es ist ein historischer Durchbruch. Der Europäische Rat macht den Weg frei für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie mit dem Nachbarland, der Republik Moldau. Außerdem soll Georgien den Status eines Beitrittskandidaten bekommen und Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufgenommen werden, sobald das Land die Bedingungen erfüllt hat.
Es hatte keiner damit gerechnet: Viktor Orbán, der von langer Hand mit einem Veto gedroht hatte, gab seinen Widerstand gegen den Beschluss, in Gespräche mit der Ukraine einzutreten, recht schnell auf.
Die Umstände sind bemerkenswert: Er verließ im entscheidenden Moment der Abstimmung den Saal, sodass die geforderte Einstimmigkeit möglich war. Zwei Fragen stellen sich: Wird das Beispiel Schule machen, ist dies künftig ein Weg, Einstimmigkeit zu umschiffen? Und zweitens: Ist Orbán damit sein Drohpotenzial los, werden die anderen seine Erpressungsversuche nicht mehr ernst nehmen?
Das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland wurde in der Nacht beschlossen. Österreich muss allerdings noch seinen Vorbehalt aufheben. Österreich wird das heute tun. Auch bei den Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) gab es Bewegung. Zunächst hatten die Sherpas geredet, während die “Chefs” die Frage der Beitrittsgespräche behandelten. Gegen halb zehn abends legte dann Ratspräsident Charles Michel seinen Vorschlag für eine sogenannte “Negobox” auf den Tisch. Die Milliardenbeträge hatte er nach unten korrigiert. Die Staats- und Regierungschefs stiegen in eine Diskussionsrunde ein.
Unterm Strich hat der erste Gipfeltag sehr überraschende Ergebnisse gebracht. Damit liegt nahe, dass am zweiten Tag die verbliebenen Streitpunkte auch noch abgeräumt werden können. Einzelheiten entnehmen Sie der Analyse von Eric Bonse und Stephan Israel.
Überraschung beim EU-Gipfel in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs haben sich für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und dem Nachbarland Moldau ausgesprochen. Die Entscheidung wurde im Konsens ohne den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán getroffen. Er distanzierte sich anschließend davon. Dies habe jedoch keine politische oder juristische Bedeutung, hieß es in Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Gipfelbeschluss “ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine Perspektive für die Ukraine”. Die Ukraine und Moldau gehörten “zur europäischen Familie”. Ratspräsident Charles Michel sprach von einem “historischen Moment”. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feierte einen “Sieg für die Ukraine” Dies sei auch “ein Sieg für ganz Europa. Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt.”
Orbán, der mit einem Veto gedroht hatte, nahm an der Entscheidung nicht teil. Scholz und andere führende EU-Politiker hatten bis zuletzt versucht, ihn umzustimmen – ohne Erfolg. Da er im entscheidenden Moment den Saal verließ, konnte er jedoch nicht Nein sagen. Nach Angaben mehrerer EU-Diplomaten hatte Scholz die rettende Idee, dass Orbán der Beschlussfassung einfach fernbleiben könne.
Dieses Vorgehen sei vorab mit Orbán abgesprochen worden, hieß es. Ärger gab es trotzdem. Der Ungar sprach nach dem grünen Licht für die Ukraine von einer “völlig sinnlosen, irrationalen und falschen Entscheidung”. Er habe sich der Stimme enthalten. “26 andere Länder haben darauf bestanden, dass diese Entscheidung getroffen wird”, erklärte er. “Daher hat Ungarn beschlossen, dass, wenn 26 andere Länder dies tun, sie ihren eigenen Weg gehen sollten.”
Die Entscheidung ist dennoch im Namen der gesamten EU gefallen – denn Orbán hat kein Veto eingelegt. Der als chronische Neinsager bekannte Rechtspopulist aus Budapest habe im entscheidenden Moment gekniffen, hieß es im Brüsseler Ratsgebäude. “Am Ende zählt nur, ob man ein Veto einlegt oder ob man kein Veto einlegt”, sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo. Orbán solle nun “seinen Mund halten”.
Der Gipfel entschied zudem, Georgien den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Auch das war nicht erwartet worden. Die Mitgliedsländer der EU wollen auch Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufnehmen, sobald das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Für Bosnien-Herzegowina hatte sich auch Orbán starkgemacht. Österreich hatte ebenfalls eine Perspektive für den Westbalkan gefordert.
Mit diesen Weichenstellungen nimmt die lange verschmähte Erweiterungspolitik wieder Fahrt auf. Sie wird mit geopolitischen Notwendigkeiten begründet. Es gelte, sich dem imperialen Russland entgegenzustellen. Allerdings dürften die Beitrittsgespräche nicht sofort beginnen. Die Ukraine muss noch einige Reformen umsetzen; zudem fehlt ein formeller Verhandlungsrahmen. Die Kommission will im März erneut berichten.
Bis die eigentliche Beitrittskonferenz beginnt, könnten noch einmal mehrere Monate vergehen. Als abschreckendes Beispiel gilt Nordmazedonien. Das Land bekam bereits 2018 das grüne Licht von der EU-Kommission. Die erste Beitrittskonferenz konnte aber erst im Juli organisiert werden – wegen eines Vetos von Bulgarien. Ein ähnliches Schicksal könnte auch die Ukraine und Moldau ereilen.
Bis zum tatsächlichen EU-Beitritt dürften noch Jahre vergehen. Spätestens 2030 soll es aber so weit sein. Bis dahin will die EU auch die nötigen Reformen durchführen, um sich selbst erweiterungsfähig zu machen. Eine “Roadmap” für diese Reformen soll unter belgischer Ratspräsidentschaft bis Juni 2024 erarbeitet werden. Allein durch den Beitritt der Ukraine könnten zusätzliche Kosten von jährlich 13,2 Milliarden Euro auf die EU zukommen, heißt es in einer Studie des Jacques Delors Centre.
Allerdings bringt die Stabilisierung der Ukraine schon jetzt erhebliche Belastungen mit sich. Der EU-Gipfel diskutierte über ein auf vier Jahre angelegtes Hilfspaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für Kiew. Die EU-Kommission will es teilweise durch eine Aufstockung des auf sieben Jahre angelegten EU-Budgets (Mehrjähriger Finanzrahmen, MFR) finanzieren. In einem ersten Entwurf war von insgesamt 66 Milliarden Euro die Rede.
Dagegen legte jedoch Scholz Widerspruch ein. Er will zwar die Ukraine finanziell unterstützen, lehnt aber eine großzügige Aufstockung des MFR ab. Ratspräsident Michel legte einen neuen Vorschlag vor, der die Aufstockung auf rund 22 Milliarden Euro begrenzen würde. Allerdings ginge dies zulasten von laufenden EU-Programmen; auch neue Aufgaben bei der Migration und der Wettbewerbsfähigkeit könnten unter den Kürzungen leiden.
Der Vorschlag von Michel fand deshalb zunächst keine Zustimmung. Einige EU-Staaten forderten mehr Geld für neue Gemeinschaftsaufgaben. Deutschland wollte den Zuschuss an frischem Geld weiter begrenzen. Und dann war da auch noch Orbán, der am liebsten gar kein Geld an die Ukraine überweisen würde und erneut mit einem Veto drohte. Nach dem Coup um den Beitritt drohte deshalb ein zweiter Showdown – diesmal ums Geld. Auch das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde in der Nacht angenommen. Österreich muss noch seinen Vorbehalt dagegen aufheben. Österreich wird dies heute tun. Mit Stephan Israel
Es gibt den Aleksandar Vučić, der von westlichen Besuchern als “Garant für Stabilität” geschätzt und für Reformen gelobt wird. Und es gibt den serbischen Präsidenten, der wie jetzt im Wahlkampf zu seinen ultranationalistischen Wurzeln zurückkehrt. Vučić hat die vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag ausgerufen, um nach Massenproteste wegen Amokläufen in Schulen mit 19 Toten seine Macht zu festigen. Es geht auch um ein Ablenkungsmanöver, angesichts des Drucks der Staatengemeinschaft, bei einer Normalisierung mit Kosovo endlich vorwärts zu machen.
