bei der Fashion Week in Berlin zeigten Aktivisten vor wenigen Tagen die Schattenseiten der Modeindustrie auf. Models liefen in verschmutzten und zerrissenen Adidas-Outfits über den Laufsteg. Damit standen die Auswirkungen der Textilproduktion für Mensch und Umwelt wieder in den Schlagzeilen. Wenige Tage später sagte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt bei der Vorstellung ihres Initiativberichts zu kreislauffähigen Textilien im EU-Parlament: “Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen.” Die Politikerin will mit dem Modell brechen, nach dem immer neue Trends immer schneller und günstiger produziert werden. Gemeinsam mit Charlotte Wirth berichte ich in dieser Ausgabe des ESG.Table über die Ideen von Delara Burkhardt, über die Transformation der Textilbranche sowie die Möglichkeiten des Textilrecyclings. Im Anschluss teilt die Slow-Fashion-Designerin Martina Glomb ihre Ideen für einen Übergang zu Slow Fashion.
Um die Bedingungen für Mensch und Umwelt insbesondere am Anfang der Lieferketten zu verbessern, arbeitet die EU an einem europäischen Sorgfaltspflichtengesetz. Am Dienstag gaben die Ausschüsse im EU-Parlament unterschiedliche Voten ab, was die Arbeit der Berichterstatterin erschwert. Wie schwierig die Umsetzung solcher Gesetze ist, analysieren Nicolas Heronymus und Leonie Düngefeld anhand der Konfliktmineralien-Verordnung der EU. Demnach halten sich viele Unternehmen noch nicht an die Regeln. Trotzdem ringen Interessenvertreter um Einfluss auf neue Gesetze. Lesen Sie, warum einige NGO dem Schattenberichterstatter im EU-Parlament Alex Voss (CDU/EVP) und einigen anderen Parlamentariern vorwerfen, einseitig auf die Argumente der Industrie zu hören.
Warum betriebliche Mitbestimmung für ESG eine wichtige Rolle spielt, unterstreicht Michael Brecht, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Daimler Truck. ESG mache die Mitbestimmung nach deutschem Modell aktueller und moderner denn je, schreibt er im Standpunkt und beschreibt, wie Betriebsräte an allen drei Dimensionen in Unternehmen “mitwirken und sogar erfolgskritisch sind”.
Am Dienstag ist mit dem ersten Africa.Table das jüngste Professional Briefing von Table.Media an den Start gegangen. Africa.Table widmet sich fortan jeden Dienstag Europas Nachbarkontinent, mit einem klaren Fokus auf die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen aus Deutschland. Die Kollegen berichten über Krisen, die kaum bewältigbar scheinen, aber auch über Länder, die in großen Schritten vorankommen. Hier können Sie sich kostenlos für den Africa.Table anmelden.
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“Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen”, sagte die EU-Abgeordneten Delara Burkhardt (SPD/S&D) als sie vergangene Woche ihren Initiativbericht zu kreislauffähigen Textilien vorstellte. Die Sozialdemokratin will mit dem Modell brechen, wonach immer neue Trends immer schneller und günstiger produziert werden. So fordert sie etwa, dass die Überproduktion von Kleidungsstücken und Schuhen behoben und die Zerstörung nicht verkaufter Textilien verboten wird. “Wir müssen uns für unseren Konsum verantworten”, sagt Burkhardt. Denn obwohl die Textilbranche einen enormen ökologischen und sozialen Fußabdruck habe, sei er sehr wenig reguliert. “Wir müssen den Markt gezielt dazu nutzen, nachhaltige Produktionsstandards zu setzen”, fordert Burkhardt.
Wie weit die Textilindustrie von einer sozialen und ökologischen Zukunftsfähigkeit entfernt ist, zeigen einige Zahlen: In Europa liegt der Sektor, gemessen an den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klimawandel, auf Platz 4, hinter den Sektoren Lebensmitteln, Wohnraum und Mobilität. Der Großteil des Verbrauchs fällt außerhalb der EU an. Laut einer Studie der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission entfallen 76 Prozent der Treibhausgasemissionen auf Regionen außerhalb Europas. Für Wasser- und Landnutzung liegt der Wert bei über 90 Prozent. Auch die soziale Komponente macht sich im EU-Ausland bemerkbar: Unter den schädlichen Einkaufspraktiken der großen Handelsmarken leiden die zumeist weiblichen Arbeiterinnen am Anfang der Lieferkette. Es sei Zeit für ein EU-Gesetz gegen schädliche Praktiken in der Textilbranche, forderte daher am Montag der Vorsitzende des Handelsausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange (SPD/S&D).
Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent. Zentraler Treiber ist Fast Fashion. Das Konzept stammt aus Europa. Unternehmen wie Inditex (Zara etc.) und H&M machten es groß, mittlerweile haben sie starke Konkurrenz durch asiatische Anbieter wie Shein aus China.
“Fast Fashion bedeutet billigste Preise und Löhne für alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette”, sagt Sabine Fehrenschild, Textilexpertin bei der NGO Südwind und der Kampagne für Saubere Kleidung. Darunter litten Beschäftigte in den Konfektionsbetrieben genauso wie bei den Transportfirmen. Für ein Verbot von Fast Fashion hegt sie Sympathien, aber es sei in der Praxis kaum umzusetzen, schon weil “Fast Fashion schwer fassbar ist”. Auf Klassifizierungsschwierigkeiten verweist auch Thomas Fischer, Vizeleiter des Bereichs Management Research am Deutschen Institut für Textil und Faserforschung in Denkendorf. Aber beide halten es für möglich, indirekt auf Fast Fashion einzuwirken, etwa durch die Einführung einer Mindesthaltbarkeit für Bekleidungstücke. “Der Gesetzgeber könnte vorschreiben, dass Kleidungsstücke eine gewisse Anzahl Waschgänge halten müssten”, sagt Fehrenschild.
Die Textilindustrie steht in der EU vor einer Transformation. Denn Teil des Green Deal ist die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, welche die Kommission 2022 vorstellte. Demnach sollen bis 2030 alle Textilerzeugnisse im Binnenmarkt größtenteils aus Recyclingfasern bestehen und frei sein von gefährlichen Stoffen. Dabei setzt die EU-Kommission mit Instrumenten wie der Ökodesignverordnung und der Abfallrahmenrichtlinie auf strengere Vorgaben zu Design-Anforderungen und klare Kennzeichnung der Textilien, die Erweiterung der Herstellerverantwortung sowie das Setzen von wirtschaftlichen Anreizen für nachhaltigere Produktgestaltung.
Ein Beispiel: Ab 2025 sollen im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie Textilien systematisch eingesammelt und getrennt werden. Dies würde eine große Chance für den Recyclingmarkt bedeuten. Aber noch gibt es große Hindernisse (Mehr dazu in der Analyse zu Recycling).
Um diese Hürden zu überwinden, plädiert die EU-Kommission in ihrer Strategie dafür, dass die Zusammensetzung der Textilien angepasst wird. Im Rahmen der sogenannten Ökodesignverordnung sollen strengere Anforderungen an Konzeption und Design von Produkten gelten, damit sie sich zur Wiederverwendung oder das Recycling eignen. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kommission wird momentan in Parlament und Rat diskutiert. Mit Trilogen ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
Eine kürzlich erschienene Studie der Allianz faserbasierter Rohstoffe Baden-Württemberg e.V. rechnet mit verbindlichen Vorgaben bezüglich der Beimischung von textilen Rezyklatfasern in neu produzierte Textilien. Allein mit einer Verdopplung des Einsatzes von Rezyklaten in allen deutschen Produktionen könnten 60 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente jährlich eingespart werden.
Doch Experten warnen, wenn Produkte explizit für ihr Recycling designt werden, könnte die Haltbarkeit leiden. Produkte, die länger halten, eignen sich im Umkehrschluss nicht zwangsläufig zum Recycling: ein Balanceakt.
Der Ökodesign-Ansatz der Kommission orientiert sich am Prinzip der Slow Fashion, der bisher einen Nischenplatz in der globalen Textilproduktion einnimmt. Zu ihren Vertretern gehört die Textildesignerin und Vivien-Westwood-Schülerin Martina Glomb. Sie plädiert unter anderem für die Herstellung einiger weniger Basismodelle mit wenigen Fasermischungen bei Textilstandards wie weißen T-Shirts, Socken oder Unterhosen. (siehe Interview)
Es sei schwierig, die Kaufgewohnheiten der Verbraucher zu ändern, räumt die Kommission in ihrer Strategie ein. Viel eher müssten Unternehmen auf neue Geschäftsmodelle setzen, um ihre Kunden zum Umdenken zu bewegen: Etwa indem sie das Produkt als Dienstleistung werten und Reparaturdienste oder Second-Hand-Kollektionen anbieten.
Doch dieser Ansatz dürfte sich äußerst schwierig durchsetzen lassen, schlussfolgert eine aktuelle Studie der Aalto University School of Science zu kreislauffähigen Geschäftsmodellen. Firmenkulturen, Kompetenzen und Prozesse seien seit Jahrzehnten darauf ausgelegt, immer mehr, immer schneller und immer neue Produkte zu produzieren. Die Forscher sprechen von Verhaltensbarrieren, die sehr schwer zu ändern seien. Hinzu komme, dass kreislauffähige Geschäftsmodelle sich finanziell oft nicht lohnen: “Produkte, die für die Kreislaufwirtschaft konzipiert wurden, passen oft nicht in das bisherige Portfolio der Produzenten: Sie sind entweder zu teuer oder lassen sich nicht in der nötigen Menge produzieren.” Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Der Stand beim Recyceln von Textilien ist nicht vergleichbar mit Werkstoffen wie Stahl, Papier oder Glas, wo es schon lange hohe Recyclingquoten und höherwertige Stoffkreisläufe gibt, weswegen entsprechend weniger Primärrohstoffe verbraucht werden. Dagegen werden in Deutschland noch zwei Drittel der Textilien verbrannt oder deponiert, nur ein Drittel wiederverwendet. Davon wiederum wird der größte Teil in den Globalen Süden exportiert und dort second-hand genutzt, was dort wirtschaftliche Strukturen in der Textilproduktion zerstört. Der Rest wird zu Lappen oder anderen minderwertigen Textilprodukten verarbeitet. Weniger als ein Prozent wird als recycelte Textilfasern für neue Mode verwendet.
Neue Techniken sollen diesen Wert steigern “Das sogenannte Fiber-to-fiber-Recycling, bei dem aus Textilfasern neue Fasern für Mode hergestellt werden, stellt die nachhaltigste Möglichkeit dar, um aus Müll etwas Neues mit Wert zu generieren”, sagt Jonatan Janmark, Co-Autor der Studie Fast Fashion bei McKinsey. Die Studie räumt allerdings auch ein, dass massive Investitionen nötig seien, damit die Technik sich für die Massenproduktion eignet. Skeptisch ist Alexandra Caterbow, Co-Direktorin der NGO HEJSupport und in der Arbeitsgruppe zu Umweltfolgen beim Textilbündnis in Deutschland. “Recycling ist wichtig, aber viele Verfahren steckten noch in den Kinderschuhen”.
Das Recyceln von Textilgeweben ist kompliziert, weil sie häufig aus Mischgewebe aus den unterschiedlichsten Fasern bestehen; aus natürlichen, erdölbasierten, biobasierten oder nachwachsenden Fasern. Insbesondere im Fast Fashion-Bereich bestehen Kleider fast ausschließlich aus synthetischen oder fossilen Materialien. Darunter sind auch Stoffe, die die Kommission als gefährlich einstuft, etwa weil sie karzinogen oder reproduktionstoxisch sind. Ferner enthalten die Kunstfasern oft Mikroplastiken, die spätestens beim Waschen in die Natur gelangen. Hinzu kommt, dass die Recyclingindustrie bis heute nicht bereit ist, die großen Masse an Textilien zu verarbeiten, die nach Plänen der Kommission spätestens ab 2025 anfallen, – ganz gleich, welche Technik sie nutzt. Die Kapazitäten müssten dazu jährlich mit bis zu 90.000 Tonnen Textilien zusätzlich fertig werden, rechnet die gemeinsame Forschungsstelle der EU vor. Darauf, wie die EU-Staaten dies erreichen sollen, gibt die Textilstrategie der Kommission kaum Antworten.
“Neue Technologien müssen sich rechnen“, sagt Textilforscher Thomas Fischer. “Dann werden sie sich auch durchsetzen.” Bislang lohne sich die Forschung für bessere Recyclingverfahren nur für hochpreisige und in großen Mengen verfügbare Fasern. Billige Fasern, aus denen Fast-Fashion besteht, sind jedoch gewöhnlich neu immer noch günstiger als recycelt. Das gilt gerade auch für erdölbasierte Polyesterfasern, mit einem Weltmarktanteil von mehr als 50 Prozent die wichtigste Faser. Nur 15 Prozent stammen aus Recycling.
Und die Ergebnisse vom Recycling sind häufig noch unbefriedigend. So werden beim mechanischen Recycling die Fasern kürzer, womit sich die Qualität verschlechtert. Aktuell wird ein Großteil der wieder gewonnen Fasern deswegen nicht zu Garn gesponnen, sondern zu Vliesstoff verarbeitet. Aber Thomas Fischer ist überzeugt davon, dass es schnell technologische Veränderungen geben wird, wenn sich etwa durch die Regulierung die Kalkulation für die Unternehmen ändere. “Der Green Deal geht in die richtige Richtung.”
Weit entfernt von einer Marktreife ist dagegen nach Ansicht von Alexandra Caterbow das chemische Recycling. Wie andere Kritiker des Verfahrens hält sie schon den Begriff für falsch. Denn bei dem Prozess gehe bis zu einem Drittel des eingebrachten Materials verloren und “man braucht enorme Mengen an Energie für den Betrieb der industriellen Anlagen”, sie trügen zu CO₂-Emissionen bei und steigerten die Produktionskosten derart, “dass chemisch recycelter Kunststoff nur schwer mit preiswertem Neuplastik konkurrieren kann”.
Wer die ökologischen Herausforderungen der Modeindustrie und besonders von Fast Fashion lösen wolle, komme nicht umhin, zu überlegen, wie weniger, haltbarer und zeitlosere Bekleidung hergestellt werden könne. Dazu äußert sich auch die Slow-Fashion-Designerin Martina Glomb im Interview. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Was halten Sie von der Initiative gegen Fast Fashion?
Ich finde es richtig gut, dass es jemand angeht.
Sie setzen auf Slow Fashion. Wie könnte man eine solche ressourcensparende Textilproduktion in großem Stil verwirklichen?
Da könnten viele Faktoren eine Rolle spielen, Preise, Regulierung, Gestaltungsideen, Schönheitsideale. Vor allem brauchen wir Qualität statt Quantität – das gilt an allen Stellen des textilen Lebenszyklus.
Womit würden Sie anfangen?
Hilfreich wäre die Produktion einiger weniger vorbildlich produzierter Varianten bei Basics wie weißen T-Shirts, Unterhosen oder Socken. Das wäre eine einfache Möglichkeit, um von Fast Fashion auf Slow Fashion umzuschalten. Ich stelle mir eine Grundausstattung vor, die komplett überall in der Welt gleich ist.
Warum ist die Reduzierung der Auswahl wichtig?
Wir brauchen kalkulierbare Produkte, um Textilien gezielt zurückholen und in Kreisläufen wiederverwerten zu können.
Wie könnten Menschen dazu gebracht werden, solche Standards zu kaufen?
Wichtig wäre es, dass die Designerinnen, die solch eine Basis-Kollektion entwickeln, ihre Überzeugungen kommunizieren. Helfen könnte auch Nudging. Dass die Politik sagt: Leute, wenn Ihr euch belohnen wollt, dann kauft ihr euch ein cremefarbenes ungefärbtes T-Shirt aus Baumwolle, ohne Chemikalien. Das ist nur halb so teuer wie das knallpinke T-Shirt mit Polyesteranteil. So könnte man vielleicht anfangen, mit Belohnung.
