Table.Briefing: Europe

Euro 7 auf langer Bank + EU gespalten über Schuldenregeln + Reparaturlabel für Smartphones

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ursula von der Leyen hatte ihn im vergangenen September angekündigt, am Mittwoch nun wird die Kommission ihre Pläne für den Europäischen Souveränitätsfonds vorstellen.

In seiner finanziellen Dimension wird der Fonds keine Antwort auf den Inflation Reduction Act sein, aber er soll Investoren Orientierung bieten im Dickicht der unterschiedlichen EU-Programme: als zentrale Anlaufstelle für Mittel aus dem Europäischen Innovationsfonds, dem Europäischen Innovationsrat und InvestEU. Ein One-Stop-Shop für junge und nicht mehr junge Unternehmen, die in grüne oder digitale Technologien in Europa investieren wollen.

Die Sorge ist groß, dass viele Firmen nicht hier, sondern in den USA investieren werden, angezogen von den üppigen Steuergutschriften des IRA. Die EU hat zwar ebenfalls viele Fördermilliarden zu verteilen, aber die Programme bringen viel Papierkrieg mit sich und fördern selten die Massenfertigung.

Wie umfangreich der Souveränitätsfonds werden soll, ist noch unklar, ebenso wie die Summe, die die Kommission am Mittwoch für den mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen (MFR) nachfordern wird. Ein Betrag von 70 bis 80 Milliarden Euro, der vergangene Woche in Brüssel und Berlin kursierte, wurde in der Kommission dementiert.

Klar ist hingegen, dass die finanzielle Unterstützung der Ukraine (in Form von Krediten, aber auch Zuschüssen) in einem neuen Instrument organisiert werden soll. Angesichts des unklaren Finanzbedarfs Kiews in den nächsten Jahren sei es angebracht, die Hilfe außerhalb der Obergrenzen des MFR zu organisieren, argumentiert die Kommission.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Euro 7: Schadstoffnorm auf der langen Bank

Das Gesetzgebungsverfahren für die Schadstoffnorm Euro 7 wird zur Hängepartie. Die Aussichten, dass es noch in diesem Mandat beschlossen wird, sind gering. Im Parlament hat Berichterstatter Alexandr Vondra (EKR) Ende Mai seinen Vorschlag vorgelegt. Allerdings dürfte es schwer sein, auf dieser Grundlage einen Kompromiss zu erzielen, da der Bericht den Einwänden der Hersteller stark Rechnung trägt.

Am 27. Juni wird der Umweltausschuss (ENVI) erstmals zur Sache debattieren. Angesichts der großen Differenzen des Berichts zu Positionen von Grünen, einigen Liberalen und Sozialisten ist schwer vorstellbar, dass der Termin im Oktober für die Abstimmung über den Bericht im Plenum zu halten ist.

Mindestens genauso schwierig sind die Verhandlungen im Rat. Die ausgehende schwedische Ratspräsidentschaft hat wenig unternommen, um eine gemeinsame Linie unter den Mitgliedstaaten herzustellen. Bei einem Arbeitsgruppentreffen hat Schweden zwar letzte Woche ein Kompromisspapier vorgelegt. Doch die Substanz ist gering. Lediglich bei den Fristen für das Inkrafttreten geht das Papier auf die Kritiker zu.

Deutschland kann sich wieder einmal nicht einigen

Die Spaltung im Rat scheint sich indessen zu vergrößern: Auf der einen Seite ist die Gruppe um acht Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Tschechien, die eine Sperrminorität haben und jegliche Verschärfungen der Emissionsnormen am Auspuff ablehnen. Zu dieser Gruppe sind inzwischen Portugal und Slowenien hinzugestoßen. Spanien hat durchblicken lassen, dass es sich auch im Lager von Frankreich und der Sperrminorität sähe, aber wegen der Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte neutral bleibe.

Dagegen haben sich eine Reihe von Ländern formiert, die noch ehrgeizigere Emissionsnormen wollen als die Kommission vorschlägt: Dänemark, Niederlande, Irland, Belgien, Malta und jetzt auch Österreich. Spanien will auf dem Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September die allgemeine Ausrichtung erreichen. Da im Juli in Spanien vorgezogene Wahlen stattfinden, könnte die Regierung wechseln. Es ist anzunehmen, dass bei einem Regierungswechsel die Christdemokraten (PP) eher noch kritischer auf Euro 7 blicken als jetzt bereits die spanischen Sozialisten.

Die Bundesregierung ist auch bei diesem Thema zerstritten und kann sich nicht auf eine Position einigen: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt den Vorschlag der Kommission ab, wäre also im Lager von der Sperrminorität mit Frankreich und anderen Mitgliedstaaten. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist für ein Verschärfen. Eigentlich müsste Kanzler Olaf Scholz auch bei diesem Dossier von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und für eine Positionierung Deutschlands im Rat sorgen. Die nächsten Treffen im Rat sind für den 11. und 12. Juli angesetzt, am 19. Juli sollen sich die EU-Botschafter (Coreper) mit Euro 7 beschäftigen.

Lkw-Hersteller haben größere Sorgen als Auto-Hersteller

In der Sache wird es schwer, Kompromisse zu erzielen. Die Positionen liegen weit auseinander. Erschwerend kommt hinzu, dass der Vorschlag der Kommission die Schadstoffgrenzwerte bei allen Fahrzeuggattungen reformieren will – Pkw, leichte Nutzfahrzeuge und schwere Lkw. Während bei Pkw vor allem die Testrandbedingungen bei der Industrie für Verärgerung sorgen, sind bei Nutzfahrzeugen auch die Vorschläge für die Grenzwerte der Luftschadstoffe sehr ambitioniert. Die Industrie sagt, dass sie teils auch nicht mit hohem technischem Aufwand zu erreichen seien.

Am ehesten dürfte noch der Konflikt um die Einführungsfristen zu lösen sein. Die geplante Einführung bei Pkw im Sommer 2025 ist unrealistisch. In Brüssel heißt es, womöglich ist der Termin auf einen redaktionellen Fehler zurückzuführen. Für neue Pkw-Modelle könne Euro 7 frühestens 24 Monate nach Inkrafttreten, also im Herbst 2026, und für alle bereits im Markt befindlichen Modelle ein Jahr später kommen.  Bei schweren Nutzfahrzeugen könne die Schadstoffnorm möglichst erst 2030 in Kraft treten, wenn auch die CO₂-Flottengrenzwerte verschärft werden.

China und USA arbeiten auch an Schadstoffnormen

Die Hersteller beobachten die Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren mit Unruhe. Sowohl in China als auch in den USA sind neue Schadstoffnormen in Arbeit. Die Hersteller rechnen damit, dass die Kommission auch daher im Zugzwang ist und bei einem Scheitern des Gesetzgebungsverfahrens für Euro 7 dennoch handeln würde. Über das Komitologieverfahren könnte sie die Euro 6/VI-Schadstoffnorm verschärfen. Sollte es etwa zu “Euro 6 f” über dieses Verfahren kommen, läge die Gesetzgebungskompetenz sehr stark bei der Kommission; Europaparlament und Mitgliedstaaten wären weitgehend außen vor.

  • Autoindustrie

Ruben Andersson: “Verstärkung der Grenzen hat Migrationsproblem bloß verschoben”

Herr Andersson, als Migrationsforscher haben Sie den Begriff der europäischen “Grenzsicherung als Geschäft” (business of bordering Europe) geprägt. Was verstehen Sie darunter?

Lange vor der sogenannten Migrationskrise habe ich in den frühen 2000er-Jahren beobachtet, wie die EU zur Migrationskontrolle immer mehr auf Überwachungstechnologie, Grenzpatrouillen und die Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten setzt. Solche Maßnahmen führen aber in der Regel zu mehr Problemen und Krisen an den europäischen Außengrenzen oder darüber hinaus in Drittländern. Konkret etwa durch Gewalt an den Grenzen, durch eine Verlagerung der Migrationsrouten in gefährlichere Gebiete und eine Stärkung von Schleusernetzwerken. Diese Probleme dienen dann wiederum als Rechtfertigung für noch mehr Grenzsicherung.

