Bundeskanzler Olaf Scholz ist am heutigen Freitag in Serbien. Er will für die heimische Wirtschaft kritische Rohstoffe sichern, allen voran Lithium, das wichtig für die Dekarbonisierung ist. Allerdings: Gegen den Abbau protestieren Umweltgruppen und Bürger schon seit längerem. Welche Zielkonflikte der geplante Handel offenbart, das erklärt Leonie Düngefeld.
Scope 3-Emissionen zu reduzieren fällt vielen Unternehmen schwer. Der Maschinen- und Anlagenbauer Körber AG sagt, dass er trotzdem auf einem guten Weg sei. Wie das geht, analysiert Caspar Dohmen anhand von fünf Hebeln.
Außerdem: Sind Sie um 12 Uhr schon verplant? Falls nicht: Ich spreche in einem Webinar mit drei Expertinnen und Experten aus der Praxis über die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sollten Sie spontan noch Zeit und Interesse haben – hier geht es zur Anmeldung.
Kurz nachdem der Rohstoffkonzern Rio Tinto die Abbaulizenz für das serbische Jadar-Lithiumprojekt zurückerhalten hat, wollen Deutschland und die EU eine Partnerschaft mit Serbien vereinbaren. Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizepräsident der EU-Kommission Maroš Šefčovič reisen deshalb am heutigen Freitag nach Belgrad und treffen den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić.
Geplant ist laut Angaben des Bundeskanzleramts ein bilaterales Gespräch zwischen Scholz und Vučić sowie ein “Critical Raw Materials Summit” mit Vertretern der Industrie und der Finanzbranche. Serbien und die EU-Kommission wollen dabei eine Kooperationsvereinbarung für eine strategische Partnerschaft zu nachhaltigen Rohstoffen, Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeugen unterzeichnen.
Mit dem Ziel, sich strategische Rohstoffe für die Energiewende zu sichern und einseitige Abhängigkeiten von Ländern wie China zu reduzieren, schließt die EU zurzeit zahlreiche Rohstoffpartnerschaften ab – zuletzt mit Usbekistan und Australien. Das im Critical Raw Materials Act beschlossene Ziel lautet, bis 2030 nicht mehr als 65 Prozent eines strategischen Rohstoffs aus einem einzigen Land zu beziehen. Serbien machen seine Lithiumvorkommen zum attraktiven Partner: Der multinationale Rohstoffkonzern Rio Tinto will im westserbischen Jadar-Tal bis zu 58.000 Tonnen Lithium pro Jahr fördern. 1,1 Millionen Elektroautos sollen sich damit bauen lassen.
In der deutschen Wirtschaft stößt die Kanzlerreise auf positive Resonanz: “Der Abschluss eines Rohstoff-Abkommens zwischen der EU und Serbien wäre sehr wichtig für die Diversifizierung der deutschen und europäischen Industrie”, sagte Matthias Wachter, BDI-Abteilungsleiter für Rohstoffe und Internationale Zusammenarbeit, der Nachrichtenagentur Reuters. Es wäre auch ein wichtiger Schritt für die Heranführung Serbiens an die EU. Seit 2012 hat Serbien den Status eines Beitrittskandidaten.
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie, sagte dem Handelsblatt, das Abkommen mit Serbien sei “ein wichtiges und richtiges Signal”. Um die Ziele beim Klimaschutz zu erreichen, sei die Versorgung mit Rohstoffen essenziell. Besonders die Automobilindustrie ist aufgrund der Umstellung auf Elektroautos auf Lithium für Batterien angewiesen. Die europäischen Hersteller Mercedes und Stellantis sind bereits in Gesprächen mit Präsident Vučić über Investitionen in die Lithiumverarbeitung und die Produktion von Elektroautobatterien, bestätigten beide Seiten in Medienberichten.
Doch auch an diesem Beispiel werden die Zielkonflikte der Rohstoffgewinnung deutlich: Bergbau ist immer ein Eingriff in die Natur – auch, wenn er der Energiewende und damit dem Klimaschutz dient. Viele Bürgerinnen in Serbien befürchten immense Umweltschäden, da beim Abbau von Lithium zum Beispiel Schwermetalle ins Grundwasser gelangen können.
Nach massiven Protesten gegen die Lithiummine hatte die serbische Regierung 2022 beschlossen, das Projekt auf Eis zu legen und Rio Tinto die Abbaulizenz zu entziehen. Vergangene Woche erklärte das serbische Verfassungsgericht diese Entscheidung jedoch für ungültig. Damit ist der Weg für den Lithiumabbau wieder frei, Rio Tinto erhielt die Lizenz zurück.
