Table.Briefing: Europe

EP will mehr Einfluss bei Finanzen + Nicolas Schmit + Klimagesetze

Liebe Leserin, lieber Leser,

am kommenden Mittwoch will die liberale Renew-Fraktion im Europaparlament bei einer außerordentlichen Fraktionssitzung den oder die neue Vorsitzende wählen. Darauf einigte sich gestern die erweiterte Führungsriege der Fraktion, das sogenannte Bureau, nach ausgiebigen Diskussionen. Der Führungsposten bei der drittgrößten Fraktion wurde vor einer Woche frei, weil der bisherige Vorsitzende Stéphane Séjourné zum französischen Außenminister berufen wurde.

Die französische Delegation wird den Posten wohl weiter beanspruchen – obwohl dies unter den eigenen Abgeordneten durchaus umstritten ist. Denn die Karten werden nach der Europawahl in weniger als sechs Monaten neue gemischt, und die Parteifreunde von Emmanuel Macron müssen viel Überzeugungsarbeit leisten: Der französische Machtanspruch stößt nicht nur bei den FDP-Abgeordneten in der Fraktion auf wenig Gegenliebe.

Favoritin bei Renaissance ist dem Vernehmen nach die Haushaltspolitikerin Valérie Hayer. Noch offen ist demnach, ob der bisherige erste Stellvertreter Séjournés, Malik Azmani, für den Posten kandidiere. Die Widersacher des Niederländers verweisen auf eine mögliche Zusammenarbeit seiner Partei VVD mit dem Radikalen Geert Wilders in Den Haag.

An dieser Stelle wollen wir noch den Kolleginnen und Kollegen von Research.Table gratulieren: Das Briefing für die Entscheider in Wissenschaft, Forschung und Politik feiert heute seinen 1. Geburtstag. Als Geschenk an die Leserinnen und Leser gibt es die ersten zehn Teile der Serie “Wissenschaftliche Politikberatung – quo vadis?” mit Statements u.a. von Bärbel Bas, Helge Braun oder Veronika Grimm hier als Reader.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Klimaneutralität 2050: Europas Gesetze weisen Lücken auf

Die Anstrengungen der EU-Staaten zur Erreichung ihrer ambitionierten Klimaziele reichen bisher nicht aus. Dies offenbaren nicht nur die unzureichenden nationalen Energie- und Klimapläne der EU-Staaten (NECP), die klaffende Lücken insbesondere bei Maßnahmen gegen Verkehrs- und Gebäudeemissionen zeigen, um die Ziele für 2030 zu erreichen. Nun hat auch der Europäische wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) bemängelt, es gebe Defizite bei bestehenden und geplanten Gesetzen rund um die EU-Klimaneutralitätsziele bis 2050.

Um die EU-Klimaziele zu erreichen, seien in allen Sektoren größere Anstrengungen erforderlich, insbesondere in den Bereichen Gebäude, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. “Um auf dem richtigen Weg zu bleiben, müssen wir sicherstellen, dass die heutigen Maßnahmen mit unseren langfristigen Zielen übereinstimmen, und uns auf noch stärkere Reduzierungen nach 2030 vorbereiten”, analysiert der Beiratsvorsitzende und Umwelt-Ökonom Ottmar Edenhofer.

Fossile Subventionen hoch und bisher nicht rückläufig

Konkret macht das Gremium 13 zentrale Empfehlungen, kurzfristige wie langfristige. Darunter:

  • Die schnelle Reform der Energiebesteuerungsrichtlinie: Diese wird derzeit von den EU-Mitgliedstaaten im Rat blockiert. Laut ESABCC fördert das derzeitige Steuersystem mitunter aktiv klimaschädliche Aktivitäten, da beispielsweise fossile Brennstoffe geringer besteuert werden als Elektrizität. Eine Reform müsse bessere Anreize für den Einsatz sauberer Alternativen setzen.
  • Die vollständige Abschaffung schädlicher Subventionen für fossile Brennstoffe: Fossile Subventionen blieben trotz internationaler Versprechen, diese zu beenden, stabil (rund 50 Milliarden Euro im Schnitt pro Jahr in der EU). Zuletzt stiegen sie 2022 aufgrund der Energiekrise sogar auf 120 Milliarden Euro an. Mitgliedstaaten sollten in ihren NECP ein zeitnahes Enddatum fossiler Subventionen festlegen, fordert der Klimabeirat.
  • Eine auf EU-Klimaziele abgestimmte gemeinsame Agrarpolitik (GAP): Der EU-Klimabeirat empfiehlt explizite Treibhausgasreduktionsziele für den Agrarbereich und eine Verlagerung der GAP-Subventionen weg von emissionsintensiven landwirtschaftlichen Praktiken, hin zu emissionsärmeren Produkten und Anreizen für Kohlenstoffabbau. Auch die Ausweitung der CO₂-Bepreisung auf Landwirtschaft und den Landnutzungssektor (LULUCF) bis spätestens 2031 wird empfohlen.
  • Umverteilungs- und Kompensationsmaßnahmen, die auf die schwächsten und am stärksten betroffenen Haushalte und Unternehmen ausgerichtet sind.
  • Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO₂ (CCU/CCS), Wasserstoff und Biomasseenergie sollten nur dort zum Einsatz kommen, wo nicht-fossile Alternativen nicht realisierbar sind.

Für den Ökonomen Edenhofer spielt die Ausweitung und weitere Überarbeitung der europäischen CO₂-Bepreisung im EU-Emissionshandelssystem (ETS) eine entscheidende Rolle. Ein umfassendes System zur CO₂-Bepreisung würde beispielsweise auch weniger Lücken für die nicht nachhaltige übermäßige Nutzung von Biomasse lassen, sagt er. Zudem müsse das ETS neben dem Agrar- und Landnutzungssektor auch auf sogenannte diffuse Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe ausgeweitet werden. Auch eine Ausweitung des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) auf fossile Importe würde sowohl Anreize für mehr Klimaschutz im Ausland bieten als auch Einnahmemöglichkeiten für die EU eröffnen.

Ohne Klimageld wird’s schwierig

Für die durch steigende CO₂-Preise erhöhten Lebenshaltungskosten, insbesondere bei einer Ausweitung auf den Agrarsektor, seien Ausgleichsmaßnahmen dringend notwendig, betont Edenhofer auch. Ein gerechter und fairer Übergang sei notwendig, um die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Damit Menschen mit geringem Einkommen nicht stärker belastet werden, müssten Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung verwendet werden, um emissionsarme Alternativen erschwinglich zu machen, heißt es in dem Bericht – eine Art von Klimageld also. Dafür müssten auch Einnahmen aus dem CBAM explizit für Klimaschutzmaßnahmen reserviert werden, fordern die Wissenschaftler.

Zwar gibt es mit dem Klimasozialfonds, der sich aus Einnahmen aus dem ETS 2 speist, bereits ein Instrument zur Abfederung von Preiserhöhungen im Verkehrs- und Gebäudesektor. Allerdings ist noch völlig unklar, ob die Mittel für die aktuellen Ziele des Fonds (rund 87 Milliarden Euro) überhaupt ausreichen – geschweige denn bei einer möglichen ETS-Ausweitung mitwachsen. Hier sehen die Forscherinnen und Forscher schnellen Klärungsbedarf.

CCS: Definition für Restemissionen fehlt

Auch die Rolle von technologischen CO₂-Entnahmen und deren Speicherung oder Nutzung müsse schnell geklärt werden, schreibt das Expertengremium. Bis 2050 werde CCU/CCS nur eine begrenzte Rolle bei der Energieversorgung spielen, da die Technologien im Vergleich zu erneuerbaren Energien weniger effizient sind und höhere Risiken aufwiesen. Daher brauche es schnellstmöglich eine EU-Definition für unvermeidbare Restemissionen, beispielsweise aus dem Agrarbereich oder der Industrie, für die die CO₂-Abscheidung notwendig ist.

  • CBAM
  • ETS 2
  • EU-Klimapolitik
  • EU-Klimaziel 2040
  • Klima & Umwelt
  • Klimageld
  • Klimaneutralität
Translation missing.

EU-Kommission soll prüfen, ob Musikstreamingdienste Künstler und Urheber angemessen vergüten

Dass ein Initiativantrag des Europaparlaments drei Monate vor der letzten Plenumssitzung keine Chancen hat, noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzesvorschlag von der Kommission bedacht zu werden, war allen Beteiligten bewusst. Und doch war es dem Europaparlament wichtig, mit breiter Mehrheit (530 Stimmen) von der Kommission einzufordern, sich der Vergütungsthematik bei Streaming-Diensten anzunehmen. Die breite, interfraktionelle Zustimmung allerdings war teuer erkauft: statt konkreter Forderungen stehen vor allem Prüfaufträge im am Mittwochnachmittag beschlossenen Text.

So soll die EU-Kommission prüfen, ob und inwieweit das Streaming-Ökosystem die kulturelle Vielfalt schädige und ob Künstler und Urheber angemessen vergütet würden. Streamingdienste zahlen im Prinzip pro Abruf eines Stückes eine geringe Summe im Centbruchstückbereich an ihre Vertragspartner, im Regelfall größere Musiklabels. Vor allem der Marktführer Spotify aus Schweden steht dabei regelmäßig in der Kritik: Die Vergütungsregeln würden vor allem den populärsten Künstlern wie Taylor Swift oder Ed Sheeran bevorteilen, die Künstler am unteren Ende der Bekanntheit oder Beliebtheitsskala jedoch unangemessen benachteiligen.

Einen Kritikpunkt stellt der Berichterstatter, der S&D-Abgeordnete Iban García del Blanco heraus: Man wolle “für Transparenz in den Algorithmen und Empfehlungstools der Streaming-Dienste sorgen”. Aus Sicht der Künstler besteht eben hier ein großes Problem: Die Empfehlungsmechanismen der Streaminganbieter sind Black Boxes, und regelmäßig, so die Vermutung, würden besonders populäre Künstler dabei höher gewichtet und den Nutzern empfohlen – was diese wiederum einnahmeseitig begünstigen würde. Auf konkretere Reformvorschläge, wie Entgelte fairer verteilt werden sollten, verzichteten die Parlamentarier zugunsten des breiten Konsenses jedoch.

Regionale Quoten für Playlisten

Ein relevanter Hebel ist aus Sicht mancher Abgeordneter jedoch eine Quotenregelung: Die reichweitenstärksten Musiker der Plattformen sind – mit wenigen Ausnahmen wie etwa im Falle Indiens – oft US- oder UK-Künstler. Der Initiativbericht fordert von der Kommission daher auch die Sicherstellung europäischer kultureller Vielfalt.

