Table.Briefing: Europe

COP15: Ein ehrgeiziger Plan + EU-Kommission drängt auf Anleihemarkt + EU einigt sich auf Gaspreisdeckel

  • COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart
  • EU-Kommission kündigt neue Fundingstrategie an
  • Einigung beim Energie-Rat unter Erwartung der Kommission
  • Termine
  • Gaspreisdeckel beschlossen
  • Habeck und Le Maire wollen Inflation Reduction Act kontern
  • Kartelluntersuchung: Kommission will Antworten von Meta
  • Chemikalienstrategie: Kommission legt Überarbeitung der CLP-Verordnung vor
  • Standpunkt: Kernfusion – den Durchbruch, den Europa hätte schaffen müssen
Liebe Leserin, lieber Leser,

auf ein äußerst ambitioniertes Naturschutzabkommen haben sich die Regierungen von 196 Staaten am Montag in Montreal geeinigt. Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen, sollen bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Das ist die größte Verpflichtung zum Schutz von Lebensräumen, die die Staatengemeinschaft jemals eingegangen ist. Timo Landenberger hat sich das ehrgeizige Vorhaben genauer angeschaut.

In relativ kurzer Zeit ist die EU-Kommission zu einem bedeutenden Akteur auf dem Anleihemarkt geworden. Hatte sie im Zeitraum zwischen 2009 und 2019 gerade einmal 69 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen, ist sie mittlerweile in komplett neuen Dimensionen vorgerückt und der fünftgrößte Emittent in Europa. Allein für die erste Hälfte 2023 kündigt die EU-Kommission Anleihen im Wert von 80 Milliarden Euro an, berichtet Christof Roche.

Geeinigt haben sich am Montag nach monatelangem Streit die EU-Minister auf den europäischen Gaspreisdeckel. Der deutschen Regierung ist die Zustimmung nicht leicht gefallen: Von diesem Instrument überzeugt ist sie nach wie vor nicht und möchte ihre Zustimmung als Zeichen der “Solidarität” (Robert Habeck) verstanden wissen. Wie die Einigung aussieht, lesen Sie in der News von Manuel Berkel.

Ihr
Matthias Wulff
Bild von Matthias  Wulff

Analyse

COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart

Plötzlich ging es ganz schnell auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montreal: Nachdem die Verhandlungsparteien fast zwei Wochen lang in entscheidenden Fragen kaum Fortschritte erzielen konnten, legte die chinesische Ratspräsidentschaft kurzerhand einen Entwurf auf den Tisch, der für überraschend viel Zuspruch sorgte. Eine Nachtsitzung später fiel am Montagmorgen der Hammer und ein neues, globales Abkommen zum Schutz der ökologischen Vielfalt wurde angenommen.

Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen und umzukehren, sollen demnach bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Dabei werden die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, welche für die globale Biodiversität eine zentrale Rolle spielen, ausdrücklich anerkannt und gestärkt.

Schon das ist mehr, als viele nur Stunden zuvor erwartet hätten, denn die Positionen lagen teils weit auseinander. Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius spricht von einem “historischen Dokument”. Das Abkommen sei ambitioniert, balanciert und könne zu einem “echten Gamechanger” im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust werden.

Monitoring und Messung enthalten

Zur Umsetzung der globalen Ziele sollen die Staaten bis zum Jahr 2024 nationale Strategiepläne entwickeln. Auch Mechanismen zu Monitoring und zur vergleichbaren Messung der Fortschritte sind vorgesehen. Einige Länder befürchten einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand bei der Erhebung der Daten und sollen deshalb bei der Umsetzung unterstützt werden. Doch auch europäische Kommunen warnen bereits vor der zu erwartenden Bürokratiewelle.

Eine Bewirtschaftung soll auf den geschützten Flächen weiterhin möglich sein. Mit ihrer Forderung, einen Teil davon “unter besonders strengen Schutz” zu stellen (wie in der EU-Biodiversitätsstrategie vorgesehen) konnte sich die EU nicht durchsetzen.

Daneben sieht das Abkommen vor, auf 30 Prozent der “degradierten Flächen” Renaturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Das entspricht den Plänen der EU im Renaturierungsgesetz. Allerdings hatte sich die Staatengemeinschaft erfolglos dafür eingesetzt, klare Flächenangaben von drei Milliarden Hektar an Land und auf dem Meer zu verankern. Außerdem fehle es an einer einheitlichen Definition von “degradiert”, kritisieren Umweltschützer.

Schädliche Subventionen abbauen

Die große Streitfrage nach der Finanzierung konnte zumindest teilweise gelöst werden. Das Abkommen benennt eine Umwelt-Finanzierungslücke in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar und sieht die Mobilisierung von 200 Milliarden sowie den Abbau von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Diese übersteigen die Umweltfinanzierung bislang um ein Vielfaches, was grotesk sei, sagt WWF-Biodiversitätsexperte Florian Tietze, der von einem zwar “lückenhaften, aber letztlich überraschend guten Rahmenwerk” spricht.

80 Prozent der artenreichsten Ökosysteme befinden sich in Ländern des globalen Südens. Zur finanziellen Unterstützung dieser Staaten sollen von den Industrieländern bis 2025 jährlich 20 Milliarden und bis 2030 jährlich 30 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht in etwa einer Verdreifachung der bislang zugesagten Summe.

Etliche Entwicklungsländer hatten allerdings mindestens 100 Milliarden jährlich gefordert, ebenso wie die Einrichtung eines neuen Fonds zur Abwicklung. Bestehende Instrumente, wie die Global Environment Facility, seien zu komplex. Es könne Jahre dauern, bis die beantragten Gelder bewilligt würden, hieß es. Noch viel länger würde es jedoch dauern, einen neuen Fonds aufzulegen, entgegnete Umweltkommissar Sinkevičius. Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und wurde vertagt.

Klar ist hingegen: Auch die Privatwirtschaft soll auf die Biodiversität ausgerichtet werden. Das Abkommen sieht vor, dass vor allem große und international agierende Unternehmen und Finanzinstitute die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Biodiversität erfassen, offenlegen und bewerten. Berichtspflichten, wie sie von knapp 400 Konzernen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gefordert wurden, sind hingegen nicht vorgesehen.  

Risiko durch Pestizide halbieren

Auch die Umweltverschmutzung wird durch das Abkommen adressiert. Insbesondere Plastikmüll und Nährstoffeinträge sollen verringert, das Umweltrisiko durch Pestizideinsatz halbiert werden. Ziele zu ökologischer Landwirtschaft, wie von der EU gefordert, haben es nicht ins Abkommen geschafft – für Umweltschützer ein besonders wunder Punkt. Immerhin seien 70 Prozent des Verlusts der ökologischen Vielfalt auf den Agrarbereich zurückzuführen, so der WWF.

Die vorgesehene Halbierung schädlicher Pflanzenschutzmittel ist bemerkenswert. Zahlreiche Länder, darunter Indien, hatten sich stark dagegen gewehrt und befürchten massive Ertragseinbußen bei der Nahrungsmittelproduktion. Aus demselben Grund will der EU-Agrarrat die geplante Pestizide-Verordnung in Europa aufschieben. Das Ziel könne also auch in Richtung Brüssel eine Signalwirkung entfalten, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich mit dem Abkommen zufrieden zeigt. Die Abschlusserklärung strahle große Entschlossenheit aus.

Ihr Zustandekommen hatte am Montagmorgen in Montreal allerdings für Aufregung gesorgt. Chinas Umweltminister und COP-Präsident Huang Runqiu erklärte die Vereinbarung für angenommen, nur wenige Minuten nachdem der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo seine klare Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatte. Kongo verurteilte das Vorgehen, andere afrikanische Staaten schlossen sich an.

  • Biodiversität
  • Klima & Umwelt
  • Naturschutz

EU-Kommission kündigt neue Fundingstrategie an

Die Europäische Kommission richtet mit Beginn des kommenden Jahres ihren Auftritt am Kapitalmarkt neu aus. “Wir werden 2023 auf eine einheitliche Fundingstrategie umsteigen: Es wird künftig keine Anleihen mehr getrennt nach einzelnen Programmen geben, sondern nur noch EU-Bonds”, sagte Siegfried Ruhl, Hors Classe Adviser für die Kapitalmarktabteilung der Brüsseler Behörde, im Gespräch mit Europe.Table. In der Vergangenheit hatte die Kommission die Anleihen unter den verschiedenen Programmen wie NextGenerationEU (NGEU) oder SURE aufgelegt. Bei grünen Anleihen wird es hingegen eine eigene Kennzeichnung und somit Unterscheidung zu den konventionellen EU-Bonds weiterhin geben. “Für die Investoren in Green Bonds ist es wichtig, dass sie transparent nachvollziehen können, in welche nachhaltigen Projekte ihre Gelder geflossen sind. Es bleibt auch bei unserer Verpflichtung, 30 Prozent von NGEU durch die Emission grüner Anleihen zu finanzieren.”

Die EU-Kommission ist mit den Mehrjahresprogrammen NGEU (806,9 Milliarden Euro), SURE (100 Milliarden Euro) und der Finanzhilfe an die Ukraine mittlerweile zum fünftgrößten Emittenten in Europa aufgestiegen “Wir haben in diesem Jahr knapp 120 Milliarden Euro aufgenommen. Davon entfielen 100 Milliarden auf NGEU, weitere 8,7 Milliarden auf SURE sowie 7,2 Milliarden auf die Ukraine und 2,2 Milliarden auf Anschlussfinanzierungen für den EFSM, eine Finanzhilfe, die noch aus Zeiten der Eurokrise stammt”, erläutert Ruhl. In der ersten Hälfte des kommenden Jahres sind 80 Milliarden avisiert, davon etwa 70 Milliarden für NGEU und zehn Milliarden für die Ukraine. Für SURE werden keine Bonds mehr begeben, da das Programm im Dezember 2022 ausläuft. Laut Ruhl wurden von den vorgegebenen 100 Milliarden Euro 98,4 Milliarden Euro ausgeschöpft.

