Table.Briefing: Europe

Agrardebatte um Ukraine + Regeln für ESG-Ratings + Bretons ASAP

Liebe Leserin, lieber Leser,

die EU versucht, die kriegsgebeutelte Ukraine nach Kräften zu unterstützen. Zölle auf ukrainische Exportprodukte werden deswegen aktuell nicht erhoben. Das hat allerdings Kritik der Anrainerstaaten eingebracht, sie sehen sich von billigen Agrarprodukten bedroht. Die Diskussion gibt einen Vorgeschmack auf das, was im Zuge eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine diskutiert werden dürfte, schreibt Timo Landenberger.

Geld ökologisch und sozialverträglich anlegen – ESG-Ratings spielen bei Anlegern eine immer größere Rolle. Nur: Bislang sind sie nicht reguliert und die Bewertungskriterien für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar. Der Punkt Wasser muss beispielsweise nichts mit der Nachhaltigkeit zu tun haben. Er kann auch nur etwas darüber aussagen, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe vorhanden ist. Mit einem Gesetzesvorschlag will die EU-Kommission nun nachbessern, analysiert Leonie Düngefeld.

ASAP signalisiert: Es ist dringend. Thierry Bretons drittes Element seiner Rüstungsstrategie trägt diesen Namen. Und es soll tatsächlich einiges beschleunigen: Mit dem Paket soll binnen zwölf Monaten die Munitions-Produktionskapazitäten der EU auf eine Million Geschosse pro Jahr erhöht werden können. Wie genau der Plan des Franzosen aussehen soll, den er heute vorstellen wird, lesen Sie in unseren News.

Ihre
Alina Leimbach
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Analyse

Ukraine: Agrarmarkt-Chaos als Vorschau für EU-Beitritt?

Mit dem Deal zwischen der Europäischen Kommission und den fünf osteuropäischen Anrainerstaaten der Ukraine scheint der Streit um die ukrainischen Agrareinfuhren erst einmal vom Tisch. Doch eine Fortsetzung des Konflikts bahnt sich bereits an. Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar und die erzielte Lösung überzeugt nicht alle Beteiligten.

Daneben mehren sich in Brüssel die Bedenken: Kann der oft versprochene EU-Beitritt der Ukraine angesichts des Agrarmarkt-Chaos überhaupt gelingen? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beobachtete die Entwicklungen mit Sorge und sprach von einem gefährlichen Signal bröckelnder Solidarität.

Die EU hatte nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die Zölle für Importe aus der Ukraine ausgesetzt, um das Land zu unterstützen. Das hatte allerdings zu einem Überangebot bei Agrargütern in manchen Regionen geführt und Preisverfall und Marktstörungen ausgelöst. Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei hatten daraufhin die Einfuhr von ukrainischen Agrargütern beschränkt oder sogar ganz gestoppt. Nun soll die Einfuhr im Rahmen der jetzt gefundenen Einigung wieder erlaubt werden, allerdings nur für den Weitertransport in andere Länder.

Einbußen für ukrainische Agrarbranche “dramatisch”

Für die Ukraine sei das “sehr schmerzhaft”, sagt Olga Trofimtseva, Sonderbeauftragte für Ernährung und Landwirtschaft im ukrainischen Außenministerium. Den Export auf Transitgüter zu begrenzen, schränke nicht nur die Menge ein. Auch sei der Weitertransport sehr teuer. “Dadurch werden unsere Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig.” Das in Zeiten, in denen die heimische Landwirtschaft vor der Entscheidung stehe, ob sich eine Aussaat im Frühling überhaupt noch lohnt.

“Unsere Bauern sind seit Ausbruch des Krieges im Überlebensmodus”, sagt Trofimtseva. Schon jetzt seien die Einbußen dramatisch. Die Kiew School of Economics schätzt die direkten und indirekten Verluste in der Agrarwirtschaft auf mehr als 40 Milliarden Dollar.

Die ukrainische Agrarwirtschaft machte vor dem Krieg etwa 44 Prozent der gesamten Exporteinnahmen des Landes aus. Gegenwärtig sei der Anteil sogar noch höher, da andere Ausfuhren ganz zum Erliegen gekommen seien. “Umso wichtiger ist es, den Agrarexport in die EU aufrechtzuerhalten”, sagt Trofimtseva. Schließlich erfolge mittlerweile fast die Hälfte der Ausfuhren aus der Ukraine auf diesem Weg.

Besonders deutlich wird das beim Weizen. Laut der Expertengruppe der Kommission sind die Weizen-Importe in die EU aus der Ukraine um 877 Prozent gegenüber dem Fünf-Jahresdurchschnitt vor dem Krieg angestiegen. Polen verzeichnet bei seinen Weizenimporten einen Zuwachs von 10.474 Prozent.

Ukraine wird unterstützt, doch für welchen Preis?

Diese Zahlen belegen also, was in osteuropäischen Anrainerstaaten beklagt wird. “Doch es war schließlich das Ziel der Solidaritätskorridore, die Ukraine zu unterstützen und den Weltmarkt zu entspannen. Und das ist gelungen. Wir dürfen Russland nicht die Rolle als Löser von Hungerproblemen überlassen”, sagt Bettina Rudloff, Agrarmarktexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Daneben seien die sinkenden Preise infolge des Überangebots nicht per se schlecht. Gerade in Zeiten hoher Inflation sei das ein großer Vorteil für die weiterverarbeitende Industrie und die Verbraucher.

Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament, hält dagegen: “Der Weizen hat bei uns nichts verloren”. Es könne nicht sein, dass in Osteuropa die Silos überquellen, während das Welternährungsprogramm der UN Rationen kürzen müsse. Schließlich sei es auch Ziel der Solidaritätskorridore, das Getreide dorthin zu bringen, wo es benötigt wird.

Den Import aus der Ukraine auf Transitgüter zu beschränken, sei trotzdem der falsche Weg. So werde das Getreide nur innerhalb Europas weitergereicht. “Es wird nur wenige Tage dauern, bis sich die Anrainerstaaten der Anrainerstaaten beschweren. So etwas funktioniert in einem Binnenmarkt nicht”, argumentiert Lins.

Einer der größten Agrarplayer

Was bedeutet das Chaos nun für einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine? Immerhin zählt das Land zu den größten Agrarplayern der Welt. Nach Angaben des World Data Centers kommt die Ukraine beispielsweise auf eine landwirtschaftliche Nutzfläche von rund 30 Millionen Hektar im Vergleich zu 175 Millionen Hektar in der gesamten EU. Etwa 18 Prozent der arbeitenden ukrainischen Bevölkerung ist in der Landwirtschaft beschäftigt (Deutschland: 1,2 Prozent), die über zehn Prozent des ukrainischen BIPs ausmacht. Bei einem Beitritt würde der europäische Agrarmarkt ordentlich durcheinandergebracht, ebenso wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP).

Für SWP-Expertin Rudloff überwiegen die Vorteile: “Auf globaler Ebene wäre die EU mit der Ukraine ein riesiger Agrarakteur und hätte wesentlich größeren Einfluss auf den Weltmarkt als bisher.” Das gelte insbesondere gegenüber dem mittlerweile dominanten China sowie interventionistischen Akteuren wie Argentinien, die durch Handelsrestriktionen immer wieder Veränderungen provozierten.

