Table.Briefing: Europe

EU schart sich um Paris + Energiepreise und Nord Stream 2 + Taxonomie

  • EU-Staaten stützen Frankreich im U-Boot-Streit
  • Hohe Gaspreise: Die Rolle von Nord Stream 2
  • Frankreich für Erdgas in der Taxonomie
  • Biden will Klima-Finanzhilfen verdoppeln
  • Luftverschmutzung in den EU-Staaten weiter hoch
  • Bund plant Green Bonds auf Niveau des Vorjahres
  • Standpunkt: Arturo Varvelli, ECFR, zur Sicht auf Deutschland
Liebe Leserin, lieber Leser,

am Wochenende hieß es in der EU-Kommission noch, der Streit um U-Boote für Australien beeinträchtige den geplanten Handels- und Technologierat mit der US-Regierung nicht. Mit etwas Verzögerung aber hat sich in Brüssel und Berlin die Erkenntnis durchgesetzt, dass man das Mitgliedsland Frankreich in einer solchen Angelegenheit nicht im Stich lassen kann. Nach dem Musketier-Motto scharen sich die anderen nun um Paris und verlangen versöhnliche Gesten Washingtons. Bleiben die aus, könnte zumindest das Auftakttreffen des Handels- und Technologierates dem Streit zum Opfer fallen.

Ähnlich angespannt wie die transatlantischen Beziehungen ist derzeit die Lage an den Erdgasmärkten. Die Rekordpreise bringen etliche europäische Regierungen in Zugzwang. Viele Beobachter machen vor allem Russland verantwortlich für den Anstieg – auch die Internationale Energieagentur forderte gestern eine Ausweitung der Lieferungen. Timo Landenberger analysiert, welche Rolle dabei das laufende Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 spielt.

Der Countdown bis zur Bundestagswahl am Sonntag läuft. Im heutigen Standpunkt analysiert der Leiter der ECFR-Büros in Rom, Arturo Varvelli, welche Sorgen die Italiener mit einer neuen Bundesregierung verbinden. Kurz zusammengefasst: mehr Nationalismus, (noch) weniger Verständnis für Niedrigzinsen und gemeinsame Anleiheprogramme.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Aukus-Streit: EU solidarisiert sich mit Paris

Es hat einige Tage gedauert, aber inzwischen haben die Europäer die Reihen um Frankreich geschlossen. Nach Ursula von der Leyen und Charles Michel stellte sich auch die Bundesregierung am Dienstag hinter Paris: “Natürlich ist das eine ganz schwierige Situation für Frankreich”, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD). Der Streit mit den USA, Australien und Großbritannien um den geplatzten U-Boot-Deal zeige einmal mehr, dass “ein geschlossenes Auftreten der Europäischen Union von herausragender Bedeutung” sei.

Das Aukus-Sicherheitsbündnis dürfte auch die Staats- und Regierungschefs noch beschäftigen. Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune beantragte in der Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten (GAC), die neue Allianz beim Europäischen Rat auf die Agenda zu setzen, im Kontext des Umganges mit China. Andere Mitgliedsländer hätten dies befürwortet, hieß es. Roth sagte, es müsse jetzt darum gehen, die neue Indo-Pazifik-Strategie der EU-Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) mit Leben zu füllen (Europe.Table berichtete).

Die anderen Hauptstädte signalisieren Paris damit, dass sie die Verärgerung ernst nehmen. Die französische Regierung hatte vergangene Woche ihre Botschafter aus Washington und Canberra zurückberufen, nachdem Australien den Milliardenauftrag für 12 U-Boote mit konventionellem Antrieb der mehrheitlich staatlichen Naval-Gruppe storniert hatte. Die USA und Großbritannien hatten der australischen Regierung zugesagt, im Rahmen von Aukus dort Atom-U-Boote zu bauen.

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete die Entscheidung Canberras als einen “brutalen Vertrauensbruch” und fühlte sich an die Trump-Ära erinnert. Die australische Regierung verweist hingegen auf Probleme und Preissteigerungen bei dem U-Boot-Projekt. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht im Interesse Australiens sei, sagte Premierminister Scott Morrison.

Der französische Ärger richtet sich zum einen gegen Canberra. Paris stellt daher die laufenden Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Australien infrage: Es gelte nun, diese auf EU-Ebene “sehr schnell neu zu bewerten”, sagte Beaune. Bei den anderen Mitgliedsstaaten gibt es aber wenig Breitschaft, die seit elf Verhandlungsrunden laufenden Gespräche einfach abzubrechen. Die nächste Verhandlungsrunde ist im Oktober angesetzt.

“Wahrscheinlich an der Zeit für eine Pause”

Der Ärger auf Washington ist umso größer, als die US-Administration den Nato-Verbündeten nicht vorgewarnt hatte. Auch andere EU-Staaten fühlen sich an das unabgestimmte Vorgehen von Präsident Joe Biden beim Abzug aus Afghanistan erinnert. Bei dem anstehenden Gespräch von Präsident Emmanuel Macron mit Biden werde es darum gehen, so Beaune, “wie der Zustand unserer Allianz ist, unserer Kooperation”. Danach werde man sehen, wie es weitergehe.

Dabei deutet sich an, dass die EU-Seite den für den 29. September angesetzten Handels- und Technologierat (TTC) verschieben könnte. Binnenmarktkommissar Thierry Breton sprach bei einem Auftritt in Washington von “erodiertem Vertrauen”. Daher sei es “wahrscheinlich an der Zeit für eine Pause und einen Neustart in unseren Beziehungen”, sagte der Franzose.

Der Chef-Sprecher der Kommission wollte die Verschiebung aber nicht bestätigen. “Wir sind noch dabei, die Konsequenzen der Aukus-Ankündigung zu analysieren”, sagte Eric Mamer. In der heutigen Kommissionssitzung werde das Thema diskutiert.

Um ein Zeichen zu setzen, hatte die Kommission ein geplantes Frühstück der EU-Botschafter mit den beiden Vizepräsidenten Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis zu den TTC-Vorbereitungen am Mittwochmorgen gestrichen. Auch Roth machte deutlich, dass er Washington am Zug sieht: “Hier muss man auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und das wird natürlich nicht einfach sein”.

Weder Paris noch sonst jemand habe aber ein Interesse daran, den TTC grundsätzlich infrage zu stellen, heißt es in Brüssel. Der Handels- und Technologierat sollte eigentlich zum Ausdruck bringen, dass sich die transatlantischen Beziehungen unter Biden erheblich verbessert haben. Allerdings machte das Aukus-Bündnis deutlich, dass die Prioritäten auch der neuen Administration woanders liegen: im pazifischen Raum, bei der Einhegung des großen Rivalen China.

Deutschland als Vermittler

Für den Europaabgeordneten Daniel Caspary (CDU, EVP) zeigt der Aukus-Streit beispielhaft, wie man mit befreundeten Staaten nicht umgehen darf. “Ich wünsche mir, dass beide Seiten den jetzigen Streit nutzen, um sich im TTC ehrlich zu machen und die Differenzen dort schonungslos offen ansprechen und klären”, sagte er. Der Ärger Frankreichs sei verständlich, die EU müsse aber dennoch den Blick langfristig strategisch ausrichten. Deutschland sieht Caspary in dem Konflikt als Vermittler.

In Brüssel heißt es, die US-Regierung habe offenkundig unterschätzt, wie heftig Frankreich auf die Neuigkeiten reagieren würde. Die einigermaßen überraschend verkündete Aufhebung der Reisebeschränkungen für EU-Bürger in die USA wird vor dem Hintergrund als erstes Zeichen des guten Willens aus Washington interpretiert.

Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte am Montagabend in einem CNN-Interview eine Aufklärung der Affäre gefordert. Rund um Aukus gebe es viele offene Fragen, die geklärt werden müssten, bevor man zurück zum Modus “business as usual” komme. Der Umgang mit Frankreich sei “nicht akzeptabel” gewesen.

Zweifel an US-Verlässlichkeit auch in Osteuropa

Am Rande der UN-Vollversammlung in New York bemühte sich Ratspräsident Charles Michel zu vermitteln: Er traf sich am Nachmittag mit dem australischen Premier Morrison. Laut einem EU-Beamten machte Michel dabei deutlich, dass sich Australien mit der EU und ihren Mitgliedstaaten auseinandersetzen müsse, um Vertrauen und eine starke Partnerschaft aufzubauen.