Die Rohstoffpartnerschaft zwischen Serbien und der EU solle den politischen und wirtschaftlichen Lobbys helfen, das Jadar-Projekt wiederzubeleben, kritisiert die serbische NGO Kreni-Promeni. In einem öffentlichen Brief forderte diese im Vorfeld der Reise Scholz und Šefčovič sowie die gerade wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, Bürgerrechte zu respektieren und die Perspektive der serbischen Bevölkerung einzubeziehen. Sie schlagen den Politikern auch ein Treffen vor, um ihnen zu erläutern, warum “die große Mehrheit der serbischen Bürger den Jadar-Vorschlag ablehnt”.
Die NGO ruft zudem die Chefinnen der Europäischen Investitionsbank Nadia Calviño und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), Odile Renaud-Basso, dazu auf, das Lithiumprojekt nicht mitzufinanzieren.
Dabei spielen nicht nur die Gefahren für die Umwelt eine Rolle: Kreni-Premeni kritisiert in dem Brief auch die deutsche Bundesregierung für ihre Bereitschaft, im Gegenzug für die Rohstoffkooperation “tiefgreifende rote Linien” wie Einschränkungen der Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu ignorieren.
Vučić steht in der Kritik, Serbien zunehmend autoritär zu regieren. Die vergangenen Parlamentswahlen im Dezember waren von erheblichen Protesten begleitet, die Opposition wirft ihm unfaire Wahlbedingungen aufgrund von Betrug und Bestechung vor. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steigt Serbien seit Jahren immer weiter ab; in diesem Jahr bis auf Platz 98. Vučićs Nähe zu den Regimen in China und Russland scheint der geopolitische Grund für die EU zu sein, schnellstmöglich ein Rohstoffabkommen zu vereinbaren. Mit Erfolg: Auch China und Russland umwerben Serbien wegen des Lithiums. Dies bestätigte Vučić in einem Interview mit dem Handelsblatt – und versicherte: “Wir haben ihnen aber mitgeteilt, dass wir dieses Thema mit den Europäern diskutieren. Wir sind loyal zu Europa.”
In Scope 3 entstehen bei dem Maschinen- und Anlagenbauer Körber AG mit seinen vier Geschäftsfeldern (Digital, Pharma, Supply Chain und Technologies) 96 Prozent seiner Treibhausgasemissionen. Davon entfallen laut Unternehmen ein Drittel auf eingekaufte Materialien und zwei Drittel auf die Nutzungsperiode der Maschinen durch Kunden.
Bis 2040 will das Technologieunternehmen seine Scope-3-Emissionen im Vergleich zum Basisjahr 2021 um mindestens 90 Prozent senken. Dabei orientieren sich die Hamburger an den Vorgaben der Science-Based-Targets-Initiative (SBTi), wollen aber diese Vorgabe der SPTI, die 2050 erfüllt sein soll, deutlich früher erfüllen.
Hat ein Unternehmen sein langfristiges Ziel erreicht und seine Emissionen um mehr als 90 Prozent verringert, kann es die verbleibenden zehn Prozent durch dauerhafte Kohlenstoffbindung und -speicherung ausgleichen. Als Technologie-Konzern beschäftige man sich auch mit solchen Lösungen, stehe aber noch am Anfang.
Man liege im Plan, sagte Körber-Konzernvorstand Erich Hoch zu Table.Briefings. Laut dem von der SBTi bestätigten Commitment werde Körber “Net Zero”-Emissionen in Scope 1 und 2 bis 2030 und in Scope 3 bis 2040 erreichen. Der Ehrgeiz der Firma ist auch ein Resultat der Unternehmens-DNA. Gründer Kurt A. Körber errichtete bereits Ende der 1950er-Jahre die Körber-Stiftung, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt engagiert und seit dessen Tod alle Anteile des Unternehmens hält. Außerdem sprach er in den 1980er-Jahren von Umweltschutz bereits als “ethischer Aufgabe der modernen Industriegesellschaft”. Heute fertigt das Unternehmen weltweit an hundert Standorten, davon den Großteil in 30 Fabriken. Um eine Dekarbonisierung in den gesamten eigenen Wertschöpfungsketten zu erreichen, betätigt das Unternehmen vor allem fünf Hebel.
