte im Parlament zu antworten. Das tat Oscar Puente, ein Hinterbänkler der PSOE. Dass Sánchez nicht auftrat, wird als Affront gewertet.

Sánchez hat bis zum 27. November Zeit, seine Wiederwahl zu organisieren. Gelingt ihm dies nicht, würde König Felipe VI. das Parlament auflösen und am 14. Januar Neuwahlen abhalten. Die politische Instabilität ist zum größten Problem Spaniens geworden, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Der Monarch, der laut Artikel 56 der Verfassung “das ordnungsgemäße Funktionieren der Institutionen vermittelt und moderiert”, steht bereits vor seiner zehnten Konsultationsrunde. Sein Vater Juan Carlos ist in 39 Jahren Regentschaft auf zehn Konsultationen gekommen. Felipe Vl. erreicht diesen Wert schon nach 9,5 Jahren an der Spitze des Staates. Das zeigt, wie schwierig die Regierungsbildung in Spanien mit den Jahren geworden ist.

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News

Hofreiter stellt Gas-Verträge mit Aserbaidschan infrage

Nach der gewaltsamen Einnahme der Region Bergkarabach durch Aserbaidschan fordert der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, Konsequenzen: “Die Verträge mit Aserbaidschan über Gaslieferungen müssen umgehend geprüft werden“, sagte der Grünen-Politiker zu Table.Media. Zudem solle die EU zügig Sanktionen gegen Aserbaidschan beschließen.

“Wir dürfen nicht die Fehler von unserem Umgang mit Russland wiederholen und uns von der nächsten Autokratie abhängig machen, um dann tatenlos zusehen zu müssen, wie die nächste Autokratie Menschen gewaltsam überfällt”, sagte Hofreiter. Er forderte auch, die EU-Mission vor Ort aufzustocken, um die Menschen zu schützen.

Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Gebiet, wurde jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Nach dem militärischen Sieg Aserbaidschans sind nach armenischen Angaben mehr als 100.000 der einst rund 120.000 Einwohner nach Armenien geflohen. Das Vorgehen Bakus stellt die EU-Verantwortlichen vor ein Dilemma: Weil sich die Europäer weitgehend unabhängig von Erdgas aus Russland machen wollen, haben sie höhere Lieferungen aus Aserbaidschan vereinbart. tho

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Bürokratie: Berlin und Paris arbeiten an Vorschlägen

Deutschland und Frankreich wollen kommende Woche konkrete Vorschläge zur Reduzierung von Bürokratie auf EU-Ebene vorlegen. “Wir bereiten jetzt für die nächste deutsch-französische Kabinettssitzung einige Initiativen vor”, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann am Freitag auf einer DIHK-Konferenz. Derzeit werde in den beteiligten Ministerien in Berlin und Paris an entsprechenden Papieren gearbeitet. Das Treffen der beiden Kabinette ist für Anfang nächster Woche geplant.

Auch der französische Verkehrsminister Clément Beaune sieht Raum für eine gemeinsame Initiative. “Der Bürokratieabbau ist eine Priorität für Präsident Macron”, sagte er vor Journalisten in Berlin. “Es gibt eine gemeinsame Basis von Frankreich und Deutschland, eine Initiative auf europäischer Ebene ist sinnvoll.”

Buschmann hatte gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck Ende August bereits einige Ideen für eine deutsch-französische Initiative vorgestellt. Der FDP-Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass die Initiative auch tatsächlich die Bürokratielasten verringere: “Wenn der Präsident der Französischen Republik, der deutsche Bundeskanzler und die Kommissionspräsidentin es wirklich wollen, dann werden wir es auch hinbekommen”. Rund 57 Prozent des durch Regulierung verursachten Erfüllungsaufwandes habe ihren Ursprung in EU-Gesetzgebung. tho

  • Bürokratie

Hoekstra bekennt sich zu Renaturierungsgesetz

Der designierte Klimakommissar Wopke Hoekstra hat sich hinter den Vorschlag für das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestellt. In seinen Antworten auf einen Fragenkatalog von Europaabgeordneten vor seiner Anhörung am heutigen Montag (18:30 Uhr im Umweltausschuss) schreibt er, die Vorschläge zum Renaturierungsgesetz sowie zur Kreislaufwirtschaft “unterstützen unsere Klimaziele”. Sie trügen dazu bei, den “Druck auf Land und endliche Ressourcen zu verringern und die Erholung der Natur zu fördern”.

Als Kommissar werde er das Engagement der Kommission für den Green Deal “in vollem Umfang” aufrechterhalten und dafür sorgen, dass die politischen Maßnahmen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, die Ziellinie erreichen. Das Renaturierungsgesetz fällt jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich Hoekstras, sondern in den des designierten Green-Deal-Kommissars Maroš Šefčovič. Doch weil Hoekstras Partei CDA zur EVP-Parteienfamilie gehört und diese in der Parlamentsverhandlungen das Renaturierungsgesetz blockieren wollte, fordern die Abgeordneten ein solches Bekenntnis des Niederländers.

Auch zu seinem wichtigsten Verantwortungsbereich, den internationalen Klimaverhandlungen auf der COP28 in Dubai, fordern die ENVI-Mitglieder klare Bekenntnisse. Hoekstra verspricht “die größtmögliche Ambition bei unseren COP-Entscheidungen”. Die Einigung auf der COP27 im vergangenen Jahr auf einen Fonds für Loss & Damage, der die am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder unterstützt, bezeichnete er als einen “historischen Meilenstein und ein starkes Signal der Solidarität mit den Schwächsten”. Damit revidiert Hoekstra seine frühere Kritik an der Einigung auf einen Fonds für Loss & Damage. Er hatte sich vor einem Jahr als niederländischer Außenminister negativ geäußert. luk

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Industrie übt Kritik zum CBAM-Start

Die Testphase des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU (CBAM) ist zum 1. Oktober gestartet. Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI kritisiert, wichtige Details der Umsetzung seien noch immer nicht geklärt. “So richtig die Zielsetzung ist, so sehr wird dieses Instrument viele Unternehmen vor einige Herausforderungen stellen und viele Kapazitäten binden”, fürchtet Mark Becker-von Bredow, ZVEI-Bereichsleiter Elektrifizierung und Klima.

