Table.Briefing: Europe

Kritik an Fachkräfte-Gesetz + Crashtest Dummies nur für Männer + EU im Silicon Valley

Liebe Leserin, lieber Leser,

europäische Gesetze unterliegen den Prinzipien der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Nichtdiskriminierung. Bei der Verkehrssicherheit werden diese Prinzipien hin und wieder ignoriert, denn Crashtest Dummies sind noch immer nur dem männlichen Körper nachempfunden. Mit verheerenden Folgen, wie Charlotte Wirth analysiert. Das Verletzungsrisiko nach Verkehrsunfällen ist bei Frauen teilweise um ein Vielfaches höher als bei Männern.

Verheerende Folgen befürchten einige EU-Mitgliedstaaten auch aufgrund des deutschen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Deutschland braucht dringend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und will die Hürden für Zuwanderung senken. Doch Länder im Süden und Osten Europas fürchten, dass die eigenen Fachkräfte abgeworben werden könnten. Falk Steiner hat die Details.

In der vergangenen Woche eröffnete EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel im Silicon Valley die ersten “Europäischen Innovationstage”, mit denen das Interesse für Europa bei US-Start-ups und Investoren geweckt werden sollte. Im Interview mit Manfred Ronzheimer erklärt sie, wie sie die EU attraktiver machen will und in welchen Bereichen sich Europa schon jetzt nicht mehr verstecken muss.

Außerdem starten wir heute eine neue Reihe im Europe.Table. Bis zur Europawahl 2024 dauert es zwar noch, doch wir schauen ab sofort etwa alle sechs Wochen auf die Projektion zur Zusammensetzung des nächsten EU-Parlaments. Manuel Müller trägt für seine Kolumne “Wenn am Sonntag Europawahl wäre …” die Ergebnisse von Meinungsumfragen aus allen 27 Mitgliedstaaten zusammen.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre und einen schönen Tag

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Deutschlands Migrationsoffensive stößt auf Kritik

Das Zuwanderungsrecht soll künftig stark vereinfacht werden: “Bürokratie schreddern” sei das Gebot der Stunde, verkündete Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Zwei Millionen offene Stellen seien Rekord, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Unter anderem auf der reformierten EU-Blue Card ruhen die Hoffnungen der Bundesregierung. Sie wolle “Spielräume der Richtlinie konsequent nutzen”, etwa für Zuwanderer, die “keinen Master, sondern einen Meister” hätten, so Faeser.

Denn Deutschland braucht dringend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt – sowohl aus der EU, aus Europa und aus Drittstaaten. Etwa 400.000 neue Arbeitskräfte jährlich benötige die Bundesrepublik in den kommenden Jahren, hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ausgerechnet. Und zwar über die Zahl hinaus, die in Deutschland jedes Jahr aus eigener Kraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe.

Vor der Coronapandemie, rechnet Hubertus Heil am Mittwoch vor, habe man etwa 315.000 Zuwanderer gezählt. Neben besserer Nachqualifizierung von Bundesbürgern, die bislang nicht Teil des Arbeitsmarkts waren, soll vor allem die Arbeitsmigration das Erreichen der notwendigen Zahlen möglich machen. Wenn die Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren massenhaft in den Ruhestand geht, muss das neue System laufen.

Koalition will weniger Hürden für Zuwanderer

Eine große Verbesserung für Akademiker und jene mit nachweisbarem, formalem Berufsabschluss sei die deutsche Neuregelung, sagt Panu Poutvaraa vom Münchener ifo-Institut. Wer einen Hochschulabschluss vorweisen kann, soll künftig nicht mehr an dieses Tätigkeitsfeld gebunden sein, sondern grundsätzlich jeder qualifizierten Beschäftigung nachgehen dürfen.

Wer einen formalen Berufsabschluss hat, soll künftig erst einreisen und die Anerkennung dann nachholen dürfen. Der ifo-Arbeitsmarktökonom wünscht sich aber mehr: “Es wäre sinnvoll, zusätzlich auch Menschen mit Berufserfahrung, aber ohne formalen Nachweis darüber, die Einreise zum Zwecke der längerfristigen Arbeitsaufnahme zu ermöglichen”, findet Pana Poutvaraa. “Hierbei sollte man sich auf die Einschätzung der potenziellen Arbeitgeber verlassen.”

Arbeitskräftemangel paneuropäisches Problem

Allerdings herrscht auch in Ost- und Mitteleuropa teils Fachkräftemangel. Der rumänische EVP-Abgeordnete Siegfried Mureșan begrüßt das deutsche Gesetz zwar: “Wenn es richtig umgesetzt wird, könnte das Gesetz dazu beitragen, die immer noch hohe Arbeitslosigkeit unter jüngeren Fachkräften in Südeuropa abzubauen”. Er mahnt aber auch: “Fachkräfte dürfen nur da abgeworben werden, wo sie gerade am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden”. Doch darauf nimmt der deutsche Vorschlag wenig Rücksicht, angesichts der eigenen Mangelerscheinungen.

“An vielen Stellen haben wir mittlerweile nicht nur Fachkräftemangel, sondern Arbeitskräftemangel”, sagt der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. “Diese Entwicklung gilt nicht nur für Deutschland, sondern an vielen Stellen in Europa.” Denn große Teile Europas stecken inmitten eines demografischen Wandels. Insbesondere der Süden und Osten altern rapide. Ungarn, Italien, Finnland und Estland verlieren laut Vorausberechnungen von Eurostat vor 2100 bis zu 20 Prozent ihrer heutigen Einwohnerzahl. Kroatien, Bulgarien, Rumänien und Litauen könnten demnach mehr als 30 Prozent ihrer Einwohner einbüßen. Einsam an der Spitze steht Lettland: Dort dürften bis 2100 43,7 Prozent weniger Einwohner leben, berechnet Eurostat.

Die EU-Bürger werden zudem älter: Für Polen etwa erwartet Eurostat, dass am Ende des laufenden Jahrhunderts schon jeder sechste Einwohner über 80 Jahre alt ist, und damit heute bereits geboren. Das Reservoir für die Binnenmigration in der EU ist also in Kürze fast so leer wie die norditalienischen Wasserspeicher.

Luxemburg stellt eigenes Vorhaben vor

Kein Wunder, dass auch andere Mitgliedstaaten verstärkt Arbeitskräfte suchen und ebenfalls die neuen EU-Regeln dafür anwenden wollen. Luxemburgs Regierung etwa will an diesem Freitag ein Gesetz vorstellen, bei dem in definierten Mangelberufen binnen fünf Tagen eine Arbeitserlaubnis für Drittstaatsangehörige erteilt werden soll – ein Tempo, das mit der deutschen Neuregelung nicht erzielt werden wird. Luxemburg will mitgehenden Partnern zudem ebenfalls eine Arbeitserlaubnis erteilen, kündigte Arbeitsminister Georges Engel auf TableMedia-Anfrage an.

Für den CDU-Politiker Dennis Radtke müsste das Problem daher europäisch adressiert werden. “Natürlich stehen wir auch untereinander im Wettbewerb um Arbeitskräfte, was gemeinsames Handeln deutlich beeinträchtigt”, beschreibt Radtke das Problem. Folgerichtig sei, dass die EU-Kommission das Jahr 2023 zum European Year of Skills deklariert habe.

Unmut in Nachbarstaaten

Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Bundesagentur für Arbeit jährlich allein 50.000 Arbeitsgenehmigungen für die Westbalkan-Staaten ausstellen. Ob Deutschland überhaupt seine Zielzahlen erreichen kann, ist aber fraglich.

Unmut löst das Vorgehen in anderen Mitgliedstaaten dennoch aus. “Indem Berlin Fachkräfte von außerhalb der EU anlockt, löst die Bundesregierung vielleicht ein Problem für sich selbst. Sie schafft aber eines für die anderen”, sagt ein Diplomat aus einem Nachbarstaat, der sich eine bessere Koordinierung gewünscht hätte. Schließlich handele es sich bei den deutschen Visa um Schengen-Visa, die den Zugang zu Volkswirtschaften und Gesellschaften ermöglichen, in denen die Diskussion grundlegend anders verlaufe.

Deutschland verquickt Einwanderung und Asyl

Denn Deutschland agiert ganz gezielt auf eigene Rechnung: Die Anwerbung von Arbeitskräften soll nur in solchen Staaten möglich sein, mit denen ein Rückführungsabkommen besteht. Damit soll der Druck vor allem auf Länder erhöht werden, die hoffen, dass Arbeitsmigranten aus ihren Ländern Geld in die Heimatländer übersenden, bislang aber kein Interesse an der Rücknahme abgelehnter Asylsuchender hatten.

Solche Abkommen bestehen etwa mit Vietnam, Nordmazedonien, Serbien, Kasachstan, Guinea, Georgien, Algerien und Armenien. Die Bundesregierung will hier aber weitere Abkommen zeitnah erreichen. Die Bundesinnenministerin steht unter Erfolgsdruck vor den Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen, wo Nancy Faeser als Spitzenkandidatin für die SPD selbst antritt.

Auch hier wäre anderen Mitgliedstaaten an gemeinsamen Lösungen gelegen – doch an einem wirklich gemeinsamen Vorgehen zeigten die zuständigen Fachkräfte der Bundesregierung laut Diplomatenkreisen wenig Interesse. Derzeit hakt es im Rat noch an einer gemeinsamen Positionierung zum künftigen Migrationsrecht. (mit Markus Grabitz, Till Hoppe und Charlotte Wirth)

Crashtest Dummies: EU-Gesetze nur für Männer

Er trägt den Namen des germanischen Gewittergottes. Thor heißt der Crashtest Dummy der neuesten Generation, der dabei helfen soll, Autos sicherer zu machen. Der Name ist bezeichnend. Bis heute müssen Fahrzeuge lediglich mit männlichen Dummies getestet werden, um in Europa zugelassen zu werden.