Das könne etwa durch Quoten in den Empfehlungssystemen erreicht werden, wenn etwa regionale Künstler vom Nutzer standortabhängig bevorzugt eingespeist würden. Nischenkünstler müssten von ihrer Arbeit leben können, fordert der Schattenberichterstatter Niklas Nienaß (Grüne) und deshalb brauche es unter anderem solche, regionalen Quoten.

KI-Nutzung und Werke als Problemfeld

Die Abgeordneten fordern in ihrem Text zudem eine Analyse der Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Musikmarkt. Doch hier ist noch viel im Unklaren. Eine Kennzeichnungspflicht für KI-Inhalte soll allerdings kommen, wünschen die Abgeordneten, und auch die Rechtsstellung der Künstlerinnen und Künstler solle ausgebaut werden.

Hier besteht noch ein großes Durcheinander: Mit der DSM-Richtlinie hatte die EU 2019 eine urheberrechtliche Text- und Data-Mining-Schranke geschaffen, die von KI-Unternehmen als Freibrief für die Analyse von Werken gelesen wird. Auf deren Basis entstehen inzwischen automatisiert neue Werke, ohne dass die Originale auch nur als Sample gespeichert werden müssten. Ob die urheberrechtliche Schranke allerdings diese Nutzung wirklich rechtfertigt, welche urheberrechtlichen Ansprüche bei einem Werk ohne menschlichen Urheber überhaupt geltend gemacht werden können? Wie eine angemessene Vergütungsregelung aussehen könnte? Das hängt sowohl vom finalen Text des AI Acts ab als auch von der rechtlichen Einschätzung – viel Prüfstoff für den juristischen Dienst der Kommission also.

Branchenvertreter zweifeln Notwendigkeit an

Vordergründig richtet sich die Kritik der Parlamentarier also gegen Spotify, Apple Music, Deezer und Co. Tatsächlich gemeint sind aber auch viele andere Akteure – nicht zuletzt die Major Labels, die mit den Diensteanbietern die maßgeblichen Verhandlungen führen. Am liebsten, so sagen es alle Beteiligten, wäre es ihnen, wenn auf eine Gesetzgebung am Ende gar verzichtet werden könnte – indem die Branche die angesprochenen Probleme selbst ausräumt.

Branchenprimus Spotify wäre damit sicherlich einverstanden – lässt aber dem Branchenverband Digital Music Europe den Vortritt bei der Einschätzung des EP-Initiativberichts: Die europäische Musik floriere, weil europäische Fans europäische und insbesondere lokale Musik liebten und sich konsequent zum Hören dieser entschieden, lässt sich die Vorsitzende Olivia Regnier zitieren.

“Wir stellen daher die Vorschläge des Berichts, dass eine Regulierung im Bereich des Musikstreaming notwendig ist, infrage und fordern die politischen Entscheidungsträger auf, eine gründliche Analyse der Vielfalt und des künstlerischen Erfolgs im Bereich des Musikstreaming durchzuführen, um objektive Fakten zu erhalten, bevor sie irgendwelche Maßnahmen in Erwägung ziehen.” Den Parlamentariern dürfte diese Empfehlung nur zu bekannt vorkommen: Regnier ist auch noch Interessenvertreterin bei Spotify.

  • Digitalpolitik
  • Europäisches Parlament
  • Urheberrecht

Termine

19.01.2024 – 10:00 Uhr, Berlin
Stiftung Datenschutz, Konferenz Datentag: Preisgabe von Daten
Die Stiftung Datenschutz beschäftigt sich mit den Gründen für die Zustimmung zur Erhebung von personenbezogenen Daten. INFOS & ANMELDUNG

22.01-23.01.2024, Köln
EASA, Workshop RefuelEU Aviation environmental labelling scheme
The European Authority for aviation safety (EASA) addresses the status, the methodology, data ingestion and treatment as well as the integration of the labelling into the ecosystem of emissions communication. INFOS & REGISTRATION

22.01.2024 – 16:30-19:00 Uhr, Berlin
FES, Seminar The 2024 U.S. elections – a bipartisan outlook on key issues and what they mean for the transatlantic partnership
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutiert mögliche Implikationen der US-Wahlen 2024 für die transatlantischen Beziehungen. INFOS & ANMELDUNG

22.01.2024 – 19:00-21:00 Uhr, Bonn
FES, Vortrag Ein Jahr Lieferkettengesetz
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht über Möglichkeiten und Mängel des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). INFOS & ANMELDUNG

23.01.-25.01.2024, Berlin
Handelsblatt, Konferenz Energie-Gipfel
Das Handelsblatt diskutiert die Weichenstellung für den nachhaltigen Umbau des Energiesystems. INFOS & ANMELDUNG

23.01.-25.01.2024, Berlin/online
PE, Symposium Berliner Demografie-Tage 2024: Krisen überwinden – Politik für eine ungewisse Zukunft gestalten
Population Europe (PE) informiert über Auswirkungen von Krisen auf die Bevölkerungspolitik und vice versa. INFOS & ANMELDUNG

23.01.2024 – 08:30-19:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
EIT, Conference EdTech Conference
The European Institute of Innovation & Technology (EIT) discusses the current state of EdTech in Europe. INFOS & REGISTRATION

23.01.2024 – 13:00-14:30 Uhr, Brüssel (Belgien)
ECFR, Conference Re-Engaging with Neighbours in a State of War and Geopolitical Tensions
The European Council on Foreign Relations (ECFR) intends to assist the EU in refining its foreign policy toolbox, including its enlargement and neighbourhood policies. INFOS & REGISTRATION

23.01.2024 – 15:00-17:30 Uhr, online
ERCST, Workshop State of the European Hydrogen Market – Stakeholder consultation
The Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) brainstorms on the outline and content of the 2024 State of the European Hydrogen Market Report. INFOS & REGISTRATION

23.01.2024 – 17:30 Uhr, Brüssel (Belgien)
ECSA New Year’s Reception 2024
The European Community Shipowners’ Associations (ECSA) hosts its New Year’s Reception 2024. INFOS & REGISTRATION

23.01.2024 – 18:00-19:00 Uhr, online
DGAP, Diskussion Flirt mit der Diktatur: Was bei der US-Wahl auf dem Spiel steht
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert die Folgen eines möglichen Wahlsiegs Donald Trumps für das transatlantische Verhältnis. INFOS & ANMELDUNG

News

EP will mehr Einfluss im neuen EU-Fiskalregelwerk

Das Europäische Parlament will seinen Einfluss in der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik im Zuge der neuen europäischen Schuldenregeln massiv erweitern. Das geht aus dem Mandat für die Verhandlungen über das neue EU-Fiskalregelwerk hervor, auf das sich die Abgeordneten in Straßburg verständigten.

So soll die Kommission dem Parlament, vorbehaltlich angemessener Vertraulichkeitsregelungen, alle erforderlichen einschlägigen Unterlagen und Informationen “gleichzeitig und zu gleichen Bedingungen” wie dem Rat zukommen lassen, darunter etwa bei den mittelfristigen haushaltspolitischen Strukturplänen. Aktuell hat das Parlament in der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik keinen Zugang zu zahlreichen internen Informationen.

Mit dem Mandat des Parlaments ist jetzt der Weg frei, den gesetzlichen Rahmen für die neuen EU-Fiskalregeln festzuzurren. Dazu haben Parlament und Mitgliedstaaten unter Vermittlung der Kommission bis maximal April Zeit, da sich dann das Abgeordnetenhaus mit Blick auf die anstehende Europa-Wahl auflöst. EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis hatte zuletzt am Rande des Ecofin noch einmal deutlich gemacht, dass die Zeit dränge. Hintergrund ist, dass die neuen Schuldenregeln nach Möglichkeit bereits für das Haushaltsjahr 2025 angewandt werden sollen. Die Kommission will dazu ihre Haltung im Februar vorstellen.

Stabilitäts- und Wachstumspakt zu rigide

Die Neuausrichtung des EU-Fiskalregimes war nötig geworden, da sich die bisherigen Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspakts als zu strikt und rigide erwiesen haben. Mit den neuen Regeln sollen die Haushaltspläne stärker auf die individuelle Ausgangslage in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgerichtet werden, ohne die Stabilität und Nachhaltigkeit der Budgets auszuhöhlen. Auf diesen Ansatz hatten sich die EU-Staaten Ende Dezember nach monatelangen kontroversen Diskussion verständigt.

Mit dem neuen Fiskalregelwerk bleiben die Kernziffern des aktuellen Stabilitäts- und Wachstumspakts unangetastet: eine maximale Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIP. Um allerdings eine konsequente Konsolidierungspolitik sicherzustellen, sollen Staaten mit einer Schuldenquote von über 90 Prozent des BIP ihren Schuldenstand jährlich um einen Prozentpunkt verringern. Für Staaten mit einer Quote von 60 bis 90 Prozent des BIP beträgt die Reduktion 0,5 Prozentpunkt.

EP fordert unabhängiges Europäisches Fiskalboard

Diese Absicherung einer zielgerichteten Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, auf die besonders Deutschland gepocht hatte, übernehmen auch die Abgeordneten. In anderen Punkten gehen sie zudem neben der stärkeren eigenen Einbindung, die sich auch auf den gesamten Prozess des Europäischen Semesters erstrecken soll, deutlich über die Haltung der Mitgliedstaaten hinaus. So fordern die Parlamentarier die Einrichtung eines unabhängigen Europäischen Fiskalausschusses, der weder von der Kommission noch von den Mitgliedstaaten Weisung erhalten darf.

Der Ausschuss soll eine beratende Funktion für die Koordination der europäischen Wirtschaftspolitik übernehmen und damit eine neutrale Sicht zur Arbeit der Kommission schaffen. Die Kommission soll in dem Ausschuss einen Sitz haben, allerdings ohne Stimmrecht. Um die Transparenz in der Umsetzung der mehrjährigen nationalen Budgetpläne zu erhöhen, sprechen sich die Abgeordneten ferner für die Einrichtung eines Scoreboards aus, welches die Fortschritte in der Umsetzung der mittelfristigen nationalen Haushaltsstrukturpläne dokumentieren soll, einschließlich des aktuellen Status des Nettoausgabenpfades sowie der Investitionen und Reformen. Das Scoreboard soll zweimal jährlich aktualisiert werden und noch in diesem Jahr starten.