Die Opposition habe Neuwahlen gefordert, nun bekomme sie Neuwahlen, sagte Vučić. Serbiens Präsident löst das Parlament im Durchschnitt alle zwei Jahre vorzeitig auf. Das hilft, die demokratische Fassade aufrecht und die Regimegegner auf Trab zu halten. Ein Bündnis proeuropäischer Oppositionsparteien versucht diesmal ihr Glück unter dem Slogan “Serbien gegen Gewalt”, doch die Bedingungen sind alles andere als fair. Im staatlichen Fernsehen oder bei regimetreuen Sendern wie Pink oder Happy TV kommen Oppositionelle nur vor, wenn sie diffamiert werden.
Vorzeitig gewählt wird auch in knapp der Hälfte der Gemeinden, die der Präsident willkürlich und wohl mit Blick auf die Mobilisierung seiner Klientel ausgesucht hat. Wie auf Kommando mussten dafür die Bürgermeister in der Hauptstadt Belgrad und 60 anderen Ratshäusern quer durch das Land zurücktreten. Außenministerin Annalena Baerbock forderte angesichts der demokratischen Defizite in Serbien diese Woche fairen Zugang aller Kandidaten zu den Medien. Bei den vergangenen Wahlen habe es zudem Druck auf Wähler und Missbrauch öffentlicher Mittel gegeben.
Einschlägig bekannt ist, dass Angestellte der Verwaltung oder von staatsnahen Betrieben Fotos von ihren ausgefüllten Wahlzetteln vorweisen müssen oder sonst die Entlassung riskieren. Doch das ist nur eine von verschiedenen Methoden der Wählermanipulation.
Aleksandar Vučić hat alleine in diesem Jahr 260 Monologe im Fernsehen gehalten, die im Schnitt 38 Minuten gedauert haben, wie die regierungsunabhängigen Wahlbeobachter von Crta berechnet haben. Der Präsident erklärt dem Publikum die Weltlage und präsentiert sich als Landesvater, der als einziger Serbien in diesen turbulenten Zeiten durch unruhige Gewässer führen kann.
“Wir werden in Serbien abwechslungsweise als Staatsfeinde, Faschisten oder Diebe präsentiert”, sagt Oppositionspolitiker Borko Stefanović. Vučić wirft der Opposition vor, im Gegensatz zu ihm bereit zu sein, dem Druck des Westens nachzugeben und den Kosovo zu “verraten”. Die Opposition will im Wahlkampf auch deshalb vor allem über grassierende Korruption, Gewalt in der Gesellschaft oder Vetternwirtschaft sprechen.
Zu Besuch in Berlin finde Aleksandar Vučić dann die richtigen Worte und präsentiere sich als zuverlässiger Partner, der als einziger mit Blick auf Reformen und die Normalisierung mit Kosovo liefern könne.
Die westlichen Partner glaubten das allzu gerne und setzten auf Vučić als einzigen Garanten für Stabilität in Serbien, so Oppositionspolitiker Stefanović. In Belgrad kursiert der böse Begriff von der “Stabilokratie”, die bewusst oder unabsichtlich von Brüssel bis Berlin gefördert werde. Dabei sorge Aleksandar Vučić für viel Instabilität in der Region. Opposition und Zivilgesellschaft würden bei Besuchen ignoriert, ebenso wie die Rückschritte bei Demokratie, Minderheitenrechten und Medienfreiheit.
In der Verantwortung sieht die Opposition nicht zuletzt die langjährige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Aleksandar Vučić seinerzeit unter ihre Fittiche genommen und seiner Regierungspartei SNS den Weg in die konservative Europäische Volkspartei (EVP) geebnet habe. Der serbische Präsident spricht gerne von seiner “Freundin Angela”, die ihn in neun Jahren immerhin 16 Mal bilateral getroffen hat. Dabei dürften auch Wirtschaftsinteressen im Zentrum gestanden haben.
Seit immerhin bald zehn Jahren finanziert Berlin einen Wirtschaftsberater, der direkt beim Präsidenten Vučić angesiedelt ist und als Türöffner funktioniert. Deutschland ist in Serbien ausländischer Investor Nummer 1. Doch auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Aleksandar Vučić bei einem letzten Besuch für seinen Reformkurs gelobt, wobei unklar ist, welche Reformen gemeint sein könnten.
Seine Karriere hat Aleksandar Vučić einst als Ultranationalist in den 90er-Jahren an der Seite von Vojislav Šešelj und Slobodan Milošević begonnen, beide in Den Haag später wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Zu Beginn seiner Amtszeit vor zehn Jahren gab er sich geläutert als Proeuropäer, der das Land in die EU führen werde. Jetzt paktiert er im prestigeträchtigen Wahlkampf um Belgrad mit dem verurteilen Kriegsverbecher Šešelj. Dies in der Hoffnung, die Hauptstadt nicht an die Opposition zu verlieren, die nur dort überhaupt Siegeschancen hat. Vučić zeige mit diesem Bündnis sein wahres Gesicht, so die Opposition.
Bei einem Fernsehauftritt diese Woche machte der serbische Präsident klar, dass er auf eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus und eine Niederlage der Ukraine setzt. Serbien müsse bis dahin “überleben” und könne danach mit einer “besseren geopolitischen Lage” rechnen. Das Land könne zudem von Aserbaidschans früheren Präsidenten Heidar Alijew und dessen Sohn und Nachfolger Ilham Alijew, lernen, der 27 Jahre gewartet habe, um Bergkarabach “zurückzuholen“.
Quer durch Serbien wird jetzt schon im Wahlkampf auf großflächigen Inschriften an Autobahnbrücken und Gebäuden die “Rückkehr der Armee in den Kosovo” angekündigt. In Brüssel und Berlin sollte man Vučić Zusicherungen nicht länger Glauben schenken und die Zeichen an der Wand erkennen.
In den Verhandlungen um das EU-Sorgfaltspflichtengesetz (CSDDD) haben sich EU-Parlament, Rat und Kommission vorläufig geeinigt. Bei dem erneut langen Trilogtreffen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten sie Kompromisse für die letzten strittigen Themen finden: Der Finanzsektor wird auf Druck des Rats zunächst von den Pflichten ausgenommen; bei der Haftung und der Umsetzungspflicht für Klimapläne konnte sich wiederum das Parlament durchsetzen.
“Dieses Gesetz ist ein historischer Durchbruch”, sagte EP-Berichterstatterin Lara Wolters am Donnerstagvormittag. Sie erinnerte an den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch 2013 mit mehr als 1130 Toten: Zehn Jahre später seien Unternehmen nun für mögliche Missstände in ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich. “Möge dieses Abkommen ein Tribut an die Opfer dieser Katastrophe sein und ein Ausgangspunkt für die Gestaltung der Wirtschaft der Zukunft – einer Wirtschaft, die das Wohlergehen der Menschen und des Planeten über Profite und Kurzsichtigkeit stellt.”
Die Richtlinie ähnelt in ihrer Struktur dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), geht jedoch noch deutlich darüber hinaus: Während in Deutschland nach dem LkSG etwa 3.000 Unternehmen berichten müssen, werden es nach der CSDDD um die 15.000 sein. Die CSDDD konzentriert sich außerdem nicht nur auf die direkten Lieferanten wie das LkSG, sondern umfasst sowohl die vorgelagerte Wertschöpfungskette (etwa den Rohstoffabbau) als auch teilweise die nachgelagerte Kette (Verwendung, Verwertung, Entsorgung).
Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen:
Mehrere Industrieverbände riefen Rat und Parlament auf, das Gesetz in den nun anstehenden Abstimmungen abzulehnen. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), nutzte drastische Worte: “Mit der heutigen Einigung im Trilog für ein europäisches Lieferkettengesetz liefert die EU den nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.” Das Gesetz stehe in einer langen Reihe bürokratischer Exzesse aus Brüssel, die vom industriellen Mittelstand geschultert werden müssten. Von der Ankündigung, europäische Unternehmen von 25 Prozent der Bürokratiepflichten zu entlasten, sei keine Spur.
Ähnlich äußerte sich auch BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner: Der finale Gesetzestext bedrohe Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, “da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten“. Dies würde Menschenrechten und Umwelt nicht zugutekommen, sondern schaden.
