Table.Briefing: Europe

Michael Clauß bleibt EU-Botschafter + Polen vor der Wahl

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit sechs Jahren bereits vertritt Michael Clauß die deutsche Bundesregierung als EU-Botschafter in Brüssel, nun ist entschieden: Es kommt noch ein weiteres Jahr hinzu. Der 62-jährige Diplomat werde über den Sommer hinaus auf dem Posten bleiben, erfuhr Table.Briefings aus Berliner Regierungskreisen.  

Eine solch lange Zeit an einem Ort ist ungewöhnlich für einen Top-Diplomaten. Clauß wird zum einen ob seiner Sachkenntnis und seines politischen Fingerspitzengefühls geschätzt in der Bundesregierung. Zum anderen erspart die Verlängerung den drei Koalitionspartnern schwierige Verhandlungen, wer denn auf ihn folgen solle.

Die Grünen besetzen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereits die beiden Häuser, die für die Weisungen an die Ständige Vertretung in Brüssel zuständig sind. Ohne das Kanzleramt geht in der Europapolitik ohnehin wenig. Und die FDP-geführten Ministerien eckten in den vergangenen Monaten oft an bei den beiden Koalitionspartnern, weil sie deren Positionen nicht mittragen wollten. Was wiederum dazu führte, dass Clauß und seine Stellvertreterin Helen Winter oft lange auf ihre Weisungen warten mussten.

Ich wünsche Ihnen einen kurzweiligen Tag!

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Ausblick auf die Wahlen: Warum die PiS in Polen aufholt

In die Wahl zum Europaparlament am 9. Juni schicken Polens regierende Bürgerplattform (PO) und die rechtspopulistische Opposition Recht und Gerechtigkeit (PiS) mehrere ihrer bekanntesten Politiker. Um die 53 polnische Sitze in Straßburg kämpfen u. a. PO-Politiker Borys Budka (Ex-Minister für Staatsvermögen) und Bartłomiej Sienkiewicz (Ex-Kulturminister) gegen PiS-Granden Mariusz Kamiński (Ex-Innenminister) und Daniel Obajtek (Ex-Chef des Mineralölkonzerns Orlen).

Beide Lager nehmen den Urnengang sehr ernst. “Das sind vielleicht die wichtigsten Europawahlen seit Polens Beitritt zu der EU“, sagt Polens Ministerpräsident Donald Tusk.

Noch vor einem Monat sah es aus, als würde die PO die Wahl haushoch gewinnen. Sie führte in manchen Umfragen mit sechs Prozent. Doch in den letzten Wochen holte die euroskeptische PiS wieder mächtig auf. Nun liefern sich beide wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit leichten Vorteilen für die Rechtsnationalen. Das hat mit der Innenpolitik zu tun: Immer mehr Polen sind von der bisherigen Bilanz der Tusk-Regierung enttäuscht.

Aufarbeitung zur PiS-Regierung kommt nur schleppend voran

Das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2024 betrug zwar erfreuliche 1,9 Prozent, doch die Abwicklung des PiS-Staates kommt kaum voran. Seit Monaten versuchen drei Sejm-Ausschüsse, drei große Affären der Vorgänger aufzuarbeiten – ohne ein sichtbares Ergebnis. Es geht um den Einsatz der israelischen Pegasus-Software, um Politiker der damaligen Opposition abzuhören; um die erleichterte Visa-Vergabe und damit verbundene Korruption; und um einen Versuch, während der Pandemie eine Briefwahl zu organisieren.

Auch die Justizreformen, die die Unabhängigkeit der Gerichte wiederherstellen sollen, stecken fest. Der von der PiS gekaperte und nicht verfassungskonforme Verfassungstribunal trifft weiter seine Entscheidungen, die niemand respektiert. Über den Gesetzentwurf zur Entpolitisierung des Nationalen Justizrates (KRS) streitet sich die Regierungskoalition im Parlament – seine erste Fassung dürfte der PiS-treue Präsident Andrzej Duda mit seinem Veto belegen, eine vom Senat vorgeschlagene, verwässerte Version geht den Richterverbänden nicht weit genug. 

Tusk merkt, dass ihm die Zeit davonrennt. Nimmt er aber Abkürzungen, muss er sich Kritik gefallen lassen, dass sich seine Methoden von den der Vorgänger nicht unterscheiden. Das gilt für die Neubesetzung vieler Posten in staatlichen Kultureinrichtungen wie Museen und Theatern oder auch in staatlichen Unternehmern. Tusk versprach vor seinem Wahlsieg im Herbst, solche Stellen in transparenten Auswahlverfahren mit Fachleuten zu besetzen. Stattdessen beruft er die Nachfolger der entlassenen PiS-Kader nach eigenem Gutdünken.

Im Europa-Wahlkampf sind die Fronten dagegen klar. Die PiS mobilisiert mit einem Anti-EU-Programm seine oft EU-skeptischen Wähler. In seiner Rede zum Start der Kampagne gab Parteichef Jaroslaw Kaczyński die Linie vor: “Wir gehen nach Brüssel, um Nein zu sagen.” Nein zum Green Deal, Nein zum Migrationspakt, Nein zu gleichgeschlechtlichen Ehen, zu Euro-Einführung und anderen Sachen, die “sie uns aufzwingen wollen”. Auch in Sicherheitsfragen stellt sich der PiS-Chef gegen die EU und für ein “Bündnis mit den USA”.

Dämpfer für Europa-Enthusiasmus in Polen

Anders Tusk. Er fordert zwar auch Änderungen an Migrationspakt und am Green Deal. Doch er will die Meinungsverschiedenheiten gemeinsam mit anderen EU-Staaten überwinden. Brüssel honorierte Tusks Kurs bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, überwies bereits die erste Tranche der eingefrorenen Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds.

Polen kann zudem auf eine schnelle Einstellung des EU-Verfahrens wegen mutmaßlicher Verstöße gegen europäische Werte hoffen. Die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová sagte am Dienstag, sie werde bis Ende des Monats einen offiziellen Vorschlag zur Beendigung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens vorlegen. Unter der neuen Regierung ist Polen der europäischen Staatsanwaltschaft beigetreten und will sich an dem europäischen Luftabwehrsystem beteiligen.

Der Krieg in der Ukraine und das Zögern einiger EU-Partner, mehr für die europäische Verteidigungsbereitschaft zu tun, hat dem polnischen Europa-Enthusiasmus allerdings einen Dämpfer gesetzt. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsagentur IBRiS glauben nur 53 Prozent der Polen, dass die Vorteile der EU-Mitgliedschaft die Nachteile überwiegen; 25 Prozent sind der Meinung, dass sich die Vorteile und Nachteile in Waage halten; etwa 17 Prozent sind überzeugt, dass die Nachteile überwiegen. Während rund 94 Prozent der PO-Wähler mehr Vorteile als Nachteile der Mitgliedschaft sehen, glauben nur 17 Prozent der PiS-Wähler, dass Polen wirklich davon profitiert.

Präsident Duda will bei Nominierung des Kommissars mitreden

Warschau will nach der Europawahl in jedem Fall einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Im Gespräch ist der Posten eines Verteidigungskommissars. Manche PO-Politiker glauben sogar, Polen könnte sich um das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik bewerben. Als aussichtsreicher Kandidat für beide Posten gilt der gegenwärtige Außenminister Radosław Sikorski.

Doch auch bei dieser Personalie droht Streit: Präsident Duda will bei der Ernennung des Kommissars mitreden, obwohl er laut Verfassung nicht dazu berechtigt ist. Die PiS hat aber einen Monat vor der verlorenen Wahl 2023 ein fragliches Gesetz durchgeboxt, das dem Präsidenten das Recht gibt, den Kandidaten der Regierung zu blockieren. Premier Tusk deutete bereits an, dass er dieses Gesetz nicht respektieren wird. Mit dpa

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EU-Wahl: Was bei Agrifood in der neuen Legislaturperiode zu erwarten ist

Anfang Juni wird ein neues EU-Parlament gewählt, auch das Kollegium der Europäischen Kommission wird dann neu besetzt. Wie die scheidende Kommission es mit dem Green Deal als übergreifendem Konzept tat, wird dann das neue (oder wiedergewählte) Personal eigene Akzente setzen. Allgemeine Trends lassen sich schon absehen: Umwelt- und Klimaschutz dürften erst einmal weniger im Fokus stehen als nach der letzten Wahl 2019. Fuhren damals grüne Parteien Rekordgewinne ein, prägen heute Bauernproteste und ein projiziertes Erstarken des Mitte-rechten bis rechten Flügels das Bild.

Vor allem, wenn Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wiedergewählt wird, dürfte sich die neue Kommission in ihrer Arbeit auch auf den Abschlussbericht des Strategiedialogs Landwirtschaft berufen, der für den Spätsommer erwartet wird, und die Entlastungspläne für Bauern weiter verfolgen. Auch wenn darüber hinaus vieles vom Wahlausgang, der Verteilung und dem Zuschnitt von Posten abhängt: Anhaltspunkte dafür, was nach der Wahl auf der Agenda steht, gibt es bereits.

Offen geblieben auf der To-do-Liste

Anhaltspunkt 1: Nicht eingelöste Vorhaben aus dieser Legislaturperiode. Davon gibt es einige. Vor allem beim Green Deal wurde in kaum einem Politikfeld so wenig umgesetzt wie in Landwirtschaft und Ernährung. Dass Dossiers, die schon der scheidenden Kommission zu heikel waren, nach der Wahl doch noch eins zu eins umgesetzt werden, ist eher unwahrscheinlich. Aber: Teils wurde viel Vorarbeit geleistet. Auch, wenn sich politische Prioritäten verschieben, könnte die neue Kommission Versatzstücke wieder aufgreifen, zumal betroffene Verbände weiter Handlungsbedarf anmahnen.