Wer profitiert davon?

Zu den Nutznießern gehören beispielsweise bestimmte politische Akteure in den Ziel- und Transitstaaten. Schmuggler profitieren davon, dass Migranten auf gefährlichere Routen gedrängt werden. In den letzten Jahrzehnten schüren aber auch Grenzschutzbehörden gezielt die Angst vor Migration, um an öffentliche Gelder zu kommen. Damit haben sie erreicht, dass Migration heute fast ausschließlich als Sicherheitsproblem behandelt wird, nicht etwa als Arbeits- oder Schutzfrage. Damit konnten sie ihre Rolle und die der Innenministerien in der Lösung des Migrationsproblems stärken und neue Investitionen, Hightech-Ausrüstung, Infrastruktur und Personal rechtfertigen.

Welche Rolle spielt die Privatwirtschaft?

Die private Verteidigungsbranche investiert ebenfalls stark in die Grenzsicherung, und zwar schon seit Jahrzehnten. Sie setzt sich für mehr Gelder und Überwachung als Lösung für die eigentlich politische, soziale und wirtschaftliche Herausforderung der internationalen Migration ein. Unterschiedliche Studien bestätigen, dass sich eine Symbiose entwickelt hat zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Sicherheitsapparat einerseits und der privaten Sicherheits- und Verteidigungsbranche andererseits. Sie alle fordern eine Sicherheitslösung für die Migrationsbekämpfung, und das ungeachtet der nachteiligen Auswirkungen einer solchen Lösung. Denn Letztere hat einer ganzen Reihe von Akteuren innerhalb und außerhalb des Sicherheitssektors politische und finanzielle Vorteile verschafft.

Sie befassen sich schon seit Längerem mit der Migrationskontrolle. Gibt es zurzeit neue Lösungsansätze?

Die jüngsten Vorschläge, Mitteilungen und Aktionspläne der Kommission recyceln im Wesentlichen alte Ideen aus den letzten zwanzig oder dreißig Jahren: Zusammenarbeit mit Partnerländern, integrierter Grenzschutz, Zusammenarbeit bei der Rückführung, verstärkter Einsatz von Überwachungs- und Sicherheitstechnologien. All dies wird längst angewendet und dennoch erneut als neue Lösungen präsentiert.

Der Schwerpunkt verlagert sich jedoch auf technologische Lösungen. Immer mehr Anbieter aus dem privaten Sektor werden als Teil der Lösung herangezogen. Insbesondere seit 2015 positionieren sich Unternehmensberatungen, Big Data und Big Tech-Unternehmen als Antwort auf die Migrationsfrage.

Und können sie das Problem lösen?

Die Lösung der sogenannten Migrationskrise kann niemals technologisch sein. Sie muss politisch sein. Und oft ignorieren diese Grenzschutzstrategien die Frage, welche Migrationspolitik wir in Europa eigentlich wollen. Zum Beispiel: Welche Kompromisse zwischen Migrationskontrolle und Menschenrechten sind die Politiker und Wähler bereit einzugehen? Welche Beziehungen wollen wir zu den Ländern in der europäischen Nachbarschaft aufbauen? Wie gehen wir mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Herkunft- und Zielländer um?

Die Politiker können all diesen Fragen recht gelassen entgegentreten: Die massive Investition von politischem und finanziellem Kapital in die Verstärkung der Grenze – koste es, was es wolle,- hat das Migrationsproblem in andere Länder verschoben. Kurzfristig können einige Akteure daraus politisches Kapital schlagen, aber längerfristig schaffen wir damit eine Menge Probleme für die Zukunft.

Welche Probleme sind das?

Die Migrationszahlen in Europa mögen zurückgegangen sein, aber diese Lösungen helfen kaum dabei, die zugrunde liegenden politischen, demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu lösen, die Migration und Flüchtlingsströme begünstigen. Und wenn die europäischen Staaten Migration als existenzielles Risiko betrachten und Nachbarstaaten dazu drängen, die Grenzen zu sichern und zu militarisieren, wird es diesen Staaten sehr leicht fallen, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Im Zuge Ihrer Arbeit haben Sie viele der technischen Lösungen der Migrationsbekämpfung aus erster Hand gesehen. Was waren Ihre Eindrücke?

Es gibt eine Menge überschüssiger Technologie. Für viele Verteidigungsunternehmen und andere Technologieanbieter ist die Grenzsicherung zu einer Art Testlabor geworden, in dem sie Dual-Use-Technologien entwickeln und erproben, um im Bereich der zivilen Sicherheit Fuß zu fassen. Es gibt eine Masse an Technologie, aber wenig Beweise dafür, was diese bei der Migrationskontrolle überhaupt leisten können. Unter den Grenzschützern selbst herrscht große Skepsis gegenüber diesen Technologien. Es gab viele übertriebene Behauptungen darüber, wie viel technologische Lösungen erreichen können.

Für die nationalen Behörden und für Frontex war es sehr einfach, solche Technologien als magische Lösung zu präsentieren. Ich habe das vor mehr als einem Jahrzehnt in Aktion erlebt, als das Europäische Außengrenzüberwachungssystem (Eurosur) im Mittelmeerraum eingeführt wurde. Innerhalb der Strafverfolgungsbehörden gab es viele Stimmen, die diese Investitionen als reine Augenwischerei bezeichneten: Eine Show, die darauf abzielt, ein sehr sauberes, transparentes Bild davon zu vermitteln, wie die Grenzen funktionieren. Diese Sichtweise hat jedoch nichts mit der Realität zu tun, wo der Grenzschutz von guten Beziehungen zu den europäischen Nachbarn und der Arbeit vor Ort abhängt.

Gibt es ethische Bedenken im Hinblick auf den Einsatz technologischer Lösungen zur Migrationskontrolle?

Im Bereich der künstlichen Intelligenz oder der Überwachung von Migranten haben sich die Technologien in den letzten Jahren so rasant entwickelt, dass wir nun vor einem weiteren Problem stehen: Inwieweit haben Regierungen und Bürger noch die Kontrolle über diesen immer ausgeklügelteren Überwachungsapparat? Diese Technologien dringen nicht nur in das Leben der Migranten, ihre Würde und ihre Rechte ein, sondern zunehmend auch in das Leben der Bürger innerhalb und außerhalb der EU. Und das, obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, ob diese Systeme überhaupt ihren erklärten Zweck erfüllen. Es ist eine beunruhigende Entwicklung und müssen uns politisch und rechtlich damit auseinandersetzen.

Hat sich die Art und Weise, wie über Migration gesprochen wird, zusammen mit diesem technologischen Wandel verändert?

Als ich um 2010 an der spanisch-afrikanischen Grenze arbeitete, gab es noch einen humanitären Diskurs über die Migration übers Mittelmeer. Heute haben wir es mit einer militarisierten Vorstellung und Darstellung der Außengrenzen zu tun, in der die Migration mit anderen Themen wie Schmuggel, Menschenhandel, Terrorismus, Instabilität und sogar Epidemiologie und Krankheiten vermischt wird. An den Grenzen treffen eine Reihe von Ängsten und Gefahren zusammen. Migration wird als Bindeglied zwischen all diesen Faktoren dargestellt. Es ist eine zunehmend entmenschlichende Sprache, die es uns nicht erlaubt, die zugrunde liegenden politischen Nuancen zu sehen, wie etwa die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, die zur Migration führen.

  • Frontex
  • Überwachungstechnologie

News

Europa gespalten über Reform der Schuldenregeln

Die Europäische Union ist gespalten über die Reform der europäischen Schuldenregeln. In einer ersten Aussprache der Finanzminister nach Vorlage der Gesetzesvorschläge stellte eine Gruppe unter Führung Deutschlands heraus, es müsse im künftigen Fiskalregelwerk einheitliche Regeln für alle EU-Staaten geben. Eine andere Gruppe um Frankreich setzt indes auf individuelle Haushaltspläne zum Abbau der Schulden und zur Stärkung von Wachstum. In der öffentlichen Sitzung antwortete Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire auf die deutsche Forderung: “Unsere Antwort lautet ganz klar ‘Nein’ und zwar aus Gründen, die auf unsere Erfahrungen in der Vergangenheit zurückzuführen sind”.