“65 Prozent der Anleger haben ihren Sitz in der EU”

Die Kommission kann sich für den Verkauf ihrer Anleihen auf eine starke heimische Investorenbasis verlassen. “65 Prozent der Anleger haben ihren Sitz in der EU – und rechnet man noch Großbritannien hinzu, sind es 90 Prozent”, hebt Ruhl hervor. Zehn Prozent der Investoren kamen von außerhalb Europas, davon waren knapp sechs Prozent asiatische Anleger. Die stark auf die EU ausgerichtete Investorenbasis geht laut Ruhl auf die Zeit zurück, als die Kommission noch ein vergleichsweise kleiner Emittent war. Im Zeitraum 2009 bis 2019 habe die Kommission gerade mal 69 Milliarden Euro begeben.

Ruhl, der vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Kommission kam, um die Fundingabteilung auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten, erinnert sich: “Wir haben im Dezember 2020 angefangen, und im Juni 2021 die erste Anleihe unter NGEU begeben. Da haben wir auf einen Schlag 20 Milliarden Euro aufgenommen, das war die größte, jemals an institutionelle Investoren begebene Anleihe.” Dass die Kommission dies mit einem Team von nur rund 25 Mitgliedern in der Rekordzeit von gerade mal sechs Monaten stemmen konnte, war nur möglich, da sie von der Europäischen Investitionsbank, dem ESM und den Mitgliedstaaten Spitzenkräfte an die Seite bekam. “Ohne die externe Hilfe hätten wir das niemals geschafft.”

“In diesem Jahr ist der Markt generell schwieriger”

Ruhl zufolge gab es danach noch weitere Emissionsrekorde, so war die erste grüne Anleihe im Oktober 2021 “mit zwölf Milliarden Euro die größte jemals begebene grüne Anleihe weltweit – mit einem Orderbuch von mehr als 135 Milliarden Euro”. Für die hohe Nachfrage macht er neben der Kreditwürdigkeit der EU – die Anleihen haben die Topbonität AAA – auch das allgemeine Marktumfeld bis Ende 2021 verantwortlich. In diesem Jahr sei der Markt aufgrund der hohen Inflationsraten, der gestiegenen Zinsen und dem Ende der Netto-Käufe der EZB generell schwieriger geworden. Dies habe dazu geführt, dass die Überzeichnungen weniger geworden und die Emissionsprämien gestiegen seien. “Wir stehen aber nach wie vor sehr gut da. Unsere letzte Emission für SURE in diesem Dezember war knapp fünffach überzeichnet und eine kleinere Anleihe für die Ukraine 20fach.”

Laut Ruhl will die EU mit der neuen Fundingstrategie die Investorenbasis für die EU-Bonds in den kommenden Jahren zu verbreitern. “Die EU wird am Markt noch von vielen als klassischer supranationaler Emittent im SSA-Segment wahrgenommen. Das wollen wir ändern und die EU-Bonds mithilfe der neuen Fundingstrategie stärker an das Segment der Staatsanleihen heranbringen.” Nach Ruhls Angaben decken die bislang unter NGEU aufgelegten Anleihen bereits die gesamte Kurve von drei bis 30 Jahren ab. Außerdem gibt es zur Liquiditätssteuerung ein Bill-Programm von Drei- und Sechsmonatspapieren. Bonds und Bills werden teilweise bereits neben der Syndizierung durch ausgewählte Banken auch durch Auktionen aufgelegt, so wie dies bei souveränen Staaten vorherrschend ist.

“Wir haben im September 2021 für NGEU-Bonds eine erste Auktion durchgeführt, das war für den Markt komplett neu.” Den Vertrieb über Auktionen habe die Kommission dann sukzessive erweitert. Für das erste Halbjahr 2023 sind laut Ruhl acht Auktionen und sieben Syndikatsfenster avisiert. “Wir werden im Laufe von 2023 zudem ein Konzept umsetzen, um mithilfe unserer Primary Dealer die bereits gute Liquidität am Sekundärmarkt noch weiter zu erhöhen”, so der Marktexperte. Das Ziel der Kommission sei es, den Markt besonders für nachhaltige Anleihen sowie für Papiere, die auf die Finanzierung sozialer Belange ausgerichtet sind, zu stärken. “Mit dem SURE-Programm, welches Arbeitslosigkeit infolge der Pandemie bekämpfte, hat die EU bereits weltweit die führende Rolle bei Sozialbonds eingenommen“, führt Ruhl aus. Auch bei den Green Bonds sei die Behörde im laufenden Jahr mit Blick auf das Emissionsvolumen global der größte Akteur gewesen.

In den kommenden ein bis zwei Jahren wolle die Behörde die führende Position auch mit Blick auf ausstehende grüne Anleihen erreichen. Die Strategie der Kommission ziele darauf ab, “die führende Stellung des europäischen Kapitalmarktes, der den Markt der Green Bonds sehr früh entdeckt hat, weiter zu festigen.”

  • Emissionen
  • Europäische Kommission
  • Finanzen

Einigung beim Energie-Rat unter Erwartung der Kommission

Bis 2030 sollen 40 Prozent der gewonnenen Energie in der EU erneuerbar sein – und nicht 45 Prozent, wie es die Europäische Kommission vorgeschlagen hatte, als sie im Mai die Erhöhung der Ziele im Rahmen des REPowerEU-Plans vorstellte. Europa bezieht derzeit etwas mehr als 22 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energien. “Die Europäische Kommission war viel ehrgeiziger, aber alle mussten Kompromisse eingehen, auch die Europäische Kommission”, sagte Kadri Simson, die EU-Kommissarin für Energie, vor Journalisten in Brüssel.

Nur neun Mitgliedsstaaten hatten sich dafür ausgesprochen, das Ziel für erneuerbare Energien auf 45 Prozent zu erhöhen, darunter Deutschland, Dänemark und Luxemburg. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, die Niederlande und Irland, zogen es vor, bei dem von der tschechischen Ratspräsidentschaft im vergangenen Juni vorgeschlagenen Ziel von 40 Prozent zu bleiben.

Die Mitgliedstaaten haben sich auch darauf geeinigt, spezielle “Go-to-Areas” für erneuerbare Energien mit verkürzten und vereinfachten Genehmigungsverfahren in Gebieten mit geringeren Umweltrisiken einzurichten. Dieser Beschluss schließt sich der gerade erst vom Europäischen Parlament verabschiedeten Vereinbarung an, wo auch die Europäische Kommission sich wegen der damit verbundenen Lockerung der Umweltregeln geäußert hatte.

Verbindliche Regulierung der Methanemissionen

Die EU-Energieminister haben sich auch auf eine Methanverordnung zur Bekämpfung von Leckagen geeinigt, die ebenfalls weniger ehrgeizig ist als die von der Europäischen Kommission vorgelegten Pläne. Die Kommission warnte, dass die EU bei der Kontrolle von Methanemissionen hinter ihren Partnern zurückbleiben werde.

“Der allgemeine Ansatz birgt die Gefahr, dass wir bei der Kontrolle der Methanemissionen hinter viele unserer Energiepartner zurückfallen”, warnte die EU-Energiebeauftragte Kadri Simson die Minister. Sie forderte die EU-Länder auf, bei den anstehenden Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament Flexibilität zu zeigen. De facto ebnet diese Einigung den Weg für den Trilog, bei dem die Ausschüsse ITRE und ENVI im Februar 2023 über den Vorschlag abstimmen sollen.

Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr Rechtsvorschriften vorgeschlagen, die Öl- und Gasunternehmen in der EU zu verpflichten, undichte Infrastrukturen, aus denen Methan entweichen kann, zu finden und zu reparieren. Die Kontrollen sollen alle drei Monate stattfinden und sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung beginnen.

Die EU-Länder wollen jedoch die erste Überprüfung auf 12 Monate verschieben und dann für die verschiedenen Arten von Infrastrukturen unterschiedliche – in einigen Fällen weniger häufige – Zeitpläne festlegen. So sollen beispielsweise Flüssiggasterminals, die für Deutschland strategische Bedeutung erlangt haben, alle sechs Monate, Ventilstationen alle 12 Monate und Fernleitungen alle zwei Jahre überprüft werden.

Die Verordnung sieht auch vor, dass die Methanemissionen aus EU-Energieimporten verfolgt werden müssen. Deutschland fügte erfolgreich eine Bestimmung hinzu, die die Europäische Kommission auffordert, die Auswirkungen einer Ausweitung der Verordnung auf Länder, die in die EU exportieren, im Rahmen der nächsten Überarbeitung des Gesetzes zu prüfen. “Das ist für den Klimaschutz sehr wichtig, denn das Thema Leckage gibt es auch bei Importen”, erklärte Sven Giegold, der deutsche Staatssekretär, der an dem Ministertreffen teilnahm.

Die erzielte Einigung über Methan geht dessen Hauptproblem an: die Lecks. Die Herausforderung besteht also darin, sie zu lokalisieren, ihre Größenordnung zu bestimmen und somit Maßnahmen zu ergreifen, um darauf zu reagieren. Aus diesem Grund wurde die Einigung um die sogenannten MRV-Prozesse für “monitoring, reporting and verifying” (Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung) geschlossen.

In seinem Dokument erinnert der Rat daran, dass Methan, der Hauptbestandteil des Gases, für etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Damit ist es nach Kohlendioxid das klimaschädlichste Gas: Methan hat in den ersten 20 Jahren, nachdem es in die Atmosphäre gelangt ist, eine mehr als 80-mal höhere Erwärmungsleistung als CO₂.

  • Energie
  • Energieeffizienz
  • Energiepolitik
  • Methan

Termine

21.12.2022 – 14:00 Uhr, Berlin
GdW, Pressekonferenz Wohnungswirtschaft übernimmt gesellschaftliche Verantwortung: sozial, ökonomisch und ökologisch
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) widmet sich den genauen Anforderungen, die ab 2025 im Bereich der Taxonomie für die Wohnungswirtschaft relevant sind. ANMELDUNG VIA E-MAIL

21.12.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Ressourcen für die Zukunft: Nachhaltige Rohstoffgovernance in Afrika
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen der strategischen Bedeutung des Rohstoffs Sand und den negativen Folgen seines Abbaus für lokale Ökosysteme in Afrika. INFOS & ANMELDUNG

22.12.2022 – 08:00-12:30 Uhr, Garlstedt
KAS, Seminar Die Russland-Politik der EU, NATO und USA: Die Diskussionen über das strategische Gleichgewicht, Abschreckungspolitik und Zusammenarbeit
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit dem Konflikt zwischen der werteorientierten Außenpolitik des Westens und der Machtpolitik autoritärer Regime auseinander. INFOS & ANMELDUNG

News

Gaspreisdeckel beschlossen

Der EU-weite Preisdeckel für Gas wird ab 15. Februar 2023 grundsätzlich aktiviert werden können. Gestern beschlossen die Energieminister in Brüssel nach monatelangen Verhandlungen die Verordnung zum Marktkorrekturmechanismus (MCM).