Die Abgeordneten machen in ihrem Mandat noch einmal deutlich, dass ein hohes Niveau öffentlicher Investitionen notwendig ist, um die europäischen Ziele des grünen und digitalen Wandels zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sprechen sie sich zur Stärkung des Investitionsrahmens für die Schaffung eines gemeinsamen Investitionsinstruments auf Unionsebene aus. Dazu sollen zur Inspiration die Erfahrungen der Instrumente wie NextGenerationEU und SURE dienen. Die Einrichtung weiterer EU-Bonds wird aber von einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, strikt abgelehnt. cr

  • EU-Haushalt
  • EU-Schuldenregeln
  • Finanzen
  • Finanzpolitik
  • Fiskalpolitik
  • NextGenerationEU
  • Wirtschaft
  • Wirtschaftspolitik

CCS-Strategie: Kommission plant EU-Binnenmarkt für CO₂

Anfang Februar stellt die EU-Kommission neben ihrem Vorschlag für das EU-Klimaziel 2040 auch eine Strategie für den Umgang industrieller Emissionen vor, um die Gesetzeslücken für CCS zu schließen. Aus einem Entwurf dieser Industrial-Carbon-Management-Strategie, der Table.Media vorliegt, geht hervor, dass die EU bis 2050 jährlich bis zu 450 Millionen Tonnen abscheiden muss, um im selben Jahr klimaneutral zu sein.

Durch den Aufbau eines “grenzüberschreitenden, frei zugänglichen CO₂-Transportnetzes” soll ein Binnenmarkt für abgeschiedenen Kohlenstoff entstehen, der anschließend entweder unterirdisch gespeichert oder industriell weiterverarbeitet wird. Die Angaben über nötige Investitionssummen und Pipeline-Kilometer sind in dem Entwurf noch offen.

Die EU plant derzeit, durch den Net Zero Industry Act ab 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ unterirdisch zu speichern. Laut dem Entwurf geht die Kommission offenbar aber davon aus, jährlich 80 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr abscheiden zu können. Deshalb plant sie gemäß dem Entwurf, mehr wirtschaftliche Anreize für die Ermittlung und den Bau weiterer Speicherkapazitäten zu setzen.

Nutzung von abgeschiedenem Kohlenstoff ausweiten

Dies könne entweder durch die Integration von CO₂-Entnahmezertifikaten in das ETS oder durch die Schaffung eines separaten Handelsmechanismus geschehen, der direkt oder indirekt mit dem ETS verbunden wäre. Schließlich sollen bis 2040 mindestens 200 Millionen Tonnen CO₂ jedes Jahr gespeichert werden können, heißt es in dem Entwurf der Strategie.

Offenbar plant die Kommission auch die Ausweitung der industriellen Nutzung von abgeschiedenem Kohlenstoff. Es seien “zusätzliche Maßnahmen” erforderlich, um den Klimavorteil von abgeschiedenem CO₂ anstelle von fossilem Kohlenstoff für andere Anwendungen anzuerkennen, heißt es. So könne es als Rohstoff für die Chemieindustrie verwendet werden, beispielsweise zur Herstellung von Polymeren, Kunststoffen, Lösungsmitteln, Farben, Reinigungsmitteln, Kosmetika und Arzneimitteln. Die Kommission beziffert den CO₂-Bedarf des Chemiesektors allein auf jährlich etwa 125 Millionen Tonnen oder rund 450 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Dieser Bedarf werde derzeit von fossilem CO₂ gedeckt.

Die Kommission will deshalb einen Rechtsrahmen schaffen, um Herkunft, Transport und Verwendung von abgeschiedenem CO₂ verfolgen zu können und einen Preisanreiz für dessen Nutzung zu schaffen. luk/ber

  • Carbon Capture
  • CCS
  • CO2-Emissionen
  • EU-Klimaziel 2040
  • Klima & Umwelt
  • Klimapolitik
  • Klimaziele
  • Net Zero Industry Act

EU verbietet unbegründete Umweltaussagen und irreführende Produktinformationen

Das EU-Parlament hat am Mittwoch die Trilogeinigung über das Verbot von Greenwashing und irreführenden Produktinformationen (“Empowering Consumers for the Green Transition“) angenommen. Auch der Rat muss nun noch zustimmen, dann kann die Richtlinie in Kraft treten.

Das Gesetz soll Verbraucherinnen und Verbraucher vor irreführender Werbung schützen und ihnen helfen, bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Unter anderem wird die EU-Liste der unlauteren Geschäftspraktiken um eine Reihe von Praktiken ergänzt, die mit Greenwashing und dem geplanten Verschleiß von Produkten zusammenhängen. Allgemeine Umweltaussagen wie “umweltfreundlich”, “natürlich”, “biologisch abbaubar”, “klimaneutral” oder “öko” werden verboten, sofern diese nicht belegt werden.

Auch unbegründete Aussagen zur Haltbarkeit sind zukünftig verboten: Hersteller dürfen etwa nicht mehr dazu auffordern, Produkte früher auszutauschen, als unbedingt nötig. Dies ist zum Beispiel bei Druckertinte häufig der Fall.

Nur noch offizielle Siegel erlaubt

Darüber hinaus sollen nur noch auf anerkannten Zertifizierungssystemen beruhende oder von staatlichen Stellen eingeführte Nachhaltigkeitssiegel erlaubt sein. Um Garantien, die über die gesetzliche Gewährleistung hinausgehen, hervorzuheben, wird ein neues Etikett eingeführt.

Wenn die Richtlinie vom Rat endgültig angenommen wird, wird sie danach im Amtsblatt veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten haben dann 24 Monate Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. leo

  • Bio
  • Ernährung
  • Europäisches Parlament
  • Greenwashing
  • Verbraucherschutz

EU-geförderte NGOs sollen Rechenschaft ablegen

NGOs, die Geld aus dem EU-Haushalt bekommen, sollen künftig die Verwendung der Mittel bis zum letzten Empfänger sowie die Herkunft sämtlicher Finanzmittel ausweisen müssen. Zudem werden Empfänger von EU-Steuerzahlergeldern aufgefordert, alle Treffen mit Abgeordneten, Mitarbeitern sowie Vertretern anderer EU-Institutionen transparent machen, wenn Belange der EU-Gesetzgebung tangiert sind. Dies sieht der Initiativbericht von Markus Pieper (CDU) vor, den das Europaparlament beschlossen hat.

Nicht durchsetzen konnte sich Pieper mit dem Vorhaben, die Kommission zu einem Gesetzgebungsvorschlag für die Regulierung von NGOs aufzufordern. Gestrichen wurde auch der Verweis auf eine NGO im Berichtsentwurf, die die Kommission eigens gegründet hatte, um die Europaparlamentarier beim Naturwiederherstellungsgesetz zu lobbyieren. mgr

  • Europäische Kommission
  • Europäisches Parlament
  • Lobbyismus
  • NGO
  • Transparenz

Von der Leyen verteidigt Freigabe der Milliarden an Ungarn

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat im Europaparlament die Freigabe von 10,2 Milliarden Euro durch die Kommission an Ungarn gerechtfertigt. “Seit Beginn des Mandats ist immer Ziel der Kommission gewesen, die Regierung in Ungarn zu Reformen zu bewegen.” So habe die Kommission im Mai Ungarn aufgefordert, Reformen durchzuführen, mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der Justiz im Land wieder herzustellen. In der Folge habe die ungarische Regierung die angemahnten Reformen im Bereich der Justiz auch durchgeführt. “Ungarn hat geliefert, was die Kommission gefordert hat.”

Damit reagierte von der Leyen auf die massive Kritik sämtlicher proeuropäischen Fraktionen aus dem Europaparlament an der Entscheidung der Kommission unmittelbar vor dem regulären EU-Gipfel im Dezember. Von der Leyen erklärte weiter, dass die mit der Entscheidung befassten Kommissare, Didier Reynders (Justiz), Nicolas Schmit (Soziales), Elisa Ferreira (Kohäsion) bereit seien, gegenüber dem Parlament Rechenschaft abzulegen. Das Europaparlament stimmt an diesem Donnerstag über eine Resolution ab, die massive Kritik an der Freigabe der Gelder übt, die Kommission auffordert, vor dem Parlament Rechenschaft abzulegen, sowie den Rechtsausschuss des Parlaments auffordert, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte dafür einzuleiten.

Weitere Mittel werden zurückgehalten

Von der Kommission nach wie vor zurückgehalten werden wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit weitere EU-Mittel für Ungarn in Höhe von rund 20 Milliarden Euro. Von der Leyen machte deutlich: “Diese Mittel werden so lange blockiert, bis die Regierung in Ungarn die geforderten Reformen erledigt hat.”

EVP-Fraktionschef Manfred Weber sagte: “Wichtig ist, dass die Kommission jetzt eine faktenbasierte Aufarbeitung vorlegt, nach welchen Kriterien die Freigabe erfolgt ist.” Weber richtete zudem den Appell an den Rat: “Im Rat liegt seit langer Zeit der Antrag auf dem Tisch, das Verfahren nach Artikel 7, Absatz eins gegen Ungarn weiterzutreiben.” Die Staats- und Regierungschefs müssten nun endlich den Mut aufbringen, zu handeln. Guy Verhofstadt von Renew warf von der Leyen vor, dass sie sich von dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán erpressen lassen habe. Die Freigabe der Mittel sei im Gegenzug zur Aufgabe des ungarischen Vetos beim Europäischen Rat gegen den Beitritt der Ukraine erfolgt. Verhofstadt forderte von der Kommissionspräsidentin: “Die Kompromisse mit Orbán müssen ein Ende haben. Nehmen Sie endlich Ihre Rolle wahr als Hüterin der Verträge.”  mgr  

  • Europäische Kommission
  • Europäischer Rat
  • Europäisches Parlament
  • Ungarn
  • Ursula von der Leyen

EU-Parlament will mehr Engagement in Zentralasien sehen

Das EU-Parlament fordert eine engere Zusammenarbeit mit zentralasiatischen Staaten. Die EU habe jetzt die Möglichkeit, “ihre Beziehungen zu Zentralasien auszubauen und eine größere Rolle in der Region zu spielen“, betonten die EU-Abgeordneten am Mittwoch in einer Resolution, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Brüssel solle die Gelegenheit nutzen, “um eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit voranzubringen und Zentralasien eine Partnerschaft anzubieten”, nicht zuletzt, um Chinas und Russlands Einfluss in der Region entgegenzuwirken. Ein erstes Gipfeltreffen von Vertretern aus EU und Zentralasien ist demnach für 2024 geplant.

Derzeit befindet sich Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas auf Reisen in den fünf zentralasiatischen Staaten. Am Mittwoch befand sich Schinas in Usbekistan. Die Reise findet im Vorfeld eines Investorenforums für den transkaspischen Verkehrskorridor statt, das Ende des Monats in Brüssel durchgeführt werden soll. Chinas Staatschef Xi Jinping hatte im vergangenen Mai einen Gipfel mit den Staatschefs der “Stans” abgehalten.

Parlament fordert Risikoanalyse

Das EU-Parlament stimmte am Mittwoch zudem über einen Bericht über Chinas Einfluss auf Europas Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab. In dem Papier warnen die EU-Parlamentarier unter anderem vor einer zu großen Abhängigkeit von China bei bestimmten Rohstoffen und dem Abwandern von militärisch strategischem Know-how.