  • Lebensmittel-Etikettierung: Eigentlich sollte es neue, EU-weite Regeln geben. Das Thema sei komplex, die Arbeit noch nicht abgeschlossen, hieß es zuletzt aus der Kommission. Abgeschreckt wird letztere wohl vor allem von der hochemotionalen Debatte um eine europaweite Einführung des Nutri-Scores. Auch das deutsche Herzensthema Herkunftskennzeichnung sollte hier adressiert werden und blieb ungelöst.
  • Tierschutzpaket: Der EU-Tierschutzrahmen gilt als veraltet, die Kommission wollte ihn umfassend reformieren. Obwohl das komplexe Paket dem Vernehmen nach weitestgehend ausgearbeitet war, kam nur ein Vorschlag zu Tiertransporten (siehe unten). Haltung, Schlachtung und Tierwohllabel sparte man aus, wohl zu heikel vor der anstehenden Wahl.
  • Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen (SFS): Dieses hatte die Kommission ursprünglich für den Herbst 2023 als ein “Flaggschiff” der Farm-to-Fork-Strategie angekündigt, legte es aber nie vor. Neben dem Labeling-Gesetz war es als eines der Projekte für die “Fork-Seite” geplant. Doch es blieb schwer fassbar. Standen Anfang 2023 noch ein freiwilliges Nachhaltigkeitslabel und Maßnahmen zur öffentlichen Beschaffung im Raum, war später mehr von Ernährungssicherheit die Rede.

Sonderfall:

  • Pestizidverordnung (SUR): Die umstrittene Verordnung war schon auf den Weg gebracht, die Kommission zog sie aber Anfang des Jahres zurück, nachdem zuvor auch das Parlament den Prozess blockiert hatte. Von der Leyen ließ damals wissen: Das Ziel der Pestizidreduktion bleibe bestehen, man wolle möglicherweise einen neuen Anlauf starten – mit einem weniger polarisierenden Vorschlag.

Unvollendete Projekte

Anhaltspunkt 2: Laufende Gesetzgebungsverfahren. Diese gehen nach der Wahl weiter – vorausgesetzt, das neu besetzte EU-Parlament und die Kommission stimmen dem zu.

  • Neue Züchtungstechniken (NGTs): Das Parlament hat seine Position festgezurrt, doch im Ministerrat ist das Thema festgefahren. Gelingt der belgischen Ratspräsidentschaft nicht doch noch bis Ende Juni der Durchbruch, dürfte sich die weitere Arbeit deutlich verzögern. Sieht die Kommission die Situation als zu vertrackt, hätte sie theoretisch auch die Möglichkeit, den Vorschlag nach der Wahl zurückzuziehen und neu vorzulegen – zum Beispiel mit mehr Klarheit zum Thema Patente. Dann gingen allerdings die Fortschritte im Parlament verloren.
  • Tiertransporte: Darauf, dass die Kommission in Sachen Tierschutz wenigstens noch die Reform der Regeln zu Lebendtransporten vorlegt, hatten laut gut informierten Kreisen vor allem die Grünen hingewirkt. Der Vorschlag kam dann aber so spät, dass er kaum mehr rechtzeitig verabschiedet werden konnte. Auf Parlament und Ministerrat kommt das Thema nach der Wahl wieder zu. Eilig hatten beide Institutionen es bisher nicht.
  • Saatgutverordnung: Das Parlament hat seine Verhandlungsposition angenommen, die EU-Agrarminister haben die Arbeit aber noch nicht begonnen. Das Gesetzgebungsverfahren dürfte nach der Wahl weiter seinen Lauf nehmen.
  • Green Claims: Das Verhandlungsmandat des Parlaments steht, eine Einigung der Mitgliedstaaten soll bald folgen. Nach der Wahl könnten dann die Trilogverhandlungen aufgenommen werden.
  • Reduktion von Lebensmittelabfällen: Auch hier haben die EU-Abgeordneten ihr Verhandlungsmandat angenommen, die 27 Minister noch nicht.

Sonderfälle:

  • Renaturierungsgesetz (NRL): Das umstrittene Gesetz stand kurz vor der Ziellinie, steckt nun aber im Ministerrat fest. Die ausstehende Ratsabstimmung ist der letzte Schritt zur Verabschiedung. Die wäre also theoretisch noch vor der Wahl möglich. Momentan zeichnet sich aber keine Mehrheit ab, auch wenn sich von der Leyen in einem Brief, den die Kollegen von Contexte veröffentlicht haben, zuletzt für das Gesetz starkmacht.
  • Entwaldungsfreie Lieferketten: Die Verordnung wurde schon im letzten Jahr verabschiedet, aktuell gibt es aber – auch aus der Bundesregierung – Druck, das Inkrafttreten der neuen Regeln zu verschieben. Die neue Kommission steht vor der Entscheidung, ob sie sich dem beugt, oder durch zusätzliche Vorkehrungen die Gemüter beruhigt.

Anstehende Aufgaben

Eine Reihe neuer Aufgaben kommt nach der Wahl auf die EU-Institutionen zu.

  • GAP-Reform: Erste Vorschläge der EU-Kommission für die GAP nach 2027 werden fürs kommende Jahr erwartet. Ein schwieriger Spagat: Einerseits besteht hoher Reformdruck, um die GAP weiter an die Klima- und Biodiversitätskrise anzupassen und fit für den Beitrittsprozess der Ukraine zu machen. Andererseits dürfte der Appetit auf drastische Umbrüche nach den Bauernprotesten erst einmal gedämpft sein.
  • Ukraine: Auch darüber hinaus bleibt die Ukraine Thema. Nach dem Hin und Her um die Verlängerung der Handelserleichterungen will die Kommission ein längerfristiges Abkommen mit Kiew aushandeln. Sowohl die Unterstützung der Ukraine als auch die Entlastung der Landwirtschaft dürften für die neue Kommission wichtig bleiben. Sie muss darüber nachdenken, wie sie beides in Einklang bringt.
  • Marktmacht der Bauern: Die will die Kommission im Nachgang der Bauernproteste stärken. Schon im Herbst will sie ein Gesetz vorlegen, um unfaire Handelspraktiken (UTP) grenzüberschreitend besser zu ahnden. Das dürfte noch das jetzige Personal vorbereiten, die neue Besetzung es dann vorlegen. 2025 ist eine Bewertung der UTP-Richtlinie angesetzt, wenn nötig, soll eine Reform folgen.
  • Weitere Entlastungen: Auf dem Zettel der Kommission ist in Sachen Entlastungen für Bauern auch eine Analyse zur Bürokratielast im Herbst dieses Jahres.
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News

Desinformation: Was EU-Staaten dagegen unternehmen wollen

Eine Gruppe von Mitgliedstaaten fordert weitergehende Maßnahmen gegen Desinformation aus dem Ausland. Nötig sei etwa ein offenerer Austausch von Informationen über neue Einflusskampagnen mit Forschern, NGOs und Journalisten, heißt es in dem gemeinsamen Papier, das am Dienstag beim Allgemeinen Rat in Brüssel diskutiert wurde.

Diese könnten auch über Beratergremien der nationalen Aufsichtsbehörden (Digital Services Coordinators, DSCs) bei der Umsetzung des Digital Services Act eingebunden werden, heißt es in dem von Deutschland, Frankreich und Polen angestoßenen Statement, dem sich weitere 13 Staaten anschlossen.

Zudem fordern die Regierungen finanzielle Mittel und eine neue Plattform für den Informationsaustausch mit Experten aus der Zivilgesellschaft, wie die Medienkompetenzen in der Bevölkerung verbessert werden könne. Zusätzlich solle die EU ihre strategische Kommunikation in den Mitgliedstaaten verstärken, um die Vorteile der Integration deutlich zu machen.

“Beim Kampf gegen Desinformationen müssen wir mehr zusammen arbeiten und voneinander lernen”, sagte die Europa-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann (Grüne). Zudem müsse die EU russische Destabilisierungsversuche konsequent sanktionieren. Die Mitgliedstaaten hatten vergangene Woche bereits vereinbart, vier mit dem Kreml verbundene Medien auf die Sanktionsliste zu setzen. Am Dienstag beschlossen sie zudem gemeinsame Schlussfolgerungen zur demokratischen Resilienz.

Vorstoß für europaweite Medienplattform

Zudem greifen die Mitgliedstaaten eine Initiative aus dem Koalitionsvertrag der Ampel auf, eine europaweite Medienplattform aufzubauen. Diese soll hochwertige Informationen insbesondere öffentlich-rechtlicher Medien auch Bürgerinnen und Bürgern aus anderen EU-Staaten zur Verfügung stellen, etwa mithilfe von KI-gestützter Übersetzung. Nun gelte es, Einvernehmen über die Inhalte für die Plattform herzustellen, hieß es in Brüssel.

Die Regierungen fordern zudem, angesichts der Vielzahl von Einzelmaßnahmen gegen Desinformation und ausländische Einflussnahme einen strukturierten Austausch von Best Practices zwischen den Mitgliedstaaten einzurichten. Dafür soll die existierende Horizontal Working Party on Enhancing Resilience and Countering Hybrid Threats (HWP ERCHT) genutzt werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem intensiver das Schnellwarnsystem nutzen, das im Rahmen des Aktionsplanes gegen Desinformation 2018 etabliert worden war. tho

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EU-Digitalpolitik: Diese Prioritäten nennt der Rat für das kommende Mandat

Die vielen Digitalgesetze, die im zu Ende gehenden Mandat beschlossen wurden, wirksam, kohärent und effizient umsetzen – das ist das wichtigste Ziel der Digitalminister der Union für das neue Mandat. So steht es in den Schlussfolgerungen des Rates für die künftige EU-Digitalpolitik, die die Minister am Dienstag angenommen haben. Die Umsetzung solle mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand für öffentliche und private Akteure erfolgen.

Zudem fordern die Digitalminister ein gemeinsames europäisches Konzept für innovative digitale Technologien. Dies sei von zentraler Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit und den Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit der EU. Die Mitgliedstaaten betonen auch, dass die digitale Transformation mit einem grünen Wandel einhergehen sollte, unter der Wahrung ehrgeiziger Nachhaltigkeitsziele.

Rat wünscht sich mehr digitale Handelsabkommen

Außerdem weisen die Mitgliedstaaten darauf hin, dass dieser Wandel nur mit qualifizierten Arbeitskräften bewältigt werden kann und dass dafür auch eine sichere und widerstandsfähige digitale Infrastruktur in der gesamten EU zu gewährleisten ist.