Während der zweijährigen Testphase sind Importeure der vom CBAM betroffenen Produkte verpflichtet, bei der Grenzüberquerung in die EU die Emissionen offenzulegen, die bei der Herstellung der Waren freigesetzt wurden. Ab 2026 belegt CBAM die Importe mit einem Zoll in Höhe des europäischen CO₂-Preises. Unterliegen die Emissionen im Herstellungsland bereits einem CO₂-Preis, wird der Zoll um diesen Betrag rabattiert. Der CBAM gilt für Importe von Aluminium, Eisen und Stahl, Düngemitteln, Strom, Zement und Wasserstoff.

“Unternehmen kommen sich vor wie Schüler”

Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) beklagt, dass noch viele Fragen offen seien, zumal die Kommission die Implementierungsverordnung erst Mitte August veröffentlicht hat. “Importeure und Verwender von Importprodukten müssen sich aktuell durch hunderte Seiten Gesetzestext und Leitlinien kämpfen, ihre Betroffenheit eruieren und gegebenenfalls Geschäftspartnern die neuen Regeln erklären”, kommentiert VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Unternehmen kämen sich vor wie Schüler, die ihren neuen ausländischen Mitschülern in wenigen Wochen Latein beibringen müssten.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) weist darauf hin, dass elektronische Meldeportale für Betriebe, die ihre CBAM-Unterlagen einreichen wollen, bislang nicht verfügbar seien. “Wir wissen bis heute noch nicht einmal, welche Behörde in Deutschland für CBAM zuständig ist”, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Er fordert daher Zeitaufschub für die Meldungen. Auch die Schwelle von 150 Euro, ab der ein Import CBAM-pflichtig ist, hält Treier für deutlich zu niedrig. Diese Untergrenze sei “nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein”.

Der ZVEI kritisiert zudem, dass der CBAM zwar Importe mit einem Preisaufschlag belegt, Exporte aus der EU heraus allerdings nicht vom CO₂-Preis entlastet, sodass international ein Wettbewerbsnachteil für europäische Hersteller entsteht. “Solange andere Weltregionen mit zum europäischen Emissionshandel vergleichbaren Systemen nicht nachziehen, werden insbesondere die exportstarken und global aufgestellten Branchen, wie auch die Elektro- und Digitalindustrie, das zu spüren bekommen”, so Becker-von Bredow. luk

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AI Act: Berlin will zweistufige Allzweck-KI-Regulierung

Die Bundesregierung will die Regulierung von Allzweck-KI-Systemen (General Purpose AI, gpAI) weiter diskutieren. Obwohl die Allgemeine Ausrichtung des Rates bereits vor einiger Zeit erfolgte, laufen die Debatten unter dem Eindruck des Aufkommens von ChatGPT und LaMDA, Luminous oder Dall-E während des Trilogs heiß.

In dem Papier hat die Bundesregierung vor den im Oktober anstehenden zwei Trilogrunden kritische Punkte angesprochen. Dabei geht es um die Frage, wie derartige KI-Systeme ohne nähere Zweckbestimmung (gpAI) eingeordnet werden. Die Bundesregierung spricht sich dafür aus, eine Unterscheidung entlang des tatsächlichen Einsatzzwecks vorzunehmen: Regulierung solle dort “ansetzen, wo Risiken konkret entstehen und indiziert werden können (bspw. in der Anwendung) und beherrschbar sind”, heißt es in dem Papier – und nicht früher. Hierfür sollten Regeln in der KI-Verordnung festgeschrieben werden. Zugleich spricht sich die Bundesregierung dafür aus, möglichst wenige Bestandteile in nachgeordnete Rechtssetzungsakte auszulagern.

Auf der Ebene der Modelle – also noch vor einem möglichen Einsatzzweck – sollen hingegen vor allem Best Practices verpflichtend werden. Allerdings bleibt auch die Bundesregierung in ihrer Definition vage, wo genau die Grenzen zwischen gpAI mit konkretem Zweck und sogenannten Modellen zu ziehen seien. Berlin versucht hier einen Kunstgriff: reguliert werden sollen gpAI-Nutzungen dann, wenn sie “bereits für konkrete Nutzungen zur Verfügung stehen und dafür verwendet werden können, ohne dass weitere Schritte oder spezifische Fachkenntnisse aufseiten des Endanwenders erforderlich sind.”

Urheberrechtsabgaben auf KI-kreierte Werke?

Die Bundesregierung will auf diese Weise verhindern, dass eine simple Verwendungsausschlussklausel für Hochrisiko-Zwecke nach dem AI Act die Anbieter von gpAI-Systemen aus der Verantwortung entlässt. Sie könnten bestimmte Pflichten unabhängig vom Anwendungszweck erfüllen müssen, heißt es in dem Papier – etwa Kennzeichnungspflichten, Angaben zu systemischen Risiken sowie Angaben zum regelkonformen Data Mining und Sourcing einschließlich ihren Protokollierungspflichten.

Zuletzt hatte eine Gruppe um Frankreich eigene Vorschläge in der Debatte um den AI Act unterbreitet – Deutschland war bislang nicht Teil der Gruppe. Parallel wurde vor wenigen Tagen in der französischen Nationalversammlung ein überparteilicher Gesetzesvorschlag eingebracht, um KI-kreierte Werke urheberrechtsabgabepflichtig zu machen. Entweder soll eine Urheberrechts-Pauschalabgabe erhoben werden, wenn etwa die ursprünglich verwendeten Werke nicht geklärt sind. Oder: Stehen die ursprünglich verwendeten Werke und ihre Urheber fest, dann sollen letztere beteiligt werden. fst

  • Digitalpolitik
  • Künstliche Intelligenz-Verordnung

Presseschau

EU-Außenbeauftragter Borrell erwartet, dass die USA ungeachtet des Haushaltsstreits der Regierung in Kiew weiter helfen DEUTSCHLANDFUNK
Baerbock wirbt für EU-Beitritt der Ukraine nach Krieg STERN
So rüstet sich die EU gegen Putins Propaganda-Angriffe auf Wahlen FR
Ficos Sieg: Was der Wahlausgang in der Slowakei für EU und Ukraine bedeuten könnte DEUTSCHLANDFUNK
Erdogan will von EU keine Beitrittsauflagen mehr akzeptieren KURIER
Ideen für morgen: Warum die EU weiter gebraucht wird FAZ
Migration: Die Unterschiede in der EU bei den Sozialleistungen für Asylbewerber SWP
Zeitungsbericht bestätigt: Schweiz trägt Sanktionen der EU gegen China nicht mit DEUTSCHLANDFUNK
Nur noch mit neuer Führerscheinklasse möglich: EU plant SUV-Verbot für Fahranfänger:innen FR
Streit über umstrittenes Pestizid: Paulus rechnet mit Glyphosat­lizenz TAZ
EU-Daten: Heizöl in Deutschland vergleichsweise günstig WELT
Ryder Cup gegen US-Golfer: Fleetwood holt den Titel nach Europa SPIEGEL

Heads

Sergey Lagodinsky – Sein Ziel ist Platz zwei der Grünen-Liste

Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky ist Rechtsanwalt und Publizist. Der 47-Jährige sitzt seit 2019 für die Grünen im Europaparlament.