Aktiviert wird der Preisdeckel, wenn der TTF für den Frontmonat drei Werktage lang über 180 Euro pro Megawattstunde liegt und an denselben Tagen 35 Euro über einem LNG-Referenzpreis. Auch die Höhe des “dynamischen” Preisdeckels beträgt 35 Euro über dem Referenzpreis, wie aus einer Mitteilung des Rates hervorgeht.

Höchstpreis gilt zunächst nicht nur für TTF

Anders als von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen gilt der Höchstpreis nicht nur für den niederländischen TTF, sondern für alle virtuellen Handelspunkte in der EU. Befürworter des Deckels hatten befürchtet, dass LNG sonst nur noch in andere europäische Regionen als Nordwesteuropa geliefert werden könnte. Bis Ende März soll die Kommission allerdings entscheiden, ob andere Handelspunkte doch wieder vom Mechanismus ausgenommen werden.

Gelten wird der MCM wie von Europe.Table bereits berichtet für alle börsengehandelten Kontrakte mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr. Die Kommission wollte ursprünglich nur den Frontmonat einschließen.

Gasverbrauch darf um knapp 15 Prozent steigen

Die Bedingungen für das Aussetzen des Preisdeckels hat der Rat nachgeschärft. So wird der MCM unter anderem ausgesetzt, wenn der Gasverbrauch in einem Monat um 15 Prozent steigen sollte. Andere Sicherungsmaßnahmen bleiben dagegen unbestimmt, etwa eine “erhebliche” Abnahme der LNG-Importe oder des TTF-Handelsvolumens.

Auf die Sicherungsmaßnahmen hatten vor allem Deutschland, die Niederlande und Dänemark bestanden. Die Bundesregierung stimmte dem Deckel letztlich zu, im Gegenzug wurde die Notverordnung zu schnelleren Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien (RED V) doch noch einmal angepasst, um die Bedingungen für Erneuerbare weiter zu verbessern. Gegen die Verordnung zum Preisdeckel stimmte einzig Ungarn, Österreich und die Niederlande enthielten sich. Die Verordnung gilt zunächst für ein Jahr. Bis zum 1. November will die Kommission eine Evaluierung vorlegen. ber

  • Energie
  • Energiepolitik
  • Energiepreise
  • Erdgas

Habeck und Le Maire wollen Inflation Reduction Act kontern

Deutschland und Frankreich sprechen sich dafür aus, bestimmte klimafreundliche Technologien in der EU vergleichbar zu fördern wie in den USA. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und sein französischer Kollege Bruno Le Maire stellten am Montag ein gemeinsames Papier vor, das die Diskussion um die europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act Washingtons vorantreiben soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will bereits im Januar konkrete Vorschläge vorstellen.

  • Habeck und Le Maire schlagen unter anderem vor, dass die Regierungen die US-Förderung etwa bei der Produktion von Solarpaneelen, Windturbinen oder Wasserstoff matchen können. Der EU-Beihilferahmen soll dies erlauben. Beide Regierungen wollen sich eng mit der Industrie abstimmen, wie konkret dies geschehen soll – etwa über Steuervorteile oder Subventionen.
  • Beide Minister plädieren für Beihilferahmen für bestimmte Schlüsselsektoren. Diese sollen auf ex-ante Kriterien basieren und eine schnelle Förderentscheidung ermöglichen.
  • Das Prozedere für die IPCEI-Förderprogramme soll vereinfacht und die Zeit bis zur Genehmigung durch die Kommission halbiert werden. Zudem sollen nicht mehr nur hochinnovative Technologien gefördert werden können.
  • Die vorhandenen Mittel in diversen EU-Töpfen sollen gezielter auf die Förderung der klimafreundlichen Technologien ausgerichtet werden.
  • Relevante Legislativvorhaben etwa zum Ökodesign und zum Wasserstoff sollen schnell verabschiedet und ein neuer Vorstoß für die Vertiefung der Kapitalmarktunion unternommen werden.

Le Maire und Habeck wollen im Januar überdies gemeinsam nach Washington reisen, um erneut mit der US-Regierung über die Umsetzung des IRA zu sprechen. Beide Seiten verhandeln derzeit intensiv, wie weit die US-Regierung den EU-Forderungen entgegenkommt. Konkret fordern Paris und Berlin, dass:

  • die EU wie ein Partner mit Freihandelsabkommen behandelt wird,
  • europäische Firmen in den Genuss von Steuervorteilen kommen, die eigentlich US-Firmen vorbehalten sind,
  • beide Seiten transparent sind bei ihrer Förderung von grünen Technologien. tho
  • Industriepolitik
  • Inflation Reduction Act
  • Klima & Umwelt
  • Klimaschutz

Kartelluntersuchung: Kommission will Antworten von Meta

Die Kartelluntersuchung gegen Meta erreicht die nächste Stufe: Die Kommission ist der – vorläufigen – Auffassung, dass das US-Unternehmen Meta auf den Märkten für Online-Kleinanzeigen gegen die EU-Kartellvorschriften verstößt. Die Kommission beanstandet, dass Meta seinen Online-Kleinanzeigendienst Facebook Marketplace mit seinem marktbeherrschenden sozialen Netzwerk Facebook verknüpft. Außerdem befürchtet sie, dass Meta den Wettbewerbern von Facebook Marketplace unfaire Handelsbedingungen auferlegt, von denen der eigene Dienst profitiert.

Die Kommission hatte zu den möglicherweise rechtswidrigen Praktiken von Facebook am 04. Juni 2021 eine förmliche Kartelluntersuchung gegen Meta eingeleitet. Das vorläufige Ergebnis hat sie Meta am Montag mitgeteilt. Meta hat nun Gelegenheit, die Beschwerden gegen seinen Kleinanzeigendienst auszuräumen. Kommt die Kommission dennoch zu dem Schluss, dass hinreichend Beweise für Verstöße vorliegen, kann sie Meta eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.

Beschwerdepunkte zu Kopplung und Werbedaten von Meta

Nach aktueller Auffassung der Kommission missbraucht Meta seine beherrschende Stellung auf zweifache Weise:

  • Verknüpfung: Facebook-Nutzer erhalten automatisch Zugang zum Facebook Marketplace. Die Kommission hegt den Verdacht, dass Wettbewerber des Kleinanzeigendienstes vom Markt verdrängt werden könnten, da durch die Verknüpfung ein erheblicher Vertriebsvorteil entsteht.
  • Werbedaten: Die Geschäftsbedingungen gestatten es Meta, werbungsbezogene Daten von Wettbewerbern für Facebook Marketplace zu verwenden, was womöglich ungerechtfertigt ist. Die Kommission vermutet, dass dies die Wettbewerber belastet und allein Facebook Marketplace zugutekommt.

Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Die Dauer unter anderem von der Komplexität des jeweiligen Falles und der Kooperationsbereitschaft des betroffenen Unternehmens ab.

Kartelluntersuchung gegen Google und Meta: Ermittlungen eingestellt

In einer weiteren Kartelluntersuchung hat die Kommission die Ermittlungen gegen Meta dagegen eingestellt. Dabei ging es um eine mutmaßlich wettbewerbswidrige Vereinbarung zwischen Google und Meta über Online-Display-Werbedienste (Jedi-Blue-Vereinbarung). Am 11. März 2022 hatte die Kommission eine Untersuchung eingeleitet.

Die Kommission befürchtete, dass die 2018 abgeschlossene Vereinbarung dazu dienen könne, die mit dem Google-Dienst Open Bidding im Wettbewerb stehenden Dienste auszuschließen und somit den Wettbewerb auf den Märkten für Display-Werbung einzuschränken.

Nach einer “sorgfältigen Bewertung aller einschlägigen Beweise”, kam die Kommission nun zu dem Schluss, dass ihre ursprünglichen Bedenken nicht berechtigt waren und hat die Untersuchung eingestellt. Sie kündigte jedoch an, die Geschäftspraktiken im europäischen Technologiesektor weiterhin zu beobachten.

So ist etwa eine separate Kartelluntersuchung (ebenfalls aus dem Juni 2021) zu Googles möglichem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Ad-Tech-Sektor noch nicht abgeschlossen. vis

  • Facebook
  • Kartellrecht
  • Wettbewerb
  • Wettbewerbsverfahren

Chemikalienstrategie: Kommission legt Überarbeitung der CLP-Verordnung vor

Die EU-Kommission hat gestern eine überarbeitete Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien (CLP) vorgeschlagen und in einem delegierten Rechtsakt neue Gefahrenklassen für endokrine Disruptoren und andere schädliche chemische Stoffe eingeführt. Durch klarere Regeln für die Kennzeichnung und für online verkaufte Chemikalien soll der freie Verkehr von Stoffen und Gemischen erleichtert werden.

Für endokrine Disruptoren (Chemikalien, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören) und Chemikalien, die in der Umwelt nicht abgebaut werden und sich so im Wasser und in lebenden Organismen anreichern können, führt die Kommission neue Gefahrenklassen ein. So soll der Zugang zu Informationen für Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen erleichtert werden.

Weitere Maßnahmen zur Risikominimierung für Chemikalien könnten beispielsweise im Rahmen der REACH-Verordnung folgen, erklärte die Kommission. Hierbei müssten allerdings die sozioökonomischen Auswirkungen berücksichtigt werden.