Der Transport-Ausschuss des Europaparlamentes (TRAN) will dies ändern. Die Abgeordneten fordern in einer Stellungnahme zum Bericht des Frauenausschusses über die Verkehrssicherheit von Frauen, dass künftig Frauen-Dummies eingesetzt werden. “Zu lange wurden Autos, Autositze und Sicherheitsgurte für den männlichen Körper konzipiert, was für Frauen, die in Autounfälle verwickelt sind, katastrophale Folgen hat”, sagt die Grünen-Abgeordnete Tilly Metz, die den Änderungsantrag eingereicht hat. Mit der Stellungnahme fordere der TRAN die Kommission auf, neue Normen für Crashtest-Dummys zu entwickeln.

Dass der Einsatz solcher Dummies heute noch nicht Pflicht ist, mag überraschen. Seit den 1960ern ist bekannt, dass Frauen ein deutlich höheres Verletzungsrisiko bei Verkehrsunfällen haben als Männer. Bis zu 47 Prozent bei tödlichen und lebensgefährlichen Verletzungen, schreiben die schwedischen Wissenschaftlerinnen Astrid Linder und Wanna Swedberg und berufen sich auf Studien von 1969 bis 2013. Besonders hoch ist das Risiko bei sogenannten Schleudertraumata, sprich Weichteilverletzungen des Genicks – bis zu dreimal höher als bei Männern. Aber auch Verletzungen der unteren Extremitäten und Einklemmungen kommen bei Frauen häufiger vor.

EU setzt keine Anreize für Frauen-Dummies

Trotz dieser Datenlage gilt per Gesetz: Als Test-Standard gilt der durchschnittliche Mann. Der dazugehörige männliche Dummy trägt den Namen “Hybrid III 50 Perzentil-Mann”. Größe: 1,75. Gewicht: 78 Kilo. Lediglich für Seitenkollisionen soll zusätzlich der weibliche “Hybrid III 5 Perzentil-Frau” zum Einsatz kommen. Und zwar als Beifahrerin, um eine kleine Person zu simulieren. Größe 1,50. Gewicht: 51 Kilo.

Für die schwedischen Wissenschaftlerinnen Linder und Swedberg zeigt das, dass die europäische Gesetzgebung Ungleichheiten zementiert: So würden etwa die Prinzipien der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Nichtdiskriminierung der EU-Verträge nicht respektiert werden, schreiben Linder und Swedberg in ihrer Studie. “Wessen Verkehrssicherheit ist eigentlich durch die EU-Gesetze geschützt?”, fragen die Autorinnen in ihrer Schlussfolgerung.

Die EU-Kommission räumt auf Nachfrage ein, dass zurzeit nur mit Dummies getestet wird, die einen durchschnittlichen Mann oder eine verkleinerte Version des durchschnittlichen Mannes repräsentieren. Darüber hinaus verweist sie auf eine neue Arbeitsgruppe der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (UNECE) zum gleichberechtigten Schutz der Insassinnen und Insassen.

Tatsächlich werden die technischen Anforderungen an Fahrzeuge und damit auch die Regeln für den Einsatz von Dummies von der UNECE festgelegt. In ihren Regelungen zur Sicherheit der Insassen ist genau festgehalten, welche Tests mit welchen Dummies durchzuführen sind. Es müssen beispielsweise Frontal- und Seitenaufpralle simuliert werden. Die EU-Gesetzgebung bekräftigt die UNECE-Normen lediglich, etwa in der Rahmenrichtlinie zur Genehmigung von Fahrzeugen (Verordnung 2018/858). Bisher sehen die Regeln den Einsatz des sogenannten Hybrid III Dummies vor, der bald durch Thor abgelöst werden soll.

Frauendummy am Mann errechnet

Während allerdings der männliche Dummy auf den Daten der männlichen Bevölkerung beruht, ist das beim weiblichen Hybrid-Dummy nicht der Fall. In der entsprechenden Regelung 73 der UN-Wirtschaftskommission liest man dazu: Dieser Dummy “stellt das kleinste Segment der erwachsenen Bevölkerung dar und wurde aus skalierten Daten des männlichen Hybrid III abgeleitet”.

Der Deutsche Kraftzeug-Überwachungsverein DEKRA drückt es prägnanter aus. Der Hybrid III-Frau sei “mehr oder weniger eine geschrumpfte Version” des männlichen Dummies. “Er würde heute bezüglich Größe und Gewicht eher ein 12- bis 14-jähriges Mädchen repräsentieren als eine erwachsene Frau.” Beim Thor-Modell ist der Frauen-Dummy tatsächlich dem Frauenkörper nachempfunden, doch auch dieser wird nicht die durchschnittliche Frau, sondern eine sehr kleine Insassin, repräsentieren.

Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gehen über Größe und Gewicht hinaus. “Die Anatomie ist unterschiedlich. Von außen wirkende Kräfte und Beschleunigungen sind sicher bei Frauen ausgeprägter als bei Männern”, sagt Gabriele Kaczmarczyk vom Deutschen Ärztinnenverbund. Der Torso von Frauen hat beispielsweise eine andere Form als der männliche, ihr Genick eine andere Krümmung. Form und Steife der Muskeln und Gelenke unterscheiden sich ebenso.

Keine Nachfrage für Frauen-Dummies

Astrid Linder hat den ersten Durchschnittsfrauen-Dummy entwickelt. Sie heißt Eva, ist 1,62 groß und wiegt 62 Kilogramm, ist aber noch nicht produktionsreif. Solange es keine Nachfrage an solchen Dummies gibt, etwa durch eine überarbeitete Gesetzgebung, wird es nicht zur Vermarktung von Eva kommen: “Erst wenn die Gesellschaft endlich nach einem weiblichen Dummy fragt, wird sie ihn bekommen”, sagt die Ingenieurin.

Dass die Gesetzgebung weiterhin nur Tests mit männlichen Dummies verlangt, hat konkrete Folgen. Es gibt keinen Anreiz für Autobauer und Zulassungsstellen, über die Gesetzgebung hinauszugehen. Der Fahrzeughersteller Volvo etwa hat mit seiner “E.V.A”-Strategie für “Sichere Fahrzeuge für alle” eine Gender-Strategie. Dennoch bleibt dem Hersteller nichts anderes übrig, als mit verfügbaren Frauen-Dummies zu testen.

Sogar wenn Versicherungen mehr Daten sammeln würden und Autohersteller ihre eigenen Frauen-Dummies entwickeln würden, wird dies vom Regulierungsapparat nicht berücksichtigt werden“, bedauert Astrid Linder. Dafür sei die Gesetzgebung zu rigide. Es sei, als würde die Gesellschaft sagen, “nein, wir schauen uns das nicht an, wir interessieren uns nur für den Durchschnittsmann“, beklagt die Forscherin.

Die europäische Initiative für Verkehrssicherheit EU-NCAP, die die Sicherheit von Fahrzeugen bewertet, sagt auf Nachfrage: “Wir dürfen die Sicherheit von Fahrzeugen nicht auf so simple Vereinfachungen wie Männer und Frauen herunterbrechen.” Stattdessen müsse man das gesamte Spektrum der Menschen berücksichtigen.

  • Sicherheit
  • Verkehrspolitik

Mariya Gabriel: “Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation”

Mariya Gabriel ist seit 2019 EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Bildung, Kultur und Jugend.

Frau Gabriel, das Silicon Valley gilt weltweit als der Olymp der Innovationen. Mit welchen Erwartungen kamen Sie als Europäerin nach Kalifornien? 

Wir wollen Innovatoren und Investoren aus den USA auf die Chancen des Standorts Europa aufmerksam zu machen. Dies richtete sich sowohl an Gründer, die ein Start-up in Europa eröffnen wollen, als auch an Experten, die an einer Tätigkeit für europäische Firmen oder Wissenschaftseinrichtungen interessiert sind. Unsere Absicht ist es, Innovatoren aus dem Silicon Valley in das europäische Ökosystem für Deep-Tech-Innovation zu locken. 

Wie haben Sie die europäische Innovationslandschaft inhaltlich präsentiert? 

Wie von der Neuen Europäische Innovationsagenda vorgegeben, wollten wir Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation positionieren. Das stützte sich insbesondere auf die Branchen mit hohem Technologieanteil wie Bauwesen, Landwirtschaft, Ingenieurwesen, Energie und Transport. Vor Ort stellten wir fest, dass sich Europa auch in anderen Branchen, einschließlich der Luft- und Raumfahrt, bei Innovationen auf Augenhöhe mit den USA sehen lassen kann.  

Zurück aus den USA, was sind Ihre “lessons learned”?  

Die wichtigste Lektion ist, dass die EU und die USA gleichberechtigte Partner sind, wenn es um Innovationen im Deep-Tech-Bereich geht. Die auch darauf ausgerichtet sind, unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu lösen. Es zeigte sich, dass Europa für das Innovationsökosystem des Silicon Valley ein verlässlicher Partner auf Augenhöhe ist, wenn es um Innovationen im Hardware- wie auch im biologischen Bereich geht. Für uns ist DeepTech die neue Innovationswelle, bei der Europa eine führende Rolle einnehmen soll. 

Bei unserem Auftreten in Silicon Valley wurden wir auch darin bestärkt, unsere Bemühungen auf die Sektoren zu konzentrieren, in denen die EU im Bereich der Deep-Tech-Innovation stärker als die Wettbewerber ist. Das sind Branchen wie Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie, um die wichtigsten zu nennen.  

Wie geht es weiter? Welche Kooperationsplanungen haben Sie für die Zukunft?  

Die neu gestartete EU Innovation Talent Platform wird einen klaren Weg für diejenigen aufzeigen, die nach Europa kommen wollen, um hier ihre Start-ups im Bereich Deep-Tech-Innovationen zu gründen und auszubauen. Wir gehen davon aus, dass diese Plattform zur zentralen Anlaufstelle für Innovatoren wird, die nach Europa ziehen wollen.  