In seinem kleinen Büro im achten Stock des Parlamentsgebäudes in Brüssel hängen zwei Bilder: Das eine neben seinem Schreibtisch zeigt islamische Kunst mit Ornamenten und Mustern. Gegenüber an der anderen Wand hinter der Sitzgruppe hängt ein Bild, auf dem die Künstlerin jüdische Bildsprache mit EU-Symbolen vereint. Es gehört zu den Besonderheiten von Sergey Lagodinsky, dass ihm die muslimische wie die jüdische Kultur wichtig sind.

In seinem kleinen Abgeordnetenbüro empfängt er schon einmal den türkischen EU-Botschafter auf eine Tasse Tee. Als Chef der Türkei-Delegation des Europaparlaments zählt es zu Lagodinskys Aufgaben, mit türkischen Vertretern im Gespräch zu bleiben.

Lagodinsky wurde in Astrachan im heutigen Russland ganz am Rand Europas am kaspischen Meer in eine jüdische Familie geboren. Er emigrierte als 18-Jähriger mit seinem Bruder, den Eltern und Großeltern als jüdische Kontingentsflüchtlinge nach Deutschland. Er musste Deutsch lernen, hat schnell Abitur gemacht, Jura studiert und das zweite Staatsexamen absolviert. Zunächst hat er sich im American Jewish Commitee engagiert.

Bruch mit der SPD wegen Umgang mit Fall Sarrazin

Als er den deutschen Pass bekam, entschloss sich Lagodinsky, auch direkt politisch tätig zu werden und ging zunächst zur SPD. Die verließ er, als die SPD nicht dazu in der Lage war, Thilo Sarrazin wegen der Diskriminierung von Migranten in seinem Buch “Deutschland schafft sich ab” hinauszuwerfen. Lagodinsky, der nach Jura noch mit einem Stipendium in Harvard öffentliche Verwaltung studiert hat, begründete den Schritt damals so: “Ich kann es in einer Partei mit einem Sarrazin aushalten, aber ich kann es nicht in einer Partei aushalten, die sich aus Angst vor dem Stammtisch einem Sarrazin nicht stellen will. Oder noch schlimmer: die nicht mal weiß, ob sie das will.”

Das war 2011. Er gab sein Parteibuch ab, verließ den von ihm gegründeten und zusammen mit einem Frankfurter Genossen geleiteten Bundesarbeitskreis Jüdischer Sozialdemokratinnen und ging zu den Grünen. Heute sagt er, dass die SPD sich verändert habe, dass sie sich in ihrer Haltung gegenüber Migranten entwickelt habe.

Jetzt ist es für die Genossen zu spät. Lagodinsky kandidierte 2019 auf dem zwölften Listenplatz der Grünen bei der Europawahl. Bei der nächsten Wahl im Juni könnte Lagodinsky auf Platz zwei der deutschen Grünen-Liste stehen.

Realos wollen ihn auf Platz hinter Terry Reintke durchsetzen

Die Realos haben ihn bereits intern als den Kandidaten für den zweiten Listenplatz in Deutschland benannt. Dieser steht einem Mann zu. Parteichef Omid Nouripour verhandelt mit dem Fundi-Flügel darüber, ob Lagodinsky, der politisch in Berlin-Pankow zu Hause ist und das Votum des Brandenburger Landesverbandes hat, den Platz bekommt. Terry Reintke, Fraktionschefin und zum linken Flügel gehörend, soll die deutsche Liste anführen und auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen werden.

Sollte es im Vorfeld der Wahl bei der Bundesdelegiertenkonferenz Ende November in Karlsruhe keine Einigung zwischen den Flügeln geben, wäre auch eine Kampfkandidatur gegen den Klimapolitiker Michael Bloss denkbar. Bloss kommt aus dem starken Landesverband Baden-Württemberg und hat Rückhalt bei der Grünen Jugend. Bei den Europawahlen 2019 und 2014 waren mit Ska Keller und Sven Giegold jeweils eine Frau und ein Mann des Fundi-Flügels auf den ersten Listenplätzen. Diesmal erheben die Realos Anspruch auf Platz zwei. Lagodinsky ist ein guter Redner. Ihm wird in der Partei zugetraut, dass er in Karlsruhe das Duell gegen Bloss, der nicht gerade für seine rhetorischen Fähigkeiten bekannt ist, gewinnen würde.

Rechts-, Digital- und Außenpolitiker

Im Europaparlament ist Lagodinsky stellvertretender Vorsitzender im Rechtsausschuss. Er hat ein breites inhaltliches Profil. Er kämpft für Rechtsstaatlichkeit, setzt sich dafür ein, dass Orbans Ungarn und Polens PiS EU-Gelder nicht ausgezahlt werden. So hat er als Berichterstatter im Rechtsausschuss die Klage des EP gegen die Kommission wegen Untätigkeit bei der Anwendung des Konditionalitätsmechanismus vorbereitet. Dabei hat er sich mit seiner Expertise als Jurist und für internationale Beziehungen auch gegen den Wissenschaftlichen Dienst im EP positioniert.

Sein Bericht zur länderübergreifenden Arbeit von NGOs hat im Parlament eine breite Mehrheit gefunden. Er arbeitet auch zu Künstlicher Intelligenz. Vor allem aber wird er als Außenpolitiker wahrgenommen. Im Ukraine-Krieg ergreift er klar Partei für die Ukraine. Das hat ihm, dem ehemaligen russischen Migranten, in Ostdeutschland zuweilen den Vorwurf eines Kriegstreibers eingebracht. Reinhard Bütikofer, der profilierteste Außenpolitiker bei den Grünen, hört mit den Europawahlen auf. Es ist damit zu rechnen, dass Lagodinsky seinen Sitz im Auswärtigen Ausschuss einnehmen will. Markus Grabitz

  • Europäisches Parlament
  • Europawahlen 2024

Personalien

Nasar Bobitski hat zum 1. Oktober die Leitung der neuen Vertretung des “Ukrainian Agribusiness Club” (UCAB) in Brüssel übernommen. Mit der Eröffnung des Büros in der EU wollen führende ukrainische Agrarunternehmen, die im UCAB organisiert sind, den Austausch zwischen Brüssel und der ukrainischen Landwirtschaftsbranche intensivieren. Bobitski hat bereits Erfahrungen in Verhandlungen mit der EU zu Handelsfragen. Seit Juli 2022 ist er beratend für das ukrainische Landwirtschaftsministerium tätig.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Deutlich problematischer sehen einige in der EVP offenbar den zweiten Kommissarsanwärter. Maroš Šefčovič, bereits seit 2009 in wechselnder Funktion Mitglied der EU-Kommission, stellt sich am morgigen Dienstag ab 8:30 Uhr ebenfalls den ENVI-Abgeordneten. Er soll das Green-Deal-Dossier von Frans Timmermans übernehmen und auch Exekutivvizepräsident werden.