Wichtig sei, das Thema der Emissionen im Einkauf zu verankern, sagt Hoch. “Das diskutieren Unternehmen schon lange, aber umgesetzt haben es bisher nur wenige.” Hoch selbst arbeitete mehrere Jahrzehnte im Einkauf, lange in den USA, bevor er bei Körber Vorstand für Technik und Operations wurde. Traditionell trimmen Unternehmen ihre Einkäufer auf die drei Kriterien Preis, Lieferzeit und Qualität.
“So wurden ursprünglich auch unsere Einkäufer trainiert”, räumt Hoch ein. Aber man habe 2022 “als viertes Kriterium Emissionen hinzugenommen”, was einen gehörigen Kulturwandel im Einkauf verlange. Jedoch würden die Produkte dadurch keineswegs zwangsläufig teurer. Sie könnten sogar – über ihren Lebenszyklus betrachtet – preiswerter werden, etwa weil sie weniger Energie verbrauchen, sagt Hoch. Um die Emissionen im Einkauf zu senken, sei auch “Nearshoring” ein wichtiger Faktor. Der eigene Einkauf würde sich demnach stärker auf Zulieferer konzentrieren, die ihre Produktionsstätten näher an Körber-Standorten haben. Umgesetzt habe man dieses Vorgehen bereits in Europa, Nord- und Südamerika sowie in Asien.
Schon lange bekämen Entwickler bei Körber genaue Informationen über die Preise und Qualitäten aller verwendeten Teile, zum Beispiel Kugellager. Entsprechende Infos seien in der Software hinterlegt. Künftig sollen die Entwickler auch automatisch informiert werden, wie viele Treibhausgasemissionen von den jeweiligen Komponenten verursacht werden. “Das sind aufwendige Prozesse der Datensammlung und Aufbereitung für entsprechende Kalkulationstools”, sagt Hoch. Aber nur so könnten die Entwickler die Emissionen einer Maschine bereits beim Design minimieren. Anfangs brauche es vor allem Informationen über die Höhe der Emissionen und Möglichkeiten der Reduktion. Während der Entwicklung bräuchten die Entwickler dann kontinuierlich Informationen darüber, wie sie mit der aktuellen Auslegung in puncto Emissionen dastehen und wie mögliche Varianten abschneiden. So könnten sie die umweltfreundlichste Variante auswählen.
Die Informationen über die jeweiligen Emissionen beschafft bei Körber der Einkauf, der systematisch bei Lieferanten die CO₂-Fußabdrücke der eingekauften Teile abfragen würde. Fehlten Angaben, würden die Emissionen – basierend auf den Materialien oder den Einkaufswerten – geschätzt, heißt es. Das sei ein übliches Verfahren in der Industrie.
“Wir betreiben viele Anlagen schon CO₂-neutral”, sagt Hoch. Es habe vielerorts enorme Fortschritte bei grünem Strom gegeben, dessen Beschaffung “ist mittlerweile an vielen unserer Standorte problemlos möglich”, sagt er. Neuerdings prüft das Unternehmen, wie Miniwindkraftanlagen in Deutschland installiert werden können. “Die stören auch das Ortsbild nicht besonders”, sagt er.
Körber wolle, dass seine Maschinen von den Kunden während des gesamten Lebenszyklus mit grüner Energie betrieben werden. “Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt”, sagt Hoch. So werde man dies zum Beispiel nicht von Abnehmern verlangen, die in Regionen mit einem unzureichenden Angebot grüner Energie beheimatet seien. “Wir würden die Umstände berücksichtigen”, sagt er. Vor allem große Kunden stünden dem Thema sehr offen gegenüber, aber “sie müssen schließlich auch selbst über ihre Emissionen berichten”, sagt Hoch. Körber hat nach eigenen Angaben rund 400 bis 450 Unternehmenskunden.
“Wir geben sukzessive unsere Nachhaltigkeitsziele in die Incentive-Pläne“, sagt Erich Hoch. Man habe in die Short-Term-Incentives (ein Jahr Laufzeit) und Long-Term-Incentives (vier Jahre Laufzeit) nachhaltige Ziele wie zum Beispiel Zertifizierungsziele und klare CO₂-Reduzierungen integriert. Genauere Angaben über die Auswirkung des Mechanismus auf die Entlohnung macht Körber nicht. Aber die Vergütung sei nur eine Möglichkeit, um die Mitarbeiter für das Thema Nachhaltigkeit zu motivieren, sagt Hoch. Schließlich arbeite an dem Thema eigentlich jeder gerne.
