das Treffen der EU-Finanzminister sollte eigentlich unaufgeregt über die Bühne gehen. Denn die Mitgliedstaaten hatten die gemeinsame Erklärung zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bereits im Vorfeld abgestimmt. Doch dann kam Bundesfinanzminister Christian Lindner und forderte Änderungen an dem Text. Er drängte darauf, dass die Kommission die Mitgliedstaaten noch einmal konsultieren sollte, bevor sie ihre Legislativvorschläge zur Reform der Haushaltsregeln vorlege. Mit seinen Forderungen setzte er sich zwar teilweise durch, brachte aber auch etliche Kollegen gegen sich auf, wie Till Hoppe und Christof Roche berichten.
Lindners Verhalten erinnert an das plötzliche Nein von Parteikollege und Bundesverkehrsminister Volker Wissing gegen die bereits ausverhandelten Flottengrenzwerte für Neuwagen mitsamt Verbrenner-Aus. Einen eindringlichen Appell gegen diese Blockade sprach in dieser Woche die Abgeordnete Emma Wiesner aus. Ihr Auftritt war bemerkenswert – nicht nur, weil die Renew-Politikerin zur selben Parteienfamilie gehört wie die FDP. Die Schwedin äußerte ihre Kritik auf Deutsch, und das ausgesprochen deutlich. Was genau sie sagte, lesen Sie im Apéropa von Lukas Scheid.
In den News erfahren Sie außerdem, warum der rumänische Europaabgeordnete Nicolae Ștefănuță von den Liberalen zur Fraktion der Grünen gewechselt ist.
Ein leichterer Zugang für die mittelständische Wirtschaft zu langfristigen Stromlieferverträgen für erneuerbare Kraftwerke, mehr Wahlmöglichkeiten bei Stromlieferverträgen für Haushalte, eine bessere europäische Integration der nationalen Strom-Großhandelsmärkte: Das sind drei Punkte aus dem Vorschlag für eine Strommarktreform, den die Kommission gestern vorgelegt hat. Die Berücksichtigung von Standortkriterien findet sich darin nicht mehr – das politisch heikle Thema hätte in Deutschland wohl zu heftigen Kontroversen geführt. Manuel Berkel gibt einen Überblick.
Das Treffen der EU-Finanzminister versprach eigentlich eine unaufgeregte Diskussion, schließlich hatten die Mitgliedstaaten die gemeinsame Erklärung zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bereits im Vorfeld abgestimmt. Bundesfinanzminister Christian Lindner sorgte allerdings dafür, dass es anders kam: Der FDP-Chef forderte in Brüssel noch Änderungen an dem Text – und brachte damit etliche Kollegen gegen sich auf.
Lindner drängte insbesondere darauf, dass die EU-Kommission die Mitgliedstaaten noch einmal konsultieren sollte, bevor sie ihre Legislativvorschläge zur Reform der Haushaltsregeln vorlege. Schließlich hat in der Bundesregierung nicht nur das Finanzministerium erhebliche Vorbehalte gegen die Vorstellungen der Kommission.
Etliche andere Länder befürchten aber, dass sich die Reform dadurch erheblich verzögern könnte. Nicht nur die Regierungen in Südeuropa befürchten erheblichen Konsolidierungsdruck, wenn die derzeit ausgesetzten Regeln des Stabilitätspaktes ab 2023 wieder greifen. Zumal Lindner die Kommission daran hindern will, ihre Empfehlungen bereits auf Basis der angedachten neuen Regeln auszusprechen.
Der Bundesfinanzminister setzte sich damit am Dienstag auch teilweise durch. So wird die Kommission in den finalen Schlussfolgerungen aufgefordert, “vor der Veröffentlichung ihrer Legislativvorschläge die übereinstimmenden Standpunkte der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen”.
Die späte Intervention Linders verärgerte aber nicht nur seinen französischen Kollegen Bruno Le Maire. Mit Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño habe sich Lindner im Saal einen verbalen Schlagabtausch geliefert, berichten EU-Diplomaten. Auch Beamte aus Ländern, die Berlin politisch nahestehen, kritisierten das Vorgehen.
Die Reaktionen fielen auch deshalb teils heftig aus, weil sich zuletzt die Fälle häuften, wo insbesondere FDP-Minister sich über die Brüsseler Gepflogenheiten hinwegsetzten. Verkehrsminister Volker Wissing verhindert bekanntlich durch sein spätes Nein, dass die bereits ausverhandelten Flottengrenzwerte für Neuwagen mitsamt Verbrenner-Aus 2035 final beschlossen werden können. Auch bei anderen Dossiers wie der Richtlinie für Frauen in Führungspositionen oder der Plattformarbeit sorgten liberale Minister mit verspäteten Interventionen für Verzögerungen im EU-Entscheidungsprozess.
“Die unergründlichen Geheimnisse der deutschen Koalition führen dazu, dass man eine Vereinbarung hat und dann schließlich keine mehr“, sagte ein EU-Diplomat gestern. Ein Vorgehen wie das von Lindner sei kontraproduktiv für die institutionellen Abläufe in der EU, kritisierte ein Vertreter eines anderen Mitgliedstaats. Fairerweise müsse man Berlin aber zugutehalten, dass Deutschland den Schlussfolgerungen auf Ebene der Staatssekretäre und der EU-Botschafter zwar zugestimmt habe, aber noch Gesprächsbedarf angemeldet habe.
Lindner betonte nach den Beratungen der Finanzminister hingegen, es habe “eine beachtliche Zahl an Mitgliedstaaten” gegeben, die besorgt seien, “dass ihre Anmerkungen und Bedenken keine hinreichende Berücksichtigung finden”. Handlungsbedarf sieht er unter anderem für die Schuldentragfähigkeitsanalyse sowie numerische Benchmarks zur Unterstützung der Schuldenregeln.
Im Umfeld des Ministers hieß es, es müsse beispielsweise bei Abweichungen eines Mitgliedslands vom vereinbarten Haushaltspfad klar sein, wann dies noch in den Ermessensspielraum der Kommission falle, und ab wann der Rat eingeschaltet werden muss. Deutschland werde dazu zügig der Kommission eigene Vorschläge unterbreiten.
Weitere Bereiche, in denen Klärungsbedarf besteht, sind die Grundsätze für eine Verlängerung des haushaltspolitischen Pfads, die Rolle der länderspezifischen Empfehlungen sowie die Durchsetzung nationaler Pläne und Anreize für Reformen und Investitionen. Die Mitgliedstaaten vereinbarten zudem, die Neuausrichtung des Fiskalregelwerks bis zum Jahresende abschließen zu wollen.
Aus der Kommission kamen im Anschluss an die Beratungen unterschiedliche Signale. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni betonte, die Kommission werde sich in den kommenden Wochen und Monaten mit den Mitgliedstaaten treffen, um die offenen Punkte zu diskutieren. Es gebe noch “erhebliche Arbeit für alle Beteiligten”.
Vizepräsident Valdis Dombrovskis betonte ebenfalls die Bereitschaft der Kommission zum Dialog mit den Mitgliedstaaten. Er signalisierte aber zugleich, die Kommission wolle unverändert ihr Gesetzespaket zeitnah nach dem EU-Gipfel präsentieren, der für den 23./24. März vorgesehen ist. Die sei nötig, um das Ziel zu erreichen, die Reform bis Jahresende abzuschließen.
Mit Blick auf die haushaltspolitischen Leitlinien für 2024 führte Dombrovskis aus, die Kommission werde allein solche Elemente der geplanten Reform für die länderspezifischen Empfehlungen aufnehmen, “die mit dem aktuellen Rechtsrahmen vereinbar sind”.
Mit Blick auf die haushaltspolitische Ausrichtung im kommenden Jahr hatte Lindner die Kommission ebenfalls heftig kritisiert: Sie könne in die Empfehlungen keine Elemente der Reform einbauen, die noch nicht rechtskräftig verabschiedet seien, argumentierte er.
Im Umfeld des Ministers hieß es, die Kommission habe mit ihrem Vorstoß, Teile der Reform der Schuldenregeln über die Empfehlungen vorzuziehen, in der Eurogruppe eine herbe Schlappe hinnehmen müssen. Der Juristische Dienst habe während der Sitzung klargestellt, dass eine solche Vermengung auf keinen Fall gehe. Maßgeblich sei im Moment allein der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt. Till Hoppe und Christof Roche
Die EU-Kommission hat gestern ihre Vorschläge zur Reform des Strommarkts vorgelegt. Statt einer Abkehr vom bisherigen Marktdesign sieht das Paket zum Strommarktdesign nur punktuelle Weiterentwicklungen bisheriger Richtlinien und Verordnungen vor:
Ein eher spezielles, aber politisch heikles Thema hat die Kommission dagegen aus früheren Entwürfen (Table.Media berichtete) gestrichen. Bei Investitionen in neue Erzeugungsanlagen hätten die Mitgliedstaaten ursprünglich Standortkriterien berücksichtigen sollen, um sicherzustellen, dass “neue Investitionen an optimalen Standorten erfolgen, die keine Engpässe im Stromnetz schaffen oder verstärken“. In der gestern vorgelegten offiziellen Fassung hat die Kommission diese und andere Anforderungen an “locational criteria” gestrichen. Gerade für Deutschland hätte das Bestehen auf Standortkriterien weitreichende Folgen gehabt.
Netzengpässe bestehen vor allem beim Stromtransport von Nord nach Süd. Windstrom drückt aus der Norddeutschen Tiefebene nach Bayern und Baden-Württemberg, die Anlagen müssen aber wegen zu schwacher Leitungen abgeschaltet werden, was hohe Kosten verursacht. Im Extremfall hätten Standortkriterien dazu führen können, dass in Norddeutschland weniger Windparks an Land oder gar auf See hätten neu errichtet werden können. Die Branche hätte auf den langsamen Ausbau der Netze warten müssen.
Die Gefahr ist nun aber, dass die Stromkunden noch höhere Entschädigungen an Windmüller zahlen müssen, falls der Netzausbau weiter lahmt. Es bleibt abzuwarten, welche Impulse die Plattform Klimaneutrales Stromsystem des Bundeswirtschaftsministeriums zur besseren lokalen Steuerung des Erneuerbaren-Ausbaus bringt.
Heftige Gegenwehr kommt aus der deutschen Erneuerbaren-Industrie aber noch gegen den Zwang zu Differenzverträgen. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) will sich offenbar lukrative Übererlöse in Zeiten hoher Strompreise sichern. “Flexibilität und Akzeptanz schafft die bestehende gleitende Marktprämie, nicht ein starrer, risikobehafteter CfD-Förderrahmen“, sagte gestern BEE-Präsidentin Simone Peter. Unterstützt wird sie dabei von der Linken im EU-Parlament. Die Grünen rechnen nach eigenen Angaben damit, dass Einspeisevergütungen voraussichtlich erlaubt bleiben.
Die EVP signalisierte gestern nach anfänglicher Zurückhaltung Bereitschaft, den Kommissionsvorschlag schnell durchs Parlament zu bringen. “Es ist positiv, dass die Kommission einen eher vorsichtigen Ansatz verfolgt und sich damit den Forderungen nach einer Änderung des Merit-Order-Prinzips oder sogar einer Institutionalisierung der Notfallmaßnahme einer Preisobergrenze widersetzt hat”, sagte ITRE-Koordinator Christian Ehler. Nun könne es “sinnvoll sein, diese Reform mit einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren zu behandeln”.
Verbraucherschützer werteten den Vorschlag ebenfalls positiv. Sozial schwache Verbraucher, die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, müssten zum Beispiel nicht mehr befürchten, dass ihnen der Strom abgestellt wird, sagte BEUC-Generalsekretärin Monique Goyens. Außerdem sei sichergestellt, dass die Versorger die Tarife in Festpreisverträgen in Krisen nicht noch einmal erhöhen könnten.
Spannend dürfte werden, wie Energievertriebe und Kunden den Vorschlag der Kommission aufnehmen, dass Haushalte mehrere Lieferverträge gleichzeitig abschließen können sollen. Die Behörde erhofft sich davon zum einen mehr Verlässlichkeit durch Festpreisverträge für einen Teil des Verbrauchs und das Ausnutzen von Zeiten niedriger Strompreise, um zum Beispiel E-Autos zu laden.
Gegen einen bestimmten Anreiz für eine flexiblere Nachfrage wehren sich allerdings die Stadtwerke. “Die Netzentgelte spiegeln die Fixkosten der Netzbetreiber wider und sollten aus Gründen der Verursachungsgerechtigkeit nicht zeitlich variabel sein”, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Zudem berge die Veröffentlichung von Netzdaten Sicherheitsrisiken.
Das EU-Parlament hat für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden gestimmt. Konkret sollen Wohngebäude bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse “E” und bis 2033 die Energieeffizienzklasse “D” erreichen. Ähnlich wie bei Haushaltsgeräten soll die Energieeffizienz auf einer Skala von “A” bis “G” angegeben werden. Zudem sprachen sich die Abgeordneten am Dienstag mit 343 Stimmen dafür, 216 dagegen und 78 Enthaltungen dafür aus, dass ab 2028 nur noch Häuser gebaut werden sollen, durch die quasi keine zusätzlichen Treibhausgase ausgestoßen werden.
Damit haben die Abgeordneten den Weg für Verhandlungen mit den EU-Staaten über das Vorhaben frei gemacht. Die nationalen Regierungen hatten sich schon im Oktober auf ihre Position geeinigt.
Das Vorhaben war zuletzt wegen möglicher hoher Kosten für Hausbesitzer kontrovers diskutiert worden. Sogar von “Zwangssanierungen” war die Rede. “Das wird Hauseigentümer überfordern”, sagte etwa Markus Pieper von der CDU. Die deutsche EU-Abgeordnete Jutta Paulus von den Grünen betonte hingegen: “Ziel für die anstehenden Verhandlungen ist es, den Energieverbrauch von Gebäuden massiv zu senken und den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schonen.”
Der Europaabgeordnete Jens Geier hob nach der Abstimmung hervor, dass der Weg zur Klimaneutralität sozial sein müsse. “Finanziell schwächere Haushalte sollen vor Kostendruck geschützt werden. Das sieht der Richtlinienentwurf ausdrücklich vor”, so der SPD-Politiker. Der CDU-Abgeordnete und Sozialpolitiker Dennis Radtke sieht das anders: “Es gibt offenkundig keine Antenne für die sozialen Realitäten mehr.” dpa
Das EU-Parlament hat am Dienstag den Trilogergebnissen von drei Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets zugestimmt. So fehlt nur noch die finale Abstimmung im Rat, damit die Gesetzesvorschläge zu LULUCF, Effort Sharing und der Marktstabilitätsreserve im Amtsblatt der EU erscheinen können und rechtskräftig sind.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist, als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Mio. Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilogeinigung zur ETS-Reform stimmt das EU-Parlament erst in der April-Sitzungswoche ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf 12 Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Am Dienstag hat das Europäische Parlament ein starkes Mandat für den Trilog zum Data Act erteilt. Im Plenum stimmten 500 Abgeordnete für den Gesetzesvorschlag der federführenden Berichterstatterin Pilar del Castillo Vera (EVP). 23 Parlamentarier stimmten dagegen und 110 enthielten sich. Nun wartet das Parlament darauf, dass der Rat eine Allgemeine Ausrichtung beschließt, um mit den Verhandlungen beginnen zu können. Das wird nach Informationen von Table.Media kommende Woche der Fall sein.
Die Kommission hatte ihren Vorschlag zum Data Act im Februar 2022 präsentiert. Ziel ist es, einen europäischen Markt für Daten zu schaffen und Innovationen zu fördern. Dabei legt das Datengesetz Regeln für den Austausch und die gemeinsame Nutzung von Daten fest, die Menschen oder Maschinen erzeugen, wenn sie vernetzte Produkte verwenden. Beispiele sind Daten von Windkraftanlagen, smarten Hausgeräten, Fahrzeugen oder damit verbundenen Diensten.
“Das Datengesetz wird ein Wendepunkt sein, der den Zugang zu einer fast unendlichen Menge an hochwertigen Industriedaten ermöglicht”, sagte del Castillo.
Die Industrie reagierte jedoch gespalten auf den Entwurf des Parlaments. Viele Verbände gaben an, er sei besser als der Vorschlag der Kommission, aber noch nicht das, was sie sich wünschten. In Deutschland besonders umstritten ist die Frage, inwieweit Geschäftsgeheimnisse geschützt sind.
So nannte etwa Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, den Data Act einen fundamentalen Eingriff in die Spielregeln der europäischen Datenwirtschaft. Sollten die angestrebten Datenteilungspflichten kommen, würden Forschung und Innovation in Europa ausgebremst. Zahlreiche inhaltliche Fragen seien noch ungeklärt, kritisierte Plöger. Dies führe zu Rechtsunsicherheiten. Inhaltlich sei der Data Act noch weit von einer Abschlussreife entfernt.
Immerhin konstatierte Plöger, dass das Parlament in die richtige Richtung gegangen sei – ohne jedoch die grundlegenden Probleme des Kommissionsvorschlags anzugehen. Als solche betrachtet der BDI den “legitimen Schutz von Geschäftsgeheimnissen”. Dieser müsse aufrechterhalten bleiben. Es müsse eine echte Ausnahmeregelung von einer Datenbereitstellungspflicht aufgenommen werden. vis
Als Konsequenz aus dem EU-Korruptionsskandal will das Europaparlament Lobby-Regeln für ausgeschiedene Abgeordnete verschärfen. Diese sollen künftig erst nach einer sogenannten Abkühlphase von sechs Monaten als Lobbyisten im Parlament tätig werden dürfen, hieß es am Dienstag aus dem EU-Parlament. Darauf verständigte sich das zuständige Gremium am Montagabend im Grundsatz. Formell soll das Vorhaben im April beschlossen werden.
Vorgesehen ist, dass ehemalige Abgeordnete während der sechs Monate zum Beispiel nicht die Gebäude des Parlaments betreten dürfen, um Lobbyarbeit zu betreiben. Anschließend müssen sie den Plänen zufolge im Parlament einen speziellen Ausweis tragen.
In dem Ende 2022 öffentlich gewordenen Bestechungsskandal geht es um mutmaßliche Einflussnahme auf Entscheidungen des EU-Parlaments durch Katar und Marokko. Den Beschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der mutmaßliche Drahtzieher, Antonio Panzeri, war lange Jahre Abgeordneter im EU-Parlament, bevor er eine Nichtregierungsorganisation gründete. dpa
Der rumänische Europaabgeordnete Nicolae Ștefănuță hat die Liberalen verlassen und sich am gestrigen Dienstag offiziell der Fraktion der Grünen angeschlossen. Zuvor war bereits der französische Europaabgeordnete Pascal Durand von der Renew-Fraktion zur S&D-Fraktion gewechselt. Diese Bewegungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Parteien beginnen, sich im Hinblick auf die Europawahlen 2024 zu positionieren.
“Meine Zugehörigkeit zu den Grünen hat eine starke symbolische Bedeutung, denn ich bin der erste Abgeordnete aus Rumänien, der dieser Fraktion angehört”, sagte Nicolae Ștefănuță auf Anfrage von Table.Media. Neben dem Kampf gegen den Klimawandel und dem Schutz der Wälder in Rumänien sei es für ihn auch “sehr wichtig”, die korrekte Verwendung der europäischen Gelder für den Green Deal zu verteidigen.
Der Europaabgeordnete betonte auch das neue Potenzial für die Industrie, das der Green Deal seiner Meinung nach biete. “Ein Beispiel dafür ist die Autoindustrie in Deutschland, die mit der in Rumänien verbunden ist, und der Green Deal, den wir gemeinsam aufbauen, muss auch in Rumänien vertreten sein”, sagte er.
Seitens der Renew-Fraktion bedauert man den Schritt von Nicolae Ștefănuță. “Es ist eine persönliche und keine ideologische Entscheidung”, sagte der Sprecher des Renew-Fraktionsvorsitzenden Stéphane Séjourné zu Table.Media. Pascal Durand hingegen hatte seinen Austritt aus der Renew-Fraktion damit erklärt, dass die schwedischen Liberalen in einer Regierungskoalition mit den rechtsextremen Schwedendemokraten sind.
Die rumänische Delegation innerhalb von Renew sei in zwei Lager gespalten, sagt eine politische Quelle in Brüssel. Dies bedeute, dass Delegation innerhalb der Fraktion an Einfluss verliere, obwohl diese Dacian Cioloș 2019 an die Spitze von Renew gestellt hatte.
Die Fraktion der Grünen bemüht sich zurzeit darum, mehr Einfluss in den südlichen Ländern der Europäischen Union zu gewinnen – also in Ländern, in denen die Partei derzeit weitaus schlechtere Ergebnisse erzielt als in Nordeuropa.
So besuchte Giuseppe Conte, der Vorsitzende der italienischen Partei 5 Sterne, in der vergangenen Woche die Grünen-Fraktion auf deren Wunsch hin, wie Philippe Lamberts, Ko-Vorsitzender der Fraktion, mitteilte. “Unser Wunsch ist es, dass starke progressive und grüne Kräfte zusammenarbeiten, um der extremen Rechten in ganz Europa entgegenzutreten”, sagte Lamberts.
Es sei “klar”, dass die politische Familie der Grünen “ein gefragter Partner” sei, sagte Lamberts. Nicht nur in Italien, sondern eben auch in Ländern wie Rumänien. cst
1992 reiste Axel Schäfer nach einem Erdbeben nach Armenien, um medizinische Hilfsgüter in Krankenhäuser zu bringen. “Wenn man den Leuten in die Augen schaut, spürt man die menschliche Gemeinsamkeit”, sagt der Politiker, der seit 1969 Mitglied der SPD und seit 2002 Bundestagsabgeordneter ist.
Überhaupt ist der 70-Jährige, den die Medien auch als SPD-Urgestein bezeichnen, gerne mittendrin im Geschehen. Im Laufe seiner langen Karriere hat er viele bewegende Momente erlebt: 1989 ist er direkt nach dem Mauerfall nach Berlin gereist, um gemeinsam mit den Massen zu jubeln. 2004 hat er das Weihnachtsfest verschoben, um als Wahlbeobachter in der Ukraine zu sein. Und 2015 ist er in der Nacht nach dem Anschlag auf die Redaktion von “Charlie Hebdo” nach Paris gereist, um den Menschen auf den Straßen Beistand zu leisten.
Einmal im Jahr absolviert Schäfer ein einwöchiges Praktikum. “Wenn man 365 Tage im Jahr als Berufspolitiker Termine hat, muss man zwischendurch auch mal das richtige Leben der großen Mehrheit der Menschen erleben.”
In den vergangenen 26 Jahren habe er so schon die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen können – vom Altenpfleger über den Straßenreiniger bis hin zur Servicekraft der Bahn. Gerade deshalb habe er nie einen Gedanken daran verschwendet, der Politik den Rücken zuzuwenden. Als Politiker bekomme er außergewöhnlich viel Input und die Chance, sein Leben selbst zu gestalten. Schäfer lebt in Bochum, ist verheiratet, hat einen Sohn und zwei Enkelkinder.
In seinen politischen Einschätzungen bezieht er sich oft auf historische Vorbilder und Geschehnisse. Gleichzeitig betont er, dass die Geschichte politisch unterschiedlich gedeutet werden kann. So habe etwa Putin die Ukraine überfallen, weil die Auflösung der Sowjetunion aus dessen Sicht der größte historische Fehler war, der korrigiert werden muss.
“Man kann dieses Vorgehen als Wiederherstellung des russischen Rechtsraums sehen oder als imperiale Fieberfantasie”, sagt Schäfer. Doch man dürfe nicht vergessen, dass bei diesem Krieg Menschen sterben. Wichtig ist ihm deshalb vor allem, der Welt etwa bei Solidaritätsveranstaltungen zu zeigen: “Wir Deutsche sind weiterhin ein sehr friedliebendes Volk und wir unterstützen die Ukraine.”
Mit der Geschichte der Europäischen Einigung verbindet er Fortschritt und jene Länder, die heute darauf drängen, Mitglieder zu werden. Ihn beschäftigen die Wahlerfolge von Europaskeptikern und rechtsnationalen Postfaschisten in Ländern wie Schweden, Polen, Italien und Ungarn.
“Wo der Paternoster auf der einen Seite nach oben geht, geht er auf der anderen Seite auch wieder hinunter”, sagt er und fügt – mit Bezug auf Joschka Fischer – hinzu: Das wichtigste nationale Interesse sei nach wie vor die europäische Einigung. Janna Degener-Storr
Emma Wiesner spricht Deutsch – sehr deutliches Deutsch sogar, wie die schwedische Renew-Abgeordnete am Montagabend im EU-Parlament bewies. Dass Wiesner ihre Sprachkenntnisse so öffentlichkeitswirksam präsentierte, lag am Adressaten ihrer Worte. Der sitzt in Berlin, in der Bundesregierung – genauer gesagt: in der FDP. “Ich spreche als Schwedin, als Parlamentarierin, als junge Europäerin, als Liberale: Bitte setzen Sie sich für das Fit-for-55-Paket ein und hören Sie auf, zentrale Elemente wie das Verbrenner-Aus zu blockieren.”
Wiesner forderte die FDP direkt auf, die Verschärfung der EU-Flottengrenzwerte und das damit verbundene Verbrenner-Aus 2035 nicht mehr länger zu blockieren. Denn das schade dem Klimaschutz. “Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich Deutschland den Wert von Klimaschutzmaßnahmen erklären muss.” Doch wenn die Zukunft des Fit-for-55-Pakets auf dem Spiel stehe, erfordere es “extreme Maßnahmen”, so die Schwedin.
Was Wiesners Appell so eindringlich macht: Sie gehört zur selben europäischen Parteienfamilie wie die FDP. Es sei “absolut unverantwortlich”, bereits vereinbarte Gesetzesvorschläge im Rat zu blockieren, wetterte sie und warnte: “Fit for 55 ist zerbrechlich und befindet sich in einem zerbrechlichen Gleichgewicht. Nimmt man ein entscheidendes Teil heraus, bricht es zusammen.” Damit spielte sie darauf an, dass auch andere Länder ihre Meinung in letzter Minute ändern könnten. So stünden alle Verhandlungserfolge der vergangenen Monate doch noch auf der Kippe.
Ob Wiesners Worte die erhoffte Wirkung einbrachten, wird sich zeigen. Von der Sitzungsvorsitzenden wurde sie jedoch für ihr “ausgezeichnetes Deutsch” beglückwünscht.
Der Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Stéphane Séjourné, äußerte am Dienstag ebenfalls Unverständnis für die Haltung der FDP. Lukas Scheid
das Treffen der EU-Finanzminister sollte eigentlich unaufgeregt über die Bühne gehen. Denn die Mitgliedstaaten hatten die gemeinsame Erklärung zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bereits im Vorfeld abgestimmt. Doch dann kam Bundesfinanzminister Christian Lindner und forderte Änderungen an dem Text. Er drängte darauf, dass die Kommission die Mitgliedstaaten noch einmal konsultieren sollte, bevor sie ihre Legislativvorschläge zur Reform der Haushaltsregeln vorlege. Mit seinen Forderungen setzte er sich zwar teilweise durch, brachte aber auch etliche Kollegen gegen sich auf, wie Till Hoppe und Christof Roche berichten.
Lindners Verhalten erinnert an das plötzliche Nein von Parteikollege und Bundesverkehrsminister Volker Wissing gegen die bereits ausverhandelten Flottengrenzwerte für Neuwagen mitsamt Verbrenner-Aus. Einen eindringlichen Appell gegen diese Blockade sprach in dieser Woche die Abgeordnete Emma Wiesner aus. Ihr Auftritt war bemerkenswert – nicht nur, weil die Renew-Politikerin zur selben Parteienfamilie gehört wie die FDP. Die Schwedin äußerte ihre Kritik auf Deutsch, und das ausgesprochen deutlich. Was genau sie sagte, lesen Sie im Apéropa von Lukas Scheid.
In den News erfahren Sie außerdem, warum der rumänische Europaabgeordnete Nicolae Ștefănuță von den Liberalen zur Fraktion der Grünen gewechselt ist.
Ein leichterer Zugang für die mittelständische Wirtschaft zu langfristigen Stromlieferverträgen für erneuerbare Kraftwerke, mehr Wahlmöglichkeiten bei Stromlieferverträgen für Haushalte, eine bessere europäische Integration der nationalen Strom-Großhandelsmärkte: Das sind drei Punkte aus dem Vorschlag für eine Strommarktreform, den die Kommission gestern vorgelegt hat. Die Berücksichtigung von Standortkriterien findet sich darin nicht mehr – das politisch heikle Thema hätte in Deutschland wohl zu heftigen Kontroversen geführt. Manuel Berkel gibt einen Überblick.
Das Treffen der EU-Finanzminister versprach eigentlich eine unaufgeregte Diskussion, schließlich hatten die Mitgliedstaaten die gemeinsame Erklärung zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bereits im Vorfeld abgestimmt. Bundesfinanzminister Christian Lindner sorgte allerdings dafür, dass es anders kam: Der FDP-Chef forderte in Brüssel noch Änderungen an dem Text – und brachte damit etliche Kollegen gegen sich auf.
Lindner drängte insbesondere darauf, dass die EU-Kommission die Mitgliedstaaten noch einmal konsultieren sollte, bevor sie ihre Legislativvorschläge zur Reform der Haushaltsregeln vorlege. Schließlich hat in der Bundesregierung nicht nur das Finanzministerium erhebliche Vorbehalte gegen die Vorstellungen der Kommission.
Etliche andere Länder befürchten aber, dass sich die Reform dadurch erheblich verzögern könnte. Nicht nur die Regierungen in Südeuropa befürchten erheblichen Konsolidierungsdruck, wenn die derzeit ausgesetzten Regeln des Stabilitätspaktes ab 2023 wieder greifen. Zumal Lindner die Kommission daran hindern will, ihre Empfehlungen bereits auf Basis der angedachten neuen Regeln auszusprechen.
Der Bundesfinanzminister setzte sich damit am Dienstag auch teilweise durch. So wird die Kommission in den finalen Schlussfolgerungen aufgefordert, “vor der Veröffentlichung ihrer Legislativvorschläge die übereinstimmenden Standpunkte der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen”.
Die späte Intervention Linders verärgerte aber nicht nur seinen französischen Kollegen Bruno Le Maire. Mit Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño habe sich Lindner im Saal einen verbalen Schlagabtausch geliefert, berichten EU-Diplomaten. Auch Beamte aus Ländern, die Berlin politisch nahestehen, kritisierten das Vorgehen.
Die Reaktionen fielen auch deshalb teils heftig aus, weil sich zuletzt die Fälle häuften, wo insbesondere FDP-Minister sich über die Brüsseler Gepflogenheiten hinwegsetzten. Verkehrsminister Volker Wissing verhindert bekanntlich durch sein spätes Nein, dass die bereits ausverhandelten Flottengrenzwerte für Neuwagen mitsamt Verbrenner-Aus 2035 final beschlossen werden können. Auch bei anderen Dossiers wie der Richtlinie für Frauen in Führungspositionen oder der Plattformarbeit sorgten liberale Minister mit verspäteten Interventionen für Verzögerungen im EU-Entscheidungsprozess.
“Die unergründlichen Geheimnisse der deutschen Koalition führen dazu, dass man eine Vereinbarung hat und dann schließlich keine mehr“, sagte ein EU-Diplomat gestern. Ein Vorgehen wie das von Lindner sei kontraproduktiv für die institutionellen Abläufe in der EU, kritisierte ein Vertreter eines anderen Mitgliedstaats. Fairerweise müsse man Berlin aber zugutehalten, dass Deutschland den Schlussfolgerungen auf Ebene der Staatssekretäre und der EU-Botschafter zwar zugestimmt habe, aber noch Gesprächsbedarf angemeldet habe.
Lindner betonte nach den Beratungen der Finanzminister hingegen, es habe “eine beachtliche Zahl an Mitgliedstaaten” gegeben, die besorgt seien, “dass ihre Anmerkungen und Bedenken keine hinreichende Berücksichtigung finden”. Handlungsbedarf sieht er unter anderem für die Schuldentragfähigkeitsanalyse sowie numerische Benchmarks zur Unterstützung der Schuldenregeln.
Im Umfeld des Ministers hieß es, es müsse beispielsweise bei Abweichungen eines Mitgliedslands vom vereinbarten Haushaltspfad klar sein, wann dies noch in den Ermessensspielraum der Kommission falle, und ab wann der Rat eingeschaltet werden muss. Deutschland werde dazu zügig der Kommission eigene Vorschläge unterbreiten.
Weitere Bereiche, in denen Klärungsbedarf besteht, sind die Grundsätze für eine Verlängerung des haushaltspolitischen Pfads, die Rolle der länderspezifischen Empfehlungen sowie die Durchsetzung nationaler Pläne und Anreize für Reformen und Investitionen. Die Mitgliedstaaten vereinbarten zudem, die Neuausrichtung des Fiskalregelwerks bis zum Jahresende abschließen zu wollen.
Aus der Kommission kamen im Anschluss an die Beratungen unterschiedliche Signale. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni betonte, die Kommission werde sich in den kommenden Wochen und Monaten mit den Mitgliedstaaten treffen, um die offenen Punkte zu diskutieren. Es gebe noch “erhebliche Arbeit für alle Beteiligten”.
Vizepräsident Valdis Dombrovskis betonte ebenfalls die Bereitschaft der Kommission zum Dialog mit den Mitgliedstaaten. Er signalisierte aber zugleich, die Kommission wolle unverändert ihr Gesetzespaket zeitnah nach dem EU-Gipfel präsentieren, der für den 23./24. März vorgesehen ist. Die sei nötig, um das Ziel zu erreichen, die Reform bis Jahresende abzuschließen.
Mit Blick auf die haushaltspolitischen Leitlinien für 2024 führte Dombrovskis aus, die Kommission werde allein solche Elemente der geplanten Reform für die länderspezifischen Empfehlungen aufnehmen, “die mit dem aktuellen Rechtsrahmen vereinbar sind”.
Mit Blick auf die haushaltspolitische Ausrichtung im kommenden Jahr hatte Lindner die Kommission ebenfalls heftig kritisiert: Sie könne in die Empfehlungen keine Elemente der Reform einbauen, die noch nicht rechtskräftig verabschiedet seien, argumentierte er.
Im Umfeld des Ministers hieß es, die Kommission habe mit ihrem Vorstoß, Teile der Reform der Schuldenregeln über die Empfehlungen vorzuziehen, in der Eurogruppe eine herbe Schlappe hinnehmen müssen. Der Juristische Dienst habe während der Sitzung klargestellt, dass eine solche Vermengung auf keinen Fall gehe. Maßgeblich sei im Moment allein der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt. Till Hoppe und Christof Roche
Die EU-Kommission hat gestern ihre Vorschläge zur Reform des Strommarkts vorgelegt. Statt einer Abkehr vom bisherigen Marktdesign sieht das Paket zum Strommarktdesign nur punktuelle Weiterentwicklungen bisheriger Richtlinien und Verordnungen vor:
Ein eher spezielles, aber politisch heikles Thema hat die Kommission dagegen aus früheren Entwürfen (Table.Media berichtete) gestrichen. Bei Investitionen in neue Erzeugungsanlagen hätten die Mitgliedstaaten ursprünglich Standortkriterien berücksichtigen sollen, um sicherzustellen, dass “neue Investitionen an optimalen Standorten erfolgen, die keine Engpässe im Stromnetz schaffen oder verstärken“. In der gestern vorgelegten offiziellen Fassung hat die Kommission diese und andere Anforderungen an “locational criteria” gestrichen. Gerade für Deutschland hätte das Bestehen auf Standortkriterien weitreichende Folgen gehabt.
Netzengpässe bestehen vor allem beim Stromtransport von Nord nach Süd. Windstrom drückt aus der Norddeutschen Tiefebene nach Bayern und Baden-Württemberg, die Anlagen müssen aber wegen zu schwacher Leitungen abgeschaltet werden, was hohe Kosten verursacht. Im Extremfall hätten Standortkriterien dazu führen können, dass in Norddeutschland weniger Windparks an Land oder gar auf See hätten neu errichtet werden können. Die Branche hätte auf den langsamen Ausbau der Netze warten müssen.
Die Gefahr ist nun aber, dass die Stromkunden noch höhere Entschädigungen an Windmüller zahlen müssen, falls der Netzausbau weiter lahmt. Es bleibt abzuwarten, welche Impulse die Plattform Klimaneutrales Stromsystem des Bundeswirtschaftsministeriums zur besseren lokalen Steuerung des Erneuerbaren-Ausbaus bringt.
Heftige Gegenwehr kommt aus der deutschen Erneuerbaren-Industrie aber noch gegen den Zwang zu Differenzverträgen. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) will sich offenbar lukrative Übererlöse in Zeiten hoher Strompreise sichern. “Flexibilität und Akzeptanz schafft die bestehende gleitende Marktprämie, nicht ein starrer, risikobehafteter CfD-Förderrahmen“, sagte gestern BEE-Präsidentin Simone Peter. Unterstützt wird sie dabei von der Linken im EU-Parlament. Die Grünen rechnen nach eigenen Angaben damit, dass Einspeisevergütungen voraussichtlich erlaubt bleiben.
Die EVP signalisierte gestern nach anfänglicher Zurückhaltung Bereitschaft, den Kommissionsvorschlag schnell durchs Parlament zu bringen. “Es ist positiv, dass die Kommission einen eher vorsichtigen Ansatz verfolgt und sich damit den Forderungen nach einer Änderung des Merit-Order-Prinzips oder sogar einer Institutionalisierung der Notfallmaßnahme einer Preisobergrenze widersetzt hat”, sagte ITRE-Koordinator Christian Ehler. Nun könne es “sinnvoll sein, diese Reform mit einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren zu behandeln”.
Verbraucherschützer werteten den Vorschlag ebenfalls positiv. Sozial schwache Verbraucher, die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, müssten zum Beispiel nicht mehr befürchten, dass ihnen der Strom abgestellt wird, sagte BEUC-Generalsekretärin Monique Goyens. Außerdem sei sichergestellt, dass die Versorger die Tarife in Festpreisverträgen in Krisen nicht noch einmal erhöhen könnten.
Spannend dürfte werden, wie Energievertriebe und Kunden den Vorschlag der Kommission aufnehmen, dass Haushalte mehrere Lieferverträge gleichzeitig abschließen können sollen. Die Behörde erhofft sich davon zum einen mehr Verlässlichkeit durch Festpreisverträge für einen Teil des Verbrauchs und das Ausnutzen von Zeiten niedriger Strompreise, um zum Beispiel E-Autos zu laden.
Gegen einen bestimmten Anreiz für eine flexiblere Nachfrage wehren sich allerdings die Stadtwerke. “Die Netzentgelte spiegeln die Fixkosten der Netzbetreiber wider und sollten aus Gründen der Verursachungsgerechtigkeit nicht zeitlich variabel sein”, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Zudem berge die Veröffentlichung von Netzdaten Sicherheitsrisiken.
Das EU-Parlament hat für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden gestimmt. Konkret sollen Wohngebäude bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse “E” und bis 2033 die Energieeffizienzklasse “D” erreichen. Ähnlich wie bei Haushaltsgeräten soll die Energieeffizienz auf einer Skala von “A” bis “G” angegeben werden. Zudem sprachen sich die Abgeordneten am Dienstag mit 343 Stimmen dafür, 216 dagegen und 78 Enthaltungen dafür aus, dass ab 2028 nur noch Häuser gebaut werden sollen, durch die quasi keine zusätzlichen Treibhausgase ausgestoßen werden.
Damit haben die Abgeordneten den Weg für Verhandlungen mit den EU-Staaten über das Vorhaben frei gemacht. Die nationalen Regierungen hatten sich schon im Oktober auf ihre Position geeinigt.
Das Vorhaben war zuletzt wegen möglicher hoher Kosten für Hausbesitzer kontrovers diskutiert worden. Sogar von “Zwangssanierungen” war die Rede. “Das wird Hauseigentümer überfordern”, sagte etwa Markus Pieper von der CDU. Die deutsche EU-Abgeordnete Jutta Paulus von den Grünen betonte hingegen: “Ziel für die anstehenden Verhandlungen ist es, den Energieverbrauch von Gebäuden massiv zu senken und den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schonen.”
Der Europaabgeordnete Jens Geier hob nach der Abstimmung hervor, dass der Weg zur Klimaneutralität sozial sein müsse. “Finanziell schwächere Haushalte sollen vor Kostendruck geschützt werden. Das sieht der Richtlinienentwurf ausdrücklich vor”, so der SPD-Politiker. Der CDU-Abgeordnete und Sozialpolitiker Dennis Radtke sieht das anders: “Es gibt offenkundig keine Antenne für die sozialen Realitäten mehr.” dpa
Das EU-Parlament hat am Dienstag den Trilogergebnissen von drei Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets zugestimmt. So fehlt nur noch die finale Abstimmung im Rat, damit die Gesetzesvorschläge zu LULUCF, Effort Sharing und der Marktstabilitätsreserve im Amtsblatt der EU erscheinen können und rechtskräftig sind.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist, als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Mio. Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilogeinigung zur ETS-Reform stimmt das EU-Parlament erst in der April-Sitzungswoche ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf 12 Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Am Dienstag hat das Europäische Parlament ein starkes Mandat für den Trilog zum Data Act erteilt. Im Plenum stimmten 500 Abgeordnete für den Gesetzesvorschlag der federführenden Berichterstatterin Pilar del Castillo Vera (EVP). 23 Parlamentarier stimmten dagegen und 110 enthielten sich. Nun wartet das Parlament darauf, dass der Rat eine Allgemeine Ausrichtung beschließt, um mit den Verhandlungen beginnen zu können. Das wird nach Informationen von Table.Media kommende Woche der Fall sein.
Die Kommission hatte ihren Vorschlag zum Data Act im Februar 2022 präsentiert. Ziel ist es, einen europäischen Markt für Daten zu schaffen und Innovationen zu fördern. Dabei legt das Datengesetz Regeln für den Austausch und die gemeinsame Nutzung von Daten fest, die Menschen oder Maschinen erzeugen, wenn sie vernetzte Produkte verwenden. Beispiele sind Daten von Windkraftanlagen, smarten Hausgeräten, Fahrzeugen oder damit verbundenen Diensten.
“Das Datengesetz wird ein Wendepunkt sein, der den Zugang zu einer fast unendlichen Menge an hochwertigen Industriedaten ermöglicht”, sagte del Castillo.
Die Industrie reagierte jedoch gespalten auf den Entwurf des Parlaments. Viele Verbände gaben an, er sei besser als der Vorschlag der Kommission, aber noch nicht das, was sie sich wünschten. In Deutschland besonders umstritten ist die Frage, inwieweit Geschäftsgeheimnisse geschützt sind.
So nannte etwa Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, den Data Act einen fundamentalen Eingriff in die Spielregeln der europäischen Datenwirtschaft. Sollten die angestrebten Datenteilungspflichten kommen, würden Forschung und Innovation in Europa ausgebremst. Zahlreiche inhaltliche Fragen seien noch ungeklärt, kritisierte Plöger. Dies führe zu Rechtsunsicherheiten. Inhaltlich sei der Data Act noch weit von einer Abschlussreife entfernt.
Immerhin konstatierte Plöger, dass das Parlament in die richtige Richtung gegangen sei – ohne jedoch die grundlegenden Probleme des Kommissionsvorschlags anzugehen. Als solche betrachtet der BDI den “legitimen Schutz von Geschäftsgeheimnissen”. Dieser müsse aufrechterhalten bleiben. Es müsse eine echte Ausnahmeregelung von einer Datenbereitstellungspflicht aufgenommen werden. vis
Als Konsequenz aus dem EU-Korruptionsskandal will das Europaparlament Lobby-Regeln für ausgeschiedene Abgeordnete verschärfen. Diese sollen künftig erst nach einer sogenannten Abkühlphase von sechs Monaten als Lobbyisten im Parlament tätig werden dürfen, hieß es am Dienstag aus dem EU-Parlament. Darauf verständigte sich das zuständige Gremium am Montagabend im Grundsatz. Formell soll das Vorhaben im April beschlossen werden.
Vorgesehen ist, dass ehemalige Abgeordnete während der sechs Monate zum Beispiel nicht die Gebäude des Parlaments betreten dürfen, um Lobbyarbeit zu betreiben. Anschließend müssen sie den Plänen zufolge im Parlament einen speziellen Ausweis tragen.
In dem Ende 2022 öffentlich gewordenen Bestechungsskandal geht es um mutmaßliche Einflussnahme auf Entscheidungen des EU-Parlaments durch Katar und Marokko. Den Beschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der mutmaßliche Drahtzieher, Antonio Panzeri, war lange Jahre Abgeordneter im EU-Parlament, bevor er eine Nichtregierungsorganisation gründete. dpa
Der rumänische Europaabgeordnete Nicolae Ștefănuță hat die Liberalen verlassen und sich am gestrigen Dienstag offiziell der Fraktion der Grünen angeschlossen. Zuvor war bereits der französische Europaabgeordnete Pascal Durand von der Renew-Fraktion zur S&D-Fraktion gewechselt. Diese Bewegungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Parteien beginnen, sich im Hinblick auf die Europawahlen 2024 zu positionieren.
“Meine Zugehörigkeit zu den Grünen hat eine starke symbolische Bedeutung, denn ich bin der erste Abgeordnete aus Rumänien, der dieser Fraktion angehört”, sagte Nicolae Ștefănuță auf Anfrage von Table.Media. Neben dem Kampf gegen den Klimawandel und dem Schutz der Wälder in Rumänien sei es für ihn auch “sehr wichtig”, die korrekte Verwendung der europäischen Gelder für den Green Deal zu verteidigen.
Der Europaabgeordnete betonte auch das neue Potenzial für die Industrie, das der Green Deal seiner Meinung nach biete. “Ein Beispiel dafür ist die Autoindustrie in Deutschland, die mit der in Rumänien verbunden ist, und der Green Deal, den wir gemeinsam aufbauen, muss auch in Rumänien vertreten sein”, sagte er.
Seitens der Renew-Fraktion bedauert man den Schritt von Nicolae Ștefănuță. “Es ist eine persönliche und keine ideologische Entscheidung”, sagte der Sprecher des Renew-Fraktionsvorsitzenden Stéphane Séjourné zu Table.Media. Pascal Durand hingegen hatte seinen Austritt aus der Renew-Fraktion damit erklärt, dass die schwedischen Liberalen in einer Regierungskoalition mit den rechtsextremen Schwedendemokraten sind.
Die rumänische Delegation innerhalb von Renew sei in zwei Lager gespalten, sagt eine politische Quelle in Brüssel. Dies bedeute, dass Delegation innerhalb der Fraktion an Einfluss verliere, obwohl diese Dacian Cioloș 2019 an die Spitze von Renew gestellt hatte.
Die Fraktion der Grünen bemüht sich zurzeit darum, mehr Einfluss in den südlichen Ländern der Europäischen Union zu gewinnen – also in Ländern, in denen die Partei derzeit weitaus schlechtere Ergebnisse erzielt als in Nordeuropa.
So besuchte Giuseppe Conte, der Vorsitzende der italienischen Partei 5 Sterne, in der vergangenen Woche die Grünen-Fraktion auf deren Wunsch hin, wie Philippe Lamberts, Ko-Vorsitzender der Fraktion, mitteilte. “Unser Wunsch ist es, dass starke progressive und grüne Kräfte zusammenarbeiten, um der extremen Rechten in ganz Europa entgegenzutreten”, sagte Lamberts.
Es sei “klar”, dass die politische Familie der Grünen “ein gefragter Partner” sei, sagte Lamberts. Nicht nur in Italien, sondern eben auch in Ländern wie Rumänien. cst
1992 reiste Axel Schäfer nach einem Erdbeben nach Armenien, um medizinische Hilfsgüter in Krankenhäuser zu bringen. “Wenn man den Leuten in die Augen schaut, spürt man die menschliche Gemeinsamkeit”, sagt der Politiker, der seit 1969 Mitglied der SPD und seit 2002 Bundestagsabgeordneter ist.
Überhaupt ist der 70-Jährige, den die Medien auch als SPD-Urgestein bezeichnen, gerne mittendrin im Geschehen. Im Laufe seiner langen Karriere hat er viele bewegende Momente erlebt: 1989 ist er direkt nach dem Mauerfall nach Berlin gereist, um gemeinsam mit den Massen zu jubeln. 2004 hat er das Weihnachtsfest verschoben, um als Wahlbeobachter in der Ukraine zu sein. Und 2015 ist er in der Nacht nach dem Anschlag auf die Redaktion von “Charlie Hebdo” nach Paris gereist, um den Menschen auf den Straßen Beistand zu leisten.
Einmal im Jahr absolviert Schäfer ein einwöchiges Praktikum. “Wenn man 365 Tage im Jahr als Berufspolitiker Termine hat, muss man zwischendurch auch mal das richtige Leben der großen Mehrheit der Menschen erleben.”
In den vergangenen 26 Jahren habe er so schon die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen können – vom Altenpfleger über den Straßenreiniger bis hin zur Servicekraft der Bahn. Gerade deshalb habe er nie einen Gedanken daran verschwendet, der Politik den Rücken zuzuwenden. Als Politiker bekomme er außergewöhnlich viel Input und die Chance, sein Leben selbst zu gestalten. Schäfer lebt in Bochum, ist verheiratet, hat einen Sohn und zwei Enkelkinder.
In seinen politischen Einschätzungen bezieht er sich oft auf historische Vorbilder und Geschehnisse. Gleichzeitig betont er, dass die Geschichte politisch unterschiedlich gedeutet werden kann. So habe etwa Putin die Ukraine überfallen, weil die Auflösung der Sowjetunion aus dessen Sicht der größte historische Fehler war, der korrigiert werden muss.
“Man kann dieses Vorgehen als Wiederherstellung des russischen Rechtsraums sehen oder als imperiale Fieberfantasie”, sagt Schäfer. Doch man dürfe nicht vergessen, dass bei diesem Krieg Menschen sterben. Wichtig ist ihm deshalb vor allem, der Welt etwa bei Solidaritätsveranstaltungen zu zeigen: “Wir Deutsche sind weiterhin ein sehr friedliebendes Volk und wir unterstützen die Ukraine.”
Mit der Geschichte der Europäischen Einigung verbindet er Fortschritt und jene Länder, die heute darauf drängen, Mitglieder zu werden. Ihn beschäftigen die Wahlerfolge von Europaskeptikern und rechtsnationalen Postfaschisten in Ländern wie Schweden, Polen, Italien und Ungarn.
“Wo der Paternoster auf der einen Seite nach oben geht, geht er auf der anderen Seite auch wieder hinunter”, sagt er und fügt – mit Bezug auf Joschka Fischer – hinzu: Das wichtigste nationale Interesse sei nach wie vor die europäische Einigung. Janna Degener-Storr
Emma Wiesner spricht Deutsch – sehr deutliches Deutsch sogar, wie die schwedische Renew-Abgeordnete am Montagabend im EU-Parlament bewies. Dass Wiesner ihre Sprachkenntnisse so öffentlichkeitswirksam präsentierte, lag am Adressaten ihrer Worte. Der sitzt in Berlin, in der Bundesregierung – genauer gesagt: in der FDP. “Ich spreche als Schwedin, als Parlamentarierin, als junge Europäerin, als Liberale: Bitte setzen Sie sich für das Fit-for-55-Paket ein und hören Sie auf, zentrale Elemente wie das Verbrenner-Aus zu blockieren.”
Wiesner forderte die FDP direkt auf, die Verschärfung der EU-Flottengrenzwerte und das damit verbundene Verbrenner-Aus 2035 nicht mehr länger zu blockieren. Denn das schade dem Klimaschutz. “Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich Deutschland den Wert von Klimaschutzmaßnahmen erklären muss.” Doch wenn die Zukunft des Fit-for-55-Pakets auf dem Spiel stehe, erfordere es “extreme Maßnahmen”, so die Schwedin.
Was Wiesners Appell so eindringlich macht: Sie gehört zur selben europäischen Parteienfamilie wie die FDP. Es sei “absolut unverantwortlich”, bereits vereinbarte Gesetzesvorschläge im Rat zu blockieren, wetterte sie und warnte: “Fit for 55 ist zerbrechlich und befindet sich in einem zerbrechlichen Gleichgewicht. Nimmt man ein entscheidendes Teil heraus, bricht es zusammen.” Damit spielte sie darauf an, dass auch andere Länder ihre Meinung in letzter Minute ändern könnten. So stünden alle Verhandlungserfolge der vergangenen Monate doch noch auf der Kippe.
Ob Wiesners Worte die erhoffte Wirkung einbrachten, wird sich zeigen. Von der Sitzungsvorsitzenden wurde sie jedoch für ihr “ausgezeichnetes Deutsch” beglückwünscht.
Der Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Stéphane Séjourné, äußerte am Dienstag ebenfalls Unverständnis für die Haltung der FDP. Lukas Scheid