    Liese betont zwar, dass er Šefčovič unterstütze, berichtet aber auch von anderen Stimmen bei den Christdemokraten. In der EVP hat man nicht vergessen, dass der Nationalist Robert Fico in seinen vorhergehenden Amtszeiten als Ministerpräsident der Slowakei zweimal maßgeblich seinem Landsmann Šefčovič zur Nominierung für einen Kommissarsposten in Brüssel verholfen hat. Sollte Hoekstra bei Grünen und Sozialisten durchfallen, könnte es für Šefčovič im Hinblick auf Fico eng im Lager der Christdemokraten werden.

    Eben jener Fico hat jetzt die Parlamentswahl in der Slowakei mit seiner sozialistischen SMER-Partei gewonnen. Er hatte angekündigt, als Regierungschef die Waffenhilfe für das Nachbarland Ukraine zu stoppen und nur noch humanitäre Hilfe zu leisten. SMER ist zwar mit 23 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden. Dennoch ist es längst nicht ausgemacht, dass Fico zum vierten Mal eine Regierung bilden wird. Hintergründe zur Wahl in der Slowakei entnehmen Sie unserer Analyse. Kommen Sie gut in die Woche!

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    Robert Fico
    Robert Fico.

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    Da waren zwei Prognosen veröffentlicht worden, die auf Nachwahlbefragungen beruhten. Die sahen nicht Smer-SD vorn, sondern die liberalen Widersacher Progressive Slowakei (PS) unter dem 39-jährigen Spitzenkandidaten Michal Šimečka, der derzeit im EU-Parlament sitzt. Šimečka und seine Getreuen blieben jedoch vorsichtig. Sie sind gebrannte Kinder. Bei den vorhergehenden Wahlen verfehlten sie entgegen den Prognosen haarscharf den Einzug in den Slowakischen Nationalrat. Gestern Nachmittag kündigte Präsidentin Zusana Caputova an, dass sie heute den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Dies würde bedeuten, dass Fico am Zug wäre und sich um Koalitionspartner bemühen müsste.

    Institute lagen mit Prognosen daneben

    Diesmal lagen die Vorhersagen der Meinungsforschungsinstitute noch krasser neben dem Ergebnis. Der 59-jährige Fico und seine Smer-SD kamen auf 22,94 Prozent, die liberale PS landete abgeschlagen bei 17,96 Prozent. Zum Zünglein an der Waage bei den komplizierten Verhandlungen zur Bildung einer Regierung wird die sozialdemokratische Partei Hlas des früheren Premiers Peter Pellegrini. Ins neue Parlament schafften es noch die antisystemische Antikorruptionspartei Olano, die Christdemokraten KDH, die liberale SAS und die extreme Nationalpartei SNS, die voll auf der Linie von Kreml-Chef Putin liegt. Positiv wurde allgemein vermerkt, dass die offen faschistische Partei Republika nicht wieder im neuen Parlament vertreten sein wird. Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 68 Prozent die zweitbeste in der Geschichte der noch jungen Slowakei.

    PS-Chef Šimečka respektierte den Sieg Ficos, der jedoch eine “ganz schlechte Nachricht” sei. Man wolle in den Verhandlungen zur Bildung einer Regierung noch alles versuchen, um Fico als neuerlichen Premier zu verhindern, versprach er. Fico hat verschiedene Möglichkeiten zur Bildung einer Koalition, die zur Mehrheit im Nationalrat 76 der 150 Abgeordneten benötigt. Gemeinsam mit Hlas und der Nationalpartei SNS käme er auf 79 Mandate, mit Hlas und den Christdemokraten auf 81. Die liberale PS käme mit Hlas, den Christdemokraten und der liberalen SAS auf 82 Abgeordnete. 

    Jetzt kommt es auf die Sozialdemokraten an

    Beide Modelle stehen und fallen vor allem mit den Sozialdemokraten von Hlas. Die Partei von Ex-Premier Pellegrini ist eine Abspaltung von Smer-SD aus dem Jahr 2020. Ideologisch sind sich beide Parteien zwar immer noch nahe. Politologen bezweifelten jedoch, weshalb Hlas jetzt wieder in den Schoß von Fico zurückkehren sollte, den sie erst verlassen hatte. 

    Auseinander sind beide Parteien in der Ukrainefrage. Hlas besteht bislang auf der Fortsetzung jeglicher Hilfe für Kiew, während Fico den überfallenen Nachbarn “keine Patrone” mehr liefern will, wie er im Wahlkampf betonte. Am Sonntag fügte er vor der Presse hinzu: “Die Slowakei und die Menschen hier haben wichtigere Probleme als die Ukraine. Und diese Probleme haben für uns Priorität.” 

    Bei Ukrainefrage ist Fico isoliert

    Als Premier werde er – auch auf dem Boden der EU – alles unternehmen, damit schnellstmöglich Friedensverhandlungen aufgenommen werden. “Ein weiteres gegenseitiges Umbringen bringt niemandem etwas.” Der Krieg und die Haltung der Slowakei ist demnach das mögliche Bindeglied eher zwischen Hlas und der liberalen PS.

    Ein weiteres Problem zwischen Hlas und Smer-SD benannte Ex-Premier Pellegrini: “Zwei Premiers in einer Regierung sind zu viel.” Was sofort Spekulationen auslöste, Fico und Pellegrini könnten sich auf eine Variante einigen, wonach eine Regierung Fico mit Hlas voraussetze, dass Fico im Gegenzug die Kandidatur Pellegrinis zum künftigen Präsidenten unterstützen sollte.