Körber steht – wie die ganze deutsche Industrie – vor einer gewaltigen Aufgabe, wenn es um die Senkung der Scope-3-Emissionen geht. “Entscheidend für die Absenkung der Emissionen ist, dass die Produktion in vorgelagerten Betrieben klimaneutral gestaltet wird, sei es durch eine Reduktion der fossilen Energieanteile oder durch alternative technologische Prozesse”, sagt Erdal Yalcin von der Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung. Er spricht von einer großen Herausforderung für die deutsche Industrie, ihre Wertschöpfungsketten klimaneutral zu gestalten, gerade im Bereich der Scope-3 Emissionen: “Denn ein Großteil der Emissionen in Unternehmen resultieren aus Zulieferungen, und auf diese Zulieferer haben insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in der Regel keinen direkten Einfluss. Viele Zwischengüter sind weiterhin sehr emissionslastig”, sagt der Wissenschaftler.
Die am Donnerstag als EU-Kommissionspräsidentin bestätigte Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede vor dem EU-Parlament und in ihren politischen Leitlinien Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zur Priorität erklärt. “Wir brauchen weniger Berichterstattung, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen, eine bessere Durchsetzung und schnellere Genehmigungen”, sagte sie. Damit geht sie auf die Kritik vieler Industrievertreter an der kleinteiligen Regulierung und ausufernden Berichtspflichten des vergangenen Mandats ein, insbesondere im Rahmen der Nachhaltigkeitsgesetzgebung.
In der kommenden Kommission soll ein neuer Vizepräsident für Umsetzung, Vereinfachung und interinstitutionelle Beziehungen einmal pro Jahr dem Parlament über die Fortschritte berichten. Dieser werde den gesamten EU-Acquis einem Stresstest unterziehen, versprach von der Leyen, und dann Vorschläge zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften vorlegen. Zudem sollen Gesetzesinitiativen gesonderte KMU- und Wettbewerbsfähigkeitschecks durchlaufen, bevor die Kommission sie vorlegt.
Von der Leyen bekennt sich zu den Zielen des Green Deals, einer “Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens” und einem Klimaziel von 90 Prozent CO₂-Reduktion bis 2040. Wie erwartet will sie den Green Deal zu einem Clean Industrial Deal weiterentwickeln. Ein Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie soll Investitionen erleichtern, Leitmärkte für saubere Technologien schaffen und Ausschreibungen sowie Genehmigungen vereinfachen.
Für die chemische Industrie wird es ein eigenes Paket geben. Der erneute Anlauf für eine Reform von REACH soll die Chemikalienverordnung vereinfachen und auch für “ewige Chemikalien” (PFAS) soll die Kommission Klarheit schaffen.
Die Rezepte aus ihren Leitlinien für günstige Energie sind bekannt: der Ausbau sauberer Energien, eine Vollendung des Binnenmarktes und eine Ausweitung der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas auf Wasserstoff – und kritische Rohstoffe. Den Zugang zu Letzteren will die Kommission außerdem mit einem neuen Rechtsakt für die Kreislaufwirtschaft vereinfachen, für Abfälle soll ein echter Binnenmarkt entstehen.
Nur in den Leitlinien, nicht in der Rede im Plenum kommt das Aus für das Verbrenner-Aus vor. Ein Satz behandelt das Thema, das vor allem in Deutschland viel Beachtung gefunden hat: Es ist ein “technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden.”
Das heißt: Die Kommission wird die CO₂-Flottengesetzgebung einer Überprüfung unterziehen. Dies ist laut Gesetz 2026 vorgesehen. Es gibt keinen Hinweis, dass die Überprüfung um ein Jahr vorgezogen wird, wie gemutmaßt wurde. Im Zuge der Überprüfung soll es dabei bleiben, dass der Flottengrenzwert 2035 von Neufahrzeugen auf null Gramm CO₂ je gefahrenen Kilometer absinkt.
Die Änderung besteht darin, dass E-Fuels als klimaneutraler Kraftstoff zur Erreichung des CO₂-Flottenziels anerkannt werden und zwar im Rechtstext selbst und nicht wie bisher in einem unverbindlichen Erwägungsgrund. Auch über das Jahr 2035 hinaus könnten dann Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die mit klimaneutral erzeugten E-Fuels gefahren werden. tho, mgr, ber, jaa
Fast 38 Prozent der Unternehmen, die Ziele für den Frauenanteil in ihren Vorständen festlegen müssen, haben dies 2021 nicht getan. Bei der Hälfte der Unternehmen, die ein Ziel bestimmt haben, liegt dieses bei null. Das geht aus dem achten Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Frauenanteils in Führungsebenen hervor. Das Bundeskabinett hat ihn am Mittwoch beschlossen. Die Pflicht, Ziele für den Frauenanteil im Vorstand zu definieren, gilt für 2.109 börsennotierte und beziehungsweise oder mitbestimmte Unternehmen in Deutschland.