Gleichzeitig “würde die Verantwortung der EU für die Welternährung einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen”, sagt Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. “Eine Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission, die eine Reduktion der eigenen Nahrungsmittelerzeugung um zehn bis 20 Prozent billigend in Kauf nimmt, würde dann endgültig als verantwortungslos und untragbar erkannt werden”, so die Hoffnung des DBV. Daneben müsse allerdings auch mit steigendem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU gerechnet werden.

Ende der Direktzahlungen?

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, wirbt trotzdem “inständig dafür, dass wir die Ukraine aufnehmen”. Das bringe zwar zahlreiche Herausforderungen mit sich, die durch eine frühzeitige Vorbereitung jedoch gelöst werden könnten. Dabei setzt Häusling vor allem auf eine Änderung der EU-Agrarförderung hin zu mehr Umweltschutz. “Das Modell der flächengebundenen Direktzahlungen wird dann einfach nicht mehr funktionieren”, sagt der Abgeordnete. Und fordert von der EU-Kommission eine klare Positionierung.

Die GAP ist der mit Abstand größte Posten im EU-Haushalt. Auch wenn die Zahlungen in den vergangenen Jahren zunehmend an öffentliche Leistungen, etwa im Bereich Umweltschutz, geknüpft wurden, basiert das System weiterhin hauptsächlich auf den Direktzahlungen. Und die wiederum orientieren die sich an der bewirtschafteten Fläche eines Betriebs. Letztere sind in der Ukraine jedoch um ein Vielfaches höher als in der EU. Hohe fünf- oder gar sechsstellige Hektarzahlen sind keine Seltenheit.

Für EVP-Politiker Lins kommt die Debatte dennoch zur Unzeit. “Hier wird eine politisch heikle Situation ausgenutzt, um über Direktzahlungen zu diskutieren. Gerade für die Staaten in Osteuropa ist das das wichtigste Element. Da stellt sich die Frage, ob die Diskussion nicht noch mehr spaltet”, sagt der Abgeordnete und spricht von einem “Ablenkungsmanöver”. Auch ohne Direktzahlungen werde die Integration der Ukraine in die EU eine Herkulesaufgabe darstellen. Zunächst jedoch gelte es, andere Aufgaben zu lösen.

  • Agrarpolitik
  • EU-Beitritt
  • Landwirtschaft
  • Subventionen

EU-Kommission will Markt für ESG-Ratings regulieren

Das Geschäft mit ESG-Ratings ist mittlerweile ein Milliardenmarkt: Immer mehr Anleger wollen ihr Geld in nachhaltige Fonds und Unternehmen investieren und treffen ihre Anlageentscheidung deshalb zunehmend auf der Grundlage solcher Nachhaltigkeitsratings.

Die EU-Kommission will nun einen Rechtsrahmen für diesen Markt schaffen. In ihrer Wirkungsanalyse hat sie Bedenken hinsichtlich der Transparenz bei der Beschaffung von Daten und den Methoden ermittelt; auch seien die ESG-Ratings oft nicht aktuell, außerdem ungenau und unzuverlässig. Das will die Kommission ändern und wird laut aktueller Agenda am 17. Juni einen Gesetzesentwurf vorstellen.

ESG-Ratings sind – unabhängig von der Bonitätseinstufung – eine Beurteilung der Geschäftspraktiken eines Unternehmens hinsichtlich der Dimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. BlackRock und andere Anlageverkäufer nutzen diese Ratings, um Aktien- und Rentenfonds als “nachhaltig” zu labeln und beeinflussen damit eine zunehmende Anzahl von Anlegern in ihren Entscheidungen.

Intransparenter Markt und unterschiedliche Definitionen

Der Markt für diese Ratings ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat sich konsolidiert. Weltweit gibt es mittlerweile rund 150 Agenturen, die ESG-Ratings anbieten. Die größten und wichtigsten Player, auf die sich der Markt stark konzentriert (wie MSCI, ISS und Moody’s), sind US-amerikanische oder britische Firmen. MSCI etwa hat einen Marktanteil von 30 Prozent. Laut der Kommission erbringen “große Anbieter von ESG-Ratings mit Sitz außerhalb der EU derzeit Dienstleistungen für Anleger in der EU”.

Diese Agenturen müssen bislang in der EU nicht zugelassen sein und unterliegen auch keiner Aufsicht. Jede Ratingagentur hat ihre eigene Methode, gewichtet die einzelnen ESG-Variablen unterschiedlich stark. Nur wenige von ihnen legen freiwillig die verwendeten Indikatoren und deren Gewichtung offen.

Bislang müsse man Detektivarbeit leisten, um die einzelnen Rating-Methoden zu verstehen, erzählt Kornelia Fabisik, die an der Universität Bern zu ESG-Ratings forscht. “Es ist derzeit nicht einfach, die ESG-Datenqualität anhand der von ESG-Ratingagenturen zur Verfügung gestellten Dokumentation zu beurteilen.” So sei meist nicht mit realistischem Zeitaufwand nachvollziehbar, ob bestimmte Daten direkt von den bewerteten Unternehmen veröffentlicht wurden oder ob die Ratingagentur den Wert einfach geschätzt habe.

Interessenkonflikte der Ratingagenturen

Zudem gebe es zu wenig Informationen über die Bedeutung einzelner Rating-Kriterien: Oft nehmen Anleger an, die Bewertung beziehe sich auf die (positiven oder negativen) Auswirkungen eines Unternehmens auf ESG-Bereiche wie Umwelt oder Soziales. Doch oft gehe es nur um die einfache Materialität, also die Risiken von ESG-Faktoren für das Unternehmen. Während sich in Bezug auf die ESG-Kennzahl “Wasser” beispielsweise die eine Ratingagentur darauf beziehe, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe des Unternehmens vorhanden sei, messe ein anderer Anbieter die Menge der von dem Unternehmen in das Wasser emittierten Stoffe. Fabisik sieht in der geplanten Verordnung eine Chance für Anleger, diese Daten besser zu verstehen.

Für Ratingagenturen, die auch andere Ratings anbieten, besteht darüber hinaus die Gefahr von Interessenkonflikten: Forscher der Universität Singapur weisen in einem Paper darauf hin, dass es aufgrund bereits bestehender Geschäftsbeziehungen zu Verzerrungen bei ESG-Ratings komme. Sie stellten in den Fällen der Agenturen Moody’s und S&P fest, dass bereits (für Kreditratings) zahlende Kunden höhere ESG-Ratings erhielten als Unternehmen, zu denen sie keine Geschäftsbeziehungen pflegten.

Für das neue Gesetz nennt die EU-Kommission die folgenden Ziele:

  • Definieren der ESG-Ratings,
  • Erhöhen der Transparenz in Bezug auf die Tätigkeiten und Methoden der Anbieter von ESG-Ratings,
  • Verbessern der Vergleichbarkeit von ESG-Ratings,
  • Vermeiden potenzieller Interessenkonflikte bei Anbietern von ESG-Ratings,
  • Begrenzen der Risiken von Grünfärberei und Social Washing,
  • Einführen einer angemessenen Aufsicht über die Tätigkeit der ESG-Rating-Anbieter.

ESMA könnte Aufsicht über Agenturen übernehmen

Den Markt für Kreditratingagenturen begann die EU 2010 nach der Finanzkrise zu regulieren – seitdem müssen sich Anbieter von Kreditratings auf dem EU-Markt registrieren und werden von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) beaufsichtigt. Zudem sind Ratings klar definiert und müssen bestimmte Einstufungskategorien verwenden – etwa die weitverbreiteten Ratingskalen von “AAA” bis “D”.