    Die PS wiederum hätte es in Verhandlungen schwer, die Christdemokraten von der KDH ins Boot zu holen. Die Liberalen stoßen vor allem mit ihren Vorstellungen für eine Ehe für alle auf Ablehnung der KDH. Ein PS-Sprecher sagte jedoch, dass man selbstverständlich zu Kompromissen bereit sei.

    Fico betont Kontinuität in der Außenpolitik

    Besonders umstritten bei Beobachtern war, wie ernst Ficos Ankündigungen namentlich in der Außenpolitik zu nehmen seien. Fico selbst suchte vor der Presse zu beruhigen: “Wir werden unsere Außenpolitik um keinen Millimeter ändern.” Von einem Austritt aus der EU, dem Schengenraum oder eine Rückkehr vom Euro könne nicht ernsthaft die Rede sein. “Wir werden aber die EU kritisieren, wo Kritik erforderlich ist”, fügte er hinzu.

    Der frühere slowakische Botschafter in Prag, Peter Weiss, erinnerte daran, dass das Land 85 Prozent seines Handels innerhalb der EU abwickle. “Da ist kein Platz für außenpolitische Alleingänge. Wir brauchen unsere westlichen Verbündeten.” Hans-Jörg Schmidt

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    Spanien: Sánchez nimmt Anlauf für Regierungsbildung

    Den Preis ist hoch, den die katalanischen Separatisten für die Unterstützung des Sozialisten Pedro Sánchez bei der Wahl zum Ministerpräsidenten fordern. Esquerra per Catalunya (ERC) und Junts per Catalunya machen ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien sowie eine Amnestie zur Bedingung. Sie fordern eine Amnestie für die zwölf Separatisten, die im Prozess für ihre Beteiligung rund um die Organisation des Referendums und der Ausrufung der Unabhängigkeit Kataloniens 2017 verurteilt wurden.

    Über zwei Monate nach der Parlamentswahl im Juli richtet sich der Blick jetzt auf Pedro Sánchez, Chef der PSOE. Zuvor war Alberto Núñez Feijóo, Kandidat der Partido Popular (PP), zweimal mit dem Versuch gescheitert, sich die Mehrheit für die Wahl zum spanischen Ministerpräsidenten zu sichern. Bei der zweiten Abstimmung am Freitag, bei der nur eine einfache Mehrheit erforderlich war, erhielt Feijóo 172 Ja-Stimmen und 177 Nein-Stimmen, eine Stimme war ungültig. Genau diese ungültige Stimme war umstritten.

    Chaotische Abstimmung

    Es handelte sich um den Junts-Abgeordneten Eduard Pujol, der irrtümlicherweise den PP-Kandidaten gewählt hatte. Pujol versuchte daraufhin, die Situation zu bereinigen. Und nach einigen Minuten der Beratung erklärte das Präsidium der Abgeordnetenkammer dessen Stimmabgabe für ungültig. Das wiederum rief den Protest der Unterstützer von Feijóo hervor. Obwohl Feijóo eine Niederlage einstecken muss, beansprucht die PP einen Sieg: Feijóo habe eine klare Linie zu Sánchez gezogen, der mit ERC und Junts über eine Amnestie und ein Referendum verhandele, auch wenn beide verfassungswidrig sind.

    Während in Madrid die Abstimmung lief, wurden im katalanischen Parlament zwei Resolutionen verabschiedet: In der einen wird gefordert, dass der künftige spanische Regierungschef eine Amnestie garantiert. In der anderen, dass der Weg für ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien geebnet wird. ERC und Junts fordern per Resolution: Das nationale Parlament soll keinen Kandidaten unterstützen, der kein Referendum verspricht. Im O-Ton heißt es: Niemand solle gewählt werden, “der sich nicht dafür einsetzt, die Bedingungen für die Durchführung des Referendums zu schaffen”.

    Amnestie für Separatisten gefordert

    In einer weiteren Resolution haben ERC und Junts “die Notwendigkeit eines Amnestiegesetzes” verteidigt. Es gehe darum, “das zu annullieren, was im Zusammenhang mit der Verteidigung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts Kataloniens als Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingestuft wurde.” Dies steht im Gegensatz zur spanischen Verfassung, die den Regionen nicht das Selbstbestimmungsrecht einräumt.

    Verfassungsrechtsexperten wie ehemalige Richter des Verfassungsgerichts haben zuletzt wiederholt erklärt, dass eine mögliche Amnestie verfassungswidrig wäre. Auch Sánchez hatte noch im November in einem Interview mit Al rojo vivo erklärt, dass seine Partei den an dem “procés 2017” Beteiligten keine Amnestie gewähren könne. Eine Amnestie würde gegen das Gesetz und die Verfassung verstoßen. Auch im Wahlkampf für die Wahlen am 23. Juli verteidigte Sánchez, dass es keine Amnestie und kein Referendum geben werde.

    Im Gespräch mit Table. Media erklärt der Verfassungsrechtler und Autor Roberto L. Blanco Valdés, dass die Amnestie “radikal und absolut verfassungswidrig” wäre. Blanco weist darauf hin, dass eine mögliche Amnestie gegen zwei Artikel der Verfassung verstoßen würde: Es gehe um Artikel 117, der die Gerichtsbarkeit ausschließlich Richtern und Staatsanwälten zuweise sowie um Artikel 62 Buchstabe i, in dem es um das Recht auf Begnadigung gehe.

    Sozialisten weichen Fragen zu Amnestie aus

    In den letzten Wochen haben sich sowohl Sánchez als auch seine Minister geweigert, Fragen zur Amnestie zu beantworten. Auf Fragen, ob etwa Carles Puigdemont, Ex-Chef von Junts und Exilant in Belgien, strafrechtlich verfolgt werden solle, haben verschiedene PSOE-Minister die Auskunft verweigert, etwa Haushaltsministerin María Jesús Montero und Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Sánchez hat in seinen Reden zuletzt das Wort Amnestie nicht erwähnt. Der geschäftsführende Ministerpräsident weigerte sich zudem, Feijóo in der Debatte im Parlament zu antworten. Das tat Oscar Puente, ein Hinterbänkler der PSOE. Dass Sánchez nicht auftrat, wird als Affront gewertet.

    Sánchez hat bis zum 27. November Zeit, seine Wiederwahl zu organisieren. Gelingt ihm dies nicht, würde König Felipe VI. das Parlament auflösen und am 14. Januar Neuwahlen abhalten. Die politische Instabilität ist zum größten Problem Spaniens geworden, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Der Monarch, der laut Artikel 56 der Verfassung “das ordnungsgemäße Funktionieren der Institutionen vermittelt und moderiert”, steht bereits vor seiner zehnten Konsultationsrunde. Sein Vater Juan Carlos ist in 39 Jahren Regentschaft auf zehn Konsultationen gekommen. Felipe Vl. erreicht diesen Wert schon nach 9,5 Jahren an der Spitze des Staates. Das zeigt, wie schwierig die Regierungsbildung in Spanien mit den Jahren geworden ist.