In der Planung ist auch eine weitere Mission in der Bay Area im kommenden Oktober, um die Brücken zwischen EU- und US-Ökosystemen mit bidirektionalen Bewegungen von Kapital und Talenten im Bereich der Deep-Tech-Innovation zu festigen. Die nächste Mission soll sich auf bestimmte Industriesektoren konzentrieren, in denen Europa besonders stark ist. Die Auswahl trifft die Begleitgruppe vom März zusammen mit dem “European Sounding Board for Innovation“. Außerdem überlegen wir, die europäischen Innovationsleistungen auch in anderen Regionen der USA, wie etwa in Austin in Texas zu präsentieren.

  • Digitalisierung
  • Europäische Kommission
  • Forschung

Termine

30.03.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
TÜV Rheinland, Seminar ESG Reporting – Was kommt ab 2023 auf uns zu?
Der TÜV Rheinland bringt die Teilnehmer hinsichtlich der neuen ESG-Reporting-Regelungen in Deutschland und der EU auf den neuesten Stand. INFOS & ANMELDUNG

31.03.2023 – 15:00-16:30 Uhr
DGAP, Discussion Can the ECB Unlock the Reallocation of SDRs?
The German Council on Foreign Relations (DGAP) brings together a group of experts to discuss how to overcome the obstacles that prevent the rechannelling of Special Drawing Rights (SDRs) to the benefit of developing and emerging economies. INFOS & REGISTRATION

03.04.-05.04.2023, Berlin
EAB, Seminar SpringLab
The European Academy Berlin (EAB) addresses the issues of adaptation to sustainable development, environmental and climate protection in Europe and the Global South. INFOS & ANMELDUNG

03.04.2023 – 12:15-14:00 Uhr
AI, Discussion Global Threats Series: Critical Infrastructures Under Attacks
The Aspen Institute (AI) focuses on the vulnerability of critical infrastructure in Europe. INFOS & REGISTRATION

03.04.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Pleite von Silicon Valley Bank und Credit Suisse: Droht eine neue Finanzkrise?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert die Bedeutung der Krise der Credit Suisse für das europäische und globale Bankensystem. INFOS & ANMELDUNG

04.04.2023 – 18:00-19:30 Uhr, online
HWK, Seminar Grünes Geld
Die Handwerkskammer (HWK) geht der Frage nach, warum Banken nachhaltig wirtschaftende Kunden bevorzugen. INFOS & ANMELDUNG

04.04.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
EAB, Panel Discussion War in Ukraine: Re-thinking state cooperation between Europe and Africa
The European Academy Berlin (EAB) highlights specific and urgent issues that are (still) significant for state actors one year after the outbreak of the extensive Russian war on Ukraine. INFOS & REGISTRATION

04.04.2023 – 20:00-21:00 Uhr, online
FNF, Vortrag Deutschland – Frankreich: Alles eitel Sonnenschein?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert den aktuellen Stand des deutsch-französischen Verhältnisses. INFOS & ANMELDUNG

18.04.-04.07.2023, online
FSR, Seminar EU Green Deal course
The Florence School of Regulation (FSR) provides an overview of the most recent developments in energy and climate policy in the EU. REGISTRATION BY 4 APRIL

News

Global Gateway: EU investiert in Elektrobusse in Kenia

Die EU-Kommission will im Rahmen ihrer Alternative zu Pekings Neuer Seidenstraße rund 45 Millionen Euro in Elektrobusse in Kenia investieren. Am Rande eines Treffens von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Kenias Präsidenten William Ruto in Brüssel sei eine Absichtserklärung dazu unterschrieben worden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Insgesamt würde das Projekt “Nairobi Core Bus Rapid Transit Line 3” (BRT 3) im Rahmen von “Global Gateway” mit 347,6 Millionen Euro bezuschusst.

Neben den 45 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt sollen demnach die Europäische Investitionsbank und die französische Entwicklungsagentur AFD das Elektrobus-Projekt in Kenia gemeinsam mit 236,3 Millionen Euro unterstützen. Die kenianische Regierung beteiligt sich mit 66,3 Millionen Euro. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sollen laut EU-Kommission zudem fachliche Unterstützung beisteuern.

Das Projekt gehört zum Afrika-Investitionspaket von “Global Gateway”. Dieses wurde im Januar vorgestellt. Es soll nach EU-Angaben insgesamt rund 150 Milliarden Euro für grüne und digitale Projekte umfassen. Die Infrastruktur-Initiative aus Brüssel drohte zuletzt ein Rohrkrepierer zu werden: Nach großen Ankündigungen blieb die EU-Kommission die Präsentation konkreter neuer Projekte schuldig. Nun sollen sich die Brüsseler Behörde und der EU-Rat der Mitgliedsstaaten jedoch auch auf eine Liste mit neuen Vorhaben geeinigt haben, die noch 2023 angestoßen werden sollen. Das berichtete das Handelsblatt am Dienstag.

Brüssel will mit “Global Gateway” wieder mehr internationalen Einfluss geltend machen und Chinas “Belt and Road”-Initiative kontern. ari

  • China
  • Elektromobilität
  • Global Gateway

Russland sperrt Konten der Goethe-Institute

Offenbar als Vergeltung wegen Ermittlungen der deutschen Behörden gegen das Russische Haus in Berlin sind die Konten der deutschen Goethe-Institute in Russland gesperrt worden. Einen entsprechenden Bericht des russischen Portals The Insider bestätigte die Zentrale der Institute in München am Mittwochabend auf Anfrage von Table.Media: “Die Bankkonten der Goethe-Institute in Russland sind auf Aufforderung der russischen Zentralbank gesperrt worden. Wir prüfen derzeit die Situation und arbeiten mit Hochdruck an einer raschen Lösung, damit Sprachkurs- und Prüfungsteilnehmer*innen weiterhin unsere Angebote wahrnehmen können. Die Einschreibungen für das bald startende Trimester laufen weiter.”

Das Goethe-Institut hat in Russland Standorte in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk. Bis zum Kriegsbeginn waren laut Jahresbericht des Instituts rund 200 Mitarbeiter in diesen Filialen tätig.

Im Januar nahmen deutsche Ermittler das Russische Haus in Berlin ins Visier. Hintergrund ist die russische Agentur “Rossotrudnitschestwo”, gegen die die EU Sanktionen verhängt hat. Laut dem Leiter des Russischen Hauses, Pawel Iswolski, gebe es Schwierigkeiten in finanziellen Bereichen. Gesperrte Konten wollte er in einem Interview mit der “Moskauer Deutsche Zeitung” aber nicht bestätigen. Die Agentur “Rossotrudnitschestwo” steht im Verdacht, Kreml-Propaganda zu fördern.

Die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte bereits Ende Januar “Maßnahmen als Antwort” angekündigt, sollte Deutschland die Beschränkungen der Tätigkeiten des Russischen Haus in Berlin nicht beenden. vf

  • Sanktionen

Saubere Luft: Viele Abgeordnete wollen WHO-Richtwerte umsetzen

Bei der Luftreinhaltungsrichtlinie zeichnet sich im Europaparlament die Forderung ab, die WHO-Richtwerte bis 2030 eins zu eins als verbindliche Grenzwerte festzuschreiben. Dafür setzen sich der Berichterstatter Javi López (S&D) sowie die Schattenberichterstatter von Renew und Grünen ein. EVP-Schattenberichterstatter Norbert Lins (CDU) fordert dagegen, dass bis zum Jahr 2035 lediglich eine Annäherung an die WHO-Richtwerte stattfindet.

Mehrere Verschärfungen des Kommissionsvorschlags, die López anregt, möchte Lins streichen. Zudem setzt sich Lins für höhere Grenzwerte bei Stickstoffdioxid und Feinpartikel ein. Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen ist bereits abgelaufen. mgr

  • Klima & Umwelt
  • Luftqualität

Flächenstilllegung: Verlängerung der Ausnahmen gefordert

Die Fruchtwechsel- und Stilllegungsverpflichtung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sollten wegen des Ukrainekriegs auch in den Jahren 2024 und 2025 ausgesetzt werden. Das fordern die CDU/CSU-Abgeordneten aus Bundestag und Europaparlament sowie Christdemokraten aus Österreich und Italien von der EU-Kommission. Laut GAP müssen eigentlich jedes Jahr vier Prozent der Ackerfläche brach liegen. Wegen des Ukrainekriegs und der Verknappung von Nahrungsmitteln hatte die Kommission 2023 die Stilllegungsverpflichtung ausgesetzt.

In dem Schreiben vom Vorsitzenden des Agrarausschusses, Norbert Lins (CDU), an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt es: Die Ukraine werde wegen des anhaltenden Krieges ihre Weizenproduktion weiter reduzieren. Und weiter zur Lage in Europa: “Meteorologen befürchten einen weiteren katastrophalen Dürresommer und damit Ernteausfälle für Südeuropa wie im Jahr 2022.” Durch die erneute Aussetzung könne die Kommission zur Linderung der Situation beitragen, so Lins. mgr

  • Klima & Umwelt
  • Landwirtschaft

Katar-Flüge: Generaldirektor Hololei räumt Posten

Der wegen Flügen in den Golfstaat Katar unter Druck stehende Generaldirektor für Verkehr in der Kommission, Henrik Hololei, räumt seinen Posten. Hololei hatte kostenlose Flüge mit Qatar Airways in Anspruch genommen, während seine Abteilung ein Luftverkehrsabkommen mit dem Golfstaat ausgehandelt hat. Dies wurde bekannt, nachdem der Korruptionsverdacht um die damalige Vize-Präsidentin des Europaparlaments Eva Kaili sowie mehrere sozialistische Abgeordnete und Menschenrechts-NGOs öffentlich wurde.