Laut Le Maire habe der Ansatz einheitlicher Regeln nicht funktioniert. Dies habe zu katastrophalen Auswirkungen für die EU geführt, “die auch mit politischen Fragen zu tun haben, nämlich der Achtung der Souveränität der Staaten”. Der französische Finanzminister erinnerte daran, “dass die Europäische Union nach wie vor auf der Souveränität der Nationen und Staaten aufgebaut ist.” Dagegen stellte der deutsche Finanzminister Christian Lindner in der Sitzung klar, die europäische Stabilitäts- und Wachstumspolitik könne nur mit einem einheitlichen Regelwerk funktionieren: “Wir brauchen gemeinsame Regeln, die für alle gleich sind”, sagte er am Freitag in Luxemburg.

Lindner hat sich dazu die Unterstützung von weiteren EU-Staaten gesichert. Zusammen mit Amtskollegen aus zehn Mitgliedstaaten forderte er in einem Gastbeitrag, der unter anderem in der italienischen “La Repubblica” erschien, die Regeln straffer auszugestalten als von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Unterzeichnet haben den Beitrag die Minister Österreichs, der Tschechischen Republik, Dänemarks, der drei baltischen Staaten, Kroatiens, Sloweniens, Bulgariens und Luxemburgs. Die Niederlande, sonst enger Verbündeter Berlin in der Fiskalpolitik, sind nicht mit von der Partie, forderten in Luxemburg aber ebenfalls klare Vorgaben, um einen glaubwürdigen Schuldenabbau zu erreichen.

Forderung nach klaren numerischen Vorgaben

Österreichs Finanzminister Magnus Brunner machte an einem Beispiel deutlich, worauf es in der Reform ankomme. Der Vorschlag der Kommission sehe etwa vor, dass der Schuldenstand nach Ablauf der mittelfristigen Haushaltsperiode unter dem Niveau zum Einstieg liegen müsse. Aber was bedeute dies genau: “Wenn der Schuldenstand zu Beginn bei 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, reicht es dann, wenn er zum Ende 139 Prozent beträgt?” Hier müsse es klare numerische Vorgaben geben. Der deutsche Finanzminister fordert unter anderem, dass Staaten mit hohen Verbindlichkeiten die Schulden um mindestens ein Prozent pro Jahr senken müssen.

Aktuell ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des
russischen Angriffs auf die Ukraine bis Ende des Jahres ausgesetzt. Bis dahin müssen die EU-Staaten zusammen mit dem Europäischen Parlament das neue Regelwerk verabschieden, sonst greifen die bisherigen Vorschriften. Angesichts der tiefen Spaltung in zwei Lager erscheint das jedoch äußerst ambitioniert, auch wenn sämtliche Minister in Luxemburg eine konstruktive Haltung hinsichtlich der kommenden Verhandlungen signalisiert haben. Die Kommission hatte Mitte April vorgeschlagen, den Staaten über individuelle mehrjährige Haushaltspläne mehr Flexibilität bei Abbau von Schulden sowie Reform und Investitionen zur Stärkung des Wachstums einzuräumen. cr/ dpa

Keine ernsthaften Kandidaten für Hoyer-Nachfolge bei der EIB

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft hatte den 16. Juni als Deadline gesetzt, um Kandidaten für die Nachfolge von Werner Hoyer an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu benennen. Den Finger gehoben haben lediglich Italien und Polen. Rom hat den früheren Wirtschaftsminister Daniele Franco ins Rennen geschickt, Warschau die aktuelle EIB-Vizepräsidentin Teresa Czerwinska. Beiden werden aber kaum Chance für die Hoyer-Nachfolge eingeräumt.

Auch wenn der Italiener Franco über einen tadellosen Lebenslauf verfügt, der ihn absolut für den Job an der Spitze der EU-Hausbank qualifiziert, dürfte er aufgrund seines Alters mit 70 Jahren kein ernsthafter Kandidat sein. Bei der Polin Czerwinska glaubt niemand, dass die EU-Staaten der aktuellen PiS-Regierung in Warschau einen EU-Topjob anbieten. Franco und Czerwinska gelten daher als Statthalter ihrer Staaten für andere hochrangige EU-Posten.

Überhaupt halten sich die Schwergewichte auffällig zurück. Gehandelt worden waren zuletzt die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis und Margrethe Vestager. Dombrovskis, so heisst es jetzt, soll sich ein weiteres Mandat in der EU-Kommission nach der Europawahl 2024 gesichert haben, und Vestager steht die landeseigene Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Weg. Diese, so wird kolportiert, wolle Jens Stoltenberg bei der Nato nachfolgen, und habe deshalb kein Interesse, ihre Landsfrau bei der EIB zu pushen.

Maximal bis Oktober Zeit für fristgerechte Nachfolge

Bleibt als potenzielle Kandidaten und Schwergewicht im Rennen um den EIB-Job die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Allerdings hat Premier Pedro Sánchez für den 23. Juli vorgezogene Neuwahlen in Spanien ausgerufen – mit offenem Ausgang. Zwar hätte das Land, das zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, damit die besten Trümpfe in der Hand, Calviño an der Spitze der EU-Hausbank zu platzieren. Allerdings spricht es eher gegen die politischen Usancen, bei einer Niederlage noch schnell ein Mitglied der aktuellen Regierung auf einen Spitzenposten in der EU zu hieven.

Das Rennen ist daher weiter offen, und sicher ist nur: Vor dem 23. Juli wird sich nichts tun. Klar ist aber auch: Die Nachfolge soll bis Jahresende stehen, der EIB-Job soll nicht in das Personalkarussell nach der Europa-Wahl eingebunden werden. Das hat Belgiens Finanzminister Vincent Van Peteghem, aktuell Vorsitzender des EIB-Verwaltungsrats, intern der Bank vermittelt. Damit bleibt maximal bis Oktober Zeit, eine fristgerechte Nachfolge für Hoyer zu finden. Ansonsten können die internen Abläufe, etwa eine Überprüfung der Kandidaten durch das hausinterne Ethikkomitee, nicht mehr gewährleistet werden. tho

Neues Energielabel und Reparaturindex für Smartphones und Tablets

Die EU-Kommission hat am vergangenen Freitag einen Vorschlag für ein neues Label für Smartphones, schnurlose Telefone und Tablets vorgestellt. Dieses soll Informationen über die Energieeffizienz der Geräte, die Langlebigkeit des Akkus, den Schutz vor Staub und Wasser und die Widerstandsfähigkeit gegen versehentliches Herunterfallen offenlegen. Damit muss erstmals ein in der EU auf den Markt gebrachtes Produkt eine Bewertung seiner Reparaturfähigkeit aufweisen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auf diese Weise fundiertere und nachhaltigere Kaufentscheidungen treffen, erklärte die Kommission.

Für die neuen Produkte werden die bestehenden und bekannten EU-Energieetiketten der Skala A bis G verwendet. Die EU-weite Datenbank European Product Registry for Energy Labels (EPREL) soll zusätzliche Informationen über das Produkt liefern. 

Der delegierte Rechtsakt fällt unter die Energieverbrauchskennzeichnungs-Verordnung. Er wird nun dem EU-Parlament und dem Rat zu einer zweimonatigen Prüfung vorgelegt. Ein weiterer Vorschlag mit neuen Ökodesign-Vorgaben für die gleichen Produktgruppen, die auf eine Steigerung der Energieeffizienz, Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit dieser Geräte abzielen, wurde am Freitag von Parlament und Rat angenommen. Dieser fällt unter die Ökodesign-Richtlinie, welche die Umweltwirkungen von energieverbrauchsrelevanten Produkten reduzieren soll. Beide Rechtsakte sollen gleichzeitig in Kraft treten. Dann gilt zunächst eine 21-monatige Übergangszeit. leo

WEEE-Richtlinie: Kommission konsultiert zu Recycling kritischer Rohstoffe

Die EU-Kommission will die Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE-Richtlinie) überprüfen und führt deshalb bis zum 22. September eine Konsultation durch. Interessengruppen, Bürgerinnen und Bürger sollen helfen, Geräte mit Anteilen kritischer Rohstoffe zu identifizieren und die bestehenden Recyclingpraktiken für diese Materialien ausfindig zu machen.