    • Spanien

    News

    Hofreiter stellt Gas-Verträge mit Aserbaidschan infrage

    Nach der gewaltsamen Einnahme der Region Bergkarabach durch Aserbaidschan fordert der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, Konsequenzen: “Die Verträge mit Aserbaidschan über Gaslieferungen müssen umgehend geprüft werden“, sagte der Grünen-Politiker zu Table.Media. Zudem solle die EU zügig Sanktionen gegen Aserbaidschan beschließen.

    “Wir dürfen nicht die Fehler von unserem Umgang mit Russland wiederholen und uns von der nächsten Autokratie abhängig machen, um dann tatenlos zusehen zu müssen, wie die nächste Autokratie Menschen gewaltsam überfällt”, sagte Hofreiter. Er forderte auch, die EU-Mission vor Ort aufzustocken, um die Menschen zu schützen.

    Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Gebiet, wurde jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Nach dem militärischen Sieg Aserbaidschans sind nach armenischen Angaben mehr als 100.000 der einst rund 120.000 Einwohner nach Armenien geflohen. Das Vorgehen Bakus stellt die EU-Verantwortlichen vor ein Dilemma: Weil sich die Europäer weitgehend unabhängig von Erdgas aus Russland machen wollen, haben sie höhere Lieferungen aus Aserbaidschan vereinbart. tho

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    Bürokratie: Berlin und Paris arbeiten an Vorschlägen

    Deutschland und Frankreich wollen kommende Woche konkrete Vorschläge zur Reduzierung von Bürokratie auf EU-Ebene vorlegen. “Wir bereiten jetzt für die nächste deutsch-französische Kabinettssitzung einige Initiativen vor”, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann am Freitag auf einer DIHK-Konferenz. Derzeit werde in den beteiligten Ministerien in Berlin und Paris an entsprechenden Papieren gearbeitet. Das Treffen der beiden Kabinette ist für Anfang nächster Woche geplant.

    Auch der französische Verkehrsminister Clément Beaune sieht Raum für eine gemeinsame Initiative. “Der Bürokratieabbau ist eine Priorität für Präsident Macron”, sagte er vor Journalisten in Berlin. “Es gibt eine gemeinsame Basis von Frankreich und Deutschland, eine Initiative auf europäischer Ebene ist sinnvoll.”

    Buschmann hatte gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck Ende August bereits einige Ideen für eine deutsch-französische Initiative vorgestellt. Der FDP-Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass die Initiative auch tatsächlich die Bürokratielasten verringere: “Wenn der Präsident der Französischen Republik, der deutsche Bundeskanzler und die Kommissionspräsidentin es wirklich wollen, dann werden wir es auch hinbekommen”. Rund 57 Prozent des durch Regulierung verursachten Erfüllungsaufwandes habe ihren Ursprung in EU-Gesetzgebung. tho

    • Bürokratie

    Hoekstra bekennt sich zu Renaturierungsgesetz

    Der designierte Klimakommissar Wopke Hoekstra hat sich hinter den Vorschlag für das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestellt. In seinen Antworten auf einen Fragenkatalog von Europaabgeordneten vor seiner Anhörung am heutigen Montag (18:30 Uhr im Umweltausschuss) schreibt er, die Vorschläge zum Renaturierungsgesetz sowie zur Kreislaufwirtschaft “unterstützen unsere Klimaziele”. Sie trügen dazu bei, den “Druck auf Land und endliche Ressourcen zu verringern und die Erholung der Natur zu fördern”.

    Als Kommissar werde er das Engagement der Kommission für den Green Deal “in vollem Umfang” aufrechterhalten und dafür sorgen, dass die politischen Maßnahmen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, die Ziellinie erreichen. Das Renaturierungsgesetz fällt jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich Hoekstras, sondern in den des designierten Green-Deal-Kommissars Maroš Šefčovič. Doch weil Hoekstras Partei CDA zur EVP-Parteienfamilie gehört und diese in der Parlamentsverhandlungen das Renaturierungsgesetz blockieren wollte, fordern die Abgeordneten ein solches Bekenntnis des Niederländers.

    Auch zu seinem wichtigsten Verantwortungsbereich, den internationalen Klimaverhandlungen auf der COP28 in Dubai, fordern die ENVI-Mitglieder klare Bekenntnisse. Hoekstra verspricht “die größtmögliche Ambition bei unseren COP-Entscheidungen”. Die Einigung auf der COP27 im vergangenen Jahr auf einen Fonds für Loss & Damage, der die am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder unterstützt, bezeichnete er als einen “historischen Meilenstein und ein starkes Signal der Solidarität mit den Schwächsten”. Damit revidiert Hoekstra seine frühere Kritik an der Einigung auf einen Fonds für Loss & Damage. Er hatte sich vor einem Jahr als niederländischer Außenminister negativ geäußert. luk

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    Industrie übt Kritik zum CBAM-Start

    Die Testphase des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU (CBAM) ist zum 1. Oktober gestartet. Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI kritisiert, wichtige Details der Umsetzung seien noch immer nicht geklärt. “So richtig die Zielsetzung ist, so sehr wird dieses Instrument viele Unternehmen vor einige Herausforderungen stellen und viele Kapazitäten binden”, fürchtet Mark Becker-von Bredow, ZVEI-Bereichsleiter Elektrifizierung und Klima.

    Während der zweijährigen Testphase sind Importeure der vom CBAM betroffenen Produkte verpflichtet, bei der Grenzüberquerung in die EU die Emissionen offenzulegen, die bei der Herstellung der Waren freigesetzt wurden. Ab 2026 belegt CBAM die Importe mit einem Zoll in Höhe des europäischen CO₂-Preises. Unterliegen die Emissionen im Herstellungsland bereits einem CO₂-Preis, wird der Zoll um diesen Betrag rabattiert. Der CBAM gilt für Importe von Aluminium, Eisen und Stahl, Düngemitteln, Strom, Zement und Wasserstoff.