Hololei nimmt für sich in Anspruch, nicht gegen die kommissionsinternen Regeln für Dienstreisen verstoßen zu haben, da seine Reisen offiziell genehmigt wurden. Allerdings war der Generaldirektor für die Genehmigung seiner eigenen Dienstreisen selbst zuständig, weshalb Kritik an dem Vorgang laut wurde. Der ranghohe Kommissionsbeamte wurde jetzt auf eigenen Wunsch abberufen und wechselt ab April als Berater zur Generaldirektion für internationale Partnerschaft. mgr

  • Europäische Kommission
  • Katar
  • Korruption

Spaniens Ratspräsidentschaft: Terminkalender steht

Spanien übernimmt in der zweiten Jahreshälfte den rotierenden Vorsitz im Rat der EU von Schweden. Die aktuelle Terminplanung der Regierung in Madrid sieht unter anderem informelle Umwelt- und Energieräte am 11., 12. und 13. Juli vor, wie ein Kalender zeigt, den Contexte veröffentlichte. Für den 24. und 25. Juli ist ein informelles Treffen der Minister für Wettbewerbsfähigkeit vorgesehen.

Nach der Sommerpause geht es Ende August mit dem informellen Treffen der Außen- und Verteidigungsminister weiter. Das informelle Treffen der Finanzminister ist für den 15 und 16. September geplant. tho

  • Europapolitik

Presseschau

Gerichtshof für Menschenrechte: Erstmals über Klimaklagen gegen die Schweiz und Frankreich verhandelt FAZ
Internationaler Gerichtshof soll staatliche Pflichten für Klimaschutz begutachten DW
Italian plan to ban lab-grown food criticised as misguided THEGUARDIAN
Besuch von Charles in Berlin: Ein Bekenntnis zu Europa FAZ
EU plant Anhaltelager für Flüchtlinge an Außengrenzen KURIER
US Urges EU to Sanction Chinese Satellite Firm Over Russia Aid BNNBLOOMBERG
Taktische Nuklearwaffen: Was Putins Raketenpläne für Europa bedeuten SUEDDEUTSCHE
East Europe governments urge tech firms to fight disinformation REUTERS
“Weckruf für die Wirtschaft”: Bundesregierung will vier Milliarden Euro in die Ökosysteme investieren HANDELSBLATT
Israeli tensions spill over into Berlin at summit of European Jewish leaders TIMESOFISRAEL
EU-Spitzenbeamter Hololei tritt nach Dienstreisen-Affäre zurück EURONEWS
EU-Kommission will Gesellschaftsrecht digitaler gestalten PRESSE-AUGSBURG
Schweden top bei Windenergie. Hinken andere EU-Länder hinterher? EURONEWS
Werbung mit Umweltversprechen: EU-Richtlinie soll Greenwashing verhindern BR
Verbände kritisieren EU-Insolvenzrecht BOERSEN-ZEITUNG
Flugbranche geht auf EU-Kommission los BOERSEN-ZEITUNG
EU-Kommission: Europa hinkt bei Digitalkompetenz hinterher EURACTIV
“Very precarious” The European countries facing another year of drought EURONEWS
EU-Geld-Verschwendung: Ungarischer Bürgermeister baut Baumkronenpfad auf seinem Feld N-TV
Slowenien will Energiekooperation mit Kroatien ausbauen EURACTIV

Kolumne

“Wenn am Sonntag Europawahl wäre …”

Von Manuel Müller
Manuel Müller erstellt die Sitzprojektion zur Europawahl.

Rund vierzehn Monate vor der Europawahl 2024 zeichnet sich in den Umfragen ein spannendes Rennen ab. Nach einer aktuellen Projektion käme die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei (EVP) derzeit nur noch auf 162 Abgeordnete und würde damit deutlich unter ihren Stand von 176 Sitzen im aktuellen Parlament zurückfallen. Die sozialdemokratische Fraktion S&D würde ebenfalls verlieren, aber weniger stark: Statt auf 144 käme sie nun auf 137 Mandate. Bleibt es dabei oder holen die Sozialdemokraten gar noch weiter auf, könnte es eine der knappsten Europawahlen der letzten Jahrzehnte werden.

In den allmählich einsetzenden Vorbereitungen für den Europawahlkampf dürften diese Entwicklungen mit Interesse wahrgenommen werden. Da ist zum einen das Spitzenkandidatenverfahren, nach dem die europäischen Parteien vor der Wahl ihre Kandidaten für die Kommissionspräsidentschaft benennen. Als Favoritin für die EVP-Nominierung gilt Amtsinhaberin Ursula von der Leyen, die allerdings noch nicht ausdrücklich erklärt hat, ob sie für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht.

Weniger klar ist, wer in diesem Herbst bei den S&D-Vorwahlen antreten könnte. Als mögliche Interessenten gelten etwa Frans Timmermans, der Spitzenkandidat von 2019 und aktuell Kommissionsvizepräsident, Sanna Marin, die bei der finnischen Parlamentswahl an diesem Sonntag um ihr Amt als nationale Regierungschefin kämpft, oder auch der frühere italienische Premierminister Enrico Letta. Je enger der Abstand zwischen EVP und S&D wird, desto bedeutender wird auch die Kandidatenauswahl.

Transfers nach der Wahl wahrscheinlich

Zum anderen lenkt das knappe Rennen den Blick auf mögliche Neuzugänge nationaler Parteien: Einerseits können Fraktionen durch die Aufnahme neuer Parteien an Gewicht gewinnen, andererseits beeinflusst sie immer auch ihr politisches Profil und kann deshalb auf Widerstand stoßen. Dass die EVP etwa auf einen Beitritt der italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia (derzeit Mitglied der rechten EKR-Fraktion) hinarbeiten könnte, sorgte jüngst für viel internen Ärger.

Aber es gibt auch neue Gesichter – etwa die niederländische Bauernpartei BBB, die jüngst die nationalen Provinzwahlen gewann und 2024 wohl zum ersten Mal ins Europäische Parlament einzieht. Welcher Fraktion sie sich dann anschließen wird, ist noch unklar; die EVP wäre aber eine naheliegende Option. Im “dynamischen Szenario” der Sitzprojektion, das solche plausiblen, aber noch unsicheren Fraktionsneuzugänge mit berücksichtigt, liegt die EVP (170 Sitze) deshalb noch etwas weiter vor der S&D (141).

Hinter EVP und S&D verteidigt die liberale Fraktion Renew Europe (RE) in der Projektion ihren Platz als drittstärkste Fraktion. Im Basis-Szenario verliert sie zwar leicht (94 statt 101 Sitze), im dynamischen Szenario kann sie aber durch die Aufnahme neuer Mitgliedsparteien ihre aktuelle Stärke halten (102).

Die europäischen Grünen, die bei der Europawahl 2019 unter anderem dank der damals einsetzenden Fridays-for-Future-Bewegung von einer “grünen Welle” profitierten, fallen in der Projektion deutlich zurück. Statt derzeit 72 kämen sie im Basis-Szenario nur noch auf 42 Sitze (dynamisches Szenario: 76). Allerdings konnten die Grünen bei vergangenen Europawahlen oft im Wahlkampf noch einmal stark zulegen.

Rechtsfraktionen legen zu

Weiter steigen dürfte nach der Europawahl der Sitzanteil der Rechtsfraktionen ID und EKR, die derzeit beide über jeweils 64 Mandate verfügen. Im Basisszenario der Projektion klettern die EKR – aufgetrieben von Fratelli d’Italia – auf 78 Abgeordnete, die ID auf 68. Das dynamische Szenario berücksichtigt einen möglichen ID-Beitritt der derzeit fraktionslosen ungarischen Regierungspartei Fidesz und sieht deshalb die ID (84 Sitze) knapp vor der EKR (81). Gemeinsam kämen die Rechtsfraktionen auf fast ein Fünftel der Mandate im Parlament, so viele wie noch nie.

Leichte Zugewinne weist schließlich auch die Linksfraktion auf, die sich von aktuell 38 auf 44 Sitze  (dynamisches Szenario: 46) verbessern kann. Fallen dürfte hingegen der Anteil an fraktionslosen Abgeordneten: Im derzeitigen Parlament kommen diese – auch aufgrund diverser Parteiaustritte und -ausschlüsse im Lauf der Wahlperiode seit 2019 – auf 46 Sitze; in der Projektion sind es nur noch 38 (dynamisches Szenario: 35).

Sitzprojektion nach aggregierten nationalen Umfragen

Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Sitzprojektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Im Basis-Szenario sind alle nationalen Parteien jeweils ihrer aktuellen Fraktion (bzw. der Fraktion ihrer europäischen Dachpartei) zugeordnet; Parteien ohne eindeutige europäische Zuordnung sind als “sonstige” Parteien ausgewiesen. Das dynamische Szenario weist alle “sonstigen Parteien” jeweils einer Fraktion zu, der diese plausiblerweise beitreten könnten, und bezieht mögliche Fraktionswechsel anderer nationaler Parteien ein.

Nähere Hinweise zu Datengrundlage und Methodik der Projektion sowie eine Aufschlüsselung der Ergebnisse nach nationalen Einzelparteien finden sich auf dem Blog: Der (europäische) Föderalist.

Manuel Müller ist Senior Research Fellow am Finnish Institute of International Affairs (FIIA) in Helsinki und betreibt den Blog “Der (europäische) Föderalist”. Er hat Geschichte und Hispanistik studiert und seine Dissertation über die europäische Öffentlichkeit in der Debatte über den Vertrag von Maastricht geschrieben. Müller wird von nun an seine Projektion auf seinem Blog und bei Table.Media veröffentlichen.