Die Kommission will anhand der Rückmeldungen die Richtlinie im Hinblick auf den Zugang zu wichtigen Rohstoffen, den erhöhten Verbrauch und die Digitalisierung neu bewerten und Lücken bei der Umsetzung und Durchsetzung erkennen. Je nach Ergebnis könnte sie eine Überarbeitung der WEEE-Richtlinie erwägen. Diese wurde 2002 verabschiedet und 2012 erstmals überarbeitet.

Abfälle aus Elektro- und Elektronikgeräten gehöre zu den am schnellsten wachsenden Abfallströmen, heißt es in einer Pressemitteilung der Kommission. Sie enthalten wertvolle Rohstoffe, deren Rückgewinnung für eine stärker kreislauforientierte Wirtschaft und für die strategische Autonomie der EU von entscheidender Bedeutung seien. leo

  • kritische Rohstoffe

Presseschau

Erneuerbare Energien: EU setzt Zielmarke deutlich höher TAGESSCHAU
EU states back nuclear energy while diluting biodiversity reforms FT
Schweizer stimmen für Klimaneutralität und höhere Steuern SPIEGEL
Polen hat jüngstes Fischsterben in der Oder nicht offiziell gemeldet ZEIT
Intel will Chipfabrik im polnischen Breslau bauen TAGESSCHAU
Taiwan will für engeren Kontakt mit der EU in Chipproduktion investieren HANDELSBLATT
So will die EU jetzt Googles Macht brechen WELT
Staatstrojaner: EU-Länder wollen Blankoscheck zum Ausspionieren von Journalisten HEISE
Schlechte Chancen für Europas Solarindustrie FAZ
Unternehmen erwarten Verlust industrieller Produktionskapazitäten in Europa WELT
Gentechnik in Lebensmitteln – Forschungsministerin Stark-Watzinger lobt EU-Pläne für Lockerung RND
Kommentar: Der Nutzen des digitalen Euros ist klein, der Aufwand immens HANDELSBLATT
EU to implement connected underwater tech to study and protect oceans INTERESTINGENGINEERING
EU-Kommission bringt Reparatur- und Energielabel für Handys auf den Weg HEISE
Mitsotakis weist Kritik an Rettungsaktion nach Schiffsunglück zurück WELT
Inflationsrate im Euroraum geht leicht zurück ZEIT

Heads

Malte Gallée – Advokat der jungen Menschen

Malte Gallée sitzt seit Januar 2022 für die Grünen/EFA im Europaparlament. Foto: Jana Margarete Schuler.

Malte Gallée eilt energisch durch die langen Gänge des Brüsseler Parlamentsgebäudes. Er kommt gerade von einer Plenarsitzung zurück und ist sehr zufrieden, denn für seine Fraktion war der Sitzungstag “ein voller Erfolg”. Gerade wurde das Lieferkettengesetz abgestimmt. “Wir haben es zu einem sehr großen Teil nach unseren Vorstellungen durchbekommen”, freut er sich. In seinem Büro angekommen, ragen im Hintergrund neben einer prominenten Europaflagge diverse Fahnen in den Regenbogenfarben der LGBTQ-Community hervor. 

Bei der Europawahl 2019, damals noch Student der Philosophie und Volkswirtschaftslehre an der Uni Bayreuth, verpasste Gallée den Einzug ins Parlament knapp. Doch als Sven Giegold im Dezember 2021 ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wechselte, rückte er für die Grünen nach. Mitten im laufenden Betrieb dazuzustoßen fühlte sich an “wie auf einen rasenden Dampfer auf voller Fahrt aufzuspringen.” Er ist seitdem ständiges Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und stellvertretend im Entwicklungsausschuss (DEVE) sowie dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO). Sein Wahlkreisbüro liegt in Bamberg. 

Mit 29 Jahren ist Malte Gallée der jüngste deutsche Europaabgeordnete. Bei der Europawahl 2014 war er enttäuscht, wie wenig junge Menschen kandidierten und entschloss sich, bei der nächsten Wahl selbst anzutreten. Nun sieht er sich in der Pflicht, “Politik besonders für junge Menschen zugänglich zu machen”. Auf sozialen Plattformen wie Tik Tok gibt er sich nahbar und vermittelt seine Inhalte in kurzen, oft unterhaltsamen Videos. Für politischen Aktivismus wie die Gruppe Letzte Generation zeigt er, anders als einige seiner Parteikolleginnen und -kollegen, vollstes Verständnis und Sympathie. Er selbst wurde als Jugendlicher durch die Reaktorkatastrophe von Fukushima politisiert. 

Ich finde das Konzept Müll an sich falsch”

Auch inhaltlich setzt er sich für die Interessen der jungen und nachkommenden Generationen ein. Oder wie er sagt: “Alles, was irgendwie Umwelt und Klima tangiert.” Sein Herzensthema ist die Kreislaufwirtschaft. Denn Gallée ist überzeugt: “Wir müssen es schaffen, unseren Wohlstand vom Ressourcenverbrauch loszukoppeln. Das ist essenziell, damit wir noch gut auf dem Planeten leben können, ohne ihn kaputt zu machen. Und das Ganze muss natürlich global gerecht geschehen.” Konkret arbeitet er vor allem an Dossiers wie dem Recht auf Reparatur und der Verpackungsverordnung. Als Schattenberichterstatter hat er außerdem die Batterieverordnung mitverhandelt, welche er als “bahnbrechend” bezeichnet und zu seinen größten Erfolgen im Parlament zählt. 

Ganz grundlegend stellt er “unsere Definition von Müll und wer dafür verantwortlich ist” infrage. Mit der Verpackungsverordnung, die Regeln für alle verpackten Produkte auf dem europäischen Markt festlegt, möchte Gallée unter anderem erreichen, dass Mehrwegalternativen, zum Beispiel bei Essensboxen zum Mitnehmen, immer günstiger sein müssen, als Einwegverpackungen. Doch das geht ihm nicht weit genug. In seiner Utopie gebe es einen Systemwechsel, in dem Hersteller zur Verantwortung gezogen werden, alle Verpackungen, die sie produzieren, auch wieder zurückzunehmen. Dann, so seine Idee, brächten Hersteller nur noch wiederverwendbare Produkte auf den Markt. “Ich finde das Konzept Müll an sich falsch”, sagt er. “In einer Welt mit begrenzten Ressourcen können wir es uns nicht leisten, irgendeiner Sache den Wert von null zu geben.” 

Seine grüne Energie ist noch lange nicht erschöpft

Die wenige Freizeit, die ihm bleibt, gestaltet er auch gerne grün. Mittlerweile habe er 60 Pflanzen zuhause, die er hegt und pflegt und zu denen er “eine sehr innige Beziehung” aufgebaut habe. Ein wichtiger Ausgleich zu den langen und stressigen Tagen. 

Dennoch, die nur halbe Amtszeit im Europäischen Parlament ist Malte Gallée zu kurz. Jetzt, wo er mittlerweile weiß “wie der Laden läuft”, möchte er nicht aufhören und kandidiert für die Europawahl 2024. Das Spitzenvotum der Grünen aus Bayern hat er bereits in der Tasche. Wie aussichtsreich seine Chance stehen, entscheidet sich bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im November. Für ihn steht fest: “Ich habe auf jeden Fall Bock und glaube, dass ich vor allem für junge Menschen noch viel anstoßen kann.” Clara Baldus

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Ursula von der Leyen hatte ihn im vergangenen September angekündigt, am Mittwoch nun wird die Kommission ihre Pläne für den Europäischen Souveränitätsfonds vorstellen.