    “Unternehmen kommen sich vor wie Schüler”

    Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) beklagt, dass noch viele Fragen offen seien, zumal die Kommission die Implementierungsverordnung erst Mitte August veröffentlicht hat. “Importeure und Verwender von Importprodukten müssen sich aktuell durch hunderte Seiten Gesetzestext und Leitlinien kämpfen, ihre Betroffenheit eruieren und gegebenenfalls Geschäftspartnern die neuen Regeln erklären”, kommentiert VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Unternehmen kämen sich vor wie Schüler, die ihren neuen ausländischen Mitschülern in wenigen Wochen Latein beibringen müssten.

    Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) weist darauf hin, dass elektronische Meldeportale für Betriebe, die ihre CBAM-Unterlagen einreichen wollen, bislang nicht verfügbar seien. “Wir wissen bis heute noch nicht einmal, welche Behörde in Deutschland für CBAM zuständig ist”, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Er fordert daher Zeitaufschub für die Meldungen. Auch die Schwelle von 150 Euro, ab der ein Import CBAM-pflichtig ist, hält Treier für deutlich zu niedrig. Diese Untergrenze sei “nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein”.

    Der ZVEI kritisiert zudem, dass der CBAM zwar Importe mit einem Preisaufschlag belegt, Exporte aus der EU heraus allerdings nicht vom CO₂-Preis entlastet, sodass international ein Wettbewerbsnachteil für europäische Hersteller entsteht. “Solange andere Weltregionen mit zum europäischen Emissionshandel vergleichbaren Systemen nicht nachziehen, werden insbesondere die exportstarken und global aufgestellten Branchen, wie auch die Elektro- und Digitalindustrie, das zu spüren bekommen”, so Becker-von Bredow. luk

    • CBAM
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    • Klima & Umwelt
    • Klimapolitik

    AI Act: Berlin will zweistufige Allzweck-KI-Regulierung

    Die Bundesregierung will die Regulierung von Allzweck-KI-Systemen (General Purpose AI, gpAI) weiter diskutieren. Obwohl die Allgemeine Ausrichtung des Rates bereits vor einiger Zeit erfolgte, laufen die Debatten unter dem Eindruck des Aufkommens von ChatGPT und LaMDA, Luminous oder Dall-E während des Trilogs heiß.

    In dem Papier hat die Bundesregierung vor den im Oktober anstehenden zwei Trilogrunden kritische Punkte angesprochen. Dabei geht es um die Frage, wie derartige KI-Systeme ohne nähere Zweckbestimmung (gpAI) eingeordnet werden. Die Bundesregierung spricht sich dafür aus, eine Unterscheidung entlang des tatsächlichen Einsatzzwecks vorzunehmen: Regulierung solle dort “ansetzen, wo Risiken konkret entstehen und indiziert werden können (bspw. in der Anwendung) und beherrschbar sind”, heißt es in dem Papier – und nicht früher. Hierfür sollten Regeln in der KI-Verordnung festgeschrieben werden. Zugleich spricht sich die Bundesregierung dafür aus, möglichst wenige Bestandteile in nachgeordnete Rechtssetzungsakte auszulagern.

    Auf der Ebene der Modelle – also noch vor einem möglichen Einsatzzweck – sollen hingegen vor allem Best Practices verpflichtend werden. Allerdings bleibt auch die Bundesregierung in ihrer Definition vage, wo genau die Grenzen zwischen gpAI mit konkretem Zweck und sogenannten Modellen zu ziehen seien. Berlin versucht hier einen Kunstgriff: reguliert werden sollen gpAI-Nutzungen dann, wenn sie “bereits für konkrete Nutzungen zur Verfügung stehen und dafür verwendet werden können, ohne dass weitere Schritte oder spezifische Fachkenntnisse aufseiten des Endanwenders erforderlich sind.”

    Urheberrechtsabgaben auf KI-kreierte Werke?

    Die Bundesregierung will auf diese Weise verhindern, dass eine simple Verwendungsausschlussklausel für Hochrisiko-Zwecke nach dem AI Act die Anbieter von gpAI-Systemen aus der Verantwortung entlässt. Sie könnten bestimmte Pflichten unabhängig vom Anwendungszweck erfüllen müssen, heißt es in dem Papier – etwa Kennzeichnungspflichten, Angaben zu systemischen Risiken sowie Angaben zum regelkonformen Data Mining und Sourcing einschließlich ihren Protokollierungspflichten.

    Zuletzt hatte eine Gruppe um Frankreich eigene Vorschläge in der Debatte um den AI Act unterbreitet – Deutschland war bislang nicht Teil der Gruppe. Parallel wurde vor wenigen Tagen in der französischen Nationalversammlung ein überparteilicher Gesetzesvorschlag eingebracht, um KI-kreierte Werke urheberrechtsabgabepflichtig zu machen. Entweder soll eine Urheberrechts-Pauschalabgabe erhoben werden, wenn etwa die ursprünglich verwendeten Werke nicht geklärt sind. Oder: Stehen die ursprünglich verwendeten Werke und ihre Urheber fest, dann sollen letztere beteiligt werden. fst

    • Digitalpolitik
    • Künstliche Intelligenz-Verordnung

    Presseschau

    EU-Außenbeauftragter Borrell erwartet, dass die USA ungeachtet des Haushaltsstreits der Regierung in Kiew weiter helfen DEUTSCHLANDFUNK
    Baerbock wirbt für EU-Beitritt der Ukraine nach Krieg STERN
    So rüstet sich die EU gegen Putins Propaganda-Angriffe auf Wahlen FR
    Ficos Sieg: Was der Wahlausgang in der Slowakei für EU und Ukraine bedeuten könnte DEUTSCHLANDFUNK
    Erdogan will von EU keine Beitrittsauflagen mehr akzeptieren KURIER
    Ideen für morgen: Warum die EU weiter gebraucht wird FAZ
    Migration: Die Unterschiede in der EU bei den Sozialleistungen für Asylbewerber SWP
    Zeitungsbericht bestätigt: Schweiz trägt Sanktionen der EU gegen China nicht mit DEUTSCHLANDFUNK
    Nur noch mit neuer Führerscheinklasse möglich: EU plant SUV-Verbot für Fahranfänger:innen FR
    Streit über umstrittenes Pestizid: Paulus rechnet mit Glyphosat­lizenz TAZ
    EU-Daten: Heizöl in Deutschland vergleichsweise günstig WELT
    Ryder Cup gegen US-Golfer: Fleetwood holt den Titel nach Europa SPIEGEL

    Heads

    Sergey Lagodinsky – Sein Ziel ist Platz zwei der Grünen-Liste

    Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky ist Rechtsanwalt und Publizist. Der 47-Jährige sitzt seit 2019 für die Grünen im Europaparlament.