  • Europäisches Parlament
  • Europawahlen 2024

Europe.Table Redaktion

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    europäische Gesetze unterliegen den Prinzipien der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Nichtdiskriminierung. Bei der Verkehrssicherheit werden diese Prinzipien hin und wieder ignoriert, denn Crashtest Dummies sind noch immer nur dem männlichen Körper nachempfunden. Mit verheerenden Folgen, wie Charlotte Wirth analysiert. Das Verletzungsrisiko nach Verkehrsunfällen ist bei Frauen teilweise um ein Vielfaches höher als bei Männern.

    Verheerende Folgen befürchten einige EU-Mitgliedstaaten auch aufgrund des deutschen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Deutschland braucht dringend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und will die Hürden für Zuwanderung senken. Doch Länder im Süden und Osten Europas fürchten, dass die eigenen Fachkräfte abgeworben werden könnten. Falk Steiner hat die Details.

    In der vergangenen Woche eröffnete EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel im Silicon Valley die ersten “Europäischen Innovationstage”, mit denen das Interesse für Europa bei US-Start-ups und Investoren geweckt werden sollte. Im Interview mit Manfred Ronzheimer erklärt sie, wie sie die EU attraktiver machen will und in welchen Bereichen sich Europa schon jetzt nicht mehr verstecken muss.

    Außerdem starten wir heute eine neue Reihe im Europe.Table. Bis zur Europawahl 2024 dauert es zwar noch, doch wir schauen ab sofort etwa alle sechs Wochen auf die Projektion zur Zusammensetzung des nächsten EU-Parlaments. Manuel Müller trägt für seine Kolumne “Wenn am Sonntag Europawahl wäre …” die Ergebnisse von Meinungsumfragen aus allen 27 Mitgliedstaaten zusammen.

    Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre und einen schönen Tag

    Ihr
    Lukas Knigge
    Bild von Lukas  Knigge

    Analyse

    Deutschlands Migrationsoffensive stößt auf Kritik

    Das Zuwanderungsrecht soll künftig stark vereinfacht werden: “Bürokratie schreddern” sei das Gebot der Stunde, verkündete Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Zwei Millionen offene Stellen seien Rekord, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Unter anderem auf der reformierten EU-Blue Card ruhen die Hoffnungen der Bundesregierung. Sie wolle “Spielräume der Richtlinie konsequent nutzen”, etwa für Zuwanderer, die “keinen Master, sondern einen Meister” hätten, so Faeser.

    Denn Deutschland braucht dringend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt – sowohl aus der EU, aus Europa und aus Drittstaaten. Etwa 400.000 neue Arbeitskräfte jährlich benötige die Bundesrepublik in den kommenden Jahren, hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ausgerechnet. Und zwar über die Zahl hinaus, die in Deutschland jedes Jahr aus eigener Kraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe.

    Vor der Coronapandemie, rechnet Hubertus Heil am Mittwoch vor, habe man etwa 315.000 Zuwanderer gezählt. Neben besserer Nachqualifizierung von Bundesbürgern, die bislang nicht Teil des Arbeitsmarkts waren, soll vor allem die Arbeitsmigration das Erreichen der notwendigen Zahlen möglich machen. Wenn die Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren massenhaft in den Ruhestand geht, muss das neue System laufen.

    Koalition will weniger Hürden für Zuwanderer

    Eine große Verbesserung für Akademiker und jene mit nachweisbarem, formalem Berufsabschluss sei die deutsche Neuregelung, sagt Panu Poutvaraa vom Münchener ifo-Institut. Wer einen Hochschulabschluss vorweisen kann, soll künftig nicht mehr an dieses Tätigkeitsfeld gebunden sein, sondern grundsätzlich jeder qualifizierten Beschäftigung nachgehen dürfen.

    Wer einen formalen Berufsabschluss hat, soll künftig erst einreisen und die Anerkennung dann nachholen dürfen. Der ifo-Arbeitsmarktökonom wünscht sich aber mehr: “Es wäre sinnvoll, zusätzlich auch Menschen mit Berufserfahrung, aber ohne formalen Nachweis darüber, die Einreise zum Zwecke der längerfristigen Arbeitsaufnahme zu ermöglichen”, findet Pana Poutvaraa. “Hierbei sollte man sich auf die Einschätzung der potenziellen Arbeitgeber verlassen.”

    Arbeitskräftemangel paneuropäisches Problem

    Allerdings herrscht auch in Ost- und Mitteleuropa teils Fachkräftemangel. Der rumänische EVP-Abgeordnete Siegfried Mureșan begrüßt das deutsche Gesetz zwar: “Wenn es richtig umgesetzt wird, könnte das Gesetz dazu beitragen, die immer noch hohe Arbeitslosigkeit unter jüngeren Fachkräften in Südeuropa abzubauen”. Er mahnt aber auch: “Fachkräfte dürfen nur da abgeworben werden, wo sie gerade am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden”. Doch darauf nimmt der deutsche Vorschlag wenig Rücksicht, angesichts der eigenen Mangelerscheinungen.

    “An vielen Stellen haben wir mittlerweile nicht nur Fachkräftemangel, sondern Arbeitskräftemangel”, sagt der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. “Diese Entwicklung gilt nicht nur für Deutschland, sondern an vielen Stellen in Europa.” Denn große Teile Europas stecken inmitten eines demografischen Wandels. Insbesondere der Süden und Osten altern rapide. Ungarn, Italien, Finnland und Estland verlieren laut Vorausberechnungen von Eurostat vor 2100 bis zu 20 Prozent ihrer heutigen Einwohnerzahl. Kroatien, Bulgarien, Rumänien und Litauen könnten demnach mehr als 30 Prozent ihrer Einwohner einbüßen. Einsam an der Spitze steht Lettland: Dort dürften bis 2100 43,7 Prozent weniger Einwohner leben, berechnet Eurostat.

    Die EU-Bürger werden zudem älter: Für Polen etwa erwartet Eurostat, dass am Ende des laufenden Jahrhunderts schon jeder sechste Einwohner über 80 Jahre alt ist, und damit heute bereits geboren. Das Reservoir für die Binnenmigration in der EU ist also in Kürze fast so leer wie die norditalienischen Wasserspeicher.

    Luxemburg stellt eigenes Vorhaben vor

    Kein Wunder, dass auch andere Mitgliedstaaten verstärkt Arbeitskräfte suchen und ebenfalls die neuen EU-Regeln dafür anwenden wollen. Luxemburgs Regierung etwa will an diesem Freitag ein Gesetz vorstellen, bei dem in definierten Mangelberufen binnen fünf Tagen eine Arbeitserlaubnis für Drittstaatsangehörige erteilt werden soll – ein Tempo, das mit der deutschen Neuregelung nicht erzielt werden wird. Luxemburg will mitgehenden Partnern zudem ebenfalls eine Arbeitserlaubnis erteilen, kündigte Arbeitsminister Georges Engel auf TableMedia-Anfrage an.

    Für den CDU-Politiker Dennis Radtke müsste das Problem daher europäisch adressiert werden. “Natürlich stehen wir auch untereinander im Wettbewerb um Arbeitskräfte, was gemeinsames Handeln deutlich beeinträchtigt”, beschreibt Radtke das Problem. Folgerichtig sei, dass die EU-Kommission das Jahr 2023 zum European Year of Skills deklariert habe.

    Unmut in Nachbarstaaten

    Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Bundesagentur für Arbeit jährlich allein 50.000 Arbeitsgenehmigungen für die Westbalkan-Staaten ausstellen. Ob Deutschland überhaupt seine Zielzahlen erreichen kann, ist aber fraglich.

    Unmut löst das Vorgehen in anderen Mitgliedstaaten dennoch aus. “Indem Berlin Fachkräfte von außerhalb der EU anlockt, löst die Bundesregierung vielleicht ein Problem für sich selbst. Sie schafft aber eines für die anderen”, sagt ein Diplomat aus einem Nachbarstaat, der sich eine bessere Koordinierung gewünscht hätte. Schließlich handele es sich bei den deutschen Visa um Schengen-Visa, die den Zugang zu Volkswirtschaften und Gesellschaften ermöglichen, in denen die Diskussion grundlegend anders verlaufe.

    Deutschland verquickt Einwanderung und Asyl

    Denn Deutschland agiert ganz gezielt auf eigene Rechnung: Die Anwerbung von Arbeitskräften soll nur in solchen Staaten möglich sein, mit denen ein Rückführungsabkommen besteht. Damit soll der Druck vor allem auf Länder erhöht werden, die hoffen, dass Arbeitsmigranten aus ihren Ländern Geld in die Heimatländer übersenden, bislang aber kein Interesse an der Rücknahme abgelehnter Asylsuchender hatten.

    Solche Abkommen bestehen etwa mit Vietnam, Nordmazedonien, Serbien, Kasachstan, Guinea, Georgien, Algerien und Armenien. Die Bundesregierung will hier aber weitere Abkommen zeitnah erreichen. Die Bundesinnenministerin steht unter Erfolgsdruck vor den Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen, wo Nancy Faeser als Spitzenkandidatin für die SPD selbst antritt.

    Auch hier wäre anderen Mitgliedstaaten an gemeinsamen Lösungen gelegen – doch an einem wirklich gemeinsamen Vorgehen zeigten die zuständigen Fachkräfte der Bundesregierung laut Diplomatenkreisen wenig Interesse. Derzeit hakt es im Rat noch an einer gemeinsamen Positionierung zum künftigen Migrationsrecht. (mit Markus Grabitz, Till Hoppe und Charlotte Wirth)

    Crashtest Dummies: EU-Gesetze nur für Männer

    Er trägt den Namen des germanischen Gewittergottes. Thor heißt der Crashtest Dummy der neuesten Generation, der dabei helfen soll, Autos sicherer zu machen. Der Name ist bezeichnend. Bis heute müssen Fahrzeuge lediglich mit männlichen Dummies getestet werden, um in Europa zugelassen zu werden.

    Der Transport-Ausschuss des Europaparlamentes (TRAN) will dies ändern. Die Abgeordneten fordern in einer Stellungnahme zum Bericht des Frauenausschusses über die Verkehrssicherheit von Frauen, dass künftig Frauen-Dummies eingesetzt werden. “Zu lange wurden Autos, Autositze und Sicherheitsgurte für den männlichen Körper konzipiert, was für Frauen, die in Autounfälle verwickelt sind, katastrophale Folgen hat”, sagt die Grünen-Abgeordnete Tilly Metz, die den Änderungsantrag eingereicht hat. Mit der Stellungnahme fordere der TRAN die Kommission auf, neue Normen für Crashtest-Dummys zu entwickeln.

    Dass der Einsatz solcher Dummies heute noch nicht Pflicht ist, mag überraschen. Seit den 1960ern ist bekannt, dass Frauen ein deutlich höheres Verletzungsrisiko bei Verkehrsunfällen haben als Männer. Bis zu 47 Prozent bei tödlichen und lebensgefährlichen Verletzungen, schreiben die schwedischen Wissenschaftlerinnen Astrid Linder und Wanna Swedberg und berufen sich auf Studien von 1969 bis 2013. Besonders hoch ist das Risiko bei sogenannten Schleudertraumata, sprich Weichteilverletzungen des Genicks – bis zu dreimal höher als bei Männern. Aber auch Verletzungen der unteren Extremitäten und Einklemmungen kommen bei Frauen häufiger vor.

    EU setzt keine Anreize für Frauen-Dummies

    Trotz dieser Datenlage gilt per Gesetz: Als Test-Standard gilt der durchschnittliche Mann. Der dazugehörige männliche Dummy trägt den Namen “Hybrid III 50 Perzentil-Mann”. Größe: 1,75. Gewicht: 78 Kilo. Lediglich für Seitenkollisionen soll zusätzlich der weibliche “Hybrid III 5 Perzentil-Frau” zum Einsatz kommen. Und zwar als Beifahrerin, um eine kleine Person zu simulieren. Größe 1,50. Gewicht: 51 Kilo.

    Für die schwedischen Wissenschaftlerinnen Linder und Swedberg zeigt das, dass die europäische Gesetzgebung Ungleichheiten zementiert: So würden etwa die Prinzipien der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Nichtdiskriminierung der EU-Verträge nicht respektiert werden, schreiben Linder und Swedberg in ihrer Studie. “Wessen Verkehrssicherheit ist eigentlich durch die EU-Gesetze geschützt?”, fragen die Autorinnen in ihrer Schlussfolgerung.

    Die EU-Kommission räumt auf Nachfrage ein, dass zurzeit nur mit Dummies getestet wird, die einen durchschnittlichen Mann oder eine verkleinerte Version des durchschnittlichen Mannes repräsentieren. Darüber hinaus verweist sie auf eine neue Arbeitsgruppe der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (UNECE) zum gleichberechtigten Schutz der Insassinnen und Insassen.

    Tatsächlich werden die technischen Anforderungen an Fahrzeuge und damit auch die Regeln für den Einsatz von Dummies von der UNECE festgelegt. In ihren Regelungen zur Sicherheit der Insassen ist genau festgehalten, welche Tests mit welchen Dummies durchzuführen sind. Es müssen beispielsweise Frontal- und Seitenaufpralle simuliert werden. Die EU-Gesetzgebung bekräftigt die UNECE-Normen lediglich, etwa in der Rahmenrichtlinie zur Genehmigung von Fahrzeugen (Verordnung 2018/858). Bisher sehen die Regeln den Einsatz des sogenannten Hybrid III Dummies vor, der bald durch Thor abgelöst werden soll.

    Frauendummy am Mann errechnet

    Während allerdings der männliche Dummy auf den Daten der männlichen Bevölkerung beruht, ist das beim weiblichen Hybrid-Dummy nicht der Fall. In der entsprechenden Regelung 73 der UN-Wirtschaftskommission liest man dazu: Dieser Dummy “stellt das kleinste Segment der erwachsenen Bevölkerung dar und wurde aus skalierten Daten des männlichen Hybrid III abgeleitet”.

    Der Deutsche Kraftzeug-Überwachungsverein DEKRA drückt es prägnanter aus. Der Hybrid III-Frau sei “mehr oder weniger eine geschrumpfte Version” des männlichen Dummies. “Er würde heute bezüglich Größe und Gewicht eher ein 12- bis 14-jähriges Mädchen repräsentieren als eine erwachsene Frau.” Beim Thor-Modell ist der Frauen-Dummy tatsächlich dem Frauenkörper nachempfunden, doch auch dieser wird nicht die durchschnittliche Frau, sondern eine sehr kleine Insassin, repräsentieren.

    Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gehen über Größe und Gewicht hinaus. “Die Anatomie ist unterschiedlich. Von außen wirkende Kräfte und Beschleunigungen sind sicher bei Frauen ausgeprägter als bei Männern”, sagt Gabriele Kaczmarczyk vom Deutschen Ärztinnenverbund. Der Torso von Frauen hat beispielsweise eine andere Form als der männliche, ihr Genick eine andere Krümmung. Form und Steife der Muskeln und Gelenke unterscheiden sich ebenso.

    Keine Nachfrage für Frauen-Dummies

    Astrid Linder hat den ersten Durchschnittsfrauen-Dummy entwickelt. Sie heißt Eva, ist 1,62 groß und wiegt 62 Kilogramm, ist aber noch nicht produktionsreif. Solange es keine Nachfrage an solchen Dummies gibt, etwa durch eine überarbeitete Gesetzgebung, wird es nicht zur Vermarktung von Eva kommen: “Erst wenn die Gesellschaft endlich nach einem weiblichen Dummy fragt, wird sie ihn bekommen”, sagt die Ingenieurin.

    Dass die Gesetzgebung weiterhin nur Tests mit männlichen Dummies verlangt, hat konkrete Folgen. Es gibt keinen Anreiz für Autobauer und Zulassungsstellen, über die Gesetzgebung hinauszugehen. Der Fahrzeughersteller Volvo etwa hat mit seiner “E.V.A”-Strategie für “Sichere Fahrzeuge für alle” eine Gender-Strategie. Dennoch bleibt dem Hersteller nichts anderes übrig, als mit verfügbaren Frauen-Dummies zu testen.

    Sogar wenn Versicherungen mehr Daten sammeln würden und Autohersteller ihre eigenen Frauen-Dummies entwickeln würden, wird dies vom Regulierungsapparat nicht berücksichtigt werden“, bedauert Astrid Linder. Dafür sei die Gesetzgebung zu rigide. Es sei, als würde die Gesellschaft sagen, “nein, wir schauen uns das nicht an, wir interessieren uns nur für den Durchschnittsmann“, beklagt die Forscherin.

    Die europäische Initiative für Verkehrssicherheit EU-NCAP, die die Sicherheit von Fahrzeugen bewertet, sagt auf Nachfrage: “Wir dürfen die Sicherheit von Fahrzeugen nicht auf so simple Vereinfachungen wie Männer und Frauen herunterbrechen.” Stattdessen müsse man das gesamte Spektrum der Menschen berücksichtigen.

    • Sicherheit
    • Verkehrspolitik

    Mariya Gabriel: “Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation”

    Mariya Gabriel ist seit 2019 EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Bildung, Kultur und Jugend.

    Frau Gabriel, das Silicon Valley gilt weltweit als der Olymp der Innovationen. Mit welchen Erwartungen kamen Sie als Europäerin nach Kalifornien? 

    Wir wollen Innovatoren und Investoren aus den USA auf die Chancen des Standorts Europa aufmerksam zu machen. Dies richtete sich sowohl an Gründer, die ein Start-up in Europa eröffnen wollen, als auch an Experten, die an einer Tätigkeit für europäische Firmen oder Wissenschaftseinrichtungen interessiert sind. Unsere Absicht ist es, Innovatoren aus dem Silicon Valley in das europäische Ökosystem für Deep-Tech-Innovation zu locken. 

    Wie haben Sie die europäische Innovationslandschaft inhaltlich präsentiert? 

    Wie von der Neuen Europäische Innovationsagenda vorgegeben, wollten wir Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation positionieren. Das stützte sich insbesondere auf die Branchen mit hohem Technologieanteil wie Bauwesen, Landwirtschaft, Ingenieurwesen, Energie und Transport. Vor Ort stellten wir fest, dass sich Europa auch in anderen Branchen, einschließlich der Luft- und Raumfahrt, bei Innovationen auf Augenhöhe mit den USA sehen lassen kann.  

    Zurück aus den USA, was sind Ihre “lessons learned”?  

    Die wichtigste Lektion ist, dass die EU und die USA gleichberechtigte Partner sind, wenn es um Innovationen im Deep-Tech-Bereich geht. Die auch darauf ausgerichtet sind, unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu lösen. Es zeigte sich, dass Europa für das Innovationsökosystem des Silicon Valley ein verlässlicher Partner auf Augenhöhe ist, wenn es um Innovationen im Hardware- wie auch im biologischen Bereich geht. Für uns ist DeepTech die neue Innovationswelle, bei der Europa eine führende Rolle einnehmen soll. 

    Bei unserem Auftreten in Silicon Valley wurden wir auch darin bestärkt, unsere Bemühungen auf die Sektoren zu konzentrieren, in denen die EU im Bereich der Deep-Tech-Innovation stärker als die Wettbewerber ist. Das sind Branchen wie Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie, um die wichtigsten zu nennen.  

    Wie geht es weiter? Welche Kooperationsplanungen haben Sie für die Zukunft?  

    Die neu gestartete EU Innovation Talent Platform wird einen klaren Weg für diejenigen aufzeigen, die nach Europa kommen wollen, um hier ihre Start-ups im Bereich Deep-Tech-Innovationen zu gründen und auszubauen. Wir gehen davon aus, dass diese Plattform zur zentralen Anlaufstelle für Innovatoren wird, die nach Europa ziehen wollen.  

    In der Planung ist auch eine weitere Mission in der Bay Area im kommenden Oktober, um die Brücken zwischen EU- und US-Ökosystemen mit bidirektionalen Bewegungen von Kapital und Talenten im Bereich der Deep-Tech-Innovation zu festigen. Die nächste Mission soll sich auf bestimmte Industriesektoren konzentrieren, in denen Europa besonders stark ist. Die Auswahl trifft die Begleitgruppe vom März zusammen mit dem “European Sounding Board for Innovation“. Außerdem überlegen wir, die europäischen Innovationsleistungen auch in anderen Regionen der USA, wie etwa in Austin in Texas zu präsentieren.

    • Digitalisierung
    • Europäische Kommission
    • Forschung

    Termine

    30.03.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
    TÜV Rheinland, Seminar ESG Reporting – Was kommt ab 2023 auf uns zu?
    Der TÜV Rheinland bringt die Teilnehmer hinsichtlich der neuen ESG-Reporting-Regelungen in Deutschland und der EU auf den neuesten Stand. INFOS & ANMELDUNG

    31.03.2023 – 15:00-16:30 Uhr
    DGAP, Discussion Can the ECB Unlock the Reallocation of SDRs?
    The German Council on Foreign Relations (DGAP) brings together a group of experts to discuss how to overcome the obstacles that prevent the rechannelling of Special Drawing Rights (SDRs) to the benefit of developing and emerging economies. INFOS & REGISTRATION

    03.04.-05.04.2023, Berlin
    EAB, Seminar SpringLab
    The European Academy Berlin (EAB) addresses the issues of adaptation to sustainable development, environmental and climate protection in Europe and the Global South. INFOS & ANMELDUNG

    03.04.2023 – 12:15-14:00 Uhr
    AI, Discussion Global Threats Series: Critical Infrastructures Under Attacks
    The Aspen Institute (AI) focuses on the vulnerability of critical infrastructure in Europe. INFOS & REGISTRATION

    03.04.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
    FNF, Diskussion Pleite von Silicon Valley Bank und Credit Suisse: Droht eine neue Finanzkrise?
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert die Bedeutung der Krise der Credit Suisse für das europäische und globale Bankensystem. INFOS & ANMELDUNG

    04.04.2023 – 18:00-19:30 Uhr, online
    HWK, Seminar Grünes Geld
    Die Handwerkskammer (HWK) geht der Frage nach, warum Banken nachhaltig wirtschaftende Kunden bevorzugen. INFOS & ANMELDUNG

    04.04.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
    EAB, Panel Discussion War in Ukraine: Re-thinking state cooperation between Europe and Africa
    The European Academy Berlin (EAB) highlights specific and urgent issues that are (still) significant for state actors one year after the outbreak of the extensive Russian war on Ukraine. INFOS & REGISTRATION

    04.04.2023 – 20:00-21:00 Uhr, online
    FNF, Vortrag Deutschland – Frankreich: Alles eitel Sonnenschein?
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert den aktuellen Stand des deutsch-französischen Verhältnisses. INFOS & ANMELDUNG

    18.04.-04.07.2023, online
    FSR, Seminar EU Green Deal course
    The Florence School of Regulation (FSR) provides an overview of the most recent developments in energy and climate policy in the EU. REGISTRATION BY 4 APRIL

    News

    Global Gateway: EU investiert in Elektrobusse in Kenia

    Die EU-Kommission will im Rahmen ihrer Alternative zu Pekings Neuer Seidenstraße rund 45 Millionen Euro in Elektrobusse in Kenia investieren. Am Rande eines Treffens von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Kenias Präsidenten William Ruto in Brüssel sei eine Absichtserklärung dazu unterschrieben worden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Insgesamt würde das Projekt “Nairobi Core Bus Rapid Transit Line 3” (BRT 3) im Rahmen von “Global Gateway” mit 347,6 Millionen Euro bezuschusst.

    Neben den 45 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt sollen demnach die Europäische Investitionsbank und die französische Entwicklungsagentur AFD das Elektrobus-Projekt in Kenia gemeinsam mit 236,3 Millionen Euro unterstützen. Die kenianische Regierung beteiligt sich mit 66,3 Millionen Euro. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sollen laut EU-Kommission zudem fachliche Unterstützung beisteuern.

    Das Projekt gehört zum Afrika-Investitionspaket von “Global Gateway”. Dieses wurde im Januar vorgestellt. Es soll nach EU-Angaben insgesamt rund 150 Milliarden Euro für grüne und digitale Projekte umfassen. Die Infrastruktur-Initiative aus Brüssel drohte zuletzt ein Rohrkrepierer zu werden: Nach großen Ankündigungen blieb die EU-Kommission die Präsentation konkreter neuer Projekte schuldig. Nun sollen sich die Brüsseler Behörde und der EU-Rat der Mitgliedsstaaten jedoch auch auf eine Liste mit neuen Vorhaben geeinigt haben, die noch 2023 angestoßen werden sollen. Das berichtete das Handelsblatt am Dienstag.

    Brüssel will mit “Global Gateway” wieder mehr internationalen Einfluss geltend machen und Chinas “Belt and Road”-Initiative kontern. ari

    • China
    • Elektromobilität
    • Global Gateway

    Russland sperrt Konten der Goethe-Institute

    Offenbar als Vergeltung wegen Ermittlungen der deutschen Behörden gegen das Russische Haus in Berlin sind die Konten der deutschen Goethe-Institute in Russland gesperrt worden. Einen entsprechenden Bericht des russischen Portals The Insider bestätigte die Zentrale der Institute in München am Mittwochabend auf Anfrage von Table.Media: “Die Bankkonten der Goethe-Institute in Russland sind auf Aufforderung der russischen Zentralbank gesperrt worden. Wir prüfen derzeit die Situation und arbeiten mit Hochdruck an einer raschen Lösung, damit Sprachkurs- und Prüfungsteilnehmer*innen weiterhin unsere Angebote wahrnehmen können. Die Einschreibungen für das bald startende Trimester laufen weiter.”

    Das Goethe-Institut hat in Russland Standorte in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk. Bis zum Kriegsbeginn waren laut Jahresbericht des Instituts rund 200 Mitarbeiter in diesen Filialen tätig.

    Im Januar nahmen deutsche Ermittler das Russische Haus in Berlin ins Visier. Hintergrund ist die russische Agentur “Rossotrudnitschestwo”, gegen die die EU Sanktionen verhängt hat. Laut dem Leiter des Russischen Hauses, Pawel Iswolski, gebe es Schwierigkeiten in finanziellen Bereichen. Gesperrte Konten wollte er in einem Interview mit der “Moskauer Deutsche Zeitung” aber nicht bestätigen. Die Agentur “Rossotrudnitschestwo” steht im Verdacht, Kreml-Propaganda zu fördern.

    Die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte bereits Ende Januar “Maßnahmen als Antwort” angekündigt, sollte Deutschland die Beschränkungen der Tätigkeiten des Russischen Haus in Berlin nicht beenden. vf

    • Sanktionen

    Saubere Luft: Viele Abgeordnete wollen WHO-Richtwerte umsetzen

    Bei der Luftreinhaltungsrichtlinie zeichnet sich im Europaparlament die Forderung ab, die WHO-Richtwerte bis 2030 eins zu eins als verbindliche Grenzwerte festzuschreiben. Dafür setzen sich der Berichterstatter Javi López (S&D) sowie die Schattenberichterstatter von Renew und Grünen ein. EVP-Schattenberichterstatter Norbert Lins (CDU) fordert dagegen, dass bis zum Jahr 2035 lediglich eine Annäherung an die WHO-Richtwerte stattfindet.

    Mehrere Verschärfungen des Kommissionsvorschlags, die López anregt, möchte Lins streichen. Zudem setzt sich Lins für höhere Grenzwerte bei Stickstoffdioxid und Feinpartikel ein. Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen ist bereits abgelaufen. mgr

    • Klima & Umwelt
    • Luftqualität

    Flächenstilllegung: Verlängerung der Ausnahmen gefordert

    Die Fruchtwechsel- und Stilllegungsverpflichtung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sollten wegen des Ukrainekriegs auch in den Jahren 2024 und 2025 ausgesetzt werden. Das fordern die CDU/CSU-Abgeordneten aus Bundestag und Europaparlament sowie Christdemokraten aus Österreich und Italien von der EU-Kommission. Laut GAP müssen eigentlich jedes Jahr vier Prozent der Ackerfläche brach liegen. Wegen des Ukrainekriegs und der Verknappung von Nahrungsmitteln hatte die Kommission 2023 die Stilllegungsverpflichtung ausgesetzt.

    In dem Schreiben vom Vorsitzenden des Agrarausschusses, Norbert Lins (CDU), an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt es: Die Ukraine werde wegen des anhaltenden Krieges ihre Weizenproduktion weiter reduzieren. Und weiter zur Lage in Europa: “Meteorologen befürchten einen weiteren katastrophalen Dürresommer und damit Ernteausfälle für Südeuropa wie im Jahr 2022.” Durch die erneute Aussetzung könne die Kommission zur Linderung der Situation beitragen, so Lins. mgr

    • Klima & Umwelt
    • Landwirtschaft

    Katar-Flüge: Generaldirektor Hololei räumt Posten

    Der wegen Flügen in den Golfstaat Katar unter Druck stehende Generaldirektor für Verkehr in der Kommission, Henrik Hololei, räumt seinen Posten. Hololei hatte kostenlose Flüge mit Qatar Airways in Anspruch genommen, während seine Abteilung ein Luftverkehrsabkommen mit dem Golfstaat ausgehandelt hat. Dies wurde bekannt, nachdem der Korruptionsverdacht um die damalige Vize-Präsidentin des Europaparlaments Eva Kaili sowie mehrere sozialistische Abgeordnete und Menschenrechts-NGOs öffentlich wurde.

    Hololei nimmt für sich in Anspruch, nicht gegen die kommissionsinternen Regeln für Dienstreisen verstoßen zu haben, da seine Reisen offiziell genehmigt wurden. Allerdings war der Generaldirektor für die Genehmigung seiner eigenen Dienstreisen selbst zuständig, weshalb Kritik an dem Vorgang laut wurde. Der ranghohe Kommissionsbeamte wurde jetzt auf eigenen Wunsch abberufen und wechselt ab April als Berater zur Generaldirektion für internationale Partnerschaft. mgr

    • Europäische Kommission
    • Katar
    • Korruption

    Spaniens Ratspräsidentschaft: Terminkalender steht

    Spanien übernimmt in der zweiten Jahreshälfte den rotierenden Vorsitz im Rat der EU von Schweden. Die aktuelle Terminplanung der Regierung in Madrid sieht unter anderem informelle Umwelt- und Energieräte am 11., 12. und 13. Juli vor, wie ein Kalender zeigt, den Contexte veröffentlichte. Für den 24. und 25. Juli ist ein informelles Treffen der Minister für Wettbewerbsfähigkeit vorgesehen.

    Nach der Sommerpause geht es Ende August mit dem informellen Treffen der Außen- und Verteidigungsminister weiter. Das informelle Treffen der Finanzminister ist für den 15 und 16. September geplant. tho

    • Europapolitik

    Presseschau

    Gerichtshof für Menschenrechte: Erstmals über Klimaklagen gegen die Schweiz und Frankreich verhandelt FAZ
    Internationaler Gerichtshof soll staatliche Pflichten für Klimaschutz begutachten DW
    Italian plan to ban lab-grown food criticised as misguided THEGUARDIAN
    Besuch von Charles in Berlin: Ein Bekenntnis zu Europa FAZ
    EU plant Anhaltelager für Flüchtlinge an Außengrenzen KURIER
    US Urges EU to Sanction Chinese Satellite Firm Over Russia Aid BNNBLOOMBERG
    Taktische Nuklearwaffen: Was Putins Raketenpläne für Europa bedeuten SUEDDEUTSCHE
    East Europe governments urge tech firms to fight disinformation REUTERS
    “Weckruf für die Wirtschaft”: Bundesregierung will vier Milliarden Euro in die Ökosysteme investieren HANDELSBLATT
    Israeli tensions spill over into Berlin at summit of European Jewish leaders TIMESOFISRAEL
    EU-Spitzenbeamter Hololei tritt nach Dienstreisen-Affäre zurück EURONEWS
    EU-Kommission will Gesellschaftsrecht digitaler gestalten PRESSE-AUGSBURG
    Schweden top bei Windenergie. Hinken andere EU-Länder hinterher? EURONEWS
    Werbung mit Umweltversprechen: EU-Richtlinie soll Greenwashing verhindern BR
    Verbände kritisieren EU-Insolvenzrecht BOERSEN-ZEITUNG
    Flugbranche geht auf EU-Kommission los BOERSEN-ZEITUNG
    EU-Kommission: Europa hinkt bei Digitalkompetenz hinterher EURACTIV
    “Very precarious” The European countries facing another year of drought EURONEWS
    EU-Geld-Verschwendung: Ungarischer Bürgermeister baut Baumkronenpfad auf seinem Feld N-TV
    Slowenien will Energiekooperation mit Kroatien ausbauen EURACTIV

    Kolumne

    “Wenn am Sonntag Europawahl wäre …”

    Von Manuel Müller
    Manuel Müller erstellt die Sitzprojektion zur Europawahl.

    Rund vierzehn Monate vor der Europawahl 2024 zeichnet sich in den Umfragen ein spannendes Rennen ab. Nach einer aktuellen Projektion käme die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei (EVP) derzeit nur noch auf 162 Abgeordnete und würde damit deutlich unter ihren Stand von 176 Sitzen im aktuellen Parlament zurückfallen. Die sozialdemokratische Fraktion S&D würde ebenfalls verlieren, aber weniger stark: Statt auf 144 käme sie nun auf 137 Mandate. Bleibt es dabei oder holen die Sozialdemokraten gar noch weiter auf, könnte es eine der knappsten Europawahlen der letzten Jahrzehnte werden.

    In den allmählich einsetzenden Vorbereitungen für den Europawahlkampf dürften diese Entwicklungen mit Interesse wahrgenommen werden. Da ist zum einen das Spitzenkandidatenverfahren, nach dem die europäischen Parteien vor der Wahl ihre Kandidaten für die Kommissionspräsidentschaft benennen. Als Favoritin für die EVP-Nominierung gilt Amtsinhaberin Ursula von der Leyen, die allerdings noch nicht ausdrücklich erklärt hat, ob sie für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht.

    Weniger klar ist, wer in diesem Herbst bei den S&D-Vorwahlen antreten könnte. Als mögliche Interessenten gelten etwa Frans Timmermans, der Spitzenkandidat von 2019 und aktuell Kommissionsvizepräsident, Sanna Marin, die bei der finnischen Parlamentswahl an diesem Sonntag um ihr Amt als nationale Regierungschefin kämpft, oder auch der frühere italienische Premierminister Enrico Letta. Je enger der Abstand zwischen EVP und S&D wird, desto bedeutender wird auch die Kandidatenauswahl.

    Transfers nach der Wahl wahrscheinlich

    Zum anderen lenkt das knappe Rennen den Blick auf mögliche Neuzugänge nationaler Parteien: Einerseits können Fraktionen durch die Aufnahme neuer Parteien an Gewicht gewinnen, andererseits beeinflusst sie immer auch ihr politisches Profil und kann deshalb auf Widerstand stoßen. Dass die EVP etwa auf einen Beitritt der italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia (derzeit Mitglied der rechten EKR-Fraktion) hinarbeiten könnte, sorgte jüngst für viel internen Ärger.

    Aber es gibt auch neue Gesichter – etwa die niederländische Bauernpartei BBB, die jüngst die nationalen Provinzwahlen gewann und 2024 wohl zum ersten Mal ins Europäische Parlament einzieht. Welcher Fraktion sie sich dann anschließen wird, ist noch unklar; die EVP wäre aber eine naheliegende Option. Im “dynamischen Szenario” der Sitzprojektion, das solche plausiblen, aber noch unsicheren Fraktionsneuzugänge mit berücksichtigt, liegt die EVP (170 Sitze) deshalb noch etwas weiter vor der S&D (141).

    Hinter EVP und S&D verteidigt die liberale Fraktion Renew Europe (RE) in der Projektion ihren Platz als drittstärkste Fraktion. Im Basis-Szenario verliert sie zwar leicht (94 statt 101 Sitze), im dynamischen Szenario kann sie aber durch die Aufnahme neuer Mitgliedsparteien ihre aktuelle Stärke halten (102).

    Die europäischen Grünen, die bei der Europawahl 2019 unter anderem dank der damals einsetzenden Fridays-for-Future-Bewegung von einer “grünen Welle” profitierten, fallen in der Projektion deutlich zurück. Statt derzeit 72 kämen sie im Basis-Szenario nur noch auf 42 Sitze (dynamisches Szenario: 76). Allerdings konnten die Grünen bei vergangenen Europawahlen oft im Wahlkampf noch einmal stark zulegen.

    Rechtsfraktionen legen zu

    Weiter steigen dürfte nach der Europawahl der Sitzanteil der Rechtsfraktionen ID und EKR, die derzeit beide über jeweils 64 Mandate verfügen. Im Basisszenario der Projektion klettern die EKR – aufgetrieben von Fratelli d’Italia – auf 78 Abgeordnete, die ID auf 68. Das dynamische Szenario berücksichtigt einen möglichen ID-Beitritt der derzeit fraktionslosen ungarischen Regierungspartei Fidesz und sieht deshalb die ID (84 Sitze) knapp vor der EKR (81). Gemeinsam kämen die Rechtsfraktionen auf fast ein Fünftel der Mandate im Parlament, so viele wie noch nie.

    Leichte Zugewinne weist schließlich auch die Linksfraktion auf, die sich von aktuell 38 auf 44 Sitze  (dynamisches Szenario: 46) verbessern kann. Fallen dürfte hingegen der Anteil an fraktionslosen Abgeordneten: Im derzeitigen Parlament kommen diese – auch aufgrund diverser Parteiaustritte und -ausschlüsse im Lauf der Wahlperiode seit 2019 – auf 46 Sitze; in der Projektion sind es nur noch 38 (dynamisches Szenario: 35).

    Sitzprojektion nach aggregierten nationalen Umfragen

    Da es keine gesamteuropäischen Wahlumfragen gibt, basiert die Sitzprojektion auf aggregierten nationalen Umfragen und Wahlergebnissen aus allen Mitgliedstaaten. Im Basis-Szenario sind alle nationalen Parteien jeweils ihrer aktuellen Fraktion (bzw. der Fraktion ihrer europäischen Dachpartei) zugeordnet; Parteien ohne eindeutige europäische Zuordnung sind als “sonstige” Parteien ausgewiesen. Das dynamische Szenario weist alle “sonstigen Parteien” jeweils einer Fraktion zu, der diese plausiblerweise beitreten könnten, und bezieht mögliche Fraktionswechsel anderer nationaler Parteien ein.

    Nähere Hinweise zu Datengrundlage und Methodik der Projektion sowie eine Aufschlüsselung der Ergebnisse nach nationalen Einzelparteien finden sich auf dem Blog: Der (europäische) Föderalist.

    Manuel Müller ist Senior Research Fellow am Finnish Institute of International Affairs (FIIA) in Helsinki und betreibt den Blog “Der (europäische) Föderalist”. Er hat Geschichte und Hispanistik studiert und seine Dissertation über die europäische Öffentlichkeit in der Debatte über den Vertrag von Maastricht geschrieben. Müller wird von nun an seine Projektion auf seinem Blog und bei Table.Media veröffentlichen.

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