Forscher und Expertinnen aus der Wissenschaft sehen dies anders: “Deutsche Unternehmen, die sich um eine ernsthafte und gewissenhafte Umsetzung ihrer Pflichten nach dem Lieferkettengesetz bemühen, haben (…) wenig zu befürchten”, kommentierte Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität in Erlangen-Nürnberg. “Vielmehr hat die Richtlinie für sie nur Vorteile: Sie haben sich bereits auf die neuen Regeln eingestellt und erleben nun auch keine Wettbewerbsverzerrungen mehr.”
Für Unternehmen werde es nun wichtig sein, das Thema Sorgfaltspflichten strategisch zu sehen, sagte Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität in Oestrich-Winkel: “Der Schutz von Menschenrechten ist von zunehmender Bedeutung für die Unternehmensreputation weltweit.” Außerdem seien Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten und transparente Lieferketten pflegen, deutlich krisenresilienter. Dies könne ein ausschlaggebender Faktor werden.
Die Zivilgesellschaft kritisierte die Ausnahme für den Finanzsektor scharf. Die Reaktionen fielen ansonsten sehr positiv aus: Das NGO-Bündnis “Initiative Lieferkettengesetz” sprach von einem “Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in globalen Lieferketten“. Etwa werde die Position von Betroffenen vor Gericht verbessert, sagte Koordinatorin Johanna Kusch: “Anders als das deutsche Lieferkettengesetz sieht es eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten verletzen.” Menschen, deren Rechte verletzt wurden, können zukünftig in verwaltungsrechtlichen Verfahren und vor Zivilgerichten klagen.
Als nächste Schritte müssen nun Rat und Parlament die Einigung formal annehmen. Anschließend tritt das Gesetz in Kraft. Da es sich um eine Richtlinie handelt, ist sie erst bindend, wenn sie in nationales Recht umgesetzt wurde.
Für die Umsetzung rechnet man laut Informationen von Table.Media aus dem Parlament mit etwa zwei Jahren. In Deutschland wird also weiterhin das LkSG gelten; es werden jedoch Anpassungen erforderlich sein.
18.12.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Umwelt
Themen: Politische Debatte über eine Verordnung über einen Überwachungsrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder, Berichte über die wichtigsten internationalen Treffen der letzten Zeit, Präsentation der Kommission über die Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne durch die Kommission. Vorläufige Tagesordnung
19.12.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Verkehr, Telekommunikation und Energie
Themen: Aktuelle Gesetzgebungsvorschläge, Informationen der Kommission zu den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Außenbeziehungen im Energiebereich, Informationen der Kommission zur Vorbereitung auf den Winter 2023/2024. Vorläufige Tagesordnung
20.12.2023
EuGH-Urteil zur Übernahme von innogy durch E.ON
Themen: Im März 2018 haben die beiden deutschen Energieunternehmen RWE und E.ON angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen. Im Februar und im September 2019 genehmigte die Kommission die Transaktionen (Erwerb von E.ON-Stromerzeugungsanlagen durch RWE, Übernahme von innogy durch E.ON). Die kommunalen Stromerzeuger haben beide Kommissionsbeschlüsse vor dem Gericht der EU angefochten. Die Klagen gegen die Genehmigung des Erwerbs von E.ON-Stromerzeugungsanlagen durch RWE wies das Gericht mit Urteilen vom 17. Mai 2023 ab. Infos
20.12.2023
Außerordentlicher Ecofin
Themen: Die Finanzminister der EU-Staaten diskutieren in einer Videokonferenz ab 16 Uhr über die Reform der Fiskalregeln. Eine politische Einigung scheint möglich.
21.12.2023
EuGH-Urteil zu grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft
Themen: Es geht um Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft in Deutschland und in Österreich wegen des Verdachts der organisierten Steuerhinterziehung beim Import von Biodiesel in die EU. Generalanwältin Ćapeta hat in ihren Schlussanträgen vom 22. Juni 2023 die Ansicht vertreten, dass die gerichtliche Kontrolle im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts auf Verfahrensfragen beschränkt sein sollte. Infos
Der russische Präsident Wladimir Putin hält an seinen Zielen in der Ukraine fest. “Frieden wird es erst geben, wenn wir unsere Ziele erreicht haben, und die Ziele ändern sich nicht: Denazifizierung, Demilitarisierung. Neutralität”, sagte er am Donnerstag in einer vierstündigen Befragung durch Pressvertreter und Bürger.
Putin behauptete, dass die vom Westen der Ukraine zur Verfügung gestellte Technik weitgehend zerstört sei. Die Ukraine erhalte militärische Hilfe “für lau”, aber das könne sich ändern. In Bezug auf die USA sagte Putin: “Wenn irgendwelche inneren Veränderungen stattfinden, wenn sie anfangen, andere Menschen, andere Staaten zu respektieren, dann können wir gleichwertige Beziehungen aufbauen.”
Eine weitere Mobilmachung in Russland sei “zu diesem Zeitpunkt nicht nötig”, sagte Putin. Es gebe genug Freiwillige, um den Bedarf der Armee zu befriedigen. Aktuell befinden sich nach seiner Aussage 244.000 Soldaten in der Kriegsregion. Täglich würden sich 1500 Freiwillige melden, sodass zum Jahresende knapp 500.000 Vertragssoldaten angeworben würden. Überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht.
Nach einer Frage zum Krieg im Gazastreifen warf Putin Israel vor, unverhältnismäßig zu handeln: “Schaut, was bei uns in der Region der Sondermilitäroperation passiert und was in Gaza geschieht.” vf
Mehr zum Auftritt Putins lesen Sie hier.
Im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments wurde der Initiativbericht von Markus Pieper (CDU) zu NGOs deutlich abgeschwächt. Für seine Forderung an die Kommission, ein NGO-Gesetz für mehr Transparenz und Kontrolle von NGOs vorzulegen, gab es keine Mehrheit. Auch der Verweis auf die NGO, die die Kommission zum Lobbying für den eigenen Vorschlag des Naturwiederherstellungsgesetzes gegründet hat, wurde wieder gestrichen.
NGOs sollen auch nicht verpflichtet werden, künftig Treffen mit Abgeordneten und EU-Vertretern öffentlich zu machen. Gestrichen wurde auch die Forderung nach einem gemeinsamen Zertifizierungssystem für NGOs, die sich um EU-Gelder bewerben.
Mit insgesamt 19 Stimmen von EVP, S&D, Renew, ECR und ID wurde der Initiativbericht gegen sechs Stimmen von Linken und Grünen beschlossen. Der Bericht stellt fest, dass der Korruptionsfall um die ehemalige Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili, hätte vermieden werden können, wenn die bestehenden Regeln angewendet worden wären.
NGOs, die Hassreden verbreiten oder religiösen Extremismus, Terrorismus oder die Verbreitung falscher Informationen fördern, sollen von EU-Geldern ausgeschlossen werden. In jedem Ausschuss soll ein Mitarbeiter benannt werden, der für Transparenzfragen zuständig ist. Der Bericht fordert, dass die letzten Begünstigten und alle Geber von NGOs öffentlich gemacht werden müssen, die EU-Gelder bekommen. Außerdem sieht er vor, die Anforderungen an die Transparenz von NGOs in finanziellen Fragen zu erhöhen. Pieper setzt darauf, dass es bei der folgenden Abstimmung im Plenum Mehrheiten für einige seiner Vorschläge gibt. mgr
Rat und Parlament haben sich im Trilog auf eine Überarbeitung der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte (PLD) geeinigt. Ziel ist es, das Produkthaftungsrecht von 1985 zu modernisieren und es fit zu machen für die Anforderungen der Digitalisierung und der Kreislaufwirtschaft. Das Gesetz bezieht erstmals auch Software und Künstliche Intelligenz in die Regulierung ein.