Die Zweifel an der Verlässlichkeit Washingtons sickern auch in osteuropäischen Staaten wie Polen ein, die sich traditionell stark auf die USA als Sicherheitsgarant gegenüber Russland stützen. Aus EU-Sicht bietet das die Chance, die internen Meinungsunterschiede ein Stück weit zu überbrücken. Die Rufe insbesondere Frankreichs nach größerer europäischer Souveränität in der Außen- und Sicherheitspolitik dürften auf weniger Ablehnung stoßen.

Auch von der Leyen hatte unlängst die Wichtigkeit einer europäischen Verteidigungsunion betont. Kommissions-Vize Maroš Šefčovič berichtete nach der Sitzung des GAC-Rates am Abend: “Viele Minister haben sich dafür ausgesprochen, die strategische Autonomität beim nächsten EU-Gipfel näher zu besprechen”. Till Hoppe / Jasmin Kohl

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Gaspreisrallye: Die Rolle von Nord Stream 2

Das anhaltende Rekordhoch der Energiepreise in Europa treibt Industrie und Verbraucher gleichermaßen um. Noch vor dem Winter hat sich der Gaspreis innerhalb weniger Monate mehr als verdreifacht, und eine Besserung ist nicht in Sicht.

Besonders für die energieintensiven Branchen spielt Erdgas als Brennstoff für die Produktion nach wie vor eine tragende Rolle. Kurzfristig sind die Unternehmen über bestehende Verträge mit den Energiekonzernen abgesichert. Perspektivisch kann die Kostensteigerung jedoch zu einem existenziellen Problem werden,

Akut betroffen sind die Gasunternehmen selbst, die sich an die Verträge halten müssen, aber nicht genügend Gas eingelagert hatten und somit der Preisentwicklung am Spotmarkt voll ausgeliefert sind. In Großbritannien ist deshalb bereits eine regelrechte Pleitewelle zu beobachten. Die Regierung griff zu drastischen Maßnahmen inklusive Notkredite, um die Energieversorgung des Landes sicherzustellen.

Hauptgrund für die explodierenden Preise ist die Sorge vor möglichen Gas-Engpässen im bevorstehenden Winter. Aufgrund der steigenden Gasnachfrage in Asien fallen die Lieferungen nach Europa in jüngster Zeit geringer aus. Vor allem aber aus Russland floss weniger Gas gen Westen. Der russische Energiekonzern Gazprom hat weniger Kapazitäten in den Gastleitungen über die Ukraine gebucht als in den vergangenen Jahren. Die Internationale Energieagentur IEA forderte Russland am Dienstag auf, mehr Erdgas nach Europa zu liefern.

Vorwurf der künstlichen Gasverknappung

Branchenbeobachter wittern dahinter politisches Kalkül: Das Energieunternehmen setze Europa durch die künstliche Verknappung unter Druck, damit es einem baldigen Betriebsbeginn der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zustimme. Eine Gruppe EU-Abgeordneter forderte bereits die Überprüfung von Gazprom durch die EU-Kommission. Gestärkt wird die Vermutung durch die jüngste Äußerung des Kremls (Europe.Table berichtete), eine schnelle Genehmigung von Nord Stream 2 könne die Sorge der Europäer vor möglichen Gasengpässen im Winter lindern und damit den steigenden Energiepreisen entgegenwirken.

Hintergrund ist die Ausweitung der EU-Gasrichtlinie im Jahr 2019, die fast schon zu offensichtlich auf die Regulierung der umstrittenen Ostsee-Pipeline abzielte. Kommission und vielen Europaabgeordneten ist das deutsch-russische Projekt seit jeher ein Dorn im Auge. Zu groß werde die Abhängigkeit der EU von Russland, heißt es in Brüssel. Polen, Weißrussland und die Ukraine fürchten um ihre Transit-Gebühren, und auch die USA verfolgen den Schulterschluss gen Osten mit Argwohn.

Formal war eine Regulierung des Nord-Stream-2-Projekts durch EU-Behörden jedoch nicht möglich, weshalb kurzerhand die EU-Gasrichtlinie, eigentlich für den Binnenmarkt bestimmt, auf Gasleitungen aus Drittstaaten ausgeweitet wurde. Daneben wurde der Passus eingeführt, dass Pipelines, die zum Stichtag im Mai 2019 bereits fertiggestellt waren, von den neuen Regularien befreit werden können. Ebenso wie solche, die sich zu dem Zeitpunkt noch in der Planungsphase befanden. Schließlich sollten durch die Richtlinie und die damit verbundenen Kosten keine potenziellen neuen Bauträger abgeschreckt werden. Übrig bleibt: Nord Stream 2.

Problematische Gesetzgebung

Energierechtsexpertin Valentina Eigner von bpv Hügel hält diesen Gesetzgebungsprozess, “der offensichtlich auf Nord Stream 2 abzielte”, für rechtspolitisch bedenklich. “Der Zusatzartikel, der eine Freistellung aller bestehenden Gaspipelines ermöglicht, führt das Argument, die Ausweitung sei für den Wettbewerb notwendig, ad absurdum”, sagt die Juristin zu Europe.Table. Auch das Argument für eine EU-weit einheitliche Regulierung sei hinfällig, da die Entscheidung über eine mögliche Freistellung bei den Mitgliedstaaten liege.

In Deutschland trifft diese Entscheidung die Bundesnetzagentur. Bei ebendieser hatte die Nord Stream 2 AG auch einen Antrag auf Befreiung von den neuen Regularien gestellt. Zwar war die Pipeline zum Stichtag noch nicht im baulichen Sinne fertiggestellt. Jedoch müsse der Begriff auch den wirtschaftlichen Aspekt berücksichtigen. Die finale Investitionsentscheidung sei zu dem Zeitpunkt längst gefallen, das Projekt unumkehrbar, so die Betreibergesellschaft um Haupteigner Gazprom.

Das sah die Bundesnetzagentur anders, lehnte den Antrag ab und auch das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte in seinem Urteil vor knapp einem Monat klar: fertiggestellt heißt fertiggestellt. Tatsächlich sei der Begriff nicht anders interpretierbar, bestätigt Valentina Eigner. Ob allerdings die Erweiterung der EU-Gasrichtlinie als solche rechtskonform ist oder womöglich gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt, das stehe auf einem anderen Blatt.

Die Nord Stream 2 AG jedenfalls kündigte an, weiter gegen die Änderung vorgehen zu wollen, was aber schwierig werden dürfte. “Dafür müsste sie die individuelle Betroffenheit darlegen”, sagt Eigner. Faktisch sei diese zwar gegeben. “Aber eine Richtlinie ist dem Wesen nach nicht unmittelbar anwendbar, sondern wird von den Mitgliedstaaten erst umgesetzt.” Nord Stream 2 müsste also, um der Regulierung zu entgehen, eine Rechtsänderung erwirken. “Und da sehe ich keine rechtlichen Möglichkeiten.”

Auch das von der Betreibergesellschaft angestoßene Schiedsverfahren wegen Verletzungen des Energiecharta-Vertrags habe wenig Aussicht auf Erfolg und sei überhaupt nur möglich, da das Unternehmen seinen Sitz in der Schweiz hat. Die Schweiz ist Vertragspartner der Energiecharta. Russland hingegen nicht.

Unabhängigkeit des Netzbetriebs

Der Pipeline-Betreiber wird die neuen Bestimmungen also wohl umsetzen müssen. Zentraler Bestandteil: Entflechtung (unbundling) und damit die Sicherstellung der Unabhängigkeit des Netzbetreibers von anderen Tätigkeiten der Energieversorgung. Eine Möglichkeit wäre der Verkauf der Pipeline an eine andere Gesellschaft, was jedoch als äußerst unwahrscheinlich gilt. Die Alternative: eine Zertifizierung als entflochtener Fernleitungsnetzbetreiber. Den entsprechenden Antrag hat die Nord Stream 2 AG bereits gestellt. Zuständig: die Bundesnetzagentur.

Diese teilt auf Anfrage mit: “Eine Zertifizierung kann nur erteilt werden, wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie feststellt, dass die Erteilung der Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet.”

Beim BMWi aber heißt es, die Versorgungssicherheit sei hoch, die Nachfrage in Deutschland könne vollständig bedient werden. “Wir sehen derzeit keine Engpässe”, sagt eine Ministeriumssprecherin. Das werde sich auch durch eine Zertifizierung von Nord Stream 2 nicht ändern.