Die ESMA schlägt in einem Brief an die EU-Kommission vor, den Gesetzesvorschlag an der Verordnung für Kreditratingagenturen zu orientieren und die Aufsicht über die ESG-Ratingagenturen zu übernehmen. Der rechtliche Rahmen sollte “der Größe des betreffenden Unternehmens angemessen” sein und “eine gemeinsame rechtliche Definition für ein ESG-Rating entwickeln, die das breite Spektrum an Bewertungsinstrumenten erfasst, die derzeit auf dem Markt verfügbar sind”. Die sehr großen Unterschiede zwischen den Ratings der einzelnen Anbieter führten bislang zu “Problemen in der Wertschöpfungskette von Investitionen”.

Dass sich die Ratings voneinander unterscheiden, sei nichts per se Negatives, erklärt die deutsche Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Dies spiegele lediglich die Komplexität von Nachhaltigkeit wider – und sei Teil eines wettbewerbsfähigen, diversifizierten Marktes. “Es ist jedoch wichtig, dass sich die Nutzer von ESG-Ratings (Investoren, Vermögensverwalter) dieser Tatsache bewusst sind”, schreiben die Forscher in einem Bericht. “Dann können sie den Rating-Anbieter wählen, der am besten ihren Zielen/Werten/Erwartungen entspricht.”

“Besseres Verständnis würde Glaubwürdigkeit stärken”

Die Plattform empfiehlt, einen verbindlichen Rahmen “für die Offenlegung der wichtigsten Annahmen, der sensibelsten Methodenmerkmale und der Ziele von ESG-Ratings” zu schaffen. Dieser sollte die verschiedenen Nutzerinnen und Nutzer von ESG-Ratings einbeziehen.

Laut einer Studie der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) würde ein “besseres Verständnis und eine größere Zuverlässigkeit der ESG-Ratings das Vertrauen in diesen schnell wachsenden Markt und dessen Glaubwürdigkeit stärken” und auf diese Weise nachhaltige Investitionen – und damit die Verwirklichung der Ziele des EU Green Deals – fördern.

Fabisik sieht in dem geplanten Entwurf erst einmal ein Signal für die Ratingagenturen und die Chance auf eine bessere Qualität und Verfügbarkeit der Daten für die Nutzer.

  • ESG
  • Europäische Kommission
  • Green Finance
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News

Breton will Verteidigungsindustrie auf Kriegswirtschaft trimmen

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton präsentiert heute seinen Vorschlag, wie Brüssel Europas Verteidigungsindustrie zu mehr Zusammenarbeit und zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten für Artilleriemunition bewegen will: “Ich bin überzeugt, dass wir innerhalb von zwölf Monaten in der Lage sind, unsere Produktionskapazitäten auf eine Million Geschosse pro Jahr erhöhen zu können“, sagte Breton. Der “act in support of ammunition production” mit dem passenden Akronym ASAP ist die dritte Schiene beim dreigleisigen Plan des Franzosen, die Ukraine mit genügend Artilleriemunition zu versorgen und die Bestände der Mitgliedstaaten wieder aufzufüllen.

Konkret will die EU Rüstungsbetriebe mit insgesamt 500 Millionen Euro unterstützen, die ihre Kapazitäten ausbauen. Vorgesehen ist eine Kofinanzierung von 40 Prozent für entsprechende Projekte. Zusätzliche zehn Prozent werden Firmen in Aussicht gestellt, die neue Kooperationen bei der Produktion von Artilleriemunition oder Luftabwehrraketen eingehen. Der Vorschlag sieht maximal 60 Prozent Kofinanzierung vor, wenn Rüstungsbetriebe zusätzlich Lieferungen für die Ukraine oder die Mitgliedstaaten vorziehen und Bestellungen von Drittstaaten zurückstellen.

Einfachere Finanzierung, aber zur Not auch Zwang

Knapp die Hälfte der Mittel, 240 Millionen Euro, sollen von Edirpa abgezweigt werden, dem neuen Instrument zur gemeinsamen Rüstungsbeschaffung. 260 Millionen Euro soll aus dem Europäischen Verteidigungsfonds kommen, wobei die Mittel dort später zu einem Teil wieder aufgestockt werden sollen. Die Mitgliedstaaten sollen zusätzlich auch Mittel aus dem Kohäsionsfonds und aus dem Corona-Wiederaufbaufonds verwenden dürfen, um etwa Lieferketten zu stärken. Die Kommission möchte ferner den Zugang der Firmen zu günstigen Krediten erleichtern. Die Rüstungsbranche beklagt sich unter anderem darüber, von den Banken zu wenig günstige Kredite für Investitionen in zusätzliche Produktionsstraßen zu bekommen.

Thierry Breton hat in den letzten Wochen einen Großteil der 15 Produktionsstätten von Rüstungsbetrieben in elf EU-Staaten besucht und sich ein Bild von der Situation gemacht. Der Franzose ist dem Vernehmen nach mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass es in Europa nicht an Fabriken fehlt, die Artilleriemunition oder Luftabwehrraketen produzieren können. Europa sei im Gegenteil eigentlich besser aufgestellt als viele Partner außerhalb der EU, produziere aber seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mit vollen Kapazitäten. Einige Firmen setzten zudem einen guten Teil ihrer Produktion außerhalb der EU ab. Die EU-Kommission soll in Zusammenarbeit mit den betreffenden Mitgliedstaaten deshalb auch die Möglichkeit bekommen, unter besonderen Umständen einen Rüstungsbetrieb zu zwingen, eine Bestellung Richtung Ukraine umzuleiten.

Kommission hofft auf beschleunigtes Verfahren

Die geplante ASAP-Verordnung sieht in einem zweiten Teil eine Lockerung der Regeln beziehungsweise einen Waiver bei gewissen Bewilligungen vor. Dies etwa für zusätzlichen Schichtbetrieb, für längere Arbeitszeiten oder bei den Auflagen für Ausschreibungen. Für Thierry Breton sind die drei Gleise seines Plans eng verknüpft, um die Ukraine mit Artilleriemunition zu versorgen und die Lager in den Mitgliedstaaten wieder zu füllen. Die Mitgliedstaaten seien nur bereit, kurzfristig zusätzliche Geschosse aus ihren Beständen, wenn gleichzeitig längerfristig die Produktionskapazitäten gestärkt würden.

ASAP sei “beispiellos”, sagte Breton: Der Vorschlag habe zum Ziel, mit EU-Geldern die Schlagkraft der Rüstungsindustrie zu stärken, für die Ukraine, aber auch mit Blick auf Europas eigene Sicherheit. Die Kommission will in den Verhandlungen mit dem Parlament auf ein beschleunigtes Verfahren drängen, um ASAP noch vor dem Sommer verabschieden zu können. Die Verordnung soll eine befristete Laufzeit bis Juni 2025 haben. sti

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Experte: Asylzentren an EU-Außengrenzen schwer umzusetzen

Raphael Bossong, Experte für EU-Asylpolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hält eine rasche Umsetzung der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser geforderten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen für schwierig. Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Belgien arbeiteten laut Faeser gemeinsam mit Deutschland an einer solchen Lösung. Dennoch hält Bossong eine Zustimmung der Länder, in denen die Asylzentren entstehen sollen, für unwahrscheinlich. Es sei zudem nicht realistisch, dass diese Zentren außerhalb der EU entstehen, sagte Bossong Table.Media.