Der Vorschlag sieht unter anderem folgende Maßnahmen vor:

  • Effizientere Verfahren zur Information über die Gefahren von Chemikalien, die in der EU in Verkehr gebracht werden
  • Vereinfachte Kennzeichnungs- und Werbevorschriften (wie eine Mindestschriftgröße für die Kennzeichnung von Chemikalien)
  • Schnellere Identifizierung gefährlicher Stoffe: Kommission darf zusätzlich zu den Mitgliedstaaten und der Industrie Vorschläge zur Einstufung potenziell gefährlicher Stoffe erarbeiten
  • Verbraucherschutz: erstmalig spezifische Vorschriften für nachfüllbare chemische Produkte, die in loser Form verkauft werden
  • Stärkung von Umwelt- und Gesundheitsschutz

Die CLP-Verordnung setzt in der EU das Global Harmonisierte System (GHS) der Vereinten Nationen um und verpflichtet Hersteller, Importeure oder nachgeschaltete Anwender, ihre gefährlichen Chemikalien vor dem Inverkehrbringen entsprechend einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken. Mit der Überarbeitung der CLP- und der REACH-Verordnung als Bestandteile der Chemikalienstrategie will die Kommission die Umstellung der europäischen Industrie auf nachhaltige Chemikalien fördern.

Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der CLP-Verordnung muss nun vom Parlament und vom Rat gebilligt werden. Der delegierte Rechtsakt wird nach einer Prüfung von Parlament und Rat voraussichtlich im kommenden Jahr in Kraft treten. Die EU wird außerdem den Vorsitz in einer neuen informellen UN-Arbeitsgruppe führen, die globale Kriterien für die neu angenommenen Gefahrenklassen entwickeln soll. leo

  • Chemikalien
  • Europäische Kommission
  • Gesundheit
  • Gesundheitspolitik
  • REACH

Presseschau

Treffen der EU-Energieminister: Bundesregierung trägt Gaspreisdeckel mit TAGESSCHAU
Lukaschenko rollt für Putin den roten Teppich aus – Kreml nennt Gaspreisdeckel “inakzeptabel” STERN
Korruption in der EU: Warum Orbáns Bestrafung wichtiger ist als Katargate SPIEGEL
Milliarden-Importe: EU kauft große Mengen russisches Flüssiggas MERKUR
Streit um US-Inflationsgesetz: Paris und Berlin fordern Sonderklausel für EU N-TV
Neue Regeln geplant: EU-Kommission will Menschenhandel in Europa stärker bekämpfen RND
EU-Kommission stellt Ermittlungen gegen Meta und Google ein RP-ONLINE
Eva Kaili verhaftet: “Rückschlag” für EU-Krypto-Regulierung? COINTELEGRAPH
Oligarchen klagen vor EU-Gericht: Deutschland friert nur fünf Milliarden ein N-TV
Nach Zwischenfall bei Russen: EU-Gebäude in Bangui brennen ab N-TV
Habeck: EU-Auflagen vor Weihnachten für Uniper-Übernahme ZEIT
Landwirtschaft und Fischerei entkommen neuem CO2-Preis der EU EURACTIV
EU-Staaten wollen gegen Methan-Emissionen vorgehen MORGENPOST
Scharlach-Welle in Europa: Bisher keine Anzeichen in Deutschland BR
Bulgarien leitet Ermittlungen gegen pro-russische Paramilitärs ein EURACTIV
EU-Behörde ermittelt gegen Frontex-Chefin EURACTIV

Standpunkt

Kernfusion: Den Durchbruch, den Europa hätte schaffen müssen

Von André Loesekrug-Pietri
Porträtfoto von André Loesekrug-Pietri (JEDI) im Anzug vor blauem Hintergrund. Er schreibt über Kernfusion in Europa.
André Loesekrug-Pietri ist Vorsitzender der Joint European Disruptive Initiative (JEDI).

Das US-Energieministerium kündigte am vergangenen Dienstag an, dass die erste Kernfusion mit positiver Energie mithilfe der Trägheits-Fusionstechnologie in Kalifornien durchgeführt wurde. Die National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien hat dafür Wasserstoffplasma mit Hochleistungslasern beschossen. Es ist ein historisches Ereignis, denn bislang hat die Fusion immer mehr Energie benötigt als sie erzeugt hat.

2021 hatte das US-Startup Commonwealth Fusion Systems (CFS), mit einer anderen Technologie – Tokamak genannt – die größte private Finanzierungsrunde, die jemals in die Kernfusion getätigt wurde, aufgebracht: 1,8 Milliarden US-Dollar. CFS wurde erst vor vier Jahren gegründet und strebt an, bis 2025 die weltweit erste Fusionsanlage mit positiver Nettoenergie zu liefern.

Zum Vergleich: Das ITER-Projekt, ein internationales Konsortium mit Sitz in Südfrankreich, wurde 2007 mit einem Budget gestartet, das sich seither vervierfacht hat (von fünf auf 20 Milliarden Euro). Es wurde ein Jahrzehnt früher als die CFS gegründet und hat nun eine Verzögerung von fünf Jahren und zusätzliche Kosten von einer Milliarde Euro angekündigt. Die erste Plasmaproduktion ist erst für 2030 geplant. ITER strebt ein ausgeglichenes Verhältnis von erzeugter zu verbrauchter Energie an, während NIF und CFS einen Faktor von zwei oder sogar mehr anstreben.

Europas Ambitionen sind zu gering

Aus dem Vergleich dieser Projekte lassen sich drei Erkenntnisse gewinnen, wie wir unsere Forschung und unsere öffentlichen Investitionen organisieren müssen: Agilität ist der Schlüssel, um die neuesten technologischen Entwicklungen aufzugreifen. Wir dürfen uns auf keinen Fall in zu starren Plänen einschließen und müssen eine große Porosität zwischen der akademischen Welt und der Welt der Unternehmen zulassen. Und schließlich muss man in der Kernenergie wie anderswo auch immer die nächste Technologiegeneration anstreben.

CFS hat es geschafft, das Beste aus den neuesten Technologien herauszuholen. Insbesondere durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Deep Learning hat CFS es geschafft, ein extrem komplexes, heißes Plasma zu erhalten. Das Team in Boston konnte seine Forschung mithilfe von digitalen Zwillingen (digital twins) für seine Simulationen wesentlich schneller vorantreiben. Sie gingen technologische Wagnisse ein, indem sie neue Architekturen und Materialien einsetzten, zum Beispiel Hochtemperatur-Supraleiter. So gelang es, ein 20 Teslas starkes Magnetfeld zu erzeugen; das stärkste, das jemals auf der Erde entstanden ist. ITER dagegen setzt auf Niedrigtemperatur-Supraleiter.

Europa braucht Sprunginnovationen

Wir müssen unbedingt auf Sprunginnovation setzen, um Schlüsselprobleme zu lösen. Vor allem, da wir über die Zukunft der Kernenergie nachdenken und viele Milliarden an öffentlichen Geldern in EPR-Kraftwerke stecken, die man in Großbritannien, Frankreich und Finnland zurzeit vergeblich versucht zum Laufen zu bringen. Im Fall der Kernenergie sind die Schlüsselprobleme unsere Abhängigkeit von russischem Uran, das Risiko eines radioaktiven Unfalls und die Lagerung von Atommüll.

Die Kernfusion arbeitet mit anderen Brennstoffen als Uran; zum Beispiel Deuterium, ein Wasserstoffisotop, das in Wasser vorkommt und daher unerschöpflich ist. Dies erzeugt radioaktive Produkte, die weniger langlebig sind als der fast ewige Endmüll aus heutigen Kraftwerken. Vor allem handelt es sich nicht um eine “kontrollierte” Kettenreaktion, die nicht immer so kontrollierbar ist, wie in Tschernobyl oder Fukushima zu sehen war, sondern um einen instabilen Vorgang, der bei einer Anomalie zum Stillstand kommt. Diese Eigenschaften könnten die Versöhnung Deutschlands mit der Kernenergie unterzeichnen.

Rückstand Europas ist ein Skandal

Der US-Durchbruch ist ein großer Schritt für die Menschheit und ein kleiner Schritt (rückwärts) für unseren Kontinent. Der Rückstand Europas bei der Kernfusion ist ein Skandal und eine echte Schande, obwohl Frankreich lange Zeit eine Vorreiterrolle gespielt hat. Die USA holen auf.

NIF und CFS zeigen, dass sie in der Lage sind, das Beste aus ihrem Ökosystem zu mobilisieren: Universitäten, private Investoren und öffentliche Behörden. Gemeinsam konzentrieren sich diese auf die wesentliche, aber punktuelle Finanzierung bahnbrechender Innovationen mit klaren Zielvorgaben, anstatt “klassische” Industriepolitik zu betreiben, mit bürokratischen Instrumente wie IPCEIs oder massiven Subventionen.

Nicht dieselben Fehler wie in der Energiekrise

Während sich die europäischen Entscheidungsträger noch über die “grüne Taxonomie” streiten und, ob Kernenergie sauber ist, arbeiteten US-amerikanische Akteure daran, die Energie grüner zu machen. Wir haben bereits vor einem Jahr vor diesen neuen potenziellen technologischen Durchbrüchen aus den USA gewarnt. Aber sowohl die EU-Kommission als auch nationale Regierungen haben sich nicht von den bestehenden Energie-Akteuren oder Verwaltungen abbringen lassen. Sie schaffen es einfach nicht, schnell und ohne die bürokratische Kontrolle von IPCEIs und Horizon-Europe-Programmen zu Durchbrüchen zu kommen. Das Resultat: Zu viele Geldjäger und nicht die besten Teams.

Während Europa in einer Energiekrise steckt und der Krieg in der Ukraine ein bequemes Alibi ist, den Mangel an strategischer Antizipation zu verschleiern, begehen wir denselben Fehler mit der Kernfusion. Dabei sollte sie gerade aus diesem Grund ein absolut prioritärer Bereich sein.

Wieder einmal sind wir in Europa dabei, den Zug des technologischen Fortschritts zu verpassen. Es ist Zeit, Rechenschaft zu fordern, richtigen Impact bei Forschung und Entwicklung zu erzielen und die bürokratischen Monster, die wir geschaffen haben, radikal zu verändern. Sonst wird die europäische Dämmerung eine Realität.