    In seiner finanziellen Dimension wird der Fonds keine Antwort auf den Inflation Reduction Act sein, aber er soll Investoren Orientierung bieten im Dickicht der unterschiedlichen EU-Programme: als zentrale Anlaufstelle für Mittel aus dem Europäischen Innovationsfonds, dem Europäischen Innovationsrat und InvestEU. Ein One-Stop-Shop für junge und nicht mehr junge Unternehmen, die in grüne oder digitale Technologien in Europa investieren wollen.

    Die Sorge ist groß, dass viele Firmen nicht hier, sondern in den USA investieren werden, angezogen von den üppigen Steuergutschriften des IRA. Die EU hat zwar ebenfalls viele Fördermilliarden zu verteilen, aber die Programme bringen viel Papierkrieg mit sich und fördern selten die Massenfertigung.

    Wie umfangreich der Souveränitätsfonds werden soll, ist noch unklar, ebenso wie die Summe, die die Kommission am Mittwoch für den mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen (MFR) nachfordern wird. Ein Betrag von 70 bis 80 Milliarden Euro, der vergangene Woche in Brüssel und Berlin kursierte, wurde in der Kommission dementiert.

    Klar ist hingegen, dass die finanzielle Unterstützung der Ukraine (in Form von Krediten, aber auch Zuschüssen) in einem neuen Instrument organisiert werden soll. Angesichts des unklaren Finanzbedarfs Kiews in den nächsten Jahren sei es angebracht, die Hilfe außerhalb der Obergrenzen des MFR zu organisieren, argumentiert die Kommission.

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    Euro 7: Schadstoffnorm auf der langen Bank

    Das Gesetzgebungsverfahren für die Schadstoffnorm Euro 7 wird zur Hängepartie. Die Aussichten, dass es noch in diesem Mandat beschlossen wird, sind gering. Im Parlament hat Berichterstatter Alexandr Vondra (EKR) Ende Mai seinen Vorschlag vorgelegt. Allerdings dürfte es schwer sein, auf dieser Grundlage einen Kompromiss zu erzielen, da der Bericht den Einwänden der Hersteller stark Rechnung trägt.

    Am 27. Juni wird der Umweltausschuss (ENVI) erstmals zur Sache debattieren. Angesichts der großen Differenzen des Berichts zu Positionen von Grünen, einigen Liberalen und Sozialisten ist schwer vorstellbar, dass der Termin im Oktober für die Abstimmung über den Bericht im Plenum zu halten ist.

    Mindestens genauso schwierig sind die Verhandlungen im Rat. Die ausgehende schwedische Ratspräsidentschaft hat wenig unternommen, um eine gemeinsame Linie unter den Mitgliedstaaten herzustellen. Bei einem Arbeitsgruppentreffen hat Schweden zwar letzte Woche ein Kompromisspapier vorgelegt. Doch die Substanz ist gering. Lediglich bei den Fristen für das Inkrafttreten geht das Papier auf die Kritiker zu.

    Deutschland kann sich wieder einmal nicht einigen

    Die Spaltung im Rat scheint sich indessen zu vergrößern: Auf der einen Seite ist die Gruppe um acht Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Tschechien, die eine Sperrminorität haben und jegliche Verschärfungen der Emissionsnormen am Auspuff ablehnen. Zu dieser Gruppe sind inzwischen Portugal und Slowenien hinzugestoßen. Spanien hat durchblicken lassen, dass es sich auch im Lager von Frankreich und der Sperrminorität sähe, aber wegen der Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte neutral bleibe.

    Dagegen haben sich eine Reihe von Ländern formiert, die noch ehrgeizigere Emissionsnormen wollen als die Kommission vorschlägt: Dänemark, Niederlande, Irland, Belgien, Malta und jetzt auch Österreich. Spanien will auf dem Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September die allgemeine Ausrichtung erreichen. Da im Juli in Spanien vorgezogene Wahlen stattfinden, könnte die Regierung wechseln. Es ist anzunehmen, dass bei einem Regierungswechsel die Christdemokraten (PP) eher noch kritischer auf Euro 7 blicken als jetzt bereits die spanischen Sozialisten.

    Die Bundesregierung ist auch bei diesem Thema zerstritten und kann sich nicht auf eine Position einigen: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt den Vorschlag der Kommission ab, wäre also im Lager von der Sperrminorität mit Frankreich und anderen Mitgliedstaaten. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist für ein Verschärfen. Eigentlich müsste Kanzler Olaf Scholz auch bei diesem Dossier von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und für eine Positionierung Deutschlands im Rat sorgen. Die nächsten Treffen im Rat sind für den 11. und 12. Juli angesetzt, am 19. Juli sollen sich die EU-Botschafter (Coreper) mit Euro 7 beschäftigen.

    Lkw-Hersteller haben größere Sorgen als Auto-Hersteller

    In der Sache wird es schwer, Kompromisse zu erzielen. Die Positionen liegen weit auseinander. Erschwerend kommt hinzu, dass der Vorschlag der Kommission die Schadstoffgrenzwerte bei allen Fahrzeuggattungen reformieren will – Pkw, leichte Nutzfahrzeuge und schwere Lkw. Während bei Pkw vor allem die Testrandbedingungen bei der Industrie für Verärgerung sorgen, sind bei Nutzfahrzeugen auch die Vorschläge für die Grenzwerte der Luftschadstoffe sehr ambitioniert. Die Industrie sagt, dass sie teils auch nicht mit hohem technischem Aufwand zu erreichen seien.

    Am ehesten dürfte noch der Konflikt um die Einführungsfristen zu lösen sein. Die geplante Einführung bei Pkw im Sommer 2025 ist unrealistisch. In Brüssel heißt es, womöglich ist der Termin auf einen redaktionellen Fehler zurückzuführen. Für neue Pkw-Modelle könne Euro 7 frühestens 24 Monate nach Inkrafttreten, also im Herbst 2026, und für alle bereits im Markt befindlichen Modelle ein Jahr später kommen.  Bei schweren Nutzfahrzeugen könne die Schadstoffnorm möglichst erst 2030 in Kraft treten, wenn auch die CO₂-Flottengrenzwerte verschärft werden.

    China und USA arbeiten auch an Schadstoffnormen

    Die Hersteller beobachten die Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren mit Unruhe. Sowohl in China als auch in den USA sind neue Schadstoffnormen in Arbeit. Die Hersteller rechnen damit, dass die Kommission auch daher im Zugzwang ist und bei einem Scheitern des Gesetzgebungsverfahrens für Euro 7 dennoch handeln würde. Über das Komitologieverfahren könnte sie die Euro 6/VI-Schadstoffnorm verschärfen. Sollte es etwa zu “Euro 6 f” über dieses Verfahren kommen, läge die Gesetzgebungskompetenz sehr stark bei der Kommission; Europaparlament und Mitgliedstaaten wären weitgehend außen vor.

    • Autoindustrie

    Ruben Andersson: “Verstärkung der Grenzen hat Migrationsproblem bloß verschoben”

    Herr Andersson, als Migrationsforscher haben Sie den Begriff der europäischen “Grenzsicherung als Geschäft” (business of bordering Europe) geprägt. Was verstehen Sie darunter?

    Lange vor der sogenannten Migrationskrise habe ich in den frühen 2000er-Jahren beobachtet, wie die EU zur Migrationskontrolle immer mehr auf Überwachungstechnologie, Grenzpatrouillen und die Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten setzt. Solche Maßnahmen führen aber in der Regel zu mehr Problemen und Krisen an den europäischen Außengrenzen oder darüber hinaus in Drittländern. Konkret etwa durch Gewalt an den Grenzen, durch eine Verlagerung der Migrationsrouten in gefährlichere Gebiete und eine Stärkung von Schleusernetzwerken. Diese Probleme dienen dann wiederum als Rechtfertigung für noch mehr Grenzsicherung.

    Wer profitiert davon?