Die wichtigsten Punkte der Einigung in der überarbeiteten Produkthaftungsrichtlinie sind:
Die Minderung der Beweislast war eines der besonders umstrittenen Themen. René Repasi, Unterhändler der S&D-Fraktion für die Richtlinie und binnenmarktpolitischer Sprecher der Europa-SPD nennt dies daher auch einen “bedeutsamen sozialdemokratischen Verhandlungserfolg”. Diese Erleichterungen würden Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Gericht helfen, “nicht nur ihr Recht einzuklagen, sondern auch zu bekommen”, sagte Repasi.
Auch die Aufnahme von Online-Marktplätzen sei ein Erfolg, da Käufer so “in Zukunft bei fehlerhaften Produkten aus Fernost sowie in solchen Fällen geschützt werden, in denen bislang kein Schadenersatz geleistet werden musste“.
Kritik an der neuen Produkthaftungsrichtlinie kommt aus der Wirtschaft. Der breite Anwendungsbereich rufe in der Geschäftswelt “ernsthafte Bedenken” hervor, sagte Markus J. Beyrer, Generaldirektor des Arbeitgeber- und Industrieverbands Business Europe. “Wir erkennen an, wie wichtig es ist, sich an die sich entwickelnden technologischen Landschaften anzupassen, aber wir stellen die Notwendigkeit einer umfassenden Überarbeitung einer Richtlinie infrage, die bereits effektiv funktioniert hat.”
Business Europe betrachtet das Gesetz als nicht ausgewogen. Gründe seien das “erhöhte Risiko der Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Dritte, die Umkehr der Beweislast und das Fehlen von Garantien für die Offenlegung von Beweisen”.
Der Industrieverband CCIA, der Big Tech aus den USA vertritt, warnte, die Einbeziehung sämtlicher Software – einschließlich künstlicher Intelligenz – in den Anwendungsbereich werde “ohne ausreichende Garantien oder Klarheit eine abschreckende Wirkung auf die europäische Innovation haben”. Unternehmen würden mit mehr Rechtsstreitigkeiten, missbräuchlicher Offenlegung von Beweismitteln und insgesamt höheren Versicherungskosten konfrontiert.
“Während die Versicherungskosten für Software wahrscheinlich unmittelbar steigen werden, dürften die greifbareren negativen Folgen für die europäischen Verbraucher, einschließlich höherer Produktpreise und einer geringeren Auswahl, mittelfristig die Vorteile dieser Überarbeitung überwiegen”, sagte Mathilde Adjutor, Senior Policy Manager der CCIA Europe.
Die Produkthaftungsrichtlinie muss jetzt noch formal von Rat und Parlament angenommen werden. Sie bezieht zwar auch Künstliche Intelligenz mit ein, die Kommission hatte dennoch parallel eine Produkthaftungsrichtlinie für Künstliche Intelligenz als Spezialgesetz vorgelegt. Diese will das Parlament jedoch erst behandeln, wenn der AI Act angenommen ist. Dass das KI-Haftungsgesetz noch in der laufenden Legislatur kommen wird, ist daher unwahrscheinlich. vis
Die Kommission hat am Donnerstag die Änderungen der Arbeitsprogramme Digitales Europa für das Jahr 2024 genehmigt und stellt eine Finanzierung in Höhe von 762,7 Millionen Euro für digitale Lösungen zur Verfügung. Die sollen Bürgern, öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen zugutekommen.
Das geänderte Hauptarbeitsprogramm mit einem Budget von fast 549 Millionen Euro zielt darauf ab, Projekte umzusetzen, die digitale Technologien wie Daten, Cloud und hoch entwickelte digitale Fähigkeiten nutzen. In diesem Rahmen baut die Kommission auch die Unterstützung für die reibungslose Umsetzung länderübergreifender Projekte der Digitalen Dekade aus und fördert Europäische Digitale Infrastrukturkonsortien (EDICs).
Außerdem hat die Kommission auch Mittel vorgesehen, um die Umsetzung des KI-Gesetzes (AI Act) zu unterstützen und ein europäisches Ökosystem für künstliche Intelligenz zu entwickeln. Davon sollen vor allem kleinere und mittlere Unternehmen profitieren.
Zusätzlich sieht die für das Jahr 2024 Mittel in Höhe von 214 Millionen Euro für die Cybersicherheit vor, um die kollektive Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber Cyberbedrohungen zu stärken. Die in diesem Arbeitsprogramm finanzierten Maßnahmen werden durch das Europäische Kompetenzzentrum für Cybersicherheit umgesetzt.
“Das Digital Europe Programme ist von zentraler Bedeutung, um EU- und nationale Finanzmittel zu bündeln und anspruchsvolle digitale Projekte zu realisieren, die von keinem Mitgliedstaat alleine bewältigt werden können”, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Und Binnenmarktkommissar Thierry Breton fügte hinzu, das Programm werde die Entwicklung “eines florierenden europäischen Ökosystems für Start-ups im Bereich künstliche Intelligenz vorantreiben”.
Die ersten Ausschreibungen im Rahmen des Digital Europe Programms werden Anfang 2024 veröffentlicht, weitere folgen im Frühjahr. Informationen zu den Arbeitsprogrammen finden Sie hier und Informationen zur Beantragung von Fördermitteln hier.
Die EU-Kommission hat im Streit um luxemburgische Steuerregelungen für Amazon eine endgültige Niederlage erlitten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies am Donnerstag in Luxemburg ein Rechtsmittel der EU-Kommission gegen ein früheres Urteil des EU-Gerichts zurück. Das EU-Gericht hatte zuvor entschieden, dass die Brüsseler Behörde zu Unrecht die “tax rulings” für Amazon als eine illegale Beihilfe betrachtet hatte.
Amazon hatte den luxemburgischen Behörden 2003 eine Regelung für zwei dort ansässige Tochtergesellschaften in Bezug auf die Gesellschaftssteuer vorgeschlagen. Luxemburg billigte das. Die EU-Kommission stellte 2017 jedoch fest, dass diese Regelung eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe sei.
Das EU-Gericht entschied 2021 allerdings: Die EU-Kommission habe nicht gut genug nachgewiesen, dass Amazon durch die Regelung tatsächlich zu Unrecht weniger Steuern gezahlt habe. Luxemburg habe der Tochtergesellschaft keinen selektiven Vorteil gewährt, so die Richter damals.
Dagegen wehrte sich die EU-Kommission vor dem höchsten Gericht, dem EuGH. Die Richter lehnten das aber nun ab. Die EU-Kommission habe bei der Beurteilung der Regelung ein falsches Bezugsystem herangezogen. Das untere Gericht habe den Beschluss der EU-Kommission daher zu Recht für nichtig erklärt, so die Richter. dpa
Es gab eine Zeit, da wurden neue soziale Netzwerke bejubelt oder verrissen. Bei Threads, der neuen Plattform von Meta, aber scheint beides auszubleiben – jetzt, da sie nach einigen Anpassungen auch in der EU verfügbar gemacht wurde. Die Twitter, Pardon, X-Alternative ist eben nur die x-te Alternative zum Original, das weiterhin unter seinem neuen Eigentümer und dessen Allüren leidet.
Threads kann nichts Besonderes. Nutzer zucken etwas ratlos mit den Schultern, wenn man sie fragt, was auf Mark Zuckerbergs Plattform los sei. Aber vielleicht ist genau das die Stärke des neuen Meta-Angebots.
Auch regulatorisch ist Threads ziemlich langweilig: Der verzögerte EU-Start lag an Anpassungen ans EU-Recht. Kein Fight mit der EU-Kommission um die Anwendbarkeit von DSGVO, DMA oder DSA – Zuckerbergs Alternative hat sich offenbar vorgenommen, einfach nur regelkonform zu spielen.
Die Konten wurden gleich von Instagram und Facebook entkoppelt, um allen DMA-Problemen zu entgehen. Sogar eine Brücke zum nerdigen Mastodon ist jetzt inklusive. Man muss sich nicht einmal ein Konto zulegen, um etwa zu entdecken, dass die EU-Kommission schon da ist.
Wer sollte da herummeckern? Alle Hoffnung auf etwas Trubel liegt jetzt auf Elon Musk. Würde der sein hassgeliebtes X ebenfalls für eine Konföderation mit Threads, Mastodon und Bluesky öffnen, wäre der Social-Media-Plattform-Salat angerichtet. Falk Steiner
es ist ein historischer Durchbruch. Der Europäische Rat macht den Weg frei für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie mit dem Nachbarland, der Republik Moldau. Außerdem soll Georgien den Status eines Beitrittskandidaten bekommen und Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufgenommen werden, sobald das Land die Bedingungen erfüllt hat.