Wo bleibt bei dem Ansatz die modische Individualität?
Menschen könnten sie beispielsweise durch individuelle und handwerklich produzierte Oberbekleidungsstücke pflegen. Ich glaube, wenn man die Basics reguliert, könnte man ein ganzes Stück weiterkommen.
Wie hilfreich wären mehr Informationen für die Käufer: innen?
Die Menschen sollten wissen, wer hat ein Kleidungsstück wo und wie produziert, mit welchen Materialien und Chemikalien? Es braucht eine Lebensdauereinschätzung und eine Ökobilanz, einschließlich des Einsatzes von Recyclingmaterial.
Wann sind Textilien nachhaltig?
Wir suchen in dem Forschungsprojekt Bio2Design gerade geeignete Kriterien. Wir wollen eine Datenbank für biobasierte Halbzeuge erstellen, also Fasern, Fäden, Flächen, Textilien. Wir identifizieren Materialien und versehen sie mit einer Öko- und Fair-Bilanz. Die Daten sollen europaweit zugängig gemacht werden, hauptsächlich für Designer: innen. Sie entscheiden oft über die Auswahl des Materials und sollten deswegen zumindest eine vage Vorstellung davon erhalten, wie nachhaltig ein Material ist?
Wie schwierig ist die Auswahl der Kriterien?
Schwierig. Wir streiten schon darüber, wie hoch der biobasierte Anteil in Materialien sein sollte. Manchen würden 20 Prozent reichen, mir bei weitem nicht.
Sie stehen am Anfang?
Ja, wir haben einen ersten Fragebogen entwickelt, wo es erst mal darum geht Studierende und Leute, die sich mit Materialien und der Beschaffung von Material befassen, zu befragen, nach welchen Kriterien gehst du eigentlich jetzt vor? Wir versuchen bei Designer: innen erst mal herauszufinden, ist die Farbe für dich wichtiger als der Griff. Welche Rolle spielt der Wasserverbrauch? Welche Rolle spielt die Fair-Bilanz? Das versuchen wir herauszufinden, um diese Kriterien dann anzupassen auf eine gezieltere Suche nach nachhaltigeren Materialien. Da spielt auch die Kreislauffähigkeit eine Rolle.
Unsere Arbeit soll das Wachstum von Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit anregen. Wir können aber selbst Informationen nur stichprobenartig überprüfen und nicht für jeden Faden, jede Faser eine Öko- und Fair-Bilanz erstellen. Mit Zertifizierung und Kennzeichnung lösen wir das Problem auch nicht alleine. Am Ende müssen wir weniger Textilien produzieren und konsumieren. Degrowth ist die einzige Möglichkeit.
Welche Rolle spielt die Art der Lieferkette?
Wir befassen uns in einem Projekt mit der lokalen Produktion und dem lokalen Sourcing von Rohstoffen. Es wäre wichtig, wenn hierzulande produzierende Firmen Menschen einbinden würden. Kommt her, entwerft mal einen Pullover mit uns. Wir brauchen zudem Transdisziplinarität in der Lehre. Hilfreich wären beispielsweise Curricula, die die Teilnahme von externen Partnerinnen und Produzentinnen erlauben. Ganzheitliche Curricula eben.
Welche Konsumenten sind besonders offen für das Thema nachhaltiger Mode?
Viele geben sich nachhaltig. Alle schmücken sich in ihrer Selbstdarstellung mit Werten wie divers oder nachhaltig. Aber oft steckt dahinter nur ein Kick. Für eine echte Transformation der Textilindustrie interessieren sich wenige, vor allem ältere Frauen. Die Zielgruppe zwischen 15 und 25 ist die Schwierigste. Das zeigen die Ergebnisse unserer Forschung und meine Erfahrungen. Junge Mütter sind dann zum Teil wieder sehr dankbar über nachhaltige Mode, Designstrategien. Wir müssen noch früher ran, in die Schulen. Man muss nicht alles lernen, manchmal lernt man es durch das machen. Wichtig finde ich, positive Regelverletzungen zu unterstützen. Wenn jemand eine verrückte Idee hat, die gut ist, sollten wir ihn unterstützen. Positive Regelbrecher unterstützen, ist mir wichtiger als Fast Fashion zu kritisieren. Das kann niemand mehr hören.
Eigentlich wechseln Moden, aber das scheint für Fast Fashion nicht zu gelten?
Ich finde es immer wieder schockierend, wenn die neuesten Zahlen zu Fast-Fashion-Verkäufen kommen. Und es gibt wieder etwas Neues, etwa den Hersteller Shein. Er bringt jetzt jeden Tag neue Produkte heraus. Gleichzeitig rühmt er sich, keine nachwachsenden Rohstoffe zu verwenden, sondern nur Polyester.
Ein großer Teil der Unternehmen, die potenziell konfliktbehaftete Mineralien nach Deutschland importieren, haben in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten der EU-Konfliktmineralienverordnung ihre Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Das geht aus dem ersten Kontrollbericht der Deutschen Kontrollstelle EU-Sorgfaltspflichten in Rohstofflieferketten (DEKSOR) hervor.
Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erze und Gold werden vielfach in Regionen gewonnen, wo bewaffnete Gruppen Land und Minen kontrollieren. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu Menschenrechtsverletzungen – etwa durch Zwangsarbeit in den Minen oder die bewaffneten Gruppen, die sich aus den Erlösen des Abbaus finanzieren. Die EU hat deshalb 2017 eine Verordnung verabschiedet, die Importeure von großen Mengen dieser Mineralien verpflichtet, Sorgfaltspflichten einzuhalten. Im Fokus steht ein unternehmensinternes Risikomanagement.
Die DEKSOR kontrolliert die Einhaltung der Verordnung in Deutschland, die vollumfänglich seit 2021 gilt. Erstmals 2022 führte sie bei den Importeuren rückwirkend Kontrollen für 2021 durch. Im ersten Kontrollbericht sind die Ergebnisse der beiden Jahre kombiniert. Für 2021 hat sie 23 Importeure kontrolliert, die überwiegend Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten (CAHRAs) einführten.
Insgesamt wurden 2021 rund 10.600 Tonnen Zinn, Tantal und Wolfram sowie 175 Tonnen Gold nach Deutschland importiert. 145 Unternehmen, die Zinn, Tantal, Wolfram und Gold nach Deutschland importierten, lagen über der Mengenschwelle, die sie zur Erfüllung besonderer Sorgfaltspflichten verpflichtet. Sie decken für die meisten Mineralien über 90 Prozent der Gesamt-Menge ab, die eingeführt wurde.
Laut der EU-Verordnung müssen kontrollierte Importeure der nationalen Kontrollbehörde Audit-Berichte von unabhängigen Dritten zur Verfügung stellen. Diese Berichte sollen darlegen, welche Maßnahmen sie verfolgen, um Risiken in ihren Lieferketten zu reduzieren. Die DEKSOR bemängelt, dass die nachträglich für 2021 kontrollierten Importeure nur Zusammenfassungen von Audit-Berichten zur Verfügung gestellt haben.
Vor allem kritisiert die DEKSOR, dass Importeure keine Audit-Berichte über eigene Risikomanagementsysteme einreichten, sondern über Hütten und Raffinieren, von denen sie Mineralien und Metalle kaufen. Sie bezogen sich dabei auf eine Ausnahme in der Verordnung, nach der eigene Audit-Berichte verzichtbar sind, wenn alle Hütten und Raffinieren in der Lieferkette die Verordnung einhalten. Dies könnte zwar dadurch belegt werden, dass die Verarbeiter zu Industrieinitiativen wie der Responsible Minerals Initiative (RMI) gehören, aber Importeure müssten laut DEKSOR trotzdem ein eigenes Risikomanagement betreiben und zusätzliche Nachweise für die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten vorlegen.
Aktuell gibt es allerdings noch keine Industrieinitiative, die von der EU-Kommission anerkannt ist. Daher könnten Importeure sich derzeit ohnehin nicht darauf berufen. Wann die Initiativen, die sich bei der Kommission um Anerkennung beworben haben, zugelassen werden, ist noch unklar.
Die DEKSOR bemängelt außerdem, dass Audit-Berichte über Hütten und Raffinieren in Industrieinitiativen wie der RMI auch nur in zusammengefasster Form übermittelt wurden. Matthias Baier, Leiter der DEKSOR, sagt: “Das Wichtigste ist Transparenz. Die Importeure müssen uns schlüssige und überprüfbare Nachweise zukommen lassen. Sonst können wir als Kontrollstelle nicht beurteilen, ob sie ihren Sorgfaltspflichten nachkommen.”
Aus Sicht der Unternehmen erfüllen Initiativen wie die RMI eine wichtige Funktion als Datenlieferanten. “Die Anforderung für KMU, die Lieferketten bis zum Ursprung zurückzuverfolgen, ist ohne entsprechende Systeme in der Praxis nicht umsetzbar”, sagt eine Sprecherin der Wirtschaftsvereinigung Metalle. Hier sei mehr Unterstützung von der Politik notwendig: Die versprochenen Hilfsmittel der EU-Kommission seien bislang nicht vorhanden, wie die Anerkennung der Initiativen oder die angekündigte weltweite Liste verantwortungsvoller Hütten und Raffinerien – oder sie seien nicht ausreichend aussagekräftig, wie die Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete (CAHRA-Liste).
Auch in anderen Ländern läuft die Umsetzung schleppend: “Viele EU-Mitgliedstaaten scheinen sich der Aktivitäten im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Verordnung über Konfliktmineralien nicht bewusst zu sein oder haben nicht darüber berichtet”, schreibt die OECD in einem Bericht von Mai 2022. Übrigens: Die EU-Verordnung basiert auf dem OECD-Leitfaden für die Erfüllung von Sorgfaltspflichten zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten.
Laut Angaben der EU-Kommission sind in der gesamten EU zwischen 600 und 1.000 Unternehmen von der Verordnung betroffen. Im Rahmen einer Umfrage von Table Media bei den nationalen Kontrollbehörden berichteten jedoch mehrere, sie hätten keine oder nur sehr wenige Importeure identifiziert, welche die Mengenschwellen überschreiten. Zusätzlich zu den 145 Unternehmen in Deutschland meldete Österreich 15 Firmen, Bulgarien drei und Finnland drei bis sieben.
Viele Unternehmen haben sich bisher anscheinend darauf verlassen, dass es reicht, sich auf eine Industrieinitiative zu beziehen, um den Sorgfaltspflichten der EU-Verordnung zu genügen. Es fehlt aber auch an Bewusstsein. “Das erste volle Jahr der Anwendung der Verordnung hat gezeigt, dass nur eine sehr begrenzte Zahl von Einführern ihre Verpflichtungen im Rahmen der Verordnung vollständig versteht”, sagt etwa ein Sprecher des in Irland zuständigen Department of the Environment, Climate and Communications.
Darüber hinaus ist ein Grund für die schlechte Compliance der Importeure eventuell, dass sie keine harten Strafen befürchten müssen. “Dass Verstöße nicht mit scharfen Sanktionen belegt sind, könnte für einige Unternehmen auch ein Grund sein, sich nicht an die Verordnung zu halten”, sagt Baier von der DEKSOR. Allerdings wussten die Unternehmen 2017, dass sie ab 2021 ihre Sorgfaltspflichten einhalten müssen. Sie hatten also vier Jahre Zeit, sich vorzubereiten.
Den ersten offiziellen Review-Prozess der Verordnung will die EU-Kommission übrigens Ende 2023 abschließen. Danach wird die Verordnung alle drei Jahre überprüft. Nicolas Heronymus und Leonie Düngefeld
24.-27.1.2023, Essen
Messe IPM ESSEN – die Weltleitmesse des Gartenbaus
Eines der zentralen Themen ist Nachhaltigkeit, etwa Abfallvermeidung, Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Gemüseanbau. Info & Tickets
26.1.2023, 8:30 Uhr
Online-Event Ecodesignkit – Orientierung im Gestaltungsprozess (IDZ)
Was ist bei der Materialwahl für neue Produkte zu beachten? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert das neu gestaltete Ecodesignkit des Umweltbundesamtes. Info & Anmeldung
25.1.2023, 16 Uhr
Podiumsdiskussion Ein Blick in die Zukunft – Gender und Nachhaltigkeit (gFFZ)
Die Diskutantinnen sprechen über die Frage, was getan werden muss, um Nachhaltigkeit und Genderaspekte zielführend zusammenzudenken. Info & Anmeldung
26.1.2023, 18 Uhr
Podiumsdiskussion Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Medical School Berlin)
Ziel der Veranstaltung ist unter anderem, übergreifende Fragen zum Thema Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt zu diskutieren. Info & Anmeldung
26.1.2023, 16 Uhr
Online-Konferenz Transformationsdialoge Nachhaltige Veranstaltungswirtschaft (B.A.U.M. e.V.)
Die Veranstaltung dreht sich um die Transformation der Veranstaltungswirtschaft hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft auf Grundlage der UN Sustainable Development Goals (SDG). Info & Anmeldung
30.1.2023, 16 Uhr
Online-Gespräch Inclusive Infrastructure for Africa: Investment Promotion in Times of Crisis (GIZ)
Das Online-Event ist Teil der Gesprächsreihe zur internationalen Zusammenarbeit. Anmeldung
31.1.2023
Konferenz ECOSOC Partnership Forum 2023
1.2.2023
Webinar Nachhaltiges Lieferkettenmanagement in der Automobilindustrie: Rohstoffbeschaffung am Beispiel von Lithium (UPJ und Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte)
Franziska Killiches von Volkswagen, berichtet unter anderem über ihre Erfahrungen aus der Atacama-Wüste in Chile, wo sie sich ein Bild vom Lithium-Abbau für Batterien von Elektrofahrzeugen gemacht hat. Info & Anmeldung
14.-17.2.2023, Nürnberg
Messe BIOFACH – Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel Info & Tickets
Bei der Positionierung des Rats für ein europäisches Lieferkettengesetz Ende November habe die Bundesregierung auf Druck der FDP zahlreiche Verwässerungen durchgesetzt, schreiben Armin Paasch von Misereor und Karolin Seitz vom Global Policy Forum Europe in einem Briefing der Initiative Lieferkettengesetz. Treibende Kraft sei dabei laut aktuellen Recherche von Correctiv das BMJ gewesen. Mehrfach habe das Ministerium “Leitungsvorbehalte” eingelegt und dadurch ambitioniertere Vorschläge der drei anderen beteiligten Ministerien (BMAS, BMWK, BMZ) abgeschwächt. Auf der Strecke geblieben sei eine explizite Verpflichtung von Firmen zur Umsetzung ihrer Klimapläne oder die Vorgabe zur variablen Vergütung der Geschäftsleitung in Abhängigkeit von Klimazielen. Aufgenommen worden sei dagegen die Forderung nach einer Safe-Harbour-Lösung. Sie stand schon bei Überlegungen für das deutsche LKSG auf dem Wunschzettel großer Wirtschaftsverbände. Allerdings stammt die Idee ursprünglich aus dem BMAS.
Paasch und Seitz verweisen auf Dokumente, die sie über das Informationsfreiheitgesetz erhalten haben. Mehrere “Leitungsvorbehalte” des BMJ ließen sich direkt auf Forderungen von Wirtschaftsverbänden zurückführen. Ein “Leitungsvorbehalt” stelle eine übliche Verfahrensweise dar, heißt es dagegen im BMJ. Die Positionierung, etwa zugunsten der Safe-Harbour-Regelung oder des sogenannten Nachhaltigkeitsplans seien “aus inhaltlichen Gründen getroffen worden”.