Der Rat betont zudem die Bedeutung der internationalen Dimension der EU-Digitalpolitik. Digitale Partnerschaften und digitale Handelsabkommen will er gestärkt sehen. Ebenso fordert er, ein proaktives und koordiniertes EU-Konzept zu entwickeln, um weltweit eine Schlüsselrolle im digitalen Wandel spielen zu können. vis

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AI Seoul Summit: Wie die USA und andere sichere KI entwickeln wollen

Zum Auftakt des AI Seoul Summit hat US-Handelsministerin Gina Raimondo eine neue strategische Vision für das KI-Sicherheitsinstitut (U.S. Artificial Intelligence Safety Institute, AISI) vorgestellt. Sie kündigte Pläne an, ein globales Netzwerk von KI-Sicherheitsinstituten zu schaffen und diese noch in diesem Jahr in der San Francisco Bay Area zu einem Gipfel zusammenzubringen. Dort hat das AISI hat kürzlich eine Präsenz etabliert, um die Zusammenarbeit zu fördern und Talente zu gewinnen.

Der AI Seoul Summit ist ein internationales Treffen von Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern, das sich auf die Entwicklung und Regulierung von Künstlicher Intelligenz konzentriert. Die britische Regierung initiierte diese Konferenzreihe, deren erstes Treffen 2023 in Bletchley Park stattfand. Ziel des Gipfels ist es, eine Plattform für den Austausch von Wissen und Best Practices zu bieten, um die sichere und verantwortungsvolle Nutzung von KI-Technologien zu fördern. Das nächste Treffen soll im Herbst in Frankreich stattfinden.

Google, Meta, Microsoft und Open AI sagen Kooperation zu

Sechzehn führende Unternehmen in der KI-Entwicklung, darunter Google, Meta, Microsoft und Open AI, haben beim AI Seoul Summit zugesagt, die Technologie sicher zu entwickeln. Unterstützt wurden sie von einer Erklärung der G7, der EU, Singapur, Australien und Südkorea. Diese Länder haben sich darauf geeinigt, KI-Sicherheit, Innovation und Inklusivität zu priorisieren. “Wir müssen die Sicherheit der KI gewährleisten, um das Wohlergehen und die Demokratie unserer Gesellschaft zu schützen”, sagte Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol. Dabei verwies er auf die Risiken, die von Deepfakes ausgehen.

Weitere Unternehmen, die sich zur Sicherheit verpflichteten, sind Zhipu.ai – unterstützt von Alibaba, Tencent, Meituan und Xiaomi – sowie das Technology Innovation Institute der Vereinigten Arabischen Emirate, Amazon, IBM und Samsung Electronics. Sie verpflichteten sich, Sicherheitsrahmenwerke zur Risikomessung zu veröffentlichen, Modelle zu vermeiden, bei denen Risiken nicht ausreichend gemindert werden können, und Governance und Transparenz sicherzustellen.

KI-Sicherheit: Die strategische Vision der USA

Die neue strategische Vision des AISI umfasst drei zentrale Ziele:

  • die Forschung zu KI-Sicherheit voranzutreiben
  • Praxisbeispiele der KI-Sicherheit zu entwickeln und zu verbreiten
  • Institutionen und Gruppen in diesen Bemühungen zu unterstützen.

Das Institut plant, umfassende Tests und Benchmarks zu erstellen, um die Sicherheit von KI-Modellen und Systemen zu bewerten. Besonderer Fokus liegt auf präventiven Maßnahmen zur Bewertung potenzieller und aufkommender Risiken vor der Einführung neuer KI-Technologien.

Im globalen Kontext reiht sich die Initiative des AISI in internationale Bestrebungen ein, KI-Sicherheit zu gewährleisten. Raimondo betonte die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit, um weltweit akzeptierte Standards zu schaffen und sicherzustellen, dass die Entwicklung von KI im Einklang mit Menschenrechten, Sicherheit und Vertrauen steht. vis/rtr

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Rat beschließt Energiegesetze und AI Act

Der Rat hat am Dienstag mehrere große Gesetzesvorhaben aus der Energie- und Digitalpolitik beschlossen: die Verordnungen und Richtlinien zum Strom- sowie zum das Gas- und Wasserstoffbinnenmarkt und den AI Act. Die Strommarktreform soll helfen, Preissprünge wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine einzudämmen. Das Gasmarktpaket schafft die Grundlage für den Aufbau von Wasserstoff-Infrastruktur und für einen Wasserstoffbinnenmarkt.

Mit der Zustimmung des Rates, die am Dienstag ohne weitere Aussprache erfolgte, ist der AI Act nun beschlossene Sache. Das KI-Gesetz folgt einem risikobasierten Ansatz, das heißt, je höher das Risiko für einen persönlichen oder gesellschaftlichen Schaden ist, desto strenger sind die Vorschriften. Die EU ist überzeugt, damit einen globalen Standard für die KI-Regulierung setzen zu können. Der AI Act gilt nur für Bereiche, die unter das EU-Recht fallen, und sieht Ausnahmen vor, beispielsweise für Systeme, die ausschließlich für militärische und Verteidigungszwecke sowie für Forschungszwecke verwendet werden. ber/vis

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Russische Zentralbank: Wie die EU das eingefrorene Vermögen einsetzen will

Die EU wird künftig Zinserträge in Milliardenhöhe aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank zur Finanzierung von Militärhilfen für die Ukraine nutzen. Minister aus den EU-Staaten trafen dafür am Dienstag in Brüssel die notwendigen Entscheidungen, wie ein Sprecher der derzeitigen belgischen EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Eine politische Verständigung auf das Vorgehen hatte es bereits vor knapp zwei Wochen gegeben. Allein dieses Jahr sollen bis zu drei Milliarden Euro für die Ukraine zusammenkommen.

Nach Kommissionsangaben sind rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren. Das in Brüssel ansässige Finanzinstitut Euroclear hatte zuletzt mitgeteilt, 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinsen eingenommen zu haben.

90 Prozent für militärische Ausrüstung, 10 Prozent Finanzhilfen

Den Vorschlag zur indirekten Verwendung russischer Gelder für die Ukraine hatten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Regierungen der EU-Staaten im März übermittelt. Er sieht vor, dass 90 Prozent der nutzbaren Zinserträge aus der Verwahrung russischer Zentralbank-Gelder in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung geleitet werden sollen. Die restlichen zehn Prozent sollen für direkte Finanzhilfen für die Ukraine genutzt werden.

Schwierig waren die Verhandlungen unter anderem, weil neutrale Staaten wie Österreich sich nicht direkt an der Lieferung von Waffen und Munition beteiligen wollen. Für sie wurde nun vereinbart, dass die Zinserträge zum Teil auch für andere Finanzhilfen verwendet werden. Zudem gab es Diskussionen darüber, wie viel Geld Euroclear für seinen Aufwand einbehalten darf. Der Betrag reduzierte sich im Laufe der Verhandlungen von 3 Prozent auf 0,3 Prozent. Es ist in der EU das mit Abstand wichtigste Institut, das Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahrt. dpa

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Europaparlament: Warum Le Pen endgültig mit der AfD bricht

Nach den Europawahlen will der Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen nicht mehr in einer Fraktion mit den Abgeordneten der deutschen AfD sein. Das hat der Europaabgeordnete Thibaut François, der für die internationalen Beziehungen des RN zuständig ist, unseren Kollegen von “Contexte” gesagt.

Die rechtsextreme Partei von Le Pen reagiert damit auf eine Äußerung von Maximilian Krah, der auf Platz eins der AfD-Liste kandidiert und sich geweigert hatte, alle SS-Leute als “Kriminelle” zu bezeichnen. Ein möglicher Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion sei nur ein “Wunsch des Rassemblement national” und noch keine Entscheidung der Fraktion, so François weiter zu “Contexte”. Die Parteichefs von Lega, FPÖ und niederländischer PVV, die ebenfalls zur ID gehören, seien von RN-Chef Jordan Bardella aber vorab informiert worden.

Gelegenheit für Viktor Orbáns Partei

Schon vorher war der RN auf Distanz zur deutschen AfD gegangen. So hatte der RN die AfD-Spitze zum Rapport gebeten, als die Beteiligung der AfD am Potsdamer Treffen mit den Plänen zur Massenabschiebung von Deutschen mit Migrationshintergrund bekannt wurde.

Sollte die AfD aus der ID-Fraktion ausgeschlossen werden, ist laut “Contexte” der Fraktionsstatus der ID im Europaparlament nicht bedroht. Vielmehr eröffne sich damit die Möglichkeit für die ID-Fraktion, die Abgeordneten des ungarischen Fidesz aufzunehmen. Fidesz-Chef Viktor Orbán hatte bislang eine Mitgliedschaft in der gleichen Fraktion mit der deutschen AfD abgelehnt. mgr

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Wahldebatte: So stehen die Spitzenkandidaten zur EU-Wirtschaftspolitik

Bei einer Debatte anlässlich der Europawahlen zur Wirtschaftspolitik der EU hat sich der sozialdemokratische Spitzenkandidat und aktuelle Arbeitskommissar Nicolas Schmit zurückhaltend gezeigt. Schmit, dessen Sozialdemokraten in Umfragen weit hinter der EVP zurückliegen, blieb in der Wahlkampfdebatte mehr Kommissionskollege als Oppositionsführer.

Er sprach sich zwar offensiver für mehr Solidaritätsmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten und mehr EU-Gelder aus als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber Kritik an der bisherigen Kommissionsführung war von ihm kaum vernehmbar.

Schmit und von der Leyen trafen bei der Diskussionsrunde auf den liberalen Spitzenkandidaten Sandro Gozi sowie auf Anders Vistisen von der rechtsnationalen ID-Fraktion. Organisiert vom Think-Tank Bruegel und die “Financial Times” sollte die Debatte aufzeigen, wie sich die Kandidaten zu wirtschaftspolitischen Themen verhalten.