    Zu den Nutznießern gehören beispielsweise bestimmte politische Akteure in den Ziel- und Transitstaaten. Schmuggler profitieren davon, dass Migranten auf gefährlichere Routen gedrängt werden. In den letzten Jahrzehnten schüren aber auch Grenzschutzbehörden gezielt die Angst vor Migration, um an öffentliche Gelder zu kommen. Damit haben sie erreicht, dass Migration heute fast ausschließlich als Sicherheitsproblem behandelt wird, nicht etwa als Arbeits- oder Schutzfrage. Damit konnten sie ihre Rolle und die der Innenministerien in der Lösung des Migrationsproblems stärken und neue Investitionen, Hightech-Ausrüstung, Infrastruktur und Personal rechtfertigen.

    Welche Rolle spielt die Privatwirtschaft?

    Die private Verteidigungsbranche investiert ebenfalls stark in die Grenzsicherung, und zwar schon seit Jahrzehnten. Sie setzt sich für mehr Gelder und Überwachung als Lösung für die eigentlich politische, soziale und wirtschaftliche Herausforderung der internationalen Migration ein. Unterschiedliche Studien bestätigen, dass sich eine Symbiose entwickelt hat zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Sicherheitsapparat einerseits und der privaten Sicherheits- und Verteidigungsbranche andererseits. Sie alle fordern eine Sicherheitslösung für die Migrationsbekämpfung, und das ungeachtet der nachteiligen Auswirkungen einer solchen Lösung. Denn Letztere hat einer ganzen Reihe von Akteuren innerhalb und außerhalb des Sicherheitssektors politische und finanzielle Vorteile verschafft.

    Sie befassen sich schon seit Längerem mit der Migrationskontrolle. Gibt es zurzeit neue Lösungsansätze?

    Die jüngsten Vorschläge, Mitteilungen und Aktionspläne der Kommission recyceln im Wesentlichen alte Ideen aus den letzten zwanzig oder dreißig Jahren: Zusammenarbeit mit Partnerländern, integrierter Grenzschutz, Zusammenarbeit bei der Rückführung, verstärkter Einsatz von Überwachungs- und Sicherheitstechnologien. All dies wird längst angewendet und dennoch erneut als neue Lösungen präsentiert.

    Der Schwerpunkt verlagert sich jedoch auf technologische Lösungen. Immer mehr Anbieter aus dem privaten Sektor werden als Teil der Lösung herangezogen. Insbesondere seit 2015 positionieren sich Unternehmensberatungen, Big Data und Big Tech-Unternehmen als Antwort auf die Migrationsfrage.

    Und können sie das Problem lösen?

    Die Lösung der sogenannten Migrationskrise kann niemals technologisch sein. Sie muss politisch sein. Und oft ignorieren diese Grenzschutzstrategien die Frage, welche Migrationspolitik wir in Europa eigentlich wollen. Zum Beispiel: Welche Kompromisse zwischen Migrationskontrolle und Menschenrechten sind die Politiker und Wähler bereit einzugehen? Welche Beziehungen wollen wir zu den Ländern in der europäischen Nachbarschaft aufbauen? Wie gehen wir mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Herkunft- und Zielländer um?

    Die Politiker können all diesen Fragen recht gelassen entgegentreten: Die massive Investition von politischem und finanziellem Kapital in die Verstärkung der Grenze – koste es, was es wolle,- hat das Migrationsproblem in andere Länder verschoben. Kurzfristig können einige Akteure daraus politisches Kapital schlagen, aber längerfristig schaffen wir damit eine Menge Probleme für die Zukunft.

    Welche Probleme sind das?

    Die Migrationszahlen in Europa mögen zurückgegangen sein, aber diese Lösungen helfen kaum dabei, die zugrunde liegenden politischen, demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu lösen, die Migration und Flüchtlingsströme begünstigen. Und wenn die europäischen Staaten Migration als existenzielles Risiko betrachten und Nachbarstaaten dazu drängen, die Grenzen zu sichern und zu militarisieren, wird es diesen Staaten sehr leicht fallen, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen.

    Im Zuge Ihrer Arbeit haben Sie viele der technischen Lösungen der Migrationsbekämpfung aus erster Hand gesehen. Was waren Ihre Eindrücke?

    Es gibt eine Menge überschüssiger Technologie. Für viele Verteidigungsunternehmen und andere Technologieanbieter ist die Grenzsicherung zu einer Art Testlabor geworden, in dem sie Dual-Use-Technologien entwickeln und erproben, um im Bereich der zivilen Sicherheit Fuß zu fassen. Es gibt eine Masse an Technologie, aber wenig Beweise dafür, was diese bei der Migrationskontrolle überhaupt leisten können. Unter den Grenzschützern selbst herrscht große Skepsis gegenüber diesen Technologien. Es gab viele übertriebene Behauptungen darüber, wie viel technologische Lösungen erreichen können.

    Für die nationalen Behörden und für Frontex war es sehr einfach, solche Technologien als magische Lösung zu präsentieren. Ich habe das vor mehr als einem Jahrzehnt in Aktion erlebt, als das Europäische Außengrenzüberwachungssystem (Eurosur) im Mittelmeerraum eingeführt wurde. Innerhalb der Strafverfolgungsbehörden gab es viele Stimmen, die diese Investitionen als reine Augenwischerei bezeichneten: Eine Show, die darauf abzielt, ein sehr sauberes, transparentes Bild davon zu vermitteln, wie die Grenzen funktionieren. Diese Sichtweise hat jedoch nichts mit der Realität zu tun, wo der Grenzschutz von guten Beziehungen zu den europäischen Nachbarn und der Arbeit vor Ort abhängt.

    Gibt es ethische Bedenken im Hinblick auf den Einsatz technologischer Lösungen zur Migrationskontrolle?

    Im Bereich der künstlichen Intelligenz oder der Überwachung von Migranten haben sich die Technologien in den letzten Jahren so rasant entwickelt, dass wir nun vor einem weiteren Problem stehen: Inwieweit haben Regierungen und Bürger noch die Kontrolle über diesen immer ausgeklügelteren Überwachungsapparat? Diese Technologien dringen nicht nur in das Leben der Migranten, ihre Würde und ihre Rechte ein, sondern zunehmend auch in das Leben der Bürger innerhalb und außerhalb der EU. Und das, obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, ob diese Systeme überhaupt ihren erklärten Zweck erfüllen. Es ist eine beunruhigende Entwicklung und müssen uns politisch und rechtlich damit auseinandersetzen.

    Hat sich die Art und Weise, wie über Migration gesprochen wird, zusammen mit diesem technologischen Wandel verändert?

    Als ich um 2010 an der spanisch-afrikanischen Grenze arbeitete, gab es noch einen humanitären Diskurs über die Migration übers Mittelmeer. Heute haben wir es mit einer militarisierten Vorstellung und Darstellung der Außengrenzen zu tun, in der die Migration mit anderen Themen wie Schmuggel, Menschenhandel, Terrorismus, Instabilität und sogar Epidemiologie und Krankheiten vermischt wird. An den Grenzen treffen eine Reihe von Ängsten und Gefahren zusammen. Migration wird als Bindeglied zwischen all diesen Faktoren dargestellt. Es ist eine zunehmend entmenschlichende Sprache, die es uns nicht erlaubt, die zugrunde liegenden politischen Nuancen zu sehen, wie etwa die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, die zur Migration führen.

    • Frontex
    • Überwachungstechnologie

    News

    Europa gespalten über Reform der Schuldenregeln

    Die Europäische Union ist gespalten über die Reform der europäischen Schuldenregeln. In einer ersten Aussprache der Finanzminister nach Vorlage der Gesetzesvorschläge stellte eine Gruppe unter Führung Deutschlands heraus, es müsse im künftigen Fiskalregelwerk einheitliche Regeln für alle EU-Staaten geben. Eine andere Gruppe um Frankreich setzt indes auf individuelle Haushaltspläne zum Abbau der Schulden und zur Stärkung von Wachstum. In der öffentlichen Sitzung antwortete Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire auf die deutsche Forderung: “Unsere Antwort lautet ganz klar ‘Nein’ und zwar aus Gründen, die auf unsere Erfahrungen in der Vergangenheit zurückzuführen sind”.