Es hatte keiner damit gerechnet: Viktor Orbán, der von langer Hand mit einem Veto gedroht hatte, gab seinen Widerstand gegen den Beschluss, in Gespräche mit der Ukraine einzutreten, recht schnell auf.
Die Umstände sind bemerkenswert: Er verließ im entscheidenden Moment der Abstimmung den Saal, sodass die geforderte Einstimmigkeit möglich war. Zwei Fragen stellen sich: Wird das Beispiel Schule machen, ist dies künftig ein Weg, Einstimmigkeit zu umschiffen? Und zweitens: Ist Orbán damit sein Drohpotenzial los, werden die anderen seine Erpressungsversuche nicht mehr ernst nehmen?
Das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland wurde in der Nacht beschlossen. Österreich muss allerdings noch seinen Vorbehalt aufheben. Österreich wird das heute tun. Auch bei den Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) gab es Bewegung. Zunächst hatten die Sherpas geredet, während die “Chefs” die Frage der Beitrittsgespräche behandelten. Gegen halb zehn abends legte dann Ratspräsident Charles Michel seinen Vorschlag für eine sogenannte “Negobox” auf den Tisch. Die Milliardenbeträge hatte er nach unten korrigiert. Die Staats- und Regierungschefs stiegen in eine Diskussionsrunde ein.
Unterm Strich hat der erste Gipfeltag sehr überraschende Ergebnisse gebracht. Damit liegt nahe, dass am zweiten Tag die verbliebenen Streitpunkte auch noch abgeräumt werden können. Einzelheiten entnehmen Sie der Analyse von Eric Bonse und Stephan Israel.
Überraschung beim EU-Gipfel in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs haben sich für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und dem Nachbarland Moldau ausgesprochen. Die Entscheidung wurde im Konsens ohne den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán getroffen. Er distanzierte sich anschließend davon. Dies habe jedoch keine politische oder juristische Bedeutung, hieß es in Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Gipfelbeschluss “ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine Perspektive für die Ukraine”. Die Ukraine und Moldau gehörten “zur europäischen Familie”. Ratspräsident Charles Michel sprach von einem “historischen Moment”. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feierte einen “Sieg für die Ukraine” Dies sei auch “ein Sieg für ganz Europa. Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt.”
Orbán, der mit einem Veto gedroht hatte, nahm an der Entscheidung nicht teil. Scholz und andere führende EU-Politiker hatten bis zuletzt versucht, ihn umzustimmen – ohne Erfolg. Da er im entscheidenden Moment den Saal verließ, konnte er jedoch nicht Nein sagen. Nach Angaben mehrerer EU-Diplomaten hatte Scholz die rettende Idee, dass Orbán der Beschlussfassung einfach fernbleiben könne.
Dieses Vorgehen sei vorab mit Orbán abgesprochen worden, hieß es. Ärger gab es trotzdem. Der Ungar sprach nach dem grünen Licht für die Ukraine von einer “völlig sinnlosen, irrationalen und falschen Entscheidung”. Er habe sich der Stimme enthalten. “26 andere Länder haben darauf bestanden, dass diese Entscheidung getroffen wird”, erklärte er. “Daher hat Ungarn beschlossen, dass, wenn 26 andere Länder dies tun, sie ihren eigenen Weg gehen sollten.”
Die Entscheidung ist dennoch im Namen der gesamten EU gefallen – denn Orbán hat kein Veto eingelegt. Der als chronische Neinsager bekannte Rechtspopulist aus Budapest habe im entscheidenden Moment gekniffen, hieß es im Brüsseler Ratsgebäude. “Am Ende zählt nur, ob man ein Veto einlegt oder ob man kein Veto einlegt”, sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo. Orbán solle nun “seinen Mund halten”.
Der Gipfel entschied zudem, Georgien den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Auch das war nicht erwartet worden. Die Mitgliedsländer der EU wollen auch Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufnehmen, sobald das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Für Bosnien-Herzegowina hatte sich auch Orbán starkgemacht. Österreich hatte ebenfalls eine Perspektive für den Westbalkan gefordert.
Mit diesen Weichenstellungen nimmt die lange verschmähte Erweiterungspolitik wieder Fahrt auf. Sie wird mit geopolitischen Notwendigkeiten begründet. Es gelte, sich dem imperialen Russland entgegenzustellen. Allerdings dürften die Beitrittsgespräche nicht sofort beginnen. Die Ukraine muss noch einige Reformen umsetzen; zudem fehlt ein formeller Verhandlungsrahmen. Die Kommission will im März erneut berichten.
Bis die eigentliche Beitrittskonferenz beginnt, könnten noch einmal mehrere Monate vergehen. Als abschreckendes Beispiel gilt Nordmazedonien. Das Land bekam bereits 2018 das grüne Licht von der EU-Kommission. Die erste Beitrittskonferenz konnte aber erst im Juli organisiert werden – wegen eines Vetos von Bulgarien. Ein ähnliches Schicksal könnte auch die Ukraine und Moldau ereilen.
Bis zum tatsächlichen EU-Beitritt dürften noch Jahre vergehen. Spätestens 2030 soll es aber so weit sein. Bis dahin will die EU auch die nötigen Reformen durchführen, um sich selbst erweiterungsfähig zu machen. Eine “Roadmap” für diese Reformen soll unter belgischer Ratspräsidentschaft bis Juni 2024 erarbeitet werden. Allein durch den Beitritt der Ukraine könnten zusätzliche Kosten von jährlich 13,2 Milliarden Euro auf die EU zukommen, heißt es in einer Studie des Jacques Delors Centre.
Allerdings bringt die Stabilisierung der Ukraine schon jetzt erhebliche Belastungen mit sich. Der EU-Gipfel diskutierte über ein auf vier Jahre angelegtes Hilfspaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für Kiew. Die EU-Kommission will es teilweise durch eine Aufstockung des auf sieben Jahre angelegten EU-Budgets (Mehrjähriger Finanzrahmen, MFR) finanzieren. In einem ersten Entwurf war von insgesamt 66 Milliarden Euro die Rede.
Dagegen legte jedoch Scholz Widerspruch ein. Er will zwar die Ukraine finanziell unterstützen, lehnt aber eine großzügige Aufstockung des MFR ab. Ratspräsident Michel legte einen neuen Vorschlag vor, der die Aufstockung auf rund 22 Milliarden Euro begrenzen würde. Allerdings ginge dies zulasten von laufenden EU-Programmen; auch neue Aufgaben bei der Migration und der Wettbewerbsfähigkeit könnten unter den Kürzungen leiden.
Der Vorschlag von Michel fand deshalb zunächst keine Zustimmung. Einige EU-Staaten forderten mehr Geld für neue Gemeinschaftsaufgaben. Deutschland wollte den Zuschuss an frischem Geld weiter begrenzen. Und dann war da auch noch Orbán, der am liebsten gar kein Geld an die Ukraine überweisen würde und erneut mit einem Veto drohte. Nach dem Coup um den Beitritt drohte deshalb ein zweiter Showdown – diesmal ums Geld. Auch das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde in der Nacht angenommen. Österreich muss noch seinen Vorbehalt dagegen aufheben. Österreich wird dies heute tun. Mit Stephan Israel
Es gibt den Aleksandar Vučić, der von westlichen Besuchern als “Garant für Stabilität” geschätzt und für Reformen gelobt wird. Und es gibt den serbischen Präsidenten, der wie jetzt im Wahlkampf zu seinen ultranationalistischen Wurzeln zurückkehrt. Vučić hat die vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag ausgerufen, um nach Massenproteste wegen Amokläufen in Schulen mit 19 Toten seine Macht zu festigen. Es geht auch um ein Ablenkungsmanöver, angesichts des Drucks der Staatengemeinschaft, bei einer Normalisierung mit Kosovo endlich vorwärts zu machen.