Die Abgeordneten forderten zudem die EU-Kommission auf, dem Parlament noch vor dem Ende der laufenden Wahlperiode eine “detaillierte Analyse der Risiken für den Handel in Bezug auf Technologien wie Halbleiter, Quanteninformatik, Blockchain, Weltraum, künstliche Intelligenz und Biotechnologie sowie den möglichen Handlungsbedarf der EU in diesen Bereichen” vorzulegen. Resolutionen sind die Standpunkte des EU-Parlaments zu bestimmten Themen, sie sind nicht bindend für die EU-Kommission. ari

  • China
  • Chips
  • EU
  • Handelspolitik
  • Rohstoffe
  • Zentralasien

EU-Parlament verurteilt geplante Strafrechtsreform in der Slowakei

Die geplante Strafrechtsreform und die Auflösung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung in der Slowakei haben bei Europaparlamentariern “tiefe Besorgnis” ausgelöst. Sie verabschiedeten am Mittwoch mit 496 von insgesamt 630 Stimmen eine Resolution, die eine genaue Prüfung der Pläne fordert. Außerdem solle die EU-Kommission Maßnahmen ergreifen, “um die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten”.

Der linksgerichtete Ministerpräsident Robert Fico hatte die Änderungen im Dezember vorgestellt. Er will unter anderem den Schutz für Whistleblower aufweichen und die Strafen für Finanzkriminalität reduzieren. Seither gibt es regelmäßige Proteste im Land, angeführt von liberalen und konservativen Oppositionsparteien. Sie kritisieren, dass die Reform dazu diene, Verbündete der aktuellen Regierung vor Strafverfolgung zu schützen. Zudem gefährde sie EU-Zahlungen, sollten die Änderungen als Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips gewertet werden. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte im Dezember Maßnahmen angekündigt, sollten die Reformen gegen EU-Recht verstoßen.

Fico bezeichnete die Resolution des Europäischen Parlaments als Einmischung in die internen Angelegenheiten der Slowakei. “Politische Gegner, Oppositionsabgeordnete im In- und Ausland stehen gegen uns und sind bereit, jeden schmutzigen Trick im politischen Kampf anzuwenden.” rtr

  • Europäisches Parlament
  • Rechtsstaatlichkeit
  • Slowakei

Presseschau

EU-Parlament billigt Reform der Schuldenregeln DEUTSCHLANDFUNK
EZB-Chefin Christine Lagarde kann sich Zinssenkung im Sommer vorstellen RHEINISCHE POST
EU einigt sich auf Militärmission im Roten Meer ORF
Angriffe auf Schiffe im Roten Meer: EU setzt Huthi-Miliz vorerst nicht auf Terrorliste SPIEGEL
EU verbietet Werbung für “klimaneutrale Produkte” FAZ
Erneuerbare Energie: Meyer Burger droht mit Schließung von Europas größter Solarfabrik HANDELSBLATT
Emmanuel Macron preist auf dem WEF in Davos den Standort Frankreich FAZ
Polen: Ausschuss soll Einsatz von Spionagesoftware prüfen ZEIT
Um weitere 5 Monate: Italien verlängert Kontrollen an Grenze zu Slowenien KURIER
EU-Parlamentarier wollen bei Schweiz-Besuch für ein neues Wirtschaftsabkommen werben HANDELSBLATT
Chinesischer Premier will bei Besuch in Irland Wirtschaftsbeziehungen vertiefen MARKETSCREENER
Polnische Gerichte gehen gegen ehemalige Regierungsmitglieder vor HANDELSBLATT
Zahl öffentlicher Ladesäulen in Frankreich deutlich gestiegen WEB.DE
Irland: Windparks lieferten 2023 rekordverdächtige 35 Prozent des Gesamt-Stromverbrauchs NORDISCH.INFO
Wegen Schengen-Veto: Bulgarische Unternehmer fordern Boykott österreichischer Produkte NACHRICHTEN.AT
Datenhändler verticken Handy-Standorte von EU-Bürger*innen NETZPOLITIK
EU-Firmen: Big-Tech-Konzerne missachten den Digital Markets Act HEISE

Heads

Nicolas Schmit: Mister Mindestlohn will erster Wahlkämpfer der Sozialisten werden

Nicolas Schmit, Sozialkommissar, ist einziger Beweber für das Amt des Spitzenkandidaten der sozialistischen Parteienfamilie SPE.

Nicolas Schmit wird der dritte Politiker sein, den die europäische Parteienfamilie der Sozialisten (SPE) als Spitzenkandidaten in die Europawahl schickt. Vor ihm traten zwei Politiker an, die Talent zum Volkstribun hatten: Der Deutsche Martin Schulz war 2014 der oberste Wahlkämpfer der Sozialisten, 2019 war der Niederländer Frans Timmermans im Rennen. Im Vergleich zu den beiden Vorgängern tritt der Luxemburger Schmit weniger kämpferisch auf.

Führende Sozialdemokraten machen jetzt, da die Führungsrolle von Schmit im bevorstehenden Europawahlkampf so gut wie feststeht, auch kein Hehl daraus: Sie wissen, dass der 70-Jährige eher ein Mann der ruhigen Töne ist. Wenn Parteichef Stefan Löfven, selbst ein eher bedächtig auftretender Politiker, eine Rampensau suchen würde, würde seine Wahl nicht auf den seit 2019 amtierenden Sozialkommissar fallen.

Stellenausschreibung sah eine Frau vor

Dass die Sozialisten Schmit am 2. März bei ihrem Wahlkongress in Rom zum Spitzenkandidaten wählen, das hat auch etwas mit mangelnden Alternativen zu tun. Die Stellenausschreibung der Sozialisten sah eher eine Frau vor, möglichst mit Regierungserfahrung und jung. Doch diejenige, die diese Attribute verkörperte und lange als geborene Spitzenkandidatin aussah, ist zur Enttäuschung vieler Genossen abgebogen und hat die Politik verlassen: Sanna Marin – bis zum Sommer Regierungschefin in Finnland und Vorsitzende der sozialistischen Partei Finnlands – hat kein Interesse mehr am Politikbetrieb und arbeitet jetzt für den Thinktank des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair. Als gestern die Bewerbungsfrist der SPE ablief, war Schmit jedenfalls der einzige Bewerber. Beharrlichkeit zahlt sich aus: Er hatte frühzeitig hinter den Kulissen deutlich gemacht, dass ihn der Job interessiere.

Tatsächlich bringt der verheiratete Vater mehrerer Kinder Qualitäten mit, mit denen er im Wahlkampf punkten kann. Als Sozialkommissar seit 2019 in der Von-der-Leyen-Kommission steht er für Kernthemen der Partei: Er wird für sich in Anspruch nehmen, das Wahlversprechen der Sozialisten aus dem letzten Wahlkampf umgesetzt zu haben: einen europäischen Mindestlohn. Dass der EU-Mindestlohn niemals in Euro und Cent ausgewiesen werden wird, wie etwa in Deutschland, dass die skandinavischen Länder nicht mitmachen müssen – diese Spitzfindigkeiten werden dann vermutlich untergehen. Bisher hatte die EU-Kommission tatsächlich wenig Kompetenzen in der Sozialpolitik.

Federführend bei der Regulierung von Plattformen

Schmit wird für sich reklamieren, einen Paradigmenwechsel in der EU-Politik hin zu mehr Sozialpolitik eingeleitet zu haben. Federführend hat der Sozialkommissar auch den Gesetzgebungsvorschlag zur Regulierung der Plattformarbeit vorangetrieben. Das Dossier, das gerade festgefahren ist, will die Rechte stärken von Mitarbeitern, die häufig auf prekärer Basis und als Scheinselbständige Geld für Uber und andere Plattformen verdienen. Jens Geier, Chef der deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament: “Nicolas Schmit ist Mister Mindestlohn und eines der stärksten Mitglieder der Von-der-Leyen-Kommission.” Schmit hat zudem die alte Kernkundschaft der Sozialisten besser im Blick als manche seiner Genossen: Er besuchte mit dem CDU-Sozialexperten Dennis Radtke Thyssen im Ruhrgebiet und machte sich ein Bild davon, wie es um die Industriearbeitsplätze steht.

Als Luxemburger bringt Schmit zudem Qualitäten mit, die ihn nicht nur als Mister Mindestlohn, sondern auch als Mister Europa ausweisen. Seit seinem ersten Job, den er 1979 nach seiner Promotion in Betriebswirtschaftslehre angetreten hat, ist er entweder in der EU-Politik unterwegs oder in der nationalen luxemburgischen Politik. Und die ist wiederum eng mit der EU-Politik verwoben. So war er, der auch noch einen Master in französischer Literatur hat, Berater der Regierung Luxemburgs, als 1990 und 1991 die zwischenstaatliche Konferenz zu den Maastricht-Verträgen tagte. Als ein Jahrzehnt später der Vertrag von Nizza ausgehandelt wurde, diente er dabei als der persönliche Repräsentant des luxemburgischen Premierministers.

Geschichte mit Jean-Claude Juncker

Dessen Name war Jean-Claude Juncker, ein Christdemokrat und der spätere Kommissionspräsident. In der DNA luxemburgischer Politiker ist das Gen für die Arbeit über Parteigrenzen verankert. Juncker und Schmit haben eine weitere Geschichte miteinander: Vor der Wahl 2014 war Schmit Anwärter seines Landes für den Posten in der EU-Kommission. Dann trat Juncker als Spitzenkandidat an, gewann die Wahl und zog als Kommissionspräsident in die oberste Etage im Berlaymont ein. Schmit hatte das Nachsehen.

Diesmal könnte es einen anderen Luxemburger treffen. Die neu amtierende luxemburgische Regierung unter dem Christdemokraten Luc Frieden hat den ehemaligen EVP-Europaabgeordneten Christoph Hansen bereits für die nächste Kommission nominiert. Angesichts der Umfragen ist zwar wenig wahrscheinlich, dass Schmit die Wahl gewinnt und Anspruch auf den Chefposten erheben kann. Doch bei der Vergabe der Topjobs würde der Zweitplatzierte zum Zuge kommen, etwa als Außenbeauftragter. Womöglich hat er dieses Amt auch schon im Blick: Als langjähriger Diplomat, verhandlungssicher in Französisch, Deutsch und Englisch wäre er dafür durchaus qualifiziert. Markus Grabitz

  • Arbeit
  • Arbeitnehmerrechte
  • Europäische Kommission
  • Europawahlen 2024
  • Plattformen
  • S&D
  • Sozialpolitik

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am kommenden Mittwoch will die liberale Renew-Fraktion im Europaparlament bei einer außerordentlichen Fraktionssitzung den oder die neue Vorsitzende wählen. Darauf einigte sich gestern die erweiterte Führungsriege der Fraktion, das sogenannte Bureau, nach ausgiebigen Diskussionen. Der Führungsposten bei der drittgrößten Fraktion wurde vor einer Woche frei, weil der bisherige Vorsitzende Stéphane Séjourné zum französischen Außenminister berufen wurde.

