Terry Reintke hat ihren Hut in den Ring geworfen. Die Grüne, Fraktionschefin im Europaparlament, Kind des Ruhrgebiets und Anhängerin des Langstreckenlaufs, will Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl werden. Eine der beiden, denn die Grünen gehen immer mit zwei Kandidaten ins Rennen.
Die Grünen sind also die erste europäische Parteienfamilie, die Schritte für die Benennung des Kandidaten für den einflussreichsten Posten in der EU unternimmt. Ursula von der Leyen hat noch immer nicht öffentlich gesagt, ob sie noch eine Runde anstrebt und als Spitzenkandidatin der christdemokratischen Parteienfamilie EVP antritt. In der sozialdemokratischen Parteienfamilie SPE ist nicht einmal ein Interessent für den Posten in Sicht. Bei der liberalen Parteienfamilie Renew darf man nicht zu viel Enthusiasmus vermuten. 2019 ging sie gleich mit einem ganzen Strauß von Spitzenkandidaten ins Rennen, um sich nicht festzulegen, und weil Emmanuel Macron nichts vom “Spitz” hält.
Eine Überraschung wäre es gewesen, wenn Reintke nicht angetreten wäre. Nun ist die Frage, wer bewirbt sich noch? Die Statuten der Grünen würden auch zwei Frauen zulassen. Noch hat sich auch informell niemand aus der Deckung gewagt. Formell läuft die Bewerbungsfrist vom 5. bis 28. November. Um Chaos-Kandidaturen auszuschließen, muss ein Interessent die Unterstützung von fünf Mitgliedsparteien haben. Dann stellen sich die Kandidaten bei einer Parteiversammlung (Council) im Dezember vor. Danach machen sie zwei Monate parteiinternen Wahlkampf. Gewählt wird schließlich auf dem Kongress der europäischen Grünen am 2. bis 4. Februar in Lyon.
Im Gespräch bei den Grünen sind Marie Toussaint, die Vize in der Fraktion ist und die französische Liste bei der Europawahl anführen wird. Bei den Männern heißt es, der Niederländer und Vize in der Fraktion, Bas Eickhout – er war schon Co-Spitzenkandidat 2019 – wolle wieder. Gehandelt wird auch der einzige Kommissar mit grünem Parteibuch, Virginijus Sinkevičius, aus Litauen. Sowie der Katalane Ernest Urtásun, der ebenfalls Fraktionsvize ist. Unterdessen will der Verfassungsausschuss im Parlament im November in Straßburg die Forderung abstimmen lassen, dass die Spitzenkandidaten zwölf Wochen vor der Wahl feststehen müssen. Deadline wäre also Donnerstag, 14. März. Ob die EVP das schafft?
Einen angenehmen Tag wünscht
Der BDI, einer der drei Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, verlangt von der EU-Kommission eine scharfe Kurskorrektur. Sie solle “eine wirtschaftsfreundliche Agenda verfolgen, die Europas globale Wettbewerbsfähigkeit wieder in den Mittelpunkt stellt”. Dies geht aus dem BDI-Grundsatzpapier zur Europapolitik 2024 bis 2029 hervor, das Table.Media vorliegt. In dem Papier hat der BDI seine politischen Forderungen an die EU für das nächste Mandat formuliert.
“Die Welt erlebt gegenwärtig geopolitische Umwälzungen, die Europa im internationalen Wettbewerb vor enorme Herausforderungen stellen”, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm zu Table.Media. Während die USA durch attraktive Standortbedingungen Unternehmen aus aller Welt anziehen und globale Partnerschaften schmiedeten, kämpfe Europa mit steigenden Energiekosten, wachsenden Vorschriften und zunehmender Bürokratie. “Deutschland und Europa stehen unter Zugzwang”, meint Russwurm. “Die EU muss die Zeichen der Zeit erkennen und unverzüglich auf eine wirtschaftsfördernde Agenda umstellen. Wirtschaftliche Stärke ist entscheidend für ein zukunftsfähiges Europa.”
Der Verband fordert neue Handelsabkommen. In der Handelspolitik solle die EU einer Zerfaserung bewährter Bündnisse auf Basis des regelbasierten Handels zwischen Industriestaaten entgegentreten. Nötig sei eine aktivere Nachbarschaftspolitik, ein umfassender Ausbau der Wirtschafts- und Transformationspartnerschaften mit Entwicklungs- und Schwellenländern sowie eine engere strategische Abstimmung mit demokratischen Ländern wie USA, Japan, Australien, Südkorea und Kanada.
Die USA blieben wichtigster Handelspartner der EU. Jedoch sähen sowohl die Biden-Regierung als auch die vorangegangenen Administrationen die Globalisierung kritisch. Die USA setzten zunehmend auf Industriepolitik mit Lokalisierungsanforderungen für öffentliche Aufträge, Subventionen und Infrastrukturprojekte. Unter Biden strebe die US-Regierung keine klassischen Freihandelsabkommen mit Gewährung des gegenseitigen Marktzuganges an, sondern gehe lediglich Verhandlungen über Frameworks ein wie etwa den EU-US-Trade and Technology Council (EU-US TTC)
Die konkreten Forderungen des BDI in der Handelspolitik sind:
Der BDI fordert massive Anstrengungen zur Vollendung und Sicherung des Binnenmarktes. Dieser drohe, im internationalen Standortvergleich zurückzufallen. Auch dreißig Jahre nach Inkrafttreten bleibe er ein Flickenteppich. Start-ups, KMU und MidCaps könnten wegen zahlreicher Barrieren häufig nur begrenzt EU-weit agieren. Die EU überziehe die Unternehmen mit einer Flut “teils schlecht formulierter Rechtsvorschriften”. Vor allem im Steuerrecht gebe es massive Defizite: Die Unternehmen hätten es in der EU immer noch mit 27 Körperschaftssteuersystemen zu tun. Der Binnenmarkt habe ein Wachstumspotenzial von mehr als 700 Milliarden Euro bis Ende 2029.
Das sind die konkreten Forderungen für den Binnenmarkt:
Der BDI fordert Anstrengungen für eine bessere Rechtssetzung und einen konsequenten Bürokratieabbau. Die konkreten Forderungen lauten:
In der Wettbewerbspolitik und Fusionskontrolle mahnt der BDI an, die geänderten geo- und handelspolitischen Bedingungen im Blick zu haben. Die Kommission verfüge über ausreichend Instrumente in der Wettbewerbspolitik, die Diskussion um ein New Competition Tool dürfe nicht weiter geführt werden. Kartell- und Fusionsverfahren müssten verhältnismäßig und rechtssicher geführt werden. Für die betroffenen Unternehmen seien Anfragen der Kommission mit teils nicht zumutbarem Aufwand verbunden. In der Steuerpolitik mahnt der BDI an, dass die Kommission ein Gesamtkonzept für die Unternehmensbesteuerung vorlegt.
Die vom BDI geforderten Wettbewerbsfähigkeitschecks für Gesetze hätten wohl in keinem Politikbereich so weitreichende Folgen wie beim Green Deal. “Während die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) Klima- und Industriepolitik zusammendenken und massiv in technologische Innovationen investieren, versucht die EU die Transformation des Industriesektors vor allem über einen steigenden CO₂-Preis zu steuern”, heißt es in dem Papier.
Nur auf hohe CO₂-Preise im europäischen Emissionshandel (ETS) zu setzen, wirke aber wie eine Strafe für Produktionsanlagen, wenn entscheidende Infrastrukturen fehlten, meint der BDI. Als Ergänzung setzt der Spitzenverband nicht nur auf neue Fördermechanismen wie Differenzverträge (CfD), er stellt auch Teile der ETS-Architektur selbst in Frage. So müsse Europa den gerade erst beschlossenen CO₂-Grenzausgleichmechanismus wieder abschaffen, wenn er Carbon Leakage nicht verhindere.
Den Net-Zero Industry Act solle die EU zu einer industriepolitischen Strategie weiterentwickeln: “Investments in europäische Projekte müssen in einem technologieoffenen Ansatz durch schnellere Verfahren, vorteilhaftere Standortkosten und regulatorische Verlässlichkeit attraktiver werden.” Verfahrensbeschleunigungen sollten nicht nur für Technologien aus dem NZIA gelten, sondern für Industrieanlagen allgemein. Dafür will der BDI falls nötig auch geltende Umweltvorschriften lockern:
In der Energiepolitik spricht sich der BDI für eine Ausweitung des Angebots von erneuerbaren Energien aus, ein Festhalten an den Grundsätzen des Strommarktdesigns und Kapazitätsmechanismen für den raschen Bau von Back-up-Kraftwerken.
Auch bisher wenig beachtete neue Anwendungen müssten beim Ausbau der Erneuerbaren berücksichtigt werden. Technologien zur Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO₂ (CCUS) seien energieintensiv und erforderten daher “ausreichend verfügbare Mengen erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen”.
Bei der Nutzung von synthetischen Kraftstoffen setzt sich der BDI außerdem für ein kostengünstiges internationales Zertifikatesystem ein – ähnlich wie bei Nachweisen für Ökostrom. Eine Rolle spielen könnte das für europäische Fluglinien. Sie müssten ihre Jets dann nicht mehr selbst mit teurem Kerosin auf Basis von Wasserstoff betanken, um entsprechende Ökoquoten zu erfüllen. Genügen würde ein Zertifikat als Nachweis, das irgendwo auf der Welt ein Flieger eine entsprechende Menge an synthetischem Kraftstoff getankt hat.
Ernüchternd fällt die Analyse des BDI zur Digitalisierung aus: Der Digitalisierungsgrad europäischer Unternehmen bewege sich auf anhaltend niedrigem Niveau. Die Investitionslücke zu internationalen Wettbewerbern wachse weiter. In Deutschland etwa mangele es am Innovationstransfer, an Fachkräften, Risikokapital und Unternehmen, die Grundlagenforschung betreiben. “Das Innovationssystem Deutschlands ist noch stabil, aber wenig dynamisch“, konstatiert der BDI.
Als Ursachen benennt er eine Fülle an europäischer Digital- und Innovationsregulierung, die für die Unternehmen erheblichen Mehraufwand bedeute, sowie einen Mangel an Innovationsförderung, die auf die digitale Souveränität Europas ausgerichtet ist. Auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz sei Europa weit von seinen Zielen entfernt. Am Verhandlungsprozesses zum AI Act kritisiert der BDI, dass vielmehr die Risiken als die Chancen gesehen würden.
Einige der Handlungsempfehlungen lauten:
Nach Tagen der Kakofonie soll von Brüssel aus zur Nahostkrise nun ein Signal der Einheit ausgehen, so ein Diplomat vor dem Start des zweitägigen EU-Gipfels heute. Ob es klappt, ist allerdings offen. Bis zuletzt wurde im Ausschuss der Ständigen Vertreter um Worte gerungen. Im Fokus die Frage der humanitären Hilfe für die Palästinenser. Mitgliedstaaten wie Spanien oder Irland wollen in den Schlussfolgerungen die Forderung nach einer Waffenruhe verankert sehen, andere wiederum zumindest eine oder mehrere Pausen, Fenster oder humanitäre Korridore.
Sprache sei wichtig, verteidigte ein EU-Diplomat die semantischen Diskussionen. Es gebe unter den Mitgliedstaaten zum Nahostkonflikt traditionell unterschiedliche Sensibilitäten und Wahrnehmungen. Das heiße aber nicht, dass gemeinsames Handeln nicht möglich sei. Es gehe darum, die humanitäre Hilfe für alle Zivilisten sicherzustellen, ohne gleichzeitig Israels Recht infrage zu stellen, den Terrorismus der Hamas zu bekämpfen. “Wir müssen einen Mittelweg finde”, so ein Diplomat. Und zwar zwischen jenen, die einen humanitären Waffenstillstand forderten und anderen, die betonten, dass Israel immer noch angegriffen werde und ein Recht auf Verteidigung habe.
Deutschland gehört zu den Ländern, die der Forderung nach einer “humanitären Pause” im Allgemeinen Ausschuss der Vertreter (AStV) kritisch gegenüberstanden. “Wir werden am Ende einen Konsens haben”, so ein EU-Diplomat am Mittwoch. Der Europäische Rat fordere einen kontinuierlichen, raschen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, heißt es im Entwurf der Schlussfolgerungen. Es müsse mit allen erforderlichen Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass die Hilfe zu den Bedürftigen gelange. Mit dem Passus will die EU Befürchtungen berücksichtigen, die Hamas könnte einen Teil der Hilfe für eigene Zwecke abzweigen. Im Entwurf wird bekräftigt, dass die EU die “Hamas und ihre brutalen und willkürlichen Angriffe auf ganz Israel aufs Schärfste verurteilt”. Die Benutzung von Zivilpersonen als menschliche Schutzschilde durch Hamas sei eine besonders verwerfliche Gräueltat.