Ins Visier nehmen die Aktivsten auch den Schattenberichterstatter der EVP, Axel Voss, der Ende November mit anderen Abgeordneten der EVP-Fraktion 198 Änderungsvorschläge vorgelegt hatte. Die Initiative Lieferkettengesetz warnte bereits am Donnerstag in einem offenen Brief vor einer “vollständigen Entkernung” des Kommissionsvorschlags, nun erhebt sie weitere Vorwürfe. Die Änderungsvorschläge hätten die EVP-Abgeordneten zu Teilen direkt aus Positionspapieren und Briefen von Wirtschaftsverbänden übernommen, offensichtlich teilweise durch schlichtes Copy and Paste. Dazu zählen sie etwa Forderungen vom deutschen Verband der Chemischen Industrie und des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, was die Befreiung der nachgelagerten Lieferketten von jeglicher Sorgfaltspflicht betrifft. Nach diesem Vorschlag zur Richtlinie müssten sich Chemiekonzerne wie Bayer oder BASF nicht um eine sachgerechte Verwendung giftiger Pestizide oder anderer Chemikalien kümmern. Wortwörtlich hätten die EVP-Abgeordneten den Vorschlag der deutschen Chemie-Lobby zu einem “Anerkennungsverfahren für Brancheninitiativen und Zertifizierungen übernommen”.
Laut dem EVP-Parlamentarier Axel Voss seien “Positionspapiere verschiedener Stakeholder zu Rate gezogen” worden. Wenn es um Streichungen von Textpassagen oder von einfachen Rechtsbegriffen gehe, dann können diese sich natürlich auch mit Vorschlägen von Stakeholdern, und damit auch der Industrie, decken. “Diese decken sich dann aber wahrscheinlich mit den Vorschlägen Vieler.” Tatsächlich kopiert worden sei “ein Artikel zur Anerkennung von Industrieinitiativen, da die Industrie an der Stelle die best practices kennt”. cd
Fünf Ausschüsse haben am Dienstag über ihre Position zur nachhaltigen Unternehmensführung (Due Diligence) abgestimmt. Die jeweiligen Stellungnahmen werden die Arbeit für Berichterstatterin Lara Wolters (S&D) erschweren, da sie sehr unterschiedlich ausfallen.
Während der Wolters-Bericht den Kommissionsentwurf stark verschärft, plädiert der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) für einen pragmatischeren Ansatz. So soll die Sorgfaltspflicht nicht, wie von Wolters vorgeschlagen, für die gesamte Wertschöpfungskette (also Upstream und Downstream-Aktivitäten) gelten, sondern sich auf direkte Geschäftspartner beschränken. Zudem will der Ausschuss die Anzahl der Unternehmen, auf die sich das Lieferkettengesetz beziehen soll, auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern einschränken (1000 Mitarbeiter in Hochrisikosektoren).
Man müsse die Betriebe entlasten, statt ihnen weitere Bürden aufzuerlegen, sagte Schattenberichterstatterin Angelika Niebler (CSU) über die Abstimmung. Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini bezeichnete das ITRE-Votum ihrerseits als fatal: “Eine rechts-liberale Mehrheit will das Lieferkettengesetz aufweichen, bis es keinen Effekt mehr hat”, bedauerte sie.
Der Handelsausschuss (INTA) unter der Feder von Barry Andrews hat den Wolters-Bericht wiederum gestärkt. Im Gegensatz zum ITRE weitet die Stellungnahme die Anwendung des Gesetzes auf mittlere Unternehmen aus. Zudem sollen sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken und sich nicht nur auf direkte Zulieferer beschränken. Außerdem nimmt der Text den Finanzsektor in die Liste der Hochrisikosektoren auf, für die besondere Sorgfaltspflichten gelten.
Berichterstatter Barry Andrews zeigt sich besonders erfreut, “dass wir den Geltungsbereich der Sorgfaltspflichtvorschriften erweitert haben, um sicherzustellen, dass mehr Unternehmen ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten und der Umwelt nachkommen”.
Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) hat sich seinerseits dafür ausgesprochen, dass auch Finanzdienstleister bestimmte Sorgfaltspflichten leisten müssen. Allerdings gilt dies nur für die erste Stufe der Lieferkette. Dennoch setzt der Ausschuss damit ein Zeichen an die EU-Mitgliedstaaten, denn im Rat wurde bis zuletzt darum gestritten, dass der Finanzsektor fast gänzlich vom Gesetz ausgenommen ist - mit Erfolg (Europe.Table berichtete).
Der ECON hat sich insbesondere dazu entschlossen, die Ausnahme der Kommission zu streichen, nach der Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor auf die vorvertragliche Phase begrenzt werden. Im Gegensatz zur Stellungnahme des Handelsausschusses plädiert der ECON-Ausschuss jedoch nicht dazu, die Finanzbranche zu den Hochrisikosektoren zu zählen.
NGOs geben sich mit diesem Vorstoß jedoch nicht zufrieden: “Die heute beschlossenen Maßnahmen reichen nicht, um Banken davon abzubringen, Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt zu finanzieren”, schreibt Global Witness in einer Stellungnahme.
Im März stimmt der federführende Rechtsausschuss über seine Position zum Gesetz ab. Im Mai folgt das Votum im Plenum, sodass spätestens in der zweiten Jahreshälfte die Trilogverhandlungen beginnen sollen. Der Rat hat sich bereits im Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt. cw
Der Weltkongress der Uiguren mit Sitz in München und die Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network sind nach Angaben der Nachrichtenagentur AP in Großbritannien mit dem Versuch gescheitert, den Import von Baumwolle aus der Region Xinjiang zu stoppen.
Die Aktivisten hatten die britische Regierung beschuldigt, die Einfuhr von Baumwollproduktion aus Xinjiang zuzulassen, obwohl es dort zu Zwangsarbeit kommt. Sie argumentierten, die Regierung habe es rechtswidrig versäumt, die Bedingungen der Baumwollproduktion in Xinjiang zu untersuchen.
Der Richter räumte zwar ein, dass es eindeutige und weit verbreitete Missstände in der Baumwollindustrie in Xinjiang gebe, zu denen auch Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit gehörten. Beweise für diese Angaben seien aber kaum zu sichern und strafrechtliche Ermittlungen damit wenig sinnvoll. Der Richter wies zudem darauf hin, dass die britische Regierung nach eigenen Worten eine Untersuchung einleiten könnte, falls neue Informationen auftauchen.
Der Weltkongress der Uiguren und Global Legal Action Network zielen darauf ab, dass Großbritannien und die Europäische Union dem Beispiel der USA folgen. Dafür haben sie mehrere Klagen eingereicht. In den USA trat 2022 ein Gesetz in Kraft, das alle Baumwollprodukte verbietet, die im Verdacht stehen, in Xinjiang hergestellt worden zu sein. flee
210 Millionen Smartphones liegen in Schubladen in Deutschland. Die enthaltenen Rohstoffe würden ausreichen für die Geräte, die in Deutschland voraussichtlich im nächsten Jahrzehnt benötigt werden. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum sogenannten Urban Mining. Aber noch blieben die Materialien meist ungenutzt, weil sie nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden. “Damit Urban Mining die Kreislaufwirtschaft unterstützen kann, müssen sich erst wirtschaftlich darstellbare Verfahren für die Rückgewinnung der Rohstoffe aus Altgeräten wie Smartphones etablieren“, sagt Studienautorin Adriana Neligan.
Zwar haben die 210 Millionen Schubladenhandys einen Gesamtmetallwert von schätzungsweise knapp 240 Millionen Euro. Neben 6.600 Tonnen Aluminium, dessen Ausgangsstoff Bauxit die EU als kritischen Rohstoff einstuft, finden sich in den Geräten kritische Rohstoffe wie Kobalt (1.400 Tonnen), Lithium (180 Tonnen), Magnesium (140 Tonnen), Titan (60 Tonnen) sowie Phosphor, Tantal, Platin-Metalle oder Seltene Erden. Allerdings sind die Mengen je Gerät gering. Beim Gold sind es gerade einmal 0,017 Gramm. Und der Rohstoffwert eines einzelnen Smartphones liegt aktuell bei gerade einmal 1,15 Euro.
Riesiges anthropogenes Rohstofflager
Urban Mining gilt als Hoffnungsträger für eine zirkuläre Wirtschaft. Bereits vor fünf Jahren umfasste das von Menschen erschaffene Materiallager nach Angaben des Umweltbundesamtes in Deutschland pro Kopf 342 Tonnen an mineralischen und metallischen Rohstoffen. Mengenmäßig stecken die meisten Rohstoffe und hier vor allem die mineralischen (Steine, Erden, Beton) im Hoch- und Tiefbau. Wertmäßig liegen die Metalle u.a. aus den langlebigen Konsumgütern vorn. Dass es für Urban Mining weltweit noch an tragfähigen Geschäftsmodellen fehlt, bestätigt der Circularity Gap Report 2023. Demnach sinkt der zirkulär genutzte Anteil in der Weltwirtschaft sogar seit Jahren und liegt aktuell bei nur 7,2 Prozent (nach 9,1 Prozent in 2018).
Laut UN-Global E-Waste Monitor 2020 wurde 2019 weltweit eine Rekordmenge von 53,5 Millionen Tonnen Elektroschrott erzeugt, ein Plus von 21 Prozent in fünf Jahren. Bis 2030 dürfte der Umfang auf 74 Millionen Tonnen steigen. Nur 17,4 Prozent des Elektroschrotts von 2019 wurden weltweit gesammelt und recycelt. In Deutschland lag die Sammelquote 2020 dagegen bei 44 Prozent. Trotzdem wurde die seit 2019 nach der WEEE-Richtlinie der EU gültige Mindestsammelmenge von 65 Prozent auch hierzulande weit verfehlt. am
Führungskräfte in Deutschland stellen ihrer Zunft in Sachen Klimawandel kein gutes Zeugnis aus. Nur 19 Prozent glauben, die Wirtschaft nehme das Thema “sehr ernst”. Global sind es immerhin 29 Prozent. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten CxO Sustainability Survey 2023 der Unternehmensberatung Deloitte hervor. Dafür wurden im Herbst 2022 weltweit über 2.000 Vorstände befragt, darunter 105 aus Deutschland.
Der Bericht zeigt: Manager in Deutschland beschäftigt der Klimawandel längst nicht so wie die Kollegen in anderen Ländern. Lediglich 48 Prozent sorgt diese Frage ständig oder häufig, global sind es 62 Prozent der Befragten. Folglich kommt auch Aspekten wie Klimagerechtigkeit und einer sozial gerechten Transformation vergleichsweise geringe Bedeutung zu. International werden sie von 46 Prozent der Führungskräfte für sehr wichtig gehalten, insbesondere im Globalen Süden. In Deutschland trifft dies nur auf 25 Prozent der Top-Manager zu. Damit belegen sie im Ländervergleich den vorletzten von 24 Plätzen.
Die wichtigsten Themen für hiesige Unternehmen sind mit 52 Prozent die Konjunkturentwicklung (Global: 44 Prozent) und mit 42 Prozent die Innovation (Global: 36 Prozent). Auf Platz 3 folgten mit 37 Prozent die Lieferkettenprobleme (Global: 33 Prozent) und der Klimawandel (Global: 42 Prozent).
Eine Erklärung könnte sein: Führungskräfte in Deutschland sehen sich beim Klimawandel einem deutlich geringeren Transformationsdruck ausgesetzt als Manager anderswo auf der Welt. So spüren nur 58 Prozent der Befragten Veränderungserwartungen von Geschäftspartnern und Konsumenten (Global: 68 Prozent). Auch durch Regierung und Gesetzgeber fühlen sich nur 50 Prozent (Global: 68 Prozent) unter Druck gesetzt. Dazu passt: Lediglich 51 Prozent der deutschen Manager gaben an, neue Regularien hätten sie im vergangenen Jahr zu größeren Nachhaltigkeitsanstrengungen bewogen (Global: 65 Prozent). ch
Ölkonzerne und Klimakrise: Denn sie wussten, was sie tun SZ
Felix Stephan beschäftigt sich in der Süddeutschen Zeitung anhand des Falls des US-Ölkonzerns Exxon mit der Frage der juristischen Verantwortung Unternehmen, die Unsicherheit über den Klimawandel gestreut haben, obwohl ihre hauseigenen Wissenschaftler den Klimawandel “verblüffend genau vorhergesagt haben”.
How the young spend their money THE ECONOMIST
Der Economist analysiert das Einkaufsverhalten der jungen Konsumenten. Gen-Z-Amerikaner sind die Altersgruppe, in der die meisten erwarten, dass Lebensmittel in einer Stunde geliefert werden. Gleichzeitig zeige eine Studie, dass 7 von 10 Gen-Z-Angehörige aus sechs Ländern Fakten aus der Werbung überprüfen.
“Müssen wir denn warten, bis alles in Schutt und Asche liegt?” DER SPIEGEL
Im Gespräch mit dem Spiegel plädiert die Sandrine Dexon-Decléve Präsidentin des Club of Rome, für eine konsequente Umsetzung des Green Deal in der EU, um die Industrie in Europa zu halten. Es brauche klare Sanktionen für Firmen, welche die neuen, grünen Spielregeln nicht befolgten, aber auch Unterstützung für diejenigen, die sich bemühen, das Richtige zu tun. “Bürger, NGOs, Thinktanks – wir alle müssen viel humaner werden im Umgang mit der Industrie. Und auch mal loben, wenn es gut läuft”, sagt Dexon-Decléve.
Die sieben Leben der Globalisierung FAZ
Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Veränderungen der Globalisierung analysiert Gerald Braunberger: Die Globalisierung habe noch nie eine feste Struktur besessen und sei auch nicht linear vorhersehbar. In der jetzigen Veränderungen kann er keinen Bruch erkennen.
Gute Miene, böses Spiel? SZ
Alex Rühle schreibt über die Befürchtungen der Samen angesichts des Funds seltener Erden in Schweden um ihre Rentiere. Vertreter nannten den Fund eine “absolute Katastrophe”. Die wirtschaftliche Basis der Samen, der letzten indigenen Urbevölkerung in Europa, ist die Rentierzucht. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hätten sie gelitten, durch Windräder, Massentourismus, Zugstrecken und Gleisen. Nun drohe neues Unheil. “Wir versuchen die Welt zu retten, indem wir die letzte europäische Urbevölkerung opfern”, sagen Vertreter.
Was wirklich hinter Klima-Labels auf Lebensmitteln steckt SZ
Lea Hampel und Silvia Liebrich hinterfragen irreführende Klima-Labels. Sie spannen den Bogen von der Idee eines einheitlichen staatlichen Klimasiegels bis zu Forderung nach einem Verbot irreführender Klimawerbung.
Behind Britain’s strike wave Social Europe
Paul Mason analysiert die Situation, in der Großbritannien angesichts einer Art Generalstreik am 1. Februar steht. Hundert Tausende Beschätigte des öffentlichen Dienstes werden dann ihre Arbeit niederlegen. Ein Grund sind die durch die Inflation gesunkenen Reallöhne, ein anderer die fehlenden Arbeitskräfte in vielen Bereiche. Die Tory-Regierung sei ein Opfer des Fachkräftemangels geworden, den ihre “freien Märkte” hervorgerufen hätten.
Weltwirtschaftsforum: “Verfallt nicht in Panik” SZ
Die Rede von der Polycrisis ist in vieler Munde. Aber der britische Wirtschaftshistoriker Nial Ferguson geht nicht davon aus, dass wir gerade besonders krisenhafte Zeiten erleben. Er kritisiert im Interview von Lisan Nienhaus die Weltuntergangsrhetorik beim Treffen der Wirtschaftselite in Davos und warnt vor falschen Antworten auf die Erderwärmung.
Klimaverträglichkeit von Geldanlagen TAZ
Anja Krüger berichtet über die Gründung der Beobachtungsstelle Greenwashed. Auf ihrem Portal können sich professionelle Anleger Informationen über nachhaltige Finanzanlagen abrufen.