    Die französische Delegation wird den Posten wohl weiter beanspruchen – obwohl dies unter den eigenen Abgeordneten durchaus umstritten ist. Denn die Karten werden nach der Europawahl in weniger als sechs Monaten neue gemischt, und die Parteifreunde von Emmanuel Macron müssen viel Überzeugungsarbeit leisten: Der französische Machtanspruch stößt nicht nur bei den FDP-Abgeordneten in der Fraktion auf wenig Gegenliebe.

    Favoritin bei Renaissance ist dem Vernehmen nach die Haushaltspolitikerin Valérie Hayer. Noch offen ist demnach, ob der bisherige erste Stellvertreter Séjournés, Malik Azmani, für den Posten kandidiere. Die Widersacher des Niederländers verweisen auf eine mögliche Zusammenarbeit seiner Partei VVD mit dem Radikalen Geert Wilders in Den Haag.

    An dieser Stelle wollen wir noch den Kolleginnen und Kollegen von Research.Table gratulieren: Das Briefing für die Entscheider in Wissenschaft, Forschung und Politik feiert heute seinen 1. Geburtstag. Als Geschenk an die Leserinnen und Leser gibt es die ersten zehn Teile der Serie “Wissenschaftliche Politikberatung – quo vadis?” mit Statements u.a. von Bärbel Bas, Helge Braun oder Veronika Grimm hier als Reader.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Klimaneutralität 2050: Europas Gesetze weisen Lücken auf

    Die Anstrengungen der EU-Staaten zur Erreichung ihrer ambitionierten Klimaziele reichen bisher nicht aus. Dies offenbaren nicht nur die unzureichenden nationalen Energie- und Klimapläne der EU-Staaten (NECP), die klaffende Lücken insbesondere bei Maßnahmen gegen Verkehrs- und Gebäudeemissionen zeigen, um die Ziele für 2030 zu erreichen. Nun hat auch der Europäische wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) bemängelt, es gebe Defizite bei bestehenden und geplanten Gesetzen rund um die EU-Klimaneutralitätsziele bis 2050.

    Um die EU-Klimaziele zu erreichen, seien in allen Sektoren größere Anstrengungen erforderlich, insbesondere in den Bereichen Gebäude, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. “Um auf dem richtigen Weg zu bleiben, müssen wir sicherstellen, dass die heutigen Maßnahmen mit unseren langfristigen Zielen übereinstimmen, und uns auf noch stärkere Reduzierungen nach 2030 vorbereiten”, analysiert der Beiratsvorsitzende und Umwelt-Ökonom Ottmar Edenhofer.

    Fossile Subventionen hoch und bisher nicht rückläufig

    Konkret macht das Gremium 13 zentrale Empfehlungen, kurzfristige wie langfristige. Darunter:

    • Die schnelle Reform der Energiebesteuerungsrichtlinie: Diese wird derzeit von den EU-Mitgliedstaaten im Rat blockiert. Laut ESABCC fördert das derzeitige Steuersystem mitunter aktiv klimaschädliche Aktivitäten, da beispielsweise fossile Brennstoffe geringer besteuert werden als Elektrizität. Eine Reform müsse bessere Anreize für den Einsatz sauberer Alternativen setzen.
    • Die vollständige Abschaffung schädlicher Subventionen für fossile Brennstoffe: Fossile Subventionen blieben trotz internationaler Versprechen, diese zu beenden, stabil (rund 50 Milliarden Euro im Schnitt pro Jahr in der EU). Zuletzt stiegen sie 2022 aufgrund der Energiekrise sogar auf 120 Milliarden Euro an. Mitgliedstaaten sollten in ihren NECP ein zeitnahes Enddatum fossiler Subventionen festlegen, fordert der Klimabeirat.
    • Eine auf EU-Klimaziele abgestimmte gemeinsame Agrarpolitik (GAP): Der EU-Klimabeirat empfiehlt explizite Treibhausgasreduktionsziele für den Agrarbereich und eine Verlagerung der GAP-Subventionen weg von emissionsintensiven landwirtschaftlichen Praktiken, hin zu emissionsärmeren Produkten und Anreizen für Kohlenstoffabbau. Auch die Ausweitung der CO₂-Bepreisung auf Landwirtschaft und den Landnutzungssektor (LULUCF) bis spätestens 2031 wird empfohlen.
    • Umverteilungs- und Kompensationsmaßnahmen, die auf die schwächsten und am stärksten betroffenen Haushalte und Unternehmen ausgerichtet sind.
    • Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO₂ (CCU/CCS), Wasserstoff und Biomasseenergie sollten nur dort zum Einsatz kommen, wo nicht-fossile Alternativen nicht realisierbar sind.

    Für den Ökonomen Edenhofer spielt die Ausweitung und weitere Überarbeitung der europäischen CO₂-Bepreisung im EU-Emissionshandelssystem (ETS) eine entscheidende Rolle. Ein umfassendes System zur CO₂-Bepreisung würde beispielsweise auch weniger Lücken für die nicht nachhaltige übermäßige Nutzung von Biomasse lassen, sagt er. Zudem müsse das ETS neben dem Agrar- und Landnutzungssektor auch auf sogenannte diffuse Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe ausgeweitet werden. Auch eine Ausweitung des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) auf fossile Importe würde sowohl Anreize für mehr Klimaschutz im Ausland bieten als auch Einnahmemöglichkeiten für die EU eröffnen.

    Ohne Klimageld wird’s schwierig

    Für die durch steigende CO₂-Preise erhöhten Lebenshaltungskosten, insbesondere bei einer Ausweitung auf den Agrarsektor, seien Ausgleichsmaßnahmen dringend notwendig, betont Edenhofer auch. Ein gerechter und fairer Übergang sei notwendig, um die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Damit Menschen mit geringem Einkommen nicht stärker belastet werden, müssten Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung verwendet werden, um emissionsarme Alternativen erschwinglich zu machen, heißt es in dem Bericht – eine Art von Klimageld also. Dafür müssten auch Einnahmen aus dem CBAM explizit für Klimaschutzmaßnahmen reserviert werden, fordern die Wissenschaftler.

    Zwar gibt es mit dem Klimasozialfonds, der sich aus Einnahmen aus dem ETS 2 speist, bereits ein Instrument zur Abfederung von Preiserhöhungen im Verkehrs- und Gebäudesektor. Allerdings ist noch völlig unklar, ob die Mittel für die aktuellen Ziele des Fonds (rund 87 Milliarden Euro) überhaupt ausreichen – geschweige denn bei einer möglichen ETS-Ausweitung mitwachsen. Hier sehen die Forscherinnen und Forscher schnellen Klärungsbedarf.

    CCS: Definition für Restemissionen fehlt

    Auch die Rolle von technologischen CO₂-Entnahmen und deren Speicherung oder Nutzung müsse schnell geklärt werden, schreibt das Expertengremium. Bis 2050 werde CCU/CCS nur eine begrenzte Rolle bei der Energieversorgung spielen, da die Technologien im Vergleich zu erneuerbaren Energien weniger effizient sind und höhere Risiken aufwiesen. Daher brauche es schnellstmöglich eine EU-Definition für unvermeidbare Restemissionen, beispielsweise aus dem Agrarbereich oder der Industrie, für die die CO₂-Abscheidung notwendig ist.

    • CBAM
    • ETS 2
    • EU-Klimapolitik
    • EU-Klimaziel 2040
    • Klima & Umwelt
    • Klimageld
    • Klimaneutralität
    Translation missing.

    EU-Kommission soll prüfen, ob Musikstreamingdienste Künstler und Urheber angemessen vergüten

    Dass ein Initiativantrag des Europaparlaments drei Monate vor der letzten Plenumssitzung keine Chancen hat, noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzesvorschlag von der Kommission bedacht zu werden, war allen Beteiligten bewusst. Und doch war es dem Europaparlament wichtig, mit breiter Mehrheit (530 Stimmen) von der Kommission einzufordern, sich der Vergütungsthematik bei Streaming-Diensten anzunehmen. Die breite, interfraktionelle Zustimmung allerdings war teuer erkauft: statt konkreter Forderungen stehen vor allem Prüfaufträge im am Mittwochnachmittag beschlossenen Text.

    So soll die EU-Kommission prüfen, ob und inwieweit das Streaming-Ökosystem die kulturelle Vielfalt schädige und ob Künstler und Urheber angemessen vergütet würden. Streamingdienste zahlen im Prinzip pro Abruf eines Stückes eine geringe Summe im Centbruchstückbereich an ihre Vertragspartner, im Regelfall größere Musiklabels. Vor allem der Marktführer Spotify aus Schweden steht dabei regelmäßig in der Kritik: Die Vergütungsregeln würden vor allem den populärsten Künstlern wie Taylor Swift oder Ed Sheeran bevorteilen, die Künstler am unteren Ende der Bekanntheit oder Beliebtheitsskala jedoch unangemessen benachteiligen.

    Einen Kritikpunkt stellt der Berichterstatter, der S&D-Abgeordnete Iban García del Blanco heraus: Man wolle “für Transparenz in den Algorithmen und Empfehlungstools der Streaming-Dienste sorgen”. Aus Sicht der Künstler besteht eben hier ein großes Problem: Die Empfehlungsmechanismen der Streaminganbieter sind Black Boxes, und regelmäßig, so die Vermutung, würden besonders populäre Künstler dabei höher gewichtet und den Nutzern empfohlen – was diese wiederum einnahmeseitig begünstigen würde. Auf konkretere Reformvorschläge, wie Entgelte fairer verteilt werden sollten, verzichteten die Parlamentarier zugunsten des breiten Konsenses jedoch.

    Regionale Quoten für Playlisten

    Ein relevanter Hebel ist aus Sicht mancher Abgeordneter jedoch eine Quotenregelung: Die reichweitenstärksten Musiker der Plattformen sind – mit wenigen Ausnahmen wie etwa im Falle Indiens – oft US- oder UK-Künstler. Der Initiativbericht fordert von der Kommission daher auch die Sicherstellung europäischer kultureller Vielfalt.

    Das könne etwa durch Quoten in den Empfehlungssystemen erreicht werden, wenn etwa regionale Künstler vom Nutzer standortabhängig bevorzugt eingespeist würden. Nischenkünstler müssten von ihrer Arbeit leben können, fordert der Schattenberichterstatter Niklas Nienaß (Grüne) und deshalb brauche es unter anderem solche, regionalen Quoten.