  • Energiepolitik
  • IPCEI
  • ITER
  • Sprunginnovation
  • Subventionen
  • Taxonomie

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart
    • EU-Kommission kündigt neue Fundingstrategie an
    • Einigung beim Energie-Rat unter Erwartung der Kommission
    • Termine
    • Gaspreisdeckel beschlossen
    • Habeck und Le Maire wollen Inflation Reduction Act kontern
    • Kartelluntersuchung: Kommission will Antworten von Meta
    • Chemikalienstrategie: Kommission legt Überarbeitung der CLP-Verordnung vor
    • Standpunkt: Kernfusion – den Durchbruch, den Europa hätte schaffen müssen
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf ein äußerst ambitioniertes Naturschutzabkommen haben sich die Regierungen von 196 Staaten am Montag in Montreal geeinigt. Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen, sollen bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Das ist die größte Verpflichtung zum Schutz von Lebensräumen, die die Staatengemeinschaft jemals eingegangen ist. Timo Landenberger hat sich das ehrgeizige Vorhaben genauer angeschaut.

    In relativ kurzer Zeit ist die EU-Kommission zu einem bedeutenden Akteur auf dem Anleihemarkt geworden. Hatte sie im Zeitraum zwischen 2009 und 2019 gerade einmal 69 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen, ist sie mittlerweile in komplett neuen Dimensionen vorgerückt und der fünftgrößte Emittent in Europa. Allein für die erste Hälfte 2023 kündigt die EU-Kommission Anleihen im Wert von 80 Milliarden Euro an, berichtet Christof Roche.

    Geeinigt haben sich am Montag nach monatelangem Streit die EU-Minister auf den europäischen Gaspreisdeckel. Der deutschen Regierung ist die Zustimmung nicht leicht gefallen: Von diesem Instrument überzeugt ist sie nach wie vor nicht und möchte ihre Zustimmung als Zeichen der “Solidarität” (Robert Habeck) verstanden wissen. Wie die Einigung aussieht, lesen Sie in der News von Manuel Berkel.

    Ihr
    Matthias Wulff
    Bild von Matthias  Wulff

    Analyse

    COP15-Einigung: 30 Prozent Flächenschutz vereinbart

    Plötzlich ging es ganz schnell auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montreal: Nachdem die Verhandlungsparteien fast zwei Wochen lang in entscheidenden Fragen kaum Fortschritte erzielen konnten, legte die chinesische Ratspräsidentschaft kurzerhand einen Entwurf auf den Tisch, der für überraschend viel Zuspruch sorgte. Eine Nachtsitzung später fiel am Montagmorgen der Hammer und ein neues, globales Abkommen zum Schutz der ökologischen Vielfalt wurde angenommen.

    Um die weltweite Zerstörung der Natur zu stoppen und umzukehren, sollen demnach bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer unter “effektiven Schutz” gestellt werden. Dabei werden die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, welche für die globale Biodiversität eine zentrale Rolle spielen, ausdrücklich anerkannt und gestärkt.

    Schon das ist mehr, als viele nur Stunden zuvor erwartet hätten, denn die Positionen lagen teils weit auseinander. Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius spricht von einem “historischen Dokument”. Das Abkommen sei ambitioniert, balanciert und könne zu einem “echten Gamechanger” im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust werden.

    Monitoring und Messung enthalten

    Zur Umsetzung der globalen Ziele sollen die Staaten bis zum Jahr 2024 nationale Strategiepläne entwickeln. Auch Mechanismen zu Monitoring und zur vergleichbaren Messung der Fortschritte sind vorgesehen. Einige Länder befürchten einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand bei der Erhebung der Daten und sollen deshalb bei der Umsetzung unterstützt werden. Doch auch europäische Kommunen warnen bereits vor der zu erwartenden Bürokratiewelle.

    Eine Bewirtschaftung soll auf den geschützten Flächen weiterhin möglich sein. Mit ihrer Forderung, einen Teil davon “unter besonders strengen Schutz” zu stellen (wie in der EU-Biodiversitätsstrategie vorgesehen) konnte sich die EU nicht durchsetzen.

    Daneben sieht das Abkommen vor, auf 30 Prozent der “degradierten Flächen” Renaturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Das entspricht den Plänen der EU im Renaturierungsgesetz. Allerdings hatte sich die Staatengemeinschaft erfolglos dafür eingesetzt, klare Flächenangaben von drei Milliarden Hektar an Land und auf dem Meer zu verankern. Außerdem fehle es an einer einheitlichen Definition von “degradiert”, kritisieren Umweltschützer.

    Schädliche Subventionen abbauen

    Die große Streitfrage nach der Finanzierung konnte zumindest teilweise gelöst werden. Das Abkommen benennt eine Umwelt-Finanzierungslücke in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar und sieht die Mobilisierung von 200 Milliarden sowie den Abbau von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. Diese übersteigen die Umweltfinanzierung bislang um ein Vielfaches, was grotesk sei, sagt WWF-Biodiversitätsexperte Florian Tietze, der von einem zwar “lückenhaften, aber letztlich überraschend guten Rahmenwerk” spricht.

    80 Prozent der artenreichsten Ökosysteme befinden sich in Ländern des globalen Südens. Zur finanziellen Unterstützung dieser Staaten sollen von den Industrieländern bis 2025 jährlich 20 Milliarden und bis 2030 jährlich 30 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht in etwa einer Verdreifachung der bislang zugesagten Summe.

    Etliche Entwicklungsländer hatten allerdings mindestens 100 Milliarden jährlich gefordert, ebenso wie die Einrichtung eines neuen Fonds zur Abwicklung. Bestehende Instrumente, wie die Global Environment Facility, seien zu komplex. Es könne Jahre dauern, bis die beantragten Gelder bewilligt würden, hieß es. Noch viel länger würde es jedoch dauern, einen neuen Fonds aufzulegen, entgegnete Umweltkommissar Sinkevičius. Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und wurde vertagt.

    Klar ist hingegen: Auch die Privatwirtschaft soll auf die Biodiversität ausgerichtet werden. Das Abkommen sieht vor, dass vor allem große und international agierende Unternehmen und Finanzinstitute die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Biodiversität erfassen, offenlegen und bewerten. Berichtspflichten, wie sie von knapp 400 Konzernen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gefordert wurden, sind hingegen nicht vorgesehen.  

    Risiko durch Pestizide halbieren

    Auch die Umweltverschmutzung wird durch das Abkommen adressiert. Insbesondere Plastikmüll und Nährstoffeinträge sollen verringert, das Umweltrisiko durch Pestizideinsatz halbiert werden. Ziele zu ökologischer Landwirtschaft, wie von der EU gefordert, haben es nicht ins Abkommen geschafft – für Umweltschützer ein besonders wunder Punkt. Immerhin seien 70 Prozent des Verlusts der ökologischen Vielfalt auf den Agrarbereich zurückzuführen, so der WWF.

    Die vorgesehene Halbierung schädlicher Pflanzenschutzmittel ist bemerkenswert. Zahlreiche Länder, darunter Indien, hatten sich stark dagegen gewehrt und befürchten massive Ertragseinbußen bei der Nahrungsmittelproduktion. Aus demselben Grund will der EU-Agrarrat die geplante Pestizide-Verordnung in Europa aufschieben. Das Ziel könne also auch in Richtung Brüssel eine Signalwirkung entfalten, so Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich mit dem Abkommen zufrieden zeigt. Die Abschlusserklärung strahle große Entschlossenheit aus.

    Ihr Zustandekommen hatte am Montagmorgen in Montreal allerdings für Aufregung gesorgt. Chinas Umweltminister und COP-Präsident Huang Runqiu erklärte die Vereinbarung für angenommen, nur wenige Minuten nachdem der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo seine klare Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatte. Kongo verurteilte das Vorgehen, andere afrikanische Staaten schlossen sich an.

    • Biodiversität
    • Klima & Umwelt
    • Naturschutz

    EU-Kommission kündigt neue Fundingstrategie an

    Die Europäische Kommission richtet mit Beginn des kommenden Jahres ihren Auftritt am Kapitalmarkt neu aus. “Wir werden 2023 auf eine einheitliche Fundingstrategie umsteigen: Es wird künftig keine Anleihen mehr getrennt nach einzelnen Programmen geben, sondern nur noch EU-Bonds”, sagte Siegfried Ruhl, Hors Classe Adviser für die Kapitalmarktabteilung der Brüsseler Behörde, im Gespräch mit Europe.Table. In der Vergangenheit hatte die Kommission die Anleihen unter den verschiedenen Programmen wie NextGenerationEU (NGEU) oder SURE aufgelegt. Bei grünen Anleihen wird es hingegen eine eigene Kennzeichnung und somit Unterscheidung zu den konventionellen EU-Bonds weiterhin geben. “Für die Investoren in Green Bonds ist es wichtig, dass sie transparent nachvollziehen können, in welche nachhaltigen Projekte ihre Gelder geflossen sind. Es bleibt auch bei unserer Verpflichtung, 30 Prozent von NGEU durch die Emission grüner Anleihen zu finanzieren.”

    Die EU-Kommission ist mit den Mehrjahresprogrammen NGEU (806,9 Milliarden Euro), SURE (100 Milliarden Euro) und der Finanzhilfe an die Ukraine mittlerweile zum fünftgrößten Emittenten in Europa aufgestiegen “Wir haben in diesem Jahr knapp 120 Milliarden Euro aufgenommen. Davon entfielen 100 Milliarden auf NGEU, weitere 8,7 Milliarden auf SURE sowie 7,2 Milliarden auf die Ukraine und 2,2 Milliarden auf Anschlussfinanzierungen für den EFSM, eine Finanzhilfe, die noch aus Zeiten der Eurokrise stammt”, erläutert Ruhl. In der ersten Hälfte des kommenden Jahres sind 80 Milliarden avisiert, davon etwa 70 Milliarden für NGEU und zehn Milliarden für die Ukraine. Für SURE werden keine Bonds mehr begeben, da das Programm im Dezember 2022 ausläuft. Laut Ruhl wurden von den vorgegebenen 100 Milliarden Euro 98,4 Milliarden Euro ausgeschöpft.