Podcast: Nestlé’s KitKat Diplomacy: Neutrality vs. Shared Value HARVARD BUSINESS REVIEW
Can We Put a Price Tag on Nature? THE NEW YORK TIMES
How do the Federal Reserve and ECB differ on tackling climate change? FINANCIAL TIMES
Freiwillige Zertifikate sparen anscheinend weniger CO₂ ein als berechnet DIE ZEIT / THE GUARDIAN
Auch öffentliche Unternehmen haben Nachhaltigkeitspflichten Börsen-Zeitung
Greenwashing: Brüssel sagt irreführender “grüner Werbung” den Kampf an FAZ
Norway’s oil fund sends a warning shot to ESG laggards Financial Times
Weltwirtschaftforum in Davos: “Sagen Sie bloß nicht ESG“ Handelsblatt
Taxonomie und ESG: Nachhaltigkeit stellt Wirtschaftsprüfer vor knifflige Aufgabe FAZ
Bank of America CEO says new ESG rules are needed to reboot capitalism CNBC
Kapitalismus und die Arbeiterbewegung: Jahrhundertelang und bis heute stehen sich beiden Seiten in vielen Teilen der Welt als Klassenfeinde gegenüber. Mit ESG könnte sich das ändern – falls es der Kapitalismus mit einer nachhaltigen und ethischen Unternehmensführung tatsächlich ernst meint. ESG scheint die Antwort des Kapitalismus auf die Klima- und Umweltkrise und einen fundamentalen Wertewandel zu sein, der nicht nur strengere Gesetze zur Folge hat, sondern auch die Haltung der Öffentlichkeit bzw. der Erwerbstätigen massiv verändert. Man könnte dem Kapitalismus unterstellen, er würde sich mit ESG neu erfinden, um weiter als führende Wirtschaftsform akzeptiert zu werden.
Und was hat das alles mit der deutschen Mitbestimmung zu tun? Sehr viel, denn die Grundlage von ESG ist die Überzeugung, dass ein Unternehmen erfolgreicher ist (und damit den Investoren eine bessere Rendite liefert), wenn es die Belange aller Stakeholder berücksichtigt. Und die in meinen Augen mit Abstand wichtigsten Stakeholder eines Unternehmens sind die Kunden und die Mitarbeiter, die wiederum vom Betriebsrat vertreten werden. Und was ist mit den Investoren? Ich persönlich und der Gesamtbetriebsrat von Daimler Truck wissen ganz klar, dass nur ein wettbewerbsfähiges Unternehmen nachhaltig existieren und Arbeitsplätze sichern kann. Dass die Investoren das Recht auf eine angemessene Rendite haben, versteht sich von selbst. Wettbewerbsfähig und erfolgreich ist ein Unternehmen aber nur dann, wenn es mit seinen Produkten und Dienstleistungen die Kunden überzeugt. Dafür braucht es motivierte und qualifizierte Beschäftigte. Sie sind Leistungserbringer und das wichtigste Kapital eines Unternehmens – nicht nur ein Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt. Mit ESG verbinde ich zumindest die Hoffnung, dass Investoren dies endlich erkennen.
Zurück zur deutschen Mitbestimmung. Wir Arbeitnehmervertreter gestalten als Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und im Aufsichtsrat alle drei ESG-Dimensionen mit. Bei Daimler Truck fällt unter “E” zum Beispiel die Transformation der Lkw und Busse hin zu emissionsfreien Fahrzeugen. Dies hat große Auswirkungen auf die Beschäftigung, weil ja die komplette Entwicklung und Produktion des Verbrennungsantriebs wegfällt und aktuell noch nicht klar ist, ob die neue Technologie den Verlust der Arbeitsplätze kompensieren kann. Unser Ziel als Arbeitnehmervertreter muss es sein, bei den Zukunftstechnologien Elektromobilität und Wasserstoff eine ähnlich hohe Wertschöpfung zu erreichen wie beim Verbrennungsmotor. Das bedeutet konkret, dass wir bei Daimler Truck Schlüsselkomponenten wie den Elektromotor, die Batterie und die Batteriezellen möglichst in Eigenregie entwickeln und produzieren müssen. Dazu bringen wir aktiv eigene Vorstellungen und Konzepte ein und entwickeln gemeinsam mit dem Management Zukunftsbilder für die betroffenen Standorte, die einerseits die Wettbewerbsfähigkeit auch in einer emissionsfreien Zukunft erhalten und andererseits die Arbeitsplätze sichern.
Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz, Ergonomie usw. – das “S” entspricht den traditionellen Mitbestimmungsthemen. Bei diesen (gesetzlich verankerten) Themen ist die Arbeitnehmervertretung schon immer der Ansprechpartner des Unternehmens. Unerklärlicherweise ist das vielen Menschen, die sich mit ESG beschäftigen, nicht bewusst. In erster Linie steht ESG für Nachhaltigkeit, was häufig mit Umwelt- und Klimaschutz gleichgesetzt wird. Meiner Meinung nach gehören zur Nachhaltigkeit aber auch das “S” – zum Beispiel in Form von sicheren und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen, Inklusion sowie einer Fülle von Maßnahmen, Konditionen und Programmen, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Das wiederum ist entscheidend für die Gewinnung von neuen Beschäftigten und die Ausbildung von Nachwuchskräften, kurz: die Sicherung des Humankapitals eines Unternehmens. Bei allen diesen Themen spielt Arbeitnehmervertretung, sei es bei Gewerkschaften, als Betriebsräte, im Gesamtbetriebsrat oder im Aufsichtsrat eine wichtige Rolle. Mit ESG und der Transformation hin zu emissionsfreien Antrieben rückt ein relativ neues Thema in den Fokus: Die Gewerkschafts- und Menschenrechte in der Lieferkette – sei es durch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder durch den Druck von NGO und der Öffentlichkeit.
Schon vor der Abspaltung von Daimler Truck habe ich als Gesamtbetriebsratsvorsitzender der alten Daimler AG (Pkw, Lkw und Busse, Vans) gemeinsam mit dem Unternehmen die sogenannte Grundsatzerklärung zu sozialer Verantwortung und Menschenrechte (Sozialcharta) auf den Weg gebracht. Und auch bei Daimler Truck gibt es durch unser Mitwirken eine Sozialcharta. Eine wichtige Rolle bei der Wahrung und Durchsetzung von Menschenrechten in der globalen Lieferkette spielen bei Daimler Truck der Europäische Betriebsrat und die Weltarbeitnehmervertretung, die wir vor kurzem neu konstituiert haben. (ESG.Table berichtete). Über diese Gremien und die Zusammenarbeit mit der internationalen Industriegewerkschaft industriALL Global Union erhalten wir Kenntnis bei Verletzungen von Menschenrechten oder von Verstößen gegen Gewerkschaftsrecht. Und das nicht nur bei direkten Zulieferern, sondern in der gesamten Lieferkette. Diese Gremien und die Vorgehensweise haben wir Arbeitnehmervertreter schon bei der alten Daimler AG erfolgreich angewendet – lange bevor es ein entsprechendes Gesetz gab. Das “S” ist also das Kerngeschäft der Arbeitnehmervertretung – das sollten sich die Unternehmen und Investoren ins Bewusstsein rufen.
Bleibt das “G” für Governance. Bei großen Aktiengesellschaften wird der Aufsichtsrat paritätisch besetzt, damit sind Arbeitnehmervertreter durch die Mitbestimmung fester Bestandteil des Gremiums. Bei Daimler Truck sitzen auf der Arbeitnehmerbank zehn Vertreterinnen und Vertreter, die an strategischen Weichenstellungen des Unternehmens mitarbeiten – und damit auch ESG gestalten. Sie berufen Vorstandsmitglieder mit und haben auch Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Entwicklung von Top-Führungskräften. Damit wirken die Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter maßgeblich an allen drei ESG-Stichworten mit und sind erfolgskritisch für Unternehmen.
Ob Investoren ihre Investitionsentscheidung tatsächlich nach Kriterien der nachhaltigen und ethischen Unternehmensführung treffen, muss sich erst noch herausstellen. Hier sind Zweifel angebracht. Larry Fink, der CEO des weltweit größten Vermögensverwalters, verschickt zwar jedes Jahr Briefe an wichtige Unternehmenslenker und propagiert den Stakeholder-Kapitalismus und ESG. Wie eine Analyse in diesem Newsletter vor Kurzem ergeben hat, orientieren sich die Investitionsentscheidungen bestenfalls aber, nur zum Teil (wenn überhaupt) an ESG-Kriterien. Auch bei Daimler Truck spüren wir den Druck des Kapitalmarkts und der Großinvestoren. Permanent wird die Erhöhung der Rendite gefordert. Dafür sollen Fixkosten gesenkt werden, welche zu einem großen Teil Personalkosten sind. Die Frage, ob wir genügend Kapazitäten haben, ob wir mit dem vorhandenen Personal überhaupt noch liefer- und wettbewerbsfähig sind, wird gar nicht gestellt. Beschäftigte sind oft Kostenfaktoren und ähnlich verhält es sich auch mit Zukunftsinvestitionen. Durch die beschriebene Transformation in einem disruptiven Umfeld sind sehr hohe Investitionen notwendig, die im Sinne von Nachhaltigkeit die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft des Unternehmens sichern. Was macht der Kapitalmarkt? Er jubelt, wenn es Entlassungen gibt. Die Kurse steigen, wenn Investitionen gedeckelt werden und er pfeift auf Corporate Governance, wenn das Investment attraktiv ist.
Wir Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter sind bereit und gut gerüstet, gemeinsam mit dem Management und den Investoren ESG in der Praxis umzusetzen. Wir vertreten den wichtigsten Stakeholder, die Beschäftigten. Deshalb kann nachhaltige und ethische Unternehmensführung nur mit uns erfolgreich sein – und nicht gegen uns.
Michael Brecht ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Daimler Truck und Betriebsratsvorsitzender des Mercedes-Benz Werks Gaggenau. Er sitzt im Aufsichtsrat von Daimler Truck und der Mercedes-Benz Group.
Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist die 40-Jährige dafür weit nach oben geklettert: 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und Verbraucherschutz zuständig ist.
Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.
Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zieht Cavazzini jetzt Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.
Außerdem müssten die verfügbaren Tools des Binnenmarkts gerade in einer Zeit der Krisen noch effektiver eingesetzt werden. Zwei Beispiele: Zum einen soll der Green Deal mitsamt seiner Produktstandards helfen, die Klimaziele zu erreichen. Zum anderen sollen große Online-Konzerne durch die großen Digitalvorhaben DSA und DMA reguliert werden. “Auch die Binnenmarktpolitik muss noch stärker das Ziel haben, diesen Krisen zu begegnen“, so Cavazzini.
Die Abgeordnete beschäftigt auch das Wirken des Binnenmarkts über die EU hinaus. Denn erstens müssen auch importierte Produkte die europäischen Standards einhalten. Und zweitens sollen nun auch Produktionsstandards über die Lieferketten stärker reguliert werden. Gemeinsam mit ihrer Fraktion hat Cavazzini dieses Thema in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Als Schattenberichterstatterin verhandelt sie im Handelsausschuss zurzeit das EU-Lieferkettengesetz, über das Ende Januar abgestimmt werden soll.
Darüber hinaus arbeitet das Parlament an Gesetzen für entwaldungsfreie Lieferketten und für ein Verkaufsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Diese Vorhaben seien nicht nur moralisch richtig. “All das sind sehr wichtige Gesetze, die sicherstellen sollen, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen haben“, sagt Cavazzini. “Viele der Unternehmen wirtschaften korrekt – und dann stehen sie im Wettbewerb mit Produkten aus Sklavenarbeit. Am Ende hilft es auch europäischen Unternehmen, wenn wir Lieferketten stärker regulieren.”
Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini im vergangenen Jahr zweimal nach Südamerika. Sie besuchte indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. “Ich bin heilfroh, dass Bolsonaro weg ist”, sagt Cavazzini. “Die Inauguration von Lula war der beste Jahresanfang, den ich mir hätte vorstellen können.” Weitere vier Jahre einer Bolsonaro-Regierung hätten eine Katastrophe befürchten lassen.
Ob jetzt alles gut werde, sei eine andere Frage. Schließlich sei der Bolsonarismo weiterhin fest im Land verankert, die Gesellschaft stark gespalten und Lula habe keine Mehrheit im Kongress. Die Ausschreitungen in Brasília zu Jahresbeginn hätten sie nicht überrascht: “Wir hatten das schon für November erwartet, weil Bolsonaro das seit Monaten vorbereitet hatte.”
Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” Sie glaubt nicht, dass das Mercosur-Abkommen eine hohe Priorität für die brasilianische Regierung habe. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die unter Bolsonaro eingefroren waren, könne jedoch ohnehin nur unter gewissen Bedingungen erfolgen: Alle Gesetze und Institutionen, die Bolsonaro gestrichen oder ausgehöhlt hat, müsse die neue Regierung wieder aufbauen. Die EU-Kommission müsse außerdem handfeste Änderungen im Text des Abkommens vorschlagen, damit Waldschutz und Nachhaltigkeitsstandards im Abkommen verankert werden.
In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.” So etwa das einheitliche Ladekabel oder das Recht auf Reparatur, für das sie sich einsetzt.
In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld
Die Nachricht ging um die Welt. Der US-Bundesstaat Wyoming will den Verkauf von Elektroautos bis zum Jahr 2035 verbieten. Das zumindest forderte eine Resolution des republikanischen Politikers Jim Anderson und fünf seiner Kollegen. Sie war am 13. Januar 2023 im Senat des US-Bundesstaates eingebracht worden. Zentrales Argument: Die Förderung und Verarbeitung von Erdöl sei für Wyoming ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Daran hingen Arbeitsplätze und Einnahmen der öffentlichen Hand. Die überstürzte Elektrifizierung des Straßenverkehrs sei deshalb nicht im Interesse des Bundesstaates und seiner Menschen. Da die Republikaner in beiden Parlamentskammern über eine satte Mehrheit verfügen, schien das Vorhaben durchaus chancenreich. Eine eilends durchgeführte Befragung ließ auf die Unterstützung weiterer Senatoren und Abgeordneter des Repräsentantenhauses schließen. Doch um es gleich vorwegzusagen: Die Resolution ist vom Tisch. Der Senatsausschuss für Bergbau, Wirtschaft und Entwicklung hat sie inzwischen kassiert.
Die Initiatoren zeigen sich dennoch zufrieden. Sie hätten eine Debatte anzetteln wollen – und das sei gelungen. Darüber hinaus habe man die Sache mit dem Verbot gar nicht so ernst gemeint, heißt es nun. Anderson etwa räumte gegenüber der Washington Post ein, er habe eigentlich “überhaupt kein Problem mit Elektrofahrzeugen”. Jeder, der ein E-Auto kaufen wolle, solle die Freiheit dazu haben. Selbst Freunde und Familienmitglieder besäßen welche.
Senator Ed Cooper, immerhin einer der Co-Autoren der Resolution, nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund. “Ich persönlich halte die Idee eines Verbots von Elektrofahrzeugen für lächerlich, aber es ist nicht lächerlicher als ein Verbot von Benzinfahrzeugen”, ließ er die Tageszeitung Cowboy State Daily wissen.