Die EU unterstreicht erneut Israels Recht, sich im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen und fordert die Hamas auf, die Geiseln ohne Vorbedingungen unverzüglich freizulassen. Thema ist auch, wie eine regionale Eskalation vermieden werden kann, die nur zu einer noch größeren Katastrophe werde. Diplomaten rechneten damit, dass einige Staats- und Regierungschefs über ihre Kontakte der letzten Tage berichten werden. Auch darüber, wie längerfristig der Friedensprozess wieder gestartet werden kann, soll diskutiert werden. Die Zweistaatenlösung bleibe der einzige Weg, an dem die EU festhalten wolle.
Die außenpolitischen Krisen und Konflikte werden beim Gipfel die wirtschaftspolitischen Themen und die Diskussion über den MFF in den Hintergrund drängen. Kein Zufall, dass der Gipfel mit einer Diskussion zur Lage in der Ukraine beginnen wird, zu der auch Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet werden soll. Der Gipfel werde die kontinuierliche Hilfe für die Ukraine bekräftigen, betonten Diplomaten. Dies nicht etwa, weil es unter den Mitgliedstaaten da Zweifel gebe, sondern als Reaktion auf Sorgen in der Ukraine, vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts in Vergessenheit zu geraten.
Die Diskussion zum Kommissionsvorschlag, die Rüstungsfinanzierung für die Ukraine auf eine längerfristige Basis zu stellen und dafür für die nächsten vier Jahre 20 Milliarden Euro vorzusehen, kommt nicht richtig voran. Die Diskussionen zum zwölften Sanktionspaket gegen Russland hätten aber begonnen, mit einem Fokus auf Dual-Use-Produkte und Schlupflöcher im Sanktionsregime. Bei Importverbot von russischen Diamanten sei zudem im Rahmen der G7-Staaten eine Lösung in den nächsten Wochen absehbar.
Ein Abschnitt ist zudem dem festgefahrenen Dialog zwischen Belgrad und Pristina sowie der Sicherheitslage im Norden Kosovos nach dem Angriff serbischer Paramilitärs auf die kosovarische Polizei gewidmet. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Kosovos Regierungschef Albin Kurti kurzfristig für Krisentreffen am Rande des Gipfels nach Brüssel zitiert. Die beiden Kontrahenten sollen getrennt mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zusammenkommen. Es gehe darum, Vucic und Kurti klar zu machen, dass sie mit ihrer Blockadehaltung den europäischen Weg ihrer Länder aufs Spiel setzten, so ein Diplomat. Beide Seiten müssten jetzt im Einklang mit den Vereinbarungen von Ohrid und Brüssel die vereinbarten Schritte hin auf eine Normalisierung unternehmen.
Beim Abendessen wollen die Staats- und Regierungschefs auch über die Lage im Sahel reden. Die EU hat Anfang der Woche die Rechtsgrundlage für künftige Sanktionen gegen die Putschisten in Niger verabschiedet. Die EU fordert in der Schlussfolgerung die Freilassung von Präsident Bazoum und seiner Familie, die in der Hauptstadt Niamey isoliert und unter Hausarrest stehen.
Thema am Abend sind auch die Spannungen zwischen Aserbaidschan und nach den ethnischen Säuberungen in der Enklave Bergkarabach. Insbesondere Frankreich drängt auf ein Rückkehrrecht der vertriebenen armenischen Bevölkerung. Nicht gebannt ist auch die Gefahr, dass Aserbaidschan mit Blick auf einen Korridor Richtung Exklave Nachitschewan einen militärischen Vorstoß in Armeniens Kernland versucht. Die EU betont in den Gipfelschlussfolgerungen, den Normalisierungsprozess und den Frieden zwischen den beiden Ländern auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung der Souveränität und der territorialen Integrität unterstützen zu wollen.
Die EU hat im Rahmen des ersten “Global Gateway”-Forums die Unterzeichnung Dutzender Abkommen mit Partnerländern bekannt gegeben. Um mit China im Zugang zu strategisch wichtigen Mineralien zu konkurrieren, will Brüssel gemeinsam mit den USA den Grundstein für einen Korridor legen, der die Demokratische Republik Kongo und Sambia mit dem Atlantischen Ozean verbinden soll. Die Strecke soll durch Angola zum Hafen von Lobito führen und von dort aus die Staaten mit den Weltmärkten verbinden, wie Bloomberg am Mittwoch unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete.
Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge, Ministerpräsident der DR Kongo, war am Mittwoch als Sprecher zu kritischen Rohstoffen beim Forum zur EU-Infrastruktur-Initiative geladen. An der Session nahmen auch José de Lima Massano, Staatsminister für wirtschaftliche Koordinierung aus Angola und der sambische Finanzminister Situmbeko Musokotwane teil. Das Memorandum of Understanding zur Entwicklung des Korridors soll nun im Rahmen des Forums in Brüssel stattfinden. Die EU und die USA hatten im vergangenen Monat bereits erklärt, dass ein erster Schritt Machbarkeitsstudien für einen neuen Eisenbahnausbau zwischen Sambia und Angola umfassen werde.
Die DR Kongo ist der weltweit größte Produzent von Kobalt und konkurriert mit Peru um die Position des zweitgrößten Kupferproduzenten, was vor allem einem Anstieg von chinesischen Investitionen in den vergangenen Jahren zu verdanken ist. Sambia ist ebenfalls reich an Kupfer.
Ob der Korridor in Afrika ein Erfolgsprojekt wird, ist noch offen. Die Umsetzung der zuletzt angekündigten Konnektivitäts-Initiative der EU und USA für den Handelskorridor Indien-Nahost-Europa (IMEEC, kurz für India-Middle East-Europe Economic Corridor) wird derzeit wegen des Aufflammens des Konflikts zwischen Israel und der Terror-Organisation Hamas infrage gestellt.
Brüssel will nach eigenen Angaben mit “Global Gateway” in Drittstaaten eine Alternative zu Chinas “Belt and Road”-Initiative anbieten. Der BRI-Gipfel hatte vergangene Woche in Peking Vertreter aus rund 130 Staaten versammelt. Ehrengast war dabei Russlands Präsident Wladimir Putin, der gemeinsam mit Chinas Staatschef Xi Jinping das Bankett eröffnete.
EU-Kommissionschefin von der Leyen nannte China am Mittwoch bei der Eröffnung des Forums in Brüssel nicht direkt – machte aber Referenzen auf die der Volksrepublik nachgesagten Methode, Häfen oder andere lokale Infrastruktur für chinesische Kredite einzufordern: “Kein Land sollte mit einer Situation konfrontiert werden, in der die einzige Möglichkeit zur Finanzierung seiner wesentlichen Infrastruktur darin besteht, seine Zukunft zu verkaufen“, sagte von der Leyen vor Gästen wie dem albanischen Ministerpäsidenten Edi Rama, Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina und Senegals Präsident Macky Sall.
Im Rahmen des Forums ist eine Vielzahl an Unterzeichnungen geplant. Darunter sind:
Der Infrastrukturplan der EU befindet sich im Vergleich zur zehn Jahre alten Neuen Seidenstraße noch in einem frühen Stadium – konkrete neue Projekte waren bisher noch Mangelware. Viele der Initiativen stammten noch aus Vorgänger-Projekten. “Global Gateway” drohte, sich ein wenig zu einem Rohrkrepierer zu entwickeln: Innerhalb der EU-Kommission gab es Querelen um die Zuständigkeit, in den EU-Hauptstädten wusste niemand so wirklich, wie mit dem Vorstoß umgegangen werden sollte. “Global Gateway” ist komplex, da die finanziellen Ressourcen von Mitgliedstaaten, multilateralen Organisationen wie der EIB und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie dem Privatsektor dafür mobilisiert werden sollen.
Der erste Tag des Forums mit den verkündeten Projekt-Plänen lässt nun auf einen schnellen Fortschritt hoffen: “Das ‘Global Gateway’-Forum in Brüssel ist ein guter Start. Jetzt ist es entscheidend, dass mit der Initiative konkrete Projekte in Gang gesetzt werden, die bei den Menschen in der Fläche ankommen”, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Bacherle, der Obmann im Digitalausschuss und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist, zu Table.Media. “Global Gateway” müsse globale Versorgungslücken schließen und die Souveränität von Partnerstaaten stärken, statt ihre Abhängigkeiten noch zu vertiefen, formulierte Bacherle die Anforderungen an die Initiative.
Ulrich Ackermann, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im VDMA, zeigte sich zuversichtlich: “Es ist erfreulich, dass die ‘Global Gateway’-Initiative endlich Fahrt aufnimmt und die Europäische Union zahlreiche Staats- und Regierungschefs zum Infrastrukturgipfel nach Brüssel eingeladen hat.” Die EU könnte damit ein echter geopolitischer Akteur in Afrika, Asien und Lateinamerika werden, so Ackermann. “Gerade in Zeiten des De-Risking von China werden diese Märkte für den europäischen Maschinenbausektor immer wichtiger.” Ackermann betonte jedoch, dass die angedachten 300 Milliarden Euro von “Global Gateway” bei weitem nicht ausreichten, um die globale Infrastrukturlücke zu schließen.
Dass Chinas BRI ganz klar der Gegenansatz zur europäischen Initiative sein soll, hatte EU-Kommissionschefin mehrfach betont. Vor dem Beginn des Forums hatte auch deshalb ein Medienbericht für Aufsehen gesorgt, der nahelegte, dass sich die EU-Kommission unwissentlich auch chinesische Verbindungen in das neu eingesetzte Unternehmens-Gremium geholt hat. Das Gremium soll sich und die EU zu “Global Gateway”-Projekten beraten. Mitglied darin ist auch der portugiesische Energiekonzern EDP, an dem China Three Gorges (CTG) 20 Prozent hält, wie South China Morning Post berichtete.
CTG ist damit zwar nicht Mehrheitseigner, aber hält allein den größten Anteil an EDP. Der portugiesische Konzern ist einer von 60 Mitgliedern in dem Gremium. EU-Kommissionssprecher Eric Mamer wies am Donnerstag Kritik daran zurück, dass EDP Teil des Gremiums sei. Chinas Anteil an EDP ist generell kein Geheimnis. Ob die EU-Kommission vorab von der Anteilsstruktur wusste, sollte laut Mamer nochmals genauer betrachtet werden.
Am Donnerstag werden erneut EU-Politiker und Vertreter aus möglichen Partnerländern zusammenkommen, um zu Themen wie Gesundheit und digitale Infrastruktur zu sprechen. Neben dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und dem Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, werden auch unter anderem auch die Regierungschefs aus Kroatien, Serbien und Estland teilnehmen. Das Abschluss-Plenum ist gegen Mittag auf der Agenda.
26.10.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Agrifish
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) informiert über die Themen und Ergebnisse des Rats für Landwirtschaft und Fischerei am 23. und 24. Oktober. INFOS & ANMELDUNG
26.10.2023 – 16:00-17:15 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Presentation Pre-COP28: In conversation with Jacob Werksman
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) reflects on the EU strategic policy priorities in the run-up to COP28 and on the potential outcomes. INFOS & ANMELDUNG
26.10.2023 – 18:30-20:00 Uhr, Köln
DGAP, Podiumsdiskussion Alles nur Greenwashing? Der Beitrag von Entwicklungspolitik und Privatwirtschaft zum Klimaschutz
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) beleuchtet die Rolle von Geberländern und Privatwirtschaft bei der Klimafinanzierung sowie die Bedarfe und Herausforderungen in den Ländern des Globalen Südens. INFOS & ANMELDUNG
27.10.-28.10.2023, St. Peter
KAS, Seminar Der Westbalkan – vom Konfliktherd über den “Kalten Frieden” zur EU-Mitgliedschaft?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ordnet die komplexe Gemengelage der jüngsten Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo ein und analysiert aktuelle Herausforderungen in der Region, wie die Migration auf der “Balkanroute” oder die Möglichkeit des EU-Beitritts einzelner Länder. INFOS & ANMELDUNG
27.10.2023 – 09:30-18:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
EC, Discussion The European Climate Stocktake – EU and global progress towards the goals of the Paris Agreement
The European Commission (EC) aims to contribute to the discussion in the run-up to the Global Stocktake, the UNFCCC’s first review of the global progress made in implementing the Paris Agreement, which will conclude at COP28 in November. INFOS & REGISTRATION
27.10.2023 – 11:00 Uhr, online
Handelsblatt, Seminar Die grüne Energierevolution: Deutschlands Herausforderungen für einen erfolgreichen Markthochlauf von Wasserstoff
Das Handelsblatt beschäftigt sich mit den Herausforderungen für die Akteure der Wasserstoffwirtschaft. INFOS & ANMELDUNG
29.10.-01.11.2023, Cadenabbia
KAS, Seminar Eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa: deutsche und französische Perspektiven im Dialog
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit einer neuen Sicherheitsarchitektur für Europa auseinander. INFOS & ANMELDUNG
30.10.-26.11.2023, online
FSR, Seminar Specialised Training on the Regulation of Gas Markets
The Florence School of Regulation (FSR) provides knowledge and instruments needed to approach the study of gas markets, regulation, and policy. INFOS & REGISTRATION
30.10.2023 – 15:00-17:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
ERCST, Roundtable Carbon Removal Certification Framework: What is next?