Dass fast 800 Unternehmen trotz der gesetzlichen Pflicht keine Ziele definiert haben, steht dem Ziel der Bundesregierung entgegen, mehr Frauen in die Chefetagen zu bringen. Frauenministerin Lisa Paus sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass sie sich jetzt verstärkt für eine konsequentere Durchsetzung der Vorgaben des Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG) einsetze – vor allem mit Blick auf Sanktionen, die in Form von Geldbußen verhängt werden.
Monika Schulz-Strelow, Gründungspräsidentin des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR), sieht mangelnde behördliche Durchsetzung ebenfalls als einen zentralen Grund dafür, dass viele Unternehmen keine Ziele festlegen. “Verstöße bei den Zielgrößen sind noch nie sanktioniert worden”, sagte sie zu Table.Briefings. “Wenn künftig Sanktionen verhängt werden, würden deutlich mehr Unternehmen die Anforderungen erfüllen.”
Auch nach der Reform des FüPoG 2021 dürfen Unternehmen weiterhin als Ziel festlegen, dass sie keine Frauen im Vorstand haben wollen. Seitdem müssen sie es aber begründen. Dies habe dazu geführt, dass Unternehmen teilweise ausführliche Statements schreiben. “Doch die Ausführungen lassen häufig qualifizierte Begründungen vermissen, warum es kein Ziel ist, den Frauenanteil im Vorstand zu erhöhen”, sagt Schulz-Strelow.
Lediglich für die 65 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern gelten seit August 2022 strengere Regelungen: Wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht, muss ihm mindestens eine Frau oder ein Mann angehören. nh
Der Umsatz von fair gehandelten Produkten ist 2023 in Deutschland um 7,3 Prozent auf 2,34 Milliarden Euro gestiegen. Pro Kopf wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 27,61 Euro für fair gehandelte Lebensmittel, Textilien und Handwerksprodukte ausgegeben. Das geht aus dem Jahresbericht des Forums Fairer Handel (FFH) hervor, der diese Woche vorgestellt wurde. Erfasst werden in dem Bericht alle Waren, die das Fairtrade-Siegel tragen oder von anerkannten Handelsunternehmen und in Weltläden verkauft wurden. Im FFH sind Unternehmen wie GEPA, Naturland und Banana Fair sowie der Dachverband der über 900 Weltläden zusammengeschlossen. Ihr Anteil fair gehandelter Lebensmittel am Gesamtmarkt beträgt rund ein Prozent.
“Der faire Handel in Deutschland hat sich im Geschäftsjahr 2023 trotz des zurückhaltenden Konsumverhaltens sowie der Klima- und Wirtschaftskrise solide entwickelt und einmal mehr seine Resilienz im Einsatz für globale Gerechtigkeit bewiesen”, so FFH-Geschäftsführer Matthias Fiedler.
Allerdings war die Absatzentwicklung nicht bei allen Produkten gleich. Fair gehandelte Schokolade etwa legte beim Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 Prozent zu. Der Absatz von Kaffee ging hingegen um drei Prozent zurück. Mit einem Anteil von 38,6 Prozent am Gesamtumsatz ist Kaffee aber weiterhin der Topseller im Fairen Handel. Durch höhere Verkaufspreise stieg der Umsatz sogar um 16 Prozent.
Das Forum Fairer Handel befürwortet Lieferkettengesetze, die faire Arbeits- und Marktbedingungen insbesondere im Globalen Süden herstellen. Die jüngste Ankündigung der Bundesregierung, das deutsche Lieferkettengesetz zugunsten eines erhofften höheren Wirtschaftswachstums abzuschwächen, stieß beim FFH auf Ablehnung. “Es kann nicht sein, dass die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz der Umwelt einer sogenannten Wachstumsinitiative zum Opfer fallen”, sagte die FFH-Vorstandsvorsitzende Andrea Fütterer bei der Vorstellung des Jahresberichts. ch
FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing und sein Parlamentarischer Staatssekretär Oliver Luksic sollen Recherchen des ZDF-Magazins “Frontal 21″ zufolge gegen Geld für Gespräche mit Lobbyisten zur Verfügung gestanden haben. Hintergrund ist eine Kampagne des Münchner Automobilclubs “Mobil in Deutschland”, der sich für den alternativen Diesel-Kraftstoff HVO100 stark macht.