    Laut Le Maire habe der Ansatz einheitlicher Regeln nicht funktioniert. Dies habe zu katastrophalen Auswirkungen für die EU geführt, “die auch mit politischen Fragen zu tun haben, nämlich der Achtung der Souveränität der Staaten”. Der französische Finanzminister erinnerte daran, “dass die Europäische Union nach wie vor auf der Souveränität der Nationen und Staaten aufgebaut ist.” Dagegen stellte der deutsche Finanzminister Christian Lindner in der Sitzung klar, die europäische Stabilitäts- und Wachstumspolitik könne nur mit einem einheitlichen Regelwerk funktionieren: “Wir brauchen gemeinsame Regeln, die für alle gleich sind”, sagte er am Freitag in Luxemburg.

    Lindner hat sich dazu die Unterstützung von weiteren EU-Staaten gesichert. Zusammen mit Amtskollegen aus zehn Mitgliedstaaten forderte er in einem Gastbeitrag, der unter anderem in der italienischen “La Repubblica” erschien, die Regeln straffer auszugestalten als von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Unterzeichnet haben den Beitrag die Minister Österreichs, der Tschechischen Republik, Dänemarks, der drei baltischen Staaten, Kroatiens, Sloweniens, Bulgariens und Luxemburgs. Die Niederlande, sonst enger Verbündeter Berlin in der Fiskalpolitik, sind nicht mit von der Partie, forderten in Luxemburg aber ebenfalls klare Vorgaben, um einen glaubwürdigen Schuldenabbau zu erreichen.

    Forderung nach klaren numerischen Vorgaben

    Österreichs Finanzminister Magnus Brunner machte an einem Beispiel deutlich, worauf es in der Reform ankomme. Der Vorschlag der Kommission sehe etwa vor, dass der Schuldenstand nach Ablauf der mittelfristigen Haushaltsperiode unter dem Niveau zum Einstieg liegen müsse. Aber was bedeute dies genau: “Wenn der Schuldenstand zu Beginn bei 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, reicht es dann, wenn er zum Ende 139 Prozent beträgt?” Hier müsse es klare numerische Vorgaben geben. Der deutsche Finanzminister fordert unter anderem, dass Staaten mit hohen Verbindlichkeiten die Schulden um mindestens ein Prozent pro Jahr senken müssen.

    Aktuell ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des
    russischen Angriffs auf die Ukraine bis Ende des Jahres ausgesetzt. Bis dahin müssen die EU-Staaten zusammen mit dem Europäischen Parlament das neue Regelwerk verabschieden, sonst greifen die bisherigen Vorschriften. Angesichts der tiefen Spaltung in zwei Lager erscheint das jedoch äußerst ambitioniert, auch wenn sämtliche Minister in Luxemburg eine konstruktive Haltung hinsichtlich der kommenden Verhandlungen signalisiert haben. Die Kommission hatte Mitte April vorgeschlagen, den Staaten über individuelle mehrjährige Haushaltspläne mehr Flexibilität bei Abbau von Schulden sowie Reform und Investitionen zur Stärkung des Wachstums einzuräumen. cr/ dpa

    Keine ernsthaften Kandidaten für Hoyer-Nachfolge bei der EIB

    Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft hatte den 16. Juni als Deadline gesetzt, um Kandidaten für die Nachfolge von Werner Hoyer an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu benennen. Den Finger gehoben haben lediglich Italien und Polen. Rom hat den früheren Wirtschaftsminister Daniele Franco ins Rennen geschickt, Warschau die aktuelle EIB-Vizepräsidentin Teresa Czerwinska. Beiden werden aber kaum Chance für die Hoyer-Nachfolge eingeräumt.

    Auch wenn der Italiener Franco über einen tadellosen Lebenslauf verfügt, der ihn absolut für den Job an der Spitze der EU-Hausbank qualifiziert, dürfte er aufgrund seines Alters mit 70 Jahren kein ernsthafter Kandidat sein. Bei der Polin Czerwinska glaubt niemand, dass die EU-Staaten der aktuellen PiS-Regierung in Warschau einen EU-Topjob anbieten. Franco und Czerwinska gelten daher als Statthalter ihrer Staaten für andere hochrangige EU-Posten.

    Überhaupt halten sich die Schwergewichte auffällig zurück. Gehandelt worden waren zuletzt die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis und Margrethe Vestager. Dombrovskis, so heisst es jetzt, soll sich ein weiteres Mandat in der EU-Kommission nach der Europawahl 2024 gesichert haben, und Vestager steht die landeseigene Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Weg. Diese, so wird kolportiert, wolle Jens Stoltenberg bei der Nato nachfolgen, und habe deshalb kein Interesse, ihre Landsfrau bei der EIB zu pushen.

    Maximal bis Oktober Zeit für fristgerechte Nachfolge

    Bleibt als potenzielle Kandidaten und Schwergewicht im Rennen um den EIB-Job die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Allerdings hat Premier Pedro Sánchez für den 23. Juli vorgezogene Neuwahlen in Spanien ausgerufen – mit offenem Ausgang. Zwar hätte das Land, das zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, damit die besten Trümpfe in der Hand, Calviño an der Spitze der EU-Hausbank zu platzieren. Allerdings spricht es eher gegen die politischen Usancen, bei einer Niederlage noch schnell ein Mitglied der aktuellen Regierung auf einen Spitzenposten in der EU zu hieven.

    Das Rennen ist daher weiter offen, und sicher ist nur: Vor dem 23. Juli wird sich nichts tun. Klar ist aber auch: Die Nachfolge soll bis Jahresende stehen, der EIB-Job soll nicht in das Personalkarussell nach der Europa-Wahl eingebunden werden. Das hat Belgiens Finanzminister Vincent Van Peteghem, aktuell Vorsitzender des EIB-Verwaltungsrats, intern der Bank vermittelt. Damit bleibt maximal bis Oktober Zeit, eine fristgerechte Nachfolge für Hoyer zu finden. Ansonsten können die internen Abläufe, etwa eine Überprüfung der Kandidaten durch das hausinterne Ethikkomitee, nicht mehr gewährleistet werden. tho

    Neues Energielabel und Reparaturindex für Smartphones und Tablets

    Die EU-Kommission hat am vergangenen Freitag einen Vorschlag für ein neues Label für Smartphones, schnurlose Telefone und Tablets vorgestellt. Dieses soll Informationen über die Energieeffizienz der Geräte, die Langlebigkeit des Akkus, den Schutz vor Staub und Wasser und die Widerstandsfähigkeit gegen versehentliches Herunterfallen offenlegen. Damit muss erstmals ein in der EU auf den Markt gebrachtes Produkt eine Bewertung seiner Reparaturfähigkeit aufweisen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auf diese Weise fundiertere und nachhaltigere Kaufentscheidungen treffen, erklärte die Kommission.

    Für die neuen Produkte werden die bestehenden und bekannten EU-Energieetiketten der Skala A bis G verwendet. Die EU-weite Datenbank European Product Registry for Energy Labels (EPREL) soll zusätzliche Informationen über das Produkt liefern. 

    Der delegierte Rechtsakt fällt unter die Energieverbrauchskennzeichnungs-Verordnung. Er wird nun dem EU-Parlament und dem Rat zu einer zweimonatigen Prüfung vorgelegt. Ein weiterer Vorschlag mit neuen Ökodesign-Vorgaben für die gleichen Produktgruppen, die auf eine Steigerung der Energieeffizienz, Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit dieser Geräte abzielen, wurde am Freitag von Parlament und Rat angenommen. Dieser fällt unter die Ökodesign-Richtlinie, welche die Umweltwirkungen von energieverbrauchsrelevanten Produkten reduzieren soll. Beide Rechtsakte sollen gleichzeitig in Kraft treten. Dann gilt zunächst eine 21-monatige Übergangszeit. leo

    WEEE-Richtlinie: Kommission konsultiert zu Recycling kritischer Rohstoffe

    Die EU-Kommission will die Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE-Richtlinie) überprüfen und führt deshalb bis zum 22. September eine Konsultation durch. Interessengruppen, Bürgerinnen und Bürger sollen helfen, Geräte mit Anteilen kritischer Rohstoffe zu identifizieren und die bestehenden Recyclingpraktiken für diese Materialien ausfindig zu machen.