Die Opposition habe Neuwahlen gefordert, nun bekomme sie Neuwahlen, sagte Vučić. Serbiens Präsident löst das Parlament im Durchschnitt alle zwei Jahre vorzeitig auf. Das hilft, die demokratische Fassade aufrecht und die Regimegegner auf Trab zu halten. Ein Bündnis proeuropäischer Oppositionsparteien versucht diesmal ihr Glück unter dem Slogan “Serbien gegen Gewalt”, doch die Bedingungen sind alles andere als fair. Im staatlichen Fernsehen oder bei regimetreuen Sendern wie Pink oder Happy TV kommen Oppositionelle nur vor, wenn sie diffamiert werden.
Vorzeitig gewählt wird auch in knapp der Hälfte der Gemeinden, die der Präsident willkürlich und wohl mit Blick auf die Mobilisierung seiner Klientel ausgesucht hat. Wie auf Kommando mussten dafür die Bürgermeister in der Hauptstadt Belgrad und 60 anderen Ratshäusern quer durch das Land zurücktreten. Außenministerin Annalena Baerbock forderte angesichts der demokratischen Defizite in Serbien diese Woche fairen Zugang aller Kandidaten zu den Medien. Bei den vergangenen Wahlen habe es zudem Druck auf Wähler und Missbrauch öffentlicher Mittel gegeben.
Einschlägig bekannt ist, dass Angestellte der Verwaltung oder von staatsnahen Betrieben Fotos von ihren ausgefüllten Wahlzetteln vorweisen müssen oder sonst die Entlassung riskieren. Doch das ist nur eine von verschiedenen Methoden der Wählermanipulation.
Aleksandar Vučić hat alleine in diesem Jahr 260 Monologe im Fernsehen gehalten, die im Schnitt 38 Minuten gedauert haben, wie die regierungsunabhängigen Wahlbeobachter von Crta berechnet haben. Der Präsident erklärt dem Publikum die Weltlage und präsentiert sich als Landesvater, der als einziger Serbien in diesen turbulenten Zeiten durch unruhige Gewässer führen kann.
“Wir werden in Serbien abwechslungsweise als Staatsfeinde, Faschisten oder Diebe präsentiert”, sagt Oppositionspolitiker Borko Stefanović. Vučić wirft der Opposition vor, im Gegensatz zu ihm bereit zu sein, dem Druck des Westens nachzugeben und den Kosovo zu “verraten”. Die Opposition will im Wahlkampf auch deshalb vor allem über grassierende Korruption, Gewalt in der Gesellschaft oder Vetternwirtschaft sprechen.
Zu Besuch in Berlin finde Aleksandar Vučić dann die richtigen Worte und präsentiere sich als zuverlässiger Partner, der als einziger mit Blick auf Reformen und die Normalisierung mit Kosovo liefern könne.
Die westlichen Partner glaubten das allzu gerne und setzten auf Vučić als einzigen Garanten für Stabilität in Serbien, so Oppositionspolitiker Stefanović. In Belgrad kursiert der böse Begriff von der “Stabilokratie”, die bewusst oder unabsichtlich von Brüssel bis Berlin gefördert werde. Dabei sorge Aleksandar Vučić für viel Instabilität in der Region. Opposition und Zivilgesellschaft würden bei Besuchen ignoriert, ebenso wie die Rückschritte bei Demokratie, Minderheitenrechten und Medienfreiheit.
In der Verantwortung sieht die Opposition nicht zuletzt die langjährige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Aleksandar Vučić seinerzeit unter ihre Fittiche genommen und seiner Regierungspartei SNS den Weg in die konservative Europäische Volkspartei (EVP) geebnet habe. Der serbische Präsident spricht gerne von seiner “Freundin Angela”, die ihn in neun Jahren immerhin 16 Mal bilateral getroffen hat. Dabei dürften auch Wirtschaftsinteressen im Zentrum gestanden haben.
Seit immerhin bald zehn Jahren finanziert Berlin einen Wirtschaftsberater, der direkt beim Präsidenten Vučić angesiedelt ist und als Türöffner funktioniert. Deutschland ist in Serbien ausländischer Investor Nummer 1. Doch auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Aleksandar Vučić bei einem letzten Besuch für seinen Reformkurs gelobt, wobei unklar ist, welche Reformen gemeint sein könnten.
Seine Karriere hat Aleksandar Vučić einst als Ultranationalist in den 90er-Jahren an der Seite von Vojislav Šešelj und Slobodan Milošević begonnen, beide in Den Haag später wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Zu Beginn seiner Amtszeit vor zehn Jahren gab er sich geläutert als Proeuropäer, der das Land in die EU führen werde. Jetzt paktiert er im prestigeträchtigen Wahlkampf um Belgrad mit dem verurteilen Kriegsverbecher Šešelj. Dies in der Hoffnung, die Hauptstadt nicht an die Opposition zu verlieren, die nur dort überhaupt Siegeschancen hat. Vučić zeige mit diesem Bündnis sein wahres Gesicht, so die Opposition.
Bei einem Fernsehauftritt diese Woche machte der serbische Präsident klar, dass er auf eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus und eine Niederlage der Ukraine setzt. Serbien müsse bis dahin “überleben” und könne danach mit einer “besseren geopolitischen Lage” rechnen. Das Land könne zudem von Aserbaidschans früheren Präsidenten Heidar Alijew und dessen Sohn und Nachfolger Ilham Alijew, lernen, der 27 Jahre gewartet habe, um Bergkarabach “zurückzuholen“.
Quer durch Serbien wird jetzt schon im Wahlkampf auf großflächigen Inschriften an Autobahnbrücken und Gebäuden die “Rückkehr der Armee in den Kosovo” angekündigt. In Brüssel und Berlin sollte man Vučić Zusicherungen nicht länger Glauben schenken und die Zeichen an der Wand erkennen.
In den Verhandlungen um das EU-Sorgfaltspflichtengesetz (CSDDD) haben sich EU-Parlament, Rat und Kommission vorläufig geeinigt. Bei dem erneut langen Trilogtreffen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten sie Kompromisse für die letzten strittigen Themen finden: Der Finanzsektor wird auf Druck des Rats zunächst von den Pflichten ausgenommen; bei der Haftung und der Umsetzungspflicht für Klimapläne konnte sich wiederum das Parlament durchsetzen.
“Dieses Gesetz ist ein historischer Durchbruch”, sagte EP-Berichterstatterin Lara Wolters am Donnerstagvormittag. Sie erinnerte an den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch 2013 mit mehr als 1130 Toten: Zehn Jahre später seien Unternehmen nun für mögliche Missstände in ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich. “Möge dieses Abkommen ein Tribut an die Opfer dieser Katastrophe sein und ein Ausgangspunkt für die Gestaltung der Wirtschaft der Zukunft – einer Wirtschaft, die das Wohlergehen der Menschen und des Planeten über Profite und Kurzsichtigkeit stellt.”
Die Richtlinie ähnelt in ihrer Struktur dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), geht jedoch noch deutlich darüber hinaus: Während in Deutschland nach dem LkSG etwa 3.000 Unternehmen berichten müssen, werden es nach der CSDDD um die 15.000 sein. Die CSDDD konzentriert sich außerdem nicht nur auf die direkten Lieferanten wie das LkSG, sondern umfasst sowohl die vorgelagerte Wertschöpfungskette (etwa den Rohstoffabbau) als auch teilweise die nachgelagerte Kette (Verwendung, Verwertung, Entsorgung).
Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen:
Mehrere Industrieverbände riefen Rat und Parlament auf, das Gesetz in den nun anstehenden Abstimmungen abzulehnen. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), nutzte drastische Worte: “Mit der heutigen Einigung im Trilog für ein europäisches Lieferkettengesetz liefert die EU den nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.” Das Gesetz stehe in einer langen Reihe bürokratischer Exzesse aus Brüssel, die vom industriellen Mittelstand geschultert werden müssten. Von der Ankündigung, europäische Unternehmen von 25 Prozent der Bürokratiepflichten zu entlasten, sei keine Spur.
Ähnlich äußerte sich auch BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner: Der finale Gesetzestext bedrohe Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, “da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten“. Dies würde Menschenrechten und Umwelt nicht zugutekommen, sondern schaden.
Forscher und Expertinnen aus der Wissenschaft sehen dies anders: “Deutsche Unternehmen, die sich um eine ernsthafte und gewissenhafte Umsetzung ihrer Pflichten nach dem Lieferkettengesetz bemühen, haben (…) wenig zu befürchten”, kommentierte Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität in Erlangen-Nürnberg. “Vielmehr hat die Richtlinie für sie nur Vorteile: Sie haben sich bereits auf die neuen Regeln eingestellt und erleben nun auch keine Wettbewerbsverzerrungen mehr.”
Für Unternehmen werde es nun wichtig sein, das Thema Sorgfaltspflichten strategisch zu sehen, sagte Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität in Oestrich-Winkel: “Der Schutz von Menschenrechten ist von zunehmender Bedeutung für die Unternehmensreputation weltweit.” Außerdem seien Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten und transparente Lieferketten pflegen, deutlich krisenresilienter. Dies könne ein ausschlaggebender Faktor werden.
Die Zivilgesellschaft kritisierte die Ausnahme für den Finanzsektor scharf. Die Reaktionen fielen ansonsten sehr positiv aus: Das NGO-Bündnis “Initiative Lieferkettengesetz” sprach von einem “Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in globalen Lieferketten“. Etwa werde die Position von Betroffenen vor Gericht verbessert, sagte Koordinatorin Johanna Kusch: “Anders als das deutsche Lieferkettengesetz sieht es eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten verletzen.” Menschen, deren Rechte verletzt wurden, können zukünftig in verwaltungsrechtlichen Verfahren und vor Zivilgerichten klagen.
Als nächste Schritte müssen nun Rat und Parlament die Einigung formal annehmen. Anschließend tritt das Gesetz in Kraft. Da es sich um eine Richtlinie handelt, ist sie erst bindend, wenn sie in nationales Recht umgesetzt wurde.
Für die Umsetzung rechnet man laut Informationen von Table.Media aus dem Parlament mit etwa zwei Jahren. In Deutschland wird also weiterhin das LkSG gelten; es werden jedoch Anpassungen erforderlich sein.
18.12.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Umwelt
Themen: Politische Debatte über eine Verordnung über einen Überwachungsrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder, Berichte über die wichtigsten internationalen Treffen der letzten Zeit, Präsentation der Kommission über die Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne durch die Kommission. Vorläufige Tagesordnung
19.12.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Verkehr, Telekommunikation und Energie
Themen: Aktuelle Gesetzgebungsvorschläge, Informationen der Kommission zu den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Außenbeziehungen im Energiebereich, Informationen der Kommission zur Vorbereitung auf den Winter 2023/2024. Vorläufige Tagesordnung
20.12.2023
EuGH-Urteil zur Übernahme von innogy durch E.ON
Themen: Im März 2018 haben die beiden deutschen Energieunternehmen RWE und E.ON angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen. Im Februar und im September 2019 genehmigte die Kommission die Transaktionen (Erwerb von E.ON-Stromerzeugungsanlagen durch RWE, Übernahme von innogy durch E.ON). Die kommunalen Stromerzeuger haben beide Kommissionsbeschlüsse vor dem Gericht der EU angefochten. Die Klagen gegen die Genehmigung des Erwerbs von E.ON-Stromerzeugungsanlagen durch RWE wies das Gericht mit Urteilen vom 17. Mai 2023 ab. Infos
20.12.2023
Außerordentlicher Ecofin
Themen: Die Finanzminister der EU-Staaten diskutieren in einer Videokonferenz ab 16 Uhr über die Reform der Fiskalregeln. Eine politische Einigung scheint möglich.
21.12.2023
EuGH-Urteil zu grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft
Themen: Es geht um Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft in Deutschland und in Österreich wegen des Verdachts der organisierten Steuerhinterziehung beim Import von Biodiesel in die EU. Generalanwältin Ćapeta hat in ihren Schlussanträgen vom 22. Juni 2023 die Ansicht vertreten, dass die gerichtliche Kontrolle im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts auf Verfahrensfragen beschränkt sein sollte. Infos
Der russische Präsident Wladimir Putin hält an seinen Zielen in der Ukraine fest. “Frieden wird es erst geben, wenn wir unsere Ziele erreicht haben, und die Ziele ändern sich nicht: Denazifizierung, Demilitarisierung. Neutralität”, sagte er am Donnerstag in einer vierstündigen Befragung durch Pressvertreter und Bürger.
Putin behauptete, dass die vom Westen der Ukraine zur Verfügung gestellte Technik weitgehend zerstört sei. Die Ukraine erhalte militärische Hilfe “für lau”, aber das könne sich ändern. In Bezug auf die USA sagte Putin: “Wenn irgendwelche inneren Veränderungen stattfinden, wenn sie anfangen, andere Menschen, andere Staaten zu respektieren, dann können wir gleichwertige Beziehungen aufbauen.”
Eine weitere Mobilmachung in Russland sei “zu diesem Zeitpunkt nicht nötig”, sagte Putin. Es gebe genug Freiwillige, um den Bedarf der Armee zu befriedigen. Aktuell befinden sich nach seiner Aussage 244.000 Soldaten in der Kriegsregion. Täglich würden sich 1500 Freiwillige melden, sodass zum Jahresende knapp 500.000 Vertragssoldaten angeworben würden. Überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht.
Nach einer Frage zum Krieg im Gazastreifen warf Putin Israel vor, unverhältnismäßig zu handeln: “Schaut, was bei uns in der Region der Sondermilitäroperation passiert und was in Gaza geschieht.” vf
Mehr zum Auftritt Putins lesen Sie hier.
Im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments wurde der Initiativbericht von Markus Pieper (CDU) zu NGOs deutlich abgeschwächt. Für seine Forderung an die Kommission, ein NGO-Gesetz für mehr Transparenz und Kontrolle von NGOs vorzulegen, gab es keine Mehrheit. Auch der Verweis auf die NGO, die die Kommission zum Lobbying für den eigenen Vorschlag des Naturwiederherstellungsgesetzes gegründet hat, wurde wieder gestrichen.
NGOs sollen auch nicht verpflichtet werden, künftig Treffen mit Abgeordneten und EU-Vertretern öffentlich zu machen. Gestrichen wurde auch die Forderung nach einem gemeinsamen Zertifizierungssystem für NGOs, die sich um EU-Gelder bewerben.
Mit insgesamt 19 Stimmen von EVP, S&D, Renew, ECR und ID wurde der Initiativbericht gegen sechs Stimmen von Linken und Grünen beschlossen. Der Bericht stellt fest, dass der Korruptionsfall um die ehemalige Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili, hätte vermieden werden können, wenn die bestehenden Regeln angewendet worden wären.
NGOs, die Hassreden verbreiten oder religiösen Extremismus, Terrorismus oder die Verbreitung falscher Informationen fördern, sollen von EU-Geldern ausgeschlossen werden. In jedem Ausschuss soll ein Mitarbeiter benannt werden, der für Transparenzfragen zuständig ist. Der Bericht fordert, dass die letzten Begünstigten und alle Geber von NGOs öffentlich gemacht werden müssen, die EU-Gelder bekommen. Außerdem sieht er vor, die Anforderungen an die Transparenz von NGOs in finanziellen Fragen zu erhöhen. Pieper setzt darauf, dass es bei der folgenden Abstimmung im Plenum Mehrheiten für einige seiner Vorschläge gibt. mgr
Rat und Parlament haben sich im Trilog auf eine Überarbeitung der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte (PLD) geeinigt. Ziel ist es, das Produkthaftungsrecht von 1985 zu modernisieren und es fit zu machen für die Anforderungen der Digitalisierung und der Kreislaufwirtschaft. Das Gesetz bezieht erstmals auch Software und Künstliche Intelligenz in die Regulierung ein.
Die wichtigsten Punkte der Einigung in der überarbeiteten Produkthaftungsrichtlinie sind:
Die Minderung der Beweislast war eines der besonders umstrittenen Themen. René Repasi, Unterhändler der S&D-Fraktion für die Richtlinie und binnenmarktpolitischer Sprecher der Europa-SPD nennt dies daher auch einen “bedeutsamen sozialdemokratischen Verhandlungserfolg”. Diese Erleichterungen würden Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Gericht helfen, “nicht nur ihr Recht einzuklagen, sondern auch zu bekommen”, sagte Repasi.
Auch die Aufnahme von Online-Marktplätzen sei ein Erfolg, da Käufer so “in Zukunft bei fehlerhaften Produkten aus Fernost sowie in solchen Fällen geschützt werden, in denen bislang kein Schadenersatz geleistet werden musste“.
Kritik an der neuen Produkthaftungsrichtlinie kommt aus der Wirtschaft. Der breite Anwendungsbereich rufe in der Geschäftswelt “ernsthafte Bedenken” hervor, sagte Markus J. Beyrer, Generaldirektor des Arbeitgeber- und Industrieverbands Business Europe. “Wir erkennen an, wie wichtig es ist, sich an die sich entwickelnden technologischen Landschaften anzupassen, aber wir stellen die Notwendigkeit einer umfassenden Überarbeitung einer Richtlinie infrage, die bereits effektiv funktioniert hat.”
Business Europe betrachtet das Gesetz als nicht ausgewogen. Gründe seien das “erhöhte Risiko der Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Dritte, die Umkehr der Beweislast und das Fehlen von Garantien für die Offenlegung von Beweisen”.
Der Industrieverband CCIA, der Big Tech aus den USA vertritt, warnte, die Einbeziehung sämtlicher Software – einschließlich künstlicher Intelligenz – in den Anwendungsbereich werde “ohne ausreichende Garantien oder Klarheit eine abschreckende Wirkung auf die europäische Innovation haben”. Unternehmen würden mit mehr Rechtsstreitigkeiten, missbräuchlicher Offenlegung von Beweismitteln und insgesamt höheren Versicherungskosten konfrontiert.
“Während die Versicherungskosten für Software wahrscheinlich unmittelbar steigen werden, dürften die greifbareren negativen Folgen für die europäischen Verbraucher, einschließlich höherer Produktpreise und einer geringeren Auswahl, mittelfristig die Vorteile dieser Überarbeitung überwiegen”, sagte Mathilde Adjutor, Senior Policy Manager der CCIA Europe.
Die Produkthaftungsrichtlinie muss jetzt noch formal von Rat und Parlament angenommen werden. Sie bezieht zwar auch Künstliche Intelligenz mit ein, die Kommission hatte dennoch parallel eine Produkthaftungsrichtlinie für Künstliche Intelligenz als Spezialgesetz vorgelegt. Diese will das Parlament jedoch erst behandeln, wenn der AI Act angenommen ist. Dass das KI-Haftungsgesetz noch in der laufenden Legislatur kommen wird, ist daher unwahrscheinlich. vis
Die Kommission hat am Donnerstag die Änderungen der Arbeitsprogramme Digitales Europa für das Jahr 2024 genehmigt und stellt eine Finanzierung in Höhe von 762,7 Millionen Euro für digitale Lösungen zur Verfügung. Die sollen Bürgern, öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen zugutekommen.
Das geänderte Hauptarbeitsprogramm mit einem Budget von fast 549 Millionen Euro zielt darauf ab, Projekte umzusetzen, die digitale Technologien wie Daten, Cloud und hoch entwickelte digitale Fähigkeiten nutzen. In diesem Rahmen baut die Kommission auch die Unterstützung für die reibungslose Umsetzung länderübergreifender Projekte der Digitalen Dekade aus und fördert Europäische Digitale Infrastrukturkonsortien (EDICs).
Außerdem hat die Kommission auch Mittel vorgesehen, um die Umsetzung des KI-Gesetzes (AI Act) zu unterstützen und ein europäisches Ökosystem für künstliche Intelligenz zu entwickeln. Davon sollen vor allem kleinere und mittlere Unternehmen profitieren.
Zusätzlich sieht die für das Jahr 2024 Mittel in Höhe von 214 Millionen Euro für die Cybersicherheit vor, um die kollektive Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber Cyberbedrohungen zu stärken. Die in diesem Arbeitsprogramm finanzierten Maßnahmen werden durch das Europäische Kompetenzzentrum für Cybersicherheit umgesetzt.
“Das Digital Europe Programme ist von zentraler Bedeutung, um EU- und nationale Finanzmittel zu bündeln und anspruchsvolle digitale Projekte zu realisieren, die von keinem Mitgliedstaat alleine bewältigt werden können”, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Und Binnenmarktkommissar Thierry Breton fügte hinzu, das Programm werde die Entwicklung “eines florierenden europäischen Ökosystems für Start-ups im Bereich künstliche Intelligenz vorantreiben”.
Die ersten Ausschreibungen im Rahmen des Digital Europe Programms werden Anfang 2024 veröffentlicht, weitere folgen im Frühjahr. Informationen zu den Arbeitsprogrammen finden Sie hier und Informationen zur Beantragung von Fördermitteln hier.
Die EU-Kommission hat im Streit um luxemburgische Steuerregelungen für Amazon eine endgültige Niederlage erlitten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies am Donnerstag in Luxemburg ein Rechtsmittel der EU-Kommission gegen ein früheres Urteil des EU-Gerichts zurück. Das EU-Gericht hatte zuvor entschieden, dass die Brüsseler Behörde zu Unrecht die “tax rulings” für Amazon als eine illegale Beihilfe betrachtet hatte.
Amazon hatte den luxemburgischen Behörden 2003 eine Regelung für zwei dort ansässige Tochtergesellschaften in Bezug auf die Gesellschaftssteuer vorgeschlagen. Luxemburg billigte das. Die EU-Kommission stellte 2017 jedoch fest, dass diese Regelung eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe sei.
Das EU-Gericht entschied 2021 allerdings: Die EU-Kommission habe nicht gut genug nachgewiesen, dass Amazon durch die Regelung tatsächlich zu Unrecht weniger Steuern gezahlt habe. Luxemburg habe der Tochtergesellschaft keinen selektiven Vorteil gewährt, so die Richter damals.
Dagegen wehrte sich die EU-Kommission vor dem höchsten Gericht, dem EuGH. Die Richter lehnten das aber nun ab. Die EU-Kommission habe bei der Beurteilung der Regelung ein falsches Bezugsystem herangezogen. Das untere Gericht habe den Beschluss der EU-Kommission daher zu Recht für nichtig erklärt, so die Richter. dpa
Es gab eine Zeit, da wurden neue soziale Netzwerke bejubelt oder verrissen. Bei Threads, der neuen Plattform von Meta, aber scheint beides auszubleiben – jetzt, da sie nach einigen Anpassungen auch in der EU verfügbar gemacht wurde. Die Twitter, Pardon, X-Alternative ist eben nur die x-te Alternative zum Original, das weiterhin unter seinem neuen Eigentümer und dessen Allüren leidet.
Threads kann nichts Besonderes. Nutzer zucken etwas ratlos mit den Schultern, wenn man sie fragt, was auf Mark Zuckerbergs Plattform los sei. Aber vielleicht ist genau das die Stärke des neuen Meta-Angebots.
Auch regulatorisch ist Threads ziemlich langweilig: Der verzögerte EU-Start lag an Anpassungen ans EU-Recht. Kein Fight mit der EU-Kommission um die Anwendbarkeit von DSGVO, DMA oder DSA – Zuckerbergs Alternative hat sich offenbar vorgenommen, einfach nur regelkonform zu spielen.
Die Konten wurden gleich von Instagram und Facebook entkoppelt, um allen DMA-Problemen zu entgehen. Sogar eine Brücke zum nerdigen Mastodon ist jetzt inklusive. Man muss sich nicht einmal ein Konto zulegen, um etwa zu entdecken, dass die EU-Kommission schon da ist.
Wer sollte da herummeckern? Alle Hoffnung auf etwas Trubel liegt jetzt auf Elon Musk. Würde der sein hassgeliebtes X ebenfalls für eine Konföderation mit Threads, Mastodon und Bluesky öffnen, wäre der Social-Media-Plattform-Salat angerichtet. Falk Steiner