Luksic hatte nicht nur die Schirmherrschaft der Kampagne “HVO100 Diesel goes Germany” übernommen. Nach Recherchen des ZDF bot “Mobil in Deutschland” Industrievertretern und Verbänden für 9.900 Euro im Jahr auch ein Kooperationspaket an, das die “Möglichkeit” beinhaltet habe, “sich bei einem exklusiven VIP-Meeting mit Minister oder Staatssekretär vorzustellen und auszutauschen”.
Das Magazin berichtet weiter, dass zwei Fachreferate in Wissings Ministerium von der Übernahme einer Schirmherrschaft durch den Staatssekretär abgeraten hätten. Wissing und Luksic seien dieser Empfehlung jedoch nicht gefolgt. Im Gegenteil: Beide setzten sich nachdrücklich für die Kampagne ein, wie mehrere mittlerweile gelöschte Videos im Internet belegen.
Das Bundesverkehrsministerium teilte am Donnerstag mit, dass Staatssekretär Luksic die Schirmherrschaft der Kampagne vorerst ruhen lasse. Vorwürfe der “unrechtmäßigen Einflussnahme von Interessengruppen und einer Vermittlung von Terminen mit der Hausleitung gegen Bezahlung” weise er aber zurück.
Die Organisation Lobbycontrol übte deutliche Kritik an Wissing und Luksic. “Regierungsvertreter sollten sich nicht einseitig für irreführende Lobbykampagnen einspannen lassen.” Deren Ziel sei es, das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus zu kippen. “Das widerspricht laut Fachleuten sowohl dem Stand der Forschung als auch klimapolitischen Notwendigkeiten – entspricht aber den Interessen der Verbrenner-Lobby”, so Lobbycontrol. lf
Unternehmen der Automobilindustrie mit Fokus auf Elektromobilität suchen deutlich mehr Arbeitskräfte als Unternehmen im Bereich Verbrennermotoren. Das zeigt eine Auswertung von mehr als 1,5 Millionen Stellenanzeigen in Deutschland für den Zeitraum Januar 2018 bis April 2024, die das Ifo Institut gemeinsam mit der Online-Jobbörse Indeed durchgeführt hat.
Demnach liegt die Arbeitsnachfrage der Unternehmen mit Fokus auf Elektromobilität seit dem Frühjahr 2019 durchschnittlich 34 bis 50 Prozentpunkte über der der Unternehmen der konventionellen Antriebstechnik. Erst in den letzten Monaten hat sich der Abstand wieder etwas verringert. Besonders gefragt waren Fachkräfte in den Bereichen Softwareentwicklung, Industrial Engineering und Vertrieb.
“Unternehmen aus der Autoindustrie performen auf dem Arbeitsmarkt besser, wenn sie auf nachhaltige Antriebstechnologien setzen”, sagte Annina Hering, Arbeitsmarktforscherin bei Indeed. “Der Verbrenner als die klassische Domäne deutscher Ingenieurskunst verliert an Bedeutung als Jobmotor.”
Aus Sicht der Studienautoren handelt es sich dabei nicht um ein vorübergehendes Phänomen, sondern um die Folgen eines grundlegenden Wandels. “Die Unterschiede in der Arbeitsnachfrage spiegeln den tiefgreifenden Strukturwandel in der Automobilbranche wider”, erläuterte Oliver Falck, Leiter des Ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.
Ein verschärfter Wettbewerb, globale Handelskonflikte, die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Energiekrise hätten den Strukturwandel in der deutschen Automobilindustrie zusätzlich beschleunigt, so Falck. Die Studie spricht daher auch von einem “Transformationsdruck” in der Autoindustrie.