Gerade sei keine Regelung bei der Verteilung der Flüchtlinge absehbar. Gegen den Willen der anderen EU-Mitgliedsstaaten Verteilungsquoten festzulegen, sei aber unrealistisch, betonte der EU-Asylexperte. Aktuell seien diese Gegner zwar in der Minderheit. Doch die Flüchtlingskrise 2015 habe gezeigt, dass Kritiker, wie etwa Polen und Ungarn, ausscheren könnten.

Bossong spricht angesichts der seit Jahren ungelösten Frage der Solidarität im sogenannten Dublin-System von einer “Quadratur des Kreises“. Das derzeit auf EU-Ebene verhandelte Reformpaket von mindestens neun Rechtsakten macht einen Interessenausgleich komplex. Der SWP-Experte erwartet, dass Deutschland einem Kompromiss zustimmen werde, bei dem es überproportional mehr Geflüchtete aufnehme. Zu groß seien die deutschen Interessen am Funktionieren der EU und des Binnenmarkts.

Vor mehr als zwei Jahren hatte die EU-Kommission ein neues Asyl- und Migrationspaket vorgeschlagen. Dieses enthält bereits die von Faeser geforderten Asylzentren an den EU-Außengrenzen. Ende März hat sich das Parlament auf eine Position für die verschiedenen Elemente des Pakts festgelegt und dieses Ende April noch einmal bestätigt. Nun fehlt noch eine Position des Rats zu einigen Teilen. Die Zeit drängt: Findet der Rat bis Sommer keine Position, könnte es zu spät für einen Trilog in dieser Legislaturperiode werden. ds

  • Migrationspolitik

Presseschau

Die Ampel einigt sich auf eine neue Haltung zur Migrationspolitik SUEDDEUTSCHE
EU-Reaktionen auf Faeser: Warten auf die entscheidenden Details TAGESSCHAU
EVP sieht Chance auf gemeinsame EU-Asylpolitik OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
EU will Sanktionen gegen Russland auch auf Drittstaaten ausweiten, um Schlupflöcher zu schließen BUSINESSINSIDER
Balten und Polen gegen Sanktionsausnahmen für Belarus EURACTIV
Meilenstein für EU-Chip-Produktion: Infineon startet Bau der Fabrik in Dresden MERKUR
Aufrüstung: EU will eine Million Artilleriegeschosse pro Jahr herstellen BERLINER-ZEITUNG
Gesetzentwurf zur Munitionsbeschaffung: Notfalls mit Zwang SPIEGEL
Pläne aus Brüssel werden konkret: Das ist der neue EU-Behindertenausweis FR
EU-Umweltverband: Kalifornien plant Verbot von Diesel-Lkw und hängt Europa ab VERKEHRSRUNDSCHAU
Wegen dramatischen Medikamenten-Engpässen: Jetzt schaltet sich die EU ein FR
Group of EU states seeks to reduce dependency on China for pharmaceuticals REUTERS
EU-Gesundheitsbehörde zieht Lehren aus Corona-Pandemie AUGSBURGER-ALLGEMEINE
Monopolkommission rät von EU-Datenmaut ab HANDELSBLATT
Italien sucht in EU verzweifelt Partner in Sachen Migrationspolitik DERSTANDARD
Kämpferin gegen Cybermobbing: Mutter von Selbstmordopfer Coco vor Europaparlament EURONEWS
EU-Parlament bei Bekämpfung von illegalem Streaming ernüchtert EURACTIV
Energiewende: Die EU kämpft um die 16 wichtigsten Rohstoffe WELT
Einwegkunststofffonds-Gesetz kann in Kraft treten EU-RECYCLING
Fifa warns Europe of Women’s World Cup broadcast blackout NZHERALD
Hungary embarks on judicial reform hoping to unlock EU cash POLITICO
Wie Extrahaushalte Europas Schuldenregeln gefährden FAZ

Heads

Immacolata Glosemeyer – EU regional verankern

Immacolata Glosemeyer ist Sprecherin für Bundes- und Europaangelegenheiten der SPD-Fraktion im Landtag Niedersachsen.

Der politische Werdegang von Immacolata Glosemeyer, heute Sprecherin für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Entwicklung der SPD-Fraktion im Landtag Niedersachsen, hat ihre Karriere ganz klassisch in der Kommunalpolitik begonnen: Mit 25 Jahren fängt sie an, sich in Wolfsburg zu engagieren, und tritt der SPD bei. 2011 wird sie zur Ortsbürgermeisterin der Wolfsburger Nordstadt gewählt, zwei Jahre später beginnt ihre Zeit als Abgeordnete im niedersächsischen Landtag.

Schon am Küchentisch diskutierte ihre Familie viel über Politik, letztlich war es aber ihr Schuldirektor, der sie mit direkter Ansprache zum politischen Engagement motivierte. Diesen Impuls, Politik mitzugestalten, will die SPD-Landtagsabgeordnete selbst an Schülerinnen und Schüler weitergeben. Rund um den Europatag am 9. Mai diskutiert Glosemeyer mit Jugendlichen über die europäische Idee und ihre Erwartungen an Europa. Um junge Leute für Europa zu begeistern, engagiert sich Glosemeyer auch für ein EU-finanziertes Projekt, mit dem junge Menschen ins europäische Ausland reisen können: “Es ist wichtig, dass Jugendliche auch mal über den eigenen Tellerrand schauen können und junge Menschen aus anderen Ländern und deren Lebensweisen kennenlernen.”

Pandemie als gutes Beispiel für Zusammenarbeit

Die Funktion als europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion hat Glosemeyer seit 2020 inne: In ihre Amtszeit fallen viele Krisen – die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg: “Während der Pandemie hat die europäische Zusammenarbeit gut funktioniert und alle haben sich solidarisch untergehakt. Das war ein gutes Beispiel dafür, wie Europa gelingen kann.”

Die beiden Krisen zeigen, wie wichtig gemeinsames Handeln sei – trotz nicht wegzuredender Reibungspunkte, sagt Glosemeyer. Die EU stärkt Niedersachsen auch im Umgang mit den Nachwirkungen der Pandemie: Das Projekt “Resiliente Innenstädte” beispielsweise verfolgt das Ziel, Niedersachsens Innenstädte zu reaktivieren und attraktiver zu machen.

Gleichzeitig sei bei einem Flächenland wie Niedersachsen auch die Regionalversorgung sehr wichtig, betont Glosemeyer. Mit generationsübergreifenden Projekten, Coworking-Spaces und besserer Kinder- und Krankenversorgung soll der ländliche Raum gestärkt werden. Nicht zuletzt, um Strukturen zu schaffen, die junge Familien anziehen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Als Gründungsmitglied des ersten Wolfsburger Tagesmüttervereins e.V. (heute Familienservice Wolfsburg e.V) ist das ein besonderes Herzensanliegen für Glosemeyer: “Es heißt ja nicht umsonst, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen”, sagt sie.

Nachbesserungsbedarf bei Landesvertretung

Durch besondere Standortmerkmale werde Niedersachsen zum Energie- und Klimaland, meint Glosemeyer: “Wir in Niedersachsen sind besonders gefordert, da wir zum einen außerordentlich günstige Standortbedingungen bei der Erzeugung erneuerbarer Energien haben”, sagt die Politikerin. Und zum anderen habe das Bundesland aufgrund der heimischen Schwerindustrie aber auch eine große Verantwortung für das Gelingen der Transformation – diesen Wandel positiv zu gestalten, das könne nur mit europäischen Lösungen gelingen.