Langwieriger Prozess der Genehmigung

Die Bundesnetzagentur hat nun vier Monate Zeit, einen Beschlussentwurf zu erstellen, der dann der EU-Kommission vorgelegt wird. Dieser bleiben weitere zwei Monate für eine Stellungnahme. Im Vorfeld wollte sich die Kommission nicht äußern.

Ein langwieriger Prozess, der den Betrieb der Pipeline weiter verzögern könnte, die inzwischen auch im baulichen Sinne fertiggestellt ist. Dass Gazprom deshalb die Energieversorgung Europas über die bestehenden Pipelines künstlich verknappt, um den Druck zu erhöhen, liegt für viele auf der Hand.

Zumal der russische Konzern ankündigte, bereits im Oktober mit den ersten Gaslieferungen durch Nord Stream 2 beginnen zu wollen. Was die Kommission dann zu tun gedenke, frage eine Journalistin in der täglichen Pressekonferenz der Brüsseler Behörde. Man treffe keine Aussagen zu “was wäre, wenn”, so die Antwort eines Kommissionssprechers, sondern vertraue auf den Prozess der Zertifizierung.

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News

Frankreich für Erdgas in der Taxonomie

In der Debatte um die EU-Taxonomie für nachhaltiges Finanzwesen hat sich Frankreich bisher öffentlich vor allem für eine Aufnahme der Atomkraft eingesetzt. Nun positioniert sich Paris auch in der Frage, ob Erdgas als nachhaltig gelten soll: Frankreich mache sich zusammen mit Tschechien dafür stark, dass der delegierte Rechtsakt zur Taxonomie sowohl Atomkraft, als auch Gas beinhalte, schrieb der französische Botschafter in der Tschechischen Republik, Alexis Dutertre, auf Twitter. Frankreich übernimmt im Januar nächsten Jahres die Ratspräsidentschaft; Tschechien folgt im Juli 2022.

Die Kommission hat angekündigt, den delegierten Rechtsakt noch in diesem Oktober vorzulegen. Das Datum könnte sich allerdings nach hinten verschieben – unter anderem deswegen, weil die Kommission sich bislang nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen kann.

Erst am Montag hat das österreichische Umweltministerium ein Rechtsgutachten veröffentlicht, wonach die Kernkraft keineswegs als “umweltfreundliche Tätigkeit” im Sinne der Taxonomie-Anforderungen gelten dürfe. “Jeder delegierte Rechtsakt, der auf der Grundlage der Taxonomie-Verordnung erlassen wird und die Kernenergie irgendwie in die europäische Taxonomie einbezieht, wäre vor den EU-Gerichten anfechtbar, so die Schlussfolgerung des Gutachters.

Paris will Allianzen schmieden

Hinter den Kulissen setzt sich Frankreich seit Längerem für die Aufnahme von Gas in die Taxonomie ein. Paris will Allianzen schmieden, um mehr Unterstützung für die eigene Position zur Integration der Atomkraft zu haben und dadurch mehr Druck auf die Europäische Kommission auszuüben.

Deutschland könnte das in eine komplizierte Situation bringen: Die Bundesregierung lehnt die Einbeziehung der Kernkraft kategorisch ab. Bei der Einstufung von Erdgas ist die Haltung weniger eindeutig: Hier sei “die Positionierung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage.

Laut gut informierten Kreisen steht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Aufnahme von Gas in die Taxonomie deutlich aufgeschlossener gegenüber als das Bundesumweltministerium. Davon unabhängig sei sich die Bundesregierung aber “einig, dass der Betrieb von Gaskraftwerken für eine Übergangszeit im Vergleich zu emissionsintensiveren Energien dem Klimaschutz zuträglich sein kann”, so die BMWi-Sprecherin.

Hat die Kommission den delegierten Rechtsakt einmal verabschiedet, haben Rat und Parlament zwei Monate Zeit, um Einspruch zu erheben. Im Parlament braucht es dazu eine Mehrheit, im Rat eine qualifizierte Mehrheit. cw/tho

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Biden will Klima-Finanzhilfen verdoppeln

US-Präsident Joe Biden hat am Dienstag angekündigt, die Finanzhilfen für Entwicklungsländer zur Bewältigung des Klimawandels zu verdoppeln. Bei seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sagte er, er wolle mit dem US-Kongress zusammenarbeiten, um insgesamt 11,4 Milliarden Dollar bereitzustellen.

Am Montag hatten der britische Premierminister Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, dass die Industrieländer ihre Finanzierung für den globalen Klimaschutz aufstocken. Nur so könne das 100 Milliarden Dollar-Ziel erreicht werden, auf das sich die wirtschaftsstärksten Länder geeinigt hatten, um die am meisten vom Klimawandel gefährdeten Länder zu unterstützen, hatten sie betont.

Auch der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro kündigte am Dienstag höhere Klimaschutzmaßnahmen an. Seine Regierung wolle den Schutz des Amazonasgebiets ernst nehmen, erklärte er der UN-Vollversammlung. Nach jahrelangen Mittelkürzungen und Einstellungsstopps versprach Bolsonaro, die Mittel für die Durchsetzung des Umweltschutzes zu verdoppeln, um die illegale Abholzung zu bekämpfen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche bereits angekündigt, den eigenen Beitrag (25 Milliarden Dollar) mit Blick auf die Weltklimakonferenz (COP26) im November noch einmal um vier Milliarden Euro anzuheben. luk/rtr

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Luftverschmutzung in den EU-Staaten noch immer hoch

Das kurze Aufatmen im vergangenen Jahr, als die Luftverschmutzung durch die Corona-Pandemie zwischenzeitlich vielerorts zurückging, war nur von kurzer Dauer. Einem vorläufigen Bericht der European Environment Agency (EEA) zufolge haben fast alle EU-Mitgliedstaaten 2020 die Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe erreicht.

Zwar habe sich die Luftqualität im Vergleich zu 2019 verbessert, was am geringeren Verkehrsaufkommen während des Lockdowns und günstigen Wetterbedingungen lag. Doch acht EU-Staaten zeigten 2020 noch immer erhöhte Feinstaub- und Stickstoff-Dioxid-Werte auf, 2019 waren es noch 18. In 17 Mitgliedstaaten deuteten die Messungen auf gesundheitsschädliche Mengen des Sauerstoffmoleküls Ozon (O3) hin, 2019 waren es 19.

Die Daten zeigen, dass die Luftverschmutzung immer noch ein großes Gesundheitsrisiko für die Europäer darstelle, schreibt die EEA. Ursache sei die Verbrennung fossiler Energieträger. Die Feinstaubbelastung, insbesondere in Ballungsräumen, könne Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Lungenkrebs verursachen. Die Stickstoffdioxid-Konzentrationen könne mit Asthma und anderen Atemwegserkrankungen in Verbindung gebracht werden, heißt es in dem vorläufigen Bericht.

Insgesamt fließen die Daten von 4.500 Messstationen in 40 europäischen Ländern in die Statistik mit ein. Zum heutigen internationalen Tag der sauberen Luft will die Weltgesundheitsorganisation WHO neue globale Richtlinien zur Luftqualität erlassen. luk

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Bund plant Green Bonds auf Niveau des Vorjahres

Der Bund will im kommenden Jahr ähnlich viele Öko-Anleihen herausbringen wie 2021. Es werde in etwa ein Emissionsvolumen in der Größenordnung von diesem Jahr angestrebt, obwohl die EU ebenfalls in dem Markt aktiv werde, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur, Tammo Diemer, am Dienstag. Genaue Prognosen soll es im Dezember geben. 

In diesem Jahr sollen Green Bonds, mit denen Umwelt- und Klimaschutz finanziert werden sollen, im Volumen von 12,5 Milliarden Euro platziert werden. Insgesamt will sich der Bund in diesem Jahr etwa 482 Milliarden Euro von Investoren leihen. Die erste Öko-Anleihe begab der Bund im September 2020. rtr

  • Green Deal

Presseschau

Biden says U.S. will quadruple climate aid to poor countries POLITICO
Heiko Maas kritisiert abgesagten U-Boot-Deal mit Frankreich ZEIT
Hard choices loom for Europe as the gas crisis bites FT
Kommt Italiens “Grüner Pass” bald zu uns? NTV
So geht Tübingen gegen SUVs vor FAZ
Journalist who tracked Viktor Orban’s childhood friend infected with spyware GUARDIAN
Macrons Impfzertifikat zirkuliert online RND
Energy ministers to hold first exchange on EU’s 2030 climate laws EURACTIV
Dutch to spend billions on climate subsidies amid economic boom REUTERS

Standpunkt

Angela Merkels Rückzug: Roms europäischer Moment?