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) discusses key takeaways from the report by the rapporteur on the certification Framework for Carbon Removal (CRCF) in the European Parliament and provides an opportunity to exchange views on how it addresses concerns from different stakeholders. INFOS & REGISTRATION
30.10.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Bonn
KAS, Podiumsdiskussion Die Ukraine auf ihrem Weg in die EU – Stand der Vorbereitungen und Ausblick
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) geht der Frage nach, welche Herausforderungen auf die Ukraine und welche auf die EU zukommen, damit beide zusammenfinden können. INFOS & ANMELDUNG
31.10.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Europäischer Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) informiert über die Inhalte und Ergebnisse des Europäischen Rats am 26. und 27. Oktober. INFOS & ANMELDUNG
Bei der Neuordnung des EU-Haushalts setzt sich die Bundesregierung für einen höheren Anteil von direkten Zuschüssen für die Ukraine ein. Für die anstehende Änderung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) bis 2027 hat die Kommission bei den Mitgliedstaaten neue Hilfen für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren beantragt. Ein Teil davon soll in Form von Krediten und ein Teil als Zuschuss gewährt werden.
Die Hilfe für die Ukraine habe für Deutschland höchste Priorität bei den MFR-Verhandlungen, hieß es gestern aus Kreisen der Bundesregierung einen Tag vor dem Europäischen Rat. Auch die von der Kommission genannte Größenordnung unterstütze man. Heute beraten die Staats- und Regierungschefs erstmals auf höchster Ebene über die Kommissionsvorschläge. “Angesichts der Haushaltssituation in der Ukraine sind Zuschüsse gegenüber einer höheren Verschuldung klar vorzuziehen“, sagte der ranghohe Beamte aus Berlin weiter.
Die Einnahmen Kiews seien wegen des Krieges niedrig und die Ausgaben hoch. Für die Zeit nach dem Krieg werde die Schuldenquote der Ukraine eine wichtige Rolle spielen, unter anderem für ein Engagement des Internationalen Währungsfonds (IWF).
In Diplomatenkreisen in Brüssel wurde unterstrichen, der Europäische Rat werde keine Entscheidung hinsichtlich der MFR-Revision fällen. Es gehe darum, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, ihre Prioritäten für die zweite Halbzeit dazustellen. Auf Basis der einzelnen Stellungnahmen solle dann ein Kompromiss für eine Einigung im Dezember gefunden werden. Insgesamt fordert die Kommission Mehrausgaben von 66 Milliarden Euro, unter anderem für höhere Zinslasten beim EU-Aufbaufonds sowie gestiegene Verwaltungskosten
Von deutscher Seite wurde aber klar gemacht, dass diese Mehrkosten prioritär über Umschichtungen und Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt erreicht werden müssen. Darüber hinaus fordert Berlin, für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden. Die von der Kommission angestrebte Reduzierung von Berichtspflichten reiche nicht aus. Erste Vorschläge zur Beschleunigung habe eine deutsch-französische Expertengruppe erarbeitet. ber, cr
Der Industrieausschuss (ITRE) im Europaparlament hat sich positioniert zum Vorschlag der Kommission für Net-Zero-Industry-Act (NZIA). Ziel des Gesetzesvorhaben ist, die Technologien für die Dekarbonisierung in Europa zu industrialisieren. In Europa sollen 40 Prozent der Null-Emissions-Technologien produziert werden und einen globalen Marktanteil von 25 Prozent an diesen Technologien erobern.
Die Genehmigungsprozesse sollen beschleunigt werden. Normale Projekte sollen nach neun bis zwölf Monaten von den Behörden genehmigt sein, Projekte von besonderem strategischem Interesse nach sechs bis neun Monaten. Zuschüsse sollen bereitgestellt werden aus dem Emissionshandel (ETS) und für Projekte mit dem höchsten strategischen Anspruch aus STEP, Strategic Technologies for Europe.
Berichterstatter Christian Ehler (CDU): “Wir haben den Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich erweitert und die gesamte Lieferkette einbezogen, sowie die Fristen für die Genehmigung verkürzt.” Der Kommissionsvorschlag sei Teil der Antwort der EU auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). “Der Net-Zero Industry Act ist Teil der Lösung, um den Green Deal für die Industrie machbar zu machen.” Dieses Gesetz könne jedoch nur ein Anfang sein. “Damit die europäische Industrie wieder auf die Beine kommt, werden wir in der nächsten Wahlperiode mehr europäische Maßnahmen brauchen.” Die Mitgliedstaaten haben ihre Position noch nicht festgelegt. Damit wird Ende November gerechnet. mgr
Im Handelsstreit mit den USA über den Inflation Reduction Act (IRA) beharren die EU-Staaten auf einem umfassenden Entgegenkommen der Vereinigten Staaten. “Der Rat ersucht die Kommission, sich intensiv um eine Entschärfung der problematischen und diskriminierenden Bestandteile des IRA zu bemühen und dabei auch sicherzustellen, dass der Europäischen Union der gleichwertige Status eines Freihandelspartners nach den Bestimmungen des IRA zuerkannt wird”, heißt es in einem gestern zirkulierenden Entwurf der Abschlusserklärung des Europäischen Rates, der heute und morgen in Brüssel stattfindet.
Am Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs ausführlich über die Wettbewerbsfähigkeit der EU diskutieren. Die Kommission fordern sie laut dem Entwurf außerdem auf, weitere Gesetzesvorschläge zum Bürokratieabbau und zur Vereinfachung von Rechtsvorschriften vorzulegen und verweisen dabei auf Möglichkeiten, welche die Digitalisierung eröffnet.
Außerdem soll der Rat bis Jahresende die Arbeit am neuen wirtschaftspolitischen Rahmen der EU abschließen. Die Novelle wurde wegen der Covid-Pandemie 2020 angestoßen, doch erst im April dieses Jahres hatte die Kommission Gesetzesvorschläge vorgelegt. Das neue Rahmenwerk soll gleichzeitig Haushaltsstabilität und Wirtschaftswachstum sichern. ber
In einem gemeinsamen Statement wenden sich acht Verbände der Digitalindustrie an die Verhandler in Rat und Parlament, um noch Änderungen an der Produkthaftungsrichtlinie (PLD) zu bewirken. “Für neu entstehende Technologien wie Künstliche Intelligenz ist es entscheidend, einen zu restriktiven Rechtsrahmen zu vermeiden, der die Entwicklung und Nutzung von KI in Europa behindern würde”, heißt es in dem Schreiben, das Table.Media vorliegt, und das heute verschickt werden soll.
Anfang der Woche fand der erste Trilog zu dem Dossier statt. Erstmals bezieht die Richtlinie Software ein und wird auch für Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) gelten. Die Kommission hat aber bereits auch einen Vorschlag für eine Spezialgesetzgebung zur KI-Haftung gemacht. Die Unterzeichner des Statements, darunter die amerikanische Computer & Communications Industry Association (CCIA Europe) und DOT Europe, erwarten, dass die Verhandlungen schnell zu einem Abschluss kommen.
Die Unterzeichner schlagen unter anderem vor, dass Informationen nicht als Produkt betrachtet werden und daher die Produkthaftungsregeln auch nicht auf den Inhalt von digitalen Dateien, wie Mediendateien oder den reinen Quellcode von Software, angewendet werden sollen.
Zudem stehen Sie auf dem Standpunkt, dass Datenverlust oder Datenkorruption als nicht so schwerwiegend betrachtet werden sollten wie Gesundheits- oder Sachschäden, auf die die ursprüngliche PLD ausgerichtet ist. “Datenverlust und Korruption, wenn sie nicht vollständig gelöscht werden, sollten mindestens auf unwiderrufliche Schäden von mehr als 1.000 Euro beschränkt werden”, schreiben die Unterzeichner. Auch Sicherheitslücken in der Cybersicherheit sollten nicht als Fehler betrachtet werden, es sei denn, es liege ein Verstoß gegen einschlägiges EU- und nationales Recht vor. vis
Online-Spieleanbieter, soziale Netzwerke, Streaming-Dienste und Online-Marktplätze gestalten ihre Angebote oftmals so, dass sie die Schwächen der Menschen ausnutzen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Sie machen ihre Nutzer geradezu süchtig. Die Mitglieder des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) fordern ein ethisches Design von Online-Angeboten, um die Gesundheitsgefahren einzudämmen. Am Mittwoch haben sie mit großer Mehrheit einen Initiativbericht angenommen.
“Keine Selbstbeherrschung kann dem süchtig machenden Design, dem wir heute alle ausgesetzt sind, widerstehen”, sagte Berichterstatterin Kim Van Sparrentak (Grüne/EFA). Problematischer Smartphone-Gebrauch beeinträchtige die Aufmerksamkeitsspanne und die Gehirnentwicklung schon in jungen Jahren. Beispiele für süchtig machende Funktionen sind das “unendliche Scrollen” und ständige Benachrichtigungen.
“Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird dies enorme Auswirkungen auf künftige Generationen haben”, sagte Sparrentak. Zum Schutz der Gesundheit müsse die EU “nun das süchtig machende Design angehen”. Die Abgeordneten fordern in ihrem Bericht, den der IMCO im Frühjahr auf den Weg gebracht hat, mehr Forschung und Regulierung in diesem Bereich.
Das Problem sehen auch andere: In den USA verklagen gerade mehr als 40 Bundesstaaten den Facebook-Mutterkonzern Meta. Sie werfen dem Unternehmen vor, seine Social-Media-Plattformen Instagram und Facebook absichtlich so gestaltet zu haben, dass sie Kinder und Jugendliche süchtig machen. Generalstaatsanwälte aus Staaten von Kalifornien bis Wisconsin reichten am Dienstag Bundesklagen ein. Darin werfen sie Meta auch vor, routinemäßig Daten von Kindern unter 13 Jahren ohne die Zustimmung ihrer Eltern zu sammeln, was gegen Bundesgesetz verstoße.
Die EU-Parlamentarier sind der Meinung, dass weder der DSA noch der kommende AI Act ausreichen, um das Problem der süchtig machenden Gestaltung von Diensten zu lösen. Sie fordern die Kommission auf, bestehende rechtliche Lücken zu schließen und eine neue Gesetzgebung zu diesem Thema vorzulegen.
Nach der Vorstellung des Parlaments sollen die Anbieter verpflichtet werden, ethische und faire digitale Produkte und Dienstleistungen “von Anfang an” zu entwickeln – ohne Dark Patterns, also irreführendes und süchtig machendes Design. Sie fordern auch ein digitales “Recht, nicht gestört zu werden” sowie eine Liste guter Designpraktiken – wie etwa Benachrichtigungen standardmäßig auszuschalten.
Die Kommission arbeitet derzeit daran, bestimmte Verbraucherschutzgesetze zu aktualisieren, um ein hohes Schutzniveau im digitalen Umfeld zu gewährleisten. Die Ergebnisse werden für 2024 erwartet. Der Initiativbericht des Parlaments soll, sobald er im Dezember vom Plenum angenommen wurde, in die laufende Überprüfung einfließen. vis
Schon mit dem Eingangsstatement machte Johansson klar, dass sie keinerlei Fehler bei sich sehe: Auf alle im Raum stehenden Vorwürfe ging sie nicht ein. Die Abgeordneten hatten sie ins Parlament gebeten, damit sie Stellung zu heiklen Vorwürfen nimmt. Einmal, dass sie zum einen eine ungebührliche Nähe zu bestimmten Anbietern von Software zur Erkennung von Missbrauchsinhalten im Netz pflege, zum anderen, dass sie unlautere Mittel nutze, um Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen. Nichts davon konnte oder wollte Johansson am Mittwoch in der Substanz entkräften.
Stattdessen betonte sie erneut, wie wichtig ihr Vorschlag für eine Verordnung gegen Missbrauchsdarstellungen im Netz sei. Sie habe dafür viel Unterstützung erfahren und Protest von jenen, die dagegen seien. Ihr Vorschlag sei auch keine “slippery slope” in weitere Überwachungsmaßnahmen, sondern technologieneutral, notwendig und verhältnismäßig – ihr Statement hatte Johansson schon vor der LIBE-Sitzung schriftlich veröffentlichen lassen. Doch die Abgeordneten wollten Johansson nicht mit derartigen Allgemeinplätzen davon kommen lassen. Aus allen politischen Lagern musste sie sich scharfe Fragen gefallen lassen.