    In seinem kleinen Büro im achten Stock des Parlamentsgebäudes in Brüssel hängen zwei Bilder: Das eine neben seinem Schreibtisch zeigt islamische Kunst mit Ornamenten und Mustern. Gegenüber an der anderen Wand hinter der Sitzgruppe hängt ein Bild, auf dem die Künstlerin jüdische Bildsprache mit EU-Symbolen vereint. Es gehört zu den Besonderheiten von Sergey Lagodinsky, dass ihm die muslimische wie die jüdische Kultur wichtig sind.

    In seinem kleinen Abgeordnetenbüro empfängt er schon einmal den türkischen EU-Botschafter auf eine Tasse Tee. Als Chef der Türkei-Delegation des Europaparlaments zählt es zu Lagodinskys Aufgaben, mit türkischen Vertretern im Gespräch zu bleiben.

    Lagodinsky wurde in Astrachan im heutigen Russland ganz am Rand Europas am kaspischen Meer in eine jüdische Familie geboren. Er emigrierte als 18-Jähriger mit seinem Bruder, den Eltern und Großeltern als jüdische Kontingentsflüchtlinge nach Deutschland. Er musste Deutsch lernen, hat schnell Abitur gemacht, Jura studiert und das zweite Staatsexamen absolviert. Zunächst hat er sich im American Jewish Commitee engagiert.

    Bruch mit der SPD wegen Umgang mit Fall Sarrazin

    Als er den deutschen Pass bekam, entschloss sich Lagodinsky, auch direkt politisch tätig zu werden und ging zunächst zur SPD. Die verließ er, als die SPD nicht dazu in der Lage war, Thilo Sarrazin wegen der Diskriminierung von Migranten in seinem Buch “Deutschland schafft sich ab” hinauszuwerfen. Lagodinsky, der nach Jura noch mit einem Stipendium in Harvard öffentliche Verwaltung studiert hat, begründete den Schritt damals so: “Ich kann es in einer Partei mit einem Sarrazin aushalten, aber ich kann es nicht in einer Partei aushalten, die sich aus Angst vor dem Stammtisch einem Sarrazin nicht stellen will. Oder noch schlimmer: die nicht mal weiß, ob sie das will.”

    Das war 2011. Er gab sein Parteibuch ab, verließ den von ihm gegründeten und zusammen mit einem Frankfurter Genossen geleiteten Bundesarbeitskreis Jüdischer Sozialdemokratinnen und ging zu den Grünen. Heute sagt er, dass die SPD sich verändert habe, dass sie sich in ihrer Haltung gegenüber Migranten entwickelt habe.

    Jetzt ist es für die Genossen zu spät. Lagodinsky kandidierte 2019 auf dem zwölften Listenplatz der Grünen bei der Europawahl. Bei der nächsten Wahl im Juni könnte Lagodinsky auf Platz zwei der deutschen Grünen-Liste stehen.

    Realos wollen ihn auf Platz hinter Terry Reintke durchsetzen

    Die Realos haben ihn bereits intern als den Kandidaten für den zweiten Listenplatz in Deutschland benannt. Dieser steht einem Mann zu. Parteichef Omid Nouripour verhandelt mit dem Fundi-Flügel darüber, ob Lagodinsky, der politisch in Berlin-Pankow zu Hause ist und das Votum des Brandenburger Landesverbandes hat, den Platz bekommt. Terry Reintke, Fraktionschefin und zum linken Flügel gehörend, soll die deutsche Liste anführen und auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen werden.

    Sollte es im Vorfeld der Wahl bei der Bundesdelegiertenkonferenz Ende November in Karlsruhe keine Einigung zwischen den Flügeln geben, wäre auch eine Kampfkandidatur gegen den Klimapolitiker Michael Bloss denkbar. Bloss kommt aus dem starken Landesverband Baden-Württemberg und hat Rückhalt bei der Grünen Jugend. Bei den Europawahlen 2019 und 2014 waren mit Ska Keller und Sven Giegold jeweils eine Frau und ein Mann des Fundi-Flügels auf den ersten Listenplätzen. Diesmal erheben die Realos Anspruch auf Platz zwei. Lagodinsky ist ein guter Redner. Ihm wird in der Partei zugetraut, dass er in Karlsruhe das Duell gegen Bloss, der nicht gerade für seine rhetorischen Fähigkeiten bekannt ist, gewinnen würde.

    Rechts-, Digital- und Außenpolitiker

    Im Europaparlament ist Lagodinsky stellvertretender Vorsitzender im Rechtsausschuss. Er hat ein breites inhaltliches Profil. Er kämpft für Rechtsstaatlichkeit, setzt sich dafür ein, dass Orbans Ungarn und Polens PiS EU-Gelder nicht ausgezahlt werden. So hat er als Berichterstatter im Rechtsausschuss die Klage des EP gegen die Kommission wegen Untätigkeit bei der Anwendung des Konditionalitätsmechanismus vorbereitet. Dabei hat er sich mit seiner Expertise als Jurist und für internationale Beziehungen auch gegen den Wissenschaftlichen Dienst im EP positioniert.

    Sein Bericht zur länderübergreifenden Arbeit von NGOs hat im Parlament eine breite Mehrheit gefunden. Er arbeitet auch zu Künstlicher Intelligenz. Vor allem aber wird er als Außenpolitiker wahrgenommen. Im Ukraine-Krieg ergreift er klar Partei für die Ukraine. Das hat ihm, dem ehemaligen russischen Migranten, in Ostdeutschland zuweilen den Vorwurf eines Kriegstreibers eingebracht. Reinhard Bütikofer, der profilierteste Außenpolitiker bei den Grünen, hört mit den Europawahlen auf. Es ist damit zu rechnen, dass Lagodinsky seinen Sitz im Auswärtigen Ausschuss einnehmen will. Markus Grabitz

    • Europäisches Parlament
    • Europawahlen 2024

    Personalien

    Nasar Bobitski hat zum 1. Oktober die Leitung der neuen Vertretung des “Ukrainian Agribusiness Club” (UCAB) in Brüssel übernommen. Mit der Eröffnung des Büros in der EU wollen führende ukrainische Agrarunternehmen, die im UCAB organisiert sind, den Austausch zwischen Brüssel und der ukrainischen Landwirtschaftsbranche intensivieren. Bobitski hat bereits Erfahrungen in Verhandlungen mit der EU zu Handelsfragen. Seit Juli 2022 ist er beratend für das ukrainische Landwirtschaftsministerium tätig.

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    Europe.Table Redaktion

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