    Die Kommission will anhand der Rückmeldungen die Richtlinie im Hinblick auf den Zugang zu wichtigen Rohstoffen, den erhöhten Verbrauch und die Digitalisierung neu bewerten und Lücken bei der Umsetzung und Durchsetzung erkennen. Je nach Ergebnis könnte sie eine Überarbeitung der WEEE-Richtlinie erwägen. Diese wurde 2002 verabschiedet und 2012 erstmals überarbeitet.

    Abfälle aus Elektro- und Elektronikgeräten gehöre zu den am schnellsten wachsenden Abfallströmen, heißt es in einer Pressemitteilung der Kommission. Sie enthalten wertvolle Rohstoffe, deren Rückgewinnung für eine stärker kreislauforientierte Wirtschaft und für die strategische Autonomie der EU von entscheidender Bedeutung seien. leo

    • kritische Rohstoffe

    Presseschau

    Erneuerbare Energien: EU setzt Zielmarke deutlich höher TAGESSCHAU
    EU states back nuclear energy while diluting biodiversity reforms FT
    Schweizer stimmen für Klimaneutralität und höhere Steuern SPIEGEL
    Polen hat jüngstes Fischsterben in der Oder nicht offiziell gemeldet ZEIT
    Intel will Chipfabrik im polnischen Breslau bauen TAGESSCHAU
    Taiwan will für engeren Kontakt mit der EU in Chipproduktion investieren HANDELSBLATT
    So will die EU jetzt Googles Macht brechen WELT
    Staatstrojaner: EU-Länder wollen Blankoscheck zum Ausspionieren von Journalisten HEISE
    Schlechte Chancen für Europas Solarindustrie FAZ
    Unternehmen erwarten Verlust industrieller Produktionskapazitäten in Europa WELT
    Gentechnik in Lebensmitteln – Forschungsministerin Stark-Watzinger lobt EU-Pläne für Lockerung RND
    Kommentar: Der Nutzen des digitalen Euros ist klein, der Aufwand immens HANDELSBLATT
    EU to implement connected underwater tech to study and protect oceans INTERESTINGENGINEERING
    EU-Kommission bringt Reparatur- und Energielabel für Handys auf den Weg HEISE
    Mitsotakis weist Kritik an Rettungsaktion nach Schiffsunglück zurück WELT
    Inflationsrate im Euroraum geht leicht zurück ZEIT

    Heads

    Malte Gallée – Advokat der jungen Menschen

    Malte Gallée sitzt seit Januar 2022 für die Grünen/EFA im Europaparlament. Foto: Jana Margarete Schuler.

    Malte Gallée eilt energisch durch die langen Gänge des Brüsseler Parlamentsgebäudes. Er kommt gerade von einer Plenarsitzung zurück und ist sehr zufrieden, denn für seine Fraktion war der Sitzungstag “ein voller Erfolg”. Gerade wurde das Lieferkettengesetz abgestimmt. “Wir haben es zu einem sehr großen Teil nach unseren Vorstellungen durchbekommen”, freut er sich. In seinem Büro angekommen, ragen im Hintergrund neben einer prominenten Europaflagge diverse Fahnen in den Regenbogenfarben der LGBTQ-Community hervor. 

    Bei der Europawahl 2019, damals noch Student der Philosophie und Volkswirtschaftslehre an der Uni Bayreuth, verpasste Gallée den Einzug ins Parlament knapp. Doch als Sven Giegold im Dezember 2021 ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wechselte, rückte er für die Grünen nach. Mitten im laufenden Betrieb dazuzustoßen fühlte sich an “wie auf einen rasenden Dampfer auf voller Fahrt aufzuspringen.” Er ist seitdem ständiges Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und stellvertretend im Entwicklungsausschuss (DEVE) sowie dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO). Sein Wahlkreisbüro liegt in Bamberg. 

    Mit 29 Jahren ist Malte Gallée der jüngste deutsche Europaabgeordnete. Bei der Europawahl 2014 war er enttäuscht, wie wenig junge Menschen kandidierten und entschloss sich, bei der nächsten Wahl selbst anzutreten. Nun sieht er sich in der Pflicht, “Politik besonders für junge Menschen zugänglich zu machen”. Auf sozialen Plattformen wie Tik Tok gibt er sich nahbar und vermittelt seine Inhalte in kurzen, oft unterhaltsamen Videos. Für politischen Aktivismus wie die Gruppe Letzte Generation zeigt er, anders als einige seiner Parteikolleginnen und -kollegen, vollstes Verständnis und Sympathie. Er selbst wurde als Jugendlicher durch die Reaktorkatastrophe von Fukushima politisiert. 

    Ich finde das Konzept Müll an sich falsch”

    Auch inhaltlich setzt er sich für die Interessen der jungen und nachkommenden Generationen ein. Oder wie er sagt: “Alles, was irgendwie Umwelt und Klima tangiert.” Sein Herzensthema ist die Kreislaufwirtschaft. Denn Gallée ist überzeugt: “Wir müssen es schaffen, unseren Wohlstand vom Ressourcenverbrauch loszukoppeln. Das ist essenziell, damit wir noch gut auf dem Planeten leben können, ohne ihn kaputt zu machen. Und das Ganze muss natürlich global gerecht geschehen.” Konkret arbeitet er vor allem an Dossiers wie dem Recht auf Reparatur und der Verpackungsverordnung. Als Schattenberichterstatter hat er außerdem die Batterieverordnung mitverhandelt, welche er als “bahnbrechend” bezeichnet und zu seinen größten Erfolgen im Parlament zählt. 

    Ganz grundlegend stellt er “unsere Definition von Müll und wer dafür verantwortlich ist” infrage. Mit der Verpackungsverordnung, die Regeln für alle verpackten Produkte auf dem europäischen Markt festlegt, möchte Gallée unter anderem erreichen, dass Mehrwegalternativen, zum Beispiel bei Essensboxen zum Mitnehmen, immer günstiger sein müssen, als Einwegverpackungen. Doch das geht ihm nicht weit genug. In seiner Utopie gebe es einen Systemwechsel, in dem Hersteller zur Verantwortung gezogen werden, alle Verpackungen, die sie produzieren, auch wieder zurückzunehmen. Dann, so seine Idee, brächten Hersteller nur noch wiederverwendbare Produkte auf den Markt. “Ich finde das Konzept Müll an sich falsch”, sagt er. “In einer Welt mit begrenzten Ressourcen können wir es uns nicht leisten, irgendeiner Sache den Wert von null zu geben.” 

    Seine grüne Energie ist noch lange nicht erschöpft

    Die wenige Freizeit, die ihm bleibt, gestaltet er auch gerne grün. Mittlerweile habe er 60 Pflanzen zuhause, die er hegt und pflegt und zu denen er “eine sehr innige Beziehung” aufgebaut habe. Ein wichtiger Ausgleich zu den langen und stressigen Tagen. 

    Dennoch, die nur halbe Amtszeit im Europäischen Parlament ist Malte Gallée zu kurz. Jetzt, wo er mittlerweile weiß “wie der Laden läuft”, möchte er nicht aufhören und kandidiert für die Europawahl 2024. Das Spitzenvotum der Grünen aus Bayern hat er bereits in der Tasche. Wie aussichtsreich seine Chance stehen, entscheidet sich bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im November. Für ihn steht fest: “Ich habe auf jeden Fall Bock und glaube, dass ich vor allem für junge Menschen noch viel anstoßen kann.” Clara Baldus

    Europe.Table Redaktion

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