Der Hauptvorwurf: Einseitige Gesetzgebung und eine viel zu große Nähe zu bestimmten Akteuren aus der US-Techszene, die für automatisierte Filter auf Plattformen werben und teilweise auch Anbieter dieser Technologie sind. Johansson hatte Thorn per persönlichem Brief ausdrücklich für deren Unterstützung gedankt, als der Kommissionsvorschlag im Mai 2022 an die Öffentlichkeit ging. Die Abgeordneten warfen Johansson vor, dass sowohl sie persönlich, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und auch die Spitze der DG Home keinerlei kritische Distanz zu den Anbietern gewahrt hätten. Kritiker hätten nicht annähernd die gleichen Möglichkeiten gegeben hätten, gehört zu werden. Während Johansson und von der Leyen sich etwa mit Vertretern von Thorn getroffen hätten, hätte sie etwa die renommierte Digital-Bürgerrechtsorganisation EDRi hingegen kein einziges Mal empfangen. Johansson erwiderte, sie habe die EDRi-Position ja bei einer Diskussion im Parlament gehört, bei der sie teilgenommen hätte: “Ich kann mich nicht mit allen treffen.”
Ein zweiter harter Kritikpunkt: Die Kommission hatte zielgerichtete Werbeanzeigen mitten in den Beratungsprozess der Mitgliedstaaten zur CSA-Verordnung geschaltet – und das ausgerechnet in solchen Mitgliedstaaten, die als kritisch gegenüber dem Vorschlag galten. “Halten Sie es für klug, den Prozess der Meinungsbildung zu beeinflussen?”, fragte etwa Jeroen Lenaers (EVP) die Kandidatin zum Vorwurf. Johanssons DG Home hatte erst schnell erklärt, dass alles geltenden Regeln entsprechend gelaufen sei – inzwischen aber will Johansson den Vorgang doch genauer untersuchen. “Es ist ziemlich üblich, dass die Kommission Kampagnen zur Unterstützung ihrer Vorschläge durchführt”, rechtfertigte sich Johansson. Das habe es etwa auch bei Gesetzen von anderen Generaldirektionen gegeben. “Die Kommission ist nicht neutral. Wir unterstützen unsere Vorschläge.”
Dass mit dem Digital Services Act (DSA) neue Standards für Targeting eingeführt würden, habe sie erst nach der ersten Stellungnahme erfahren, weshalb die Untersuchung jetzt durchgeführt würde. Der DSA, der auch solche Werbung reguliert, trat während der Laufzeit der Kampagne für die großen Plattformen am 25. September in Kraft. Dieser Rechtfertigungsversuch der Kommissarin brachte den FDP-Europaabgeordneten Moritz Körner in Wallung: Es könne nicht sein, dass man Fehlverhalten mit Fehlverhalten begründe: “Die Kommission muss diese Praxis einstellen”, forderte er. Der Piratenabgeordnete Patrick Breyer fragte Johansson ganz direkt: “Haben Sie überhaupt Respekt für Demokratie?”
Johanssons Auftritt vor dem LIBE-Ausschuss dürfte wenig dazu beigetragen haben, die Wogen zu glätten. Denn Erklärungen hatte Johansson wenig im Gepäck. Warum viele Dokumente nicht freigegeben würden? Die Drittparteien hätten dem nicht zugestimmt, es gehe alles seinen vorgesehenen Gang. Dem Parlament würden diese natürlich nun trotzdem zur Verfügung gestellt. Warum sie zur Micro-Targeting-Kampagne nichts Inhaltliches sagen könnte? Solche Kampagnen würden von der DG Home gemeinsam mit der DG Communication und Agenturen ausgeführt. Stattdessen erneuerte Johansson ihre Vorwürfe – unter Protest der Abgeordneten – gegen Medien, dass diese sensationalistisch berichten würden. Warum sie sich gegen von ihr so bezeichnete Falschbehauptungen nicht juristisch wehren würde? Das sei eine, so Johansson “blöde Idee”, es brauche ja eine öffentliche Debatte. Und in der Debatte um ihren Vorschlag sei es eben so: “Die meisten jener, die die kommende Regulierung beeinflussen wollen, haben ihre eigene Agenda.”
Einzig der Vorsitzende, der spanische Sozialdemokrat Juan Fernando López Aguilar versuchte, die Kommissarin zu stützen – mit der Tagesordnung im Rücken. Statt einer Stunde Aussprache wurden es gut eineinhalb Stunden. “Wir lassen den Juristischen Dienst gerichtliche Schritte gegen die EU-Kommission wegen unlauterer Einflussnahme und Druck auf den Gesetzgebungsprozess per gezielter Falschwerbung in kritischen Ländern prüfen”, betonte Piratenpolitiker Patrick Breyer nach der Sitzung.
Die Linkenabgeordnete Cornelia Ernst ergriff nach dem eigentlichen Ende der Aussprache noch einmal das Wort, um Johansson persönlich ihr Misstrauen auszusprechen: Sie habe ihr Mandat missbraucht, ihre Arbeit als Lobbypolitik gestaltet, die Demokratie untergraben, die Arbeit des Parlaments in Abrede gestellt. Harte Worte, die auch im zuweilen lebhaften Europaparlament in dieser Schärfe selten durch die Flure hallen. Wie es mit der Parlamentsposition zur CSA-Verordnung weitergeht, wird sich bereits morgen zeigen – dann hat der LIBE-Ausschuss eine Pressekonferenz zum weiteren Prozess angesetzt. fst
Der Binnenmarktausschuss (IMCO) im EU-Parlament hat gestern seinen Standpunkt zum Gesetzesvorschlag für ein Recht auf Reparatur angenommen. Die Abgeordneten stimmten mit 38 Stimmen und 2 Gegenstimmen für den Entwurf von Berichterstatter René Repasi (S&D). Die Herausforderung, den Bericht unter großem Zeitdruck fertigzustellen, sei damit bewältigt worden, sagte Repasi.
Laut dem Bericht sollen Verkäufer verpflichtet werden, innerhalb der gesetzlichen Garantiezeit eine kostenlose Reparatur anzubieten. Es sei denn, sie ist teurer als ein Austausch, sie ist faktisch unmöglich oder sie ist für den Verbraucher unpraktisch. Darüber hinaus sollen Anreize für die Verbraucher geschaffen werden, innerhalb der Gewährleistungsfrist die Reparatur dem Ersatz vorzuziehen, so etwa die Verlängerung der gesetzlichen Garantie um ein Jahr für reparierte Produkte. Die Mitgliedstaaten sollen die Reparatur durch finanzielle Anreize wie Gutscheine und nationale Reparaturfonds fördern.
Im November soll das Plenum über den Bericht abstimmen; bis April sollen die Trilogverhandlungen abgeschlossen sein. leo
Dreieinhalb Wochen nach der Parlamentswahl hat in der Slowakei eine neue Regierung unter Führung des Wahlsiegers Robert Fico ihr Amt angetreten. Davor konstituierte sich am Mittwoch das Parlament. Schon am ersten Sitzungstag hagelte es gegenseitige Beleidigungen zwischen Abgeordneten von Regierung und Opposition.
Präsidentin Zuzana Caputova vereidigte am Nachmittag die Dreiparteien-Regierung aus zwei sozialdemokratischen und einer nationalistischen Partei. Der linksnationale Fico war schon 2006 bis 2010 und 2012 bis 2018 Regierungschef gewesen. Seine Partei Richtung – Slowakische Sozialdemokratie (Smer-SSD) hatte die Parlamentswahl am 30. September vor der liberalen Partei Progressive Slowakei (PS) und der Partei Stimme – Sozialdemokratie (Hlas-SD) unter Führung des ehemaligen Kurzzeit-Regierungschefs Peter Pellegrini gewonnen.
Pellegrini war sowohl von Fico als auch den Liberalen als Koalitionspartner umworben worden, hatte sich aber schließlich für eine Regierung mit Fico entschieden. Die liberale PS wird daher größte Oppositionspartei. Vor der Vereidigung der Regierung wurde Pellegrini am Mittwoch mit einer großen Mehrheit zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt.
Nicht nur die konservative und liberale Opposition der Slowakei, sondern auch EU- und Nato-Vertreter hatten vor der Ernennung Vorbehalte gegen Ficos neue Regierung geäußert. Der Linksnationalist hatte im Wahlkampf angekündigt, die Waffenhilfe für die Ukraine zu beenden. Die Slowakei solle das Nachbarland zwar weiterhin unterstützen, aber nicht mehr mit Waffen, sondern nur mit zivilen Gütern. Fico will beim EU-Gipfel in Brüssel die Vorbehalte der EU-Partner entschärfen. dpa
Besonders groß ist das Brüsseler Büro der IG Metall, das Dirk Bergrath leitet, nicht. Mit zwei Kollegen eröffnete der 51-Jährige die Vertretung der Industriegewerkschaft im Jahr 2014. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich seitdem nicht geändert. Auch Bergrath ist neun Jahre später immer noch dabei.
Der ausbildete Volkswirt stieg nach seinem Studium in Köln und Brighton sowie einer Promotion an der RWTH Aachen in die Gewerkschaftsarbeit der IG Metall ein. Unmittelbar zeigte sich Bergrath für europapolitische Belange verantwortlich. Schnell sammelte er erste Erfahrungen in Brüssel, beispielsweise beim Europäischen Metallgewerkschaftsbund. Nach fünf Jahren bei der Gewerkschaft kehrte er der IG Metall vorerst den Rücken, um als Sozialreferent bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU zu arbeiten.
Seine jetzige Hauptaufgabe bei der Brüsseler Vertretung der IG Metall bringt Bergrath knapp auf den Punkt: “Informationen aufarbeiten, vermitteln, viele Kontakte pflegen – und vor allem Frühwarnsystem sein.” In Gesprächen mit Mitgliedern der Kommission, des Parlaments und des Rats macht er die Belange der Beschäftigten geltend. Dabei helfe ihm häufig die internationale Bekanntheit seiner Gewerkschaft: “IG Metall ist kein Name, den man großartig erklären müsste, selbst wenn der Kommissionsbeamte nicht aus Deutschland kommt.”
Dennoch brauche die IG Metall ein klares gewerkschaftspolitisches Leitbild, um die Zukunft Europas trotz der aktuellen Herausforderungen zu sichern, wie sie etwa die Klimakrise darstellt. “Denn wir werden Menschen bei der Transformation nur mitnehmen können, wenn sie die Entwicklungen nicht als Bedrohung wahrnehmen“, sagt Bergrath.
Momentan habe die EU auf Ängste der Beschäftigten nur bedingt Antworten parat. Für Bergrath ist vor allem ein Narrativ problematisch: “Europäische Studien, die sagen, dass zwar Arbeitsplätze in manchen Branchen gefährdet sind, dafür in anderen Branchen viele neue entstehen, nehmen den Menschen im Betrieb die Ängste nicht”, erklärt er. Man könne von den Beschäftigten nicht erwarten, “nach Nordschweden zu ziehen, nur weil wir da europäisch in den Fragen der kritischen Rohstoffe in einer guten Position sind”.
Bergrath stellt gleichzeitig klar, dass sich in den vergangenen Jahren auf der europäischen Ebene einiges getan hat, um eine effektive Industrie- und Strukturpolitik voranzutreiben. “Bis vor nicht allzu langer Zeit war’s in Brüssel nahezu unmöglich, das Wort Industriepolitik in den Mund zu nehmen, weil man darauf vertraut hat, dass die Kräfte des Marktes das schon irgendwie regeln”, erinnert er sich.
Beispiele wie der Aufbau der Batterieproduktion, der STEP (Strategic Technologies for Europe Platform) oder industriepolitische Maßnahmen im Nachgang der Pandemie hätten aus Arbeitnehmersicht Hoffnung für die Zukunft gegeben. Die EU hinke allerdings China mit ihrem Programm Made in China 2025 oder den USA mit dem Inflation Reduction Act weiterhin hinterher.
Den Weg zu einer zukunftsgerichteten Industriepolitik möchte Bergrath auch als ehrenamtliches Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ebnen. Das sei nicht immer einfach. “Besondere Herausforderung ist, konsensual Lösungen mit Arbeitgeberverbänden und zivilen Gruppen zu finden“, sagt Bergrath. Erfolgreiche Beispiele, wie die kürzliche Revision der CO₂-Richtlinie für PKW und kleine Nutzfahrzeuge, motiviere ihn aber, weiter seine Expertise in den Ausschuss einzubringen. Jasper Bennink
Terry Reintke hat ihren Hut in den Ring geworfen. Die Grüne, Fraktionschefin im Europaparlament, Kind des Ruhrgebiets und Anhängerin des Langstreckenlaufs, will Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl werden. Eine der beiden, denn die Grünen gehen immer mit zwei Kandidaten ins Rennen.