Um die Verzahnung von Landes- und Europapolitik zu verbessern, überdenkt Glosemeyer auch interne Strukturen. Schnelle Information über europapolitische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Niedersachsen, konstruktive Lobbyarbeit, dafür sei eine starke Landesvertretung in Brüssel von Bedeutung – hier könne Niedersachsen mit 20 Mitarbeitenden im Vergleich zu 40 bayerischen Vertretenden beispielsweise noch nachjustieren. Auch auf struktureller Ebene bleibt Transformation also nie aus. Und Immacolata Glosemeyer setzt sich dafür ein, diese partizipativ zu gestalten. Marlene Resch

  • Europapolitik
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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    die EU versucht, die kriegsgebeutelte Ukraine nach Kräften zu unterstützen. Zölle auf ukrainische Exportprodukte werden deswegen aktuell nicht erhoben. Das hat allerdings Kritik der Anrainerstaaten eingebracht, sie sehen sich von billigen Agrarprodukten bedroht. Die Diskussion gibt einen Vorgeschmack auf das, was im Zuge eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine diskutiert werden dürfte, schreibt Timo Landenberger.

    Geld ökologisch und sozialverträglich anlegen – ESG-Ratings spielen bei Anlegern eine immer größere Rolle. Nur: Bislang sind sie nicht reguliert und die Bewertungskriterien für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar. Der Punkt Wasser muss beispielsweise nichts mit der Nachhaltigkeit zu tun haben. Er kann auch nur etwas darüber aussagen, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe vorhanden ist. Mit einem Gesetzesvorschlag will die EU-Kommission nun nachbessern, analysiert Leonie Düngefeld.

    ASAP signalisiert: Es ist dringend. Thierry Bretons drittes Element seiner Rüstungsstrategie trägt diesen Namen. Und es soll tatsächlich einiges beschleunigen: Mit dem Paket soll binnen zwölf Monaten die Munitions-Produktionskapazitäten der EU auf eine Million Geschosse pro Jahr erhöht werden können. Wie genau der Plan des Franzosen aussehen soll, den er heute vorstellen wird, lesen Sie in unseren News.

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    Ukraine: Agrarmarkt-Chaos als Vorschau für EU-Beitritt?

    Mit dem Deal zwischen der Europäischen Kommission und den fünf osteuropäischen Anrainerstaaten der Ukraine scheint der Streit um die ukrainischen Agrareinfuhren erst einmal vom Tisch. Doch eine Fortsetzung des Konflikts bahnt sich bereits an. Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar und die erzielte Lösung überzeugt nicht alle Beteiligten.

    Daneben mehren sich in Brüssel die Bedenken: Kann der oft versprochene EU-Beitritt der Ukraine angesichts des Agrarmarkt-Chaos überhaupt gelingen? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beobachtete die Entwicklungen mit Sorge und sprach von einem gefährlichen Signal bröckelnder Solidarität.

    Die EU hatte nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die Zölle für Importe aus der Ukraine ausgesetzt, um das Land zu unterstützen. Das hatte allerdings zu einem Überangebot bei Agrargütern in manchen Regionen geführt und Preisverfall und Marktstörungen ausgelöst. Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei hatten daraufhin die Einfuhr von ukrainischen Agrargütern beschränkt oder sogar ganz gestoppt. Nun soll die Einfuhr im Rahmen der jetzt gefundenen Einigung wieder erlaubt werden, allerdings nur für den Weitertransport in andere Länder.

    Einbußen für ukrainische Agrarbranche “dramatisch”

    Für die Ukraine sei das “sehr schmerzhaft”, sagt Olga Trofimtseva, Sonderbeauftragte für Ernährung und Landwirtschaft im ukrainischen Außenministerium. Den Export auf Transitgüter zu begrenzen, schränke nicht nur die Menge ein. Auch sei der Weitertransport sehr teuer. “Dadurch werden unsere Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig.” Das in Zeiten, in denen die heimische Landwirtschaft vor der Entscheidung stehe, ob sich eine Aussaat im Frühling überhaupt noch lohnt.

    “Unsere Bauern sind seit Ausbruch des Krieges im Überlebensmodus”, sagt Trofimtseva. Schon jetzt seien die Einbußen dramatisch. Die Kiew School of Economics schätzt die direkten und indirekten Verluste in der Agrarwirtschaft auf mehr als 40 Milliarden Dollar.

    Die ukrainische Agrarwirtschaft machte vor dem Krieg etwa 44 Prozent der gesamten Exporteinnahmen des Landes aus. Gegenwärtig sei der Anteil sogar noch höher, da andere Ausfuhren ganz zum Erliegen gekommen seien. “Umso wichtiger ist es, den Agrarexport in die EU aufrechtzuerhalten”, sagt Trofimtseva. Schließlich erfolge mittlerweile fast die Hälfte der Ausfuhren aus der Ukraine auf diesem Weg.

    Besonders deutlich wird das beim Weizen. Laut der Expertengruppe der Kommission sind die Weizen-Importe in die EU aus der Ukraine um 877 Prozent gegenüber dem Fünf-Jahresdurchschnitt vor dem Krieg angestiegen. Polen verzeichnet bei seinen Weizenimporten einen Zuwachs von 10.474 Prozent.

    Ukraine wird unterstützt, doch für welchen Preis?

    Diese Zahlen belegen also, was in osteuropäischen Anrainerstaaten beklagt wird. “Doch es war schließlich das Ziel der Solidaritätskorridore, die Ukraine zu unterstützen und den Weltmarkt zu entspannen. Und das ist gelungen. Wir dürfen Russland nicht die Rolle als Löser von Hungerproblemen überlassen”, sagt Bettina Rudloff, Agrarmarktexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Daneben seien die sinkenden Preise infolge des Überangebots nicht per se schlecht. Gerade in Zeiten hoher Inflation sei das ein großer Vorteil für die weiterverarbeitende Industrie und die Verbraucher.

    Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament, hält dagegen: “Der Weizen hat bei uns nichts verloren”. Es könne nicht sein, dass in Osteuropa die Silos überquellen, während das Welternährungsprogramm der UN Rationen kürzen müsse. Schließlich sei es auch Ziel der Solidaritätskorridore, das Getreide dorthin zu bringen, wo es benötigt wird.

    Den Import aus der Ukraine auf Transitgüter zu beschränken, sei trotzdem der falsche Weg. So werde das Getreide nur innerhalb Europas weitergereicht. “Es wird nur wenige Tage dauern, bis sich die Anrainerstaaten der Anrainerstaaten beschweren. So etwas funktioniert in einem Binnenmarkt nicht”, argumentiert Lins.

    Einer der größten Agrarplayer

    Was bedeutet das Chaos nun für einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine? Immerhin zählt das Land zu den größten Agrarplayern der Welt. Nach Angaben des World Data Centers kommt die Ukraine beispielsweise auf eine landwirtschaftliche Nutzfläche von rund 30 Millionen Hektar im Vergleich zu 175 Millionen Hektar in der gesamten EU. Etwa 18 Prozent der arbeitenden ukrainischen Bevölkerung ist in der Landwirtschaft beschäftigt (Deutschland: 1,2 Prozent), die über zehn Prozent des ukrainischen BIPs ausmacht. Bei einem Beitritt würde der europäische Agrarmarkt ordentlich durcheinandergebracht, ebenso wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP).

    Für SWP-Expertin Rudloff überwiegen die Vorteile: “Auf globaler Ebene wäre die EU mit der Ukraine ein riesiger Agrarakteur und hätte wesentlich größeren Einfluss auf den Weltmarkt als bisher.” Das gelte insbesondere gegenüber dem mittlerweile dominanten China sowie interventionistischen Akteuren wie Argentinien, die durch Handelsrestriktionen immer wieder Veränderungen provozierten.

    Gleichzeitig “würde die Verantwortung der EU für die Welternährung einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen”, sagt Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. “Eine Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission, die eine Reduktion der eigenen Nahrungsmittelerzeugung um zehn bis 20 Prozent billigend in Kauf nimmt, würde dann endgültig als verantwortungslos und untragbar erkannt werden”, so die Hoffnung des DBV. Daneben müsse allerdings auch mit steigendem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU gerechnet werden.

    Ende der Direktzahlungen?

    Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, wirbt trotzdem “inständig dafür, dass wir die Ukraine aufnehmen”. Das bringe zwar zahlreiche Herausforderungen mit sich, die durch eine frühzeitige Vorbereitung jedoch gelöst werden könnten. Dabei setzt Häusling vor allem auf eine Änderung der EU-Agrarförderung hin zu mehr Umweltschutz. “Das Modell der flächengebundenen Direktzahlungen wird dann einfach nicht mehr funktionieren”, sagt der Abgeordnete. Und fordert von der EU-Kommission eine klare Positionierung.

    Die GAP ist der mit Abstand größte Posten im EU-Haushalt. Auch wenn die Zahlungen in den vergangenen Jahren zunehmend an öffentliche Leistungen, etwa im Bereich Umweltschutz, geknüpft wurden, basiert das System weiterhin hauptsächlich auf den Direktzahlungen. Und die wiederum orientieren die sich an der bewirtschafteten Fläche eines Betriebs. Letztere sind in der Ukraine jedoch um ein Vielfaches höher als in der EU. Hohe fünf- oder gar sechsstellige Hektarzahlen sind keine Seltenheit.

    Für EVP-Politiker Lins kommt die Debatte dennoch zur Unzeit. “Hier wird eine politisch heikle Situation ausgenutzt, um über Direktzahlungen zu diskutieren. Gerade für die Staaten in Osteuropa ist das das wichtigste Element. Da stellt sich die Frage, ob die Diskussion nicht noch mehr spaltet”, sagt der Abgeordnete und spricht von einem “Ablenkungsmanöver”. Auch ohne Direktzahlungen werde die Integration der Ukraine in die EU eine Herkulesaufgabe darstellen. Zunächst jedoch gelte es, andere Aufgaben zu lösen.

    • Agrarpolitik
    • EU-Beitritt
    • Landwirtschaft
    • Subventionen

    EU-Kommission will Markt für ESG-Ratings regulieren

    Das Geschäft mit ESG-Ratings ist mittlerweile ein Milliardenmarkt: Immer mehr Anleger wollen ihr Geld in nachhaltige Fonds und Unternehmen investieren und treffen ihre Anlageentscheidung deshalb zunehmend auf der Grundlage solcher Nachhaltigkeitsratings.

    Die EU-Kommission will nun einen Rechtsrahmen für diesen Markt schaffen. In ihrer Wirkungsanalyse hat sie Bedenken hinsichtlich der Transparenz bei der Beschaffung von Daten und den Methoden ermittelt; auch seien die ESG-Ratings oft nicht aktuell, außerdem ungenau und unzuverlässig. Das will die Kommission ändern und wird laut aktueller Agenda am 17. Juni einen Gesetzesentwurf vorstellen.

    ESG-Ratings sind – unabhängig von der Bonitätseinstufung – eine Beurteilung der Geschäftspraktiken eines Unternehmens hinsichtlich der Dimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. BlackRock und andere Anlageverkäufer nutzen diese Ratings, um Aktien- und Rentenfonds als “nachhaltig” zu labeln und beeinflussen damit eine zunehmende Anzahl von Anlegern in ihren Entscheidungen.

    Intransparenter Markt und unterschiedliche Definitionen

    Der Markt für diese Ratings ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat sich konsolidiert. Weltweit gibt es mittlerweile rund 150 Agenturen, die ESG-Ratings anbieten. Die größten und wichtigsten Player, auf die sich der Markt stark konzentriert (wie MSCI, ISS und Moody’s), sind US-amerikanische oder britische Firmen. MSCI etwa hat einen Marktanteil von 30 Prozent. Laut der Kommission erbringen “große Anbieter von ESG-Ratings mit Sitz außerhalb der EU derzeit Dienstleistungen für Anleger in der EU”.

    Diese Agenturen müssen bislang in der EU nicht zugelassen sein und unterliegen auch keiner Aufsicht. Jede Ratingagentur hat ihre eigene Methode, gewichtet die einzelnen ESG-Variablen unterschiedlich stark. Nur wenige von ihnen legen freiwillig die verwendeten Indikatoren und deren Gewichtung offen.

    Bislang müsse man Detektivarbeit leisten, um die einzelnen Rating-Methoden zu verstehen, erzählt Kornelia Fabisik, die an der Universität Bern zu ESG-Ratings forscht. “Es ist derzeit nicht einfach, die ESG-Datenqualität anhand der von ESG-Ratingagenturen zur Verfügung gestellten Dokumentation zu beurteilen.” So sei meist nicht mit realistischem Zeitaufwand nachvollziehbar, ob bestimmte Daten direkt von den bewerteten Unternehmen veröffentlicht wurden oder ob die Ratingagentur den Wert einfach geschätzt habe.

    Interessenkonflikte der Ratingagenturen

    Zudem gebe es zu wenig Informationen über die Bedeutung einzelner Rating-Kriterien: Oft nehmen Anleger an, die Bewertung beziehe sich auf die (positiven oder negativen) Auswirkungen eines Unternehmens auf ESG-Bereiche wie Umwelt oder Soziales. Doch oft gehe es nur um die einfache Materialität, also die Risiken von ESG-Faktoren für das Unternehmen. Während sich in Bezug auf die ESG-Kennzahl “Wasser” beispielsweise die eine Ratingagentur darauf beziehe, ob genug Wasser für die Betriebsabläufe des Unternehmens vorhanden sei, messe ein anderer Anbieter die Menge der von dem Unternehmen in das Wasser emittierten Stoffe. Fabisik sieht in der geplanten Verordnung eine Chance für Anleger, diese Daten besser zu verstehen.

    Für Ratingagenturen, die auch andere Ratings anbieten, besteht darüber hinaus die Gefahr von Interessenkonflikten: Forscher der Universität Singapur weisen in einem Paper darauf hin, dass es aufgrund bereits bestehender Geschäftsbeziehungen zu Verzerrungen bei ESG-Ratings komme. Sie stellten in den Fällen der Agenturen Moody’s und S&P fest, dass bereits (für Kreditratings) zahlende Kunden höhere ESG-Ratings erhielten als Unternehmen, zu denen sie keine Geschäftsbeziehungen pflegten.

    Für das neue Gesetz nennt die EU-Kommission die folgenden Ziele:

    • Definieren der ESG-Ratings,
    • Erhöhen der Transparenz in Bezug auf die Tätigkeiten und Methoden der Anbieter von ESG-Ratings,
    • Verbessern der Vergleichbarkeit von ESG-Ratings,
    • Vermeiden potenzieller Interessenkonflikte bei Anbietern von ESG-Ratings,
    • Begrenzen der Risiken von Grünfärberei und Social Washing,
    • Einführen einer angemessenen Aufsicht über die Tätigkeit der ESG-Rating-Anbieter.

    ESMA könnte Aufsicht über Agenturen übernehmen

    Den Markt für Kreditratingagenturen begann die EU 2010 nach der Finanzkrise zu regulieren – seitdem müssen sich Anbieter von Kreditratings auf dem EU-Markt registrieren und werden von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) beaufsichtigt. Zudem sind Ratings klar definiert und müssen bestimmte Einstufungskategorien verwenden – etwa die weitverbreiteten Ratingskalen von “AAA” bis “D”.

    Die ESMA schlägt in einem Brief an die EU-Kommission vor, den Gesetzesvorschlag an der Verordnung für Kreditratingagenturen zu orientieren und die Aufsicht über die ESG-Ratingagenturen zu übernehmen. Der rechtliche Rahmen sollte “der Größe des betreffenden Unternehmens angemessen” sein und “eine gemeinsame rechtliche Definition für ein ESG-Rating entwickeln, die das breite Spektrum an Bewertungsinstrumenten erfasst, die derzeit auf dem Markt verfügbar sind”. Die sehr großen Unterschiede zwischen den Ratings der einzelnen Anbieter führten bislang zu “Problemen in der Wertschöpfungskette von Investitionen”.

    Dass sich die Ratings voneinander unterscheiden, sei nichts per se Negatives, erklärt die deutsche Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Dies spiegele lediglich die Komplexität von Nachhaltigkeit wider – und sei Teil eines wettbewerbsfähigen, diversifizierten Marktes. “Es ist jedoch wichtig, dass sich die Nutzer von ESG-Ratings (Investoren, Vermögensverwalter) dieser Tatsache bewusst sind”, schreiben die Forscher in einem Bericht. “Dann können sie den Rating-Anbieter wählen, der am besten ihren Zielen/Werten/Erwartungen entspricht.”

    “Besseres Verständnis würde Glaubwürdigkeit stärken”

    Die Plattform empfiehlt, einen verbindlichen Rahmen “für die Offenlegung der wichtigsten Annahmen, der sensibelsten Methodenmerkmale und der Ziele von ESG-Ratings” zu schaffen. Dieser sollte die verschiedenen Nutzerinnen und Nutzer von ESG-Ratings einbeziehen.

    Laut einer Studie der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) würde ein “besseres Verständnis und eine größere Zuverlässigkeit der ESG-Ratings das Vertrauen in diesen schnell wachsenden Markt und dessen Glaubwürdigkeit stärken” und auf diese Weise nachhaltige Investitionen – und damit die Verwirklichung der Ziele des EU Green Deals – fördern.

    Fabisik sieht in dem geplanten Entwurf erst einmal ein Signal für die Ratingagenturen und die Chance auf eine bessere Qualität und Verfügbarkeit der Daten für die Nutzer.

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    Breton will Verteidigungsindustrie auf Kriegswirtschaft trimmen

    EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton präsentiert heute seinen Vorschlag, wie Brüssel Europas Verteidigungsindustrie zu mehr Zusammenarbeit und zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten für Artilleriemunition bewegen will: “Ich bin überzeugt, dass wir innerhalb von zwölf Monaten in der Lage sind, unsere Produktionskapazitäten auf eine Million Geschosse pro Jahr erhöhen zu können“, sagte Breton. Der “act in support of ammunition production” mit dem passenden Akronym ASAP ist die dritte Schiene beim dreigleisigen Plan des Franzosen, die Ukraine mit genügend Artilleriemunition zu versorgen und die Bestände der Mitgliedstaaten wieder aufzufüllen.

    Konkret will die EU Rüstungsbetriebe mit insgesamt 500 Millionen Euro unterstützen, die ihre Kapazitäten ausbauen. Vorgesehen ist eine Kofinanzierung von 40 Prozent für entsprechende Projekte. Zusätzliche zehn Prozent werden Firmen in Aussicht gestellt, die neue Kooperationen bei der Produktion von Artilleriemunition oder Luftabwehrraketen eingehen. Der Vorschlag sieht maximal 60 Prozent Kofinanzierung vor, wenn Rüstungsbetriebe zusätzlich Lieferungen für die Ukraine oder die Mitgliedstaaten vorziehen und Bestellungen von Drittstaaten zurückstellen.

    Einfachere Finanzierung, aber zur Not auch Zwang

    Knapp die Hälfte der Mittel, 240 Millionen Euro, sollen von Edirpa abgezweigt werden, dem neuen Instrument zur gemeinsamen Rüstungsbeschaffung. 260 Millionen Euro soll aus dem Europäischen Verteidigungsfonds kommen, wobei die Mittel dort später zu einem Teil wieder aufgestockt werden sollen. Die Mitgliedstaaten sollen zusätzlich auch Mittel aus dem Kohäsionsfonds und aus dem Corona-Wiederaufbaufonds verwenden dürfen, um etwa Lieferketten zu stärken. Die Kommission möchte ferner den Zugang der Firmen zu günstigen Krediten erleichtern. Die Rüstungsbranche beklagt sich unter anderem darüber, von den Banken zu wenig günstige Kredite für Investitionen in zusätzliche Produktionsstraßen zu bekommen.

    Thierry Breton hat in den letzten Wochen einen Großteil der 15 Produktionsstätten von Rüstungsbetrieben in elf EU-Staaten besucht und sich ein Bild von der Situation gemacht. Der Franzose ist dem Vernehmen nach mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass es in Europa nicht an Fabriken fehlt, die Artilleriemunition oder Luftabwehrraketen produzieren können. Europa sei im Gegenteil eigentlich besser aufgestellt als viele Partner außerhalb der EU, produziere aber seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mit vollen Kapazitäten. Einige Firmen setzten zudem einen guten Teil ihrer Produktion außerhalb der EU ab. Die EU-Kommission soll in Zusammenarbeit mit den betreffenden Mitgliedstaaten deshalb auch die Möglichkeit bekommen, unter besonderen Umständen einen Rüstungsbetrieb zu zwingen, eine Bestellung Richtung Ukraine umzuleiten.

    Kommission hofft auf beschleunigtes Verfahren

    Die geplante ASAP-Verordnung sieht in einem zweiten Teil eine Lockerung der Regeln beziehungsweise einen Waiver bei gewissen Bewilligungen vor. Dies etwa für zusätzlichen Schichtbetrieb, für längere Arbeitszeiten oder bei den Auflagen für Ausschreibungen. Für Thierry Breton sind die drei Gleise seines Plans eng verknüpft, um die Ukraine mit Artilleriemunition zu versorgen und die Lager in den Mitgliedstaaten wieder zu füllen. Die Mitgliedstaaten seien nur bereit, kurzfristig zusätzliche Geschosse aus ihren Beständen, wenn gleichzeitig längerfristig die Produktionskapazitäten gestärkt würden.

    ASAP sei “beispiellos”, sagte Breton: Der Vorschlag habe zum Ziel, mit EU-Geldern die Schlagkraft der Rüstungsindustrie zu stärken, für die Ukraine, aber auch mit Blick auf Europas eigene Sicherheit. Die Kommission will in den Verhandlungen mit dem Parlament auf ein beschleunigtes Verfahren drängen, um ASAP noch vor dem Sommer verabschieden zu können. Die Verordnung soll eine befristete Laufzeit bis Juni 2025 haben. sti

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    Experte: Asylzentren an EU-Außengrenzen schwer umzusetzen

    Raphael Bossong, Experte für EU-Asylpolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hält eine rasche Umsetzung der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser geforderten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen für schwierig. Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Belgien arbeiteten laut Faeser gemeinsam mit Deutschland an einer solchen Lösung. Dennoch hält Bossong eine Zustimmung der Länder, in denen die Asylzentren entstehen sollen, für unwahrscheinlich. Es sei zudem nicht realistisch, dass diese Zentren außerhalb der EU entstehen, sagte Bossong Table.Media.

    Gerade sei keine Regelung bei der Verteilung der Flüchtlinge absehbar. Gegen den Willen der anderen EU-Mitgliedsstaaten Verteilungsquoten festzulegen, sei aber unrealistisch, betonte der EU-Asylexperte. Aktuell seien diese Gegner zwar in der Minderheit. Doch die Flüchtlingskrise 2015 habe gezeigt, dass Kritiker, wie etwa Polen und Ungarn, ausscheren könnten.

    Bossong spricht angesichts der seit Jahren ungelösten Frage der Solidarität im sogenannten Dublin-System von einer “Quadratur des Kreises“. Das derzeit auf EU-Ebene verhandelte Reformpaket von mindestens neun Rechtsakten macht einen Interessenausgleich komplex. Der SWP-Experte erwartet, dass Deutschland einem Kompromiss zustimmen werde, bei dem es überproportional mehr Geflüchtete aufnehme. Zu groß seien die deutschen Interessen am Funktionieren der EU und des Binnenmarkts.

    Vor mehr als zwei Jahren hatte die EU-Kommission ein neues Asyl- und Migrationspaket vorgeschlagen. Dieses enthält bereits die von Faeser geforderten Asylzentren an den EU-Außengrenzen. Ende März hat sich das Parlament auf eine Position für die verschiedenen Elemente des Pakts festgelegt und dieses Ende April noch einmal bestätigt. Nun fehlt noch eine Position des Rats zu einigen Teilen. Die Zeit drängt: Findet der Rat bis Sommer keine Position, könnte es zu spät für einen Trilog in dieser Legislaturperiode werden. ds

    • Migrationspolitik

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    Die Ampel einigt sich auf eine neue Haltung zur Migrationspolitik SUEDDEUTSCHE
    EU-Reaktionen auf Faeser: Warten auf die entscheidenden Details TAGESSCHAU
    EVP sieht Chance auf gemeinsame EU-Asylpolitik OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
    EU will Sanktionen gegen Russland auch auf Drittstaaten ausweiten, um Schlupflöcher zu schließen BUSINESSINSIDER
    Balten und Polen gegen Sanktionsausnahmen für Belarus EURACTIV
    Meilenstein für EU-Chip-Produktion: Infineon startet Bau der Fabrik in Dresden MERKUR
    Aufrüstung: EU will eine Million Artilleriegeschosse pro Jahr herstellen BERLINER-ZEITUNG
    Gesetzentwurf zur Munitionsbeschaffung: Notfalls mit Zwang SPIEGEL
    Pläne aus Brüssel werden konkret: Das ist der neue EU-Behindertenausweis FR
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    EU-Parlament bei Bekämpfung von illegalem Streaming ernüchtert EURACTIV
    Energiewende: Die EU kämpft um die 16 wichtigsten Rohstoffe WELT
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    Fifa warns Europe of Women’s World Cup broadcast blackout NZHERALD
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    Immacolata Glosemeyer – EU regional verankern

    Immacolata Glosemeyer ist Sprecherin für Bundes- und Europaangelegenheiten der SPD-Fraktion im Landtag Niedersachsen.

    Der politische Werdegang von Immacolata Glosemeyer, heute Sprecherin für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Entwicklung der SPD-Fraktion im Landtag Niedersachsen, hat ihre Karriere ganz klassisch in der Kommunalpolitik begonnen: Mit 25 Jahren fängt sie an, sich in Wolfsburg zu engagieren, und tritt der SPD bei. 2011 wird sie zur Ortsbürgermeisterin der Wolfsburger Nordstadt gewählt, zwei Jahre später beginnt ihre Zeit als Abgeordnete im niedersächsischen Landtag.

    Schon am Küchentisch diskutierte ihre Familie viel über Politik, letztlich war es aber ihr Schuldirektor, der sie mit direkter Ansprache zum politischen Engagement motivierte. Diesen Impuls, Politik mitzugestalten, will die SPD-Landtagsabgeordnete selbst an Schülerinnen und Schüler weitergeben. Rund um den Europatag am 9. Mai diskutiert Glosemeyer mit Jugendlichen über die europäische Idee und ihre Erwartungen an Europa. Um junge Leute für Europa zu begeistern, engagiert sich Glosemeyer auch für ein EU-finanziertes Projekt, mit dem junge Menschen ins europäische Ausland reisen können: “Es ist wichtig, dass Jugendliche auch mal über den eigenen Tellerrand schauen können und junge Menschen aus anderen Ländern und deren Lebensweisen kennenlernen.”

    Pandemie als gutes Beispiel für Zusammenarbeit

    Die Funktion als europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion hat Glosemeyer seit 2020 inne: In ihre Amtszeit fallen viele Krisen – die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg: “Während der Pandemie hat die europäische Zusammenarbeit gut funktioniert und alle haben sich solidarisch untergehakt. Das war ein gutes Beispiel dafür, wie Europa gelingen kann.”

    Die beiden Krisen zeigen, wie wichtig gemeinsames Handeln sei – trotz nicht wegzuredender Reibungspunkte, sagt Glosemeyer. Die EU stärkt Niedersachsen auch im Umgang mit den Nachwirkungen der Pandemie: Das Projekt “Resiliente Innenstädte” beispielsweise verfolgt das Ziel, Niedersachsens Innenstädte zu reaktivieren und attraktiver zu machen.

    Gleichzeitig sei bei einem Flächenland wie Niedersachsen auch die Regionalversorgung sehr wichtig, betont Glosemeyer. Mit generationsübergreifenden Projekten, Coworking-Spaces und besserer Kinder- und Krankenversorgung soll der ländliche Raum gestärkt werden. Nicht zuletzt, um Strukturen zu schaffen, die junge Familien anziehen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Als Gründungsmitglied des ersten Wolfsburger Tagesmüttervereins e.V. (heute Familienservice Wolfsburg e.V) ist das ein besonderes Herzensanliegen für Glosemeyer: “Es heißt ja nicht umsonst, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen”, sagt sie.

    Nachbesserungsbedarf bei Landesvertretung

    Durch besondere Standortmerkmale werde Niedersachsen zum Energie- und Klimaland, meint Glosemeyer: “Wir in Niedersachsen sind besonders gefordert, da wir zum einen außerordentlich günstige Standortbedingungen bei der Erzeugung erneuerbarer Energien haben”, sagt die Politikerin. Und zum anderen habe das Bundesland aufgrund der heimischen Schwerindustrie aber auch eine große Verantwortung für das Gelingen der Transformation – diesen Wandel positiv zu gestalten, das könne nur mit europäischen Lösungen gelingen.

    Um die Verzahnung von Landes- und Europapolitik zu verbessern, überdenkt Glosemeyer auch interne Strukturen. Schnelle Information über europapolitische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Niedersachsen, konstruktive Lobbyarbeit, dafür sei eine starke Landesvertretung in Brüssel von Bedeutung – hier könne Niedersachsen mit 20 Mitarbeitenden im Vergleich zu 40 bayerischen Vertretenden beispielsweise noch nachjustieren. Auch auf struktureller Ebene bleibt Transformation also nie aus. Und Immacolata Glosemeyer setzt sich dafür ein, diese partizipativ zu gestalten. Marlene Resch

    • Europapolitik
    • SPD

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