    KI-Nutzung und Werke als Problemfeld

    Die Abgeordneten fordern in ihrem Text zudem eine Analyse der Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Musikmarkt. Doch hier ist noch viel im Unklaren. Eine Kennzeichnungspflicht für KI-Inhalte soll allerdings kommen, wünschen die Abgeordneten, und auch die Rechtsstellung der Künstlerinnen und Künstler solle ausgebaut werden.

    Hier besteht noch ein großes Durcheinander: Mit der DSM-Richtlinie hatte die EU 2019 eine urheberrechtliche Text- und Data-Mining-Schranke geschaffen, die von KI-Unternehmen als Freibrief für die Analyse von Werken gelesen wird. Auf deren Basis entstehen inzwischen automatisiert neue Werke, ohne dass die Originale auch nur als Sample gespeichert werden müssten. Ob die urheberrechtliche Schranke allerdings diese Nutzung wirklich rechtfertigt, welche urheberrechtlichen Ansprüche bei einem Werk ohne menschlichen Urheber überhaupt geltend gemacht werden können? Wie eine angemessene Vergütungsregelung aussehen könnte? Das hängt sowohl vom finalen Text des AI Acts ab als auch von der rechtlichen Einschätzung – viel Prüfstoff für den juristischen Dienst der Kommission also.

    Branchenvertreter zweifeln Notwendigkeit an

    Vordergründig richtet sich die Kritik der Parlamentarier also gegen Spotify, Apple Music, Deezer und Co. Tatsächlich gemeint sind aber auch viele andere Akteure – nicht zuletzt die Major Labels, die mit den Diensteanbietern die maßgeblichen Verhandlungen führen. Am liebsten, so sagen es alle Beteiligten, wäre es ihnen, wenn auf eine Gesetzgebung am Ende gar verzichtet werden könnte – indem die Branche die angesprochenen Probleme selbst ausräumt.

    Branchenprimus Spotify wäre damit sicherlich einverstanden – lässt aber dem Branchenverband Digital Music Europe den Vortritt bei der Einschätzung des EP-Initiativberichts: Die europäische Musik floriere, weil europäische Fans europäische und insbesondere lokale Musik liebten und sich konsequent zum Hören dieser entschieden, lässt sich die Vorsitzende Olivia Regnier zitieren.

    “Wir stellen daher die Vorschläge des Berichts, dass eine Regulierung im Bereich des Musikstreaming notwendig ist, infrage und fordern die politischen Entscheidungsträger auf, eine gründliche Analyse der Vielfalt und des künstlerischen Erfolgs im Bereich des Musikstreaming durchzuführen, um objektive Fakten zu erhalten, bevor sie irgendwelche Maßnahmen in Erwägung ziehen.” Den Parlamentariern dürfte diese Empfehlung nur zu bekannt vorkommen: Regnier ist auch noch Interessenvertreterin bei Spotify.

    • Digitalpolitik
    • Europäisches Parlament
    • Urheberrecht

    Termine

    19.01.2024 – 10:00 Uhr, Berlin
    Stiftung Datenschutz, Konferenz Datentag: Preisgabe von Daten
    Die Stiftung Datenschutz beschäftigt sich mit den Gründen für die Zustimmung zur Erhebung von personenbezogenen Daten. INFOS & ANMELDUNG

    22.01-23.01.2024, Köln
    EASA, Workshop RefuelEU Aviation environmental labelling scheme
    The European Authority for aviation safety (EASA) addresses the status, the methodology, data ingestion and treatment as well as the integration of the labelling into the ecosystem of emissions communication. INFOS & REGISTRATION

    22.01.2024 – 16:30-19:00 Uhr, Berlin
    FES, Seminar The 2024 U.S. elections – a bipartisan outlook on key issues and what they mean for the transatlantic partnership
    Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutiert mögliche Implikationen der US-Wahlen 2024 für die transatlantischen Beziehungen. INFOS & ANMELDUNG

    22.01.2024 – 19:00-21:00 Uhr, Bonn
    FES, Vortrag Ein Jahr Lieferkettengesetz
    Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht über Möglichkeiten und Mängel des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). INFOS & ANMELDUNG

    23.01.-25.01.2024, Berlin
    Handelsblatt, Konferenz Energie-Gipfel
    Das Handelsblatt diskutiert die Weichenstellung für den nachhaltigen Umbau des Energiesystems. INFOS & ANMELDUNG

    23.01.-25.01.2024, Berlin/online
    PE, Symposium Berliner Demografie-Tage 2024: Krisen überwinden – Politik für eine ungewisse Zukunft gestalten
    Population Europe (PE) informiert über Auswirkungen von Krisen auf die Bevölkerungspolitik und vice versa. INFOS & ANMELDUNG

    23.01.2024 – 08:30-19:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
    EIT, Conference EdTech Conference
    The European Institute of Innovation & Technology (EIT) discusses the current state of EdTech in Europe. INFOS & REGISTRATION

    23.01.2024 – 13:00-14:30 Uhr, Brüssel (Belgien)
    ECFR, Conference Re-Engaging with Neighbours in a State of War and Geopolitical Tensions
    The European Council on Foreign Relations (ECFR) intends to assist the EU in refining its foreign policy toolbox, including its enlargement and neighbourhood policies. INFOS & REGISTRATION

    23.01.2024 – 15:00-17:30 Uhr, online
    ERCST, Workshop State of the European Hydrogen Market – Stakeholder consultation
    The Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) brainstorms on the outline and content of the 2024 State of the European Hydrogen Market Report. INFOS & REGISTRATION

    23.01.2024 – 17:30 Uhr, Brüssel (Belgien)
    ECSA New Year’s Reception 2024
    The European Community Shipowners’ Associations (ECSA) hosts its New Year’s Reception 2024. INFOS & REGISTRATION

    23.01.2024 – 18:00-19:00 Uhr, online
    DGAP, Diskussion Flirt mit der Diktatur: Was bei der US-Wahl auf dem Spiel steht
    Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diskutiert die Folgen eines möglichen Wahlsiegs Donald Trumps für das transatlantische Verhältnis. INFOS & ANMELDUNG

    News

    EP will mehr Einfluss im neuen EU-Fiskalregelwerk

    Das Europäische Parlament will seinen Einfluss in der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik im Zuge der neuen europäischen Schuldenregeln massiv erweitern. Das geht aus dem Mandat für die Verhandlungen über das neue EU-Fiskalregelwerk hervor, auf das sich die Abgeordneten in Straßburg verständigten.

    So soll die Kommission dem Parlament, vorbehaltlich angemessener Vertraulichkeitsregelungen, alle erforderlichen einschlägigen Unterlagen und Informationen “gleichzeitig und zu gleichen Bedingungen” wie dem Rat zukommen lassen, darunter etwa bei den mittelfristigen haushaltspolitischen Strukturplänen. Aktuell hat das Parlament in der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik keinen Zugang zu zahlreichen internen Informationen.

    Mit dem Mandat des Parlaments ist jetzt der Weg frei, den gesetzlichen Rahmen für die neuen EU-Fiskalregeln festzuzurren. Dazu haben Parlament und Mitgliedstaaten unter Vermittlung der Kommission bis maximal April Zeit, da sich dann das Abgeordnetenhaus mit Blick auf die anstehende Europa-Wahl auflöst. EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis hatte zuletzt am Rande des Ecofin noch einmal deutlich gemacht, dass die Zeit dränge. Hintergrund ist, dass die neuen Schuldenregeln nach Möglichkeit bereits für das Haushaltsjahr 2025 angewandt werden sollen. Die Kommission will dazu ihre Haltung im Februar vorstellen.

    Stabilitäts- und Wachstumspakt zu rigide

    Die Neuausrichtung des EU-Fiskalregimes war nötig geworden, da sich die bisherigen Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspakts als zu strikt und rigide erwiesen haben. Mit den neuen Regeln sollen die Haushaltspläne stärker auf die individuelle Ausgangslage in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgerichtet werden, ohne die Stabilität und Nachhaltigkeit der Budgets auszuhöhlen. Auf diesen Ansatz hatten sich die EU-Staaten Ende Dezember nach monatelangen kontroversen Diskussion verständigt.

    Mit dem neuen Fiskalregelwerk bleiben die Kernziffern des aktuellen Stabilitäts- und Wachstumspakts unangetastet: eine maximale Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIP. Um allerdings eine konsequente Konsolidierungspolitik sicherzustellen, sollen Staaten mit einer Schuldenquote von über 90 Prozent des BIP ihren Schuldenstand jährlich um einen Prozentpunkt verringern. Für Staaten mit einer Quote von 60 bis 90 Prozent des BIP beträgt die Reduktion 0,5 Prozentpunkt.

    EP fordert unabhängiges Europäisches Fiskalboard

    Diese Absicherung einer zielgerichteten Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, auf die besonders Deutschland gepocht hatte, übernehmen auch die Abgeordneten. In anderen Punkten gehen sie zudem neben der stärkeren eigenen Einbindung, die sich auch auf den gesamten Prozess des Europäischen Semesters erstrecken soll, deutlich über die Haltung der Mitgliedstaaten hinaus. So fordern die Parlamentarier die Einrichtung eines unabhängigen Europäischen Fiskalausschusses, der weder von der Kommission noch von den Mitgliedstaaten Weisung erhalten darf.

    Der Ausschuss soll eine beratende Funktion für die Koordination der europäischen Wirtschaftspolitik übernehmen und damit eine neutrale Sicht zur Arbeit der Kommission schaffen. Die Kommission soll in dem Ausschuss einen Sitz haben, allerdings ohne Stimmrecht. Um die Transparenz in der Umsetzung der mehrjährigen nationalen Budgetpläne zu erhöhen, sprechen sich die Abgeordneten ferner für die Einrichtung eines Scoreboards aus, welches die Fortschritte in der Umsetzung der mittelfristigen nationalen Haushaltsstrukturpläne dokumentieren soll, einschließlich des aktuellen Status des Nettoausgabenpfades sowie der Investitionen und Reformen. Das Scoreboard soll zweimal jährlich aktualisiert werden und noch in diesem Jahr starten.