Die Grünen sind also die erste europäische Parteienfamilie, die Schritte für die Benennung des Kandidaten für den einflussreichsten Posten in der EU unternimmt. Ursula von der Leyen hat noch immer nicht öffentlich gesagt, ob sie noch eine Runde anstrebt und als Spitzenkandidatin der christdemokratischen Parteienfamilie EVP antritt. In der sozialdemokratischen Parteienfamilie SPE ist nicht einmal ein Interessent für den Posten in Sicht. Bei der liberalen Parteienfamilie Renew darf man nicht zu viel Enthusiasmus vermuten. 2019 ging sie gleich mit einem ganzen Strauß von Spitzenkandidaten ins Rennen, um sich nicht festzulegen, und weil Emmanuel Macron nichts vom “Spitz” hält.
Eine Überraschung wäre es gewesen, wenn Reintke nicht angetreten wäre. Nun ist die Frage, wer bewirbt sich noch? Die Statuten der Grünen würden auch zwei Frauen zulassen. Noch hat sich auch informell niemand aus der Deckung gewagt. Formell läuft die Bewerbungsfrist vom 5. bis 28. November. Um Chaos-Kandidaturen auszuschließen, muss ein Interessent die Unterstützung von fünf Mitgliedsparteien haben. Dann stellen sich die Kandidaten bei einer Parteiversammlung (Council) im Dezember vor. Danach machen sie zwei Monate parteiinternen Wahlkampf. Gewählt wird schließlich auf dem Kongress der europäischen Grünen am 2. bis 4. Februar in Lyon.
Im Gespräch bei den Grünen sind Marie Toussaint, die Vize in der Fraktion ist und die französische Liste bei der Europawahl anführen wird. Bei den Männern heißt es, der Niederländer und Vize in der Fraktion, Bas Eickhout – er war schon Co-Spitzenkandidat 2019 – wolle wieder. Gehandelt wird auch der einzige Kommissar mit grünem Parteibuch, Virginijus Sinkevičius, aus Litauen. Sowie der Katalane Ernest Urtásun, der ebenfalls Fraktionsvize ist. Unterdessen will der Verfassungsausschuss im Parlament im November in Straßburg die Forderung abstimmen lassen, dass die Spitzenkandidaten zwölf Wochen vor der Wahl feststehen müssen. Deadline wäre also Donnerstag, 14. März. Ob die EVP das schafft?
Einen angenehmen Tag wünscht
Der BDI, einer der drei Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, verlangt von der EU-Kommission eine scharfe Kurskorrektur. Sie solle “eine wirtschaftsfreundliche Agenda verfolgen, die Europas globale Wettbewerbsfähigkeit wieder in den Mittelpunkt stellt”. Dies geht aus dem BDI-Grundsatzpapier zur Europapolitik 2024 bis 2029 hervor, das Table.Media vorliegt. In dem Papier hat der BDI seine politischen Forderungen an die EU für das nächste Mandat formuliert.
“Die Welt erlebt gegenwärtig geopolitische Umwälzungen, die Europa im internationalen Wettbewerb vor enorme Herausforderungen stellen”, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm zu Table.Media. Während die USA durch attraktive Standortbedingungen Unternehmen aus aller Welt anziehen und globale Partnerschaften schmiedeten, kämpfe Europa mit steigenden Energiekosten, wachsenden Vorschriften und zunehmender Bürokratie. “Deutschland und Europa stehen unter Zugzwang”, meint Russwurm. “Die EU muss die Zeichen der Zeit erkennen und unverzüglich auf eine wirtschaftsfördernde Agenda umstellen. Wirtschaftliche Stärke ist entscheidend für ein zukunftsfähiges Europa.”
Der Verband fordert neue Handelsabkommen. In der Handelspolitik solle die EU einer Zerfaserung bewährter Bündnisse auf Basis des regelbasierten Handels zwischen Industriestaaten entgegentreten. Nötig sei eine aktivere Nachbarschaftspolitik, ein umfassender Ausbau der Wirtschafts- und Transformationspartnerschaften mit Entwicklungs- und Schwellenländern sowie eine engere strategische Abstimmung mit demokratischen Ländern wie USA, Japan, Australien, Südkorea und Kanada.
Die USA blieben wichtigster Handelspartner der EU. Jedoch sähen sowohl die Biden-Regierung als auch die vorangegangenen Administrationen die Globalisierung kritisch. Die USA setzten zunehmend auf Industriepolitik mit Lokalisierungsanforderungen für öffentliche Aufträge, Subventionen und Infrastrukturprojekte. Unter Biden strebe die US-Regierung keine klassischen Freihandelsabkommen mit Gewährung des gegenseitigen Marktzuganges an, sondern gehe lediglich Verhandlungen über Frameworks ein wie etwa den EU-US-Trade and Technology Council (EU-US TTC)
Die konkreten Forderungen des BDI in der Handelspolitik sind:
Der BDI fordert massive Anstrengungen zur Vollendung und Sicherung des Binnenmarktes. Dieser drohe, im internationalen Standortvergleich zurückzufallen. Auch dreißig Jahre nach Inkrafttreten bleibe er ein Flickenteppich. Start-ups, KMU und MidCaps könnten wegen zahlreicher Barrieren häufig nur begrenzt EU-weit agieren. Die EU überziehe die Unternehmen mit einer Flut “teils schlecht formulierter Rechtsvorschriften”. Vor allem im Steuerrecht gebe es massive Defizite: Die Unternehmen hätten es in der EU immer noch mit 27 Körperschaftssteuersystemen zu tun. Der Binnenmarkt habe ein Wachstumspotenzial von mehr als 700 Milliarden Euro bis Ende 2029.
Das sind die konkreten Forderungen für den Binnenmarkt:
Der BDI fordert Anstrengungen für eine bessere Rechtssetzung und einen konsequenten Bürokratieabbau. Die konkreten Forderungen lauten:
In der Wettbewerbspolitik und Fusionskontrolle mahnt der BDI an, die geänderten geo- und handelspolitischen Bedingungen im Blick zu haben. Die Kommission verfüge über ausreichend Instrumente in der Wettbewerbspolitik, die Diskussion um ein New Competition Tool dürfe nicht weiter geführt werden. Kartell- und Fusionsverfahren müssten verhältnismäßig und rechtssicher geführt werden. Für die betroffenen Unternehmen seien Anfragen der Kommission mit teils nicht zumutbarem Aufwand verbunden. In der Steuerpolitik mahnt der BDI an, dass die Kommission ein Gesamtkonzept für die Unternehmensbesteuerung vorlegt.
Die vom BDI geforderten Wettbewerbsfähigkeitschecks für Gesetze hätten wohl in keinem Politikbereich so weitreichende Folgen wie beim Green Deal. “Während die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) Klima- und Industriepolitik zusammendenken und massiv in technologische Innovationen investieren, versucht die EU die Transformation des Industriesektors vor allem über einen steigenden CO₂-Preis zu steuern”, heißt es in dem Papier.
Nur auf hohe CO₂-Preise im europäischen Emissionshandel (ETS) zu setzen, wirke aber wie eine Strafe für Produktionsanlagen, wenn entscheidende Infrastrukturen fehlten, meint der BDI. Als Ergänzung setzt der Spitzenverband nicht nur auf neue Fördermechanismen wie Differenzverträge (CfD), er stellt auch Teile der ETS-Architektur selbst in Frage. So müsse Europa den gerade erst beschlossenen CO₂-Grenzausgleichmechanismus wieder abschaffen, wenn er Carbon Leakage nicht verhindere.
Den Net-Zero Industry Act solle die EU zu einer industriepolitischen Strategie weiterentwickeln: “Investments in europäische Projekte müssen in einem technologieoffenen Ansatz durch schnellere Verfahren, vorteilhaftere Standortkosten und regulatorische Verlässlichkeit attraktiver werden.” Verfahrensbeschleunigungen sollten nicht nur für Technologien aus dem NZIA gelten, sondern für Industrieanlagen allgemein. Dafür will der BDI falls nötig auch geltende Umweltvorschriften lockern:
In der Energiepolitik spricht sich der BDI für eine Ausweitung des Angebots von erneuerbaren Energien aus, ein Festhalten an den Grundsätzen des Strommarktdesigns und Kapazitätsmechanismen für den raschen Bau von Back-up-Kraftwerken.
Auch bisher wenig beachtete neue Anwendungen müssten beim Ausbau der Erneuerbaren berücksichtigt werden. Technologien zur Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO₂ (CCUS) seien energieintensiv und erforderten daher “ausreichend verfügbare Mengen erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen”.
Bei der Nutzung von synthetischen Kraftstoffen setzt sich der BDI außerdem für ein kostengünstiges internationales Zertifikatesystem ein – ähnlich wie bei Nachweisen für Ökostrom. Eine Rolle spielen könnte das für europäische Fluglinien. Sie müssten ihre Jets dann nicht mehr selbst mit teurem Kerosin auf Basis von Wasserstoff betanken, um entsprechende Ökoquoten zu erfüllen. Genügen würde ein Zertifikat als Nachweis, das irgendwo auf der Welt ein Flieger eine entsprechende Menge an synthetischem Kraftstoff getankt hat.
Ernüchternd fällt die Analyse des BDI zur Digitalisierung aus: Der Digitalisierungsgrad europäischer Unternehmen bewege sich auf anhaltend niedrigem Niveau. Die Investitionslücke zu internationalen Wettbewerbern wachse weiter. In Deutschland etwa mangele es am Innovationstransfer, an Fachkräften, Risikokapital und Unternehmen, die Grundlagenforschung betreiben. “Das Innovationssystem Deutschlands ist noch stabil, aber wenig dynamisch“, konstatiert der BDI.
Als Ursachen benennt er eine Fülle an europäischer Digital- und Innovationsregulierung, die für die Unternehmen erheblichen Mehraufwand bedeute, sowie einen Mangel an Innovationsförderung, die auf die digitale Souveränität Europas ausgerichtet ist. Auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz sei Europa weit von seinen Zielen entfernt. Am Verhandlungsprozesses zum AI Act kritisiert der BDI, dass vielmehr die Risiken als die Chancen gesehen würden.
Einige der Handlungsempfehlungen lauten:
Nach Tagen der Kakofonie soll von Brüssel aus zur Nahostkrise nun ein Signal der Einheit ausgehen, so ein Diplomat vor dem Start des zweitägigen EU-Gipfels heute. Ob es klappt, ist allerdings offen. Bis zuletzt wurde im Ausschuss der Ständigen Vertreter um Worte gerungen. Im Fokus die Frage der humanitären Hilfe für die Palästinenser. Mitgliedstaaten wie Spanien oder Irland wollen in den Schlussfolgerungen die Forderung nach einer Waffenruhe verankert sehen, andere wiederum zumindest eine oder mehrere Pausen, Fenster oder humanitäre Korridore.
Sprache sei wichtig, verteidigte ein EU-Diplomat die semantischen Diskussionen. Es gebe unter den Mitgliedstaaten zum Nahostkonflikt traditionell unterschiedliche Sensibilitäten und Wahrnehmungen. Das heiße aber nicht, dass gemeinsames Handeln nicht möglich sei. Es gehe darum, die humanitäre Hilfe für alle Zivilisten sicherzustellen, ohne gleichzeitig Israels Recht infrage zu stellen, den Terrorismus der Hamas zu bekämpfen. “Wir müssen einen Mittelweg finde”, so ein Diplomat. Und zwar zwischen jenen, die einen humanitären Waffenstillstand forderten und anderen, die betonten, dass Israel immer noch angegriffen werde und ein Recht auf Verteidigung habe.
Deutschland gehört zu den Ländern, die der Forderung nach einer “humanitären Pause” im Allgemeinen Ausschuss der Vertreter (AStV) kritisch gegenüberstanden. “Wir werden am Ende einen Konsens haben”, so ein EU-Diplomat am Mittwoch. Der Europäische Rat fordere einen kontinuierlichen, raschen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, heißt es im Entwurf der Schlussfolgerungen. Es müsse mit allen erforderlichen Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass die Hilfe zu den Bedürftigen gelange. Mit dem Passus will die EU Befürchtungen berücksichtigen, die Hamas könnte einen Teil der Hilfe für eigene Zwecke abzweigen. Im Entwurf wird bekräftigt, dass die EU die “Hamas und ihre brutalen und willkürlichen Angriffe auf ganz Israel aufs Schärfste verurteilt”. Die Benutzung von Zivilpersonen als menschliche Schutzschilde durch Hamas sei eine besonders verwerfliche Gräueltat.
Die EU unterstreicht erneut Israels Recht, sich im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen und fordert die Hamas auf, die Geiseln ohne Vorbedingungen unverzüglich freizulassen. Thema ist auch, wie eine regionale Eskalation vermieden werden kann, die nur zu einer noch größeren Katastrophe werde. Diplomaten rechneten damit, dass einige Staats- und Regierungschefs über ihre Kontakte der letzten Tage berichten werden. Auch darüber, wie längerfristig der Friedensprozess wieder gestartet werden kann, soll diskutiert werden. Die Zweistaatenlösung bleibe der einzige Weg, an dem die EU festhalten wolle.
Die außenpolitischen Krisen und Konflikte werden beim Gipfel die wirtschaftspolitischen Themen und die Diskussion über den MFF in den Hintergrund drängen. Kein Zufall, dass der Gipfel mit einer Diskussion zur Lage in der Ukraine beginnen wird, zu der auch Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet werden soll. Der Gipfel werde die kontinuierliche Hilfe für die Ukraine bekräftigen, betonten Diplomaten. Dies nicht etwa, weil es unter den Mitgliedstaaten da Zweifel gebe, sondern als Reaktion auf Sorgen in der Ukraine, vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts in Vergessenheit zu geraten.
Die Diskussion zum Kommissionsvorschlag, die Rüstungsfinanzierung für die Ukraine auf eine längerfristige Basis zu stellen und dafür für die nächsten vier Jahre 20 Milliarden Euro vorzusehen, kommt nicht richtig voran. Die Diskussionen zum zwölften Sanktionspaket gegen Russland hätten aber begonnen, mit einem Fokus auf Dual-Use-Produkte und Schlupflöcher im Sanktionsregime. Bei Importverbot von russischen Diamanten sei zudem im Rahmen der G7-Staaten eine Lösung in den nächsten Wochen absehbar.
Ein Abschnitt ist zudem dem festgefahrenen Dialog zwischen Belgrad und Pristina sowie der Sicherheitslage im Norden Kosovos nach dem Angriff serbischer Paramilitärs auf die kosovarische Polizei gewidmet. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Kosovos Regierungschef Albin Kurti kurzfristig für Krisentreffen am Rande des Gipfels nach Brüssel zitiert. Die beiden Kontrahenten sollen getrennt mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zusammenkommen. Es gehe darum, Vucic und Kurti klar zu machen, dass sie mit ihrer Blockadehaltung den europäischen Weg ihrer Länder aufs Spiel setzten, so ein Diplomat. Beide Seiten müssten jetzt im Einklang mit den Vereinbarungen von Ohrid und Brüssel die vereinbarten Schritte hin auf eine Normalisierung unternehmen.
Beim Abendessen wollen die Staats- und Regierungschefs auch über die Lage im Sahel reden. Die EU hat Anfang der Woche die Rechtsgrundlage für künftige Sanktionen gegen die Putschisten in Niger verabschiedet. Die EU fordert in der Schlussfolgerung die Freilassung von Präsident Bazoum und seiner Familie, die in der Hauptstadt Niamey isoliert und unter Hausarrest stehen.
Thema am Abend sind auch die Spannungen zwischen Aserbaidschan und nach den ethnischen Säuberungen in der Enklave Bergkarabach. Insbesondere Frankreich drängt auf ein Rückkehrrecht der vertriebenen armenischen Bevölkerung. Nicht gebannt ist auch die Gefahr, dass Aserbaidschan mit Blick auf einen Korridor Richtung Exklave Nachitschewan einen militärischen Vorstoß in Armeniens Kernland versucht. Die EU betont in den Gipfelschlussfolgerungen, den Normalisierungsprozess und den Frieden zwischen den beiden Ländern auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung der Souveränität und der territorialen Integrität unterstützen zu wollen.
Die EU hat im Rahmen des ersten “Global Gateway”-Forums die Unterzeichnung Dutzender Abkommen mit Partnerländern bekannt gegeben. Um mit China im Zugang zu strategisch wichtigen Mineralien zu konkurrieren, will Brüssel gemeinsam mit den USA den Grundstein für einen Korridor legen, der die Demokratische Republik Kongo und Sambia mit dem Atlantischen Ozean verbinden soll. Die Strecke soll durch Angola zum Hafen von Lobito führen und von dort aus die Staaten mit den Weltmärkten verbinden, wie Bloomberg am Mittwoch unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete.
Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge, Ministerpräsident der DR Kongo, war am Mittwoch als Sprecher zu kritischen Rohstoffen beim Forum zur EU-Infrastruktur-Initiative geladen. An der Session nahmen auch José de Lima Massano, Staatsminister für wirtschaftliche Koordinierung aus Angola und der sambische Finanzminister Situmbeko Musokotwane teil. Das Memorandum of Understanding zur Entwicklung des Korridors soll nun im Rahmen des Forums in Brüssel stattfinden. Die EU und die USA hatten im vergangenen Monat bereits erklärt, dass ein erster Schritt Machbarkeitsstudien für einen neuen Eisenbahnausbau zwischen Sambia und Angola umfassen werde.
Die DR Kongo ist der weltweit größte Produzent von Kobalt und konkurriert mit Peru um die Position des zweitgrößten Kupferproduzenten, was vor allem einem Anstieg von chinesischen Investitionen in den vergangenen Jahren zu verdanken ist. Sambia ist ebenfalls reich an Kupfer.
Ob der Korridor in Afrika ein Erfolgsprojekt wird, ist noch offen. Die Umsetzung der zuletzt angekündigten Konnektivitäts-Initiative der EU und USA für den Handelskorridor Indien-Nahost-Europa (IMEEC, kurz für India-Middle East-Europe Economic Corridor) wird derzeit wegen des Aufflammens des Konflikts zwischen Israel und der Terror-Organisation Hamas infrage gestellt.
Brüssel will nach eigenen Angaben mit “Global Gateway” in Drittstaaten eine Alternative zu Chinas “Belt and Road”-Initiative anbieten. Der BRI-Gipfel hatte vergangene Woche in Peking Vertreter aus rund 130 Staaten versammelt. Ehrengast war dabei Russlands Präsident Wladimir Putin, der gemeinsam mit Chinas Staatschef Xi Jinping das Bankett eröffnete.
EU-Kommissionschefin von der Leyen nannte China am Mittwoch bei der Eröffnung des Forums in Brüssel nicht direkt – machte aber Referenzen auf die der Volksrepublik nachgesagten Methode, Häfen oder andere lokale Infrastruktur für chinesische Kredite einzufordern: “Kein Land sollte mit einer Situation konfrontiert werden, in der die einzige Möglichkeit zur Finanzierung seiner wesentlichen Infrastruktur darin besteht, seine Zukunft zu verkaufen“, sagte von der Leyen vor Gästen wie dem albanischen Ministerpäsidenten Edi Rama, Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina und Senegals Präsident Macky Sall.
Im Rahmen des Forums ist eine Vielzahl an Unterzeichnungen geplant. Darunter sind:
Der Infrastrukturplan der EU befindet sich im Vergleich zur zehn Jahre alten Neuen Seidenstraße noch in einem frühen Stadium – konkrete neue Projekte waren bisher noch Mangelware. Viele der Initiativen stammten noch aus Vorgänger-Projekten. “Global Gateway” drohte, sich ein wenig zu einem Rohrkrepierer zu entwickeln: Innerhalb der EU-Kommission gab es Querelen um die Zuständigkeit, in den EU-Hauptstädten wusste niemand so wirklich, wie mit dem Vorstoß umgegangen werden sollte. “Global Gateway” ist komplex, da die finanziellen Ressourcen von Mitgliedstaaten, multilateralen Organisationen wie der EIB und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie dem Privatsektor dafür mobilisiert werden sollen.
Der erste Tag des Forums mit den verkündeten Projekt-Plänen lässt nun auf einen schnellen Fortschritt hoffen: “Das ‘Global Gateway’-Forum in Brüssel ist ein guter Start. Jetzt ist es entscheidend, dass mit der Initiative konkrete Projekte in Gang gesetzt werden, die bei den Menschen in der Fläche ankommen”, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Bacherle, der Obmann im Digitalausschuss und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist, zu Table.Media. “Global Gateway” müsse globale Versorgungslücken schließen und die Souveränität von Partnerstaaten stärken, statt ihre Abhängigkeiten noch zu vertiefen, formulierte Bacherle die Anforderungen an die Initiative.
Ulrich Ackermann, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im VDMA, zeigte sich zuversichtlich: “Es ist erfreulich, dass die ‘Global Gateway’-Initiative endlich Fahrt aufnimmt und die Europäische Union zahlreiche Staats- und Regierungschefs zum Infrastrukturgipfel nach Brüssel eingeladen hat.” Die EU könnte damit ein echter geopolitischer Akteur in Afrika, Asien und Lateinamerika werden, so Ackermann. “Gerade in Zeiten des De-Risking von China werden diese Märkte für den europäischen Maschinenbausektor immer wichtiger.” Ackermann betonte jedoch, dass die angedachten 300 Milliarden Euro von “Global Gateway” bei weitem nicht ausreichten, um die globale Infrastrukturlücke zu schließen.
Dass Chinas BRI ganz klar der Gegenansatz zur europäischen Initiative sein soll, hatte EU-Kommissionschefin mehrfach betont. Vor dem Beginn des Forums hatte auch deshalb ein Medienbericht für Aufsehen gesorgt, der nahelegte, dass sich die EU-Kommission unwissentlich auch chinesische Verbindungen in das neu eingesetzte Unternehmens-Gremium geholt hat. Das Gremium soll sich und die EU zu “Global Gateway”-Projekten beraten. Mitglied darin ist auch der portugiesische Energiekonzern EDP, an dem China Three Gorges (CTG) 20 Prozent hält, wie South China Morning Post berichtete.
CTG ist damit zwar nicht Mehrheitseigner, aber hält allein den größten Anteil an EDP. Der portugiesische Konzern ist einer von 60 Mitgliedern in dem Gremium. EU-Kommissionssprecher Eric Mamer wies am Donnerstag Kritik daran zurück, dass EDP Teil des Gremiums sei. Chinas Anteil an EDP ist generell kein Geheimnis. Ob die EU-Kommission vorab von der Anteilsstruktur wusste, sollte laut Mamer nochmals genauer betrachtet werden.
Am Donnerstag werden erneut EU-Politiker und Vertreter aus möglichen Partnerländern zusammenkommen, um zu Themen wie Gesundheit und digitale Infrastruktur zu sprechen. Neben dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und dem Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, werden auch unter anderem auch die Regierungschefs aus Kroatien, Serbien und Estland teilnehmen. Das Abschluss-Plenum ist gegen Mittag auf der Agenda.
26.10.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Agrifish
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) informiert über die Themen und Ergebnisse des Rats für Landwirtschaft und Fischerei am 23. und 24. Oktober. INFOS & ANMELDUNG
26.10.2023 – 16:00-17:15 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Presentation Pre-COP28: In conversation with Jacob Werksman
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) reflects on the EU strategic policy priorities in the run-up to COP28 and on the potential outcomes. INFOS & ANMELDUNG
26.10.2023 – 18:30-20:00 Uhr, Köln
DGAP, Podiumsdiskussion Alles nur Greenwashing? Der Beitrag von Entwicklungspolitik und Privatwirtschaft zum Klimaschutz
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) beleuchtet die Rolle von Geberländern und Privatwirtschaft bei der Klimafinanzierung sowie die Bedarfe und Herausforderungen in den Ländern des Globalen Südens. INFOS & ANMELDUNG
27.10.-28.10.2023, St. Peter
KAS, Seminar Der Westbalkan – vom Konfliktherd über den “Kalten Frieden” zur EU-Mitgliedschaft?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ordnet die komplexe Gemengelage der jüngsten Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo ein und analysiert aktuelle Herausforderungen in der Region, wie die Migration auf der “Balkanroute” oder die Möglichkeit des EU-Beitritts einzelner Länder. INFOS & ANMELDUNG
27.10.2023 – 09:30-18:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
EC, Discussion The European Climate Stocktake – EU and global progress towards the goals of the Paris Agreement
The European Commission (EC) aims to contribute to the discussion in the run-up to the Global Stocktake, the UNFCCC’s first review of the global progress made in implementing the Paris Agreement, which will conclude at COP28 in November. INFOS & REGISTRATION
27.10.2023 – 11:00 Uhr, online
Handelsblatt, Seminar Die grüne Energierevolution: Deutschlands Herausforderungen für einen erfolgreichen Markthochlauf von Wasserstoff
Das Handelsblatt beschäftigt sich mit den Herausforderungen für die Akteure der Wasserstoffwirtschaft. INFOS & ANMELDUNG
29.10.-01.11.2023, Cadenabbia
KAS, Seminar Eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa: deutsche und französische Perspektiven im Dialog
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit einer neuen Sicherheitsarchitektur für Europa auseinander. INFOS & ANMELDUNG
30.10.-26.11.2023, online
FSR, Seminar Specialised Training on the Regulation of Gas Markets
The Florence School of Regulation (FSR) provides knowledge and instruments needed to approach the study of gas markets, regulation, and policy. INFOS & REGISTRATION
30.10.2023 – 15:00-17:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
ERCST, Roundtable Carbon Removal Certification Framework: What is next?
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) discusses key takeaways from the report by the rapporteur on the certification Framework for Carbon Removal (CRCF) in the European Parliament and provides an opportunity to exchange views on how it addresses concerns from different stakeholders. INFOS & REGISTRATION
30.10.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Bonn
KAS, Podiumsdiskussion Die Ukraine auf ihrem Weg in die EU – Stand der Vorbereitungen und Ausblick
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) geht der Frage nach, welche Herausforderungen auf die Ukraine und welche auf die EU zukommen, damit beide zusammenfinden können. INFOS & ANMELDUNG
31.10.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Europäischer Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) informiert über die Inhalte und Ergebnisse des Europäischen Rats am 26. und 27. Oktober. INFOS & ANMELDUNG
Bei der Neuordnung des EU-Haushalts setzt sich die Bundesregierung für einen höheren Anteil von direkten Zuschüssen für die Ukraine ein. Für die anstehende Änderung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) bis 2027 hat die Kommission bei den Mitgliedstaaten neue Hilfen für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren beantragt. Ein Teil davon soll in Form von Krediten und ein Teil als Zuschuss gewährt werden.
Die Hilfe für die Ukraine habe für Deutschland höchste Priorität bei den MFR-Verhandlungen, hieß es gestern aus Kreisen der Bundesregierung einen Tag vor dem Europäischen Rat. Auch die von der Kommission genannte Größenordnung unterstütze man. Heute beraten die Staats- und Regierungschefs erstmals auf höchster Ebene über die Kommissionsvorschläge. “Angesichts der Haushaltssituation in der Ukraine sind Zuschüsse gegenüber einer höheren Verschuldung klar vorzuziehen“, sagte der ranghohe Beamte aus Berlin weiter.
Die Einnahmen Kiews seien wegen des Krieges niedrig und die Ausgaben hoch. Für die Zeit nach dem Krieg werde die Schuldenquote der Ukraine eine wichtige Rolle spielen, unter anderem für ein Engagement des Internationalen Währungsfonds (IWF).
In Diplomatenkreisen in Brüssel wurde unterstrichen, der Europäische Rat werde keine Entscheidung hinsichtlich der MFR-Revision fällen. Es gehe darum, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, ihre Prioritäten für die zweite Halbzeit dazustellen. Auf Basis der einzelnen Stellungnahmen solle dann ein Kompromiss für eine Einigung im Dezember gefunden werden. Insgesamt fordert die Kommission Mehrausgaben von 66 Milliarden Euro, unter anderem für höhere Zinslasten beim EU-Aufbaufonds sowie gestiegene Verwaltungskosten
Von deutscher Seite wurde aber klar gemacht, dass diese Mehrkosten prioritär über Umschichtungen und Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt erreicht werden müssen. Darüber hinaus fordert Berlin, für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden. Die von der Kommission angestrebte Reduzierung von Berichtspflichten reiche nicht aus. Erste Vorschläge zur Beschleunigung habe eine deutsch-französische Expertengruppe erarbeitet. ber, cr
Der Industrieausschuss (ITRE) im Europaparlament hat sich positioniert zum Vorschlag der Kommission für Net-Zero-Industry-Act (NZIA). Ziel des Gesetzesvorhaben ist, die Technologien für die Dekarbonisierung in Europa zu industrialisieren. In Europa sollen 40 Prozent der Null-Emissions-Technologien produziert werden und einen globalen Marktanteil von 25 Prozent an diesen Technologien erobern.
Die Genehmigungsprozesse sollen beschleunigt werden. Normale Projekte sollen nach neun bis zwölf Monaten von den Behörden genehmigt sein, Projekte von besonderem strategischem Interesse nach sechs bis neun Monaten. Zuschüsse sollen bereitgestellt werden aus dem Emissionshandel (ETS) und für Projekte mit dem höchsten strategischen Anspruch aus STEP, Strategic Technologies for Europe.
Berichterstatter Christian Ehler (CDU): “Wir haben den Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich erweitert und die gesamte Lieferkette einbezogen, sowie die Fristen für die Genehmigung verkürzt.” Der Kommissionsvorschlag sei Teil der Antwort der EU auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA). “Der Net-Zero Industry Act ist Teil der Lösung, um den Green Deal für die Industrie machbar zu machen.” Dieses Gesetz könne jedoch nur ein Anfang sein. “Damit die europäische Industrie wieder auf die Beine kommt, werden wir in der nächsten Wahlperiode mehr europäische Maßnahmen brauchen.” Die Mitgliedstaaten haben ihre Position noch nicht festgelegt. Damit wird Ende November gerechnet. mgr
Im Handelsstreit mit den USA über den Inflation Reduction Act (IRA) beharren die EU-Staaten auf einem umfassenden Entgegenkommen der Vereinigten Staaten. “Der Rat ersucht die Kommission, sich intensiv um eine Entschärfung der problematischen und diskriminierenden Bestandteile des IRA zu bemühen und dabei auch sicherzustellen, dass der Europäischen Union der gleichwertige Status eines Freihandelspartners nach den Bestimmungen des IRA zuerkannt wird”, heißt es in einem gestern zirkulierenden Entwurf der Abschlusserklärung des Europäischen Rates, der heute und morgen in Brüssel stattfindet.
Am Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs ausführlich über die Wettbewerbsfähigkeit der EU diskutieren. Die Kommission fordern sie laut dem Entwurf außerdem auf, weitere Gesetzesvorschläge zum Bürokratieabbau und zur Vereinfachung von Rechtsvorschriften vorzulegen und verweisen dabei auf Möglichkeiten, welche die Digitalisierung eröffnet.
Außerdem soll der Rat bis Jahresende die Arbeit am neuen wirtschaftspolitischen Rahmen der EU abschließen. Die Novelle wurde wegen der Covid-Pandemie 2020 angestoßen, doch erst im April dieses Jahres hatte die Kommission Gesetzesvorschläge vorgelegt. Das neue Rahmenwerk soll gleichzeitig Haushaltsstabilität und Wirtschaftswachstum sichern. ber
In einem gemeinsamen Statement wenden sich acht Verbände der Digitalindustrie an die Verhandler in Rat und Parlament, um noch Änderungen an der Produkthaftungsrichtlinie (PLD) zu bewirken. “Für neu entstehende Technologien wie Künstliche Intelligenz ist es entscheidend, einen zu restriktiven Rechtsrahmen zu vermeiden, der die Entwicklung und Nutzung von KI in Europa behindern würde”, heißt es in dem Schreiben, das Table.Media vorliegt, und das heute verschickt werden soll.
Anfang der Woche fand der erste Trilog zu dem Dossier statt. Erstmals bezieht die Richtlinie Software ein und wird auch für Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) gelten. Die Kommission hat aber bereits auch einen Vorschlag für eine Spezialgesetzgebung zur KI-Haftung gemacht. Die Unterzeichner des Statements, darunter die amerikanische Computer & Communications Industry Association (CCIA Europe) und DOT Europe, erwarten, dass die Verhandlungen schnell zu einem Abschluss kommen.
Die Unterzeichner schlagen unter anderem vor, dass Informationen nicht als Produkt betrachtet werden und daher die Produkthaftungsregeln auch nicht auf den Inhalt von digitalen Dateien, wie Mediendateien oder den reinen Quellcode von Software, angewendet werden sollen.
Zudem stehen Sie auf dem Standpunkt, dass Datenverlust oder Datenkorruption als nicht so schwerwiegend betrachtet werden sollten wie Gesundheits- oder Sachschäden, auf die die ursprüngliche PLD ausgerichtet ist. “Datenverlust und Korruption, wenn sie nicht vollständig gelöscht werden, sollten mindestens auf unwiderrufliche Schäden von mehr als 1.000 Euro beschränkt werden”, schreiben die Unterzeichner. Auch Sicherheitslücken in der Cybersicherheit sollten nicht als Fehler betrachtet werden, es sei denn, es liege ein Verstoß gegen einschlägiges EU- und nationales Recht vor. vis
Online-Spieleanbieter, soziale Netzwerke, Streaming-Dienste und Online-Marktplätze gestalten ihre Angebote oftmals so, dass sie die Schwächen der Menschen ausnutzen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Sie machen ihre Nutzer geradezu süchtig. Die Mitglieder des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) fordern ein ethisches Design von Online-Angeboten, um die Gesundheitsgefahren einzudämmen. Am Mittwoch haben sie mit großer Mehrheit einen Initiativbericht angenommen.
“Keine Selbstbeherrschung kann dem süchtig machenden Design, dem wir heute alle ausgesetzt sind, widerstehen”, sagte Berichterstatterin Kim Van Sparrentak (Grüne/EFA). Problematischer Smartphone-Gebrauch beeinträchtige die Aufmerksamkeitsspanne und die Gehirnentwicklung schon in jungen Jahren. Beispiele für süchtig machende Funktionen sind das “unendliche Scrollen” und ständige Benachrichtigungen.
“Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird dies enorme Auswirkungen auf künftige Generationen haben”, sagte Sparrentak. Zum Schutz der Gesundheit müsse die EU “nun das süchtig machende Design angehen”. Die Abgeordneten fordern in ihrem Bericht, den der IMCO im Frühjahr auf den Weg gebracht hat, mehr Forschung und Regulierung in diesem Bereich.
Das Problem sehen auch andere: In den USA verklagen gerade mehr als 40 Bundesstaaten den Facebook-Mutterkonzern Meta. Sie werfen dem Unternehmen vor, seine Social-Media-Plattformen Instagram und Facebook absichtlich so gestaltet zu haben, dass sie Kinder und Jugendliche süchtig machen. Generalstaatsanwälte aus Staaten von Kalifornien bis Wisconsin reichten am Dienstag Bundesklagen ein. Darin werfen sie Meta auch vor, routinemäßig Daten von Kindern unter 13 Jahren ohne die Zustimmung ihrer Eltern zu sammeln, was gegen Bundesgesetz verstoße.
Die EU-Parlamentarier sind der Meinung, dass weder der DSA noch der kommende AI Act ausreichen, um das Problem der süchtig machenden Gestaltung von Diensten zu lösen. Sie fordern die Kommission auf, bestehende rechtliche Lücken zu schließen und eine neue Gesetzgebung zu diesem Thema vorzulegen.
Nach der Vorstellung des Parlaments sollen die Anbieter verpflichtet werden, ethische und faire digitale Produkte und Dienstleistungen “von Anfang an” zu entwickeln – ohne Dark Patterns, also irreführendes und süchtig machendes Design. Sie fordern auch ein digitales “Recht, nicht gestört zu werden” sowie eine Liste guter Designpraktiken – wie etwa Benachrichtigungen standardmäßig auszuschalten.
Die Kommission arbeitet derzeit daran, bestimmte Verbraucherschutzgesetze zu aktualisieren, um ein hohes Schutzniveau im digitalen Umfeld zu gewährleisten. Die Ergebnisse werden für 2024 erwartet. Der Initiativbericht des Parlaments soll, sobald er im Dezember vom Plenum angenommen wurde, in die laufende Überprüfung einfließen. vis
Schon mit dem Eingangsstatement machte Johansson klar, dass sie keinerlei Fehler bei sich sehe: Auf alle im Raum stehenden Vorwürfe ging sie nicht ein. Die Abgeordneten hatten sie ins Parlament gebeten, damit sie Stellung zu heiklen Vorwürfen nimmt. Einmal, dass sie zum einen eine ungebührliche Nähe zu bestimmten Anbietern von Software zur Erkennung von Missbrauchsinhalten im Netz pflege, zum anderen, dass sie unlautere Mittel nutze, um Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen. Nichts davon konnte oder wollte Johansson am Mittwoch in der Substanz entkräften.
Stattdessen betonte sie erneut, wie wichtig ihr Vorschlag für eine Verordnung gegen Missbrauchsdarstellungen im Netz sei. Sie habe dafür viel Unterstützung erfahren und Protest von jenen, die dagegen seien. Ihr Vorschlag sei auch keine “slippery slope” in weitere Überwachungsmaßnahmen, sondern technologieneutral, notwendig und verhältnismäßig – ihr Statement hatte Johansson schon vor der LIBE-Sitzung schriftlich veröffentlichen lassen. Doch die Abgeordneten wollten Johansson nicht mit derartigen Allgemeinplätzen davon kommen lassen. Aus allen politischen Lagern musste sie sich scharfe Fragen gefallen lassen.