Kapitalmarktunion als “EVP-Versagen”

Der liberale Europaabgeordnete Sandro Gozi, der zusammen mit Valérie Hayer und Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine Dreierspitze der Liberalen bildet, war deutlich aggressiver. “Die Kapitalmarktunion ist das größte Versagen der EVP”, sagte er in Richtung Kommissionspräsidentin. Gozi erinnerte daran, dass mit Ursula von der Leyen, Valdis Dombrovskis und Mairead McGuinness alle relevanten Kommissionsposten mit EVP-Exponenten besetzt gewesen seien. “Die EVP war fünf Jahre an der Macht und nichts ist passiert“, sagte er.

Darauf angesprochen, was er denn konkret anders machen würde, wich Gozi jedoch aus und zeigte damit wohl unfreiwillig die limitierte Macht der Kommission auf. Er würde sich für einen Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten einsetzen, meinte er.

Die Kommissionspräsidentin verteidigte sich mit dem Verweis auf die Vorschläge, die die Kommission in der zu Ende gehenden Legislatur vorgelegt hatte. Es sei jetzt an den Finanzministern, sich zu einigen, sagte sie.

Gozi und Schmit für mehr EU-Mittel

Ein weiterer Kritikpunkt Gozis betraf die fehlenden EU-Mittel. Er kritisierte von der Leyen dafür, dass sie den EU-Souveränitätsfonds, den sie 2022 als Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act in Aussicht gestellt hatte, nie konkretisiert habe. Für Gozi ist klar, dass die EU mehr gemeinsam investieren müsse und man nicht an Budgetgrößen festhalten könne, die seit 1988 die gleichen seien. Gozis Position, dass ein größeres EU-Budget und eine öffentliche Investitionsstrategie auf EU-Ebene nötig sei, ist jedoch nicht der Konsens in seiner liberalen Fraktion.

Schmit sprach sich eindeutig für ein höheres EU-Budget und mehr gemeinsame Schulden aus. “Die Zukunft Europas entscheidet sich auf der Ebene der Investitionen. Entweder sind wir in der Lage zu investieren oder nicht, und dann verlieren wir”, sagte er.

Von der Leyen insistierte, dass eine EU-Budgeterhöhung früher oder später entweder mit höheren Beiträgen der Mitgliedstaaten oder mit zusätzlichen EU-Eigenmitteln finanziert werden müsse. Auf die Frage, ob sie die Initiative von Estlands Premierministerin Kaja Kallas und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstütze, die europäische Verteidigungsindustrie durch neue EU-Schulden zu finanzieren, antwortete die Kommissionspräsidentin nicht.

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Standpunkt

Michael Zürn und Steffen Huck: Wie Mittelmäßigkeit das europäische Projekt gefährdet

Von Michael Zürn und Steffen Huck
Michael Zürn und Steffen Huck (v.l.) sind Direktoren am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Zürn leitet die Abteilung Global Governance, Huck die Abteilung Ökonomik des Wandels.

Die europäische Integration erfolgte noch nie krisenfrei. Auf Krisen und Verwerfungen wurde zumeist mit einer Vertiefung der europäischen Integration geantwortet. Die ökonomische Eurosklerose der 1980er-Jahre führte zum Binnenmarktprogramm. Den Ängsten angesichts der deutschen Vereinigung wurde mit der Schaffung des Euro begegnet. Und dieselbe Logik gilt für die Serie wirtschaftlicher und politischer Krisen, die Europa seitdem den Atem geraubt hat.

Als Reaktion auf die Finanzkrise wurden die “Bazooka” und der Euro-Schutzschirm ausgepackt. Zwar hat der Euro gegenüber dem Schweizer Franken seit 2007 insgesamt 45 Prozent an Wert verloren, aber es hätte schlimmer kommen können. Und nicht alle Länder können das Schweizer Geschäftsmodell verfolgen. 

Das europäische Projekt stockt seit Lissabon

Die Krisenantworten blieben aber seit dem Lissaboner Vertrag kleinteilig. Die Krisen der 2000er führten zwar de facto auch zu einer Stärkung der europäischen Institutionen, aber sie befeuerten nicht mehr das europäische Projekt als solches, auch wenn sie einmalige Chancen dafür boten. Krisen können nämlich helfen, Hürden zu nehmen, die im Normalzustand nicht überspringbar sind.

Die mehrfach vorgetragene Idee, der weitgehenden wirtschaftlichen Integration auch eine entsprechend weitgehende politische folgen zu lassen, ist in den letzten zwei Jahrzehnten ins Leere gelaufen. Das europäische Projekt stockt seit Lissabon. Also nach wie vor keine gemeinsame Migrationspolitik und immer noch das Vetorecht für alle Mitgliedstaaten. Schön für Ungarn!

Schuld an der integrationspolitischen Lethargie ist nicht zuletzt Deutschland. Dabei geht es nicht einmal zuvorderst um die vielen europäischen Initiativen, die Deutschland in der EU blockiert hat, deren Liste lang ist (man denke an den Verbrennungsmotor oder medizinische Schutzausrüstung während der Pandemie). Es gilt insbesondere für die Großfragen der Vergemeinschaftung von Schulden oder einer gemeinsamen Verteidigungspolitik.  Die deutsche Europapolitik klammert sich an den institutionellen status quo and lässt vielversprechende Initiativen der Partner ins Leere laufen.

Integration der Sicherheitspolitik und des Militärs

Angesichts der jüngsten Krisen mit einer erstarkenden Rechten und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine könnte das europäische Projekt mit neuem Schub in lange ungekanntem Ausmaß versorgt werden, wenn Deutschland die europäische Integration nur wieder Ernst nähme. Wenn am Ende des Jahres Putin Kiew und Trump Washington kontrollieren sollten, wird Europa gefordert sein. Es ist dann der Punkt erreicht, an dem die EU nicht uns braucht, sondern wir es sind, die Europa brauchen. “Unsere Panzer” werden nicht reichen. 

Gerne sehen wir uns Deutschen als diejenigen, die mehr zu Europa beitragen als alle anderen. Niemand zahlt soviel in die EU wie wir (egal, wie man es misst: absolut, als Teil des BIPs oder pro Kopf), und niemand nimmt mehr Flüchtlinge auf. Wir sind die good guys, wir stehen zu Europa! Aber tun wir’s wirklich? Wenn wir es täten, wenn wir es wirklich ernst meinten mit Europa, dann muss das europäische Projekt jetzt weitergetrieben und vertieft werden. Eine Integration der Sicherheitspolitik und des Militärs kann aber nur in einer demokratischen Union gelingen. Und an diesem Punkt zeigt sich die Bedeutung der Europawahlen.

Nur die Besten sollten nach Brüssel

Dass wir Europa und seinen Wahlen nicht genügend Bedeutung zumessen, zeigt sich schon an dem politischen Personal, das wir in die europäischen Institutionen senden. Wir sollten unsere Besten in der EU-Kommission, im EU-Parlament und im Führungsstab anderer europäischer Organisationen wie der Europäischen Investitionsbank sitzen haben. Stattdessen: Klaus Hänsch und Hans-Gert Pöttering und Werner Hoyer und eine gescheiterte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die nicht als Spitzenkandidatin gewählt wurde. Von den nächsten Ebenen mag man gar nicht erst reden. Wer es in seiner Partei nicht zum Landtagsmandat schafft, kandidiert fürs Europaparlament. Da verdient man deutlich besser und ist aus dem Weg.

Dabei mangelt es keineswegs an Talenten. Nur dass wir in ein System geschaffen haben, in dem keiner mehr glaubt, in europäischen Institutionen ließe sich mehr als Geld machen. Stattliche steuerfreie Einkommen in Brüssel und Straßburg sind zum Trostpreis verkommen und eignen sich bestens, unliebsamen Weggefährten Angebote zu machen, die sie nicht ablehnen können. Das europäische Projekt kann aber nur weiterentwickelt werden, wenn wir die Talentiertesten und Besten dafür bereitstellen. 

Mit Europa unseren eigenen Schutz organisieren

Gleichzeitig muss die nächste Stufe der europäischen Integration mit einer deutlichen Demokratisierung einhergehen. Die Europawahl muss zu einer Einrichtung werden, bei der die Wählerinnen und Wähler wissen, was ein Kreuz für eine Kandidatin und Partei politisch bedeutet. In Abwesenheit von politischen Debatten über den europäischen Weg, in Abwesenheit von europaweiten Wahllisten und angesichts der De-facto-Bestimmung der Präsidentin der Kommission durch den Rat verkommt der urdemokratische Akt zu einer ritualisierten Abstrafung der aktuellen nationalen Regierungen

Ist es zu spät? Wer die Frontverläufe in der Ukraine studiert, muss sich diese Frage stellen. Wenn wir Europa ernst nehmen wollen, ist es jetzt höchste Zeit, zumindest im ganz Konkreten umzudenken, und das heißt vor allem erstmal eines: Wahlen erst nehmen, Europa zu politisieren und mit ihm unseren eigenen Schutz zu organisieren.

Für ein Umdenken bleibt nicht viel Zeit

Ein erster Schritt besteht darin, unsere besten Kräfte zur Wahl zu stellen und nach Europa zu schicken. Nur sie können bei den Europawahlen die nötige Aufmerksamkeit erzeugen. Das heißt auch, anderen Mitgliedstaaten, wenn sie für einzelne Positionen bessere Kandidat*innen haben, nicht im Weg zu stehen, ihnen aber auch die Stirn zu bieten, wenn sie glauben, schwächere Kandidat*innen aufgrund reiner Proporzgedanken durchsetzen zu können.

Andernfalls befänden wir uns weiterhin in einer Spirale der Mediokrität, die das einstmals so erfolgreiche europäische Projekt aufs schlimmste gefährden würde. Und damit ab spätestens 2025 auch unsere Sicherheit. Der vorletzte Satz steht im Konjunktiv, um ein wenig Hoffnung Ausdruck zu geben. Viel Zeit haben wir freilich nicht mehr für ein derartiges Umdenken. 

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    seit sechs Jahren bereits vertritt Michael Clauß die deutsche Bundesregierung als EU-Botschafter in Brüssel, nun ist entschieden: Es kommt noch ein weiteres Jahr hinzu. Der 62-jährige Diplomat werde über den Sommer hinaus auf dem Posten bleiben, erfuhr Table.Briefings aus Berliner Regierungskreisen.  

    Eine solch lange Zeit an einem Ort ist ungewöhnlich für einen Top-Diplomaten. Clauß wird zum einen ob seiner Sachkenntnis und seines politischen Fingerspitzengefühls geschätzt in der Bundesregierung. Zum anderen erspart die Verlängerung den drei Koalitionspartnern schwierige Verhandlungen, wer denn auf ihn folgen solle.

    Die Grünen besetzen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereits die beiden Häuser, die für die Weisungen an die Ständige Vertretung in Brüssel zuständig sind. Ohne das Kanzleramt geht in der Europapolitik ohnehin wenig. Und die FDP-geführten Ministerien eckten in den vergangenen Monaten oft an bei den beiden Koalitionspartnern, weil sie deren Positionen nicht mittragen wollten. Was wiederum dazu führte, dass Clauß und seine Stellvertreterin Helen Winter oft lange auf ihre Weisungen warten mussten.

    Ich wünsche Ihnen einen kurzweiligen Tag!

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Ausblick auf die Wahlen: Warum die PiS in Polen aufholt

    In die Wahl zum Europaparlament am 9. Juni schicken Polens regierende Bürgerplattform (PO) und die rechtspopulistische Opposition Recht und Gerechtigkeit (PiS) mehrere ihrer bekanntesten Politiker. Um die 53 polnische Sitze in Straßburg kämpfen u. a. PO-Politiker Borys Budka (Ex-Minister für Staatsvermögen) und Bartłomiej Sienkiewicz (Ex-Kulturminister) gegen PiS-Granden Mariusz Kamiński (Ex-Innenminister) und Daniel Obajtek (Ex-Chef des Mineralölkonzerns Orlen).

    Beide Lager nehmen den Urnengang sehr ernst. “Das sind vielleicht die wichtigsten Europawahlen seit Polens Beitritt zu der EU“, sagt Polens Ministerpräsident Donald Tusk.

    Noch vor einem Monat sah es aus, als würde die PO die Wahl haushoch gewinnen. Sie führte in manchen Umfragen mit sechs Prozent. Doch in den letzten Wochen holte die euroskeptische PiS wieder mächtig auf. Nun liefern sich beide wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit leichten Vorteilen für die Rechtsnationalen. Das hat mit der Innenpolitik zu tun: Immer mehr Polen sind von der bisherigen Bilanz der Tusk-Regierung enttäuscht.

    Aufarbeitung zur PiS-Regierung kommt nur schleppend voran

    Das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2024 betrug zwar erfreuliche 1,9 Prozent, doch die Abwicklung des PiS-Staates kommt kaum voran. Seit Monaten versuchen drei Sejm-Ausschüsse, drei große Affären der Vorgänger aufzuarbeiten – ohne ein sichtbares Ergebnis. Es geht um den Einsatz der israelischen Pegasus-Software, um Politiker der damaligen Opposition abzuhören; um die erleichterte Visa-Vergabe und damit verbundene Korruption; und um einen Versuch, während der Pandemie eine Briefwahl zu organisieren.

    Auch die Justizreformen, die die Unabhängigkeit der Gerichte wiederherstellen sollen, stecken fest. Der von der PiS gekaperte und nicht verfassungskonforme Verfassungstribunal trifft weiter seine Entscheidungen, die niemand respektiert. Über den Gesetzentwurf zur Entpolitisierung des Nationalen Justizrates (KRS) streitet sich die Regierungskoalition im Parlament – seine erste Fassung dürfte der PiS-treue Präsident Andrzej Duda mit seinem Veto belegen, eine vom Senat vorgeschlagene, verwässerte Version geht den Richterverbänden nicht weit genug. 

    Tusk merkt, dass ihm die Zeit davonrennt. Nimmt er aber Abkürzungen, muss er sich Kritik gefallen lassen, dass sich seine Methoden von den der Vorgänger nicht unterscheiden. Das gilt für die Neubesetzung vieler Posten in staatlichen Kultureinrichtungen wie Museen und Theatern oder auch in staatlichen Unternehmern. Tusk versprach vor seinem Wahlsieg im Herbst, solche Stellen in transparenten Auswahlverfahren mit Fachleuten zu besetzen. Stattdessen beruft er die Nachfolger der entlassenen PiS-Kader nach eigenem Gutdünken.

    Im Europa-Wahlkampf sind die Fronten dagegen klar. Die PiS mobilisiert mit einem Anti-EU-Programm seine oft EU-skeptischen Wähler. In seiner Rede zum Start der Kampagne gab Parteichef Jaroslaw Kaczyński die Linie vor: “Wir gehen nach Brüssel, um Nein zu sagen.” Nein zum Green Deal, Nein zum Migrationspakt, Nein zu gleichgeschlechtlichen Ehen, zu Euro-Einführung und anderen Sachen, die “sie uns aufzwingen wollen”. Auch in Sicherheitsfragen stellt sich der PiS-Chef gegen die EU und für ein “Bündnis mit den USA”.

    Dämpfer für Europa-Enthusiasmus in Polen

    Anders Tusk. Er fordert zwar auch Änderungen an Migrationspakt und am Green Deal. Doch er will die Meinungsverschiedenheiten gemeinsam mit anderen EU-Staaten überwinden. Brüssel honorierte Tusks Kurs bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, überwies bereits die erste Tranche der eingefrorenen Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds.

    Polen kann zudem auf eine schnelle Einstellung des EU-Verfahrens wegen mutmaßlicher Verstöße gegen europäische Werte hoffen. Die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová sagte am Dienstag, sie werde bis Ende des Monats einen offiziellen Vorschlag zur Beendigung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens vorlegen. Unter der neuen Regierung ist Polen der europäischen Staatsanwaltschaft beigetreten und will sich an dem europäischen Luftabwehrsystem beteiligen.

    Der Krieg in der Ukraine und das Zögern einiger EU-Partner, mehr für die europäische Verteidigungsbereitschaft zu tun, hat dem polnischen Europa-Enthusiasmus allerdings einen Dämpfer gesetzt. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsagentur IBRiS glauben nur 53 Prozent der Polen, dass die Vorteile der EU-Mitgliedschaft die Nachteile überwiegen; 25 Prozent sind der Meinung, dass sich die Vorteile und Nachteile in Waage halten; etwa 17 Prozent sind überzeugt, dass die Nachteile überwiegen. Während rund 94 Prozent der PO-Wähler mehr Vorteile als Nachteile der Mitgliedschaft sehen, glauben nur 17 Prozent der PiS-Wähler, dass Polen wirklich davon profitiert.

    Präsident Duda will bei Nominierung des Kommissars mitreden

    Warschau will nach der Europawahl in jedem Fall einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Im Gespräch ist der Posten eines Verteidigungskommissars. Manche PO-Politiker glauben sogar, Polen könnte sich um das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik bewerben. Als aussichtsreicher Kandidat für beide Posten gilt der gegenwärtige Außenminister Radosław Sikorski.

    Doch auch bei dieser Personalie droht Streit: Präsident Duda will bei der Ernennung des Kommissars mitreden, obwohl er laut Verfassung nicht dazu berechtigt ist. Die PiS hat aber einen Monat vor der verlorenen Wahl 2023 ein fragliches Gesetz durchgeboxt, das dem Präsidenten das Recht gibt, den Kandidaten der Regierung zu blockieren. Premier Tusk deutete bereits an, dass er dieses Gesetz nicht respektieren wird. Mit dpa

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    EU-Wahl: Was bei Agrifood in der neuen Legislaturperiode zu erwarten ist

    Anfang Juni wird ein neues EU-Parlament gewählt, auch das Kollegium der Europäischen Kommission wird dann neu besetzt. Wie die scheidende Kommission es mit dem Green Deal als übergreifendem Konzept tat, wird dann das neue (oder wiedergewählte) Personal eigene Akzente setzen. Allgemeine Trends lassen sich schon absehen: Umwelt- und Klimaschutz dürften erst einmal weniger im Fokus stehen als nach der letzten Wahl 2019. Fuhren damals grüne Parteien Rekordgewinne ein, prägen heute Bauernproteste und ein projiziertes Erstarken des Mitte-rechten bis rechten Flügels das Bild.

    Vor allem, wenn Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wiedergewählt wird, dürfte sich die neue Kommission in ihrer Arbeit auch auf den Abschlussbericht des Strategiedialogs Landwirtschaft berufen, der für den Spätsommer erwartet wird, und die Entlastungspläne für Bauern weiter verfolgen. Auch wenn darüber hinaus vieles vom Wahlausgang, der Verteilung und dem Zuschnitt von Posten abhängt: Anhaltspunkte dafür, was nach der Wahl auf der Agenda steht, gibt es bereits.

    Offen geblieben auf der To-do-Liste

    Anhaltspunkt 1: Nicht eingelöste Vorhaben aus dieser Legislaturperiode. Davon gibt es einige. Vor allem beim Green Deal wurde in kaum einem Politikfeld so wenig umgesetzt wie in Landwirtschaft und Ernährung. Dass Dossiers, die schon der scheidenden Kommission zu heikel waren, nach der Wahl doch noch eins zu eins umgesetzt werden, ist eher unwahrscheinlich. Aber: Teils wurde viel Vorarbeit geleistet. Auch, wenn sich politische Prioritäten verschieben, könnte die neue Kommission Versatzstücke wieder aufgreifen, zumal betroffene Verbände weiter Handlungsbedarf anmahnen.

    • Lebensmittel-Etikettierung: Eigentlich sollte es neue, EU-weite Regeln geben. Das Thema sei komplex, die Arbeit noch nicht abgeschlossen, hieß es zuletzt aus der Kommission. Abgeschreckt wird letztere wohl vor allem von der hochemotionalen Debatte um eine europaweite Einführung des Nutri-Scores. Auch das deutsche Herzensthema Herkunftskennzeichnung sollte hier adressiert werden und blieb ungelöst.
    • Tierschutzpaket: Der EU-Tierschutzrahmen gilt als veraltet, die Kommission wollte ihn umfassend reformieren. Obwohl das komplexe Paket dem Vernehmen nach weitestgehend ausgearbeitet war, kam nur ein Vorschlag zu Tiertransporten (siehe unten). Haltung, Schlachtung und Tierwohllabel sparte man aus, wohl zu heikel vor der anstehenden Wahl.
    • Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen (SFS): Dieses hatte die Kommission ursprünglich für den Herbst 2023 als ein “Flaggschiff” der Farm-to-Fork-Strategie angekündigt, legte es aber nie vor. Neben dem Labeling-Gesetz war es als eines der Projekte für die “Fork-Seite” geplant. Doch es blieb schwer fassbar. Standen Anfang 2023 noch ein freiwilliges Nachhaltigkeitslabel und Maßnahmen zur öffentlichen Beschaffung im Raum, war später mehr von Ernährungssicherheit die Rede.

    Sonderfall:

    • Pestizidverordnung (SUR): Die umstrittene Verordnung war schon auf den Weg gebracht, die Kommission zog sie aber Anfang des Jahres zurück, nachdem zuvor auch das Parlament den Prozess blockiert hatte. Von der Leyen ließ damals wissen: Das Ziel der Pestizidreduktion bleibe bestehen, man wolle möglicherweise einen neuen Anlauf starten – mit einem weniger polarisierenden Vorschlag.

    Unvollendete Projekte

    Anhaltspunkt 2: Laufende Gesetzgebungsverfahren. Diese gehen nach der Wahl weiter – vorausgesetzt, das neu besetzte EU-Parlament und die Kommission stimmen dem zu.

    • Neue Züchtungstechniken (NGTs): Das Parlament hat seine Position festgezurrt, doch im Ministerrat ist das Thema festgefahren. Gelingt der belgischen Ratspräsidentschaft nicht doch noch bis Ende Juni der Durchbruch, dürfte sich die weitere Arbeit deutlich verzögern. Sieht die Kommission die Situation als zu vertrackt, hätte sie theoretisch auch die Möglichkeit, den Vorschlag nach der Wahl zurückzuziehen und neu vorzulegen – zum Beispiel mit mehr Klarheit zum Thema Patente. Dann gingen allerdings die Fortschritte im Parlament verloren.
    • Tiertransporte: Darauf, dass die Kommission in Sachen Tierschutz wenigstens noch die Reform der Regeln zu Lebendtransporten vorlegt, hatten laut gut informierten Kreisen vor allem die Grünen hingewirkt. Der Vorschlag kam dann aber so spät, dass er kaum mehr rechtzeitig verabschiedet werden konnte. Auf Parlament und Ministerrat kommt das Thema nach der Wahl wieder zu. Eilig hatten beide Institutionen es bisher nicht.
    • Saatgutverordnung: Das Parlament hat seine Verhandlungsposition angenommen, die EU-Agrarminister haben die Arbeit aber noch nicht begonnen. Das Gesetzgebungsverfahren dürfte nach der Wahl weiter seinen Lauf nehmen.
    • Green Claims: Das Verhandlungsmandat des Parlaments steht, eine Einigung der Mitgliedstaaten soll bald folgen. Nach der Wahl könnten dann die Trilogverhandlungen aufgenommen werden.
    • Reduktion von Lebensmittelabfällen: Auch hier haben die EU-Abgeordneten ihr Verhandlungsmandat angenommen, die 27 Minister noch nicht.

    Sonderfälle:

    • Renaturierungsgesetz (NRL): Das umstrittene Gesetz stand kurz vor der Ziellinie, steckt nun aber im Ministerrat fest. Die ausstehende Ratsabstimmung ist der letzte Schritt zur Verabschiedung. Die wäre also theoretisch noch vor der Wahl möglich. Momentan zeichnet sich aber keine Mehrheit ab, auch wenn sich von der Leyen in einem Brief, den die Kollegen von Contexte veröffentlicht haben, zuletzt für das Gesetz starkmacht.
    • Entwaldungsfreie Lieferketten: Die Verordnung wurde schon im letzten Jahr verabschiedet, aktuell gibt es aber – auch aus der Bundesregierung – Druck, das Inkrafttreten der neuen Regeln zu verschieben. Die neue Kommission steht vor der Entscheidung, ob sie sich dem beugt, oder durch zusätzliche Vorkehrungen die Gemüter beruhigt.

    Anstehende Aufgaben

    Eine Reihe neuer Aufgaben kommt nach der Wahl auf die EU-Institutionen zu.

    • GAP-Reform: Erste Vorschläge der EU-Kommission für die GAP nach 2027 werden fürs kommende Jahr erwartet. Ein schwieriger Spagat: Einerseits besteht hoher Reformdruck, um die GAP weiter an die Klima- und Biodiversitätskrise anzupassen und fit für den Beitrittsprozess der Ukraine zu machen. Andererseits dürfte der Appetit auf drastische Umbrüche nach den Bauernprotesten erst einmal gedämpft sein.
    • Ukraine: Auch darüber hinaus bleibt die Ukraine Thema. Nach dem Hin und Her um die Verlängerung der Handelserleichterungen will die Kommission ein längerfristiges Abkommen mit Kiew aushandeln. Sowohl die Unterstützung der Ukraine als auch die Entlastung der Landwirtschaft dürften für die neue Kommission wichtig bleiben. Sie muss darüber nachdenken, wie sie beides in Einklang bringt.
    • Marktmacht der Bauern: Die will die Kommission im Nachgang der Bauernproteste stärken. Schon im Herbst will sie ein Gesetz vorlegen, um unfaire Handelspraktiken (UTP) grenzüberschreitend besser zu ahnden. Das dürfte noch das jetzige Personal vorbereiten, die neue Besetzung es dann vorlegen. 2025 ist eine Bewertung der UTP-Richtlinie angesetzt, wenn nötig, soll eine Reform folgen.
    • Weitere Entlastungen: Auf dem Zettel der Kommission ist in Sachen Entlastungen für Bauern auch eine Analyse zur Bürokratielast im Herbst dieses Jahres.
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    News

    Desinformation: Was EU-Staaten dagegen unternehmen wollen

    Eine Gruppe von Mitgliedstaaten fordert weitergehende Maßnahmen gegen Desinformation aus dem Ausland. Nötig sei etwa ein offenerer Austausch von Informationen über neue Einflusskampagnen mit Forschern, NGOs und Journalisten, heißt es in dem gemeinsamen Papier, das am Dienstag beim Allgemeinen Rat in Brüssel diskutiert wurde.

    Diese könnten auch über Beratergremien der nationalen Aufsichtsbehörden (Digital Services Coordinators, DSCs) bei der Umsetzung des Digital Services Act eingebunden werden, heißt es in dem von Deutschland, Frankreich und Polen angestoßenen Statement, dem sich weitere 13 Staaten anschlossen.

    Zudem fordern die Regierungen finanzielle Mittel und eine neue Plattform für den Informationsaustausch mit Experten aus der Zivilgesellschaft, wie die Medienkompetenzen in der Bevölkerung verbessert werden könne. Zusätzlich solle die EU ihre strategische Kommunikation in den Mitgliedstaaten verstärken, um die Vorteile der Integration deutlich zu machen.

    “Beim Kampf gegen Desinformationen müssen wir mehr zusammen arbeiten und voneinander lernen”, sagte die Europa-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann (Grüne). Zudem müsse die EU russische Destabilisierungsversuche konsequent sanktionieren. Die Mitgliedstaaten hatten vergangene Woche bereits vereinbart, vier mit dem Kreml verbundene Medien auf die Sanktionsliste zu setzen. Am Dienstag beschlossen sie zudem gemeinsame Schlussfolgerungen zur demokratischen Resilienz.

    Vorstoß für europaweite Medienplattform

    Zudem greifen die Mitgliedstaaten eine Initiative aus dem Koalitionsvertrag der Ampel auf, eine europaweite Medienplattform aufzubauen. Diese soll hochwertige Informationen insbesondere öffentlich-rechtlicher Medien auch Bürgerinnen und Bürgern aus anderen EU-Staaten zur Verfügung stellen, etwa mithilfe von KI-gestützter Übersetzung. Nun gelte es, Einvernehmen über die Inhalte für die Plattform herzustellen, hieß es in Brüssel.

    Die Regierungen fordern zudem, angesichts der Vielzahl von Einzelmaßnahmen gegen Desinformation und ausländische Einflussnahme einen strukturierten Austausch von Best Practices zwischen den Mitgliedstaaten einzurichten. Dafür soll die existierende Horizontal Working Party on Enhancing Resilience and Countering Hybrid Threats (HWP ERCHT) genutzt werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem intensiver das Schnellwarnsystem nutzen, das im Rahmen des Aktionsplanes gegen Desinformation 2018 etabliert worden war. tho

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    EU-Digitalpolitik: Diese Prioritäten nennt der Rat für das kommende Mandat

    Die vielen Digitalgesetze, die im zu Ende gehenden Mandat beschlossen wurden, wirksam, kohärent und effizient umsetzen – das ist das wichtigste Ziel der Digitalminister der Union für das neue Mandat. So steht es in den Schlussfolgerungen des Rates für die künftige EU-Digitalpolitik, die die Minister am Dienstag angenommen haben. Die Umsetzung solle mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand für öffentliche und private Akteure erfolgen.

    Zudem fordern die Digitalminister ein gemeinsames europäisches Konzept für innovative digitale Technologien. Dies sei von zentraler Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit und den Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit der EU. Die Mitgliedstaaten betonen auch, dass die digitale Transformation mit einem grünen Wandel einhergehen sollte, unter der Wahrung ehrgeiziger Nachhaltigkeitsziele.

    Rat wünscht sich mehr digitale Handelsabkommen

    Außerdem weisen die Mitgliedstaaten darauf hin, dass dieser Wandel nur mit qualifizierten Arbeitskräften bewältigt werden kann und dass dafür auch eine sichere und widerstandsfähige digitale Infrastruktur in der gesamten EU zu gewährleisten ist.

    Der Rat betont zudem die Bedeutung der internationalen Dimension der EU-Digitalpolitik. Digitale Partnerschaften und digitale Handelsabkommen will er gestärkt sehen. Ebenso fordert er, ein proaktives und koordiniertes EU-Konzept zu entwickeln, um weltweit eine Schlüsselrolle im digitalen Wandel spielen zu können. vis

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    • wirtschaftliche Sicherheit

    AI Seoul Summit: Wie die USA und andere sichere KI entwickeln wollen

    Zum Auftakt des AI Seoul Summit hat US-Handelsministerin Gina Raimondo eine neue strategische Vision für das KI-Sicherheitsinstitut (U.S. Artificial Intelligence Safety Institute, AISI) vorgestellt. Sie kündigte Pläne an, ein globales Netzwerk von KI-Sicherheitsinstituten zu schaffen und diese noch in diesem Jahr in der San Francisco Bay Area zu einem Gipfel zusammenzubringen. Dort hat das AISI hat kürzlich eine Präsenz etabliert, um die Zusammenarbeit zu fördern und Talente zu gewinnen.

    Der AI Seoul Summit ist ein internationales Treffen von Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern, das sich auf die Entwicklung und Regulierung von Künstlicher Intelligenz konzentriert. Die britische Regierung initiierte diese Konferenzreihe, deren erstes Treffen 2023 in Bletchley Park stattfand. Ziel des Gipfels ist es, eine Plattform für den Austausch von Wissen und Best Practices zu bieten, um die sichere und verantwortungsvolle Nutzung von KI-Technologien zu fördern. Das nächste Treffen soll im Herbst in Frankreich stattfinden.

    Google, Meta, Microsoft und Open AI sagen Kooperation zu

    Sechzehn führende Unternehmen in der KI-Entwicklung, darunter Google, Meta, Microsoft und Open AI, haben beim AI Seoul Summit zugesagt, die Technologie sicher zu entwickeln. Unterstützt wurden sie von einer Erklärung der G7, der EU, Singapur, Australien und Südkorea. Diese Länder haben sich darauf geeinigt, KI-Sicherheit, Innovation und Inklusivität zu priorisieren. “Wir müssen die Sicherheit der KI gewährleisten, um das Wohlergehen und die Demokratie unserer Gesellschaft zu schützen”, sagte Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol. Dabei verwies er auf die Risiken, die von Deepfakes ausgehen.

    Weitere Unternehmen, die sich zur Sicherheit verpflichteten, sind Zhipu.ai – unterstützt von Alibaba, Tencent, Meituan und Xiaomi – sowie das Technology Innovation Institute der Vereinigten Arabischen Emirate, Amazon, IBM und Samsung Electronics. Sie verpflichteten sich, Sicherheitsrahmenwerke zur Risikomessung zu veröffentlichen, Modelle zu vermeiden, bei denen Risiken nicht ausreichend gemindert werden können, und Governance und Transparenz sicherzustellen.

    KI-Sicherheit: Die strategische Vision der USA

    Die neue strategische Vision des AISI umfasst drei zentrale Ziele:

    • die Forschung zu KI-Sicherheit voranzutreiben
    • Praxisbeispiele der KI-Sicherheit zu entwickeln und zu verbreiten
    • Institutionen und Gruppen in diesen Bemühungen zu unterstützen.

    Das Institut plant, umfassende Tests und Benchmarks zu erstellen, um die Sicherheit von KI-Modellen und Systemen zu bewerten. Besonderer Fokus liegt auf präventiven Maßnahmen zur Bewertung potenzieller und aufkommender Risiken vor der Einführung neuer KI-Technologien.

    Im globalen Kontext reiht sich die Initiative des AISI in internationale Bestrebungen ein, KI-Sicherheit zu gewährleisten. Raimondo betonte die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit, um weltweit akzeptierte Standards zu schaffen und sicherzustellen, dass die Entwicklung von KI im Einklang mit Menschenrechten, Sicherheit und Vertrauen steht. vis/rtr

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    Rat beschließt Energiegesetze und AI Act

    Der Rat hat am Dienstag mehrere große Gesetzesvorhaben aus der Energie- und Digitalpolitik beschlossen: die Verordnungen und Richtlinien zum Strom- sowie zum das Gas- und Wasserstoffbinnenmarkt und den AI Act. Die Strommarktreform soll helfen, Preissprünge wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine einzudämmen. Das Gasmarktpaket schafft die Grundlage für den Aufbau von Wasserstoff-Infrastruktur und für einen Wasserstoffbinnenmarkt.

    Mit der Zustimmung des Rates, die am Dienstag ohne weitere Aussprache erfolgte, ist der AI Act nun beschlossene Sache. Das KI-Gesetz folgt einem risikobasierten Ansatz, das heißt, je höher das Risiko für einen persönlichen oder gesellschaftlichen Schaden ist, desto strenger sind die Vorschriften. Die EU ist überzeugt, damit einen globalen Standard für die KI-Regulierung setzen zu können. Der AI Act gilt nur für Bereiche, die unter das EU-Recht fallen, und sieht Ausnahmen vor, beispielsweise für Systeme, die ausschließlich für militärische und Verteidigungszwecke sowie für Forschungszwecke verwendet werden. ber/vis

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    Russische Zentralbank: Wie die EU das eingefrorene Vermögen einsetzen will

    Die EU wird künftig Zinserträge in Milliardenhöhe aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank zur Finanzierung von Militärhilfen für die Ukraine nutzen. Minister aus den EU-Staaten trafen dafür am Dienstag in Brüssel die notwendigen Entscheidungen, wie ein Sprecher der derzeitigen belgischen EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Eine politische Verständigung auf das Vorgehen hatte es bereits vor knapp zwei Wochen gegeben. Allein dieses Jahr sollen bis zu drei Milliarden Euro für die Ukraine zusammenkommen.

    Nach Kommissionsangaben sind rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren. Das in Brüssel ansässige Finanzinstitut Euroclear hatte zuletzt mitgeteilt, 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinsen eingenommen zu haben.

    90 Prozent für militärische Ausrüstung, 10 Prozent Finanzhilfen

    Den Vorschlag zur indirekten Verwendung russischer Gelder für die Ukraine hatten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Regierungen der EU-Staaten im März übermittelt. Er sieht vor, dass 90 Prozent der nutzbaren Zinserträge aus der Verwahrung russischer Zentralbank-Gelder in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung geleitet werden sollen. Die restlichen zehn Prozent sollen für direkte Finanzhilfen für die Ukraine genutzt werden.

    Schwierig waren die Verhandlungen unter anderem, weil neutrale Staaten wie Österreich sich nicht direkt an der Lieferung von Waffen und Munition beteiligen wollen. Für sie wurde nun vereinbart, dass die Zinserträge zum Teil auch für andere Finanzhilfen verwendet werden. Zudem gab es Diskussionen darüber, wie viel Geld Euroclear für seinen Aufwand einbehalten darf. Der Betrag reduzierte sich im Laufe der Verhandlungen von 3 Prozent auf 0,3 Prozent. Es ist in der EU das mit Abstand wichtigste Institut, das Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahrt. dpa

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    Europaparlament: Warum Le Pen endgültig mit der AfD bricht

    Nach den Europawahlen will der Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen nicht mehr in einer Fraktion mit den Abgeordneten der deutschen AfD sein. Das hat der Europaabgeordnete Thibaut François, der für die internationalen Beziehungen des RN zuständig ist, unseren Kollegen von “Contexte” gesagt.

    Die rechtsextreme Partei von Le Pen reagiert damit auf eine Äußerung von Maximilian Krah, der auf Platz eins der AfD-Liste kandidiert und sich geweigert hatte, alle SS-Leute als “Kriminelle” zu bezeichnen. Ein möglicher Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion sei nur ein “Wunsch des Rassemblement national” und noch keine Entscheidung der Fraktion, so François weiter zu “Contexte”. Die Parteichefs von Lega, FPÖ und niederländischer PVV, die ebenfalls zur ID gehören, seien von RN-Chef Jordan Bardella aber vorab informiert worden.

    Gelegenheit für Viktor Orbáns Partei

    Schon vorher war der RN auf Distanz zur deutschen AfD gegangen. So hatte der RN die AfD-Spitze zum Rapport gebeten, als die Beteiligung der AfD am Potsdamer Treffen mit den Plänen zur Massenabschiebung von Deutschen mit Migrationshintergrund bekannt wurde.

    Sollte die AfD aus der ID-Fraktion ausgeschlossen werden, ist laut “Contexte” der Fraktionsstatus der ID im Europaparlament nicht bedroht. Vielmehr eröffne sich damit die Möglichkeit für die ID-Fraktion, die Abgeordneten des ungarischen Fidesz aufzunehmen. Fidesz-Chef Viktor Orbán hatte bislang eine Mitgliedschaft in der gleichen Fraktion mit der deutschen AfD abgelehnt. mgr

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    Wahldebatte: So stehen die Spitzenkandidaten zur EU-Wirtschaftspolitik

    Bei einer Debatte anlässlich der Europawahlen zur Wirtschaftspolitik der EU hat sich der sozialdemokratische Spitzenkandidat und aktuelle Arbeitskommissar Nicolas Schmit zurückhaltend gezeigt. Schmit, dessen Sozialdemokraten in Umfragen weit hinter der EVP zurückliegen, blieb in der Wahlkampfdebatte mehr Kommissionskollege als Oppositionsführer.

    Er sprach sich zwar offensiver für mehr Solidaritätsmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten und mehr EU-Gelder aus als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber Kritik an der bisherigen Kommissionsführung war von ihm kaum vernehmbar.

    Schmit und von der Leyen trafen bei der Diskussionsrunde auf den liberalen Spitzenkandidaten Sandro Gozi sowie auf Anders Vistisen von der rechtsnationalen ID-Fraktion. Organisiert vom Think-Tank Bruegel und die “Financial Times” sollte die Debatte aufzeigen, wie sich die Kandidaten zu wirtschaftspolitischen Themen verhalten.

    Kapitalmarktunion als “EVP-Versagen”

    Der liberale Europaabgeordnete Sandro Gozi, der zusammen mit Valérie Hayer und Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine Dreierspitze der Liberalen bildet, war deutlich aggressiver. “Die Kapitalmarktunion ist das größte Versagen der EVP”, sagte er in Richtung Kommissionspräsidentin. Gozi erinnerte daran, dass mit Ursula von der Leyen, Valdis Dombrovskis und Mairead McGuinness alle relevanten Kommissionsposten mit EVP-Exponenten besetzt gewesen seien. “Die EVP war fünf Jahre an der Macht und nichts ist passiert“, sagte er.

    Darauf angesprochen, was er denn konkret anders machen würde, wich Gozi jedoch aus und zeigte damit wohl unfreiwillig die limitierte Macht der Kommission auf. Er würde sich für einen Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten einsetzen, meinte er.

    Die Kommissionspräsidentin verteidigte sich mit dem Verweis auf die Vorschläge, die die Kommission in der zu Ende gehenden Legislatur vorgelegt hatte. Es sei jetzt an den Finanzministern, sich zu einigen, sagte sie.

    Gozi und Schmit für mehr EU-Mittel

    Ein weiterer Kritikpunkt Gozis betraf die fehlenden EU-Mittel. Er kritisierte von der Leyen dafür, dass sie den EU-Souveränitätsfonds, den sie 2022 als Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act in Aussicht gestellt hatte, nie konkretisiert habe. Für Gozi ist klar, dass die EU mehr gemeinsam investieren müsse und man nicht an Budgetgrößen festhalten könne, die seit 1988 die gleichen seien. Gozis Position, dass ein größeres EU-Budget und eine öffentliche Investitionsstrategie auf EU-Ebene nötig sei, ist jedoch nicht der Konsens in seiner liberalen Fraktion.

    Schmit sprach sich eindeutig für ein höheres EU-Budget und mehr gemeinsame Schulden aus. “Die Zukunft Europas entscheidet sich auf der Ebene der Investitionen. Entweder sind wir in der Lage zu investieren oder nicht, und dann verlieren wir”, sagte er.

    Von der Leyen insistierte, dass eine EU-Budgeterhöhung früher oder später entweder mit höheren Beiträgen der Mitgliedstaaten oder mit zusätzlichen EU-Eigenmitteln finanziert werden müsse. Auf die Frage, ob sie die Initiative von Estlands Premierministerin Kaja Kallas und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstütze, die europäische Verteidigungsindustrie durch neue EU-Schulden zu finanzieren, antwortete die Kommissionspräsidentin nicht.

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    Standpunkt

    Michael Zürn und Steffen Huck: Wie Mittelmäßigkeit das europäische Projekt gefährdet

    Von Michael Zürn und Steffen Huck
    Michael Zürn und Steffen Huck (v.l.) sind Direktoren am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Zürn leitet die Abteilung Global Governance, Huck die Abteilung Ökonomik des Wandels.

    Die europäische Integration erfolgte noch nie krisenfrei. Auf Krisen und Verwerfungen wurde zumeist mit einer Vertiefung der europäischen Integration geantwortet. Die ökonomische Eurosklerose der 1980er-Jahre führte zum Binnenmarktprogramm. Den Ängsten angesichts der deutschen Vereinigung wurde mit der Schaffung des Euro begegnet. Und dieselbe Logik gilt für die Serie wirtschaftlicher und politischer Krisen, die Europa seitdem den Atem geraubt hat.

    Als Reaktion auf die Finanzkrise wurden die “Bazooka” und der Euro-Schutzschirm ausgepackt. Zwar hat der Euro gegenüber dem Schweizer Franken seit 2007 insgesamt 45 Prozent an Wert verloren, aber es hätte schlimmer kommen können. Und nicht alle Länder können das Schweizer Geschäftsmodell verfolgen. 

    Das europäische Projekt stockt seit Lissabon

    Die Krisenantworten blieben aber seit dem Lissaboner Vertrag kleinteilig. Die Krisen der 2000er führten zwar de facto auch zu einer Stärkung der europäischen Institutionen, aber sie befeuerten nicht mehr das europäische Projekt als solches, auch wenn sie einmalige Chancen dafür boten. Krisen können nämlich helfen, Hürden zu nehmen, die im Normalzustand nicht überspringbar sind.

    Die mehrfach vorgetragene Idee, der weitgehenden wirtschaftlichen Integration auch eine entsprechend weitgehende politische folgen zu lassen, ist in den letzten zwei Jahrzehnten ins Leere gelaufen. Das europäische Projekt stockt seit Lissabon. Also nach wie vor keine gemeinsame Migrationspolitik und immer noch das Vetorecht für alle Mitgliedstaaten. Schön für Ungarn!

    Schuld an der integrationspolitischen Lethargie ist nicht zuletzt Deutschland. Dabei geht es nicht einmal zuvorderst um die vielen europäischen Initiativen, die Deutschland in der EU blockiert hat, deren Liste lang ist (man denke an den Verbrennungsmotor oder medizinische Schutzausrüstung während der Pandemie). Es gilt insbesondere für die Großfragen der Vergemeinschaftung von Schulden oder einer gemeinsamen Verteidigungspolitik.  Die deutsche Europapolitik klammert sich an den institutionellen status quo and lässt vielversprechende Initiativen der Partner ins Leere laufen.

    Integration der Sicherheitspolitik und des Militärs

    Angesichts der jüngsten Krisen mit einer erstarkenden Rechten und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine könnte das europäische Projekt mit neuem Schub in lange ungekanntem Ausmaß versorgt werden, wenn Deutschland die europäische Integration nur wieder Ernst nähme. Wenn am Ende des Jahres Putin Kiew und Trump Washington kontrollieren sollten, wird Europa gefordert sein. Es ist dann der Punkt erreicht, an dem die EU nicht uns braucht, sondern wir es sind, die Europa brauchen. “Unsere Panzer” werden nicht reichen. 

    Gerne sehen wir uns Deutschen als diejenigen, die mehr zu Europa beitragen als alle anderen. Niemand zahlt soviel in die EU wie wir (egal, wie man es misst: absolut, als Teil des BIPs oder pro Kopf), und niemand nimmt mehr Flüchtlinge auf. Wir sind die good guys, wir stehen zu Europa! Aber tun wir’s wirklich? Wenn wir es täten, wenn wir es wirklich ernst meinten mit Europa, dann muss das europäische Projekt jetzt weitergetrieben und vertieft werden. Eine Integration der Sicherheitspolitik und des Militärs kann aber nur in einer demokratischen Union gelingen. Und an diesem Punkt zeigt sich die Bedeutung der Europawahlen.

    Nur die Besten sollten nach Brüssel

    Dass wir Europa und seinen Wahlen nicht genügend Bedeutung zumessen, zeigt sich schon an dem politischen Personal, das wir in die europäischen Institutionen senden. Wir sollten unsere Besten in der EU-Kommission, im EU-Parlament und im Führungsstab anderer europäischer Organisationen wie der Europäischen Investitionsbank sitzen haben. Stattdessen: Klaus Hänsch und Hans-Gert Pöttering und Werner Hoyer und eine gescheiterte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die nicht als Spitzenkandidatin gewählt wurde. Von den nächsten Ebenen mag man gar nicht erst reden. Wer es in seiner Partei nicht zum Landtagsmandat schafft, kandidiert fürs Europaparlament. Da verdient man deutlich besser und ist aus dem Weg.

    Dabei mangelt es keineswegs an Talenten. Nur dass wir in ein System geschaffen haben, in dem keiner mehr glaubt, in europäischen Institutionen ließe sich mehr als Geld machen. Stattliche steuerfreie Einkommen in Brüssel und Straßburg sind zum Trostpreis verkommen und eignen sich bestens, unliebsamen Weggefährten Angebote zu machen, die sie nicht ablehnen können. Das europäische Projekt kann aber nur weiterentwickelt werden, wenn wir die Talentiertesten und Besten dafür bereitstellen. 

    Mit Europa unseren eigenen Schutz organisieren

    Gleichzeitig muss die nächste Stufe der europäischen Integration mit einer deutlichen Demokratisierung einhergehen. Die Europawahl muss zu einer Einrichtung werden, bei der die Wählerinnen und Wähler wissen, was ein Kreuz für eine Kandidatin und Partei politisch bedeutet. In Abwesenheit von politischen Debatten über den europäischen Weg, in Abwesenheit von europaweiten Wahllisten und angesichts der De-facto-Bestimmung der Präsidentin der Kommission durch den Rat verkommt der urdemokratische Akt zu einer ritualisierten Abstrafung der aktuellen nationalen Regierungen

    Ist es zu spät? Wer die Frontverläufe in der Ukraine studiert, muss sich diese Frage stellen. Wenn wir Europa ernst nehmen wollen, ist es jetzt höchste Zeit, zumindest im ganz Konkreten umzudenken, und das heißt vor allem erstmal eines: Wahlen erst nehmen, Europa zu politisieren und mit ihm unseren eigenen Schutz zu organisieren.

    Für ein Umdenken bleibt nicht viel Zeit

    Ein erster Schritt besteht darin, unsere besten Kräfte zur Wahl zu stellen und nach Europa zu schicken. Nur sie können bei den Europawahlen die nötige Aufmerksamkeit erzeugen. Das heißt auch, anderen Mitgliedstaaten, wenn sie für einzelne Positionen bessere Kandidat*innen haben, nicht im Weg zu stehen, ihnen aber auch die Stirn zu bieten, wenn sie glauben, schwächere Kandidat*innen aufgrund reiner Proporzgedanken durchsetzen zu können.

    Andernfalls befänden wir uns weiterhin in einer Spirale der Mediokrität, die das einstmals so erfolgreiche europäische Projekt aufs schlimmste gefährden würde. Und damit ab spätestens 2025 auch unsere Sicherheit. Der vorletzte Satz steht im Konjunktiv, um ein wenig Hoffnung Ausdruck zu geben. Viel Zeit haben wir freilich nicht mehr für ein derartiges Umdenken. 

    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024

    Europe.Table Redaktion

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