Die Autoren raten davon ab, “althergebrachte Geschäftsmodelle um den Verbrenner zu schützen”. Stattdessen sei “eine aktive Gestaltung des Strukturwandels im Zuge der grünen Transformation angezeigt“. Dazu gehörten aus ihrer Sicht unter anderem eindeutigere Vorgaben der Politik, die Bereitstellung nötiger Infrastruktur und vereinfachte und schnellere Genehmigungsverfahren. ch
Wie die Ampel Luxus-Elektroautos für Reiche fördert – Spiegel
Das Dienstwagenprivileg sei ein Win-win-Konstrukt für Arbeitgeber und Angestellte, schreibt Arvid Haitsch. Bezahlen müsse den Doppel-Gewinn allerdings der Staat, dem Steuern entgehen – letztes Jahr 1,5 Milliarden Euro. Der maximale Bruttolistenpreis für E-Dienstwagen soll nun auf 95.000 Euro erhöht werden. Für eine Antriebswende in der Breite würden so teure Autos auch später als Gebrauchte nichts bringen. Zum Artikel
Strict EU sustainable finance rules deter emerging market investment, banks say – Financial Times
Europäische Banken können nachhaltige Investitionen in Drittländern in der Regel nicht in ihrer “Green Asset Ratio” bilanzieren, die sie seit diesem Jahr ausweisen müssen. Der Grund: Partnerunternehmen außerhalb der Union unterliegen nicht europäischen Nachhaltigkeits-Berichterstattungsregeln. Dieser Widerspruch bremse private Klimainvestitionen im globalen Süden, kritisiert Michael Jongeneel von der niederländischen Entwicklungsbank FMO im Gespräch mit Alice Hancock. Zum Artikel
Ökologische Transformation: Nachhaltige Umsätze nehmen zu – FAZ
Philipp Krohn hat sich eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC genauer angesehen, die untersucht hat, wie taxonomiekonform die Umsätze von mehr als 600 Unternehmen und Finanzdienstleistern sind. Das Ergebnis: Der Anteil der “Green Asset Ratio” ist mit zwei Prozent weiterhin gering, steigt aber spürbar an. Zum Artikel
Energiewende: EU-Wasserstoffstrategie ohne Plan – Der Standard
Der Europäische Rechnungshof empfiehlt dringend einen Realitätscheck für die EU-Wasserstoffstrategie. Die Markteinschätzung sei zu vage, ein verbindlicher Fahrplan für die EU-Länder fehle, schreibt Luise Ungerboeck. Dabei werde im Zusammenhang mit Wasserstoff eine Menge Geld bewegt. Allein auf EU-Ebene gehe es bis 2027 um Fördermittel in Höhe von 18,8 Milliarden Euro. Zum Artikel
Klimawandel: “Wir verbrauchen mehr Energie für den Genuss von Musik als in 10.000 Jahren davor” – Klimareporter
Der Komponist Bernhard König hat sich lange mit den Wechselwirkungen zwischen der Musikbranche und dem Klimawandel befasst und darüber ein Buch geschrieben. Im Interview mit Christina Mikalo erläutert er, warum Musik Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung sein kann. Zum Artikel
From green energy to rivers, environment at heart of nine plans in king’s speech – Guardian
Bei der traditionellen königlichen Verkündung der Gesetze, die die neue Regierung in Großbritannien plant, stand Umwelt bei neun Vorschlägen im Mittelpunkt, schreibt Fiona Harvey. Die Labour-Partei habe Investitionen in ein nationales Unternehmen für erneuerbare Energien und Infrastruktur als Mittel dargestellt, um die Lebenskosten der Britten zu senken. Kaum eine Rolle habe allerdings die Wiederherstellung der Natur gespielt. Zum Artikel
Silke Stremlau – Vorsitzende, Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung
Silke Stremlau gehört zu den kenntnisreichsten Nachhaltigkeitsexpertinnen im Finanzwesen. Die Bankbetriebswirtin und Sozialwissenschaftlerin ist Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. Dabei kann sie auf vielfältigen Erfahrungen aufbauen: 15 Jahre war sie bei der IMUG Beratungsgesellschaft in Hannover. Dort baute sie den Bereich “Nachhaltiges Investment” auf. Danach übernahm sie Managementaufgaben: als Generalbevollmächtigte bei der “Bank im Bistum Essen” und Vorständin der Hannoverschen Kassen, einer nachhaltigen Pensionskasse. 2023 wechselte sie für ein Jahr als Senior Fellow zur Mercator Stiftung. Seit vielen Jahren ist Stremlau Aufsichtsrätin bei der Umweltbank in Nürnberg und neuerdings auch bei der NordLB.