Der Hauptvorwurf: Einseitige Gesetzgebung und eine viel zu große Nähe zu bestimmten Akteuren aus der US-Techszene, die für automatisierte Filter auf Plattformen werben und teilweise auch Anbieter dieser Technologie sind. Johansson hatte Thorn per persönlichem Brief ausdrücklich für deren Unterstützung gedankt, als der Kommissionsvorschlag im Mai 2022 an die Öffentlichkeit ging. Die Abgeordneten warfen Johansson vor, dass sowohl sie persönlich, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und auch die Spitze der DG Home keinerlei kritische Distanz zu den Anbietern gewahrt hätten. Kritiker hätten nicht annähernd die gleichen Möglichkeiten gegeben hätten, gehört zu werden. Während Johansson und von der Leyen sich etwa mit Vertretern von Thorn getroffen hätten, hätte sie etwa die renommierte Digital-Bürgerrechtsorganisation EDRi hingegen kein einziges Mal empfangen. Johansson erwiderte, sie habe die EDRi-Position ja bei einer Diskussion im Parlament gehört, bei der sie teilgenommen hätte: “Ich kann mich nicht mit allen treffen.”
Ein zweiter harter Kritikpunkt: Die Kommission hatte zielgerichtete Werbeanzeigen mitten in den Beratungsprozess der Mitgliedstaaten zur CSA-Verordnung geschaltet – und das ausgerechnet in solchen Mitgliedstaaten, die als kritisch gegenüber dem Vorschlag galten. “Halten Sie es für klug, den Prozess der Meinungsbildung zu beeinflussen?”, fragte etwa Jeroen Lenaers (EVP) die Kandidatin zum Vorwurf. Johanssons DG Home hatte erst schnell erklärt, dass alles geltenden Regeln entsprechend gelaufen sei – inzwischen aber will Johansson den Vorgang doch genauer untersuchen. “Es ist ziemlich üblich, dass die Kommission Kampagnen zur Unterstützung ihrer Vorschläge durchführt”, rechtfertigte sich Johansson. Das habe es etwa auch bei Gesetzen von anderen Generaldirektionen gegeben. “Die Kommission ist nicht neutral. Wir unterstützen unsere Vorschläge.”
Dass mit dem Digital Services Act (DSA) neue Standards für Targeting eingeführt würden, habe sie erst nach der ersten Stellungnahme erfahren, weshalb die Untersuchung jetzt durchgeführt würde. Der DSA, der auch solche Werbung reguliert, trat während der Laufzeit der Kampagne für die großen Plattformen am 25. September in Kraft. Dieser Rechtfertigungsversuch der Kommissarin brachte den FDP-Europaabgeordneten Moritz Körner in Wallung: Es könne nicht sein, dass man Fehlverhalten mit Fehlverhalten begründe: “Die Kommission muss diese Praxis einstellen”, forderte er. Der Piratenabgeordnete Patrick Breyer fragte Johansson ganz direkt: “Haben Sie überhaupt Respekt für Demokratie?”
Johanssons Auftritt vor dem LIBE-Ausschuss dürfte wenig dazu beigetragen haben, die Wogen zu glätten. Denn Erklärungen hatte Johansson wenig im Gepäck. Warum viele Dokumente nicht freigegeben würden? Die Drittparteien hätten dem nicht zugestimmt, es gehe alles seinen vorgesehenen Gang. Dem Parlament würden diese natürlich nun trotzdem zur Verfügung gestellt. Warum sie zur Micro-Targeting-Kampagne nichts Inhaltliches sagen könnte? Solche Kampagnen würden von der DG Home gemeinsam mit der DG Communication und Agenturen ausgeführt. Stattdessen erneuerte Johansson ihre Vorwürfe – unter Protest der Abgeordneten – gegen Medien, dass diese sensationalistisch berichten würden. Warum sie sich gegen von ihr so bezeichnete Falschbehauptungen nicht juristisch wehren würde? Das sei eine, so Johansson “blöde Idee”, es brauche ja eine öffentliche Debatte. Und in der Debatte um ihren Vorschlag sei es eben so: “Die meisten jener, die die kommende Regulierung beeinflussen wollen, haben ihre eigene Agenda.”
Einzig der Vorsitzende, der spanische Sozialdemokrat Juan Fernando López Aguilar versuchte, die Kommissarin zu stützen – mit der Tagesordnung im Rücken. Statt einer Stunde Aussprache wurden es gut eineinhalb Stunden. “Wir lassen den Juristischen Dienst gerichtliche Schritte gegen die EU-Kommission wegen unlauterer Einflussnahme und Druck auf den Gesetzgebungsprozess per gezielter Falschwerbung in kritischen Ländern prüfen”, betonte Piratenpolitiker Patrick Breyer nach der Sitzung.
Die Linkenabgeordnete Cornelia Ernst ergriff nach dem eigentlichen Ende der Aussprache noch einmal das Wort, um Johansson persönlich ihr Misstrauen auszusprechen: Sie habe ihr Mandat missbraucht, ihre Arbeit als Lobbypolitik gestaltet, die Demokratie untergraben, die Arbeit des Parlaments in Abrede gestellt. Harte Worte, die auch im zuweilen lebhaften Europaparlament in dieser Schärfe selten durch die Flure hallen. Wie es mit der Parlamentsposition zur CSA-Verordnung weitergeht, wird sich bereits morgen zeigen – dann hat der LIBE-Ausschuss eine Pressekonferenz zum weiteren Prozess angesetzt. fst
Der Binnenmarktausschuss (IMCO) im EU-Parlament hat gestern seinen Standpunkt zum Gesetzesvorschlag für ein Recht auf Reparatur angenommen. Die Abgeordneten stimmten mit 38 Stimmen und 2 Gegenstimmen für den Entwurf von Berichterstatter René Repasi (S&D). Die Herausforderung, den Bericht unter großem Zeitdruck fertigzustellen, sei damit bewältigt worden, sagte Repasi.
Laut dem Bericht sollen Verkäufer verpflichtet werden, innerhalb der gesetzlichen Garantiezeit eine kostenlose Reparatur anzubieten. Es sei denn, sie ist teurer als ein Austausch, sie ist faktisch unmöglich oder sie ist für den Verbraucher unpraktisch. Darüber hinaus sollen Anreize für die Verbraucher geschaffen werden, innerhalb der Gewährleistungsfrist die Reparatur dem Ersatz vorzuziehen, so etwa die Verlängerung der gesetzlichen Garantie um ein Jahr für reparierte Produkte. Die Mitgliedstaaten sollen die Reparatur durch finanzielle Anreize wie Gutscheine und nationale Reparaturfonds fördern.
Im November soll das Plenum über den Bericht abstimmen; bis April sollen die Trilogverhandlungen abgeschlossen sein. leo
Dreieinhalb Wochen nach der Parlamentswahl hat in der Slowakei eine neue Regierung unter Führung des Wahlsiegers Robert Fico ihr Amt angetreten. Davor konstituierte sich am Mittwoch das Parlament. Schon am ersten Sitzungstag hagelte es gegenseitige Beleidigungen zwischen Abgeordneten von Regierung und Opposition.
Präsidentin Zuzana Caputova vereidigte am Nachmittag die Dreiparteien-Regierung aus zwei sozialdemokratischen und einer nationalistischen Partei. Der linksnationale Fico war schon 2006 bis 2010 und 2012 bis 2018 Regierungschef gewesen. Seine Partei Richtung – Slowakische Sozialdemokratie (Smer-SSD) hatte die Parlamentswahl am 30. September vor der liberalen Partei Progressive Slowakei (PS) und der Partei Stimme – Sozialdemokratie (Hlas-SD) unter Führung des ehemaligen Kurzzeit-Regierungschefs Peter Pellegrini gewonnen.
Pellegrini war sowohl von Fico als auch den Liberalen als Koalitionspartner umworben worden, hatte sich aber schließlich für eine Regierung mit Fico entschieden. Die liberale PS wird daher größte Oppositionspartei. Vor der Vereidigung der Regierung wurde Pellegrini am Mittwoch mit einer großen Mehrheit zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt.
Nicht nur die konservative und liberale Opposition der Slowakei, sondern auch EU- und Nato-Vertreter hatten vor der Ernennung Vorbehalte gegen Ficos neue Regierung geäußert. Der Linksnationalist hatte im Wahlkampf angekündigt, die Waffenhilfe für die Ukraine zu beenden. Die Slowakei solle das Nachbarland zwar weiterhin unterstützen, aber nicht mehr mit Waffen, sondern nur mit zivilen Gütern. Fico will beim EU-Gipfel in Brüssel die Vorbehalte der EU-Partner entschärfen. dpa
Besonders groß ist das Brüsseler Büro der IG Metall, das Dirk Bergrath leitet, nicht. Mit zwei Kollegen eröffnete der 51-Jährige die Vertretung der Industriegewerkschaft im Jahr 2014. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich seitdem nicht geändert. Auch Bergrath ist neun Jahre später immer noch dabei.
Der ausbildete Volkswirt stieg nach seinem Studium in Köln und Brighton sowie einer Promotion an der RWTH Aachen in die Gewerkschaftsarbeit der IG Metall ein. Unmittelbar zeigte sich Bergrath für europapolitische Belange verantwortlich. Schnell sammelte er erste Erfahrungen in Brüssel, beispielsweise beim Europäischen Metallgewerkschaftsbund. Nach fünf Jahren bei der Gewerkschaft kehrte er der IG Metall vorerst den Rücken, um als Sozialreferent bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU zu arbeiten.
Seine jetzige Hauptaufgabe bei der Brüsseler Vertretung der IG Metall bringt Bergrath knapp auf den Punkt: “Informationen aufarbeiten, vermitteln, viele Kontakte pflegen – und vor allem Frühwarnsystem sein.” In Gesprächen mit Mitgliedern der Kommission, des Parlaments und des Rats macht er die Belange der Beschäftigten geltend. Dabei helfe ihm häufig die internationale Bekanntheit seiner Gewerkschaft: “IG Metall ist kein Name, den man großartig erklären müsste, selbst wenn der Kommissionsbeamte nicht aus Deutschland kommt.”
Dennoch brauche die IG Metall ein klares gewerkschaftspolitisches Leitbild, um die Zukunft Europas trotz der aktuellen Herausforderungen zu sichern, wie sie etwa die Klimakrise darstellt. “Denn wir werden Menschen bei der Transformation nur mitnehmen können, wenn sie die Entwicklungen nicht als Bedrohung wahrnehmen“, sagt Bergrath.
Momentan habe die EU auf Ängste der Beschäftigten nur bedingt Antworten parat. Für Bergrath ist vor allem ein Narrativ problematisch: “Europäische Studien, die sagen, dass zwar Arbeitsplätze in manchen Branchen gefährdet sind, dafür in anderen Branchen viele neue entstehen, nehmen den Menschen im Betrieb die Ängste nicht”, erklärt er. Man könne von den Beschäftigten nicht erwarten, “nach Nordschweden zu ziehen, nur weil wir da europäisch in den Fragen der kritischen Rohstoffe in einer guten Position sind”.
Bergrath stellt gleichzeitig klar, dass sich in den vergangenen Jahren auf der europäischen Ebene einiges getan hat, um eine effektive Industrie- und Strukturpolitik voranzutreiben. “Bis vor nicht allzu langer Zeit war’s in Brüssel nahezu unmöglich, das Wort Industriepolitik in den Mund zu nehmen, weil man darauf vertraut hat, dass die Kräfte des Marktes das schon irgendwie regeln”, erinnert er sich.
Beispiele wie der Aufbau der Batterieproduktion, der STEP (Strategic Technologies for Europe Platform) oder industriepolitische Maßnahmen im Nachgang der Pandemie hätten aus Arbeitnehmersicht Hoffnung für die Zukunft gegeben. Die EU hinke allerdings China mit ihrem Programm Made in China 2025 oder den USA mit dem Inflation Reduction Act weiterhin hinterher.
Den Weg zu einer zukunftsgerichteten Industriepolitik möchte Bergrath auch als ehrenamtliches Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ebnen. Das sei nicht immer einfach. “Besondere Herausforderung ist, konsensual Lösungen mit Arbeitgeberverbänden und zivilen Gruppen zu finden“, sagt Bergrath. Erfolgreiche Beispiele, wie die kürzliche Revision der CO₂-Richtlinie für PKW und kleine Nutzfahrzeuge, motiviere ihn aber, weiter seine Expertise in den Ausschuss einzubringen. Jasper Bennink