Von Arturo Varvelli
Arturo Varvelli, Leiter des ECFR-Büros in Rom: Deutschland wird in Italien überaus skeptisch beobachtet: Angela Merkel ist populär, doch es ist ungewiss, wie die deutsche Politik nach ihr aussieht.
Arturo Varvelli ist Leiter des ECFR-Büros in Rom.

Das Ende der letzten Amtszeit von Angela Merkel bedeutet den Verlust einer charismatischen europäischen Führungspersönlichkeit, der es gelungen ist, die Europäische Union durch einige ihrer kritischsten historischen Momente zu führen.

Selbst in den letzten Monaten ihrer Amtszeit machte Merkel in den schwierigen Phasen der Pandemie und während der europäischen Impfkampagne eine durchschlagskräftige Politik. Eine in Italien (und 11 anderen europäischen Ländern) durchgeführte Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt, dass die Italiener Merkel im Allgemeinen als integrierende Kraft und verlässlichen Partner sehen. Auf die hypothetische Frage, wen sie zum “Präsidenten der EU” wählen würden, wenn Merkel und Macron die einzigen Kandidaten wären, würde Merkel in Italien klar gewinnen (37 Prozent gegenüber acht Prozent für Macron).

Die Nach-Merkel-Ära könnte jedoch auch eine Chance für Italien darstellen. Die Anwesenheit von Mario Draghi – einer auf europäischer Ebene anerkannten und respektierten Persönlichkeit – im Palazzo Chigi könnte möglicherweise eine stärkere italienische Rolle in der EU und eine andere Konfiguration der Kräfte in Europa bewirken.

Rom befürchtet, dass der europäische Integrationsprozess der letzten Jahre, der in gewissem Maße von Merkels Deutschland vermittelt wurde, allmählich schwächer wird. Die neuen politischen Gleichgewichte, die sich aus den deutschen Wahlen ergeben werden, könnten dazu führen, dass sich Berlin mehr auf seine eigenen nationalen Interessen konzentriert als auf seine Rolle als europäische Führungsmacht.

Die italienische Regierung fürchtet insbesondere, dass Deutschland wieder zu einer reinen Wirtschaftsmacht werden könnte. Zu einem Land, das sich mehr auf die Staatsschulden einiger europäischer Partner konzentriert als auf die Suche nach gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme, wie z.B. einen durch ein Anleiheprogramm gestützten Konjunkturfonds.

Italiener erwarten ein nationalistischeres Deutschland

Laut der ECFR-Umfrage scheinen die Italiener zu erwarten, dass Deutschland nach dem Ende der derzeitigen Kanzlerschaft wieder nationalistischer und weniger pro-europäisch werden könnte. Italien ist sogar das Land, in dem die meisten Befragten glauben, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren nationalistischer werden wird: 37 Prozent der Befragten äußerten diese Meinung, gegenüber 25 Prozent in den anderen 11 befragten Ländern.

Italien fürchtet außerdem, dass die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Jahren im Visier eines Teils der deutschen Medien steht, erneut unter Druck gesetzt wird, sich auf eine strengere statt auf eine expansive Politik auszurichten. Ein großer Teil der deutschen Politiker scheint eine in Deutschland weit verbreitete These zu bestätigen: Die Negativzinsen der EZB sind verfassungswidrig, sie schaden deutschen Anlegern und Rentnern.

Daher sollte die Bundesbank beschließen, einzugreifen und ein Veto einzulegen. Diese deutsche Haltung könnte zur negativen Wahrnehmung Deutschlands in einem großen Teil der italienischen Öffentlichkeit beitragen. Auch wenn die Italiener der deutschen Führung in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen mehr Vertrauen entgegenbringen (24 Prozent) als in den anderen Politikbereichen, ist dies immer noch der niedrigste Wert unter den 12 untersuchten Ländern.

Als ob Europa vor zehn Jahren stehen geblieben wäre

Auf internationaler Ebene haben die Gefahr einer rigideren deutschen Haltung in Wirtschaftsfragen und der Niedergang von Merkels Führungsrolle bereits zu einem wichtigen Ergebnis geführt. Draghi hat begonnen, Macrons Frankreich für die Nach-Merkel-Ära als Gegengewicht zur unberechenbaren neuen deutschen Führung zu betrachten. Die Beziehungen zwischen Italien und Frankreich scheinen die besten seit 1945 zu sein. Sowohl Draghi als auch Macron sind ehemalige Investmentbanker, Befürworter der EU und einer marktgesteuerten Wirtschaft – und sie verbindet eine lange Freundschaft.

Es ist jedoch nicht nur die persönliche Beziehung, die eine neue Achse Rom-Paris innerhalb der EU definiert. Wie es ein kürzlich erschienener Politico-Artikel dargelegt, benötigen sowohl Italien als auch Frankreich eine aktivere EU als Lösung für ihre internen Probleme. Beide wissen, dass die Zeit zum Handeln jetzt gekommen ist, wenn Deutschland seine Führung wechselt. Die Glaubwürdigkeit von Draghi ist hoch; Macron ist noch nicht in den Wahlkampf eingetreten.

Italien würde erwarten, dass die EU entschlossener auf den “Aufruf zu den Waffen” der Regierung Biden gegen China reagiert, das als “strategischer Rivale” des Westens wahrgenommen wird. Das Interview, das Armin Laschet – einer von Merkels möglichen Nachfolgern – im Juni der Financial Times gegeben hat, deutet jedoch darauf hin, dass Berlin auch nach Merkels Ausscheiden aus dem Amt weiterhin eine eher zweideutige Haltung gegenüber China und Russland vertreten wird.

Aus italienischer Sicht scheint sich Deutschland so zu verhalten, als ob Europa vor zehn Jahren stehen geblieben wäre und sich nicht an der Wiederbelebung eines Wettbewerbs der Großmächte beteiligen würde. Draghi ist sich bewusst, dass es in turbulenten Zeiten wie diesen auch an ihm liegen wird, die Welt wissen zu lassen, dass Europa handlungsfähig ist. Kein leichtes Ziel für ein Land, das in den letzten Jahrzehnten wenig Geschick in der Außenpolitik und wenig Engagement für Europa gezeigt hat.

Der Rückzug der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist daher eine Gelegenheit für Draghi, die künftige Politik Europas zu gestalten.

Arturo Varvelli leitet das Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR) in Rom.
Der Artikel ist zuerst am 17.September 2021 in Domani erschienen.

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Apéropa

Fehlstart statt Neustart: Frankreich und die EU betrachten den geplatzten U-Boot-Deal als unfreundlichen Akt der USA. Das Manöver der Biden-Regierung und ihrer Verbündeten ist kaum verständlich. Wie kann man einen angeblich wichtigen Verbündeten in der Weltpolitik so brüskieren?

Die USA schwächen ausgerechnet das, was ihnen vorgeblich wichtig ist: ein Bündnis der Demokratien der Welt zu schmieden. Im eigenen Lager Foul zu spielen, ist mindestens tollpatschig. Frankreich und die EU können kein Interesse an schlechten Beziehungen zur Biden-Regierung haben. Aber Washington hat seine Verbündeten unter Zugzwang gesetzt, demonstrativ zu reagieren.

Statt die gefühlte Beinahe-Äquidistanz der EU während der Trump-Jahre durch klare Bündnisbekenntnisse aufzuheben, muss sich Europa nun fragen, wie es künftig in der Welt dastehen will. Lässt sich die EU das US-Gebaren bieten, steht sie als willen- und machtlos da. Eskaliert sie über eine bloße Verschiebung des Auftakts der TTC-Gespräche hinaus, drohen jedoch die wichtigen transatlantischen Vorhaben bereits vor dem Start zu scheitern.

Doch so lässt sich Chinas Machtanspruch nicht einhegen. Ein Ausweg wäre derzeit nur in einem Entgegenkommen der US-Seite im Rahmen der Gespräche zu sehen: Wenn die US-Seite inhaltliche Zugeständnisse an die EU anbieten würde, wäre der französische Zorn wohl schnell verraucht – und die Pause, die Thierry Breton ankündigte, hätte immerhin etwas Positives. Größere Updates brauchen manchmal eben zwei Reboots. Falk Steiner

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Standpunkt: Arturo Varvelli, ECFR, zur Sicht auf Deutschland
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am Wochenende hieß es in der EU-Kommission noch, der Streit um U-Boote für Australien beeinträchtige den geplanten Handels- und Technologierat mit der US-Regierung nicht. Mit etwas Verzögerung aber hat sich in Brüssel und Berlin die Erkenntnis durchgesetzt, dass man das Mitgliedsland Frankreich in einer solchen Angelegenheit nicht im Stich lassen kann. Nach dem Musketier-Motto scharen sich die anderen nun um Paris und verlangen versöhnliche Gesten Washingtons. Bleiben die aus, könnte zumindest das Auftakttreffen des Handels- und Technologierates dem Streit zum Opfer fallen.

    Ähnlich angespannt wie die transatlantischen Beziehungen ist derzeit die Lage an den Erdgasmärkten. Die Rekordpreise bringen etliche europäische Regierungen in Zugzwang. Viele Beobachter machen vor allem Russland verantwortlich für den Anstieg – auch die Internationale Energieagentur forderte gestern eine Ausweitung der Lieferungen. Timo Landenberger analysiert, welche Rolle dabei das laufende Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 spielt.

    Der Countdown bis zur Bundestagswahl am Sonntag läuft. Im heutigen Standpunkt analysiert der Leiter der ECFR-Büros in Rom, Arturo Varvelli, welche Sorgen die Italiener mit einer neuen Bundesregierung verbinden. Kurz zusammengefasst: mehr Nationalismus, (noch) weniger Verständnis für Niedrigzinsen und gemeinsame Anleiheprogramme.

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    Till Hoppe
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    Aukus-Streit: EU solidarisiert sich mit Paris

    Es hat einige Tage gedauert, aber inzwischen haben die Europäer die Reihen um Frankreich geschlossen. Nach Ursula von der Leyen und Charles Michel stellte sich auch die Bundesregierung am Dienstag hinter Paris: “Natürlich ist das eine ganz schwierige Situation für Frankreich”, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD). Der Streit mit den USA, Australien und Großbritannien um den geplatzten U-Boot-Deal zeige einmal mehr, dass “ein geschlossenes Auftreten der Europäischen Union von herausragender Bedeutung” sei.

    Das Aukus-Sicherheitsbündnis dürfte auch die Staats- und Regierungschefs noch beschäftigen. Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune beantragte in der Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten (GAC), die neue Allianz beim Europäischen Rat auf die Agenda zu setzen, im Kontext des Umganges mit China. Andere Mitgliedsländer hätten dies befürwortet, hieß es. Roth sagte, es müsse jetzt darum gehen, die neue Indo-Pazifik-Strategie der EU-Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) mit Leben zu füllen (Europe.Table berichtete).

    Die anderen Hauptstädte signalisieren Paris damit, dass sie die Verärgerung ernst nehmen. Die französische Regierung hatte vergangene Woche ihre Botschafter aus Washington und Canberra zurückberufen, nachdem Australien den Milliardenauftrag für 12 U-Boote mit konventionellem Antrieb der mehrheitlich staatlichen Naval-Gruppe storniert hatte. Die USA und Großbritannien hatten der australischen Regierung zugesagt, im Rahmen von Aukus dort Atom-U-Boote zu bauen.

    Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete die Entscheidung Canberras als einen “brutalen Vertrauensbruch” und fühlte sich an die Trump-Ära erinnert. Die australische Regierung verweist hingegen auf Probleme und Preissteigerungen bei dem U-Boot-Projekt. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht im Interesse Australiens sei, sagte Premierminister Scott Morrison.

    Der französische Ärger richtet sich zum einen gegen Canberra. Paris stellt daher die laufenden Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Australien infrage: Es gelte nun, diese auf EU-Ebene “sehr schnell neu zu bewerten”, sagte Beaune. Bei den anderen Mitgliedsstaaten gibt es aber wenig Breitschaft, die seit elf Verhandlungsrunden laufenden Gespräche einfach abzubrechen. Die nächste Verhandlungsrunde ist im Oktober angesetzt.

    “Wahrscheinlich an der Zeit für eine Pause”

    Der Ärger auf Washington ist umso größer, als die US-Administration den Nato-Verbündeten nicht vorgewarnt hatte. Auch andere EU-Staaten fühlen sich an das unabgestimmte Vorgehen von Präsident Joe Biden beim Abzug aus Afghanistan erinnert. Bei dem anstehenden Gespräch von Präsident Emmanuel Macron mit Biden werde es darum gehen, so Beaune, “wie der Zustand unserer Allianz ist, unserer Kooperation”. Danach werde man sehen, wie es weitergehe.

    Dabei deutet sich an, dass die EU-Seite den für den 29. September angesetzten Handels- und Technologierat (TTC) verschieben könnte. Binnenmarktkommissar Thierry Breton sprach bei einem Auftritt in Washington von “erodiertem Vertrauen”. Daher sei es “wahrscheinlich an der Zeit für eine Pause und einen Neustart in unseren Beziehungen”, sagte der Franzose.

    Der Chef-Sprecher der Kommission wollte die Verschiebung aber nicht bestätigen. “Wir sind noch dabei, die Konsequenzen der Aukus-Ankündigung zu analysieren”, sagte Eric Mamer. In der heutigen Kommissionssitzung werde das Thema diskutiert.

    Um ein Zeichen zu setzen, hatte die Kommission ein geplantes Frühstück der EU-Botschafter mit den beiden Vizepräsidenten Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis zu den TTC-Vorbereitungen am Mittwochmorgen gestrichen. Auch Roth machte deutlich, dass er Washington am Zug sieht: “Hier muss man auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und das wird natürlich nicht einfach sein”.

    Weder Paris noch sonst jemand habe aber ein Interesse daran, den TTC grundsätzlich infrage zu stellen, heißt es in Brüssel. Der Handels- und Technologierat sollte eigentlich zum Ausdruck bringen, dass sich die transatlantischen Beziehungen unter Biden erheblich verbessert haben. Allerdings machte das Aukus-Bündnis deutlich, dass die Prioritäten auch der neuen Administration woanders liegen: im pazifischen Raum, bei der Einhegung des großen Rivalen China.

    Deutschland als Vermittler

    Für den Europaabgeordneten Daniel Caspary (CDU, EVP) zeigt der Aukus-Streit beispielhaft, wie man mit befreundeten Staaten nicht umgehen darf. “Ich wünsche mir, dass beide Seiten den jetzigen Streit nutzen, um sich im TTC ehrlich zu machen und die Differenzen dort schonungslos offen ansprechen und klären”, sagte er. Der Ärger Frankreichs sei verständlich, die EU müsse aber dennoch den Blick langfristig strategisch ausrichten. Deutschland sieht Caspary in dem Konflikt als Vermittler.

    In Brüssel heißt es, die US-Regierung habe offenkundig unterschätzt, wie heftig Frankreich auf die Neuigkeiten reagieren würde. Die einigermaßen überraschend verkündete Aufhebung der Reisebeschränkungen für EU-Bürger in die USA wird vor dem Hintergrund als erstes Zeichen des guten Willens aus Washington interpretiert.

    Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte am Montagabend in einem CNN-Interview eine Aufklärung der Affäre gefordert. Rund um Aukus gebe es viele offene Fragen, die geklärt werden müssten, bevor man zurück zum Modus “business as usual” komme. Der Umgang mit Frankreich sei “nicht akzeptabel” gewesen.

    Zweifel an US-Verlässlichkeit auch in Osteuropa

    Am Rande der UN-Vollversammlung in New York bemühte sich Ratspräsident Charles Michel zu vermitteln: Er traf sich am Nachmittag mit dem australischen Premier Morrison. Laut einem EU-Beamten machte Michel dabei deutlich, dass sich Australien mit der EU und ihren Mitgliedstaaten auseinandersetzen müsse, um Vertrauen und eine starke Partnerschaft aufzubauen.

    Die Zweifel an der Verlässlichkeit Washingtons sickern auch in osteuropäischen Staaten wie Polen ein, die sich traditionell stark auf die USA als Sicherheitsgarant gegenüber Russland stützen. Aus EU-Sicht bietet das die Chance, die internen Meinungsunterschiede ein Stück weit zu überbrücken. Die Rufe insbesondere Frankreichs nach größerer europäischer Souveränität in der Außen- und Sicherheitspolitik dürften auf weniger Ablehnung stoßen.

    Auch von der Leyen hatte unlängst die Wichtigkeit einer europäischen Verteidigungsunion betont. Kommissions-Vize Maroš Šefčovič berichtete nach der Sitzung des GAC-Rates am Abend: “Viele Minister haben sich dafür ausgesprochen, die strategische Autonomität beim nächsten EU-Gipfel näher zu besprechen”. Till Hoppe / Jasmin Kohl

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    Gaspreisrallye: Die Rolle von Nord Stream 2

    Das anhaltende Rekordhoch der Energiepreise in Europa treibt Industrie und Verbraucher gleichermaßen um. Noch vor dem Winter hat sich der Gaspreis innerhalb weniger Monate mehr als verdreifacht, und eine Besserung ist nicht in Sicht.

    Besonders für die energieintensiven Branchen spielt Erdgas als Brennstoff für die Produktion nach wie vor eine tragende Rolle. Kurzfristig sind die Unternehmen über bestehende Verträge mit den Energiekonzernen abgesichert. Perspektivisch kann die Kostensteigerung jedoch zu einem existenziellen Problem werden,

    Akut betroffen sind die Gasunternehmen selbst, die sich an die Verträge halten müssen, aber nicht genügend Gas eingelagert hatten und somit der Preisentwicklung am Spotmarkt voll ausgeliefert sind. In Großbritannien ist deshalb bereits eine regelrechte Pleitewelle zu beobachten. Die Regierung griff zu drastischen Maßnahmen inklusive Notkredite, um die Energieversorgung des Landes sicherzustellen.

    Hauptgrund für die explodierenden Preise ist die Sorge vor möglichen Gas-Engpässen im bevorstehenden Winter. Aufgrund der steigenden Gasnachfrage in Asien fallen die Lieferungen nach Europa in jüngster Zeit geringer aus. Vor allem aber aus Russland floss weniger Gas gen Westen. Der russische Energiekonzern Gazprom hat weniger Kapazitäten in den Gastleitungen über die Ukraine gebucht als in den vergangenen Jahren. Die Internationale Energieagentur IEA forderte Russland am Dienstag auf, mehr Erdgas nach Europa zu liefern.

    Vorwurf der künstlichen Gasverknappung

    Branchenbeobachter wittern dahinter politisches Kalkül: Das Energieunternehmen setze Europa durch die künstliche Verknappung unter Druck, damit es einem baldigen Betriebsbeginn der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zustimme. Eine Gruppe EU-Abgeordneter forderte bereits die Überprüfung von Gazprom durch die EU-Kommission. Gestärkt wird die Vermutung durch die jüngste Äußerung des Kremls (Europe.Table berichtete), eine schnelle Genehmigung von Nord Stream 2 könne die Sorge der Europäer vor möglichen Gasengpässen im Winter lindern und damit den steigenden Energiepreisen entgegenwirken.

    Hintergrund ist die Ausweitung der EU-Gasrichtlinie im Jahr 2019, die fast schon zu offensichtlich auf die Regulierung der umstrittenen Ostsee-Pipeline abzielte. Kommission und vielen Europaabgeordneten ist das deutsch-russische Projekt seit jeher ein Dorn im Auge. Zu groß werde die Abhängigkeit der EU von Russland, heißt es in Brüssel. Polen, Weißrussland und die Ukraine fürchten um ihre Transit-Gebühren, und auch die USA verfolgen den Schulterschluss gen Osten mit Argwohn.

    Formal war eine Regulierung des Nord-Stream-2-Projekts durch EU-Behörden jedoch nicht möglich, weshalb kurzerhand die EU-Gasrichtlinie, eigentlich für den Binnenmarkt bestimmt, auf Gasleitungen aus Drittstaaten ausgeweitet wurde. Daneben wurde der Passus eingeführt, dass Pipelines, die zum Stichtag im Mai 2019 bereits fertiggestellt waren, von den neuen Regularien befreit werden können. Ebenso wie solche, die sich zu dem Zeitpunkt noch in der Planungsphase befanden. Schließlich sollten durch die Richtlinie und die damit verbundenen Kosten keine potenziellen neuen Bauträger abgeschreckt werden. Übrig bleibt: Nord Stream 2.

    Problematische Gesetzgebung

    Energierechtsexpertin Valentina Eigner von bpv Hügel hält diesen Gesetzgebungsprozess, “der offensichtlich auf Nord Stream 2 abzielte”, für rechtspolitisch bedenklich. “Der Zusatzartikel, der eine Freistellung aller bestehenden Gaspipelines ermöglicht, führt das Argument, die Ausweitung sei für den Wettbewerb notwendig, ad absurdum”, sagt die Juristin zu Europe.Table. Auch das Argument für eine EU-weit einheitliche Regulierung sei hinfällig, da die Entscheidung über eine mögliche Freistellung bei den Mitgliedstaaten liege.

    In Deutschland trifft diese Entscheidung die Bundesnetzagentur. Bei ebendieser hatte die Nord Stream 2 AG auch einen Antrag auf Befreiung von den neuen Regularien gestellt. Zwar war die Pipeline zum Stichtag noch nicht im baulichen Sinne fertiggestellt. Jedoch müsse der Begriff auch den wirtschaftlichen Aspekt berücksichtigen. Die finale Investitionsentscheidung sei zu dem Zeitpunkt längst gefallen, das Projekt unumkehrbar, so die Betreibergesellschaft um Haupteigner Gazprom.

    Das sah die Bundesnetzagentur anders, lehnte den Antrag ab und auch das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte in seinem Urteil vor knapp einem Monat klar: fertiggestellt heißt fertiggestellt. Tatsächlich sei der Begriff nicht anders interpretierbar, bestätigt Valentina Eigner. Ob allerdings die Erweiterung der EU-Gasrichtlinie als solche rechtskonform ist oder womöglich gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt, das stehe auf einem anderen Blatt.

    Die Nord Stream 2 AG jedenfalls kündigte an, weiter gegen die Änderung vorgehen zu wollen, was aber schwierig werden dürfte. “Dafür müsste sie die individuelle Betroffenheit darlegen”, sagt Eigner. Faktisch sei diese zwar gegeben. “Aber eine Richtlinie ist dem Wesen nach nicht unmittelbar anwendbar, sondern wird von den Mitgliedstaaten erst umgesetzt.” Nord Stream 2 müsste also, um der Regulierung zu entgehen, eine Rechtsänderung erwirken. “Und da sehe ich keine rechtlichen Möglichkeiten.”

    Auch das von der Betreibergesellschaft angestoßene Schiedsverfahren wegen Verletzungen des Energiecharta-Vertrags habe wenig Aussicht auf Erfolg und sei überhaupt nur möglich, da das Unternehmen seinen Sitz in der Schweiz hat. Die Schweiz ist Vertragspartner der Energiecharta. Russland hingegen nicht.

    Unabhängigkeit des Netzbetriebs

    Der Pipeline-Betreiber wird die neuen Bestimmungen also wohl umsetzen müssen. Zentraler Bestandteil: Entflechtung (unbundling) und damit die Sicherstellung der Unabhängigkeit des Netzbetreibers von anderen Tätigkeiten der Energieversorgung. Eine Möglichkeit wäre der Verkauf der Pipeline an eine andere Gesellschaft, was jedoch als äußerst unwahrscheinlich gilt. Die Alternative: eine Zertifizierung als entflochtener Fernleitungsnetzbetreiber. Den entsprechenden Antrag hat die Nord Stream 2 AG bereits gestellt. Zuständig: die Bundesnetzagentur.

    Diese teilt auf Anfrage mit: “Eine Zertifizierung kann nur erteilt werden, wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie feststellt, dass die Erteilung der Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet.”

    Beim BMWi aber heißt es, die Versorgungssicherheit sei hoch, die Nachfrage in Deutschland könne vollständig bedient werden. “Wir sehen derzeit keine Engpässe”, sagt eine Ministeriumssprecherin. Das werde sich auch durch eine Zertifizierung von Nord Stream 2 nicht ändern.

    Langwieriger Prozess der Genehmigung

    Die Bundesnetzagentur hat nun vier Monate Zeit, einen Beschlussentwurf zu erstellen, der dann der EU-Kommission vorgelegt wird. Dieser bleiben weitere zwei Monate für eine Stellungnahme. Im Vorfeld wollte sich die Kommission nicht äußern.

    Ein langwieriger Prozess, der den Betrieb der Pipeline weiter verzögern könnte, die inzwischen auch im baulichen Sinne fertiggestellt ist. Dass Gazprom deshalb die Energieversorgung Europas über die bestehenden Pipelines künstlich verknappt, um den Druck zu erhöhen, liegt für viele auf der Hand.

    Zumal der russische Konzern ankündigte, bereits im Oktober mit den ersten Gaslieferungen durch Nord Stream 2 beginnen zu wollen. Was die Kommission dann zu tun gedenke, frage eine Journalistin in der täglichen Pressekonferenz der Brüsseler Behörde. Man treffe keine Aussagen zu “was wäre, wenn”, so die Antwort eines Kommissionssprechers, sondern vertraue auf den Prozess der Zertifizierung.

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    Frankreich für Erdgas in der Taxonomie

    In der Debatte um die EU-Taxonomie für nachhaltiges Finanzwesen hat sich Frankreich bisher öffentlich vor allem für eine Aufnahme der Atomkraft eingesetzt. Nun positioniert sich Paris auch in der Frage, ob Erdgas als nachhaltig gelten soll: Frankreich mache sich zusammen mit Tschechien dafür stark, dass der delegierte Rechtsakt zur Taxonomie sowohl Atomkraft, als auch Gas beinhalte, schrieb der französische Botschafter in der Tschechischen Republik, Alexis Dutertre, auf Twitter. Frankreich übernimmt im Januar nächsten Jahres die Ratspräsidentschaft; Tschechien folgt im Juli 2022.

    Die Kommission hat angekündigt, den delegierten Rechtsakt noch in diesem Oktober vorzulegen. Das Datum könnte sich allerdings nach hinten verschieben – unter anderem deswegen, weil die Kommission sich bislang nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen kann.

    Erst am Montag hat das österreichische Umweltministerium ein Rechtsgutachten veröffentlicht, wonach die Kernkraft keineswegs als “umweltfreundliche Tätigkeit” im Sinne der Taxonomie-Anforderungen gelten dürfe. “Jeder delegierte Rechtsakt, der auf der Grundlage der Taxonomie-Verordnung erlassen wird und die Kernenergie irgendwie in die europäische Taxonomie einbezieht, wäre vor den EU-Gerichten anfechtbar, so die Schlussfolgerung des Gutachters.

    Paris will Allianzen schmieden

    Hinter den Kulissen setzt sich Frankreich seit Längerem für die Aufnahme von Gas in die Taxonomie ein. Paris will Allianzen schmieden, um mehr Unterstützung für die eigene Position zur Integration der Atomkraft zu haben und dadurch mehr Druck auf die Europäische Kommission auszuüben.

    Deutschland könnte das in eine komplizierte Situation bringen: Die Bundesregierung lehnt die Einbeziehung der Kernkraft kategorisch ab. Bei der Einstufung von Erdgas ist die Haltung weniger eindeutig: Hier sei “die Positionierung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage.

    Laut gut informierten Kreisen steht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Aufnahme von Gas in die Taxonomie deutlich aufgeschlossener gegenüber als das Bundesumweltministerium. Davon unabhängig sei sich die Bundesregierung aber “einig, dass der Betrieb von Gaskraftwerken für eine Übergangszeit im Vergleich zu emissionsintensiveren Energien dem Klimaschutz zuträglich sein kann”, so die BMWi-Sprecherin.

    Hat die Kommission den delegierten Rechtsakt einmal verabschiedet, haben Rat und Parlament zwei Monate Zeit, um Einspruch zu erheben. Im Parlament braucht es dazu eine Mehrheit, im Rat eine qualifizierte Mehrheit. cw/tho

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    Biden will Klima-Finanzhilfen verdoppeln

    US-Präsident Joe Biden hat am Dienstag angekündigt, die Finanzhilfen für Entwicklungsländer zur Bewältigung des Klimawandels zu verdoppeln. Bei seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sagte er, er wolle mit dem US-Kongress zusammenarbeiten, um insgesamt 11,4 Milliarden Dollar bereitzustellen.

    Am Montag hatten der britische Premierminister Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, dass die Industrieländer ihre Finanzierung für den globalen Klimaschutz aufstocken. Nur so könne das 100 Milliarden Dollar-Ziel erreicht werden, auf das sich die wirtschaftsstärksten Länder geeinigt hatten, um die am meisten vom Klimawandel gefährdeten Länder zu unterstützen, hatten sie betont.

    Auch der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro kündigte am Dienstag höhere Klimaschutzmaßnahmen an. Seine Regierung wolle den Schutz des Amazonasgebiets ernst nehmen, erklärte er der UN-Vollversammlung. Nach jahrelangen Mittelkürzungen und Einstellungsstopps versprach Bolsonaro, die Mittel für die Durchsetzung des Umweltschutzes zu verdoppeln, um die illegale Abholzung zu bekämpfen.

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche bereits angekündigt, den eigenen Beitrag (25 Milliarden Dollar) mit Blick auf die Weltklimakonferenz (COP26) im November noch einmal um vier Milliarden Euro anzuheben. luk/rtr

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    Luftverschmutzung in den EU-Staaten noch immer hoch

    Das kurze Aufatmen im vergangenen Jahr, als die Luftverschmutzung durch die Corona-Pandemie zwischenzeitlich vielerorts zurückging, war nur von kurzer Dauer. Einem vorläufigen Bericht der European Environment Agency (EEA) zufolge haben fast alle EU-Mitgliedstaaten 2020 die Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe erreicht.

    Zwar habe sich die Luftqualität im Vergleich zu 2019 verbessert, was am geringeren Verkehrsaufkommen während des Lockdowns und günstigen Wetterbedingungen lag. Doch acht EU-Staaten zeigten 2020 noch immer erhöhte Feinstaub- und Stickstoff-Dioxid-Werte auf, 2019 waren es noch 18. In 17 Mitgliedstaaten deuteten die Messungen auf gesundheitsschädliche Mengen des Sauerstoffmoleküls Ozon (O3) hin, 2019 waren es 19.

    Die Daten zeigen, dass die Luftverschmutzung immer noch ein großes Gesundheitsrisiko für die Europäer darstelle, schreibt die EEA. Ursache sei die Verbrennung fossiler Energieträger. Die Feinstaubbelastung, insbesondere in Ballungsräumen, könne Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Lungenkrebs verursachen. Die Stickstoffdioxid-Konzentrationen könne mit Asthma und anderen Atemwegserkrankungen in Verbindung gebracht werden, heißt es in dem vorläufigen Bericht.

    Insgesamt fließen die Daten von 4.500 Messstationen in 40 europäischen Ländern in die Statistik mit ein. Zum heutigen internationalen Tag der sauberen Luft will die Weltgesundheitsorganisation WHO neue globale Richtlinien zur Luftqualität erlassen. luk

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    Bund plant Green Bonds auf Niveau des Vorjahres

    Der Bund will im kommenden Jahr ähnlich viele Öko-Anleihen herausbringen wie 2021. Es werde in etwa ein Emissionsvolumen in der Größenordnung von diesem Jahr angestrebt, obwohl die EU ebenfalls in dem Markt aktiv werde, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur, Tammo Diemer, am Dienstag. Genaue Prognosen soll es im Dezember geben. 

    In diesem Jahr sollen Green Bonds, mit denen Umwelt- und Klimaschutz finanziert werden sollen, im Volumen von 12,5 Milliarden Euro platziert werden. Insgesamt will sich der Bund in diesem Jahr etwa 482 Milliarden Euro von Investoren leihen. Die erste Öko-Anleihe begab der Bund im September 2020. rtr

    • Green Deal

    Presseschau

    Biden says U.S. will quadruple climate aid to poor countries POLITICO
    Heiko Maas kritisiert abgesagten U-Boot-Deal mit Frankreich ZEIT
    Hard choices loom for Europe as the gas crisis bites FT
    Kommt Italiens “Grüner Pass” bald zu uns? NTV
    So geht Tübingen gegen SUVs vor FAZ
    Journalist who tracked Viktor Orban’s childhood friend infected with spyware GUARDIAN
    Macrons Impfzertifikat zirkuliert online RND
    Energy ministers to hold first exchange on EU’s 2030 climate laws EURACTIV
    Dutch to spend billions on climate subsidies amid economic boom REUTERS

    Standpunkt

    Angela Merkels Rückzug: Roms europäischer Moment?

    Von Arturo Varvelli
    Arturo Varvelli, Leiter des ECFR-Büros in Rom: Deutschland wird in Italien überaus skeptisch beobachtet: Angela Merkel ist populär, doch es ist ungewiss, wie die deutsche Politik nach ihr aussieht.
    Arturo Varvelli ist Leiter des ECFR-Büros in Rom.

    Das Ende der letzten Amtszeit von Angela Merkel bedeutet den Verlust einer charismatischen europäischen Führungspersönlichkeit, der es gelungen ist, die Europäische Union durch einige ihrer kritischsten historischen Momente zu führen.

    Selbst in den letzten Monaten ihrer Amtszeit machte Merkel in den schwierigen Phasen der Pandemie und während der europäischen Impfkampagne eine durchschlagskräftige Politik. Eine in Italien (und 11 anderen europäischen Ländern) durchgeführte Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt, dass die Italiener Merkel im Allgemeinen als integrierende Kraft und verlässlichen Partner sehen. Auf die hypothetische Frage, wen sie zum “Präsidenten der EU” wählen würden, wenn Merkel und Macron die einzigen Kandidaten wären, würde Merkel in Italien klar gewinnen (37 Prozent gegenüber acht Prozent für Macron).

    Die Nach-Merkel-Ära könnte jedoch auch eine Chance für Italien darstellen. Die Anwesenheit von Mario Draghi – einer auf europäischer Ebene anerkannten und respektierten Persönlichkeit – im Palazzo Chigi könnte möglicherweise eine stärkere italienische Rolle in der EU und eine andere Konfiguration der Kräfte in Europa bewirken.

    Rom befürchtet, dass der europäische Integrationsprozess der letzten Jahre, der in gewissem Maße von Merkels Deutschland vermittelt wurde, allmählich schwächer wird. Die neuen politischen Gleichgewichte, die sich aus den deutschen Wahlen ergeben werden, könnten dazu führen, dass sich Berlin mehr auf seine eigenen nationalen Interessen konzentriert als auf seine Rolle als europäische Führungsmacht.

    Die italienische Regierung fürchtet insbesondere, dass Deutschland wieder zu einer reinen Wirtschaftsmacht werden könnte. Zu einem Land, das sich mehr auf die Staatsschulden einiger europäischer Partner konzentriert als auf die Suche nach gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme, wie z.B. einen durch ein Anleiheprogramm gestützten Konjunkturfonds.

    Italiener erwarten ein nationalistischeres Deutschland

    Laut der ECFR-Umfrage scheinen die Italiener zu erwarten, dass Deutschland nach dem Ende der derzeitigen Kanzlerschaft wieder nationalistischer und weniger pro-europäisch werden könnte. Italien ist sogar das Land, in dem die meisten Befragten glauben, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren nationalistischer werden wird: 37 Prozent der Befragten äußerten diese Meinung, gegenüber 25 Prozent in den anderen 11 befragten Ländern.

    Italien fürchtet außerdem, dass die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Jahren im Visier eines Teils der deutschen Medien steht, erneut unter Druck gesetzt wird, sich auf eine strengere statt auf eine expansive Politik auszurichten. Ein großer Teil der deutschen Politiker scheint eine in Deutschland weit verbreitete These zu bestätigen: Die Negativzinsen der EZB sind verfassungswidrig, sie schaden deutschen Anlegern und Rentnern.

    Daher sollte die Bundesbank beschließen, einzugreifen und ein Veto einzulegen. Diese deutsche Haltung könnte zur negativen Wahrnehmung Deutschlands in einem großen Teil der italienischen Öffentlichkeit beitragen. Auch wenn die Italiener der deutschen Führung in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen mehr Vertrauen entgegenbringen (24 Prozent) als in den anderen Politikbereichen, ist dies immer noch der niedrigste Wert unter den 12 untersuchten Ländern.

    Als ob Europa vor zehn Jahren stehen geblieben wäre

    Auf internationaler Ebene haben die Gefahr einer rigideren deutschen Haltung in Wirtschaftsfragen und der Niedergang von Merkels Führungsrolle bereits zu einem wichtigen Ergebnis geführt. Draghi hat begonnen, Macrons Frankreich für die Nach-Merkel-Ära als Gegengewicht zur unberechenbaren neuen deutschen Führung zu betrachten. Die Beziehungen zwischen Italien und Frankreich scheinen die besten seit 1945 zu sein. Sowohl Draghi als auch Macron sind ehemalige Investmentbanker, Befürworter der EU und einer marktgesteuerten Wirtschaft – und sie verbindet eine lange Freundschaft.

    Es ist jedoch nicht nur die persönliche Beziehung, die eine neue Achse Rom-Paris innerhalb der EU definiert. Wie es ein kürzlich erschienener Politico-Artikel dargelegt, benötigen sowohl Italien als auch Frankreich eine aktivere EU als Lösung für ihre internen Probleme. Beide wissen, dass die Zeit zum Handeln jetzt gekommen ist, wenn Deutschland seine Führung wechselt. Die Glaubwürdigkeit von Draghi ist hoch; Macron ist noch nicht in den Wahlkampf eingetreten.

    Italien würde erwarten, dass die EU entschlossener auf den “Aufruf zu den Waffen” der Regierung Biden gegen China reagiert, das als “strategischer Rivale” des Westens wahrgenommen wird. Das Interview, das Armin Laschet – einer von Merkels möglichen Nachfolgern – im Juni der Financial Times gegeben hat, deutet jedoch darauf hin, dass Berlin auch nach Merkels Ausscheiden aus dem Amt weiterhin eine eher zweideutige Haltung gegenüber China und Russland vertreten wird.

    Aus italienischer Sicht scheint sich Deutschland so zu verhalten, als ob Europa vor zehn Jahren stehen geblieben wäre und sich nicht an der Wiederbelebung eines Wettbewerbs der Großmächte beteiligen würde. Draghi ist sich bewusst, dass es in turbulenten Zeiten wie diesen auch an ihm liegen wird, die Welt wissen zu lassen, dass Europa handlungsfähig ist. Kein leichtes Ziel für ein Land, das in den letzten Jahrzehnten wenig Geschick in der Außenpolitik und wenig Engagement für Europa gezeigt hat.

    Der Rückzug der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist daher eine Gelegenheit für Draghi, die künftige Politik Europas zu gestalten.

    Arturo Varvelli leitet das Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR) in Rom.
    Der Artikel ist zuerst am 17.September 2021 in Domani erschienen.

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    Apéropa

    Fehlstart statt Neustart: Frankreich und die EU betrachten den geplatzten U-Boot-Deal als unfreundlichen Akt der USA. Das Manöver der Biden-Regierung und ihrer Verbündeten ist kaum verständlich. Wie kann man einen angeblich wichtigen Verbündeten in der Weltpolitik so brüskieren?

    Die USA schwächen ausgerechnet das, was ihnen vorgeblich wichtig ist: ein Bündnis der Demokratien der Welt zu schmieden. Im eigenen Lager Foul zu spielen, ist mindestens tollpatschig. Frankreich und die EU können kein Interesse an schlechten Beziehungen zur Biden-Regierung haben. Aber Washington hat seine Verbündeten unter Zugzwang gesetzt, demonstrativ zu reagieren.

    Statt die gefühlte Beinahe-Äquidistanz der EU während der Trump-Jahre durch klare Bündnisbekenntnisse aufzuheben, muss sich Europa nun fragen, wie es künftig in der Welt dastehen will. Lässt sich die EU das US-Gebaren bieten, steht sie als willen- und machtlos da. Eskaliert sie über eine bloße Verschiebung des Auftakts der TTC-Gespräche hinaus, drohen jedoch die wichtigen transatlantischen Vorhaben bereits vor dem Start zu scheitern.

    Doch so lässt sich Chinas Machtanspruch nicht einhegen. Ein Ausweg wäre derzeit nur in einem Entgegenkommen der US-Seite im Rahmen der Gespräche zu sehen: Wenn die US-Seite inhaltliche Zugeständnisse an die EU anbieten würde, wäre der französische Zorn wohl schnell verraucht – und die Pause, die Thierry Breton ankündigte, hätte immerhin etwas Positives. Größere Updates brauchen manchmal eben zwei Reboots. Falk Steiner

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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