    Die Abgeordneten machen in ihrem Mandat noch einmal deutlich, dass ein hohes Niveau öffentlicher Investitionen notwendig ist, um die europäischen Ziele des grünen und digitalen Wandels zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sprechen sie sich zur Stärkung des Investitionsrahmens für die Schaffung eines gemeinsamen Investitionsinstruments auf Unionsebene aus. Dazu sollen zur Inspiration die Erfahrungen der Instrumente wie NextGenerationEU und SURE dienen. Die Einrichtung weiterer EU-Bonds wird aber von einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, strikt abgelehnt. cr

    • EU-Haushalt
    • EU-Schuldenregeln
    • Finanzen
    • Finanzpolitik
    • Fiskalpolitik
    • NextGenerationEU
    • Wirtschaft
    • Wirtschaftspolitik

    CCS-Strategie: Kommission plant EU-Binnenmarkt für CO₂

    Anfang Februar stellt die EU-Kommission neben ihrem Vorschlag für das EU-Klimaziel 2040 auch eine Strategie für den Umgang industrieller Emissionen vor, um die Gesetzeslücken für CCS zu schließen. Aus einem Entwurf dieser Industrial-Carbon-Management-Strategie, der Table.Media vorliegt, geht hervor, dass die EU bis 2050 jährlich bis zu 450 Millionen Tonnen abscheiden muss, um im selben Jahr klimaneutral zu sein.

    Durch den Aufbau eines “grenzüberschreitenden, frei zugänglichen CO₂-Transportnetzes” soll ein Binnenmarkt für abgeschiedenen Kohlenstoff entstehen, der anschließend entweder unterirdisch gespeichert oder industriell weiterverarbeitet wird. Die Angaben über nötige Investitionssummen und Pipeline-Kilometer sind in dem Entwurf noch offen.

    Die EU plant derzeit, durch den Net Zero Industry Act ab 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ unterirdisch zu speichern. Laut dem Entwurf geht die Kommission offenbar aber davon aus, jährlich 80 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr abscheiden zu können. Deshalb plant sie gemäß dem Entwurf, mehr wirtschaftliche Anreize für die Ermittlung und den Bau weiterer Speicherkapazitäten zu setzen.

    Nutzung von abgeschiedenem Kohlenstoff ausweiten

    Dies könne entweder durch die Integration von CO₂-Entnahmezertifikaten in das ETS oder durch die Schaffung eines separaten Handelsmechanismus geschehen, der direkt oder indirekt mit dem ETS verbunden wäre. Schließlich sollen bis 2040 mindestens 200 Millionen Tonnen CO₂ jedes Jahr gespeichert werden können, heißt es in dem Entwurf der Strategie.

    Offenbar plant die Kommission auch die Ausweitung der industriellen Nutzung von abgeschiedenem Kohlenstoff. Es seien “zusätzliche Maßnahmen” erforderlich, um den Klimavorteil von abgeschiedenem CO₂ anstelle von fossilem Kohlenstoff für andere Anwendungen anzuerkennen, heißt es. So könne es als Rohstoff für die Chemieindustrie verwendet werden, beispielsweise zur Herstellung von Polymeren, Kunststoffen, Lösungsmitteln, Farben, Reinigungsmitteln, Kosmetika und Arzneimitteln. Die Kommission beziffert den CO₂-Bedarf des Chemiesektors allein auf jährlich etwa 125 Millionen Tonnen oder rund 450 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Dieser Bedarf werde derzeit von fossilem CO₂ gedeckt.

    Die Kommission will deshalb einen Rechtsrahmen schaffen, um Herkunft, Transport und Verwendung von abgeschiedenem CO₂ verfolgen zu können und einen Preisanreiz für dessen Nutzung zu schaffen. luk/ber

    • Carbon Capture
    • CCS
    • CO2-Emissionen
    • EU-Klimaziel 2040
    • Klima & Umwelt
    • Klimapolitik
    • Klimaziele
    • Net Zero Industry Act

    EU verbietet unbegründete Umweltaussagen und irreführende Produktinformationen

    Das EU-Parlament hat am Mittwoch die Trilogeinigung über das Verbot von Greenwashing und irreführenden Produktinformationen (“Empowering Consumers for the Green Transition“) angenommen. Auch der Rat muss nun noch zustimmen, dann kann die Richtlinie in Kraft treten.

    Das Gesetz soll Verbraucherinnen und Verbraucher vor irreführender Werbung schützen und ihnen helfen, bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Unter anderem wird die EU-Liste der unlauteren Geschäftspraktiken um eine Reihe von Praktiken ergänzt, die mit Greenwashing und dem geplanten Verschleiß von Produkten zusammenhängen. Allgemeine Umweltaussagen wie “umweltfreundlich”, “natürlich”, “biologisch abbaubar”, “klimaneutral” oder “öko” werden verboten, sofern diese nicht belegt werden.

    Auch unbegründete Aussagen zur Haltbarkeit sind zukünftig verboten: Hersteller dürfen etwa nicht mehr dazu auffordern, Produkte früher auszutauschen, als unbedingt nötig. Dies ist zum Beispiel bei Druckertinte häufig der Fall.

    Nur noch offizielle Siegel erlaubt

    Darüber hinaus sollen nur noch auf anerkannten Zertifizierungssystemen beruhende oder von staatlichen Stellen eingeführte Nachhaltigkeitssiegel erlaubt sein. Um Garantien, die über die gesetzliche Gewährleistung hinausgehen, hervorzuheben, wird ein neues Etikett eingeführt.

    Wenn die Richtlinie vom Rat endgültig angenommen wird, wird sie danach im Amtsblatt veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten haben dann 24 Monate Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. leo

    • Bio
    • Ernährung
    • Europäisches Parlament
    • Greenwashing
    • Verbraucherschutz

    EU-geförderte NGOs sollen Rechenschaft ablegen

    NGOs, die Geld aus dem EU-Haushalt bekommen, sollen künftig die Verwendung der Mittel bis zum letzten Empfänger sowie die Herkunft sämtlicher Finanzmittel ausweisen müssen. Zudem werden Empfänger von EU-Steuerzahlergeldern aufgefordert, alle Treffen mit Abgeordneten, Mitarbeitern sowie Vertretern anderer EU-Institutionen transparent machen, wenn Belange der EU-Gesetzgebung tangiert sind. Dies sieht der Initiativbericht von Markus Pieper (CDU) vor, den das Europaparlament beschlossen hat.

    Nicht durchsetzen konnte sich Pieper mit dem Vorhaben, die Kommission zu einem Gesetzgebungsvorschlag für die Regulierung von NGOs aufzufordern. Gestrichen wurde auch der Verweis auf eine NGO im Berichtsentwurf, die die Kommission eigens gegründet hatte, um die Europaparlamentarier beim Naturwiederherstellungsgesetz zu lobbyieren. mgr

    • Europäische Kommission
    • Europäisches Parlament
    • Lobbyismus
    • NGO
    • Transparenz

    Von der Leyen verteidigt Freigabe der Milliarden an Ungarn

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat im Europaparlament die Freigabe von 10,2 Milliarden Euro durch die Kommission an Ungarn gerechtfertigt. “Seit Beginn des Mandats ist immer Ziel der Kommission gewesen, die Regierung in Ungarn zu Reformen zu bewegen.” So habe die Kommission im Mai Ungarn aufgefordert, Reformen durchzuführen, mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der Justiz im Land wieder herzustellen. In der Folge habe die ungarische Regierung die angemahnten Reformen im Bereich der Justiz auch durchgeführt. “Ungarn hat geliefert, was die Kommission gefordert hat.”

    Damit reagierte von der Leyen auf die massive Kritik sämtlicher proeuropäischen Fraktionen aus dem Europaparlament an der Entscheidung der Kommission unmittelbar vor dem regulären EU-Gipfel im Dezember. Von der Leyen erklärte weiter, dass die mit der Entscheidung befassten Kommissare, Didier Reynders (Justiz), Nicolas Schmit (Soziales), Elisa Ferreira (Kohäsion) bereit seien, gegenüber dem Parlament Rechenschaft abzulegen. Das Europaparlament stimmt an diesem Donnerstag über eine Resolution ab, die massive Kritik an der Freigabe der Gelder übt, die Kommission auffordert, vor dem Parlament Rechenschaft abzulegen, sowie den Rechtsausschuss des Parlaments auffordert, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte dafür einzuleiten.

    Weitere Mittel werden zurückgehalten

    Von der Kommission nach wie vor zurückgehalten werden wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit weitere EU-Mittel für Ungarn in Höhe von rund 20 Milliarden Euro. Von der Leyen machte deutlich: “Diese Mittel werden so lange blockiert, bis die Regierung in Ungarn die geforderten Reformen erledigt hat.”

    EVP-Fraktionschef Manfred Weber sagte: “Wichtig ist, dass die Kommission jetzt eine faktenbasierte Aufarbeitung vorlegt, nach welchen Kriterien die Freigabe erfolgt ist.” Weber richtete zudem den Appell an den Rat: “Im Rat liegt seit langer Zeit der Antrag auf dem Tisch, das Verfahren nach Artikel 7, Absatz eins gegen Ungarn weiterzutreiben.” Die Staats- und Regierungschefs müssten nun endlich den Mut aufbringen, zu handeln. Guy Verhofstadt von Renew warf von der Leyen vor, dass sie sich von dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán erpressen lassen habe. Die Freigabe der Mittel sei im Gegenzug zur Aufgabe des ungarischen Vetos beim Europäischen Rat gegen den Beitritt der Ukraine erfolgt. Verhofstadt forderte von der Kommissionspräsidentin: “Die Kompromisse mit Orbán müssen ein Ende haben. Nehmen Sie endlich Ihre Rolle wahr als Hüterin der Verträge.”  mgr  

    • Europäische Kommission
    • Europäischer Rat
    • Europäisches Parlament
    • Ungarn
    • Ursula von der Leyen

    EU-Parlament will mehr Engagement in Zentralasien sehen

    Das EU-Parlament fordert eine engere Zusammenarbeit mit zentralasiatischen Staaten. Die EU habe jetzt die Möglichkeit, “ihre Beziehungen zu Zentralasien auszubauen und eine größere Rolle in der Region zu spielen“, betonten die EU-Abgeordneten am Mittwoch in einer Resolution, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Brüssel solle die Gelegenheit nutzen, “um eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit voranzubringen und Zentralasien eine Partnerschaft anzubieten”, nicht zuletzt, um Chinas und Russlands Einfluss in der Region entgegenzuwirken. Ein erstes Gipfeltreffen von Vertretern aus EU und Zentralasien ist demnach für 2024 geplant.

    Derzeit befindet sich Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas auf Reisen in den fünf zentralasiatischen Staaten. Am Mittwoch befand sich Schinas in Usbekistan. Die Reise findet im Vorfeld eines Investorenforums für den transkaspischen Verkehrskorridor statt, das Ende des Monats in Brüssel durchgeführt werden soll. Chinas Staatschef Xi Jinping hatte im vergangenen Mai einen Gipfel mit den Staatschefs der “Stans” abgehalten.

    Parlament fordert Risikoanalyse

    Das EU-Parlament stimmte am Mittwoch zudem über einen Bericht über Chinas Einfluss auf Europas Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab. In dem Papier warnen die EU-Parlamentarier unter anderem vor einer zu großen Abhängigkeit von China bei bestimmten Rohstoffen und dem Abwandern von militärisch strategischem Know-how.

    Die Abgeordneten forderten zudem die EU-Kommission auf, dem Parlament noch vor dem Ende der laufenden Wahlperiode eine “detaillierte Analyse der Risiken für den Handel in Bezug auf Technologien wie Halbleiter, Quanteninformatik, Blockchain, Weltraum, künstliche Intelligenz und Biotechnologie sowie den möglichen Handlungsbedarf der EU in diesen Bereichen” vorzulegen. Resolutionen sind die Standpunkte des EU-Parlaments zu bestimmten Themen, sie sind nicht bindend für die EU-Kommission. ari

    • China
    • Chips
    • EU
    • Handelspolitik
    • Rohstoffe
    • Zentralasien

    EU-Parlament verurteilt geplante Strafrechtsreform in der Slowakei

    Die geplante Strafrechtsreform und die Auflösung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung in der Slowakei haben bei Europaparlamentariern “tiefe Besorgnis” ausgelöst. Sie verabschiedeten am Mittwoch mit 496 von insgesamt 630 Stimmen eine Resolution, die eine genaue Prüfung der Pläne fordert. Außerdem solle die EU-Kommission Maßnahmen ergreifen, “um die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten”.

    Der linksgerichtete Ministerpräsident Robert Fico hatte die Änderungen im Dezember vorgestellt. Er will unter anderem den Schutz für Whistleblower aufweichen und die Strafen für Finanzkriminalität reduzieren. Seither gibt es regelmäßige Proteste im Land, angeführt von liberalen und konservativen Oppositionsparteien. Sie kritisieren, dass die Reform dazu diene, Verbündete der aktuellen Regierung vor Strafverfolgung zu schützen. Zudem gefährde sie EU-Zahlungen, sollten die Änderungen als Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips gewertet werden. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte im Dezember Maßnahmen angekündigt, sollten die Reformen gegen EU-Recht verstoßen.

    Fico bezeichnete die Resolution des Europäischen Parlaments als Einmischung in die internen Angelegenheiten der Slowakei. “Politische Gegner, Oppositionsabgeordnete im In- und Ausland stehen gegen uns und sind bereit, jeden schmutzigen Trick im politischen Kampf anzuwenden.” rtr

    • Europäisches Parlament
    • Rechtsstaatlichkeit
    • Slowakei

    Presseschau

    EU-Parlament billigt Reform der Schuldenregeln DEUTSCHLANDFUNK
    EZB-Chefin Christine Lagarde kann sich Zinssenkung im Sommer vorstellen RHEINISCHE POST
    EU einigt sich auf Militärmission im Roten Meer ORF
    Angriffe auf Schiffe im Roten Meer: EU setzt Huthi-Miliz vorerst nicht auf Terrorliste SPIEGEL
    EU verbietet Werbung für “klimaneutrale Produkte” FAZ
    Erneuerbare Energie: Meyer Burger droht mit Schließung von Europas größter Solarfabrik HANDELSBLATT
    Emmanuel Macron preist auf dem WEF in Davos den Standort Frankreich FAZ
    Polen: Ausschuss soll Einsatz von Spionagesoftware prüfen ZEIT
    Um weitere 5 Monate: Italien verlängert Kontrollen an Grenze zu Slowenien KURIER
    EU-Parlamentarier wollen bei Schweiz-Besuch für ein neues Wirtschaftsabkommen werben HANDELSBLATT
    Chinesischer Premier will bei Besuch in Irland Wirtschaftsbeziehungen vertiefen MARKETSCREENER
    Polnische Gerichte gehen gegen ehemalige Regierungsmitglieder vor HANDELSBLATT
    Zahl öffentlicher Ladesäulen in Frankreich deutlich gestiegen WEB.DE
    Irland: Windparks lieferten 2023 rekordverdächtige 35 Prozent des Gesamt-Stromverbrauchs NORDISCH.INFO
    Wegen Schengen-Veto: Bulgarische Unternehmer fordern Boykott österreichischer Produkte NACHRICHTEN.AT
    Datenhändler verticken Handy-Standorte von EU-Bürger*innen NETZPOLITIK
    EU-Firmen: Big-Tech-Konzerne missachten den Digital Markets Act HEISE

    Heads

    Nicolas Schmit: Mister Mindestlohn will erster Wahlkämpfer der Sozialisten werden

    Nicolas Schmit, Sozialkommissar, ist einziger Beweber für das Amt des Spitzenkandidaten der sozialistischen Parteienfamilie SPE.

    Nicolas Schmit wird der dritte Politiker sein, den die europäische Parteienfamilie der Sozialisten (SPE) als Spitzenkandidaten in die Europawahl schickt. Vor ihm traten zwei Politiker an, die Talent zum Volkstribun hatten: Der Deutsche Martin Schulz war 2014 der oberste Wahlkämpfer der Sozialisten, 2019 war der Niederländer Frans Timmermans im Rennen. Im Vergleich zu den beiden Vorgängern tritt der Luxemburger Schmit weniger kämpferisch auf.

    Führende Sozialdemokraten machen jetzt, da die Führungsrolle von Schmit im bevorstehenden Europawahlkampf so gut wie feststeht, auch kein Hehl daraus: Sie wissen, dass der 70-Jährige eher ein Mann der ruhigen Töne ist. Wenn Parteichef Stefan Löfven, selbst ein eher bedächtig auftretender Politiker, eine Rampensau suchen würde, würde seine Wahl nicht auf den seit 2019 amtierenden Sozialkommissar fallen.

    Stellenausschreibung sah eine Frau vor

    Dass die Sozialisten Schmit am 2. März bei ihrem Wahlkongress in Rom zum Spitzenkandidaten wählen, das hat auch etwas mit mangelnden Alternativen zu tun. Die Stellenausschreibung der Sozialisten sah eher eine Frau vor, möglichst mit Regierungserfahrung und jung. Doch diejenige, die diese Attribute verkörperte und lange als geborene Spitzenkandidatin aussah, ist zur Enttäuschung vieler Genossen abgebogen und hat die Politik verlassen: Sanna Marin – bis zum Sommer Regierungschefin in Finnland und Vorsitzende der sozialistischen Partei Finnlands – hat kein Interesse mehr am Politikbetrieb und arbeitet jetzt für den Thinktank des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair. Als gestern die Bewerbungsfrist der SPE ablief, war Schmit jedenfalls der einzige Bewerber. Beharrlichkeit zahlt sich aus: Er hatte frühzeitig hinter den Kulissen deutlich gemacht, dass ihn der Job interessiere.

    Tatsächlich bringt der verheiratete Vater mehrerer Kinder Qualitäten mit, mit denen er im Wahlkampf punkten kann. Als Sozialkommissar seit 2019 in der Von-der-Leyen-Kommission steht er für Kernthemen der Partei: Er wird für sich in Anspruch nehmen, das Wahlversprechen der Sozialisten aus dem letzten Wahlkampf umgesetzt zu haben: einen europäischen Mindestlohn. Dass der EU-Mindestlohn niemals in Euro und Cent ausgewiesen werden wird, wie etwa in Deutschland, dass die skandinavischen Länder nicht mitmachen müssen – diese Spitzfindigkeiten werden dann vermutlich untergehen. Bisher hatte die EU-Kommission tatsächlich wenig Kompetenzen in der Sozialpolitik.

    Federführend bei der Regulierung von Plattformen

    Schmit wird für sich reklamieren, einen Paradigmenwechsel in der EU-Politik hin zu mehr Sozialpolitik eingeleitet zu haben. Federführend hat der Sozialkommissar auch den Gesetzgebungsvorschlag zur Regulierung der Plattformarbeit vorangetrieben. Das Dossier, das gerade festgefahren ist, will die Rechte stärken von Mitarbeitern, die häufig auf prekärer Basis und als Scheinselbständige Geld für Uber und andere Plattformen verdienen. Jens Geier, Chef der deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament: “Nicolas Schmit ist Mister Mindestlohn und eines der stärksten Mitglieder der Von-der-Leyen-Kommission.” Schmit hat zudem die alte Kernkundschaft der Sozialisten besser im Blick als manche seiner Genossen: Er besuchte mit dem CDU-Sozialexperten Dennis Radtke Thyssen im Ruhrgebiet und machte sich ein Bild davon, wie es um die Industriearbeitsplätze steht.

    Als Luxemburger bringt Schmit zudem Qualitäten mit, die ihn nicht nur als Mister Mindestlohn, sondern auch als Mister Europa ausweisen. Seit seinem ersten Job, den er 1979 nach seiner Promotion in Betriebswirtschaftslehre angetreten hat, ist er entweder in der EU-Politik unterwegs oder in der nationalen luxemburgischen Politik. Und die ist wiederum eng mit der EU-Politik verwoben. So war er, der auch noch einen Master in französischer Literatur hat, Berater der Regierung Luxemburgs, als 1990 und 1991 die zwischenstaatliche Konferenz zu den Maastricht-Verträgen tagte. Als ein Jahrzehnt später der Vertrag von Nizza ausgehandelt wurde, diente er dabei als der persönliche Repräsentant des luxemburgischen Premierministers.

    Geschichte mit Jean-Claude Juncker

    Dessen Name war Jean-Claude Juncker, ein Christdemokrat und der spätere Kommissionspräsident. In der DNA luxemburgischer Politiker ist das Gen für die Arbeit über Parteigrenzen verankert. Juncker und Schmit haben eine weitere Geschichte miteinander: Vor der Wahl 2014 war Schmit Anwärter seines Landes für den Posten in der EU-Kommission. Dann trat Juncker als Spitzenkandidat an, gewann die Wahl und zog als Kommissionspräsident in die oberste Etage im Berlaymont ein. Schmit hatte das Nachsehen.

    Diesmal könnte es einen anderen Luxemburger treffen. Die neu amtierende luxemburgische Regierung unter dem Christdemokraten Luc Frieden hat den ehemaligen EVP-Europaabgeordneten Christoph Hansen bereits für die nächste Kommission nominiert. Angesichts der Umfragen ist zwar wenig wahrscheinlich, dass Schmit die Wahl gewinnt und Anspruch auf den Chefposten erheben kann. Doch bei der Vergabe der Topjobs würde der Zweitplatzierte zum Zuge kommen, etwa als Außenbeauftragter. Womöglich hat er dieses Amt auch schon im Blick: Als langjähriger Diplomat, verhandlungssicher in Französisch, Deutsch und Englisch wäre er dafür durchaus qualifiziert. Markus Grabitz

    • Arbeit
    • Arbeitnehmerrechte
    • Europäische Kommission
    • Europawahlen 2024
    • Plattformen
    • S&D
    • Sozialpolitik

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen