um kurz vor 2 Uhr am frühen Sonntagmorgen stand der Deal eines der wichtigsten Klimaschutzinstrumente Europas: Im Jumbo-Trilog einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission darauf, dass der europäische Emissionshandel so reformiert wird, dass Emissionen bis 2030 schneller sinken und der CO2-Preis steigt. Auf der Kippe stand lange der zweite Emissionshandel für Heizen und Straßenverkehr. Er kommt nun, allerdings mit deutlich abgespecktem sozialen Ausgleich. Alle Ergebnisse des Jumbo-Trilogs habe ich übersichtlich für Sie aufgeschrieben.
Auf die hohen Energiepreise will die Kommission im März mit einem Vorschlag für ein neues Strommarktdesign reagieren. Die Konsultation dazu lässt noch auf sich warten, doch durchgesickert ist der Entwurf eines Begleitschreibens. Manuel Berkel fasst die wichtigsten Pläne zusammen.
In der Korruptionsaffäre im Europaparlament gerät die Fraktionschefin der schwer belasteten sozialistischen Fraktion unter Druck. Iratxe García gilt zwar selbst als unbelastet. Ihr wird aber vorgeworfen, dass sie fraktionsintern eine “Kultur der kleinen Geschenke” tatenlos hinnimmt, bei der Posten gegen politische Gefügigkeit verteilt werden. Markus Grabitz hat die Details.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Wochenstart
Das Auslaufen der kostenlosen CO2-Zertifikate für die Industrie sei der größte Kampf gewesen, erklärte ein erleichterter Michael Bloss (Grüne) am Sonntagmorgen. Die Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission hatten zuvor um 2 Uhr nachts eine Einigung im Jumbo-Trilog zur Reform des EU-Emissionshandelssystems (ETS) erzielt.
Sie sieht vor, dass die kostenlosen CO2-Zertifikate für die Industrie 2034 vollständig durch den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ersetzt werden. Zuvor werden sie ab 2026 schrittweise abgeschmolzen, während der CBAM parallel eingeführt wird (siehe Grafik). Ausgenommen sind Branchen, die nicht unter den CBAM fallen, beispielsweise die chemische Industrie. Sie bekommen vorerst weiter kostenlose Emissionsrechte. Unter den CBAM fallen Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Wasserstoff.
Auch die Exportindustrie bekommt weiterhin Freizuteilungen, allerdings nur in geringem Umfang. Industrieanlagen, die keine Dekarbonisierungspläne vorlegen, können schon vor dem Phaseout bis zu 40 Prozent ihrer Freizuteilungen verlieren. Die frei werdenden Zertifikate gehen zur Hälfte in den Innovationsfonds und zur Hälfte an die Exportindustrie als Schutz vor Carbon Leakage.
Das Ambitionsniveau der ETS-Reform wird durch die Entfernung von überschüssigen Zertifikaten aus dem Markt angehoben. 2024 fallen 90 Millionen Emissionsrechte weg, 2026 noch einmal 27 Millionen. Zudem wird der lineare Reduktionsfaktor (LRF), der die jährliche Minderung der Gesamtemissionen im ETS vorgibt, ab 2024 auf 4,3 Prozent und ab 2028 auf 4,4 Prozent angehoben.
Durch die wegfallenden Zertifikate sind die betroffenen Sektoren gezwungen, ihre Emissionen bis 2030 um insgesamt 62 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken – bisher waren es 43 Prozent. Die 62 Prozent stellen einen Kompromiss zwischen den Positionen des Parlaments (63 Prozent) und des Rats (61 Prozent) dar.
Der zweite Emissionshandel für Brennstoffe zur Gebäudeheizung und Kraftstoffe für den Straßenverkehr galt vor dem Jumbo-Trilog als Schlüsselthema in den Verhandlungen. Der Kompromiss sieht nun vor, dass der ETS 2 ab 2027 parallel zum bestehenden ETS eingeführt wird. Sollte der Gaspreis ein Jahr vor der Einführung jedoch über dem Niveau vor Beginn des Krieges in der Ukraine liegen (etwa 106 Euro/Mwh), wird der Start des neuen ETS um ein Jahr nach hinten verschoben.
Außerdem wird der ETS 2 mit einer Art Preisdeckel versehen. Die Trilog-Einigung sieht einen Preisstabilitätsmechanismus vor, der 20 Millionen zusätzliche Zertifikate freigibt, wenn der Preis pro Tonne CO2 im ETS 2 über 45 Euro liegt.
Offen war, ob nur die kommerzielle Nutzung der Brennstoffe mit einem CO2-Preis belegt wird, oder auch die private. Die Teilung hatte das Parlament gefordert, um private Haushalte nicht mit zusätzlichen Kosten zu belasten. Die Trilog-Einigung sieht nun vor: Der CO2-Preis des ETS 2 gilt für alle Nutzungsarten.
Für die Entlastung wurde der Klimasozialfonds beschlossen. Allerdings fällt er deutlich kleiner aus als von Kommission und Parlament vorgeschlagen. Ab 2026 wird der Fonds durch die Einnahmen aus der Versteigerung von 50 Millionen ETS-Zertifikaten aus dem ETS 1 (rund vier Milliarden Euro) vorfinanziert. Sobald der ETS 2 eingeführt ist, landen 65 Milliarden Euro aus dessen Einnahmen im Fonds. Hinzu kommen weitere 22 Milliarden Euro, die die Mitgliedstaaten aufwenden.
Parlament und Kommission hatten auf einen 144 Milliarden Euro schweren Fonds gepocht, doch mit den Mitgliedsländern war das nicht zu machen. Der Kompromiss ist nun ein Umfang von rund 87 Milliarden Euro. Jedoch wurde die Forderung des Parlaments berücksichtigt, dass der Fonds bereits ein Jahr vor Inkrafttreten des ETS 2 greift. Zudem müssen auch die anderen Einnahmen aus dem ETS 2, die nicht in den Fonds, sondern in die Staatshaushalte der Länder fließen, für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden.
Mit der Trilog-Einigung zur ETS-Reform und der Einführung des CBAM sowie des Klimasozialfonds ist der wesentliche Teil des Fit-for-55-Pakets beschlossen. Sie muss noch im Umweltrat und im Parlament formal bestätigt werden. Dies kann noch bis zum Frühjahr 2023 dauern.
In der Korruptionsaffäre im Europaparlament steht die Fraktionschefin der Sozialisten, Iratxe García Pérez, wegen ihres Krisenmanagements unter massivem Druck. Der griechische Abgeordnete und Chef der sozialistischen Partei PASOK, Nikos Androulakis, hat der Spanierin in der letzten Fraktionssitzung vorgeworfen, dass sie schon im September Hinweise auf nicht integres Verhalten der festgenommenen Eva Kaili gehabt, sie aber ignoriert habe.
Jetzt wurde bekannt, dass die engste Mitarbeiterin und Büroleiterin von Iratxe García eine freundschaftliche Beziehung zu Kaili hatte: Es tauchten Fotos auf, die die Spanierin und Garcìa-Vertraute, Laura Ballarin Cereza, im Urlaub mit Kaili und ihrem Lebensgefährten zeigen. Zunehmend wird die Frage gestellt, ob es bei der von Marokko ausgehenden Einflussnahme auf das Europaparlament auch Verbindungen zur sozialistischen Partei Spaniens gibt.
Die von Iratxe Garcia geführte Fraktion mit 145 Abgeordneten ist durch die Festnahmen von Kaili und des ehemaligen sozialistischen Abgeordneten Pier Antonio Panzeri sowie die Durchsuchung von Büros der Abgeordneten Maria Arena und Andrea Cozzolino tief verunsichert. Der geständige Lebensgefährte von Kaili, Francesco Giorgi, hat eingeräumt, Geld von Marokko genommen zu haben.
Überraschend hatte die spanische Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez im April eine Kehrtwende der Marokko-Politik hingelegt und Pläne Rabats begrüßt, das Gebiet der Westsahara als “autonome Region” ins marokkanische Staatsgebiet zu integrieren. Cozzolino, der inzwischen von seiner italienischen Partei ausgeschlossen wurde, leitete die Maghreb-Delegation im Parlament.
Anfangs galt nur Katar als Urheber der Korruption. Marokko gerät jetzt immer stärker in den Fokus. Am Dienstag, als noch vor allem italienische Mitarbeiter der Sozialisten im Verdacht standen, wurde Iratxe García vor der Presse gefragt, ob sie Vertrauen zur Delegation Italiens habe. Sie warnte vor Verallgemeinerungen, die Vorwürfe betreffe “einzelne”. Sie hätten die Regeln gebrochen, es gebe aber keinen Grund, pauschal ein Land oder eine Fraktion unter Verdacht zu stellen.
Ob sie von weiteren Fällen wisse? Sie verneinte, sagt dann: “Ich habe jedenfalls nicht teilgenommen.” Iratxe García soll am Montag in der Fraktion einen überforderten Eindruck gemacht haben. Sie weinte wiederholt, hört man aus der Fraktion. Am Mittwoch sei sie vorzeitig zurück nach Brüssel gereist, habe “Bye, bye Strasbourg” gepostet und die Fraktion führungslos tagen lassen.
Derzeit wirft ihr niemand vor, dass sie sich selbst etwas zuschulden kommen ließ. Sie unterstütze das Anliegen der Westsahara und sei unzufrieden mit dem Schwenk in Madrid. In der Fraktion mehren sich aber die Stimmen, die nicht an Einzelfälle glauben, sondern die Strukturen hinterfragen. Abgeordnete aus Skandinavien und Österreich sowie PASOK-Chef Androulakis haben sich entsprechend geäußert. Sie finden, Iratxe García müsse ihre Büroleiterin von der Aufgabe entbinden, bis die Affäre aufgeklärt ist. Doch dazu ist sie bislang nicht bereit.
In der Kritik ist auch der Chef der spanischen S&D-Abgeordneten, Javier Moreno Sánchez. Er ist neben der Büroleiterin Ballarin Cereza der engste Mitarbeiter von Iratxe García. Er gilt als “Oberstrippenzieher” des spanischen Regierungschefs im EP. Aus der Fraktion heißt es, Moreno Sánchez habe eine “Kultur der kleinen Geschenke” etabliert. Er habe etwa durchgesetzt, dass Kaili Anfang des Jahres Vize im Europaparlament wurde. Im Gegenzug für das Zuschachern von Posten werde von ihm politisches Entgegenkommen erwartet.
Der griechische Abgeordnete Androulakis hat vergangene Woche in der Fraktion empört die Frage gestellt, warum Kaili zur Vize gemacht wurde, ohne dass dafür die Unterstützung des PASOK-Parteichefs eingeholt worden sei. Kaili habe in der griechischen Spitzelaffäre, als Androulakis Handy mit Spyware ausgespäht wurde, abgewiegelt und sich an die Seite von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis (Nea Demokratia) gestellt. Sie sei das “Trojanische Pferd” der Konservativen, sagte Androulakis.
Kritik gab es auch am Stimmverhalten von Kaili und einer weiteren sozialistischen Vizepräsidentin, Pina Picierno, bei der Wahl von Alessandro Chiocchetti zum neuen Generalsekretär des Parlaments. Obwohl die Fraktion dagegen war, hätten Kaili und die Italienerin Picierno ihre Stimme dem Christdemokraten gegeben. Iratxe García habe dieses Verhalten in der Fraktion nie thematisiert oder skandalisiert, heißt es. Ein Abgeordneter der Sozialdemokraten sagte zu Europe.Table, Iratxe müsse jetzt zeigen, dass sie den unguten Einfluss der Südeuropäer in der Fraktion beenden könne.
Mit einer Reform des Strommarkts will die Kommission auf Druck der Mitgliedstaaten für niedrigere Preise sorgen. Bis März soll der Vorschlag vorliegen, für vergangenen Freitag hatten Beobachter den Beginn der Konsultation erwartet. Stattdessen liegt Europe.Table ein Non-Paper vor, in dem die Kommission die Ziele der Konsultation erläutert.
Darin werden weiterentwickelte Krisenhilfen in Aussicht gestellt und sogar eine wiederkehrende Erlösabschöpfung bei bestehenden Erneuerbare-Energien-Anlagen. Kommissionssprecher Eric Mamer stellte allerdings noch am Freitag klar, dass der Entwurf nicht die Ansicht der Kommission widerspiegele. Da der Start der Konsultation verschoben wurde, dürfte das Dokument trotzdem nicht zufällig geleakt worden sein.
Am Großhandelsmarkt will die Kommission die Strompreise mit einem Maßnahmen-Mix drücken. Laut dem Non-Paper soll der kurzfristige Spotmarkt grundsätzlich erhalten bleiben. Speicher und eine Flexibilisierung der Nachfrage sollen dafür sorgen, dass Gaskraftwerke seltener den Preis setzen. Komplett ausgeblendet wird allerdings, wie auch der Bau neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke angereizt werden soll.
Zum anderen wird nicht klar, welche Erlöse erneuerbare Energien noch am Spotmarkt erzielen können, was direkte Folgen für ihre Bedeutung in diesem Markt hätte. Erklärtes Ziel ist nämlich, dass die kurzfristigen Märkte “in einem viel geringeren Ausmaß die Erlöse von Erzeugern bestimmen”. In den Reformvorschlägen konzentriert sich die Kommission dabei auf “inframarginale Erzeugung” wie Erneuerbare und Kernkraftwerke. Deren Erlöse sollen künftig die spezifischen Produktionskosten widerspiegeln.
Sogar für Bestandskraftwerke könnten Teile der bereits beschlossenen, aber befristeten Erlösabschöpfung auf eine “dauerhaftere und einheitlichere Basis” gestellt oder aber in erneuten Krisen wieder aktiviert werden, heißt es in dem Non-Paper. Schon die Krisenmaßnahme hatten Energieunternehmen heftig kritisiert. Der Ökostromanbieter Lichtblick zum Beispiel hatte sich für eine Übergewinnsteuer statt einer Erlösabschöpfung ausgesprochen.
Für neue inframarginale Erzeuger will die Kommission Erzeuger, Händler sowie “Industrie- und Nicht-Industrie-Kunden” anreizen, langfristige Stromlieferverträge (PPAs) abzuschließen. Diese gelten als marktwirtschaftliche Finanzierungsmethode, die ohne staatliche Förderung auskommt.
Staatliche Förderung soll gemäß dem Non-Paper auf zweiseitige Differenzverträge (CfDs) umgestellt werden, die von vornherein eine staatliche Erlösabschöpfung bei hohen Strompreisen ermöglichen. Laut Kommission seien aber auch Kombinationen aus PPAs und CfDs möglich. Der Energieökonom Ingmar Schlecht argumentiert jedoch, dass CfDs ineffizienter seien als Derivate, mit denen Erzeuger an Börsen ihren Stromverkauf bereits finanziell absichern können.
Als Krisenmaßnahme haben die EU-Staaten die Möglichkeit bekommen, regulierte Strompreise für Haushalte und Unternehmen festzusetzen und Subventionen zu zahlen. Auch Beihilfen für Investitionen in Effizienz und eigene Erzeugung wurden erleichtert. In dem Non-Paper erwägt die Kommission nun, die Krisenmaßnahmen “weiterzuentwickeln”, womit eine Verstetigung gemeint sein dürfte: “Dadurch könnte sichergestellt werden, dass bestimmte Verbraucher in Notfällen Zugang zu einem ein Mindestmaß an Strom zu einem angemessenen Preis haben.” Eine solche Basisversorgung hat der Bundestag vergangene Woche mit Gas- und Strompreisbremse bereits beschlossen. Der EU-Beihilferahmen läuft jedoch Ende 2023 aus.
Stromlieferanten einer bestimmten Größe könnten gemäß dem Non-Paper künftig verpflichtet werden, Haushaltskunden solche Blocktarife mit einem günstigen Sockelverbrauch und einem frei bepreisten Mehrverbrauch anzubieten. Diese Angebote könnten die bestehende Pflicht zu dynamischen Tarifen ergänzen, die Stromkunden anreizen sollen, ihren Verbrauch am Stromangebot auszurichten. Dafür müssen Haushalte aber über Smart Meter verfügen. Mit der Initiative reagiert die Kommission offenbar auf den stockenden Rollout intelligenter Messsysteme in Mitgliedstaaten wie Deutschland (Europe.Table berichtete).
Stromlieferanten könnten außerdem zu einem “angemessenen Hedging” ihrer Lieferverpflichtungen gezwungen werden. In der Energiekrise haben einige Anbieter Insolvenz angemeldet, weil sie auf anhaltend niedrige Preise spekuliert und sich nicht mit Derivaten abgesichert hatten. Kunden rutschten in die Ersatzversorgung, worauf die neuen Lieferanten die exorbitanten Beschaffungskosten für den unerwarteten Verbrauch allein den neuen Kunden aufbürden wollten. Rechte und Pflichten von Versorgern und Kunden in der Ersatz- und Grundversorgung will die Kommission nun detaillierter klären.
Als weitere Maßnahme gegen hohe Marktpreise könnte außerdem die Eigenversorgung mit Strom aus Erzeugungsanlagen gestärkt werden, die nicht am eigenen Gebäude montiert sind. Als ein Beispiel werden Mieterstrommodelle im sozialen Wohnungsbau genannt. Bisher beschränken sich solche Modelle meist auf Solartechnologie.
Spekulation im Energiehandel hatten einige Regierungen als einen Schuldigen für die “überhöhten” Preise ausgemacht. Die Kommission erwägt nun, die Aufsicht speziell im grenzüberschreitenden Handel zu stärken und dafür die Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT) zu überarbeiten.
Als Gründe nennt das Non-Paper “sehr hohe Volatilität, Einmischung externer Akteure, ein geringeres Angebot und neue Verhaltensweisen im Handel“. Wegen des Kohle- und Atomausstiegs und Ausfällen von Atomkraftwerken herrschte zuletzt immer seltener Wettbewerb um Erzeugungskapazitäten. Damit habe die Bedeutung ausländischer Kraftwerke zugenommen, schrieben kürzlich Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt.
In dem Non-Paper kündigt die Kommission an, die Strafzahlungen europaweit zu harmonisieren, die nationale Wettbewerbsbehörden bei REMIT-Verstößen verhängen. Spannend wird auch, ob es im Stromsektor eine eigene Initiative geben wird, um den Einfluss Russlands als “externen Akteur” zurückzudrängen.
Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, warnt davor, den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor im Jahr 2035 politisch in Zweifel zu ziehen. In einem Gastbeitrag für mehrere Medien schreibt er, dass die EU-Kommission bei der für das Jahr 2026 geplanten Überprüfung das Verbrenner-Aus nicht rückgängig machen werde: “Überprüfungsklauseln stehen in jedem EU-Gesetz.” Bei der Überprüfung der CO2-Flottengrenzwerte werde es lediglich darum gehen, “wie wir das Jahr 2035 erreichen und nicht, ob wir es noch erreichen wollen”, so Timmermans wörtlich.
Ohne Industriekommissar Thierry Breton namentlich zu erwähnen, ist klar, dass Timmermans ihn anspricht. Breton hatte vor wenigen Wochen in einem Interview mit Europe Table und mehreren anderen Medien Zweifel am Verbrenner-Aus geäußert und die Hersteller dazu aufgefordert, auch nach 2035 im großen Stil Verbrenner für den Weltmarkt zu produzieren.
Timmermans warnt explizit davor, Hersteller und Zulieferer politisch zu verunsichern. “Die Industrie kann die Transformation nicht planen, wenn wir Zweifel säen oder gar eine Transformation im zweiten Anlauf starten wollen.” Auswege zu lassen und auf Hintertürchen zu verweisen helfe der Industrie in keiner Weise.
Timmermans schreibt weiter, dass dem E-Auto nicht nur in Europa, sondern auch im Rest der Welt die Zukunft gehöre: “Wir müssen Nullemissionsautos raus in die Welt schicken, nicht die Jobs der Europäer und unsere wirtschaftlichen Chancen”. Die Antwort auf die Herausforderungen der Transformation bei der Sicherung von Jobs könne nicht sein, “weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor für andere Länder zu bauen”. Auf anderen Kontinenten, so Timmermans weiter, sei die Transformation zur E-Mobilität womöglich langsamer. Die Elektrifizierung ganzer Volkswirtschaften sei aber integraler Bestandteil der internationalen Klimadiplomatie. mgr
Zum ersten Mal besucht eine Delegation des Handelsausschusses des Europaparlaments die Insel Taiwan. Die sieben EU-Abgeordneten werden von Montag bis Mittwoch in Taipeh bleiben und dort neben Präsidentin Tsai Ing-wen und anderen Regierungsmitgliedern auch Vertreter der Halbleiter-Industrie treffen. Auch Treffen mit Gewerkschaften sowie Umwelt-, Frauenrechts- und Verbraucherorganisationen sind geplant.
Der deutsche Europa-Politiker Reinhard Bütikofer (Grüne) ist Teil der Delegation. Geleitet wird sie von der griechischen Abgeordneten Anna-Michelle Asimakopoulou. Taiwan spiele eine wichtige Rolle bei den langfristigen Prioritäten der EU, betonte Asimakopoulou vor der Reise. ari
Die Staats- und Regierungschefs von Rumänien, Aserbaidschan, Georgien und Ungarn haben ein Abkommen über den Bau eines unterseeischen Elektrizitätskabels unter dem Schwarzen Meer unterzeichnet. Der Zeremonie im Bukarester Präsidentenpalast wohnte am Samstag auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei. Das Kabel soll in drei bis vier Jahren fertiggestellt sein.
Danach wird es zur Diversifizierung der Elektrizitätsversorgung Europas beitragen. Der Strom aus dem Südkaukasus wird außerdem die Abhängigkeit des Kontinents von russischen Energiequellen weiter reduzieren. “Die beiden Ufer des Schwarzen Meeres waren sich noch nie näher”, schrieb von der Leyen auf Twitter.
Zuvor hatten Präsident Ilham Aliyev (Aserbaidschan) und die Ministerpräsidenten Nicolae Ciuca (Rumänien), Irakli Garibaschwili (Georgien) und Viktor Orban (Ungarn) ihre Unterschriften unter das Dokument gesetzt. Sie sei stolz darauf, dass das Abkommen “eine derart starke Betonung auf erneuerbare Energien setzt“, fügte von der Leyen hinzu.
Georgien und Aserbaidschan liegen am Kaukasus-Gebirge. Beide Länder verfügen über ein beträchtliches Potenzial an Wasserkraft. Georgien und Rumänien liegen am Schwarzen Meer, während Ungarn an Rumänien grenzt. dpa
Es ist nicht so lange her, da waren sich die parlamentarischen Verhandlungsführer für die Reform europäischen Emissionshandels (ETS) spinnefeind. Als die erste Abstimmung im Juni scheiterte, gaben sich Parteien und Abgeordnete gegenseitig die Schuld für die Blamage (Europe.Table berichtete).
Sechs Monate später ist von diesen Feindschaften nichts mehr zu sehen. Am Freitagmorgen, kurz vor Beginn des Jumbo-Trilogs, demonstrierten Emma Wiesner (Renew), Mohammed Chahim (S&D) und Michael Bloss (Grüne) Eintracht bei einem gemeinsamen Frühstück mit Pancakes und frischem Obst.
Auch sonst ließen die Berichterstatter, die im Trilog unter einem gemeinsamen Mandat verhandelt haben, kaum politische Differenzen durchblicken. ETS-Rapporteur Peter Liese (EVP) versprach, dass sein Shadow-Rapporteur Chahim und er in den Verhandlungen voll auf einer Linie seien. Nach der Einigung Sonntagnacht zeigten sie sich gemeinsam tanzend auf Twitter. Dabei waren es diese beiden Akteure, an denen sich der Streit im Juni offenbarte.
Und somit ist es erstaunlich zu sehen, wie sich politische Beziehungen verändern können, wenn miteinander statt gegeneinander argumentiert wird. Ebenso erstaunlich ist es, wie schnell sich diese Beziehung wieder ins Gegenteil verkehrt, wenn politische Differenzen beim nächsten Gesetzesvorschlag der Kommission wieder aufkommen werden. So ist er halt, der (europäische) Parlamentarismus. Lukas Scheid
um kurz vor 2 Uhr am frühen Sonntagmorgen stand der Deal eines der wichtigsten Klimaschutzinstrumente Europas: Im Jumbo-Trilog einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission darauf, dass der europäische Emissionshandel so reformiert wird, dass Emissionen bis 2030 schneller sinken und der CO2-Preis steigt. Auf der Kippe stand lange der zweite Emissionshandel für Heizen und Straßenverkehr. Er kommt nun, allerdings mit deutlich abgespecktem sozialen Ausgleich. Alle Ergebnisse des Jumbo-Trilogs habe ich übersichtlich für Sie aufgeschrieben.
Auf die hohen Energiepreise will die Kommission im März mit einem Vorschlag für ein neues Strommarktdesign reagieren. Die Konsultation dazu lässt noch auf sich warten, doch durchgesickert ist der Entwurf eines Begleitschreibens. Manuel Berkel fasst die wichtigsten Pläne zusammen.
In der Korruptionsaffäre im Europaparlament gerät die Fraktionschefin der schwer belasteten sozialistischen Fraktion unter Druck. Iratxe García gilt zwar selbst als unbelastet. Ihr wird aber vorgeworfen, dass sie fraktionsintern eine “Kultur der kleinen Geschenke” tatenlos hinnimmt, bei der Posten gegen politische Gefügigkeit verteilt werden. Markus Grabitz hat die Details.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Wochenstart
Das Auslaufen der kostenlosen CO2-Zertifikate für die Industrie sei der größte Kampf gewesen, erklärte ein erleichterter Michael Bloss (Grüne) am Sonntagmorgen. Die Verhandler aus EU-Parlament, Rat und Kommission hatten zuvor um 2 Uhr nachts eine Einigung im Jumbo-Trilog zur Reform des EU-Emissionshandelssystems (ETS) erzielt.
Sie sieht vor, dass die kostenlosen CO2-Zertifikate für die Industrie 2034 vollständig durch den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ersetzt werden. Zuvor werden sie ab 2026 schrittweise abgeschmolzen, während der CBAM parallel eingeführt wird (siehe Grafik). Ausgenommen sind Branchen, die nicht unter den CBAM fallen, beispielsweise die chemische Industrie. Sie bekommen vorerst weiter kostenlose Emissionsrechte. Unter den CBAM fallen Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Wasserstoff.
Auch die Exportindustrie bekommt weiterhin Freizuteilungen, allerdings nur in geringem Umfang. Industrieanlagen, die keine Dekarbonisierungspläne vorlegen, können schon vor dem Phaseout bis zu 40 Prozent ihrer Freizuteilungen verlieren. Die frei werdenden Zertifikate gehen zur Hälfte in den Innovationsfonds und zur Hälfte an die Exportindustrie als Schutz vor Carbon Leakage.
Das Ambitionsniveau der ETS-Reform wird durch die Entfernung von überschüssigen Zertifikaten aus dem Markt angehoben. 2024 fallen 90 Millionen Emissionsrechte weg, 2026 noch einmal 27 Millionen. Zudem wird der lineare Reduktionsfaktor (LRF), der die jährliche Minderung der Gesamtemissionen im ETS vorgibt, ab 2024 auf 4,3 Prozent und ab 2028 auf 4,4 Prozent angehoben.
Durch die wegfallenden Zertifikate sind die betroffenen Sektoren gezwungen, ihre Emissionen bis 2030 um insgesamt 62 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken – bisher waren es 43 Prozent. Die 62 Prozent stellen einen Kompromiss zwischen den Positionen des Parlaments (63 Prozent) und des Rats (61 Prozent) dar.
Der zweite Emissionshandel für Brennstoffe zur Gebäudeheizung und Kraftstoffe für den Straßenverkehr galt vor dem Jumbo-Trilog als Schlüsselthema in den Verhandlungen. Der Kompromiss sieht nun vor, dass der ETS 2 ab 2027 parallel zum bestehenden ETS eingeführt wird. Sollte der Gaspreis ein Jahr vor der Einführung jedoch über dem Niveau vor Beginn des Krieges in der Ukraine liegen (etwa 106 Euro/Mwh), wird der Start des neuen ETS um ein Jahr nach hinten verschoben.
Außerdem wird der ETS 2 mit einer Art Preisdeckel versehen. Die Trilog-Einigung sieht einen Preisstabilitätsmechanismus vor, der 20 Millionen zusätzliche Zertifikate freigibt, wenn der Preis pro Tonne CO2 im ETS 2 über 45 Euro liegt.
Offen war, ob nur die kommerzielle Nutzung der Brennstoffe mit einem CO2-Preis belegt wird, oder auch die private. Die Teilung hatte das Parlament gefordert, um private Haushalte nicht mit zusätzlichen Kosten zu belasten. Die Trilog-Einigung sieht nun vor: Der CO2-Preis des ETS 2 gilt für alle Nutzungsarten.
Für die Entlastung wurde der Klimasozialfonds beschlossen. Allerdings fällt er deutlich kleiner aus als von Kommission und Parlament vorgeschlagen. Ab 2026 wird der Fonds durch die Einnahmen aus der Versteigerung von 50 Millionen ETS-Zertifikaten aus dem ETS 1 (rund vier Milliarden Euro) vorfinanziert. Sobald der ETS 2 eingeführt ist, landen 65 Milliarden Euro aus dessen Einnahmen im Fonds. Hinzu kommen weitere 22 Milliarden Euro, die die Mitgliedstaaten aufwenden.
Parlament und Kommission hatten auf einen 144 Milliarden Euro schweren Fonds gepocht, doch mit den Mitgliedsländern war das nicht zu machen. Der Kompromiss ist nun ein Umfang von rund 87 Milliarden Euro. Jedoch wurde die Forderung des Parlaments berücksichtigt, dass der Fonds bereits ein Jahr vor Inkrafttreten des ETS 2 greift. Zudem müssen auch die anderen Einnahmen aus dem ETS 2, die nicht in den Fonds, sondern in die Staatshaushalte der Länder fließen, für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden.
Mit der Trilog-Einigung zur ETS-Reform und der Einführung des CBAM sowie des Klimasozialfonds ist der wesentliche Teil des Fit-for-55-Pakets beschlossen. Sie muss noch im Umweltrat und im Parlament formal bestätigt werden. Dies kann noch bis zum Frühjahr 2023 dauern.
In der Korruptionsaffäre im Europaparlament steht die Fraktionschefin der Sozialisten, Iratxe García Pérez, wegen ihres Krisenmanagements unter massivem Druck. Der griechische Abgeordnete und Chef der sozialistischen Partei PASOK, Nikos Androulakis, hat der Spanierin in der letzten Fraktionssitzung vorgeworfen, dass sie schon im September Hinweise auf nicht integres Verhalten der festgenommenen Eva Kaili gehabt, sie aber ignoriert habe.
Jetzt wurde bekannt, dass die engste Mitarbeiterin und Büroleiterin von Iratxe García eine freundschaftliche Beziehung zu Kaili hatte: Es tauchten Fotos auf, die die Spanierin und Garcìa-Vertraute, Laura Ballarin Cereza, im Urlaub mit Kaili und ihrem Lebensgefährten zeigen. Zunehmend wird die Frage gestellt, ob es bei der von Marokko ausgehenden Einflussnahme auf das Europaparlament auch Verbindungen zur sozialistischen Partei Spaniens gibt.
Die von Iratxe Garcia geführte Fraktion mit 145 Abgeordneten ist durch die Festnahmen von Kaili und des ehemaligen sozialistischen Abgeordneten Pier Antonio Panzeri sowie die Durchsuchung von Büros der Abgeordneten Maria Arena und Andrea Cozzolino tief verunsichert. Der geständige Lebensgefährte von Kaili, Francesco Giorgi, hat eingeräumt, Geld von Marokko genommen zu haben.
Überraschend hatte die spanische Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez im April eine Kehrtwende der Marokko-Politik hingelegt und Pläne Rabats begrüßt, das Gebiet der Westsahara als “autonome Region” ins marokkanische Staatsgebiet zu integrieren. Cozzolino, der inzwischen von seiner italienischen Partei ausgeschlossen wurde, leitete die Maghreb-Delegation im Parlament.
Anfangs galt nur Katar als Urheber der Korruption. Marokko gerät jetzt immer stärker in den Fokus. Am Dienstag, als noch vor allem italienische Mitarbeiter der Sozialisten im Verdacht standen, wurde Iratxe García vor der Presse gefragt, ob sie Vertrauen zur Delegation Italiens habe. Sie warnte vor Verallgemeinerungen, die Vorwürfe betreffe “einzelne”. Sie hätten die Regeln gebrochen, es gebe aber keinen Grund, pauschal ein Land oder eine Fraktion unter Verdacht zu stellen.
Ob sie von weiteren Fällen wisse? Sie verneinte, sagt dann: “Ich habe jedenfalls nicht teilgenommen.” Iratxe García soll am Montag in der Fraktion einen überforderten Eindruck gemacht haben. Sie weinte wiederholt, hört man aus der Fraktion. Am Mittwoch sei sie vorzeitig zurück nach Brüssel gereist, habe “Bye, bye Strasbourg” gepostet und die Fraktion führungslos tagen lassen.
Derzeit wirft ihr niemand vor, dass sie sich selbst etwas zuschulden kommen ließ. Sie unterstütze das Anliegen der Westsahara und sei unzufrieden mit dem Schwenk in Madrid. In der Fraktion mehren sich aber die Stimmen, die nicht an Einzelfälle glauben, sondern die Strukturen hinterfragen. Abgeordnete aus Skandinavien und Österreich sowie PASOK-Chef Androulakis haben sich entsprechend geäußert. Sie finden, Iratxe García müsse ihre Büroleiterin von der Aufgabe entbinden, bis die Affäre aufgeklärt ist. Doch dazu ist sie bislang nicht bereit.
In der Kritik ist auch der Chef der spanischen S&D-Abgeordneten, Javier Moreno Sánchez. Er ist neben der Büroleiterin Ballarin Cereza der engste Mitarbeiter von Iratxe García. Er gilt als “Oberstrippenzieher” des spanischen Regierungschefs im EP. Aus der Fraktion heißt es, Moreno Sánchez habe eine “Kultur der kleinen Geschenke” etabliert. Er habe etwa durchgesetzt, dass Kaili Anfang des Jahres Vize im Europaparlament wurde. Im Gegenzug für das Zuschachern von Posten werde von ihm politisches Entgegenkommen erwartet.
Der griechische Abgeordnete Androulakis hat vergangene Woche in der Fraktion empört die Frage gestellt, warum Kaili zur Vize gemacht wurde, ohne dass dafür die Unterstützung des PASOK-Parteichefs eingeholt worden sei. Kaili habe in der griechischen Spitzelaffäre, als Androulakis Handy mit Spyware ausgespäht wurde, abgewiegelt und sich an die Seite von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis (Nea Demokratia) gestellt. Sie sei das “Trojanische Pferd” der Konservativen, sagte Androulakis.
Kritik gab es auch am Stimmverhalten von Kaili und einer weiteren sozialistischen Vizepräsidentin, Pina Picierno, bei der Wahl von Alessandro Chiocchetti zum neuen Generalsekretär des Parlaments. Obwohl die Fraktion dagegen war, hätten Kaili und die Italienerin Picierno ihre Stimme dem Christdemokraten gegeben. Iratxe García habe dieses Verhalten in der Fraktion nie thematisiert oder skandalisiert, heißt es. Ein Abgeordneter der Sozialdemokraten sagte zu Europe.Table, Iratxe müsse jetzt zeigen, dass sie den unguten Einfluss der Südeuropäer in der Fraktion beenden könne.
Mit einer Reform des Strommarkts will die Kommission auf Druck der Mitgliedstaaten für niedrigere Preise sorgen. Bis März soll der Vorschlag vorliegen, für vergangenen Freitag hatten Beobachter den Beginn der Konsultation erwartet. Stattdessen liegt Europe.Table ein Non-Paper vor, in dem die Kommission die Ziele der Konsultation erläutert.
Darin werden weiterentwickelte Krisenhilfen in Aussicht gestellt und sogar eine wiederkehrende Erlösabschöpfung bei bestehenden Erneuerbare-Energien-Anlagen. Kommissionssprecher Eric Mamer stellte allerdings noch am Freitag klar, dass der Entwurf nicht die Ansicht der Kommission widerspiegele. Da der Start der Konsultation verschoben wurde, dürfte das Dokument trotzdem nicht zufällig geleakt worden sein.
Am Großhandelsmarkt will die Kommission die Strompreise mit einem Maßnahmen-Mix drücken. Laut dem Non-Paper soll der kurzfristige Spotmarkt grundsätzlich erhalten bleiben. Speicher und eine Flexibilisierung der Nachfrage sollen dafür sorgen, dass Gaskraftwerke seltener den Preis setzen. Komplett ausgeblendet wird allerdings, wie auch der Bau neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke angereizt werden soll.
Zum anderen wird nicht klar, welche Erlöse erneuerbare Energien noch am Spotmarkt erzielen können, was direkte Folgen für ihre Bedeutung in diesem Markt hätte. Erklärtes Ziel ist nämlich, dass die kurzfristigen Märkte “in einem viel geringeren Ausmaß die Erlöse von Erzeugern bestimmen”. In den Reformvorschlägen konzentriert sich die Kommission dabei auf “inframarginale Erzeugung” wie Erneuerbare und Kernkraftwerke. Deren Erlöse sollen künftig die spezifischen Produktionskosten widerspiegeln.
Sogar für Bestandskraftwerke könnten Teile der bereits beschlossenen, aber befristeten Erlösabschöpfung auf eine “dauerhaftere und einheitlichere Basis” gestellt oder aber in erneuten Krisen wieder aktiviert werden, heißt es in dem Non-Paper. Schon die Krisenmaßnahme hatten Energieunternehmen heftig kritisiert. Der Ökostromanbieter Lichtblick zum Beispiel hatte sich für eine Übergewinnsteuer statt einer Erlösabschöpfung ausgesprochen.
Für neue inframarginale Erzeuger will die Kommission Erzeuger, Händler sowie “Industrie- und Nicht-Industrie-Kunden” anreizen, langfristige Stromlieferverträge (PPAs) abzuschließen. Diese gelten als marktwirtschaftliche Finanzierungsmethode, die ohne staatliche Förderung auskommt.
Staatliche Förderung soll gemäß dem Non-Paper auf zweiseitige Differenzverträge (CfDs) umgestellt werden, die von vornherein eine staatliche Erlösabschöpfung bei hohen Strompreisen ermöglichen. Laut Kommission seien aber auch Kombinationen aus PPAs und CfDs möglich. Der Energieökonom Ingmar Schlecht argumentiert jedoch, dass CfDs ineffizienter seien als Derivate, mit denen Erzeuger an Börsen ihren Stromverkauf bereits finanziell absichern können.
Als Krisenmaßnahme haben die EU-Staaten die Möglichkeit bekommen, regulierte Strompreise für Haushalte und Unternehmen festzusetzen und Subventionen zu zahlen. Auch Beihilfen für Investitionen in Effizienz und eigene Erzeugung wurden erleichtert. In dem Non-Paper erwägt die Kommission nun, die Krisenmaßnahmen “weiterzuentwickeln”, womit eine Verstetigung gemeint sein dürfte: “Dadurch könnte sichergestellt werden, dass bestimmte Verbraucher in Notfällen Zugang zu einem ein Mindestmaß an Strom zu einem angemessenen Preis haben.” Eine solche Basisversorgung hat der Bundestag vergangene Woche mit Gas- und Strompreisbremse bereits beschlossen. Der EU-Beihilferahmen läuft jedoch Ende 2023 aus.
Stromlieferanten einer bestimmten Größe könnten gemäß dem Non-Paper künftig verpflichtet werden, Haushaltskunden solche Blocktarife mit einem günstigen Sockelverbrauch und einem frei bepreisten Mehrverbrauch anzubieten. Diese Angebote könnten die bestehende Pflicht zu dynamischen Tarifen ergänzen, die Stromkunden anreizen sollen, ihren Verbrauch am Stromangebot auszurichten. Dafür müssen Haushalte aber über Smart Meter verfügen. Mit der Initiative reagiert die Kommission offenbar auf den stockenden Rollout intelligenter Messsysteme in Mitgliedstaaten wie Deutschland (Europe.Table berichtete).
Stromlieferanten könnten außerdem zu einem “angemessenen Hedging” ihrer Lieferverpflichtungen gezwungen werden. In der Energiekrise haben einige Anbieter Insolvenz angemeldet, weil sie auf anhaltend niedrige Preise spekuliert und sich nicht mit Derivaten abgesichert hatten. Kunden rutschten in die Ersatzversorgung, worauf die neuen Lieferanten die exorbitanten Beschaffungskosten für den unerwarteten Verbrauch allein den neuen Kunden aufbürden wollten. Rechte und Pflichten von Versorgern und Kunden in der Ersatz- und Grundversorgung will die Kommission nun detaillierter klären.
Als weitere Maßnahme gegen hohe Marktpreise könnte außerdem die Eigenversorgung mit Strom aus Erzeugungsanlagen gestärkt werden, die nicht am eigenen Gebäude montiert sind. Als ein Beispiel werden Mieterstrommodelle im sozialen Wohnungsbau genannt. Bisher beschränken sich solche Modelle meist auf Solartechnologie.
Spekulation im Energiehandel hatten einige Regierungen als einen Schuldigen für die “überhöhten” Preise ausgemacht. Die Kommission erwägt nun, die Aufsicht speziell im grenzüberschreitenden Handel zu stärken und dafür die Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT) zu überarbeiten.
Als Gründe nennt das Non-Paper “sehr hohe Volatilität, Einmischung externer Akteure, ein geringeres Angebot und neue Verhaltensweisen im Handel“. Wegen des Kohle- und Atomausstiegs und Ausfällen von Atomkraftwerken herrschte zuletzt immer seltener Wettbewerb um Erzeugungskapazitäten. Damit habe die Bedeutung ausländischer Kraftwerke zugenommen, schrieben kürzlich Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt.
In dem Non-Paper kündigt die Kommission an, die Strafzahlungen europaweit zu harmonisieren, die nationale Wettbewerbsbehörden bei REMIT-Verstößen verhängen. Spannend wird auch, ob es im Stromsektor eine eigene Initiative geben wird, um den Einfluss Russlands als “externen Akteur” zurückzudrängen.
Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, warnt davor, den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor im Jahr 2035 politisch in Zweifel zu ziehen. In einem Gastbeitrag für mehrere Medien schreibt er, dass die EU-Kommission bei der für das Jahr 2026 geplanten Überprüfung das Verbrenner-Aus nicht rückgängig machen werde: “Überprüfungsklauseln stehen in jedem EU-Gesetz.” Bei der Überprüfung der CO2-Flottengrenzwerte werde es lediglich darum gehen, “wie wir das Jahr 2035 erreichen und nicht, ob wir es noch erreichen wollen”, so Timmermans wörtlich.
Ohne Industriekommissar Thierry Breton namentlich zu erwähnen, ist klar, dass Timmermans ihn anspricht. Breton hatte vor wenigen Wochen in einem Interview mit Europe Table und mehreren anderen Medien Zweifel am Verbrenner-Aus geäußert und die Hersteller dazu aufgefordert, auch nach 2035 im großen Stil Verbrenner für den Weltmarkt zu produzieren.
Timmermans warnt explizit davor, Hersteller und Zulieferer politisch zu verunsichern. “Die Industrie kann die Transformation nicht planen, wenn wir Zweifel säen oder gar eine Transformation im zweiten Anlauf starten wollen.” Auswege zu lassen und auf Hintertürchen zu verweisen helfe der Industrie in keiner Weise.
Timmermans schreibt weiter, dass dem E-Auto nicht nur in Europa, sondern auch im Rest der Welt die Zukunft gehöre: “Wir müssen Nullemissionsautos raus in die Welt schicken, nicht die Jobs der Europäer und unsere wirtschaftlichen Chancen”. Die Antwort auf die Herausforderungen der Transformation bei der Sicherung von Jobs könne nicht sein, “weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor für andere Länder zu bauen”. Auf anderen Kontinenten, so Timmermans weiter, sei die Transformation zur E-Mobilität womöglich langsamer. Die Elektrifizierung ganzer Volkswirtschaften sei aber integraler Bestandteil der internationalen Klimadiplomatie. mgr
Zum ersten Mal besucht eine Delegation des Handelsausschusses des Europaparlaments die Insel Taiwan. Die sieben EU-Abgeordneten werden von Montag bis Mittwoch in Taipeh bleiben und dort neben Präsidentin Tsai Ing-wen und anderen Regierungsmitgliedern auch Vertreter der Halbleiter-Industrie treffen. Auch Treffen mit Gewerkschaften sowie Umwelt-, Frauenrechts- und Verbraucherorganisationen sind geplant.
Der deutsche Europa-Politiker Reinhard Bütikofer (Grüne) ist Teil der Delegation. Geleitet wird sie von der griechischen Abgeordneten Anna-Michelle Asimakopoulou. Taiwan spiele eine wichtige Rolle bei den langfristigen Prioritäten der EU, betonte Asimakopoulou vor der Reise. ari
Die Staats- und Regierungschefs von Rumänien, Aserbaidschan, Georgien und Ungarn haben ein Abkommen über den Bau eines unterseeischen Elektrizitätskabels unter dem Schwarzen Meer unterzeichnet. Der Zeremonie im Bukarester Präsidentenpalast wohnte am Samstag auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei. Das Kabel soll in drei bis vier Jahren fertiggestellt sein.
Danach wird es zur Diversifizierung der Elektrizitätsversorgung Europas beitragen. Der Strom aus dem Südkaukasus wird außerdem die Abhängigkeit des Kontinents von russischen Energiequellen weiter reduzieren. “Die beiden Ufer des Schwarzen Meeres waren sich noch nie näher”, schrieb von der Leyen auf Twitter.
Zuvor hatten Präsident Ilham Aliyev (Aserbaidschan) und die Ministerpräsidenten Nicolae Ciuca (Rumänien), Irakli Garibaschwili (Georgien) und Viktor Orban (Ungarn) ihre Unterschriften unter das Dokument gesetzt. Sie sei stolz darauf, dass das Abkommen “eine derart starke Betonung auf erneuerbare Energien setzt“, fügte von der Leyen hinzu.
Georgien und Aserbaidschan liegen am Kaukasus-Gebirge. Beide Länder verfügen über ein beträchtliches Potenzial an Wasserkraft. Georgien und Rumänien liegen am Schwarzen Meer, während Ungarn an Rumänien grenzt. dpa
Es ist nicht so lange her, da waren sich die parlamentarischen Verhandlungsführer für die Reform europäischen Emissionshandels (ETS) spinnefeind. Als die erste Abstimmung im Juni scheiterte, gaben sich Parteien und Abgeordnete gegenseitig die Schuld für die Blamage (Europe.Table berichtete).
Sechs Monate später ist von diesen Feindschaften nichts mehr zu sehen. Am Freitagmorgen, kurz vor Beginn des Jumbo-Trilogs, demonstrierten Emma Wiesner (Renew), Mohammed Chahim (S&D) und Michael Bloss (Grüne) Eintracht bei einem gemeinsamen Frühstück mit Pancakes und frischem Obst.
Auch sonst ließen die Berichterstatter, die im Trilog unter einem gemeinsamen Mandat verhandelt haben, kaum politische Differenzen durchblicken. ETS-Rapporteur Peter Liese (EVP) versprach, dass sein Shadow-Rapporteur Chahim und er in den Verhandlungen voll auf einer Linie seien. Nach der Einigung Sonntagnacht zeigten sie sich gemeinsam tanzend auf Twitter. Dabei waren es diese beiden Akteure, an denen sich der Streit im Juni offenbarte.
Und somit ist es erstaunlich zu sehen, wie sich politische Beziehungen verändern können, wenn miteinander statt gegeneinander argumentiert wird. Ebenso erstaunlich ist es, wie schnell sich diese Beziehung wieder ins Gegenteil verkehrt, wenn politische Differenzen beim nächsten Gesetzesvorschlag der Kommission wieder aufkommen werden. So ist er halt, der (europäische) Parlamentarismus. Lukas Scheid