    “65 Prozent der Anleger haben ihren Sitz in der EU”

    Die Kommission kann sich für den Verkauf ihrer Anleihen auf eine starke heimische Investorenbasis verlassen. “65 Prozent der Anleger haben ihren Sitz in der EU – und rechnet man noch Großbritannien hinzu, sind es 90 Prozent”, hebt Ruhl hervor. Zehn Prozent der Investoren kamen von außerhalb Europas, davon waren knapp sechs Prozent asiatische Anleger. Die stark auf die EU ausgerichtete Investorenbasis geht laut Ruhl auf die Zeit zurück, als die Kommission noch ein vergleichsweise kleiner Emittent war. Im Zeitraum 2009 bis 2019 habe die Kommission gerade mal 69 Milliarden Euro begeben.

    Ruhl, der vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Kommission kam, um die Fundingabteilung auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten, erinnert sich: “Wir haben im Dezember 2020 angefangen, und im Juni 2021 die erste Anleihe unter NGEU begeben. Da haben wir auf einen Schlag 20 Milliarden Euro aufgenommen, das war die größte, jemals an institutionelle Investoren begebene Anleihe.” Dass die Kommission dies mit einem Team von nur rund 25 Mitgliedern in der Rekordzeit von gerade mal sechs Monaten stemmen konnte, war nur möglich, da sie von der Europäischen Investitionsbank, dem ESM und den Mitgliedstaaten Spitzenkräfte an die Seite bekam. “Ohne die externe Hilfe hätten wir das niemals geschafft.”

    “In diesem Jahr ist der Markt generell schwieriger”

    Ruhl zufolge gab es danach noch weitere Emissionsrekorde, so war die erste grüne Anleihe im Oktober 2021 “mit zwölf Milliarden Euro die größte jemals begebene grüne Anleihe weltweit – mit einem Orderbuch von mehr als 135 Milliarden Euro”. Für die hohe Nachfrage macht er neben der Kreditwürdigkeit der EU – die Anleihen haben die Topbonität AAA – auch das allgemeine Marktumfeld bis Ende 2021 verantwortlich. In diesem Jahr sei der Markt aufgrund der hohen Inflationsraten, der gestiegenen Zinsen und dem Ende der Netto-Käufe der EZB generell schwieriger geworden. Dies habe dazu geführt, dass die Überzeichnungen weniger geworden und die Emissionsprämien gestiegen seien. “Wir stehen aber nach wie vor sehr gut da. Unsere letzte Emission für SURE in diesem Dezember war knapp fünffach überzeichnet und eine kleinere Anleihe für die Ukraine 20fach.”

    Laut Ruhl will die EU mit der neuen Fundingstrategie die Investorenbasis für die EU-Bonds in den kommenden Jahren zu verbreitern. “Die EU wird am Markt noch von vielen als klassischer supranationaler Emittent im SSA-Segment wahrgenommen. Das wollen wir ändern und die EU-Bonds mithilfe der neuen Fundingstrategie stärker an das Segment der Staatsanleihen heranbringen.” Nach Ruhls Angaben decken die bislang unter NGEU aufgelegten Anleihen bereits die gesamte Kurve von drei bis 30 Jahren ab. Außerdem gibt es zur Liquiditätssteuerung ein Bill-Programm von Drei- und Sechsmonatspapieren. Bonds und Bills werden teilweise bereits neben der Syndizierung durch ausgewählte Banken auch durch Auktionen aufgelegt, so wie dies bei souveränen Staaten vorherrschend ist.

    “Wir haben im September 2021 für NGEU-Bonds eine erste Auktion durchgeführt, das war für den Markt komplett neu.” Den Vertrieb über Auktionen habe die Kommission dann sukzessive erweitert. Für das erste Halbjahr 2023 sind laut Ruhl acht Auktionen und sieben Syndikatsfenster avisiert. “Wir werden im Laufe von 2023 zudem ein Konzept umsetzen, um mithilfe unserer Primary Dealer die bereits gute Liquidität am Sekundärmarkt noch weiter zu erhöhen”, so der Marktexperte. Das Ziel der Kommission sei es, den Markt besonders für nachhaltige Anleihen sowie für Papiere, die auf die Finanzierung sozialer Belange ausgerichtet sind, zu stärken. “Mit dem SURE-Programm, welches Arbeitslosigkeit infolge der Pandemie bekämpfte, hat die EU bereits weltweit die führende Rolle bei Sozialbonds eingenommen“, führt Ruhl aus. Auch bei den Green Bonds sei die Behörde im laufenden Jahr mit Blick auf das Emissionsvolumen global der größte Akteur gewesen.

    In den kommenden ein bis zwei Jahren wolle die Behörde die führende Position auch mit Blick auf ausstehende grüne Anleihen erreichen. Die Strategie der Kommission ziele darauf ab, “die führende Stellung des europäischen Kapitalmarktes, der den Markt der Green Bonds sehr früh entdeckt hat, weiter zu festigen.”

    • Emissionen
    • Europäische Kommission
    • Finanzen

    Einigung beim Energie-Rat unter Erwartung der Kommission

    Bis 2030 sollen 40 Prozent der gewonnenen Energie in der EU erneuerbar sein – und nicht 45 Prozent, wie es die Europäische Kommission vorgeschlagen hatte, als sie im Mai die Erhöhung der Ziele im Rahmen des REPowerEU-Plans vorstellte. Europa bezieht derzeit etwas mehr als 22 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energien. “Die Europäische Kommission war viel ehrgeiziger, aber alle mussten Kompromisse eingehen, auch die Europäische Kommission”, sagte Kadri Simson, die EU-Kommissarin für Energie, vor Journalisten in Brüssel.

    Nur neun Mitgliedsstaaten hatten sich dafür ausgesprochen, das Ziel für erneuerbare Energien auf 45 Prozent zu erhöhen, darunter Deutschland, Dänemark und Luxemburg. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, die Niederlande und Irland, zogen es vor, bei dem von der tschechischen Ratspräsidentschaft im vergangenen Juni vorgeschlagenen Ziel von 40 Prozent zu bleiben.

    Die Mitgliedstaaten haben sich auch darauf geeinigt, spezielle “Go-to-Areas” für erneuerbare Energien mit verkürzten und vereinfachten Genehmigungsverfahren in Gebieten mit geringeren Umweltrisiken einzurichten. Dieser Beschluss schließt sich der gerade erst vom Europäischen Parlament verabschiedeten Vereinbarung an, wo auch die Europäische Kommission sich wegen der damit verbundenen Lockerung der Umweltregeln geäußert hatte.

    Verbindliche Regulierung der Methanemissionen

    Die EU-Energieminister haben sich auch auf eine Methanverordnung zur Bekämpfung von Leckagen geeinigt, die ebenfalls weniger ehrgeizig ist als die von der Europäischen Kommission vorgelegten Pläne. Die Kommission warnte, dass die EU bei der Kontrolle von Methanemissionen hinter ihren Partnern zurückbleiben werde.

    “Der allgemeine Ansatz birgt die Gefahr, dass wir bei der Kontrolle der Methanemissionen hinter viele unserer Energiepartner zurückfallen”, warnte die EU-Energiebeauftragte Kadri Simson die Minister. Sie forderte die EU-Länder auf, bei den anstehenden Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament Flexibilität zu zeigen. De facto ebnet diese Einigung den Weg für den Trilog, bei dem die Ausschüsse ITRE und ENVI im Februar 2023 über den Vorschlag abstimmen sollen.

    Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr Rechtsvorschriften vorgeschlagen, die Öl- und Gasunternehmen in der EU zu verpflichten, undichte Infrastrukturen, aus denen Methan entweichen kann, zu finden und zu reparieren. Die Kontrollen sollen alle drei Monate stattfinden und sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung beginnen.

    Die EU-Länder wollen jedoch die erste Überprüfung auf 12 Monate verschieben und dann für die verschiedenen Arten von Infrastrukturen unterschiedliche – in einigen Fällen weniger häufige – Zeitpläne festlegen. So sollen beispielsweise Flüssiggasterminals, die für Deutschland strategische Bedeutung erlangt haben, alle sechs Monate, Ventilstationen alle 12 Monate und Fernleitungen alle zwei Jahre überprüft werden.

    Die Verordnung sieht auch vor, dass die Methanemissionen aus EU-Energieimporten verfolgt werden müssen. Deutschland fügte erfolgreich eine Bestimmung hinzu, die die Europäische Kommission auffordert, die Auswirkungen einer Ausweitung der Verordnung auf Länder, die in die EU exportieren, im Rahmen der nächsten Überarbeitung des Gesetzes zu prüfen. “Das ist für den Klimaschutz sehr wichtig, denn das Thema Leckage gibt es auch bei Importen”, erklärte Sven Giegold, der deutsche Staatssekretär, der an dem Ministertreffen teilnahm.

    Die erzielte Einigung über Methan geht dessen Hauptproblem an: die Lecks. Die Herausforderung besteht also darin, sie zu lokalisieren, ihre Größenordnung zu bestimmen und somit Maßnahmen zu ergreifen, um darauf zu reagieren. Aus diesem Grund wurde die Einigung um die sogenannten MRV-Prozesse für “monitoring, reporting and verifying” (Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung) geschlossen.

    In seinem Dokument erinnert der Rat daran, dass Methan, der Hauptbestandteil des Gases, für etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Damit ist es nach Kohlendioxid das klimaschädlichste Gas: Methan hat in den ersten 20 Jahren, nachdem es in die Atmosphäre gelangt ist, eine mehr als 80-mal höhere Erwärmungsleistung als CO₂.

    • Energie
    • Energieeffizienz
    • Energiepolitik
    • Methan

    Termine

    21.12.2022 – 14:00 Uhr, Berlin
    GdW, Pressekonferenz Wohnungswirtschaft übernimmt gesellschaftliche Verantwortung: sozial, ökonomisch und ökologisch
    Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) widmet sich den genauen Anforderungen, die ab 2025 im Bereich der Taxonomie für die Wohnungswirtschaft relevant sind. ANMELDUNG VIA E-MAIL

    21.12.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
    FNF, Vortrag Ressourcen für die Zukunft: Nachhaltige Rohstoffgovernance in Afrika
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen der strategischen Bedeutung des Rohstoffs Sand und den negativen Folgen seines Abbaus für lokale Ökosysteme in Afrika. INFOS & ANMELDUNG

    22.12.2022 – 08:00-12:30 Uhr, Garlstedt
    KAS, Seminar Die Russland-Politik der EU, NATO und USA: Die Diskussionen über das strategische Gleichgewicht, Abschreckungspolitik und Zusammenarbeit
    Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit dem Konflikt zwischen der werteorientierten Außenpolitik des Westens und der Machtpolitik autoritärer Regime auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    News

    Gaspreisdeckel beschlossen

    Der EU-weite Preisdeckel für Gas wird ab 15. Februar 2023 grundsätzlich aktiviert werden können. Gestern beschlossen die Energieminister in Brüssel nach monatelangen Verhandlungen die Verordnung zum Marktkorrekturmechanismus (MCM).

    Aktiviert wird der Preisdeckel, wenn der TTF für den Frontmonat drei Werktage lang über 180 Euro pro Megawattstunde liegt und an denselben Tagen 35 Euro über einem LNG-Referenzpreis. Auch die Höhe des “dynamischen” Preisdeckels beträgt 35 Euro über dem Referenzpreis, wie aus einer Mitteilung des Rates hervorgeht.

    Höchstpreis gilt zunächst nicht nur für TTF

    Anders als von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen gilt der Höchstpreis nicht nur für den niederländischen TTF, sondern für alle virtuellen Handelspunkte in der EU. Befürworter des Deckels hatten befürchtet, dass LNG sonst nur noch in andere europäische Regionen als Nordwesteuropa geliefert werden könnte. Bis Ende März soll die Kommission allerdings entscheiden, ob andere Handelspunkte doch wieder vom Mechanismus ausgenommen werden.

    Gelten wird der MCM wie von Europe.Table bereits berichtet für alle börsengehandelten Kontrakte mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr. Die Kommission wollte ursprünglich nur den Frontmonat einschließen.

    Gasverbrauch darf um knapp 15 Prozent steigen

    Die Bedingungen für das Aussetzen des Preisdeckels hat der Rat nachgeschärft. So wird der MCM unter anderem ausgesetzt, wenn der Gasverbrauch in einem Monat um 15 Prozent steigen sollte. Andere Sicherungsmaßnahmen bleiben dagegen unbestimmt, etwa eine “erhebliche” Abnahme der LNG-Importe oder des TTF-Handelsvolumens.

    Auf die Sicherungsmaßnahmen hatten vor allem Deutschland, die Niederlande und Dänemark bestanden. Die Bundesregierung stimmte dem Deckel letztlich zu, im Gegenzug wurde die Notverordnung zu schnelleren Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien (RED V) doch noch einmal angepasst, um die Bedingungen für Erneuerbare weiter zu verbessern. Gegen die Verordnung zum Preisdeckel stimmte einzig Ungarn, Österreich und die Niederlande enthielten sich. Die Verordnung gilt zunächst für ein Jahr. Bis zum 1. November will die Kommission eine Evaluierung vorlegen. ber

    • Energie
    • Energiepolitik
    • Energiepreise
    • Erdgas

    Habeck und Le Maire wollen Inflation Reduction Act kontern

    Deutschland und Frankreich sprechen sich dafür aus, bestimmte klimafreundliche Technologien in der EU vergleichbar zu fördern wie in den USA. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und sein französischer Kollege Bruno Le Maire stellten am Montag ein gemeinsames Papier vor, das die Diskussion um die europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act Washingtons vorantreiben soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will bereits im Januar konkrete Vorschläge vorstellen.

    • Habeck und Le Maire schlagen unter anderem vor, dass die Regierungen die US-Förderung etwa bei der Produktion von Solarpaneelen, Windturbinen oder Wasserstoff matchen können. Der EU-Beihilferahmen soll dies erlauben. Beide Regierungen wollen sich eng mit der Industrie abstimmen, wie konkret dies geschehen soll – etwa über Steuervorteile oder Subventionen.
    • Beide Minister plädieren für Beihilferahmen für bestimmte Schlüsselsektoren. Diese sollen auf ex-ante Kriterien basieren und eine schnelle Förderentscheidung ermöglichen.
    • Das Prozedere für die IPCEI-Förderprogramme soll vereinfacht und die Zeit bis zur Genehmigung durch die Kommission halbiert werden. Zudem sollen nicht mehr nur hochinnovative Technologien gefördert werden können.
    • Die vorhandenen Mittel in diversen EU-Töpfen sollen gezielter auf die Förderung der klimafreundlichen Technologien ausgerichtet werden.
    • Relevante Legislativvorhaben etwa zum Ökodesign und zum Wasserstoff sollen schnell verabschiedet und ein neuer Vorstoß für die Vertiefung der Kapitalmarktunion unternommen werden.

    Le Maire und Habeck wollen im Januar überdies gemeinsam nach Washington reisen, um erneut mit der US-Regierung über die Umsetzung des IRA zu sprechen. Beide Seiten verhandeln derzeit intensiv, wie weit die US-Regierung den EU-Forderungen entgegenkommt. Konkret fordern Paris und Berlin, dass:

    • die EU wie ein Partner mit Freihandelsabkommen behandelt wird,
    • europäische Firmen in den Genuss von Steuervorteilen kommen, die eigentlich US-Firmen vorbehalten sind,
    • beide Seiten transparent sind bei ihrer Förderung von grünen Technologien. tho
    • Industriepolitik
    • Inflation Reduction Act
    • Klima & Umwelt
    • Klimaschutz

    Kartelluntersuchung: Kommission will Antworten von Meta

    Die Kartelluntersuchung gegen Meta erreicht die nächste Stufe: Die Kommission ist der – vorläufigen – Auffassung, dass das US-Unternehmen Meta auf den Märkten für Online-Kleinanzeigen gegen die EU-Kartellvorschriften verstößt. Die Kommission beanstandet, dass Meta seinen Online-Kleinanzeigendienst Facebook Marketplace mit seinem marktbeherrschenden sozialen Netzwerk Facebook verknüpft. Außerdem befürchtet sie, dass Meta den Wettbewerbern von Facebook Marketplace unfaire Handelsbedingungen auferlegt, von denen der eigene Dienst profitiert.

    Die Kommission hatte zu den möglicherweise rechtswidrigen Praktiken von Facebook am 04. Juni 2021 eine förmliche Kartelluntersuchung gegen Meta eingeleitet. Das vorläufige Ergebnis hat sie Meta am Montag mitgeteilt. Meta hat nun Gelegenheit, die Beschwerden gegen seinen Kleinanzeigendienst auszuräumen. Kommt die Kommission dennoch zu dem Schluss, dass hinreichend Beweise für Verstöße vorliegen, kann sie Meta eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.

    Beschwerdepunkte zu Kopplung und Werbedaten von Meta

    Nach aktueller Auffassung der Kommission missbraucht Meta seine beherrschende Stellung auf zweifache Weise:

    • Verknüpfung: Facebook-Nutzer erhalten automatisch Zugang zum Facebook Marketplace. Die Kommission hegt den Verdacht, dass Wettbewerber des Kleinanzeigendienstes vom Markt verdrängt werden könnten, da durch die Verknüpfung ein erheblicher Vertriebsvorteil entsteht.
    • Werbedaten: Die Geschäftsbedingungen gestatten es Meta, werbungsbezogene Daten von Wettbewerbern für Facebook Marketplace zu verwenden, was womöglich ungerechtfertigt ist. Die Kommission vermutet, dass dies die Wettbewerber belastet und allein Facebook Marketplace zugutekommt.

    Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Die Dauer unter anderem von der Komplexität des jeweiligen Falles und der Kooperationsbereitschaft des betroffenen Unternehmens ab.

    Kartelluntersuchung gegen Google und Meta: Ermittlungen eingestellt

    In einer weiteren Kartelluntersuchung hat die Kommission die Ermittlungen gegen Meta dagegen eingestellt. Dabei ging es um eine mutmaßlich wettbewerbswidrige Vereinbarung zwischen Google und Meta über Online-Display-Werbedienste (Jedi-Blue-Vereinbarung). Am 11. März 2022 hatte die Kommission eine Untersuchung eingeleitet.

    Die Kommission befürchtete, dass die 2018 abgeschlossene Vereinbarung dazu dienen könne, die mit dem Google-Dienst Open Bidding im Wettbewerb stehenden Dienste auszuschließen und somit den Wettbewerb auf den Märkten für Display-Werbung einzuschränken.

    Nach einer “sorgfältigen Bewertung aller einschlägigen Beweise”, kam die Kommission nun zu dem Schluss, dass ihre ursprünglichen Bedenken nicht berechtigt waren und hat die Untersuchung eingestellt. Sie kündigte jedoch an, die Geschäftspraktiken im europäischen Technologiesektor weiterhin zu beobachten.

    So ist etwa eine separate Kartelluntersuchung (ebenfalls aus dem Juni 2021) zu Googles möglichem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Ad-Tech-Sektor noch nicht abgeschlossen. vis

    • Facebook
    • Kartellrecht
    • Wettbewerb
    • Wettbewerbsverfahren

    Chemikalienstrategie: Kommission legt Überarbeitung der CLP-Verordnung vor

    Die EU-Kommission hat gestern eine überarbeitete Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien (CLP) vorgeschlagen und in einem delegierten Rechtsakt neue Gefahrenklassen für endokrine Disruptoren und andere schädliche chemische Stoffe eingeführt. Durch klarere Regeln für die Kennzeichnung und für online verkaufte Chemikalien soll der freie Verkehr von Stoffen und Gemischen erleichtert werden.

    Für endokrine Disruptoren (Chemikalien, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören) und Chemikalien, die in der Umwelt nicht abgebaut werden und sich so im Wasser und in lebenden Organismen anreichern können, führt die Kommission neue Gefahrenklassen ein. So soll der Zugang zu Informationen für Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen erleichtert werden.

    Weitere Maßnahmen zur Risikominimierung für Chemikalien könnten beispielsweise im Rahmen der REACH-Verordnung folgen, erklärte die Kommission. Hierbei müssten allerdings die sozioökonomischen Auswirkungen berücksichtigt werden.

    Der Vorschlag sieht unter anderem folgende Maßnahmen vor:

    • Effizientere Verfahren zur Information über die Gefahren von Chemikalien, die in der EU in Verkehr gebracht werden
    • Vereinfachte Kennzeichnungs- und Werbevorschriften (wie eine Mindestschriftgröße für die Kennzeichnung von Chemikalien)
    • Schnellere Identifizierung gefährlicher Stoffe: Kommission darf zusätzlich zu den Mitgliedstaaten und der Industrie Vorschläge zur Einstufung potenziell gefährlicher Stoffe erarbeiten
    • Verbraucherschutz: erstmalig spezifische Vorschriften für nachfüllbare chemische Produkte, die in loser Form verkauft werden
    • Stärkung von Umwelt- und Gesundheitsschutz

    Die CLP-Verordnung setzt in der EU das Global Harmonisierte System (GHS) der Vereinten Nationen um und verpflichtet Hersteller, Importeure oder nachgeschaltete Anwender, ihre gefährlichen Chemikalien vor dem Inverkehrbringen entsprechend einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken. Mit der Überarbeitung der CLP- und der REACH-Verordnung als Bestandteile der Chemikalienstrategie will die Kommission die Umstellung der europäischen Industrie auf nachhaltige Chemikalien fördern.

    Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der CLP-Verordnung muss nun vom Parlament und vom Rat gebilligt werden. Der delegierte Rechtsakt wird nach einer Prüfung von Parlament und Rat voraussichtlich im kommenden Jahr in Kraft treten. Die EU wird außerdem den Vorsitz in einer neuen informellen UN-Arbeitsgruppe führen, die globale Kriterien für die neu angenommenen Gefahrenklassen entwickeln soll. leo

    • Chemikalien
    • Europäische Kommission
    • Gesundheit
    • Gesundheitspolitik
    • REACH

    Presseschau

    Treffen der EU-Energieminister: Bundesregierung trägt Gaspreisdeckel mit TAGESSCHAU
    Lukaschenko rollt für Putin den roten Teppich aus – Kreml nennt Gaspreisdeckel “inakzeptabel” STERN
    Korruption in der EU: Warum Orbáns Bestrafung wichtiger ist als Katargate SPIEGEL
    Milliarden-Importe: EU kauft große Mengen russisches Flüssiggas MERKUR
    Streit um US-Inflationsgesetz: Paris und Berlin fordern Sonderklausel für EU N-TV
    Neue Regeln geplant: EU-Kommission will Menschenhandel in Europa stärker bekämpfen RND
    EU-Kommission stellt Ermittlungen gegen Meta und Google ein RP-ONLINE
    Eva Kaili verhaftet: “Rückschlag” für EU-Krypto-Regulierung? COINTELEGRAPH
    Oligarchen klagen vor EU-Gericht: Deutschland friert nur fünf Milliarden ein N-TV
    Nach Zwischenfall bei Russen: EU-Gebäude in Bangui brennen ab N-TV
    Habeck: EU-Auflagen vor Weihnachten für Uniper-Übernahme ZEIT
    Landwirtschaft und Fischerei entkommen neuem CO2-Preis der EU EURACTIV
    EU-Staaten wollen gegen Methan-Emissionen vorgehen MORGENPOST
    Scharlach-Welle in Europa: Bisher keine Anzeichen in Deutschland BR
    Bulgarien leitet Ermittlungen gegen pro-russische Paramilitärs ein EURACTIV
    EU-Behörde ermittelt gegen Frontex-Chefin EURACTIV

    Standpunkt

    Kernfusion: Den Durchbruch, den Europa hätte schaffen müssen

    Von André Loesekrug-Pietri
    Porträtfoto von André Loesekrug-Pietri (JEDI) im Anzug vor blauem Hintergrund. Er schreibt über Kernfusion in Europa.
    André Loesekrug-Pietri ist Vorsitzender der Joint European Disruptive Initiative (JEDI).

    Das US-Energieministerium kündigte am vergangenen Dienstag an, dass die erste Kernfusion mit positiver Energie mithilfe der Trägheits-Fusionstechnologie in Kalifornien durchgeführt wurde. Die National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien hat dafür Wasserstoffplasma mit Hochleistungslasern beschossen. Es ist ein historisches Ereignis, denn bislang hat die Fusion immer mehr Energie benötigt als sie erzeugt hat.

    2021 hatte das US-Startup Commonwealth Fusion Systems (CFS), mit einer anderen Technologie – Tokamak genannt – die größte private Finanzierungsrunde, die jemals in die Kernfusion getätigt wurde, aufgebracht: 1,8 Milliarden US-Dollar. CFS wurde erst vor vier Jahren gegründet und strebt an, bis 2025 die weltweit erste Fusionsanlage mit positiver Nettoenergie zu liefern.

    Zum Vergleich: Das ITER-Projekt, ein internationales Konsortium mit Sitz in Südfrankreich, wurde 2007 mit einem Budget gestartet, das sich seither vervierfacht hat (von fünf auf 20 Milliarden Euro). Es wurde ein Jahrzehnt früher als die CFS gegründet und hat nun eine Verzögerung von fünf Jahren und zusätzliche Kosten von einer Milliarde Euro angekündigt. Die erste Plasmaproduktion ist erst für 2030 geplant. ITER strebt ein ausgeglichenes Verhältnis von erzeugter zu verbrauchter Energie an, während NIF und CFS einen Faktor von zwei oder sogar mehr anstreben.

    Europas Ambitionen sind zu gering

    Aus dem Vergleich dieser Projekte lassen sich drei Erkenntnisse gewinnen, wie wir unsere Forschung und unsere öffentlichen Investitionen organisieren müssen: Agilität ist der Schlüssel, um die neuesten technologischen Entwicklungen aufzugreifen. Wir dürfen uns auf keinen Fall in zu starren Plänen einschließen und müssen eine große Porosität zwischen der akademischen Welt und der Welt der Unternehmen zulassen. Und schließlich muss man in der Kernenergie wie anderswo auch immer die nächste Technologiegeneration anstreben.

    CFS hat es geschafft, das Beste aus den neuesten Technologien herauszuholen. Insbesondere durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Deep Learning hat CFS es geschafft, ein extrem komplexes, heißes Plasma zu erhalten. Das Team in Boston konnte seine Forschung mithilfe von digitalen Zwillingen (digital twins) für seine Simulationen wesentlich schneller vorantreiben. Sie gingen technologische Wagnisse ein, indem sie neue Architekturen und Materialien einsetzten, zum Beispiel Hochtemperatur-Supraleiter. So gelang es, ein 20 Teslas starkes Magnetfeld zu erzeugen; das stärkste, das jemals auf der Erde entstanden ist. ITER dagegen setzt auf Niedrigtemperatur-Supraleiter.

    Europa braucht Sprunginnovationen

    Wir müssen unbedingt auf Sprunginnovation setzen, um Schlüsselprobleme zu lösen. Vor allem, da wir über die Zukunft der Kernenergie nachdenken und viele Milliarden an öffentlichen Geldern in EPR-Kraftwerke stecken, die man in Großbritannien, Frankreich und Finnland zurzeit vergeblich versucht zum Laufen zu bringen. Im Fall der Kernenergie sind die Schlüsselprobleme unsere Abhängigkeit von russischem Uran, das Risiko eines radioaktiven Unfalls und die Lagerung von Atommüll.

    Die Kernfusion arbeitet mit anderen Brennstoffen als Uran; zum Beispiel Deuterium, ein Wasserstoffisotop, das in Wasser vorkommt und daher unerschöpflich ist. Dies erzeugt radioaktive Produkte, die weniger langlebig sind als der fast ewige Endmüll aus heutigen Kraftwerken. Vor allem handelt es sich nicht um eine “kontrollierte” Kettenreaktion, die nicht immer so kontrollierbar ist, wie in Tschernobyl oder Fukushima zu sehen war, sondern um einen instabilen Vorgang, der bei einer Anomalie zum Stillstand kommt. Diese Eigenschaften könnten die Versöhnung Deutschlands mit der Kernenergie unterzeichnen.

    Rückstand Europas ist ein Skandal

    Der US-Durchbruch ist ein großer Schritt für die Menschheit und ein kleiner Schritt (rückwärts) für unseren Kontinent. Der Rückstand Europas bei der Kernfusion ist ein Skandal und eine echte Schande, obwohl Frankreich lange Zeit eine Vorreiterrolle gespielt hat. Die USA holen auf.

    NIF und CFS zeigen, dass sie in der Lage sind, das Beste aus ihrem Ökosystem zu mobilisieren: Universitäten, private Investoren und öffentliche Behörden. Gemeinsam konzentrieren sich diese auf die wesentliche, aber punktuelle Finanzierung bahnbrechender Innovationen mit klaren Zielvorgaben, anstatt “klassische” Industriepolitik zu betreiben, mit bürokratischen Instrumente wie IPCEIs oder massiven Subventionen.

    Nicht dieselben Fehler wie in der Energiekrise

    Während sich die europäischen Entscheidungsträger noch über die “grüne Taxonomie” streiten und, ob Kernenergie sauber ist, arbeiteten US-amerikanische Akteure daran, die Energie grüner zu machen. Wir haben bereits vor einem Jahr vor diesen neuen potenziellen technologischen Durchbrüchen aus den USA gewarnt. Aber sowohl die EU-Kommission als auch nationale Regierungen haben sich nicht von den bestehenden Energie-Akteuren oder Verwaltungen abbringen lassen. Sie schaffen es einfach nicht, schnell und ohne die bürokratische Kontrolle von IPCEIs und Horizon-Europe-Programmen zu Durchbrüchen zu kommen. Das Resultat: Zu viele Geldjäger und nicht die besten Teams.

    Während Europa in einer Energiekrise steckt und der Krieg in der Ukraine ein bequemes Alibi ist, den Mangel an strategischer Antizipation zu verschleiern, begehen wir denselben Fehler mit der Kernfusion. Dabei sollte sie gerade aus diesem Grund ein absolut prioritärer Bereich sein.

    Wieder einmal sind wir in Europa dabei, den Zug des technologischen Fortschritts zu verpassen. Es ist Zeit, Rechenschaft zu fordern, richtigen Impact bei Forschung und Entwicklung zu erzielen und die bürokratischen Monster, die wir geschaffen haben, radikal zu verändern. Sonst wird die europäische Dämmerung eine Realität.

    • Energiepolitik
    • IPCEI
    • ITER
    • Sprunginnovation
    • Subventionen
    • Taxonomie

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen