Innovativ handeln Organisationen meist nicht, weil sie sich etwas völlig Neues ausdenken, sondern weil sie Altbekanntes neu verbinden.
So könnten etwa die Strukturen von Weltbank und IWF so reformiert werden, dass die beiden Institutionen ärmeren Mitgliedsländern wesentlich stärker helfen könnten, ihre SDG- und Klimaziele zu erreichen. Über erste Schritte und eine vertane Großchance auf der Frühjahrskonferenz berichten Carsten Hübner und ich.
Um Sozialinnovationen ging es in einem Experiment in Großbritannien: Können Mitarbeiter ihre Arbeitszeit verringern, während das Unternehmen gleich viel Umsatz macht und zudem noch seine Klimabilanz verbessert? Stefan Boes hat sich die Ergebnisse angesehen.
Über ein zentrales ESG-Risiko für Investoren und Unternehmen schreibt Ineke Zeldenrust in ihrem Standpunkt: Lohn- und Abfindungsdiebstahl. Die Koordinatorin der internationalen Aktivitäten der Clean Clothes Campaign argumentiert für eine erprobte Innovation – verpflichtende Vereinbarung zwischen Marke, Produzenten und Gewerkschaften.
Um die Frage, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorankommen, geht es im Interview mit Niklas Meyer Breitkreutz vom Bitkom. Die Fragen stellte Marc Winkelmann anlässlich des Digital Sustainability Summit des Verbands heute in Berlin.
Aber es gibt auch umstrittene Innovationen – wie die Idee der EU, auch Kernenergie und Gas in die Taxonomie aufzunehmen. Dagegen klagen einige NGO nun vor dem EUGH. Thema von Verena von Ondarza.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Die Weltbank will in den kommenden zehn Jahren zusätzliche Kredite in Höhe von insgesamt 50 Milliarden US-Dollar vergeben. Das hat sie auf ihrer Frühjahrstagung vergangene Woche in Washington, D.C. beschlossen. Den Großteil des Geldes will die Entwicklungsbank durch ein niedrigeres Verhältnis von Eigenkapital zu Krediten von 20 auf 19 Prozent bereitstellen. Neben ihrer Kernaufgabe, der Armutsbekämpfung, will die Weltbank Entwicklungsländer in Zukunft auch bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, Pandemien oder anderen globalen Krisen finanziell unterstützen.
Der Beschluss gilt als erster Schritt einer Reform, die die USA und Deutschland im Herbst angestoßen haben. Am Ende soll ein neues Leitbild stehen. “Wir wollen, dass die Weltbank zu einer Transformationsbank wird, die Lösungen im Einsatz gegen globale Krisen voranbringt”, sagt Nils Annen, Parlamentarischer Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ). Ziel sei es, ihre finanziellen Möglichkeiten für “den sozial gerechten Umbau der Weltwirtschaft” zu nutzen, so Annen.
Im Zentrum des Reformvorschlags steht, bei der Kreditvergabe künftig auch die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Projekten zu berücksichtigen. Denn aus Sicht des BMZ setzt die Weltbank bisher zu wenig Anreize für nationale Maßnahmen, die der ganzen Welt zugutekommen – etwa im Bereich der Energiewende. Die Weltbankgruppe ist mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar der weltweit größte Finanzier nachhaltiger Entwicklung. Die USA und Deutschland halten zusammen knapp 20 Prozent der Anteile. Beschlossen werden soll die Reform im Herbst dieses Jahres.
Allerdings erfüllt die Reform nach Ansicht von Kritikern “nicht die Erfordernisse”. Durch die veränderten Eigenkapitalanforderungen werde die Fähigkeit der Weltbank, Kredite an Staaten im globalen Süden zu vergeben, “nur sehr geringfügig um vier Milliarden Dollar erhöht“, heißt es beim World Future Council (WFC). Nur für die Umsetzung der globalen Energiewende brauche es laut Weltklimarat (IPCC) Investitionen von mindestens 2,4 Milliarden US-Dollar. Damit wäre die Weltbank überfordert, selbst wenn sie ihren Spielraum voll ausschöpfen würde.
Deutlich mehr Wirkung erzielen könnte der Internationale Währungsfonds (IWF) laut WFC mit seinen Sonderziehungsrechten, also jener international einsetzbaren Reservewährung, die der IWF schaffen kann, wenn seine Mitglieder es beschließen. Die Mittel kann er kostenlos an seine Mitglieder verteilen. Zuletzt hatte der IWF 2021 Sonderziehungsrechte im Wert von 650 Milliarden US-Dollar geschaffen. Allerdings erfolgt die Zuteilung der Mittel entsprechend der Anteile der Staaten an dem IWF. Weil ärmere Länder nur geringe Anteile halten, erhielten sie auch nur einen kleinen Bruchteil der neu geschaffenen Mittel. Der Löwenanteil ging an die wohlhabenderen Staaten. Die Machtverteilung im IWF und der Weltbank kritisieren die Länder des Globalen Südens seit Langem.
Die IWF-Mitgliedsländer aus dem Globalen Westen verspielten leider gerade eine “große und dazu für sie noch kostenlose Möglichkeit, die finanziellen Handlungsmöglichkeiten des Globalen Südens für mehr Klimainvestitionen zu erhöhen”, sagt Matthias Kroll, Chefökonom des World Future Council. Dies sei umso erstaunlicher, weil die westlichen Staaten mit der Reform eine Chance hätten, den Staaten des globalen Südens entgegenzukommen “und damit dem wachsenden Einfluss ihrer aufstrebenden geopolitischen Wettbewerber zu begegnen.” So hat China seinen Einfluss im Globalen Süden massiv ausgebaut.
Die Regierung von Barbados hatte die Schaffung von Sonderziehungsrechten für einen Klimafonds in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar vorgeschlagen, um damit zinsgünstige Kredite für den globalen Süden zu ermöglichen.
Massive Investitionen tätigen müssen die Länder des Globalen Südens aber auch, um ihre sonstigen Transformationsziele zu erreichen, wie sie etwa aus den SDG folgen. Zur Umsetzung müssen die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen laut der Weltbank zwischen 2015 und 2023 jährlich alleine 1,5 bis 2,7 Milliarden US-Dollar aufbringen, um die notwendige Infrastruktur zu schaffen.
Tatsächlich gibt es in einigen Feldern der angestrebten sozialen und ökologischen Transformation Rückschritte, besonders aufgrund der Finanzlage. “Wir beobachten in vielen dieser Länder gefährlich hohe Schuldenstände, die zu einer Verringerung des fiskalischen Spielraums von Regierungen führen, in Entwicklung zu investieren”, sagt in einem Interview der NGO VENRO Axel Berger, Geschäftsführender Direktor des SDSN Germany.
Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Düngemitteln für deren Anbau sei gefährdet. Dies alles habe zur Folge, “dass wir seit zwei Jahren Rückschritte bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beobachten müssen”. Gerade jetzt müsse man also in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren, um aktuelle und präventiv zukünftige Krisen zu vermeiden.
Während sich die Bundesregierung in der Weltbank für eine Aufstockung des bisherigen Kreditrahmens einsetzt, drohen dem BMZ hierzulande starke Haushaltskürzungen. Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), warnte vor einem “entwicklungspolitischen Kahlschlag”. Die Organisation rechnet für das Jahr 2024 mit einem Rückgang des Budgets von 0,83 auf nur noch 0,66 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Dies ergebe sich laut VENRO aus Daten der OECD, des Internationalen Währungsfonds und der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung bis 2022. Damit, so warnte Mogge, würde Deutschland de facto “einen Rückzug aus der internationalen Solidarität” antreten. Carsten Hübner und Caspar Dohmen
Die Vier-Tage-Woche führt zu mehr Wohlbefinden, deutlichen Klimaersparnissen, ohne ökonomische Nachteile und könnte damit ein wichtiger Baustein für die sozial-ökologische Transformation sein. Das ist das Ergebnis zahlreicher Untersuchungen und dem bisher größten Test. In Großbritannien reduzierten rund 2.900 Beschäftigte in 61 Unternehmen sechs Monate lang ihre Arbeitszeit. Ihr Gehalt blieb gleich. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt es Experiments berichteten Firmen, dass die Produktivität sogar gestiegen sei. Die Soziologin und leitende Wissenschaftlerin des Projekts, Juliet Schor vom Boston College, sprach von einem “historischen Versuch”. Er lief von Juni bis Dezember 2022. Der britische Thinktank Autonomy hat den Pilotversuch mit dem Boston College und der Universität Cambridge wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.
Die Ergebnisse lassen sich nur als Erfolg werten: Vier von zehn Beschäftigten gaben an, weniger gestresst zu sein als vor Beginn des Versuchs. Das Burn-out-Risiko sank um 71 Prozent. Angstzustände, Müdigkeit und Schlafprobleme nahmen ebenfalls ab, während sich die geistige und körperliche Gesundheit verbesserte. 54 Prozent der Beschäftigten fiel es außerdem leichter, Beruf und Haushalt zu vereinbaren. 60 Prozent gaben an, dass sie ihre bezahlte Arbeit besser mit ihren Care-Aufgaben vereinbaren konnten.
Die bessere Gesundheit und höhere Zufriedenheit wirken sich auch auf den wirtschaftlichen Erfolg aus. Durchschnittlich stieg der Umsatz der beteiligten Unternehmen während der Testphase um 1,4 Prozent. Unternehmen hatten auch weniger Fehlzeiten zu beklagen: Im Testzeitraum ging die Zahl der Krankheitstage um rund zwei Drittel zurück. Zudem fiel die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, um mehr als die Hälfte. Inzwischen haben 56 von 61 Unternehmen die Vier-Tage-Woche verlängert. 18 Firmen entschieden, dass sie das Modell langfristig behalten werden.
Wie schon bei einem früheren Test in Island waren auch in Großbritannien Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen beteiligt: IT-Firmen, Werbeagenturen, Versicherungen, Finanzinstitute, Gesundheitsdienste, Non-Profit-Organisationen und produzierende Betriebe. Sogar ein Fish-und-Chips-Geschäft war dabei. Teilgenommen haben vor allem kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 25 Angestellten. Rund ein Viertel der Firmen hatte mehr als 50 Beschäftigte.
Wegen der Vielfalt hatten es die Organisatoren es mit ganz unterschiedlichen Anforderungen, Arbeitsweisen und Unternehmenskulturen zu tun. Von einem “One-Size-Fits-All”-Modell sahen die Organisatoren ab. So entschieden sich viele Firmen dafür, nur noch von Montag bis Donnerstag zu arbeiten. Andere, in denen fünf Werktage abgedeckt werden müssen, überließen es ihren Beschäftigten, welchen Tag sie freinahmen. Oder sie fanden einheitliche Lösungen für einzelne Teams. In anderen Firmen wiederum, etwa in Restaurants, ist es sinnvoller, eine auf das Jahr betrachtete 32-Stunden-Woche einzuführen, mit längeren Arbeitszeiten im Sommer, und kürzeren im Winter. Entscheidend sei eine spürbare Arbeitszeitreduzierung bei gleichbleibendem Gehalt, heißt es in der Auswertung von Autonomy.
Gerade laufen die Vorbereitungen für einen Pilotversuch in Australien. Auch in Spanien, Japan, Neuseeland und den USA wurde die Vier-Tage-Woche bereits in größerem Umfang getestet. In Belgien gibt es seit November sogar einen Rechtsanspruch. Daran gibt es aber auch Kritik, weil damit keine Arbeitszeitverkürzung verbunden ist. Wer eine 40-Stunden-Woche hat, muss demnach zehn Stunden an vier Tagen arbeiten. Der Test in Spanien war, anders als in Großbritannien, mit einer Gehaltsreduzierung verbunden. Und Japan beließ es zunächst bei Ermutigungen der Arbeitgeber. Die Resonanz war überschaubar.
Dass es in Deutschland bisher keinen systematischen Test gibt, heißt nicht, dass die Vier-Tage-Woche hierzulande noch nicht angekommen wäre. Der Unternehmer, Redner und Autor der Bücher “Mythos Fachkräftemangel” und “Rock Your Work” Martin Gaedt hat gerade sein neues Buch “4-Tage-Woche” veröffentlicht. Er stellt darin 151 Praxisbeispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor. Die Vier-Tage-Woche sei in der DACH-Region viel größer als bisher angenommen. “Die Menge der Beispiele hat mich überrascht”, sagt er.
“Die Vier-Tage-Woche läuft im Handwerk, in der Produktion, Hotellerie und ambulanter Pflege sowie im Einzelhandel. Neu war für mich, dass immer mehr Friseure nur noch dienstags bis freitags öffnen und so profitabel wie vorher sind. Immer mehr Bäcker fokussieren sich auf leckeres Brot, das sie vormittags backen und nachmittags – an vier Tagen – verkaufen. Das ist profitabel, und sie finden viele Bewerber”, sagt Gaedt. Positiv überrascht habe ihn in allen erfolgreichen Beispielen der Leitgedanke, den Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun und sie zu entlasten. “Diese Fürsorge steigert die Produktivität.”
Martin Gaedt belegt mit seinen Beispielen, dass die Vier-Tage-Woche nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen stehen muss. Viele Untersuchungen und Praxisbeispiele deuten inzwischen auf das Gegenteil hin. Darüber hinaus wird Arbeitszeitverkürzung häufig als Lösung für nachhaltigeres Wirtschaften und besseren Klimaschutz gesehen. Auch dafür findet Gaedt Belege: Eine Straßenbaufirma habe mit einer Vier-Tage-Woche in zehn Monaten 72 Tonnen CO₂ und 160.000 Euro Benzin- und Wartungskosten eingespart. Weil die Fahrzeuge nur noch an vier Tagen Baustellen anfahren und freitags auf den Parkplätzen bleiben, konnte eine Strecke von mehr als 200.000 Kilometern vermieden werden, rechnet das Unternehmen vor. Es leistete trotzdem den gleichen Arbeitsumfang und erzielte den gleichen Umsatz wie im Vorjahr. “Würden alle Firmen 20 Prozent ihrer Energiekosten sparen und würden Menschen 20 Prozent weniger zum Arbeitsplatz pendeln, wäre Arbeitszeit ein riesiger Hebel für Klimaschutz”, ist Gaedt überzeugt.
Juliet Schor vom Boston College, die den Pilotversuch in Großbritannien leitete, sieht das ähnlich: “Obwohl die Klimavorteile am schwierigsten zu messen sind, haben wir viele Untersuchungen, die zeigen, dass im Laufe der Zeit, wenn Länder die Arbeitszeit reduzieren, auch ihre CO₂-Emissionen sinken”, sagte sie gegenüber der BBC. Die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf die Beschäftigten sind gut erforscht. Wie sich kollektive Arbeitszeitverkürzung aber ökologisch auswirkt, hängt maßgeblich davon ab, was die Menschen mit ihrer freien Zeit machen. Stefan Boes
Herr Meyer-Breitkreutz, über die Digitalisierung wird viel diskutiert, über Nachhaltigkeit ebenfalls. Wie sieht’s bei den Wechselwirkungen aus – wird beides schon zusammen gedacht und angegangen?
In unserem Verband haben wir mehr als 2.000 Mitgliedsunternehmen, darunter Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Konzerne. Einige sind schon weit bei dieser Frage, andere noch am Anfang. Übergreifend kann ich sagen, dass beide Themen für den Bitkom untrennbar zusammengehören. Die Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit funktionieren nicht ohne Digitalisierung – und eine Digitalisierung ohne grünes Fundament kann ebenfalls nicht zukunftsfähig sein.
Bei Ihrem “Digital Sustainability Summit” am Mittwoch in Berlin sprechen Sie von einer Zwillingstransformation, vor der die Wirtschaft steht. Inwiefern ähneln sich beide denn?
Beide sind grundlegende Transformationen und Querschnittsaufgaben, die einen ganzheitlichen Blick erfordern. Bei der Nachhaltigkeit sprechen wir üblicherweise von den drei Dimensionen ökologisch, sozial und ökonomisch. Diese lassen sich auch auf die Digitalisierung übertragen. Unternehmen müssen beides zugleich bewältigen: weil man sonst nicht mehr wettbewerbsfähig ist und weil es immer mehr Regularien gibt.
Der Druck kommt also von beiden Seiten.
Ja, und er führt zu drei Aufgaben. Wir müssen die Potenziale digitaler Technologien für mehr Nachhaltigkeit ausschöpfen und vorbildliche Beispiele bekannt machen, sodass diese möglichst breit eingesetzt werden. Wir müssen unser Verständnis von zukunftsfähigen Geschäftsmodellen nochmal deutlich hinterfragen – sie müssen nachhaltig digital sein und auf der Kreislaufwirtschaft basieren. Und wir müssen die digitale Wirtschaft insgesamt dekarbonisieren.
Welche Beispiele einer nachhaltigen Digitalisierung halten Sie für vielversprechend?
Da gibt es viele, etwa Start-ups, die sich auf das digitale Messen, Steuern und Reduzieren von Treibhausgasemissionen spezialisiert haben und Unternehmen helfen, ihre ESG-Pflichten zu erfüllen. In der industriellen Fertigung kann man mit digitalen Zwillingen Prozesse virtualisieren, sodass weniger Energie und Ressourcen verbraucht werden. Stahlschnittplatten sind ebenfalls ein gutes Beispiel – mithilfe von Software lässt sich der Materialüberschuss reduzieren. Außerdem können Anbieter und Nachfrager zusammengebracht werden, um diese Reste noch zu verarbeiten.
Im Mobilitätssektor, der hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit noch große Aufgaben vor sich hat, können Sensoren in der Straße und den Ampeln helfen, den Verkehr effizienter zu lenken. Oder denken Sie an Gebäude, wo der Handlungsdruck ebenfalls hoch ist. Digitale Technologien stellen Heizkessel im Winter viel besser auf den tatsächlichen Bedarf im Haus ein als analoge.
Andererseits werden negative Folgen immer sichtbarer. Die Digitalisierung benötigt Ressourcen und Energie, die Elektroschrottberge wachsen, das Internet bietet Einfallstore für Hacker. Das Bundesumweltministerium hat deshalb die “Corporate Digital Responsibility”-Initiative gestartet – Unternehmen sollen darüber berichten, wie verantwortungsvoll sie mit der Digitalisierung umgehen. Ein richtiger Ansatz?
Es ist grundsätzlich sinnvoll, sich bewusst mit dem Einsatz digitaler Technologien auseinanderzusetzen. Und man kann nur das verbessern, was man zuvor erfasst hat. Aber gerade im Umweltbereich wird bereits sehr viel reguliert, insbesondere auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Initiativen, die mehr Berichtspflichten für Unternehmen nach sich ziehen. Wir müssen sehen, dass wir Maß und Mitte halten.
Wie bewerten Sie den digitalen Produktpass? Er soll Verbrauchern mehr Informationen vermitteln, etwa über die Herkunft oder die Reparierfähigkeit eines Produkts, und Hersteller dazu animieren, ihre Lieferketten zu digitalisieren. Bei Batterien ist der Prozess vorangeschritten, für weitere Produktgruppen prüft die EU derzeit die Umsetzung.
Der digitale Produktpass ist ein sehr positives Beispiel dafür, was digitale Technologien zur Kreislaufwirtschaft beitragen können und wie sich Informationslücken schließen lassen – das betrifft Verbraucher, aber vor allem auch Akteure wie Unternehmen und Behörden. Es kommt jetzt auf die Ausgestaltung und Standardisierung an, insbesondere auf den Informationsgehalt der Pässe. Wir möchten, dass noch stärker unterschieden wird: Welche Akteure benötigen welche Daten und was muss tatsächlich zur Verfügung gestellt werden? Das ist noch nicht klar.
Europa ist kein Vorreiter beim Entwickeln von digitalen Technologien. Anders als in den USA oder China arbeiten insbesondere in Deutschland aber vergleichsweise viele in Wirtschaft, Forschung und Politik an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Kann daraus für uns ein Exportschlager entstehen?
Ich beurteile aus europäischer Perspektive ungern die Arbeit oder den Stand anderer Regionen der Welt. Aber es stimmt schon: Wenn man sich frühzeitig mit Green Tech und dem bewussten Einsatz digitaler Technologien für Nachhaltigkeit befasst, kann daraus für uns eine Chance entstehen. Wichtig ist nur, dass wir nachhaltig wirkende Technologien noch mehr und in der Breite fördern. Wenn man einen Exportschlager hinbekommen möchte, braucht man zunächst den eigenen Markt. Dazu gehört, dass die öffentliche Beschaffung stärker ihren Nachhaltigkeitshebel einsetzen sollte, um Innovationen von Start-ups zu unterstützen. Und man sollte insbesondere kleine und mittelständische Firmen beim Kompetenz- und Kapazitätsaufbau unterstützen.
Passiert das schon?
Mittelstandszentren bieten Beratungen an, aber diese sollten ausgebaut und stärker auf die Zwillingstransformation ausgerichtet werden. Wir haben kürzlich eine repräsentative Erhebung gemacht. 77 Prozent aller befragten Unternehmen erklärten, dass ihr CO₂-Ausstoß durch den Einsatz digitaler Technologien gesunken ist. Und die überwiegende Mehrheit sagte, dass sie einen klaren Wettbewerbsvorteil hat, wenn sie klimafreundliche Technologien einsetzt. Die Herausforderung besteht jetzt in dem, was ich zu Beginn sagte: Wir müssen den Transfer von guten Beispielen hinbekommen, betreuen und beraten. Das ist einerseits zwar ein alter Hut, bleibt aber trotzdem richtig.
19.4.2023, 9:00 Uhr
Öffentliche Anhörung im Wirtschaftsausschuss Mercosur-Abkommen Info
19.4.2023, 11:00-13:00 Uhr
Öffentliche Anhörung im Umweltausschuss Antrag der CDU/CSU-Fraktion über die Wiederherstellung der Natur Info
19.4.2023, 15:00-16:30 Uhr
Öffentliche Anhörung im Tourismusausschuss Wintersport und Tourismus im Zeichen des Klimawandels Info
19.4.2023, 17:15-18:00 Uhr
Plenum Erste Beratung zweier Anträge zur Lebensmittelverschwendung der Fraktionen CDU/CSU und Die Linke Info
19.4.2023, 18:00-18:45 Uhr
Plenum Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Nationale Wasserstrategie Info
20.4.2023, 11:50-13:10 Uhr
Plenum Zweite und dritte Beratung zweier Gesetze zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende Info
20.4.2023, 16:00-16:45 Uhr
Plenum Zweite und dritte Beratung eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts sowie eines Antrags der Fraktion Die Linke Info
20.4.2023, 19:00-19:45 Uhr
Plenum Erste Beratung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Öko-Landbaugesetzes und des Öko-Kennzeichengesetzes Info
20.4.2023, 20:30-21:00 Uhr
Plenum Schlussabstimmung über ein Gesetz zum Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2019 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt Info
20.4.2023, 21:30-22:00 Uhr
Plenum Erste Beratung eines Gesetzes zur baulichen Anpassung von Tierhaltungsanlagen Info
214.2023, 14:15-15:00 Uhr
Plenum Beratung des Antrags Mobilitätsgeld statt Pendlerpauschale von der Fraktion Die Linke Info
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider.
Es war ein Paukenschlag als die EU-Kommission am Neujahrstag 2022 bekannt gab, dass in der Taxonomie auch Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke als “nachhaltig” gelten sollen. Am Dienstag reichen Umweltverbände nun Klage gegen die Entscheidung vor dem EUGH ein.
Mithilfe der Taxonomie will die EU bis zum Jahr 2030 über eine Billion Euro in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft lenken. Mit der Entscheidung, Atom- und Gas-Investitionen unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig zu labeln, hatte sich die EU-Kommission sich über die Empfehlung der Plattform für Sustainable Finance hinweggesetzt. Das Expertengremium war von der Kommission beauftragt worden, die Taxonomie zu entwickeln. Sie hatte sich gegen ein Nachhaltigkeitslabel für die Atomwirtschaft ausgesprochen und für Gaskraftwerke sehr enge Grenzwerte definiert.
Dass die Kommission die Empfehlungen des eigenen Expertengremiums missachtet hat, ist nun Teil der Klage der Umweltverbände. Denn die Taxonomie muss nach den Regeln der Taxonomie-Verordnung verfasst werden und die wiederum sieht eine Konsultation der Plattform vor. Zudem verstoße die Entscheidung gegen das EU-Klimagesetz. Treibhausgasneutralität bis 2050 sei mit Atomkraft und Gaskraftwerken nicht zu erreichen, so die Umweltverbände auf einer Pressekonferenz.
Die NGO legten zwei Klagen vor. Die Greenpeace-Klage richtet sich gegen die Klassifizierung von Atomenergie als nachhaltig; die von ClientEarth, WWF, BUND und Transport & Environment gegen die Entscheidung, Investitionen in Gaskraftwerke als nachhaltig zu labeln. Bereits im Herbst hatte Österreich eine Klage eingereicht.
Sollten die Umweltverbände vor Gericht recht bekommen, ändert dies erstmal wenig. Das Gericht könnte die EU-Kommission damit beauftragen, den umstrittenen delegierten Rechtsakt zu Atom und Gas zu überarbeiten. Die Umweltverbände rechnen selbst damit, dass bis zu einem Urteil mehrere Jahre vergehen könnten. Und das sei fatal, sagt Greenpeace Anwältin Roda Verheyen. Denn die Taxonomie ist schon seit Anfang dieses Jahres in Kraft.
Was das bedeutet, erklärt sie am Beispiel des französischen Stromerzeugers Electricité de France. Dieses wolle mit grünen Anleihen, die an der Taxonomie ausgerichtet sind, die Instandhaltung seiner alten und schlecht gewarteten Atomreaktoren finanzieren. So würden Gelder von Investoren, die den Umstieg auf Erneuerbare Energien finanzieren wollten, in die Atomwirtschaft umgeleitet, so die Greenpeace-Anwältin. vvo
Das Europäische Parlament hat am Dienstag mit großer Mehrheit die Trilog-Einigungen zu den Kernelementen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Die Abgeordneten stimmten ab über:
Eine wesentliche Änderung des Emissionshandels besteht in der Verwendung der Gelder, die die Mitgliedstaaten beim Verkauf von Emissionsrechten einnehmen. Bisher waren die Mitgliedstaaten lediglich dazu aufgerufen (“should”), ihre Einnahmen wieder in Klimaschutzmaßnahmen, in die Energiewende oder in die soziale Abfederung höherer Kosten durch die CO₂-Bepreisung zu reinvestieren. Eine Verpflichtung war das nicht.
Mit der Reform wird dieser Aufruf nun zwar verstärkt, indem die Formulierung in “shall” geändert wird. Jedoch ist der rechtliche Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern umstritten. Eine unmissverständliche Verpflichtung wäre ein “must” gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie dieser Teil der Reform in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die Berichterstatter des EU-Parlaments kündigten am Dienstag an, die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung dieser Regeln genau zu überwachen.
Trotz der großen Mehrheiten für die Dossiers, die den European Green Deal in die Tat umsetzen sollen, gab es auch überraschende Gegenstimmen. Die französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV) und S&D-Delegation aus Frankreich stimmten anders ab als ihre jeweiligen Fraktionen. Die EELV-Abgeordneten stimmten gegen den ETS-Text, während sich die S&D-Leute enthielten. Grund dafür sind die französischen Erfahrungen mit den Protesten der Gelbwesten-Bewegung, heißt es im Umfeld beider Delegationen, die sich im Vorfeld der Abstimmung getroffen hatten.
Die Befürchtung, dass die zusätzlichen Kosten der CO₂-Bepreisung zu neuen Unruhen führen, ist immens. Der Text sei den sozialen Herausforderungen nicht gewachsen, sagte Éric Andrieu (S&D, Parti Socialiste) in einem Interview mit der französischsprachigen Presse. “Es gibt noch zu viele Unklarheiten über die Auswirkungen der Einbeziehung des Verkehrs- und Wohnungssektors in den CO₂-Markt auf die am stärksten gefährdeten Haushalten.”
Marie Toussaint (Greens, EELV) weist auf das Risiko einer “Preisexplosion” im Verkehrs- und Wohnungssektor ab 2030 hin. Zwar gibt es im ETS 2 einen Preisstabilitätsmechanismus, der bis 2030 gilt und den CO₂-Preis auf maximal 45 Euro pro Tonne begrenzen soll. “Aber was passiert, wenn dieser Preis nicht mehr garantiert werden kann?”, fragt Toussaint und prognostiziert, dass das Preissteigerungspotenzial in erster Linie die am stärksten gefährdeten Gruppen treffen wird. “45 Euro pro Tonne CO₂ bedeutet in Frankreich einen Preisanstieg an der Zapfsäule um 10 Cent pro Liter”, sagt sie.
Die Architektur des ETS beruhe auf den Prinzipien des Marktes, so Toussaint. Dies bedeute, dass der Markt nicht in der Lage sei, die Vorhersehbarkeit der Kohlenstoffpreise für den Verkehrs- und Wohnungssektor zu gewährleisten. Die französischen Grünen plädieren stattdessen für eine Besteuerung der Finanzanlagen und Gewinne von Energiekonzernen, die infolge des durch den Krieg in der Ukraine verursachten Anstiegs der Energiepreise “explodiert” sind. cst/luk
Der Bundesrechnungshof kritisiert die fehlende Transparenz bei Investitionen in den Klimaschutz. Es sei völlig unklar, wie erfolgreich die Milliarden des Bundes seien und ob sie sich überhaupt lohnten, hieß es am Dienstag in neuen Prüfungsergebnissen des Gremiums. Auf dem Weg hin zu Klimaneutralität benötige der Bund allein bis 2030 einen dreistelligen Milliardenbetrag. Die Bundesregierung brauche daher ein genaues und umfassendes Bild über die Auswirkungen ihres politischen Handelns auf den Klimaschutz, auch um Zielkonflikte rechtzeitig identifizieren und nachsteuern zu können. “Sie muss daher ihre Ausgaben und Einnahmen dahingehend bewerten, ob sie klimafreundlich, klimaneutral oder klimaschädlich sind und diese Informationen in einem ‘Klimahaushalt’ zusammenfassen. Außerdem sollte sie im Klimaschutzbericht für alle Maßnahmen auch die Treibhausgasminderungen sowie den damit verbundenen Mittelbedarf angeben.”
Handlungsbedarf sieht der Rechnungshof auch im Gebäudemanagement. Hier habe der Bund seine jahrzehntealten Vorgaben für Büroflächen nicht an flexible und mobile Arbeitsformen angepasst. “Mittlerweile benötigt er deutlich weniger Büroflächen, sodass unnötige Ausgaben in Millionenhöhe entstehen. Wenn die zivilen Bundesbehörden 20 Prozent der Büroflächen aufgeben würden, könnte der Bund jährlich mindestens 300 Millionen Euro Kaltmiete sparen.” Im Ergebnis müssten weniger Gebäude saniert und beheizt werden. Neubauten sollten auf ein Mindestmaß beschränkt werden. “Er braucht unverzüglich Vorgaben für eine zeitgemäße Büroflächenplanung und ein Programm zur Flächenreduzierung.” rtr
Für die Transformation der Energieerzeugung in Europa sind Wärmepumpen essenziell. Noch sind hiesige Hersteller international wettbewerbsfähig und wachsen rasch. Doch die EU verzeichnet einen signifikanten Anstieg an Konkurrenzprodukten aus China. Viele Komponenten stammen schon aus der Volksrepublik. Droht den aufstrebenden Akteuren hierzulande das gleiche Schicksal wie vor 15 Jahren der deutschen Fotovoltaik-Industrie? Sie ging angesichts des Ansturms günstiger Anlagen – staatlich subventionierter – Hersteller aus China in die Knie. Viele Anbieter gaben auf.
Die meisten Hersteller von Wärmepumpen sind schon jetzt bei zentralen Bestandteilen von Importen aus dem außereuropäischen Ausland abhängig. Und das heißt sehr oft: von China. Die Abhängigkeit betrifft vor allem:
Das Fraunhofer-Institut schätzt den chinesischen Anteil am deutschen Wärmepumpen-Markt auf 20 Prozent. In der EU bedienen aktuell vor allem europäische Hersteller den Bedarf, die Europäische Kommission beziffert deren Marktanteil in der EU auf 73 Prozent. Die Einfuhren aus China seien in den vergangenen beiden Jahren zwar gestiegen, schreibt die Brüsseler Behörde, allerdings von einem niedrigen Niveau aus und vor dem Hintergrund einer insgesamt sehr raschen Entwicklung.
Der Markt in der EU wächst derweil mit 35 Prozent so schnell wie keine andere Region der Welt. Bis 2030 könnte der Jahresabsatz auf sieben Millionen Geräte steigen, erwartet die Internationale Energie-Agentur (IEA). Im Jahr 2021 waren es noch zwei Millionen. Das anvisierte Volumen hat in China Begehrlichkeiten geweckt.
Deutsche Hersteller bauen derweil mit Millioneninvestitionen ihre Kapazitäten aus. Vaillant steigerte seine Kapazität mit der Eröffnung einer Mega-Fabrik im slowakischen Senica um jährlich 300.000 Wärmepumpen auf weit über eine halbe Million Geräte. Viessmann, Europas Nummer zwei unter den Herstellern, will bis 2025 eine Milliarde Euro in den Ausbau seiner Produktion investieren.
Wie aggressiv China Europas Märkte ins Visier nimmt, konnte man schon Anfang 2022 bei den Luftwärmepumpen beobachten. Deren Exporte schnellten nach oben. Allein nach Bulgarien ging mehr als das siebenfache Volumen, nach Polen das fünffache, nach Italien das dreifache. Zu den größten Wärmepumpenlieferanten der Volksrepublik gehören Haushaltsgerätehersteller wie Gree, Midea oder Haier. ck/tk
Aus der starken Einbindung des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus in internationale Wertschöpfungsketten ergeben sich Risiken. Der Maschinenbau “beliefert Unternehmen und Staaten, denen teilweise schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden”, schreiben die kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure (Misereor, Germanwatch, Transparency International, Gegenströmung) in einer am Montag veröffentlichten Studie. Sie fordern eine stärkere Regulierung der nachgelagerten Lieferketten. An der Frage war 2021 ein Branchendialog zwischen Zivilgesellschaft und Maschinenbau-Branche gescheitert. Ein Fehler aus Sicht der NGO, eine Folge “falscher Schwerpunkte” des Vorhabens aus Sicht des VDMA.
Bei den bisherigen nationalen Lieferkettengesetzen steht die vorgelagerte Beschaffung im Vordergrund. Die NGO sehen aber einige Hebel für deutsche Unternehmen, um auch bei der Verwendung ihrer Produkte die Lage für Mensch- und Umwelt zu verbessern:
Die NGO erhoffen sich eine weitergehende Regulierung der EU, durch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive. “Auf EU-Ebene muss das nachgeholt werden, was auf deutscher Ebene im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz versäumt wurde”, sagt Armin Paasch, Referent für verantwortliches Wirtschaften bei Misereor. “Dass der VDMA diese Sorgfaltspflichten mit Blick auf die Verwendung von Maschinen ablehnt, ist völlig indiskutabel.”
Große Sorgen hegt dagegen der VDMA gegenüber Table.Media: Sollte die Verantwortung für das Verhalten internationaler Kunden tatsächlich auf europäische Unternehmen abgewälzt werden, bliebe häufig nur der Rückzug aus solchen Projekten und gegebenenfalls ganzen Ländern, mit der Folge, dass ein Zulieferer aus einem anderen nicht-europäischen Land und unter Umständen mit schlechteren Sicherheits- und Umweltstandards in das Kundenprojekt einsteige.
Aber noch ist zwischen Rat und Kommission strittig, “wie Sorgfaltspflichten für die nachgelagerte Wertschöpfungskette ausgestaltet sein sollen”. Offen ist auch noch, ab welcher Unternehmensgröße die Richtlinie greifen soll. Die NGO fordern auch alle KMU aus risikoreichen Bereichen einzubeziehen. Nach den bisherigen Plänen der EU-Kommission bleiben zahlreiche Maschinen- und Anlagebauer außen vor. Nur etwa jede fünfte hiesige Firma wäre betroffen.
Deutschland ist der drittgrößte Maschinen- und Anlageproduzent weltweit. Für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen spielen weitverzweigte Lieferketten eine wesentliche Rolle. Darauf verwies gegenüber Table.Media Claudia Barkowsky, die das VDMA-Verbindungsbüro in China leitet. “Je global verzweigter unsere Lieferketten sein dürfen, desto niedriger sind unsere Kosten. Das gilt vor allem für Deutschland und Europa.” cd
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat Anfang der Woche seinen Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2022 vorgelegt. Demnach sind die Emissionen in Deutschland gegenüber 2021 um 1,9 Prozent von 760,4 auf 746,2 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gesunken.
Allerdings ist der Rückgang nach Einschätzung des ERK vor allem krisenbedingt. Ohne den Krieg in der Ukraine wären die Treibhausgasemissionen um rund neun Millionen Tonnen höher als im Vorjahr. Zudem sei der Ausbau nicht-fossiler Alternativen im Jahr 2022 deutlich langsamer vorangeschritten als geplant, so der ERK.
Hinzu kommt: Während alle anderen Sektoren die Zielwerte des Klimaschutzgesetzes unterschreiten, liegen sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor wie im Vorjahr über den Grenzwerten. Dabei sind die Emissionen im Gebäudesektor zumindest zurückgegangen. Im Verkehrssektor hingegen stiegen sie weiter an. Das Klimaschutzgesetz schreibt für jeden Sektor konkrete CO₂-Obergrenzen für jedes Jahr vor.
Laut Gesetz müssen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nun innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Denn auf Drängen der FDP hat der Koalitionsausschuss Ende März vereinbart, das Klimaschutzgesetz an entscheidender Stelle zu ändern. Künftig soll es unter anderem möglich sein, Überschreitungen der Zielwerte in einzelnen Sektoren durch Unterschreitungen in anderen Sektoren auszugleichen.
Der ERK hält den Schritt für nicht zielführend. “Eine mögliche Aufweichung der ausdrücklichen Ressortverantwortung sowie die verschiedenen Überlegungen zur Änderung des Steuerungsmechanismus im Klimaschutzgesetz erhöhen das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen“, erklärt die stellvertretende ERK-Vorsitzende Brigitte Kopf bei der Vorstellung des Berichts. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht in der geplanten Abschaffung der jährlichen Sektorziele sogar einen “Generalangriff auf den Klimaschutz“.
Die Grünen forderten am Dienstag vom Kanzleramt eine Klarstellung, dass Verkehrsminister Volker Wissing doch ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz vorlegen muss. “Das Klimaschutzgesetz gilt – und es gilt für alle”, sagte die Co-Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Es brauche daher eine “unmissverständliche Klarstellung” des Kanzleramts. Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP müsse sich natürlich an die eigenen Gesetze halten. ch/rtr
Unternehmen müssen künftig detailliert darlegen, wie nachhaltig sie wirtschaften. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) unterstützt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dabei, diese Berichtspflichten zu erfüllen. Wie der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) als Initiator des DNK in der vergangenen Woche mitteilte, haben seit dem Start bereits 1.000 Interessenten das kostenlose Angebot genutzt. Allein in den vergangenen zwei Jahren habe sich die Zahl der anwendenden Unternehmen vervielfacht.
“Es ist ein großer Erfolg, dass große und kleinere Unternehmen freiwillig und transparent anhand der Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex über ihre Aktivitäten berichten”, begrüßte Bundeskanzler Olaf Scholz das wachsende Interesse. Diese Unternehmen seien “Pioniere des Wandels”, so Scholz. Auch der RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann bezeichnete den Kodex als “Erfolgsgeschichte“. “In ganz Deutschland und darüber hinaus machen Unternehmen mit dem DNK sichtbar, welchen Beitrag sie zur Erreichung gemeinsamer Ziele wie den Sustainable Development Goals oder der Pariser Klimaziele leisten”, betonte er.
Der DNK wurde im Oktober 2011 vorgestellt und bildet Nachhaltigkeit im unternehmerischen Handeln anhand von 20 Kriterien ab. Dazu gehören Themen wie Klimaschutz, Ressourcenmanagement und die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten. Der DNK ist modular aufgebaut und auf freiwilliger Basis anwendbar. Er kann aber auch von Unternehmen genutzt werden, die Berichtspflichten erfüllen müssen.
Und davon gibt es immer mehr. Seit Anfang Januar 2023 gilt in der EU die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Allein in Deutschland sind davon rund 15.000 Unternehmen direkt betroffen. Ihre Berichtspflicht beginnt 2025 für das Geschäftsjahr 2024. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben, wird der DNK nun an die Anforderungen der CSR-Richtlinie angepasst. Dazu werden die neuen europäischen Berichtsanforderungen gebündelt und insbesondere für KMU leicht zugänglich gemacht, heißt es seitens des RNE. ch
Zu streng oder zu unverbindlich? Banken streiten über die globale Klima-Allianz – Handelsblatt
Die Glasgow Financial Alliance for Net Zero, ein Zusammenschluss von Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern, die sich auf Netto-Null Emissionen bis 2050 verpflichtet haben, stehe vor einer Zerreißprobe, berichtet Felix Stippler. Kleinere Firmen drohten mit Austritt, weil die Großen zu wenig machten. Zum Artikel
Marcel Fratzscher zur deutschen Industriepolitik: “Ich halte das für einen Irrweg” – Handelsblatt
Der Chef des DIW kritisiert die Strategie der Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft mit Subventionen und Protektionismus wettbewerbsfähig machen zu wollen. Stattdessen brauche es bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen, damit diese Innovationen vorantreiben können, die nötig sind, um die ökologische und digitale Transformation zu schaffen. Zum Artikel
Three ways to solve the plastics pollution crisis – Nature
Diana Kwon analysiert, wie Politik und Wirtschaft die Umweltverschmutzung durch Plastik verringern können. Sie berichtet über Vorhaben, Plastik besser zu recyclen, etwa mit Enzymen, sowie über die Entwicklung von Bioplastik. Voraussetzung für Verbesserungen sei aber auch, dass die Wirkungen von Maßnahmen, etwa zur Reduzierung von Plastik, überwacht und evaluiert werden. Zum Artikel
Landwirte verlieren Interesse an Umstellung auf Bio – Top Agrar
Die Zahl der konventionell arbeitenden Landwirte, die ihren Betrieb auf Bio umstellen oder Interesse daran haben, geht seit Jahren zurück. Das berichtet Christina Selhorst und zitiert aus einer Umfrage des Bauernverbandes. Als Hauptgrund gelten vor allem das zu geringe “Preispremium der Öko-Erzeugerpreise” und die “als zu gering wahrgenommene Absatzsicherheit”. Zum Artikel
Why Africa is one of the most unequal continents in the world – The Economist
Die Autoren berichten über Ungleichheit in Afrika und greifen neue Studien auf. Demnach beträgt das Einkommen vor Steuern der oberen zehn Prozent in Afrika 54 Prozent, auf die untere Hälfte der Bevölkerung entfallen neun Prozent. Die Diskrepanz ist so hoch wie auf keinem anderen Kontinent. Zum Artikel
A winter drought grips southern Europe – The Economist
Der Economist beschäftigen sich mit der zweiten großen Dürre in Südeuropa innerhalb von einem Jahr. Gleichzeitig gehen Experten davon aus, dass wegen der geringen Schneefälle aus den Alpen 25 bis 50 Prozent weniger Wasser in die großen Flüsse wie Po, Donau, Rhein und Rhone fließen wird. In Spanien zeige sich, dass Wasser zu teilen mit Menschen weniger strittig sei als das Teilen zwischen Menschen und Landwirtschaft. Zum Artikel
Ghana is first country to approve Oxford malaria vaccine – The Guardian
Die Autorin Lizzy Davies schreibt, der Malaria-Impfstoff R21/Matrix-M, der als erster die von der Weltgesundheitsorganisation angestrebte Wirksamkeit von 75 Prozent übertreffe, werde von der ghanaischen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde für den Einsatz bei Kindern im Alter von 5 bis 36 Monaten freigegeben – die Gruppe mit dem höchsten Malaria-Todesrisiko. Zum Artikel
Botanist Stefano Mancuso: ‘You can anaesthetise all plants. This is extremely fascinating’ – The Guardian
Im Interview mit Killian Fox erörtert der italienische Autor Stefano Mancuso, ein Verfechter der pflanzlichen Intelligenz, die komplexe Art und Weise, in der Pflanzen kommunizieren, ob sie ein Bewusstsein haben und was seine Erkenntnisse für Veganer bedeuten. Zum Artikel
The west is in the grip of a decoupling delusion – Financial Times
Der Versuch, die Produktion aus China zu verlagern, ist viel schwieriger, als viele Unternehmen und Regierungen glauben, schreibt James Crabtree, Executive Direktor des International Institute for Strategic Studies Asia. Zum Artikel
CO₂ Recycling – Maschinenmarkt
Ein Joint Venture von Heidelberg Materials und Linde will über eine Carbon Capture und Utilisation-Anlage im großtechnischen Maßstab abgeschiedenes CO₂ aus der Zementproduktion wiederverwerten. Das in der Anlage aufbereitete Gas könne sowohl in der Lebensmittelindustrie, als auch in der Chemieindustrie eingesetzt werden. 70.000 Tonnen CO₂ soll die Anlage im Zementwerk Lengfurt jährlich aufbereiten. Zum Artikel
Der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes am 24. April 2013, bei dem 1.138 Menschen starben, führte zur Vereinbarung über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch – ein verbindliches Abkommen (Bangladesch Accord). In der Folge sind 1.600 Fabriken in Bangladesch sicherer geworden. Seit 2013 haben Ingenieure mehr als 30.000 Inspektionen durchgeführt. Von den unter das Abkommen fallenden Fabriken wurden 92 Prozent saniert. Es ist der einzige Bereich in der Bekleidungsindustrie, in dem sich die Arbeitsbedingungen seit dem “Weckruf” durch den Einsturz von Rana Plaza verbesserten.
Die Erfahrung zeigt, dass eine verbindliche Vereinbarung von Marken und Gewerkschaften in der Lage ist, ein lange bestehendes Problem zu lösen: Sie kann das Leben der Arbeiter verbessern und für die Marken kosteneffizient sein. Es ist nun an der Zeit, dass die nächste verbindliche Vereinbarung für ein weiteres lange bestehendes Problem angegangen wird: der Lohn- und Abfindungsdiebstahl.
Im Januar 2022 wurden bei der Schließung von Vald’or, einer Bekleidungsfabrik in Haiti, mehr als 1.100 Arbeitnehmer ohne Abfindungen entlassen. Die Fabrik produzierte Kleidung für Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein, die zu dem US-Konzern PVH gehören. Nachdem das Worker Rights Consortium interveniert hatte, erklärte sich PVH bereit, eine Entschädigung in Höhe von einer Million US-Dollar zu zahlen – als Entschädigung für entgangene Abfindungen, Rentenbeiträge für die Beschäftigten und den staatlichen Rentenfonds. Lohn- und Abfindungsdiebstahl ist in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie (TGSL) zu einem der wichtigsten Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG) geworden.
Lohndiebstahl bezieht sich auf das illegale Einbehalten von Löhnen oder Leistungen, die den Arbeitnehmern geschuldet werden, während Abfindungen die Entschädigungen sind, die an Arbeitnehmer gezahlt werden, die aufgrund von Betriebsschließungen oder Umstrukturierungen entlassen wurden. Es ist zwar schwierig, das Ausmaß des Lohn- und Abfindungsdiebstahls zu beziffern, aber Studien und Berichte zeigen, dass das Problem in der TGSL-Branche weit verbreitet ist.
Lohn- und Abfindungsdiebstahl ist rechtswidrig und daher ein zentrales ESG-Risiko für Investoren. Dies gilt insbesondere für Artikel 9-Fonds, wie sie in der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor definiert sind. Diese Fonds sind dafür verantwortlich, dass ihre Investitionen zu den ESG-Zielen beitragen.
Um sicherzustellen, dass die Beschäftigten in der globalen TGSL-Branche die ihnen zustehenden Löhne und Leistungen erhalten, ist eine verbindliche und durchsetzbare Vereinbarung zwischen Marken, Arbeitgebern und Gewerkschaften erforderlich. Die Vereinbarung Pay Your Workers – Respect Labour Rights (PYW-RLR) ist eine rechtsverbindliche und durchsetzbare Vereinbarung, die von über 40 in der TGSL-Branche tätigen Gewerkschaften vorgeschlagen wurden und von über 280 Organisationen unterstützt wird. Marken, die die Vereinbarung unterzeichnen, verpflichten sich:
Die Vereinbarung soll ein unabhängiges Gremium überwachen, in dem Gewerkschaften und Unternehmen gleich stark vertreten sind. Die Gesamtkosten sowie die geschätzten Kosten für die Deckung nicht gezahlter Löhne und Sozialleistungen und die Einrichtung der unabhängigen Aufsichtsbehörde werden die Markenhersteller nicht mehr als zehn Cent pro T-Shirt kosten.
Es ist nicht nur eine Frage der Ethik und der sozialen Verantwortung der Marken, dafür zu sorgen, dass ihre Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Bezahlung erhalten. In mehreren Ländern, etwa in Frankreich und Deutschland, ist die Einhaltung der Menschenrechte und der ökologischen Sorgfaltspflicht inzwischen gesetzlich vorgeschrieben. Das Fehlen einer solchen Gesetzgebung im Jahr 2013 hinderte die vom Rana-Plaza-Einsturz betroffenen Arbeiter daran, die Marken wirksam zur Verantwortung zu ziehen.
Nun aber wird die Sorgfaltspflicht für immer mehr Unternehmen verpflichtend werden, da die Europäische Kommission an einer Richtlinie arbeitet, die Sorgfaltspflichten für in der EU tätige Unternehmen festlegt. Marken und Einzelhändler, in deren Lieferketten Lohn- und Abfindungsdiebstahl vorkommt, sind jetzt mit verschiedenen rechtlichen Risiken konfrontiert, darunter Geldbußen und Strafen, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, zivilrechtlicher Haftung und behördlichen Maßnahmen.
Wenn eine Marke beispielsweise die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes nicht erfüllt und es versäumt, geeignete Präventiv- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um die Risiken des Lohn- und Abfindungsdiebstahls in ihrer Lieferkette zu bekämpfen, kann ihr letztlich mit Geldbußen von bis zu zwei Prozent seines durchschnittlichen weltweiten Jahresumsatzes drohen. Dies könnte erhebliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen haben.
Für Marken ist die PYW-RLR-Vereinbarung eine kosteneffiziente Due-Diligence-Lösung, die mehrere kritische Aspekte des Lieferkettenmanagements, der Risikominderung und der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften auf systematische und umfassende Weise behandelt. Im Gegensatz dazu kann es ressourcenintensiv und zeitaufwändig sein, Lohn- und Abfindungsdiebstahl von Fall zu Fall zu identifizieren und zu beheben, und es kann negative Publicity nach sich ziehen.
Investoren können ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, um Unternehmen zu ermutigen, gegen Lohn- und Abfindungsdiebstahl vorzugehen und Finanzmittel auf diejenigen Marken zu lenken, die sich zur Unterzeichnung des PYW-RLR-Abkommens verpflichten. Sie können Bewertungen der Unternehmensleistung in Bezug auf die Zahlung von Löhnen und Abfindungen einführen und diese Konzepte in ESG-Metriken, Modellierungsrahmen und Rankings integrieren. Investoren können auch die Beteiligung an der PYW-RLR-Vereinbarung als Kriterium oder Indikator bei der Bewertung der ESG-Leistung eines (potenziellen) Beteiligungsunternehmens berücksichtigen. Beteiligungsunternehmen, die das Risiko des Lohn- und Abfindungsdiebstahls nicht angehen, sollten von Artikel 9-Fonds ausgeschlossen werden.
Zehn Jahre nach dem verheerenden Rana-Plaza-Einsturz müssen wir feststellen, dass die Marken nicht so sehr “aufgewacht” sind, wie sie unmittelbar nach dem Einsturz beteuert haben. In Bangladesch und darüber hinaus sind die Arbeitende immer noch mit Armutslöhnen, geschlechtsspezifischer Gewalt, Einschränkungen ihres Vereinigungsrechts und obendrein mit Lohn- und Abfindungsdiebstahl konfrontiert. Trotz der schönen Worte der Marken in vielen anderen Bereichen hat sich lediglich die Sicherheit der Bekleidungsfabriken in Bangladesch dank der Durchsetzbarkeit des Abkommens verbessert. Es ist an der Zeit, den Fortschritt auszuweiten.
Ineke Zeldenrust begann 1989 zusammen mit anderen, das Netzwerk aufzubauen, das sich zur globalen Clean Clothes Campaign entwickelte. Unter ihrer Leitung hat die Kampagne sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem nicht hierarchischen Netzwerk von 237 Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen, feministischen und aktivistischen Organisationen in 44 Ländern entwickelt. Zeldenrust leitet aktuell die Lobby- und Advocacy-Arbeit mit den Schwerpunkten Unternehmensverantwortung, Sicherheit und existenzsichernde Löhne. Sie war eine der Hauptarchitekten des Bangladesch-Accords, in dessen Vorstand sie als Zeugin fungiert, und arbeitete intensiv an den Kampagnen für die Opfer des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes, des Tazreen- und des Baldia-Brandes und handelte Vereinbarungen aus, die den Opfern insgesamt über 30 Millionen Dollar einbrachten. Sie ist Vorstandsmitglied der Fair, Green and Global Alliance.
Als Expertin für Ökosysteme bemüht sich Katrin Böhning-Gaese, auf Empfehlungen zu verzichten. Stattdessen möchte sie Handlungsoptionen und deren Konsequenzen aufzeigen. Alles Weitere überlässt sie der Politik und Gesellschaft. “Ob die Biodiversität geschützt wird oder nicht, das ist eine normative Entscheidung”, sagt die Wissenschaftlerin. Böhning-Gaese leitet das Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima und ist Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Beim Weltnaturgipfel in Montreal im Dezember 2022 haben die teilnehmenden Staaten wegweisende Entscheidungen gefällt: Sie wollen dreißig Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen und Milliarden für Schutzmaßnahmen investieren. Dabei gilt es, gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme zu verändern, aber auch Geschäftsmodelle von Unternehmen. “Da sind ganz schön dicke Bretter zu bohren”, sagt Böhning-Gaese, die ihre private Meinung klar von ihren wissenschaftlichen Statements trennt – anders als etwa die Scientists for Future oder Wissenschaftler, die es als Teil ihres Auftrags ansehen würden, sich auf der Straße festzukleben. “Ich versuche immer deutlich zu machen, in welcher Rolle ich gerade spreche.”
Bedächtig und konsequent – so lässt sich das Vorgehen von Katrin Böhning-Gaese beschreiben. Sie selbst bezeichnet ihre Haltung augenzwinkernd auch als “schwäbische Dickköpfigkeit”. Die habe sie schon vor über dreißig Jahren dazu gebracht, nach ihrer Promotion in den USA die Makroökologie in Deutschland zu etablieren, trotz aller Widerstände. “Ich war wirklich vollkommen davon überzeugt, dass das ein Thema der Zukunft ist”, sagt sie rückblickend. Von “so kleinen Härten”, wie fehlenden Stellen und beruflicher Unsicherheit, hat sich die Wissenschaftlerin dabei nicht aufhalten lassen.
Die Ergebnisse aus Freilandbeobachtungen auf einer übergeordneten Ebene zu analysieren, um etwa deutschlandweite Langzeittrends in den Blick zu nehmen, oder globale Hotspots der Artenvielfalt auf der Erde zu suchen, das war hierzulande damals noch ganz neu. Katrin Böhning-Gaese hat ihren Beitrag geleistet, um das zu ändern – und dafür 2021 den Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt (DBU) erhalten. Ein Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere.
Gerne erinnert sich Katrin Böhning-Gaese auch an ihre Feldforschungen zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere. “Wir sind in Südafrika mit Pferden durch Nationalparks gewandert, Bewaffnete vor und hinter uns, die uns davor schützen sollten, von einem Spitzmaulnashorn platt getrampelt zu werden”, sagt Böhning-Gaese, die sich auch mit Ornithologie beschäftigt. Ihr Mann, ein Neurobiologe, habe dort mit ihr geforscht und die beiden Söhne, damals noch Teenager, waren ebenfalls dabei.
Das Ehepaar verbringt die Freizeit am liebsten mit Wandern und der Vogelbeobachtung, außerdem sprechen sie häufig über wissenschaftliche Themen. Einmal die Woche, als Sonntagsbraten, kommt Biofleisch auf den Tisch. “Wenn wir vegetarisch leben würden, gäbe es für die landwirtschaftlichen Betriebe keine Anreize mehr, Weidetiere zu halten”, sagt Böhning-Gaese. “Und damit würden wir die wunderbaren Blühwiesen verlieren.” Die möchte sie gerne erhalten. Janna Degener-Storr
Anton-Wolfgang Graf von Faber-Castell, dem langjährigen Chef des wohl bekanntesten Schreibwarenherstellers der Welt, wird folgendes Zitat zugeschrieben: “Auch ich habe schon manches zur Chefsache erklärt und dann nicht gewusst, was ich tun soll. So ist das eben mit Chefsachen.” So wie Faber-Castell, der sein Unternehmen in achter Generation führte, geht es wohl vielen Firmenlenkern und Managern in Zeiten der Transformation. Dekarbonisierung, der sozial-ökologische Wandel, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Lieferketten – das sind die Chefsachen von heute. Und nicht selten geht es dabei um Terra incognita, um Neuland.
Das Ende letzten Jahres vorgestellte Strategiespiel “Make it circular! Zirkuläre Geschäftsmodelle im Unternehmen spielerisch kennenlernen” setzt genau hier an. Den Machern ist wichtig, schreiben sie auf ihrer Internetseite, “dass zirkuläre Geschäftsmodelle nicht nur durch einige wenige Pioniere aufgegriffen werden, sondern durch eine umfassende Marktdurchdringung auch in die Breite diffundiert werden”. Gleichzeitig wollen sie zum Teamplay motivieren, zur gemeinsamen Lösungsfindung über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg. Als ideale Ergänzung sehen sie wichtige Partner in der jeweiligen Wertschöpfungskette.
Ziel von “Make it circular!” ist es, am Ende des Spiels drei konkrete Schritte zu definieren, die im Unternehmen als erstes angegangen werden sollen, um den Weg zur Umsetzung eines zirkulären Geschäftsmodells zu ebnen. Für das Spiel sind sieben Stunden aktive Spielzeit vorgesehen. Die mögliche Teilnehmerzahl liegt zwischen fünf und acht Personen. Vorkenntnisse im Bereich der Kreislaufwirtschaft sind nicht erforderlich.
Das Kartenspiel wurde branchenunabhängig für mittelständische Unternehmen konzipiert und ist ein Gemeinschaftswerk der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatech), der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) und des World Wildlife Fund For Nature (WWF). Weitere Informationen, Kontakt und einen Link zum Download gibt es auf der Website von Acatech. Carsten Hübner
Innovativ handeln Organisationen meist nicht, weil sie sich etwas völlig Neues ausdenken, sondern weil sie Altbekanntes neu verbinden.
So könnten etwa die Strukturen von Weltbank und IWF so reformiert werden, dass die beiden Institutionen ärmeren Mitgliedsländern wesentlich stärker helfen könnten, ihre SDG- und Klimaziele zu erreichen. Über erste Schritte und eine vertane Großchance auf der Frühjahrskonferenz berichten Carsten Hübner und ich.
Um Sozialinnovationen ging es in einem Experiment in Großbritannien: Können Mitarbeiter ihre Arbeitszeit verringern, während das Unternehmen gleich viel Umsatz macht und zudem noch seine Klimabilanz verbessert? Stefan Boes hat sich die Ergebnisse angesehen.
Über ein zentrales ESG-Risiko für Investoren und Unternehmen schreibt Ineke Zeldenrust in ihrem Standpunkt: Lohn- und Abfindungsdiebstahl. Die Koordinatorin der internationalen Aktivitäten der Clean Clothes Campaign argumentiert für eine erprobte Innovation – verpflichtende Vereinbarung zwischen Marke, Produzenten und Gewerkschaften.
Um die Frage, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorankommen, geht es im Interview mit Niklas Meyer Breitkreutz vom Bitkom. Die Fragen stellte Marc Winkelmann anlässlich des Digital Sustainability Summit des Verbands heute in Berlin.
Aber es gibt auch umstrittene Innovationen – wie die Idee der EU, auch Kernenergie und Gas in die Taxonomie aufzunehmen. Dagegen klagen einige NGO nun vor dem EUGH. Thema von Verena von Ondarza.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeschickt wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Die Weltbank will in den kommenden zehn Jahren zusätzliche Kredite in Höhe von insgesamt 50 Milliarden US-Dollar vergeben. Das hat sie auf ihrer Frühjahrstagung vergangene Woche in Washington, D.C. beschlossen. Den Großteil des Geldes will die Entwicklungsbank durch ein niedrigeres Verhältnis von Eigenkapital zu Krediten von 20 auf 19 Prozent bereitstellen. Neben ihrer Kernaufgabe, der Armutsbekämpfung, will die Weltbank Entwicklungsländer in Zukunft auch bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, Pandemien oder anderen globalen Krisen finanziell unterstützen.
Der Beschluss gilt als erster Schritt einer Reform, die die USA und Deutschland im Herbst angestoßen haben. Am Ende soll ein neues Leitbild stehen. “Wir wollen, dass die Weltbank zu einer Transformationsbank wird, die Lösungen im Einsatz gegen globale Krisen voranbringt”, sagt Nils Annen, Parlamentarischer Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ). Ziel sei es, ihre finanziellen Möglichkeiten für “den sozial gerechten Umbau der Weltwirtschaft” zu nutzen, so Annen.
Im Zentrum des Reformvorschlags steht, bei der Kreditvergabe künftig auch die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Projekten zu berücksichtigen. Denn aus Sicht des BMZ setzt die Weltbank bisher zu wenig Anreize für nationale Maßnahmen, die der ganzen Welt zugutekommen – etwa im Bereich der Energiewende. Die Weltbankgruppe ist mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar der weltweit größte Finanzier nachhaltiger Entwicklung. Die USA und Deutschland halten zusammen knapp 20 Prozent der Anteile. Beschlossen werden soll die Reform im Herbst dieses Jahres.
Allerdings erfüllt die Reform nach Ansicht von Kritikern “nicht die Erfordernisse”. Durch die veränderten Eigenkapitalanforderungen werde die Fähigkeit der Weltbank, Kredite an Staaten im globalen Süden zu vergeben, “nur sehr geringfügig um vier Milliarden Dollar erhöht“, heißt es beim World Future Council (WFC). Nur für die Umsetzung der globalen Energiewende brauche es laut Weltklimarat (IPCC) Investitionen von mindestens 2,4 Milliarden US-Dollar. Damit wäre die Weltbank überfordert, selbst wenn sie ihren Spielraum voll ausschöpfen würde.
Deutlich mehr Wirkung erzielen könnte der Internationale Währungsfonds (IWF) laut WFC mit seinen Sonderziehungsrechten, also jener international einsetzbaren Reservewährung, die der IWF schaffen kann, wenn seine Mitglieder es beschließen. Die Mittel kann er kostenlos an seine Mitglieder verteilen. Zuletzt hatte der IWF 2021 Sonderziehungsrechte im Wert von 650 Milliarden US-Dollar geschaffen. Allerdings erfolgt die Zuteilung der Mittel entsprechend der Anteile der Staaten an dem IWF. Weil ärmere Länder nur geringe Anteile halten, erhielten sie auch nur einen kleinen Bruchteil der neu geschaffenen Mittel. Der Löwenanteil ging an die wohlhabenderen Staaten. Die Machtverteilung im IWF und der Weltbank kritisieren die Länder des Globalen Südens seit Langem.
Die IWF-Mitgliedsländer aus dem Globalen Westen verspielten leider gerade eine “große und dazu für sie noch kostenlose Möglichkeit, die finanziellen Handlungsmöglichkeiten des Globalen Südens für mehr Klimainvestitionen zu erhöhen”, sagt Matthias Kroll, Chefökonom des World Future Council. Dies sei umso erstaunlicher, weil die westlichen Staaten mit der Reform eine Chance hätten, den Staaten des globalen Südens entgegenzukommen “und damit dem wachsenden Einfluss ihrer aufstrebenden geopolitischen Wettbewerber zu begegnen.” So hat China seinen Einfluss im Globalen Süden massiv ausgebaut.
Die Regierung von Barbados hatte die Schaffung von Sonderziehungsrechten für einen Klimafonds in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar vorgeschlagen, um damit zinsgünstige Kredite für den globalen Süden zu ermöglichen.
Massive Investitionen tätigen müssen die Länder des Globalen Südens aber auch, um ihre sonstigen Transformationsziele zu erreichen, wie sie etwa aus den SDG folgen. Zur Umsetzung müssen die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen laut der Weltbank zwischen 2015 und 2023 jährlich alleine 1,5 bis 2,7 Milliarden US-Dollar aufbringen, um die notwendige Infrastruktur zu schaffen.
Tatsächlich gibt es in einigen Feldern der angestrebten sozialen und ökologischen Transformation Rückschritte, besonders aufgrund der Finanzlage. “Wir beobachten in vielen dieser Länder gefährlich hohe Schuldenstände, die zu einer Verringerung des fiskalischen Spielraums von Regierungen führen, in Entwicklung zu investieren”, sagt in einem Interview der NGO VENRO Axel Berger, Geschäftsführender Direktor des SDSN Germany.
Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Düngemitteln für deren Anbau sei gefährdet. Dies alles habe zur Folge, “dass wir seit zwei Jahren Rückschritte bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beobachten müssen”. Gerade jetzt müsse man also in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren, um aktuelle und präventiv zukünftige Krisen zu vermeiden.
Während sich die Bundesregierung in der Weltbank für eine Aufstockung des bisherigen Kreditrahmens einsetzt, drohen dem BMZ hierzulande starke Haushaltskürzungen. Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), warnte vor einem “entwicklungspolitischen Kahlschlag”. Die Organisation rechnet für das Jahr 2024 mit einem Rückgang des Budgets von 0,83 auf nur noch 0,66 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Dies ergebe sich laut VENRO aus Daten der OECD, des Internationalen Währungsfonds und der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung bis 2022. Damit, so warnte Mogge, würde Deutschland de facto “einen Rückzug aus der internationalen Solidarität” antreten. Carsten Hübner und Caspar Dohmen
Die Vier-Tage-Woche führt zu mehr Wohlbefinden, deutlichen Klimaersparnissen, ohne ökonomische Nachteile und könnte damit ein wichtiger Baustein für die sozial-ökologische Transformation sein. Das ist das Ergebnis zahlreicher Untersuchungen und dem bisher größten Test. In Großbritannien reduzierten rund 2.900 Beschäftigte in 61 Unternehmen sechs Monate lang ihre Arbeitszeit. Ihr Gehalt blieb gleich. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt es Experiments berichteten Firmen, dass die Produktivität sogar gestiegen sei. Die Soziologin und leitende Wissenschaftlerin des Projekts, Juliet Schor vom Boston College, sprach von einem “historischen Versuch”. Er lief von Juni bis Dezember 2022. Der britische Thinktank Autonomy hat den Pilotversuch mit dem Boston College und der Universität Cambridge wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.
Die Ergebnisse lassen sich nur als Erfolg werten: Vier von zehn Beschäftigten gaben an, weniger gestresst zu sein als vor Beginn des Versuchs. Das Burn-out-Risiko sank um 71 Prozent. Angstzustände, Müdigkeit und Schlafprobleme nahmen ebenfalls ab, während sich die geistige und körperliche Gesundheit verbesserte. 54 Prozent der Beschäftigten fiel es außerdem leichter, Beruf und Haushalt zu vereinbaren. 60 Prozent gaben an, dass sie ihre bezahlte Arbeit besser mit ihren Care-Aufgaben vereinbaren konnten.
Die bessere Gesundheit und höhere Zufriedenheit wirken sich auch auf den wirtschaftlichen Erfolg aus. Durchschnittlich stieg der Umsatz der beteiligten Unternehmen während der Testphase um 1,4 Prozent. Unternehmen hatten auch weniger Fehlzeiten zu beklagen: Im Testzeitraum ging die Zahl der Krankheitstage um rund zwei Drittel zurück. Zudem fiel die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, um mehr als die Hälfte. Inzwischen haben 56 von 61 Unternehmen die Vier-Tage-Woche verlängert. 18 Firmen entschieden, dass sie das Modell langfristig behalten werden.
Wie schon bei einem früheren Test in Island waren auch in Großbritannien Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen beteiligt: IT-Firmen, Werbeagenturen, Versicherungen, Finanzinstitute, Gesundheitsdienste, Non-Profit-Organisationen und produzierende Betriebe. Sogar ein Fish-und-Chips-Geschäft war dabei. Teilgenommen haben vor allem kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 25 Angestellten. Rund ein Viertel der Firmen hatte mehr als 50 Beschäftigte.
Wegen der Vielfalt hatten es die Organisatoren es mit ganz unterschiedlichen Anforderungen, Arbeitsweisen und Unternehmenskulturen zu tun. Von einem “One-Size-Fits-All”-Modell sahen die Organisatoren ab. So entschieden sich viele Firmen dafür, nur noch von Montag bis Donnerstag zu arbeiten. Andere, in denen fünf Werktage abgedeckt werden müssen, überließen es ihren Beschäftigten, welchen Tag sie freinahmen. Oder sie fanden einheitliche Lösungen für einzelne Teams. In anderen Firmen wiederum, etwa in Restaurants, ist es sinnvoller, eine auf das Jahr betrachtete 32-Stunden-Woche einzuführen, mit längeren Arbeitszeiten im Sommer, und kürzeren im Winter. Entscheidend sei eine spürbare Arbeitszeitreduzierung bei gleichbleibendem Gehalt, heißt es in der Auswertung von Autonomy.
Gerade laufen die Vorbereitungen für einen Pilotversuch in Australien. Auch in Spanien, Japan, Neuseeland und den USA wurde die Vier-Tage-Woche bereits in größerem Umfang getestet. In Belgien gibt es seit November sogar einen Rechtsanspruch. Daran gibt es aber auch Kritik, weil damit keine Arbeitszeitverkürzung verbunden ist. Wer eine 40-Stunden-Woche hat, muss demnach zehn Stunden an vier Tagen arbeiten. Der Test in Spanien war, anders als in Großbritannien, mit einer Gehaltsreduzierung verbunden. Und Japan beließ es zunächst bei Ermutigungen der Arbeitgeber. Die Resonanz war überschaubar.
Dass es in Deutschland bisher keinen systematischen Test gibt, heißt nicht, dass die Vier-Tage-Woche hierzulande noch nicht angekommen wäre. Der Unternehmer, Redner und Autor der Bücher “Mythos Fachkräftemangel” und “Rock Your Work” Martin Gaedt hat gerade sein neues Buch “4-Tage-Woche” veröffentlicht. Er stellt darin 151 Praxisbeispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor. Die Vier-Tage-Woche sei in der DACH-Region viel größer als bisher angenommen. “Die Menge der Beispiele hat mich überrascht”, sagt er.
“Die Vier-Tage-Woche läuft im Handwerk, in der Produktion, Hotellerie und ambulanter Pflege sowie im Einzelhandel. Neu war für mich, dass immer mehr Friseure nur noch dienstags bis freitags öffnen und so profitabel wie vorher sind. Immer mehr Bäcker fokussieren sich auf leckeres Brot, das sie vormittags backen und nachmittags – an vier Tagen – verkaufen. Das ist profitabel, und sie finden viele Bewerber”, sagt Gaedt. Positiv überrascht habe ihn in allen erfolgreichen Beispielen der Leitgedanke, den Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun und sie zu entlasten. “Diese Fürsorge steigert die Produktivität.”
Martin Gaedt belegt mit seinen Beispielen, dass die Vier-Tage-Woche nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen stehen muss. Viele Untersuchungen und Praxisbeispiele deuten inzwischen auf das Gegenteil hin. Darüber hinaus wird Arbeitszeitverkürzung häufig als Lösung für nachhaltigeres Wirtschaften und besseren Klimaschutz gesehen. Auch dafür findet Gaedt Belege: Eine Straßenbaufirma habe mit einer Vier-Tage-Woche in zehn Monaten 72 Tonnen CO₂ und 160.000 Euro Benzin- und Wartungskosten eingespart. Weil die Fahrzeuge nur noch an vier Tagen Baustellen anfahren und freitags auf den Parkplätzen bleiben, konnte eine Strecke von mehr als 200.000 Kilometern vermieden werden, rechnet das Unternehmen vor. Es leistete trotzdem den gleichen Arbeitsumfang und erzielte den gleichen Umsatz wie im Vorjahr. “Würden alle Firmen 20 Prozent ihrer Energiekosten sparen und würden Menschen 20 Prozent weniger zum Arbeitsplatz pendeln, wäre Arbeitszeit ein riesiger Hebel für Klimaschutz”, ist Gaedt überzeugt.
Juliet Schor vom Boston College, die den Pilotversuch in Großbritannien leitete, sieht das ähnlich: “Obwohl die Klimavorteile am schwierigsten zu messen sind, haben wir viele Untersuchungen, die zeigen, dass im Laufe der Zeit, wenn Länder die Arbeitszeit reduzieren, auch ihre CO₂-Emissionen sinken”, sagte sie gegenüber der BBC. Die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf die Beschäftigten sind gut erforscht. Wie sich kollektive Arbeitszeitverkürzung aber ökologisch auswirkt, hängt maßgeblich davon ab, was die Menschen mit ihrer freien Zeit machen. Stefan Boes
Herr Meyer-Breitkreutz, über die Digitalisierung wird viel diskutiert, über Nachhaltigkeit ebenfalls. Wie sieht’s bei den Wechselwirkungen aus – wird beides schon zusammen gedacht und angegangen?
In unserem Verband haben wir mehr als 2.000 Mitgliedsunternehmen, darunter Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Konzerne. Einige sind schon weit bei dieser Frage, andere noch am Anfang. Übergreifend kann ich sagen, dass beide Themen für den Bitkom untrennbar zusammengehören. Die Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit funktionieren nicht ohne Digitalisierung – und eine Digitalisierung ohne grünes Fundament kann ebenfalls nicht zukunftsfähig sein.
Bei Ihrem “Digital Sustainability Summit” am Mittwoch in Berlin sprechen Sie von einer Zwillingstransformation, vor der die Wirtschaft steht. Inwiefern ähneln sich beide denn?
Beide sind grundlegende Transformationen und Querschnittsaufgaben, die einen ganzheitlichen Blick erfordern. Bei der Nachhaltigkeit sprechen wir üblicherweise von den drei Dimensionen ökologisch, sozial und ökonomisch. Diese lassen sich auch auf die Digitalisierung übertragen. Unternehmen müssen beides zugleich bewältigen: weil man sonst nicht mehr wettbewerbsfähig ist und weil es immer mehr Regularien gibt.
Der Druck kommt also von beiden Seiten.
Ja, und er führt zu drei Aufgaben. Wir müssen die Potenziale digitaler Technologien für mehr Nachhaltigkeit ausschöpfen und vorbildliche Beispiele bekannt machen, sodass diese möglichst breit eingesetzt werden. Wir müssen unser Verständnis von zukunftsfähigen Geschäftsmodellen nochmal deutlich hinterfragen – sie müssen nachhaltig digital sein und auf der Kreislaufwirtschaft basieren. Und wir müssen die digitale Wirtschaft insgesamt dekarbonisieren.
Welche Beispiele einer nachhaltigen Digitalisierung halten Sie für vielversprechend?
Da gibt es viele, etwa Start-ups, die sich auf das digitale Messen, Steuern und Reduzieren von Treibhausgasemissionen spezialisiert haben und Unternehmen helfen, ihre ESG-Pflichten zu erfüllen. In der industriellen Fertigung kann man mit digitalen Zwillingen Prozesse virtualisieren, sodass weniger Energie und Ressourcen verbraucht werden. Stahlschnittplatten sind ebenfalls ein gutes Beispiel – mithilfe von Software lässt sich der Materialüberschuss reduzieren. Außerdem können Anbieter und Nachfrager zusammengebracht werden, um diese Reste noch zu verarbeiten.
Im Mobilitätssektor, der hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit noch große Aufgaben vor sich hat, können Sensoren in der Straße und den Ampeln helfen, den Verkehr effizienter zu lenken. Oder denken Sie an Gebäude, wo der Handlungsdruck ebenfalls hoch ist. Digitale Technologien stellen Heizkessel im Winter viel besser auf den tatsächlichen Bedarf im Haus ein als analoge.
Andererseits werden negative Folgen immer sichtbarer. Die Digitalisierung benötigt Ressourcen und Energie, die Elektroschrottberge wachsen, das Internet bietet Einfallstore für Hacker. Das Bundesumweltministerium hat deshalb die “Corporate Digital Responsibility”-Initiative gestartet – Unternehmen sollen darüber berichten, wie verantwortungsvoll sie mit der Digitalisierung umgehen. Ein richtiger Ansatz?
Es ist grundsätzlich sinnvoll, sich bewusst mit dem Einsatz digitaler Technologien auseinanderzusetzen. Und man kann nur das verbessern, was man zuvor erfasst hat. Aber gerade im Umweltbereich wird bereits sehr viel reguliert, insbesondere auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Initiativen, die mehr Berichtspflichten für Unternehmen nach sich ziehen. Wir müssen sehen, dass wir Maß und Mitte halten.
Wie bewerten Sie den digitalen Produktpass? Er soll Verbrauchern mehr Informationen vermitteln, etwa über die Herkunft oder die Reparierfähigkeit eines Produkts, und Hersteller dazu animieren, ihre Lieferketten zu digitalisieren. Bei Batterien ist der Prozess vorangeschritten, für weitere Produktgruppen prüft die EU derzeit die Umsetzung.
Der digitale Produktpass ist ein sehr positives Beispiel dafür, was digitale Technologien zur Kreislaufwirtschaft beitragen können und wie sich Informationslücken schließen lassen – das betrifft Verbraucher, aber vor allem auch Akteure wie Unternehmen und Behörden. Es kommt jetzt auf die Ausgestaltung und Standardisierung an, insbesondere auf den Informationsgehalt der Pässe. Wir möchten, dass noch stärker unterschieden wird: Welche Akteure benötigen welche Daten und was muss tatsächlich zur Verfügung gestellt werden? Das ist noch nicht klar.
Europa ist kein Vorreiter beim Entwickeln von digitalen Technologien. Anders als in den USA oder China arbeiten insbesondere in Deutschland aber vergleichsweise viele in Wirtschaft, Forschung und Politik an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Kann daraus für uns ein Exportschlager entstehen?
Ich beurteile aus europäischer Perspektive ungern die Arbeit oder den Stand anderer Regionen der Welt. Aber es stimmt schon: Wenn man sich frühzeitig mit Green Tech und dem bewussten Einsatz digitaler Technologien für Nachhaltigkeit befasst, kann daraus für uns eine Chance entstehen. Wichtig ist nur, dass wir nachhaltig wirkende Technologien noch mehr und in der Breite fördern. Wenn man einen Exportschlager hinbekommen möchte, braucht man zunächst den eigenen Markt. Dazu gehört, dass die öffentliche Beschaffung stärker ihren Nachhaltigkeitshebel einsetzen sollte, um Innovationen von Start-ups zu unterstützen. Und man sollte insbesondere kleine und mittelständische Firmen beim Kompetenz- und Kapazitätsaufbau unterstützen.
Passiert das schon?
Mittelstandszentren bieten Beratungen an, aber diese sollten ausgebaut und stärker auf die Zwillingstransformation ausgerichtet werden. Wir haben kürzlich eine repräsentative Erhebung gemacht. 77 Prozent aller befragten Unternehmen erklärten, dass ihr CO₂-Ausstoß durch den Einsatz digitaler Technologien gesunken ist. Und die überwiegende Mehrheit sagte, dass sie einen klaren Wettbewerbsvorteil hat, wenn sie klimafreundliche Technologien einsetzt. Die Herausforderung besteht jetzt in dem, was ich zu Beginn sagte: Wir müssen den Transfer von guten Beispielen hinbekommen, betreuen und beraten. Das ist einerseits zwar ein alter Hut, bleibt aber trotzdem richtig.
19.4.2023, 9:00 Uhr
Öffentliche Anhörung im Wirtschaftsausschuss Mercosur-Abkommen Info
19.4.2023, 11:00-13:00 Uhr
Öffentliche Anhörung im Umweltausschuss Antrag der CDU/CSU-Fraktion über die Wiederherstellung der Natur Info
19.4.2023, 15:00-16:30 Uhr
Öffentliche Anhörung im Tourismusausschuss Wintersport und Tourismus im Zeichen des Klimawandels Info
19.4.2023, 17:15-18:00 Uhr
Plenum Erste Beratung zweier Anträge zur Lebensmittelverschwendung der Fraktionen CDU/CSU und Die Linke Info
19.4.2023, 18:00-18:45 Uhr
Plenum Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Nationale Wasserstrategie Info
20.4.2023, 11:50-13:10 Uhr
Plenum Zweite und dritte Beratung zweier Gesetze zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende Info
20.4.2023, 16:00-16:45 Uhr
Plenum Zweite und dritte Beratung eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts sowie eines Antrags der Fraktion Die Linke Info
20.4.2023, 19:00-19:45 Uhr
Plenum Erste Beratung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Öko-Landbaugesetzes und des Öko-Kennzeichengesetzes Info
20.4.2023, 20:30-21:00 Uhr
Plenum Schlussabstimmung über ein Gesetz zum Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2019 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt Info
20.4.2023, 21:30-22:00 Uhr
Plenum Erste Beratung eines Gesetzes zur baulichen Anpassung von Tierhaltungsanlagen Info
214.2023, 14:15-15:00 Uhr
Plenum Beratung des Antrags Mobilitätsgeld statt Pendlerpauschale von der Fraktion Die Linke Info
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider.
Es war ein Paukenschlag als die EU-Kommission am Neujahrstag 2022 bekannt gab, dass in der Taxonomie auch Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke als “nachhaltig” gelten sollen. Am Dienstag reichen Umweltverbände nun Klage gegen die Entscheidung vor dem EUGH ein.
Mithilfe der Taxonomie will die EU bis zum Jahr 2030 über eine Billion Euro in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft lenken. Mit der Entscheidung, Atom- und Gas-Investitionen unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig zu labeln, hatte sich die EU-Kommission sich über die Empfehlung der Plattform für Sustainable Finance hinweggesetzt. Das Expertengremium war von der Kommission beauftragt worden, die Taxonomie zu entwickeln. Sie hatte sich gegen ein Nachhaltigkeitslabel für die Atomwirtschaft ausgesprochen und für Gaskraftwerke sehr enge Grenzwerte definiert.
Dass die Kommission die Empfehlungen des eigenen Expertengremiums missachtet hat, ist nun Teil der Klage der Umweltverbände. Denn die Taxonomie muss nach den Regeln der Taxonomie-Verordnung verfasst werden und die wiederum sieht eine Konsultation der Plattform vor. Zudem verstoße die Entscheidung gegen das EU-Klimagesetz. Treibhausgasneutralität bis 2050 sei mit Atomkraft und Gaskraftwerken nicht zu erreichen, so die Umweltverbände auf einer Pressekonferenz.
Die NGO legten zwei Klagen vor. Die Greenpeace-Klage richtet sich gegen die Klassifizierung von Atomenergie als nachhaltig; die von ClientEarth, WWF, BUND und Transport & Environment gegen die Entscheidung, Investitionen in Gaskraftwerke als nachhaltig zu labeln. Bereits im Herbst hatte Österreich eine Klage eingereicht.
Sollten die Umweltverbände vor Gericht recht bekommen, ändert dies erstmal wenig. Das Gericht könnte die EU-Kommission damit beauftragen, den umstrittenen delegierten Rechtsakt zu Atom und Gas zu überarbeiten. Die Umweltverbände rechnen selbst damit, dass bis zu einem Urteil mehrere Jahre vergehen könnten. Und das sei fatal, sagt Greenpeace Anwältin Roda Verheyen. Denn die Taxonomie ist schon seit Anfang dieses Jahres in Kraft.
Was das bedeutet, erklärt sie am Beispiel des französischen Stromerzeugers Electricité de France. Dieses wolle mit grünen Anleihen, die an der Taxonomie ausgerichtet sind, die Instandhaltung seiner alten und schlecht gewarteten Atomreaktoren finanzieren. So würden Gelder von Investoren, die den Umstieg auf Erneuerbare Energien finanzieren wollten, in die Atomwirtschaft umgeleitet, so die Greenpeace-Anwältin. vvo
Das Europäische Parlament hat am Dienstag mit großer Mehrheit die Trilog-Einigungen zu den Kernelementen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Die Abgeordneten stimmten ab über:
Eine wesentliche Änderung des Emissionshandels besteht in der Verwendung der Gelder, die die Mitgliedstaaten beim Verkauf von Emissionsrechten einnehmen. Bisher waren die Mitgliedstaaten lediglich dazu aufgerufen (“should”), ihre Einnahmen wieder in Klimaschutzmaßnahmen, in die Energiewende oder in die soziale Abfederung höherer Kosten durch die CO₂-Bepreisung zu reinvestieren. Eine Verpflichtung war das nicht.
Mit der Reform wird dieser Aufruf nun zwar verstärkt, indem die Formulierung in “shall” geändert wird. Jedoch ist der rechtliche Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern umstritten. Eine unmissverständliche Verpflichtung wäre ein “must” gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie dieser Teil der Reform in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die Berichterstatter des EU-Parlaments kündigten am Dienstag an, die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung dieser Regeln genau zu überwachen.
Trotz der großen Mehrheiten für die Dossiers, die den European Green Deal in die Tat umsetzen sollen, gab es auch überraschende Gegenstimmen. Die französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV) und S&D-Delegation aus Frankreich stimmten anders ab als ihre jeweiligen Fraktionen. Die EELV-Abgeordneten stimmten gegen den ETS-Text, während sich die S&D-Leute enthielten. Grund dafür sind die französischen Erfahrungen mit den Protesten der Gelbwesten-Bewegung, heißt es im Umfeld beider Delegationen, die sich im Vorfeld der Abstimmung getroffen hatten.
Die Befürchtung, dass die zusätzlichen Kosten der CO₂-Bepreisung zu neuen Unruhen führen, ist immens. Der Text sei den sozialen Herausforderungen nicht gewachsen, sagte Éric Andrieu (S&D, Parti Socialiste) in einem Interview mit der französischsprachigen Presse. “Es gibt noch zu viele Unklarheiten über die Auswirkungen der Einbeziehung des Verkehrs- und Wohnungssektors in den CO₂-Markt auf die am stärksten gefährdeten Haushalten.”
Marie Toussaint (Greens, EELV) weist auf das Risiko einer “Preisexplosion” im Verkehrs- und Wohnungssektor ab 2030 hin. Zwar gibt es im ETS 2 einen Preisstabilitätsmechanismus, der bis 2030 gilt und den CO₂-Preis auf maximal 45 Euro pro Tonne begrenzen soll. “Aber was passiert, wenn dieser Preis nicht mehr garantiert werden kann?”, fragt Toussaint und prognostiziert, dass das Preissteigerungspotenzial in erster Linie die am stärksten gefährdeten Gruppen treffen wird. “45 Euro pro Tonne CO₂ bedeutet in Frankreich einen Preisanstieg an der Zapfsäule um 10 Cent pro Liter”, sagt sie.
Die Architektur des ETS beruhe auf den Prinzipien des Marktes, so Toussaint. Dies bedeute, dass der Markt nicht in der Lage sei, die Vorhersehbarkeit der Kohlenstoffpreise für den Verkehrs- und Wohnungssektor zu gewährleisten. Die französischen Grünen plädieren stattdessen für eine Besteuerung der Finanzanlagen und Gewinne von Energiekonzernen, die infolge des durch den Krieg in der Ukraine verursachten Anstiegs der Energiepreise “explodiert” sind. cst/luk
Der Bundesrechnungshof kritisiert die fehlende Transparenz bei Investitionen in den Klimaschutz. Es sei völlig unklar, wie erfolgreich die Milliarden des Bundes seien und ob sie sich überhaupt lohnten, hieß es am Dienstag in neuen Prüfungsergebnissen des Gremiums. Auf dem Weg hin zu Klimaneutralität benötige der Bund allein bis 2030 einen dreistelligen Milliardenbetrag. Die Bundesregierung brauche daher ein genaues und umfassendes Bild über die Auswirkungen ihres politischen Handelns auf den Klimaschutz, auch um Zielkonflikte rechtzeitig identifizieren und nachsteuern zu können. “Sie muss daher ihre Ausgaben und Einnahmen dahingehend bewerten, ob sie klimafreundlich, klimaneutral oder klimaschädlich sind und diese Informationen in einem ‘Klimahaushalt’ zusammenfassen. Außerdem sollte sie im Klimaschutzbericht für alle Maßnahmen auch die Treibhausgasminderungen sowie den damit verbundenen Mittelbedarf angeben.”
Handlungsbedarf sieht der Rechnungshof auch im Gebäudemanagement. Hier habe der Bund seine jahrzehntealten Vorgaben für Büroflächen nicht an flexible und mobile Arbeitsformen angepasst. “Mittlerweile benötigt er deutlich weniger Büroflächen, sodass unnötige Ausgaben in Millionenhöhe entstehen. Wenn die zivilen Bundesbehörden 20 Prozent der Büroflächen aufgeben würden, könnte der Bund jährlich mindestens 300 Millionen Euro Kaltmiete sparen.” Im Ergebnis müssten weniger Gebäude saniert und beheizt werden. Neubauten sollten auf ein Mindestmaß beschränkt werden. “Er braucht unverzüglich Vorgaben für eine zeitgemäße Büroflächenplanung und ein Programm zur Flächenreduzierung.” rtr
Für die Transformation der Energieerzeugung in Europa sind Wärmepumpen essenziell. Noch sind hiesige Hersteller international wettbewerbsfähig und wachsen rasch. Doch die EU verzeichnet einen signifikanten Anstieg an Konkurrenzprodukten aus China. Viele Komponenten stammen schon aus der Volksrepublik. Droht den aufstrebenden Akteuren hierzulande das gleiche Schicksal wie vor 15 Jahren der deutschen Fotovoltaik-Industrie? Sie ging angesichts des Ansturms günstiger Anlagen – staatlich subventionierter – Hersteller aus China in die Knie. Viele Anbieter gaben auf.
Die meisten Hersteller von Wärmepumpen sind schon jetzt bei zentralen Bestandteilen von Importen aus dem außereuropäischen Ausland abhängig. Und das heißt sehr oft: von China. Die Abhängigkeit betrifft vor allem:
Das Fraunhofer-Institut schätzt den chinesischen Anteil am deutschen Wärmepumpen-Markt auf 20 Prozent. In der EU bedienen aktuell vor allem europäische Hersteller den Bedarf, die Europäische Kommission beziffert deren Marktanteil in der EU auf 73 Prozent. Die Einfuhren aus China seien in den vergangenen beiden Jahren zwar gestiegen, schreibt die Brüsseler Behörde, allerdings von einem niedrigen Niveau aus und vor dem Hintergrund einer insgesamt sehr raschen Entwicklung.
Der Markt in der EU wächst derweil mit 35 Prozent so schnell wie keine andere Region der Welt. Bis 2030 könnte der Jahresabsatz auf sieben Millionen Geräte steigen, erwartet die Internationale Energie-Agentur (IEA). Im Jahr 2021 waren es noch zwei Millionen. Das anvisierte Volumen hat in China Begehrlichkeiten geweckt.
Deutsche Hersteller bauen derweil mit Millioneninvestitionen ihre Kapazitäten aus. Vaillant steigerte seine Kapazität mit der Eröffnung einer Mega-Fabrik im slowakischen Senica um jährlich 300.000 Wärmepumpen auf weit über eine halbe Million Geräte. Viessmann, Europas Nummer zwei unter den Herstellern, will bis 2025 eine Milliarde Euro in den Ausbau seiner Produktion investieren.
Wie aggressiv China Europas Märkte ins Visier nimmt, konnte man schon Anfang 2022 bei den Luftwärmepumpen beobachten. Deren Exporte schnellten nach oben. Allein nach Bulgarien ging mehr als das siebenfache Volumen, nach Polen das fünffache, nach Italien das dreifache. Zu den größten Wärmepumpenlieferanten der Volksrepublik gehören Haushaltsgerätehersteller wie Gree, Midea oder Haier. ck/tk
Aus der starken Einbindung des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus in internationale Wertschöpfungsketten ergeben sich Risiken. Der Maschinenbau “beliefert Unternehmen und Staaten, denen teilweise schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden”, schreiben die kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure (Misereor, Germanwatch, Transparency International, Gegenströmung) in einer am Montag veröffentlichten Studie. Sie fordern eine stärkere Regulierung der nachgelagerten Lieferketten. An der Frage war 2021 ein Branchendialog zwischen Zivilgesellschaft und Maschinenbau-Branche gescheitert. Ein Fehler aus Sicht der NGO, eine Folge “falscher Schwerpunkte” des Vorhabens aus Sicht des VDMA.
Bei den bisherigen nationalen Lieferkettengesetzen steht die vorgelagerte Beschaffung im Vordergrund. Die NGO sehen aber einige Hebel für deutsche Unternehmen, um auch bei der Verwendung ihrer Produkte die Lage für Mensch- und Umwelt zu verbessern:
Die NGO erhoffen sich eine weitergehende Regulierung der EU, durch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive. “Auf EU-Ebene muss das nachgeholt werden, was auf deutscher Ebene im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz versäumt wurde”, sagt Armin Paasch, Referent für verantwortliches Wirtschaften bei Misereor. “Dass der VDMA diese Sorgfaltspflichten mit Blick auf die Verwendung von Maschinen ablehnt, ist völlig indiskutabel.”
Große Sorgen hegt dagegen der VDMA gegenüber Table.Media: Sollte die Verantwortung für das Verhalten internationaler Kunden tatsächlich auf europäische Unternehmen abgewälzt werden, bliebe häufig nur der Rückzug aus solchen Projekten und gegebenenfalls ganzen Ländern, mit der Folge, dass ein Zulieferer aus einem anderen nicht-europäischen Land und unter Umständen mit schlechteren Sicherheits- und Umweltstandards in das Kundenprojekt einsteige.
Aber noch ist zwischen Rat und Kommission strittig, “wie Sorgfaltspflichten für die nachgelagerte Wertschöpfungskette ausgestaltet sein sollen”. Offen ist auch noch, ab welcher Unternehmensgröße die Richtlinie greifen soll. Die NGO fordern auch alle KMU aus risikoreichen Bereichen einzubeziehen. Nach den bisherigen Plänen der EU-Kommission bleiben zahlreiche Maschinen- und Anlagebauer außen vor. Nur etwa jede fünfte hiesige Firma wäre betroffen.
Deutschland ist der drittgrößte Maschinen- und Anlageproduzent weltweit. Für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen spielen weitverzweigte Lieferketten eine wesentliche Rolle. Darauf verwies gegenüber Table.Media Claudia Barkowsky, die das VDMA-Verbindungsbüro in China leitet. “Je global verzweigter unsere Lieferketten sein dürfen, desto niedriger sind unsere Kosten. Das gilt vor allem für Deutschland und Europa.” cd
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat Anfang der Woche seinen Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2022 vorgelegt. Demnach sind die Emissionen in Deutschland gegenüber 2021 um 1,9 Prozent von 760,4 auf 746,2 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gesunken.
Allerdings ist der Rückgang nach Einschätzung des ERK vor allem krisenbedingt. Ohne den Krieg in der Ukraine wären die Treibhausgasemissionen um rund neun Millionen Tonnen höher als im Vorjahr. Zudem sei der Ausbau nicht-fossiler Alternativen im Jahr 2022 deutlich langsamer vorangeschritten als geplant, so der ERK.
Hinzu kommt: Während alle anderen Sektoren die Zielwerte des Klimaschutzgesetzes unterschreiten, liegen sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor wie im Vorjahr über den Grenzwerten. Dabei sind die Emissionen im Gebäudesektor zumindest zurückgegangen. Im Verkehrssektor hingegen stiegen sie weiter an. Das Klimaschutzgesetz schreibt für jeden Sektor konkrete CO₂-Obergrenzen für jedes Jahr vor.
Laut Gesetz müssen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nun innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Denn auf Drängen der FDP hat der Koalitionsausschuss Ende März vereinbart, das Klimaschutzgesetz an entscheidender Stelle zu ändern. Künftig soll es unter anderem möglich sein, Überschreitungen der Zielwerte in einzelnen Sektoren durch Unterschreitungen in anderen Sektoren auszugleichen.
Der ERK hält den Schritt für nicht zielführend. “Eine mögliche Aufweichung der ausdrücklichen Ressortverantwortung sowie die verschiedenen Überlegungen zur Änderung des Steuerungsmechanismus im Klimaschutzgesetz erhöhen das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen“, erklärt die stellvertretende ERK-Vorsitzende Brigitte Kopf bei der Vorstellung des Berichts. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht in der geplanten Abschaffung der jährlichen Sektorziele sogar einen “Generalangriff auf den Klimaschutz“.
Die Grünen forderten am Dienstag vom Kanzleramt eine Klarstellung, dass Verkehrsminister Volker Wissing doch ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz vorlegen muss. “Das Klimaschutzgesetz gilt – und es gilt für alle”, sagte die Co-Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Es brauche daher eine “unmissverständliche Klarstellung” des Kanzleramts. Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP müsse sich natürlich an die eigenen Gesetze halten. ch/rtr
Unternehmen müssen künftig detailliert darlegen, wie nachhaltig sie wirtschaften. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) unterstützt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dabei, diese Berichtspflichten zu erfüllen. Wie der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) als Initiator des DNK in der vergangenen Woche mitteilte, haben seit dem Start bereits 1.000 Interessenten das kostenlose Angebot genutzt. Allein in den vergangenen zwei Jahren habe sich die Zahl der anwendenden Unternehmen vervielfacht.
“Es ist ein großer Erfolg, dass große und kleinere Unternehmen freiwillig und transparent anhand der Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex über ihre Aktivitäten berichten”, begrüßte Bundeskanzler Olaf Scholz das wachsende Interesse. Diese Unternehmen seien “Pioniere des Wandels”, so Scholz. Auch der RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann bezeichnete den Kodex als “Erfolgsgeschichte“. “In ganz Deutschland und darüber hinaus machen Unternehmen mit dem DNK sichtbar, welchen Beitrag sie zur Erreichung gemeinsamer Ziele wie den Sustainable Development Goals oder der Pariser Klimaziele leisten”, betonte er.
Der DNK wurde im Oktober 2011 vorgestellt und bildet Nachhaltigkeit im unternehmerischen Handeln anhand von 20 Kriterien ab. Dazu gehören Themen wie Klimaschutz, Ressourcenmanagement und die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten. Der DNK ist modular aufgebaut und auf freiwilliger Basis anwendbar. Er kann aber auch von Unternehmen genutzt werden, die Berichtspflichten erfüllen müssen.
Und davon gibt es immer mehr. Seit Anfang Januar 2023 gilt in der EU die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Allein in Deutschland sind davon rund 15.000 Unternehmen direkt betroffen. Ihre Berichtspflicht beginnt 2025 für das Geschäftsjahr 2024. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben, wird der DNK nun an die Anforderungen der CSR-Richtlinie angepasst. Dazu werden die neuen europäischen Berichtsanforderungen gebündelt und insbesondere für KMU leicht zugänglich gemacht, heißt es seitens des RNE. ch
Zu streng oder zu unverbindlich? Banken streiten über die globale Klima-Allianz – Handelsblatt
Die Glasgow Financial Alliance for Net Zero, ein Zusammenschluss von Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern, die sich auf Netto-Null Emissionen bis 2050 verpflichtet haben, stehe vor einer Zerreißprobe, berichtet Felix Stippler. Kleinere Firmen drohten mit Austritt, weil die Großen zu wenig machten. Zum Artikel
Marcel Fratzscher zur deutschen Industriepolitik: “Ich halte das für einen Irrweg” – Handelsblatt
Der Chef des DIW kritisiert die Strategie der Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft mit Subventionen und Protektionismus wettbewerbsfähig machen zu wollen. Stattdessen brauche es bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen, damit diese Innovationen vorantreiben können, die nötig sind, um die ökologische und digitale Transformation zu schaffen. Zum Artikel
Three ways to solve the plastics pollution crisis – Nature
Diana Kwon analysiert, wie Politik und Wirtschaft die Umweltverschmutzung durch Plastik verringern können. Sie berichtet über Vorhaben, Plastik besser zu recyclen, etwa mit Enzymen, sowie über die Entwicklung von Bioplastik. Voraussetzung für Verbesserungen sei aber auch, dass die Wirkungen von Maßnahmen, etwa zur Reduzierung von Plastik, überwacht und evaluiert werden. Zum Artikel
Landwirte verlieren Interesse an Umstellung auf Bio – Top Agrar
Die Zahl der konventionell arbeitenden Landwirte, die ihren Betrieb auf Bio umstellen oder Interesse daran haben, geht seit Jahren zurück. Das berichtet Christina Selhorst und zitiert aus einer Umfrage des Bauernverbandes. Als Hauptgrund gelten vor allem das zu geringe “Preispremium der Öko-Erzeugerpreise” und die “als zu gering wahrgenommene Absatzsicherheit”. Zum Artikel
Why Africa is one of the most unequal continents in the world – The Economist
Die Autoren berichten über Ungleichheit in Afrika und greifen neue Studien auf. Demnach beträgt das Einkommen vor Steuern der oberen zehn Prozent in Afrika 54 Prozent, auf die untere Hälfte der Bevölkerung entfallen neun Prozent. Die Diskrepanz ist so hoch wie auf keinem anderen Kontinent. Zum Artikel
A winter drought grips southern Europe – The Economist
Der Economist beschäftigen sich mit der zweiten großen Dürre in Südeuropa innerhalb von einem Jahr. Gleichzeitig gehen Experten davon aus, dass wegen der geringen Schneefälle aus den Alpen 25 bis 50 Prozent weniger Wasser in die großen Flüsse wie Po, Donau, Rhein und Rhone fließen wird. In Spanien zeige sich, dass Wasser zu teilen mit Menschen weniger strittig sei als das Teilen zwischen Menschen und Landwirtschaft. Zum Artikel
Ghana is first country to approve Oxford malaria vaccine – The Guardian
Die Autorin Lizzy Davies schreibt, der Malaria-Impfstoff R21/Matrix-M, der als erster die von der Weltgesundheitsorganisation angestrebte Wirksamkeit von 75 Prozent übertreffe, werde von der ghanaischen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde für den Einsatz bei Kindern im Alter von 5 bis 36 Monaten freigegeben – die Gruppe mit dem höchsten Malaria-Todesrisiko. Zum Artikel
Botanist Stefano Mancuso: ‘You can anaesthetise all plants. This is extremely fascinating’ – The Guardian
Im Interview mit Killian Fox erörtert der italienische Autor Stefano Mancuso, ein Verfechter der pflanzlichen Intelligenz, die komplexe Art und Weise, in der Pflanzen kommunizieren, ob sie ein Bewusstsein haben und was seine Erkenntnisse für Veganer bedeuten. Zum Artikel
The west is in the grip of a decoupling delusion – Financial Times
Der Versuch, die Produktion aus China zu verlagern, ist viel schwieriger, als viele Unternehmen und Regierungen glauben, schreibt James Crabtree, Executive Direktor des International Institute for Strategic Studies Asia. Zum Artikel
CO₂ Recycling – Maschinenmarkt
Ein Joint Venture von Heidelberg Materials und Linde will über eine Carbon Capture und Utilisation-Anlage im großtechnischen Maßstab abgeschiedenes CO₂ aus der Zementproduktion wiederverwerten. Das in der Anlage aufbereitete Gas könne sowohl in der Lebensmittelindustrie, als auch in der Chemieindustrie eingesetzt werden. 70.000 Tonnen CO₂ soll die Anlage im Zementwerk Lengfurt jährlich aufbereiten. Zum Artikel
Der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes am 24. April 2013, bei dem 1.138 Menschen starben, führte zur Vereinbarung über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch – ein verbindliches Abkommen (Bangladesch Accord). In der Folge sind 1.600 Fabriken in Bangladesch sicherer geworden. Seit 2013 haben Ingenieure mehr als 30.000 Inspektionen durchgeführt. Von den unter das Abkommen fallenden Fabriken wurden 92 Prozent saniert. Es ist der einzige Bereich in der Bekleidungsindustrie, in dem sich die Arbeitsbedingungen seit dem “Weckruf” durch den Einsturz von Rana Plaza verbesserten.
Die Erfahrung zeigt, dass eine verbindliche Vereinbarung von Marken und Gewerkschaften in der Lage ist, ein lange bestehendes Problem zu lösen: Sie kann das Leben der Arbeiter verbessern und für die Marken kosteneffizient sein. Es ist nun an der Zeit, dass die nächste verbindliche Vereinbarung für ein weiteres lange bestehendes Problem angegangen wird: der Lohn- und Abfindungsdiebstahl.
Im Januar 2022 wurden bei der Schließung von Vald’or, einer Bekleidungsfabrik in Haiti, mehr als 1.100 Arbeitnehmer ohne Abfindungen entlassen. Die Fabrik produzierte Kleidung für Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein, die zu dem US-Konzern PVH gehören. Nachdem das Worker Rights Consortium interveniert hatte, erklärte sich PVH bereit, eine Entschädigung in Höhe von einer Million US-Dollar zu zahlen – als Entschädigung für entgangene Abfindungen, Rentenbeiträge für die Beschäftigten und den staatlichen Rentenfonds. Lohn- und Abfindungsdiebstahl ist in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie (TGSL) zu einem der wichtigsten Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG) geworden.
Lohndiebstahl bezieht sich auf das illegale Einbehalten von Löhnen oder Leistungen, die den Arbeitnehmern geschuldet werden, während Abfindungen die Entschädigungen sind, die an Arbeitnehmer gezahlt werden, die aufgrund von Betriebsschließungen oder Umstrukturierungen entlassen wurden. Es ist zwar schwierig, das Ausmaß des Lohn- und Abfindungsdiebstahls zu beziffern, aber Studien und Berichte zeigen, dass das Problem in der TGSL-Branche weit verbreitet ist.
Lohn- und Abfindungsdiebstahl ist rechtswidrig und daher ein zentrales ESG-Risiko für Investoren. Dies gilt insbesondere für Artikel 9-Fonds, wie sie in der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor definiert sind. Diese Fonds sind dafür verantwortlich, dass ihre Investitionen zu den ESG-Zielen beitragen.
Um sicherzustellen, dass die Beschäftigten in der globalen TGSL-Branche die ihnen zustehenden Löhne und Leistungen erhalten, ist eine verbindliche und durchsetzbare Vereinbarung zwischen Marken, Arbeitgebern und Gewerkschaften erforderlich. Die Vereinbarung Pay Your Workers – Respect Labour Rights (PYW-RLR) ist eine rechtsverbindliche und durchsetzbare Vereinbarung, die von über 40 in der TGSL-Branche tätigen Gewerkschaften vorgeschlagen wurden und von über 280 Organisationen unterstützt wird. Marken, die die Vereinbarung unterzeichnen, verpflichten sich:
Die Vereinbarung soll ein unabhängiges Gremium überwachen, in dem Gewerkschaften und Unternehmen gleich stark vertreten sind. Die Gesamtkosten sowie die geschätzten Kosten für die Deckung nicht gezahlter Löhne und Sozialleistungen und die Einrichtung der unabhängigen Aufsichtsbehörde werden die Markenhersteller nicht mehr als zehn Cent pro T-Shirt kosten.
Es ist nicht nur eine Frage der Ethik und der sozialen Verantwortung der Marken, dafür zu sorgen, dass ihre Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Bezahlung erhalten. In mehreren Ländern, etwa in Frankreich und Deutschland, ist die Einhaltung der Menschenrechte und der ökologischen Sorgfaltspflicht inzwischen gesetzlich vorgeschrieben. Das Fehlen einer solchen Gesetzgebung im Jahr 2013 hinderte die vom Rana-Plaza-Einsturz betroffenen Arbeiter daran, die Marken wirksam zur Verantwortung zu ziehen.
Nun aber wird die Sorgfaltspflicht für immer mehr Unternehmen verpflichtend werden, da die Europäische Kommission an einer Richtlinie arbeitet, die Sorgfaltspflichten für in der EU tätige Unternehmen festlegt. Marken und Einzelhändler, in deren Lieferketten Lohn- und Abfindungsdiebstahl vorkommt, sind jetzt mit verschiedenen rechtlichen Risiken konfrontiert, darunter Geldbußen und Strafen, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, zivilrechtlicher Haftung und behördlichen Maßnahmen.
Wenn eine Marke beispielsweise die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes nicht erfüllt und es versäumt, geeignete Präventiv- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um die Risiken des Lohn- und Abfindungsdiebstahls in ihrer Lieferkette zu bekämpfen, kann ihr letztlich mit Geldbußen von bis zu zwei Prozent seines durchschnittlichen weltweiten Jahresumsatzes drohen. Dies könnte erhebliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen haben.
Für Marken ist die PYW-RLR-Vereinbarung eine kosteneffiziente Due-Diligence-Lösung, die mehrere kritische Aspekte des Lieferkettenmanagements, der Risikominderung und der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften auf systematische und umfassende Weise behandelt. Im Gegensatz dazu kann es ressourcenintensiv und zeitaufwändig sein, Lohn- und Abfindungsdiebstahl von Fall zu Fall zu identifizieren und zu beheben, und es kann negative Publicity nach sich ziehen.
Investoren können ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, um Unternehmen zu ermutigen, gegen Lohn- und Abfindungsdiebstahl vorzugehen und Finanzmittel auf diejenigen Marken zu lenken, die sich zur Unterzeichnung des PYW-RLR-Abkommens verpflichten. Sie können Bewertungen der Unternehmensleistung in Bezug auf die Zahlung von Löhnen und Abfindungen einführen und diese Konzepte in ESG-Metriken, Modellierungsrahmen und Rankings integrieren. Investoren können auch die Beteiligung an der PYW-RLR-Vereinbarung als Kriterium oder Indikator bei der Bewertung der ESG-Leistung eines (potenziellen) Beteiligungsunternehmens berücksichtigen. Beteiligungsunternehmen, die das Risiko des Lohn- und Abfindungsdiebstahls nicht angehen, sollten von Artikel 9-Fonds ausgeschlossen werden.
Zehn Jahre nach dem verheerenden Rana-Plaza-Einsturz müssen wir feststellen, dass die Marken nicht so sehr “aufgewacht” sind, wie sie unmittelbar nach dem Einsturz beteuert haben. In Bangladesch und darüber hinaus sind die Arbeitende immer noch mit Armutslöhnen, geschlechtsspezifischer Gewalt, Einschränkungen ihres Vereinigungsrechts und obendrein mit Lohn- und Abfindungsdiebstahl konfrontiert. Trotz der schönen Worte der Marken in vielen anderen Bereichen hat sich lediglich die Sicherheit der Bekleidungsfabriken in Bangladesch dank der Durchsetzbarkeit des Abkommens verbessert. Es ist an der Zeit, den Fortschritt auszuweiten.
Ineke Zeldenrust begann 1989 zusammen mit anderen, das Netzwerk aufzubauen, das sich zur globalen Clean Clothes Campaign entwickelte. Unter ihrer Leitung hat die Kampagne sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem nicht hierarchischen Netzwerk von 237 Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen, feministischen und aktivistischen Organisationen in 44 Ländern entwickelt. Zeldenrust leitet aktuell die Lobby- und Advocacy-Arbeit mit den Schwerpunkten Unternehmensverantwortung, Sicherheit und existenzsichernde Löhne. Sie war eine der Hauptarchitekten des Bangladesch-Accords, in dessen Vorstand sie als Zeugin fungiert, und arbeitete intensiv an den Kampagnen für die Opfer des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes, des Tazreen- und des Baldia-Brandes und handelte Vereinbarungen aus, die den Opfern insgesamt über 30 Millionen Dollar einbrachten. Sie ist Vorstandsmitglied der Fair, Green and Global Alliance.
Als Expertin für Ökosysteme bemüht sich Katrin Böhning-Gaese, auf Empfehlungen zu verzichten. Stattdessen möchte sie Handlungsoptionen und deren Konsequenzen aufzeigen. Alles Weitere überlässt sie der Politik und Gesellschaft. “Ob die Biodiversität geschützt wird oder nicht, das ist eine normative Entscheidung”, sagt die Wissenschaftlerin. Böhning-Gaese leitet das Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima und ist Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Beim Weltnaturgipfel in Montreal im Dezember 2022 haben die teilnehmenden Staaten wegweisende Entscheidungen gefällt: Sie wollen dreißig Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen und Milliarden für Schutzmaßnahmen investieren. Dabei gilt es, gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme zu verändern, aber auch Geschäftsmodelle von Unternehmen. “Da sind ganz schön dicke Bretter zu bohren”, sagt Böhning-Gaese, die ihre private Meinung klar von ihren wissenschaftlichen Statements trennt – anders als etwa die Scientists for Future oder Wissenschaftler, die es als Teil ihres Auftrags ansehen würden, sich auf der Straße festzukleben. “Ich versuche immer deutlich zu machen, in welcher Rolle ich gerade spreche.”
Bedächtig und konsequent – so lässt sich das Vorgehen von Katrin Böhning-Gaese beschreiben. Sie selbst bezeichnet ihre Haltung augenzwinkernd auch als “schwäbische Dickköpfigkeit”. Die habe sie schon vor über dreißig Jahren dazu gebracht, nach ihrer Promotion in den USA die Makroökologie in Deutschland zu etablieren, trotz aller Widerstände. “Ich war wirklich vollkommen davon überzeugt, dass das ein Thema der Zukunft ist”, sagt sie rückblickend. Von “so kleinen Härten”, wie fehlenden Stellen und beruflicher Unsicherheit, hat sich die Wissenschaftlerin dabei nicht aufhalten lassen.
Die Ergebnisse aus Freilandbeobachtungen auf einer übergeordneten Ebene zu analysieren, um etwa deutschlandweite Langzeittrends in den Blick zu nehmen, oder globale Hotspots der Artenvielfalt auf der Erde zu suchen, das war hierzulande damals noch ganz neu. Katrin Böhning-Gaese hat ihren Beitrag geleistet, um das zu ändern – und dafür 2021 den Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt (DBU) erhalten. Ein Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere.
Gerne erinnert sich Katrin Böhning-Gaese auch an ihre Feldforschungen zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere. “Wir sind in Südafrika mit Pferden durch Nationalparks gewandert, Bewaffnete vor und hinter uns, die uns davor schützen sollten, von einem Spitzmaulnashorn platt getrampelt zu werden”, sagt Böhning-Gaese, die sich auch mit Ornithologie beschäftigt. Ihr Mann, ein Neurobiologe, habe dort mit ihr geforscht und die beiden Söhne, damals noch Teenager, waren ebenfalls dabei.
Das Ehepaar verbringt die Freizeit am liebsten mit Wandern und der Vogelbeobachtung, außerdem sprechen sie häufig über wissenschaftliche Themen. Einmal die Woche, als Sonntagsbraten, kommt Biofleisch auf den Tisch. “Wenn wir vegetarisch leben würden, gäbe es für die landwirtschaftlichen Betriebe keine Anreize mehr, Weidetiere zu halten”, sagt Böhning-Gaese. “Und damit würden wir die wunderbaren Blühwiesen verlieren.” Die möchte sie gerne erhalten. Janna Degener-Storr
Anton-Wolfgang Graf von Faber-Castell, dem langjährigen Chef des wohl bekanntesten Schreibwarenherstellers der Welt, wird folgendes Zitat zugeschrieben: “Auch ich habe schon manches zur Chefsache erklärt und dann nicht gewusst, was ich tun soll. So ist das eben mit Chefsachen.” So wie Faber-Castell, der sein Unternehmen in achter Generation führte, geht es wohl vielen Firmenlenkern und Managern in Zeiten der Transformation. Dekarbonisierung, der sozial-ökologische Wandel, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Lieferketten – das sind die Chefsachen von heute. Und nicht selten geht es dabei um Terra incognita, um Neuland.
Das Ende letzten Jahres vorgestellte Strategiespiel “Make it circular! Zirkuläre Geschäftsmodelle im Unternehmen spielerisch kennenlernen” setzt genau hier an. Den Machern ist wichtig, schreiben sie auf ihrer Internetseite, “dass zirkuläre Geschäftsmodelle nicht nur durch einige wenige Pioniere aufgegriffen werden, sondern durch eine umfassende Marktdurchdringung auch in die Breite diffundiert werden”. Gleichzeitig wollen sie zum Teamplay motivieren, zur gemeinsamen Lösungsfindung über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg. Als ideale Ergänzung sehen sie wichtige Partner in der jeweiligen Wertschöpfungskette.
Ziel von “Make it circular!” ist es, am Ende des Spiels drei konkrete Schritte zu definieren, die im Unternehmen als erstes angegangen werden sollen, um den Weg zur Umsetzung eines zirkulären Geschäftsmodells zu ebnen. Für das Spiel sind sieben Stunden aktive Spielzeit vorgesehen. Die mögliche Teilnehmerzahl liegt zwischen fünf und acht Personen. Vorkenntnisse im Bereich der Kreislaufwirtschaft sind nicht erforderlich.
Das Kartenspiel wurde branchenunabhängig für mittelständische Unternehmen konzipiert und ist ein Gemeinschaftswerk der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatech), der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) und des World Wildlife Fund For Nature (WWF). Weitere Informationen, Kontakt und einen Link zum Download gibt es auf der Website von Acatech. Carsten Hübner