War die ganze Aktion also nur ein Scherz? Oder sind Anderson, Cooper & Co. schlicht Opportunisten, die ihr Fähnchen jetzt in den Wind drehen? Wohl nicht. Viel eher schon sind sie Teil einer US-weiten Kampagne der Republikaner gegen die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Energieversorgung. Sie nennen das abschätzig “Woke Capitalism“. Wer davon profitiert, liegt auf der Hand: Die US-amerikanischen Öl- und Gaskonzerne, denen mehr Zeit für ihr lukratives Geschäft mit fossilen Energieträgern verschafft wird. Carsten Hübner
bei der Fashion Week in Berlin zeigten Aktivisten vor wenigen Tagen die Schattenseiten der Modeindustrie auf. Models liefen in verschmutzten und zerrissenen Adidas-Outfits über den Laufsteg. Damit standen die Auswirkungen der Textilproduktion für Mensch und Umwelt wieder in den Schlagzeilen. Wenige Tage später sagte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt bei der Vorstellung ihres Initiativberichts zu kreislauffähigen Textilien im EU-Parlament: “Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen.” Die Politikerin will mit dem Modell brechen, nach dem immer neue Trends immer schneller und günstiger produziert werden. Gemeinsam mit Charlotte Wirth berichte ich in dieser Ausgabe des ESG.Table über die Ideen von Delara Burkhardt, über die Transformation der Textilbranche sowie die Möglichkeiten des Textilrecyclings. Im Anschluss teilt die Slow-Fashion-Designerin Martina Glomb ihre Ideen für einen Übergang zu Slow Fashion.
Um die Bedingungen für Mensch und Umwelt insbesondere am Anfang der Lieferketten zu verbessern, arbeitet die EU an einem europäischen Sorgfaltspflichtengesetz. Am Dienstag gaben die Ausschüsse im EU-Parlament unterschiedliche Voten ab, was die Arbeit der Berichterstatterin erschwert. Wie schwierig die Umsetzung solcher Gesetze ist, analysieren Nicolas Heronymus und Leonie Düngefeld anhand der Konfliktmineralien-Verordnung der EU. Demnach halten sich viele Unternehmen noch nicht an die Regeln. Trotzdem ringen Interessenvertreter um Einfluss auf neue Gesetze. Lesen Sie, warum einige NGO dem Schattenberichterstatter im EU-Parlament Alex Voss (CDU/EVP) und einigen anderen Parlamentariern vorwerfen, einseitig auf die Argumente der Industrie zu hören.
Warum betriebliche Mitbestimmung für ESG eine wichtige Rolle spielt, unterstreicht Michael Brecht, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Daimler Truck. ESG mache die Mitbestimmung nach deutschem Modell aktueller und moderner denn je, schreibt er im Standpunkt und beschreibt, wie Betriebsräte an allen drei Dimensionen in Unternehmen “mitwirken und sogar erfolgskritisch sind”.
Am Dienstag ist mit dem ersten Africa.Table das jüngste Professional Briefing von Table.Media an den Start gegangen. Africa.Table widmet sich fortan jeden Dienstag Europas Nachbarkontinent, mit einem klaren Fokus auf die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen aus Deutschland. Die Kollegen berichten über Krisen, die kaum bewältigbar scheinen, aber auch über Länder, die in großen Schritten vorankommen. Hier können Sie sich kostenlos für den Africa.Table anmelden.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
“Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen”, sagte die EU-Abgeordneten Delara Burkhardt (SPD/S&D) als sie vergangene Woche ihren Initiativbericht zu kreislauffähigen Textilien vorstellte. Die Sozialdemokratin will mit dem Modell brechen, wonach immer neue Trends immer schneller und günstiger produziert werden. So fordert sie etwa, dass die Überproduktion von Kleidungsstücken und Schuhen behoben und die Zerstörung nicht verkaufter Textilien verboten wird. “Wir müssen uns für unseren Konsum verantworten”, sagt Burkhardt. Denn obwohl die Textilbranche einen enormen ökologischen und sozialen Fußabdruck habe, sei er sehr wenig reguliert. “Wir müssen den Markt gezielt dazu nutzen, nachhaltige Produktionsstandards zu setzen”, fordert Burkhardt.
Wie weit die Textilindustrie von einer sozialen und ökologischen Zukunftsfähigkeit entfernt ist, zeigen einige Zahlen: In Europa liegt der Sektor, gemessen an den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klimawandel, auf Platz 4, hinter den Sektoren Lebensmitteln, Wohnraum und Mobilität. Der Großteil des Verbrauchs fällt außerhalb der EU an. Laut einer Studie der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission entfallen 76 Prozent der Treibhausgasemissionen auf Regionen außerhalb Europas. Für Wasser- und Landnutzung liegt der Wert bei über 90 Prozent. Auch die soziale Komponente macht sich im EU-Ausland bemerkbar: Unter den schädlichen Einkaufspraktiken der großen Handelsmarken leiden die zumeist weiblichen Arbeiterinnen am Anfang der Lieferkette. Es sei Zeit für ein EU-Gesetz gegen schädliche Praktiken in der Textilbranche, forderte daher am Montag der Vorsitzende des Handelsausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange (SPD/S&D).
Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent. Zentraler Treiber ist Fast Fashion. Das Konzept stammt aus Europa. Unternehmen wie Inditex (Zara etc.) und H&M machten es groß, mittlerweile haben sie starke Konkurrenz durch asiatische Anbieter wie Shein aus China.
“Fast Fashion bedeutet billigste Preise und Löhne für alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette”, sagt Sabine Fehrenschild, Textilexpertin bei der NGO Südwind und der Kampagne für Saubere Kleidung. Darunter litten Beschäftigte in den Konfektionsbetrieben genauso wie bei den Transportfirmen. Für ein Verbot von Fast Fashion hegt sie Sympathien, aber es sei in der Praxis kaum umzusetzen, schon weil “Fast Fashion schwer fassbar ist”. Auf Klassifizierungsschwierigkeiten verweist auch Thomas Fischer, Vizeleiter des Bereichs Management Research am Deutschen Institut für Textil und Faserforschung in Denkendorf. Aber beide halten es für möglich, indirekt auf Fast Fashion einzuwirken, etwa durch die Einführung einer Mindesthaltbarkeit für Bekleidungstücke. “Der Gesetzgeber könnte vorschreiben, dass Kleidungsstücke eine gewisse Anzahl Waschgänge halten müssten”, sagt Fehrenschild.
Die Textilindustrie steht in der EU vor einer Transformation. Denn Teil des Green Deal ist die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, welche die Kommission 2022 vorstellte. Demnach sollen bis 2030 alle Textilerzeugnisse im Binnenmarkt größtenteils aus Recyclingfasern bestehen und frei sein von gefährlichen Stoffen. Dabei setzt die EU-Kommission mit Instrumenten wie der Ökodesignverordnung und der Abfallrahmenrichtlinie auf strengere Vorgaben zu Design-Anforderungen und klare Kennzeichnung der Textilien, die Erweiterung der Herstellerverantwortung sowie das Setzen von wirtschaftlichen Anreizen für nachhaltigere Produktgestaltung.
Ein Beispiel: Ab 2025 sollen im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie Textilien systematisch eingesammelt und getrennt werden. Dies würde eine große Chance für den Recyclingmarkt bedeuten. Aber noch gibt es große Hindernisse (Mehr dazu in der Analyse zu Recycling).
Um diese Hürden zu überwinden, plädiert die EU-Kommission in ihrer Strategie dafür, dass die Zusammensetzung der Textilien angepasst wird. Im Rahmen der sogenannten Ökodesignverordnung sollen strengere Anforderungen an Konzeption und Design von Produkten gelten, damit sie sich zur Wiederverwendung oder das Recycling eignen. Der entsprechende Gesetzesvorschlag der Kommission wird momentan in Parlament und Rat diskutiert. Mit Trilogen ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
Eine kürzlich erschienene Studie der Allianz faserbasierter Rohstoffe Baden-Württemberg e.V. rechnet mit verbindlichen Vorgaben bezüglich der Beimischung von textilen Rezyklatfasern in neu produzierte Textilien. Allein mit einer Verdopplung des Einsatzes von Rezyklaten in allen deutschen Produktionen könnten 60 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente jährlich eingespart werden.
Doch Experten warnen, wenn Produkte explizit für ihr Recycling designt werden, könnte die Haltbarkeit leiden. Produkte, die länger halten, eignen sich im Umkehrschluss nicht zwangsläufig zum Recycling: ein Balanceakt.
Der Ökodesign-Ansatz der Kommission orientiert sich am Prinzip der Slow Fashion, der bisher einen Nischenplatz in der globalen Textilproduktion einnimmt. Zu ihren Vertretern gehört die Textildesignerin und Vivien-Westwood-Schülerin Martina Glomb. Sie plädiert unter anderem für die Herstellung einiger weniger Basismodelle mit wenigen Fasermischungen bei Textilstandards wie weißen T-Shirts, Socken oder Unterhosen. (siehe Interview)
Es sei schwierig, die Kaufgewohnheiten der Verbraucher zu ändern, räumt die Kommission in ihrer Strategie ein. Viel eher müssten Unternehmen auf neue Geschäftsmodelle setzen, um ihre Kunden zum Umdenken zu bewegen: Etwa indem sie das Produkt als Dienstleistung werten und Reparaturdienste oder Second-Hand-Kollektionen anbieten.
Doch dieser Ansatz dürfte sich äußerst schwierig durchsetzen lassen, schlussfolgert eine aktuelle Studie der Aalto University School of Science zu kreislauffähigen Geschäftsmodellen. Firmenkulturen, Kompetenzen und Prozesse seien seit Jahrzehnten darauf ausgelegt, immer mehr, immer schneller und immer neue Produkte zu produzieren. Die Forscher sprechen von Verhaltensbarrieren, die sehr schwer zu ändern seien. Hinzu komme, dass kreislauffähige Geschäftsmodelle sich finanziell oft nicht lohnen: “Produkte, die für die Kreislaufwirtschaft konzipiert wurden, passen oft nicht in das bisherige Portfolio der Produzenten: Sie sind entweder zu teuer oder lassen sich nicht in der nötigen Menge produzieren.” Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Der Stand beim Recyceln von Textilien ist nicht vergleichbar mit Werkstoffen wie Stahl, Papier oder Glas, wo es schon lange hohe Recyclingquoten und höherwertige Stoffkreisläufe gibt, weswegen entsprechend weniger Primärrohstoffe verbraucht werden. Dagegen werden in Deutschland noch zwei Drittel der Textilien verbrannt oder deponiert, nur ein Drittel wiederverwendet. Davon wiederum wird der größte Teil in den Globalen Süden exportiert und dort second-hand genutzt, was dort wirtschaftliche Strukturen in der Textilproduktion zerstört. Der Rest wird zu Lappen oder anderen minderwertigen Textilprodukten verarbeitet. Weniger als ein Prozent wird als recycelte Textilfasern für neue Mode verwendet.
Neue Techniken sollen diesen Wert steigern “Das sogenannte Fiber-to-fiber-Recycling, bei dem aus Textilfasern neue Fasern für Mode hergestellt werden, stellt die nachhaltigste Möglichkeit dar, um aus Müll etwas Neues mit Wert zu generieren”, sagt Jonatan Janmark, Co-Autor der Studie Fast Fashion bei McKinsey. Die Studie räumt allerdings auch ein, dass massive Investitionen nötig seien, damit die Technik sich für die Massenproduktion eignet. Skeptisch ist Alexandra Caterbow, Co-Direktorin der NGO HEJSupport und in der Arbeitsgruppe zu Umweltfolgen beim Textilbündnis in Deutschland. “Recycling ist wichtig, aber viele Verfahren steckten noch in den Kinderschuhen”.
Das Recyceln von Textilgeweben ist kompliziert, weil sie häufig aus Mischgewebe aus den unterschiedlichsten Fasern bestehen; aus natürlichen, erdölbasierten, biobasierten oder nachwachsenden Fasern. Insbesondere im Fast Fashion-Bereich bestehen Kleider fast ausschließlich aus synthetischen oder fossilen Materialien. Darunter sind auch Stoffe, die die Kommission als gefährlich einstuft, etwa weil sie karzinogen oder reproduktionstoxisch sind. Ferner enthalten die Kunstfasern oft Mikroplastiken, die spätestens beim Waschen in die Natur gelangen. Hinzu kommt, dass die Recyclingindustrie bis heute nicht bereit ist, die großen Masse an Textilien zu verarbeiten, die nach Plänen der Kommission spätestens ab 2025 anfallen, – ganz gleich, welche Technik sie nutzt. Die Kapazitäten müssten dazu jährlich mit bis zu 90.000 Tonnen Textilien zusätzlich fertig werden, rechnet die gemeinsame Forschungsstelle der EU vor. Darauf, wie die EU-Staaten dies erreichen sollen, gibt die Textilstrategie der Kommission kaum Antworten.
“Neue Technologien müssen sich rechnen“, sagt Textilforscher Thomas Fischer. “Dann werden sie sich auch durchsetzen.” Bislang lohne sich die Forschung für bessere Recyclingverfahren nur für hochpreisige und in großen Mengen verfügbare Fasern. Billige Fasern, aus denen Fast-Fashion besteht, sind jedoch gewöhnlich neu immer noch günstiger als recycelt. Das gilt gerade auch für erdölbasierte Polyesterfasern, mit einem Weltmarktanteil von mehr als 50 Prozent die wichtigste Faser. Nur 15 Prozent stammen aus Recycling.
Und die Ergebnisse vom Recycling sind häufig noch unbefriedigend. So werden beim mechanischen Recycling die Fasern kürzer, womit sich die Qualität verschlechtert. Aktuell wird ein Großteil der wieder gewonnen Fasern deswegen nicht zu Garn gesponnen, sondern zu Vliesstoff verarbeitet. Aber Thomas Fischer ist überzeugt davon, dass es schnell technologische Veränderungen geben wird, wenn sich etwa durch die Regulierung die Kalkulation für die Unternehmen ändere. “Der Green Deal geht in die richtige Richtung.”
Weit entfernt von einer Marktreife ist dagegen nach Ansicht von Alexandra Caterbow das chemische Recycling. Wie andere Kritiker des Verfahrens hält sie schon den Begriff für falsch. Denn bei dem Prozess gehe bis zu einem Drittel des eingebrachten Materials verloren und “man braucht enorme Mengen an Energie für den Betrieb der industriellen Anlagen”, sie trügen zu CO₂-Emissionen bei und steigerten die Produktionskosten derart, “dass chemisch recycelter Kunststoff nur schwer mit preiswertem Neuplastik konkurrieren kann”.
Wer die ökologischen Herausforderungen der Modeindustrie und besonders von Fast Fashion lösen wolle, komme nicht umhin, zu überlegen, wie weniger, haltbarer und zeitlosere Bekleidung hergestellt werden könne. Dazu äußert sich auch die Slow-Fashion-Designerin Martina Glomb im Interview. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Was halten Sie von der Initiative gegen Fast Fashion?
Ich finde es richtig gut, dass es jemand angeht.
Sie setzen auf Slow Fashion. Wie könnte man eine solche ressourcensparende Textilproduktion in großem Stil verwirklichen?
Da könnten viele Faktoren eine Rolle spielen, Preise, Regulierung, Gestaltungsideen, Schönheitsideale. Vor allem brauchen wir Qualität statt Quantität – das gilt an allen Stellen des textilen Lebenszyklus.
Womit würden Sie anfangen?
Hilfreich wäre die Produktion einiger weniger vorbildlich produzierter Varianten bei Basics wie weißen T-Shirts, Unterhosen oder Socken. Das wäre eine einfache Möglichkeit, um von Fast Fashion auf Slow Fashion umzuschalten. Ich stelle mir eine Grundausstattung vor, die komplett überall in der Welt gleich ist.
Warum ist die Reduzierung der Auswahl wichtig?
Wir brauchen kalkulierbare Produkte, um Textilien gezielt zurückholen und in Kreisläufen wiederverwerten zu können.
Wie könnten Menschen dazu gebracht werden, solche Standards zu kaufen?
Wichtig wäre es, dass die Designerinnen, die solch eine Basis-Kollektion entwickeln, ihre Überzeugungen kommunizieren. Helfen könnte auch Nudging. Dass die Politik sagt: Leute, wenn Ihr euch belohnen wollt, dann kauft ihr euch ein cremefarbenes ungefärbtes T-Shirt aus Baumwolle, ohne Chemikalien. Das ist nur halb so teuer wie das knallpinke T-Shirt mit Polyesteranteil. So könnte man vielleicht anfangen, mit Belohnung.
Wo bleibt bei dem Ansatz die modische Individualität?
Menschen könnten sie beispielsweise durch individuelle und handwerklich produzierte Oberbekleidungsstücke pflegen. Ich glaube, wenn man die Basics reguliert, könnte man ein ganzes Stück weiterkommen.
Wie hilfreich wären mehr Informationen für die Käufer: innen?
Die Menschen sollten wissen, wer hat ein Kleidungsstück wo und wie produziert, mit welchen Materialien und Chemikalien? Es braucht eine Lebensdauereinschätzung und eine Ökobilanz, einschließlich des Einsatzes von Recyclingmaterial.
Wann sind Textilien nachhaltig?
Wir suchen in dem Forschungsprojekt Bio2Design gerade geeignete Kriterien. Wir wollen eine Datenbank für biobasierte Halbzeuge erstellen, also Fasern, Fäden, Flächen, Textilien. Wir identifizieren Materialien und versehen sie mit einer Öko- und Fair-Bilanz. Die Daten sollen europaweit zugängig gemacht werden, hauptsächlich für Designer: innen. Sie entscheiden oft über die Auswahl des Materials und sollten deswegen zumindest eine vage Vorstellung davon erhalten, wie nachhaltig ein Material ist?
Wie schwierig ist die Auswahl der Kriterien?
Schwierig. Wir streiten schon darüber, wie hoch der biobasierte Anteil in Materialien sein sollte. Manchen würden 20 Prozent reichen, mir bei weitem nicht.
Sie stehen am Anfang?
Ja, wir haben einen ersten Fragebogen entwickelt, wo es erst mal darum geht Studierende und Leute, die sich mit Materialien und der Beschaffung von Material befassen, zu befragen, nach welchen Kriterien gehst du eigentlich jetzt vor? Wir versuchen bei Designer: innen erst mal herauszufinden, ist die Farbe für dich wichtiger als der Griff. Welche Rolle spielt der Wasserverbrauch? Welche Rolle spielt die Fair-Bilanz? Das versuchen wir herauszufinden, um diese Kriterien dann anzupassen auf eine gezieltere Suche nach nachhaltigeren Materialien. Da spielt auch die Kreislauffähigkeit eine Rolle.
Unsere Arbeit soll das Wachstum von Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit anregen. Wir können aber selbst Informationen nur stichprobenartig überprüfen und nicht für jeden Faden, jede Faser eine Öko- und Fair-Bilanz erstellen. Mit Zertifizierung und Kennzeichnung lösen wir das Problem auch nicht alleine. Am Ende müssen wir weniger Textilien produzieren und konsumieren. Degrowth ist die einzige Möglichkeit.
Welche Rolle spielt die Art der Lieferkette?
Wir befassen uns in einem Projekt mit der lokalen Produktion und dem lokalen Sourcing von Rohstoffen. Es wäre wichtig, wenn hierzulande produzierende Firmen Menschen einbinden würden. Kommt her, entwerft mal einen Pullover mit uns. Wir brauchen zudem Transdisziplinarität in der Lehre. Hilfreich wären beispielsweise Curricula, die die Teilnahme von externen Partnerinnen und Produzentinnen erlauben. Ganzheitliche Curricula eben.
Welche Konsumenten sind besonders offen für das Thema nachhaltiger Mode?
Viele geben sich nachhaltig. Alle schmücken sich in ihrer Selbstdarstellung mit Werten wie divers oder nachhaltig. Aber oft steckt dahinter nur ein Kick. Für eine echte Transformation der Textilindustrie interessieren sich wenige, vor allem ältere Frauen. Die Zielgruppe zwischen 15 und 25 ist die Schwierigste. Das zeigen die Ergebnisse unserer Forschung und meine Erfahrungen. Junge Mütter sind dann zum Teil wieder sehr dankbar über nachhaltige Mode, Designstrategien. Wir müssen noch früher ran, in die Schulen. Man muss nicht alles lernen, manchmal lernt man es durch das machen. Wichtig finde ich, positive Regelverletzungen zu unterstützen. Wenn jemand eine verrückte Idee hat, die gut ist, sollten wir ihn unterstützen. Positive Regelbrecher unterstützen, ist mir wichtiger als Fast Fashion zu kritisieren. Das kann niemand mehr hören.
Eigentlich wechseln Moden, aber das scheint für Fast Fashion nicht zu gelten?
Ich finde es immer wieder schockierend, wenn die neuesten Zahlen zu Fast-Fashion-Verkäufen kommen. Und es gibt wieder etwas Neues, etwa den Hersteller Shein. Er bringt jetzt jeden Tag neue Produkte heraus. Gleichzeitig rühmt er sich, keine nachwachsenden Rohstoffe zu verwenden, sondern nur Polyester.
Ein großer Teil der Unternehmen, die potenziell konfliktbehaftete Mineralien nach Deutschland importieren, haben in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten der EU-Konfliktmineralienverordnung ihre Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Das geht aus dem ersten Kontrollbericht der Deutschen Kontrollstelle EU-Sorgfaltspflichten in Rohstofflieferketten (DEKSOR) hervor.
Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erze und Gold werden vielfach in Regionen gewonnen, wo bewaffnete Gruppen Land und Minen kontrollieren. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu Menschenrechtsverletzungen – etwa durch Zwangsarbeit in den Minen oder die bewaffneten Gruppen, die sich aus den Erlösen des Abbaus finanzieren. Die EU hat deshalb 2017 eine Verordnung verabschiedet, die Importeure von großen Mengen dieser Mineralien verpflichtet, Sorgfaltspflichten einzuhalten. Im Fokus steht ein unternehmensinternes Risikomanagement.
Die DEKSOR kontrolliert die Einhaltung der Verordnung in Deutschland, die vollumfänglich seit 2021 gilt. Erstmals 2022 führte sie bei den Importeuren rückwirkend Kontrollen für 2021 durch. Im ersten Kontrollbericht sind die Ergebnisse der beiden Jahre kombiniert. Für 2021 hat sie 23 Importeure kontrolliert, die überwiegend Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten (CAHRAs) einführten.
Insgesamt wurden 2021 rund 10.600 Tonnen Zinn, Tantal und Wolfram sowie 175 Tonnen Gold nach Deutschland importiert. 145 Unternehmen, die Zinn, Tantal, Wolfram und Gold nach Deutschland importierten, lagen über der Mengenschwelle, die sie zur Erfüllung besonderer Sorgfaltspflichten verpflichtet. Sie decken für die meisten Mineralien über 90 Prozent der Gesamt-Menge ab, die eingeführt wurde.
Laut der EU-Verordnung müssen kontrollierte Importeure der nationalen Kontrollbehörde Audit-Berichte von unabhängigen Dritten zur Verfügung stellen. Diese Berichte sollen darlegen, welche Maßnahmen sie verfolgen, um Risiken in ihren Lieferketten zu reduzieren. Die DEKSOR bemängelt, dass die nachträglich für 2021 kontrollierten Importeure nur Zusammenfassungen von Audit-Berichten zur Verfügung gestellt haben.
Vor allem kritisiert die DEKSOR, dass Importeure keine Audit-Berichte über eigene Risikomanagementsysteme einreichten, sondern über Hütten und Raffinieren, von denen sie Mineralien und Metalle kaufen. Sie bezogen sich dabei auf eine Ausnahme in der Verordnung, nach der eigene Audit-Berichte verzichtbar sind, wenn alle Hütten und Raffinieren in der Lieferkette die Verordnung einhalten. Dies könnte zwar dadurch belegt werden, dass die Verarbeiter zu Industrieinitiativen wie der Responsible Minerals Initiative (RMI) gehören, aber Importeure müssten laut DEKSOR trotzdem ein eigenes Risikomanagement betreiben und zusätzliche Nachweise für die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten vorlegen.
Aktuell gibt es allerdings noch keine Industrieinitiative, die von der EU-Kommission anerkannt ist. Daher könnten Importeure sich derzeit ohnehin nicht darauf berufen. Wann die Initiativen, die sich bei der Kommission um Anerkennung beworben haben, zugelassen werden, ist noch unklar.
Die DEKSOR bemängelt außerdem, dass Audit-Berichte über Hütten und Raffinieren in Industrieinitiativen wie der RMI auch nur in zusammengefasster Form übermittelt wurden. Matthias Baier, Leiter der DEKSOR, sagt: “Das Wichtigste ist Transparenz. Die Importeure müssen uns schlüssige und überprüfbare Nachweise zukommen lassen. Sonst können wir als Kontrollstelle nicht beurteilen, ob sie ihren Sorgfaltspflichten nachkommen.”
Aus Sicht der Unternehmen erfüllen Initiativen wie die RMI eine wichtige Funktion als Datenlieferanten. “Die Anforderung für KMU, die Lieferketten bis zum Ursprung zurückzuverfolgen, ist ohne entsprechende Systeme in der Praxis nicht umsetzbar”, sagt eine Sprecherin der Wirtschaftsvereinigung Metalle. Hier sei mehr Unterstützung von der Politik notwendig: Die versprochenen Hilfsmittel der EU-Kommission seien bislang nicht vorhanden, wie die Anerkennung der Initiativen oder die angekündigte weltweite Liste verantwortungsvoller Hütten und Raffinerien – oder sie seien nicht ausreichend aussagekräftig, wie die Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete (CAHRA-Liste).
Auch in anderen Ländern läuft die Umsetzung schleppend: “Viele EU-Mitgliedstaaten scheinen sich der Aktivitäten im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Verordnung über Konfliktmineralien nicht bewusst zu sein oder haben nicht darüber berichtet”, schreibt die OECD in einem Bericht von Mai 2022. Übrigens: Die EU-Verordnung basiert auf dem OECD-Leitfaden für die Erfüllung von Sorgfaltspflichten zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten.
Laut Angaben der EU-Kommission sind in der gesamten EU zwischen 600 und 1.000 Unternehmen von der Verordnung betroffen. Im Rahmen einer Umfrage von Table Media bei den nationalen Kontrollbehörden berichteten jedoch mehrere, sie hätten keine oder nur sehr wenige Importeure identifiziert, welche die Mengenschwellen überschreiten. Zusätzlich zu den 145 Unternehmen in Deutschland meldete Österreich 15 Firmen, Bulgarien drei und Finnland drei bis sieben.
Viele Unternehmen haben sich bisher anscheinend darauf verlassen, dass es reicht, sich auf eine Industrieinitiative zu beziehen, um den Sorgfaltspflichten der EU-Verordnung zu genügen. Es fehlt aber auch an Bewusstsein. “Das erste volle Jahr der Anwendung der Verordnung hat gezeigt, dass nur eine sehr begrenzte Zahl von Einführern ihre Verpflichtungen im Rahmen der Verordnung vollständig versteht”, sagt etwa ein Sprecher des in Irland zuständigen Department of the Environment, Climate and Communications.
Darüber hinaus ist ein Grund für die schlechte Compliance der Importeure eventuell, dass sie keine harten Strafen befürchten müssen. “Dass Verstöße nicht mit scharfen Sanktionen belegt sind, könnte für einige Unternehmen auch ein Grund sein, sich nicht an die Verordnung zu halten”, sagt Baier von der DEKSOR. Allerdings wussten die Unternehmen 2017, dass sie ab 2021 ihre Sorgfaltspflichten einhalten müssen. Sie hatten also vier Jahre Zeit, sich vorzubereiten.
Den ersten offiziellen Review-Prozess der Verordnung will die EU-Kommission übrigens Ende 2023 abschließen. Danach wird die Verordnung alle drei Jahre überprüft. Nicolas Heronymus und Leonie Düngefeld
24.-27.1.2023, Essen
Messe IPM ESSEN – die Weltleitmesse des Gartenbaus
Eines der zentralen Themen ist Nachhaltigkeit, etwa Abfallvermeidung, Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Gemüseanbau. Info & Tickets
26.1.2023, 8:30 Uhr
Online-Event Ecodesignkit – Orientierung im Gestaltungsprozess (IDZ)
Was ist bei der Materialwahl für neue Produkte zu beachten? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert das neu gestaltete Ecodesignkit des Umweltbundesamtes. Info & Anmeldung
25.1.2023, 16 Uhr
Podiumsdiskussion Ein Blick in die Zukunft – Gender und Nachhaltigkeit (gFFZ)
Die Diskutantinnen sprechen über die Frage, was getan werden muss, um Nachhaltigkeit und Genderaspekte zielführend zusammenzudenken. Info & Anmeldung
26.1.2023, 18 Uhr
Podiumsdiskussion Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (Medical School Berlin)
Ziel der Veranstaltung ist unter anderem, übergreifende Fragen zum Thema Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt zu diskutieren. Info & Anmeldung
26.1.2023, 16 Uhr
Online-Konferenz Transformationsdialoge Nachhaltige Veranstaltungswirtschaft (B.A.U.M. e.V.)
Die Veranstaltung dreht sich um die Transformation der Veranstaltungswirtschaft hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft auf Grundlage der UN Sustainable Development Goals (SDG). Info & Anmeldung
30.1.2023, 16 Uhr
Online-Gespräch Inclusive Infrastructure for Africa: Investment Promotion in Times of Crisis (GIZ)
Das Online-Event ist Teil der Gesprächsreihe zur internationalen Zusammenarbeit. Anmeldung
31.1.2023
Konferenz ECOSOC Partnership Forum 2023
1.2.2023
Webinar Nachhaltiges Lieferkettenmanagement in der Automobilindustrie: Rohstoffbeschaffung am Beispiel von Lithium (UPJ und Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte)
Franziska Killiches von Volkswagen, berichtet unter anderem über ihre Erfahrungen aus der Atacama-Wüste in Chile, wo sie sich ein Bild vom Lithium-Abbau für Batterien von Elektrofahrzeugen gemacht hat. Info & Anmeldung
14.-17.2.2023, Nürnberg
Messe BIOFACH – Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel Info & Tickets
Bei der Positionierung des Rats für ein europäisches Lieferkettengesetz Ende November habe die Bundesregierung auf Druck der FDP zahlreiche Verwässerungen durchgesetzt, schreiben Armin Paasch von Misereor und Karolin Seitz vom Global Policy Forum Europe in einem Briefing der Initiative Lieferkettengesetz. Treibende Kraft sei dabei laut aktuellen Recherche von Correctiv das BMJ gewesen. Mehrfach habe das Ministerium “Leitungsvorbehalte” eingelegt und dadurch ambitioniertere Vorschläge der drei anderen beteiligten Ministerien (BMAS, BMWK, BMZ) abgeschwächt. Auf der Strecke geblieben sei eine explizite Verpflichtung von Firmen zur Umsetzung ihrer Klimapläne oder die Vorgabe zur variablen Vergütung der Geschäftsleitung in Abhängigkeit von Klimazielen. Aufgenommen worden sei dagegen die Forderung nach einer Safe-Harbour-Lösung. Sie stand schon bei Überlegungen für das deutsche LKSG auf dem Wunschzettel großer Wirtschaftsverbände. Allerdings stammt die Idee ursprünglich aus dem BMAS.
Paasch und Seitz verweisen auf Dokumente, die sie über das Informationsfreiheitgesetz erhalten haben. Mehrere “Leitungsvorbehalte” des BMJ ließen sich direkt auf Forderungen von Wirtschaftsverbänden zurückführen. Ein “Leitungsvorbehalt” stelle eine übliche Verfahrensweise dar, heißt es dagegen im BMJ. Die Positionierung, etwa zugunsten der Safe-Harbour-Regelung oder des sogenannten Nachhaltigkeitsplans seien “aus inhaltlichen Gründen getroffen worden”.
Ins Visier nehmen die Aktivsten auch den Schattenberichterstatter der EVP, Axel Voss, der Ende November mit anderen Abgeordneten der EVP-Fraktion 198 Änderungsvorschläge vorgelegt hatte. Die Initiative Lieferkettengesetz warnte bereits am Donnerstag in einem offenen Brief vor einer “vollständigen Entkernung” des Kommissionsvorschlags, nun erhebt sie weitere Vorwürfe. Die Änderungsvorschläge hätten die EVP-Abgeordneten zu Teilen direkt aus Positionspapieren und Briefen von Wirtschaftsverbänden übernommen, offensichtlich teilweise durch schlichtes Copy and Paste. Dazu zählen sie etwa Forderungen vom deutschen Verband der Chemischen Industrie und des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, was die Befreiung der nachgelagerten Lieferketten von jeglicher Sorgfaltspflicht betrifft. Nach diesem Vorschlag zur Richtlinie müssten sich Chemiekonzerne wie Bayer oder BASF nicht um eine sachgerechte Verwendung giftiger Pestizide oder anderer Chemikalien kümmern. Wortwörtlich hätten die EVP-Abgeordneten den Vorschlag der deutschen Chemie-Lobby zu einem “Anerkennungsverfahren für Brancheninitiativen und Zertifizierungen übernommen”.
Laut dem EVP-Parlamentarier Axel Voss seien “Positionspapiere verschiedener Stakeholder zu Rate gezogen” worden. Wenn es um Streichungen von Textpassagen oder von einfachen Rechtsbegriffen gehe, dann können diese sich natürlich auch mit Vorschlägen von Stakeholdern, und damit auch der Industrie, decken. “Diese decken sich dann aber wahrscheinlich mit den Vorschlägen Vieler.” Tatsächlich kopiert worden sei “ein Artikel zur Anerkennung von Industrieinitiativen, da die Industrie an der Stelle die best practices kennt”. cd
Fünf Ausschüsse haben am Dienstag über ihre Position zur nachhaltigen Unternehmensführung (Due Diligence) abgestimmt. Die jeweiligen Stellungnahmen werden die Arbeit für Berichterstatterin Lara Wolters (S&D) erschweren, da sie sehr unterschiedlich ausfallen.
Während der Wolters-Bericht den Kommissionsentwurf stark verschärft, plädiert der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) für einen pragmatischeren Ansatz. So soll die Sorgfaltspflicht nicht, wie von Wolters vorgeschlagen, für die gesamte Wertschöpfungskette (also Upstream und Downstream-Aktivitäten) gelten, sondern sich auf direkte Geschäftspartner beschränken. Zudem will der Ausschuss die Anzahl der Unternehmen, auf die sich das Lieferkettengesetz beziehen soll, auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern einschränken (1000 Mitarbeiter in Hochrisikosektoren).
Man müsse die Betriebe entlasten, statt ihnen weitere Bürden aufzuerlegen, sagte Schattenberichterstatterin Angelika Niebler (CSU) über die Abstimmung. Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini bezeichnete das ITRE-Votum ihrerseits als fatal: “Eine rechts-liberale Mehrheit will das Lieferkettengesetz aufweichen, bis es keinen Effekt mehr hat”, bedauerte sie.
Der Handelsausschuss (INTA) unter der Feder von Barry Andrews hat den Wolters-Bericht wiederum gestärkt. Im Gegensatz zum ITRE weitet die Stellungnahme die Anwendung des Gesetzes auf mittlere Unternehmen aus. Zudem sollen sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken und sich nicht nur auf direkte Zulieferer beschränken. Außerdem nimmt der Text den Finanzsektor in die Liste der Hochrisikosektoren auf, für die besondere Sorgfaltspflichten gelten.
Berichterstatter Barry Andrews zeigt sich besonders erfreut, “dass wir den Geltungsbereich der Sorgfaltspflichtvorschriften erweitert haben, um sicherzustellen, dass mehr Unternehmen ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten und der Umwelt nachkommen”.
Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) hat sich seinerseits dafür ausgesprochen, dass auch Finanzdienstleister bestimmte Sorgfaltspflichten leisten müssen. Allerdings gilt dies nur für die erste Stufe der Lieferkette. Dennoch setzt der Ausschuss damit ein Zeichen an die EU-Mitgliedstaaten, denn im Rat wurde bis zuletzt darum gestritten, dass der Finanzsektor fast gänzlich vom Gesetz ausgenommen ist - mit Erfolg (Europe.Table berichtete).
Der ECON hat sich insbesondere dazu entschlossen, die Ausnahme der Kommission zu streichen, nach der Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor auf die vorvertragliche Phase begrenzt werden. Im Gegensatz zur Stellungnahme des Handelsausschusses plädiert der ECON-Ausschuss jedoch nicht dazu, die Finanzbranche zu den Hochrisikosektoren zu zählen.
NGOs geben sich mit diesem Vorstoß jedoch nicht zufrieden: “Die heute beschlossenen Maßnahmen reichen nicht, um Banken davon abzubringen, Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt zu finanzieren”, schreibt Global Witness in einer Stellungnahme.
Im März stimmt der federführende Rechtsausschuss über seine Position zum Gesetz ab. Im Mai folgt das Votum im Plenum, sodass spätestens in der zweiten Jahreshälfte die Trilogverhandlungen beginnen sollen. Der Rat hat sich bereits im Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt. cw
Der Weltkongress der Uiguren mit Sitz in München und die Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network sind nach Angaben der Nachrichtenagentur AP in Großbritannien mit dem Versuch gescheitert, den Import von Baumwolle aus der Region Xinjiang zu stoppen.
Die Aktivisten hatten die britische Regierung beschuldigt, die Einfuhr von Baumwollproduktion aus Xinjiang zuzulassen, obwohl es dort zu Zwangsarbeit kommt. Sie argumentierten, die Regierung habe es rechtswidrig versäumt, die Bedingungen der Baumwollproduktion in Xinjiang zu untersuchen.
Der Richter räumte zwar ein, dass es eindeutige und weit verbreitete Missstände in der Baumwollindustrie in Xinjiang gebe, zu denen auch Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit gehörten. Beweise für diese Angaben seien aber kaum zu sichern und strafrechtliche Ermittlungen damit wenig sinnvoll. Der Richter wies zudem darauf hin, dass die britische Regierung nach eigenen Worten eine Untersuchung einleiten könnte, falls neue Informationen auftauchen.
Der Weltkongress der Uiguren und Global Legal Action Network zielen darauf ab, dass Großbritannien und die Europäische Union dem Beispiel der USA folgen. Dafür haben sie mehrere Klagen eingereicht. In den USA trat 2022 ein Gesetz in Kraft, das alle Baumwollprodukte verbietet, die im Verdacht stehen, in Xinjiang hergestellt worden zu sein. flee
210 Millionen Smartphones liegen in Schubladen in Deutschland. Die enthaltenen Rohstoffe würden ausreichen für die Geräte, die in Deutschland voraussichtlich im nächsten Jahrzehnt benötigt werden. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum sogenannten Urban Mining. Aber noch blieben die Materialien meist ungenutzt, weil sie nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden. “Damit Urban Mining die Kreislaufwirtschaft unterstützen kann, müssen sich erst wirtschaftlich darstellbare Verfahren für die Rückgewinnung der Rohstoffe aus Altgeräten wie Smartphones etablieren“, sagt Studienautorin Adriana Neligan.
Zwar haben die 210 Millionen Schubladenhandys einen Gesamtmetallwert von schätzungsweise knapp 240 Millionen Euro. Neben 6.600 Tonnen Aluminium, dessen Ausgangsstoff Bauxit die EU als kritischen Rohstoff einstuft, finden sich in den Geräten kritische Rohstoffe wie Kobalt (1.400 Tonnen), Lithium (180 Tonnen), Magnesium (140 Tonnen), Titan (60 Tonnen) sowie Phosphor, Tantal, Platin-Metalle oder Seltene Erden. Allerdings sind die Mengen je Gerät gering. Beim Gold sind es gerade einmal 0,017 Gramm. Und der Rohstoffwert eines einzelnen Smartphones liegt aktuell bei gerade einmal 1,15 Euro.
Riesiges anthropogenes Rohstofflager
Urban Mining gilt als Hoffnungsträger für eine zirkuläre Wirtschaft. Bereits vor fünf Jahren umfasste das von Menschen erschaffene Materiallager nach Angaben des Umweltbundesamtes in Deutschland pro Kopf 342 Tonnen an mineralischen und metallischen Rohstoffen. Mengenmäßig stecken die meisten Rohstoffe und hier vor allem die mineralischen (Steine, Erden, Beton) im Hoch- und Tiefbau. Wertmäßig liegen die Metalle u.a. aus den langlebigen Konsumgütern vorn. Dass es für Urban Mining weltweit noch an tragfähigen Geschäftsmodellen fehlt, bestätigt der Circularity Gap Report 2023. Demnach sinkt der zirkulär genutzte Anteil in der Weltwirtschaft sogar seit Jahren und liegt aktuell bei nur 7,2 Prozent (nach 9,1 Prozent in 2018).
Laut UN-Global E-Waste Monitor 2020 wurde 2019 weltweit eine Rekordmenge von 53,5 Millionen Tonnen Elektroschrott erzeugt, ein Plus von 21 Prozent in fünf Jahren. Bis 2030 dürfte der Umfang auf 74 Millionen Tonnen steigen. Nur 17,4 Prozent des Elektroschrotts von 2019 wurden weltweit gesammelt und recycelt. In Deutschland lag die Sammelquote 2020 dagegen bei 44 Prozent. Trotzdem wurde die seit 2019 nach der WEEE-Richtlinie der EU gültige Mindestsammelmenge von 65 Prozent auch hierzulande weit verfehlt. am
Führungskräfte in Deutschland stellen ihrer Zunft in Sachen Klimawandel kein gutes Zeugnis aus. Nur 19 Prozent glauben, die Wirtschaft nehme das Thema “sehr ernst”. Global sind es immerhin 29 Prozent. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten CxO Sustainability Survey 2023 der Unternehmensberatung Deloitte hervor. Dafür wurden im Herbst 2022 weltweit über 2.000 Vorstände befragt, darunter 105 aus Deutschland.
Der Bericht zeigt: Manager in Deutschland beschäftigt der Klimawandel längst nicht so wie die Kollegen in anderen Ländern. Lediglich 48 Prozent sorgt diese Frage ständig oder häufig, global sind es 62 Prozent der Befragten. Folglich kommt auch Aspekten wie Klimagerechtigkeit und einer sozial gerechten Transformation vergleichsweise geringe Bedeutung zu. International werden sie von 46 Prozent der Führungskräfte für sehr wichtig gehalten, insbesondere im Globalen Süden. In Deutschland trifft dies nur auf 25 Prozent der Top-Manager zu. Damit belegen sie im Ländervergleich den vorletzten von 24 Plätzen.
Die wichtigsten Themen für hiesige Unternehmen sind mit 52 Prozent die Konjunkturentwicklung (Global: 44 Prozent) und mit 42 Prozent die Innovation (Global: 36 Prozent). Auf Platz 3 folgten mit 37 Prozent die Lieferkettenprobleme (Global: 33 Prozent) und der Klimawandel (Global: 42 Prozent).
Eine Erklärung könnte sein: Führungskräfte in Deutschland sehen sich beim Klimawandel einem deutlich geringeren Transformationsdruck ausgesetzt als Manager anderswo auf der Welt. So spüren nur 58 Prozent der Befragten Veränderungserwartungen von Geschäftspartnern und Konsumenten (Global: 68 Prozent). Auch durch Regierung und Gesetzgeber fühlen sich nur 50 Prozent (Global: 68 Prozent) unter Druck gesetzt. Dazu passt: Lediglich 51 Prozent der deutschen Manager gaben an, neue Regularien hätten sie im vergangenen Jahr zu größeren Nachhaltigkeitsanstrengungen bewogen (Global: 65 Prozent). ch
Ölkonzerne und Klimakrise: Denn sie wussten, was sie tun SZ
Felix Stephan beschäftigt sich in der Süddeutschen Zeitung anhand des Falls des US-Ölkonzerns Exxon mit der Frage der juristischen Verantwortung Unternehmen, die Unsicherheit über den Klimawandel gestreut haben, obwohl ihre hauseigenen Wissenschaftler den Klimawandel “verblüffend genau vorhergesagt haben”.
How the young spend their money THE ECONOMIST
Der Economist analysiert das Einkaufsverhalten der jungen Konsumenten. Gen-Z-Amerikaner sind die Altersgruppe, in der die meisten erwarten, dass Lebensmittel in einer Stunde geliefert werden. Gleichzeitig zeige eine Studie, dass 7 von 10 Gen-Z-Angehörige aus sechs Ländern Fakten aus der Werbung überprüfen.
“Müssen wir denn warten, bis alles in Schutt und Asche liegt?” DER SPIEGEL
Im Gespräch mit dem Spiegel plädiert die Sandrine Dexon-Decléve Präsidentin des Club of Rome, für eine konsequente Umsetzung des Green Deal in der EU, um die Industrie in Europa zu halten. Es brauche klare Sanktionen für Firmen, welche die neuen, grünen Spielregeln nicht befolgten, aber auch Unterstützung für diejenigen, die sich bemühen, das Richtige zu tun. “Bürger, NGOs, Thinktanks – wir alle müssen viel humaner werden im Umgang mit der Industrie. Und auch mal loben, wenn es gut läuft”, sagt Dexon-Decléve.
Die sieben Leben der Globalisierung FAZ
Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Veränderungen der Globalisierung analysiert Gerald Braunberger: Die Globalisierung habe noch nie eine feste Struktur besessen und sei auch nicht linear vorhersehbar. In der jetzigen Veränderungen kann er keinen Bruch erkennen.
Gute Miene, böses Spiel? SZ
Alex Rühle schreibt über die Befürchtungen der Samen angesichts des Funds seltener Erden in Schweden um ihre Rentiere. Vertreter nannten den Fund eine “absolute Katastrophe”. Die wirtschaftliche Basis der Samen, der letzten indigenen Urbevölkerung in Europa, ist die Rentierzucht. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hätten sie gelitten, durch Windräder, Massentourismus, Zugstrecken und Gleisen. Nun drohe neues Unheil. “Wir versuchen die Welt zu retten, indem wir die letzte europäische Urbevölkerung opfern”, sagen Vertreter.
Was wirklich hinter Klima-Labels auf Lebensmitteln steckt SZ
Lea Hampel und Silvia Liebrich hinterfragen irreführende Klima-Labels. Sie spannen den Bogen von der Idee eines einheitlichen staatlichen Klimasiegels bis zu Forderung nach einem Verbot irreführender Klimawerbung.
Behind Britain’s strike wave Social Europe
Paul Mason analysiert die Situation, in der Großbritannien angesichts einer Art Generalstreik am 1. Februar steht. Hundert Tausende Beschätigte des öffentlichen Dienstes werden dann ihre Arbeit niederlegen. Ein Grund sind die durch die Inflation gesunkenen Reallöhne, ein anderer die fehlenden Arbeitskräfte in vielen Bereiche. Die Tory-Regierung sei ein Opfer des Fachkräftemangels geworden, den ihre “freien Märkte” hervorgerufen hätten.
Weltwirtschaftsforum: “Verfallt nicht in Panik” SZ
Die Rede von der Polycrisis ist in vieler Munde. Aber der britische Wirtschaftshistoriker Nial Ferguson geht nicht davon aus, dass wir gerade besonders krisenhafte Zeiten erleben. Er kritisiert im Interview von Lisan Nienhaus die Weltuntergangsrhetorik beim Treffen der Wirtschaftselite in Davos und warnt vor falschen Antworten auf die Erderwärmung.
Klimaverträglichkeit von Geldanlagen TAZ
Anja Krüger berichtet über die Gründung der Beobachtungsstelle Greenwashed. Auf ihrem Portal können sich professionelle Anleger Informationen über nachhaltige Finanzanlagen abrufen.
Podcast: Nestlé’s KitKat Diplomacy: Neutrality vs. Shared Value HARVARD BUSINESS REVIEW
Can We Put a Price Tag on Nature? THE NEW YORK TIMES
How do the Federal Reserve and ECB differ on tackling climate change? FINANCIAL TIMES
Freiwillige Zertifikate sparen anscheinend weniger CO₂ ein als berechnet DIE ZEIT / THE GUARDIAN
Auch öffentliche Unternehmen haben Nachhaltigkeitspflichten Börsen-Zeitung
Greenwashing: Brüssel sagt irreführender “grüner Werbung” den Kampf an FAZ
Norway’s oil fund sends a warning shot to ESG laggards Financial Times
Weltwirtschaftforum in Davos: “Sagen Sie bloß nicht ESG“ Handelsblatt
Taxonomie und ESG: Nachhaltigkeit stellt Wirtschaftsprüfer vor knifflige Aufgabe FAZ
Bank of America CEO says new ESG rules are needed to reboot capitalism CNBC
Kapitalismus und die Arbeiterbewegung: Jahrhundertelang und bis heute stehen sich beiden Seiten in vielen Teilen der Welt als Klassenfeinde gegenüber. Mit ESG könnte sich das ändern – falls es der Kapitalismus mit einer nachhaltigen und ethischen Unternehmensführung tatsächlich ernst meint. ESG scheint die Antwort des Kapitalismus auf die Klima- und Umweltkrise und einen fundamentalen Wertewandel zu sein, der nicht nur strengere Gesetze zur Folge hat, sondern auch die Haltung der Öffentlichkeit bzw. der Erwerbstätigen massiv verändert. Man könnte dem Kapitalismus unterstellen, er würde sich mit ESG neu erfinden, um weiter als führende Wirtschaftsform akzeptiert zu werden.
Und was hat das alles mit der deutschen Mitbestimmung zu tun? Sehr viel, denn die Grundlage von ESG ist die Überzeugung, dass ein Unternehmen erfolgreicher ist (und damit den Investoren eine bessere Rendite liefert), wenn es die Belange aller Stakeholder berücksichtigt. Und die in meinen Augen mit Abstand wichtigsten Stakeholder eines Unternehmens sind die Kunden und die Mitarbeiter, die wiederum vom Betriebsrat vertreten werden. Und was ist mit den Investoren? Ich persönlich und der Gesamtbetriebsrat von Daimler Truck wissen ganz klar, dass nur ein wettbewerbsfähiges Unternehmen nachhaltig existieren und Arbeitsplätze sichern kann. Dass die Investoren das Recht auf eine angemessene Rendite haben, versteht sich von selbst. Wettbewerbsfähig und erfolgreich ist ein Unternehmen aber nur dann, wenn es mit seinen Produkten und Dienstleistungen die Kunden überzeugt. Dafür braucht es motivierte und qualifizierte Beschäftigte. Sie sind Leistungserbringer und das wichtigste Kapital eines Unternehmens – nicht nur ein Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt. Mit ESG verbinde ich zumindest die Hoffnung, dass Investoren dies endlich erkennen.
Zurück zur deutschen Mitbestimmung. Wir Arbeitnehmervertreter gestalten als Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und im Aufsichtsrat alle drei ESG-Dimensionen mit. Bei Daimler Truck fällt unter “E” zum Beispiel die Transformation der Lkw und Busse hin zu emissionsfreien Fahrzeugen. Dies hat große Auswirkungen auf die Beschäftigung, weil ja die komplette Entwicklung und Produktion des Verbrennungsantriebs wegfällt und aktuell noch nicht klar ist, ob die neue Technologie den Verlust der Arbeitsplätze kompensieren kann. Unser Ziel als Arbeitnehmervertreter muss es sein, bei den Zukunftstechnologien Elektromobilität und Wasserstoff eine ähnlich hohe Wertschöpfung zu erreichen wie beim Verbrennungsmotor. Das bedeutet konkret, dass wir bei Daimler Truck Schlüsselkomponenten wie den Elektromotor, die Batterie und die Batteriezellen möglichst in Eigenregie entwickeln und produzieren müssen. Dazu bringen wir aktiv eigene Vorstellungen und Konzepte ein und entwickeln gemeinsam mit dem Management Zukunftsbilder für die betroffenen Standorte, die einerseits die Wettbewerbsfähigkeit auch in einer emissionsfreien Zukunft erhalten und andererseits die Arbeitsplätze sichern.
Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz, Ergonomie usw. – das “S” entspricht den traditionellen Mitbestimmungsthemen. Bei diesen (gesetzlich verankerten) Themen ist die Arbeitnehmervertretung schon immer der Ansprechpartner des Unternehmens. Unerklärlicherweise ist das vielen Menschen, die sich mit ESG beschäftigen, nicht bewusst. In erster Linie steht ESG für Nachhaltigkeit, was häufig mit Umwelt- und Klimaschutz gleichgesetzt wird. Meiner Meinung nach gehören zur Nachhaltigkeit aber auch das “S” – zum Beispiel in Form von sicheren und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen, Inklusion sowie einer Fülle von Maßnahmen, Konditionen und Programmen, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Das wiederum ist entscheidend für die Gewinnung von neuen Beschäftigten und die Ausbildung von Nachwuchskräften, kurz: die Sicherung des Humankapitals eines Unternehmens. Bei allen diesen Themen spielt Arbeitnehmervertretung, sei es bei Gewerkschaften, als Betriebsräte, im Gesamtbetriebsrat oder im Aufsichtsrat eine wichtige Rolle. Mit ESG und der Transformation hin zu emissionsfreien Antrieben rückt ein relativ neues Thema in den Fokus: Die Gewerkschafts- und Menschenrechte in der Lieferkette – sei es durch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder durch den Druck von NGO und der Öffentlichkeit.
Schon vor der Abspaltung von Daimler Truck habe ich als Gesamtbetriebsratsvorsitzender der alten Daimler AG (Pkw, Lkw und Busse, Vans) gemeinsam mit dem Unternehmen die sogenannte Grundsatzerklärung zu sozialer Verantwortung und Menschenrechte (Sozialcharta) auf den Weg gebracht. Und auch bei Daimler Truck gibt es durch unser Mitwirken eine Sozialcharta. Eine wichtige Rolle bei der Wahrung und Durchsetzung von Menschenrechten in der globalen Lieferkette spielen bei Daimler Truck der Europäische Betriebsrat und die Weltarbeitnehmervertretung, die wir vor kurzem neu konstituiert haben. (ESG.Table berichtete). Über diese Gremien und die Zusammenarbeit mit der internationalen Industriegewerkschaft industriALL Global Union erhalten wir Kenntnis bei Verletzungen von Menschenrechten oder von Verstößen gegen Gewerkschaftsrecht. Und das nicht nur bei direkten Zulieferern, sondern in der gesamten Lieferkette. Diese Gremien und die Vorgehensweise haben wir Arbeitnehmervertreter schon bei der alten Daimler AG erfolgreich angewendet – lange bevor es ein entsprechendes Gesetz gab. Das “S” ist also das Kerngeschäft der Arbeitnehmervertretung – das sollten sich die Unternehmen und Investoren ins Bewusstsein rufen.
Bleibt das “G” für Governance. Bei großen Aktiengesellschaften wird der Aufsichtsrat paritätisch besetzt, damit sind Arbeitnehmervertreter durch die Mitbestimmung fester Bestandteil des Gremiums. Bei Daimler Truck sitzen auf der Arbeitnehmerbank zehn Vertreterinnen und Vertreter, die an strategischen Weichenstellungen des Unternehmens mitarbeiten – und damit auch ESG gestalten. Sie berufen Vorstandsmitglieder mit und haben auch Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Entwicklung von Top-Führungskräften. Damit wirken die Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter maßgeblich an allen drei ESG-Stichworten mit und sind erfolgskritisch für Unternehmen.
Ob Investoren ihre Investitionsentscheidung tatsächlich nach Kriterien der nachhaltigen und ethischen Unternehmensführung treffen, muss sich erst noch herausstellen. Hier sind Zweifel angebracht. Larry Fink, der CEO des weltweit größten Vermögensverwalters, verschickt zwar jedes Jahr Briefe an wichtige Unternehmenslenker und propagiert den Stakeholder-Kapitalismus und ESG. Wie eine Analyse in diesem Newsletter vor Kurzem ergeben hat, orientieren sich die Investitionsentscheidungen bestenfalls aber, nur zum Teil (wenn überhaupt) an ESG-Kriterien. Auch bei Daimler Truck spüren wir den Druck des Kapitalmarkts und der Großinvestoren. Permanent wird die Erhöhung der Rendite gefordert. Dafür sollen Fixkosten gesenkt werden, welche zu einem großen Teil Personalkosten sind. Die Frage, ob wir genügend Kapazitäten haben, ob wir mit dem vorhandenen Personal überhaupt noch liefer- und wettbewerbsfähig sind, wird gar nicht gestellt. Beschäftigte sind oft Kostenfaktoren und ähnlich verhält es sich auch mit Zukunftsinvestitionen. Durch die beschriebene Transformation in einem disruptiven Umfeld sind sehr hohe Investitionen notwendig, die im Sinne von Nachhaltigkeit die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft des Unternehmens sichern. Was macht der Kapitalmarkt? Er jubelt, wenn es Entlassungen gibt. Die Kurse steigen, wenn Investitionen gedeckelt werden und er pfeift auf Corporate Governance, wenn das Investment attraktiv ist.
Wir Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter sind bereit und gut gerüstet, gemeinsam mit dem Management und den Investoren ESG in der Praxis umzusetzen. Wir vertreten den wichtigsten Stakeholder, die Beschäftigten. Deshalb kann nachhaltige und ethische Unternehmensführung nur mit uns erfolgreich sein – und nicht gegen uns.
Michael Brecht ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Daimler Truck und Betriebsratsvorsitzender des Mercedes-Benz Werks Gaggenau. Er sitzt im Aufsichtsrat von Daimler Truck und der Mercedes-Benz Group.
Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist die 40-Jährige dafür weit nach oben geklettert: 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und Verbraucherschutz zuständig ist.
Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.
Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zieht Cavazzini jetzt Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.
Außerdem müssten die verfügbaren Tools des Binnenmarkts gerade in einer Zeit der Krisen noch effektiver eingesetzt werden. Zwei Beispiele: Zum einen soll der Green Deal mitsamt seiner Produktstandards helfen, die Klimaziele zu erreichen. Zum anderen sollen große Online-Konzerne durch die großen Digitalvorhaben DSA und DMA reguliert werden. “Auch die Binnenmarktpolitik muss noch stärker das Ziel haben, diesen Krisen zu begegnen“, so Cavazzini.
Die Abgeordnete beschäftigt auch das Wirken des Binnenmarkts über die EU hinaus. Denn erstens müssen auch importierte Produkte die europäischen Standards einhalten. Und zweitens sollen nun auch Produktionsstandards über die Lieferketten stärker reguliert werden. Gemeinsam mit ihrer Fraktion hat Cavazzini dieses Thema in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Als Schattenberichterstatterin verhandelt sie im Handelsausschuss zurzeit das EU-Lieferkettengesetz, über das Ende Januar abgestimmt werden soll.
Darüber hinaus arbeitet das Parlament an Gesetzen für entwaldungsfreie Lieferketten und für ein Verkaufsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Diese Vorhaben seien nicht nur moralisch richtig. “All das sind sehr wichtige Gesetze, die sicherstellen sollen, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen haben“, sagt Cavazzini. “Viele der Unternehmen wirtschaften korrekt – und dann stehen sie im Wettbewerb mit Produkten aus Sklavenarbeit. Am Ende hilft es auch europäischen Unternehmen, wenn wir Lieferketten stärker regulieren.”
Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini im vergangenen Jahr zweimal nach Südamerika. Sie besuchte indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. “Ich bin heilfroh, dass Bolsonaro weg ist”, sagt Cavazzini. “Die Inauguration von Lula war der beste Jahresanfang, den ich mir hätte vorstellen können.” Weitere vier Jahre einer Bolsonaro-Regierung hätten eine Katastrophe befürchten lassen.
Ob jetzt alles gut werde, sei eine andere Frage. Schließlich sei der Bolsonarismo weiterhin fest im Land verankert, die Gesellschaft stark gespalten und Lula habe keine Mehrheit im Kongress. Die Ausschreitungen in Brasília zu Jahresbeginn hätten sie nicht überrascht: “Wir hatten das schon für November erwartet, weil Bolsonaro das seit Monaten vorbereitet hatte.”
Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” Sie glaubt nicht, dass das Mercosur-Abkommen eine hohe Priorität für die brasilianische Regierung habe. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die unter Bolsonaro eingefroren waren, könne jedoch ohnehin nur unter gewissen Bedingungen erfolgen: Alle Gesetze und Institutionen, die Bolsonaro gestrichen oder ausgehöhlt hat, müsse die neue Regierung wieder aufbauen. Die EU-Kommission müsse außerdem handfeste Änderungen im Text des Abkommens vorschlagen, damit Waldschutz und Nachhaltigkeitsstandards im Abkommen verankert werden.
In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.” So etwa das einheitliche Ladekabel oder das Recht auf Reparatur, für das sie sich einsetzt.
In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld
Die Nachricht ging um die Welt. Der US-Bundesstaat Wyoming will den Verkauf von Elektroautos bis zum Jahr 2035 verbieten. Das zumindest forderte eine Resolution des republikanischen Politikers Jim Anderson und fünf seiner Kollegen. Sie war am 13. Januar 2023 im Senat des US-Bundesstaates eingebracht worden. Zentrales Argument: Die Förderung und Verarbeitung von Erdöl sei für Wyoming ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Daran hingen Arbeitsplätze und Einnahmen der öffentlichen Hand. Die überstürzte Elektrifizierung des Straßenverkehrs sei deshalb nicht im Interesse des Bundesstaates und seiner Menschen. Da die Republikaner in beiden Parlamentskammern über eine satte Mehrheit verfügen, schien das Vorhaben durchaus chancenreich. Eine eilends durchgeführte Befragung ließ auf die Unterstützung weiterer Senatoren und Abgeordneter des Repräsentantenhauses schließen. Doch um es gleich vorwegzusagen: Die Resolution ist vom Tisch. Der Senatsausschuss für Bergbau, Wirtschaft und Entwicklung hat sie inzwischen kassiert.
Die Initiatoren zeigen sich dennoch zufrieden. Sie hätten eine Debatte anzetteln wollen – und das sei gelungen. Darüber hinaus habe man die Sache mit dem Verbot gar nicht so ernst gemeint, heißt es nun. Anderson etwa räumte gegenüber der Washington Post ein, er habe eigentlich “überhaupt kein Problem mit Elektrofahrzeugen”. Jeder, der ein E-Auto kaufen wolle, solle die Freiheit dazu haben. Selbst Freunde und Familienmitglieder besäßen welche.
Senator Ed Cooper, immerhin einer der Co-Autoren der Resolution, nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund. “Ich persönlich halte die Idee eines Verbots von Elektrofahrzeugen für lächerlich, aber es ist nicht lächerlicher als ein Verbot von Benzinfahrzeugen”, ließ er die Tageszeitung Cowboy State Daily wissen.
War die ganze Aktion also nur ein Scherz? Oder sind Anderson, Cooper & Co. schlicht Opportunisten, die ihr Fähnchen jetzt in den Wind drehen? Wohl nicht. Viel eher schon sind sie Teil einer US-weiten Kampagne der Republikaner gegen die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Energieversorgung. Sie nennen das abschätzig “Woke Capitalism“. Wer davon profitiert, liegt auf der Hand: Die US-amerikanischen Öl- und Gaskonzerne, denen mehr Zeit für ihr lukratives Geschäft mit fossilen Energieträgern verschafft wird. Carsten Hübner