Jesco Kreft – Geschäftsführender Vorstand, Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik
Jesco Kreft ist ein Brückenbauer zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, zuletzt beim Lieferkettengesetz. Als Journalist befasste er sich mit den politischen und sozialen Rahmenbedingungen der Wirtschaft. Später arbeitete er für eine Beratungsfirma, in der er sich auf Arbeitskonflikte und Politikberatung konzentrierte. Die Frage, warum trotz gesellschaftlichem Problembewusstsein Lösungen nicht immer umgesetzt werden, trieb ihn um. Seit 2005 baute er die Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik auf, die er bis heute als geschäftsführender Vorstand leitet. Kreft ist in vielen Beiräten, Aufsichtsgremien und Anlageausschüssen tätig und seit 2015 auch Mitglied des Ethikrats der Welthungerhilfe.
Thomas Losse-Müller – Direktor, Stiftung Klimaneutralität
Neu angekommen in der Thinktank-Szene ist Thomas Losse-Müller. Seit April leitet er als einer der Direktoren die Stiftung Klimaneutralität, bei der er sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland mitentwickelt. Dabei baut er auf Erfahrungen in der Politik auf: vom Finanzstaatssekretär stieg Losse-Müller zum Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein auf, bevor er als SPD-Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für den Landtag agierte. Als Volkswirt bringt er auch ökonomischen Sachverstand mit, den er während beruflicher Stationen bei der Weltbank, der GIZ und EY vervollständigt hat. Wenige wissen so gut wie er, wie sich Klimapolitik mit Verwaltungshandeln verbinden lässt.
Thomas Bruhn – Forschungsgruppenleiter, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit, Helmholz-Zentrum Potsdam (RIFS)
Als Forschungsgruppenleiter am ehemaligen IASS in Potsdam befasst sich Thomas Bruhn mit “transformativen Räumen und Mindsets”. Die Transdisziplinarität hat es Bruhn angetan – der Physiker möchte genauer wissen, wie sich etwa mentale Modelle und Geisteshaltungen wie Achtsamkeit und Mitgefühl mit der Nachhaltigkeits-Transformation verbinden lassen. Komplexe Problemlagen, davon ist Bruhn überzeugt, lassen sich nur durch verschiedene Perspektiven und Wissensformen verstehen und bearbeiten. Bevor er zum RIFS kam, forschte Bruhn zu Halbleiter-Nanomaterialien in Berlin, Rom und Marseille. Mitglied ist er unter anderem im Präsidium der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.
Jörg Geier – Programmleiter, Arts & Nature Social Club
Im Hotel de Rome am Berliner Bebelplatz veranstaltet Jörg Geier regelmäßig den Salon des Arts & Nature Social Club, in dem er Künstler und Entrepreneure zusammenbringt. Dabei geht es um die Vision einer Zukunft, “die für alle funktioniert”. Um dorthin zu gelangen, entwirft Geier zudem Nachhaltigkeitsstrategien für Unternehmen. Beim Club of Rome war Geier stellvertretender Generalsekretär. An renommierten Universitäten entwickelt er Weiterbildungen für Führungskräfte, derzeit für die Thunderbird School of Global Management als Director of Executive Education and Sustainability Programs. Sein weitgespanntes Netzwerk macht ihn zu einem der besten Kenner der Social Impact Investment-Szene.
Armando García Schmidt – Senior Expert, Bertelsmann Stiftung
Armando García Schmidt arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Bertelsmann Stiftung und hat sich dort einen Namen als ausgewiesener Experte für nachhaltiges Wirtschaften gemacht hat. Sein Fokus lag zunächst auf Europa. Heute beschäftigt er sich im Programm “Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft” mit den Herausforderungen der Transformation und dem Thema Innovation. Dazu gehörten zuletzt auch die Kreislaufwirtschaft und die Frage, welche Bedeutung eine nachhaltige öffentliche Beschaffung für die Transformation der Wirtschaft hat. Kollegen schätzen an dem studierten Geisteswissenschaftler nicht nur seine Expertise und sein Engagement, sondern auch, dass er immer mehr liefert, als zu erwarten war.
Florian Ranft – Mitglied der Geschäftsleitung, Progressives Zentrum
Die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist das Steckenpferd von Florian Ranft. Nach Lehre und Forschung an der Goethe-Universität in Frankfurt und seiner Promotion an der Universität Greifswald war der Politikwissenschaftler zunächst bei den Londoner Thinktanks “Policy Network” und “Centre for Progressive Policy” tätig. Heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Berliner Denkfabrik “Das Progressive Zentrum”. Dort verantwortet er den Schwerpunkt “Green New Deal”. In dieser Funktion beschäftigt er sich intensiv mit dem sozialen, regionalen, demokratischen und ökonomischen Wandel in Deutschland und Europa und leitet das Projekt “Transatlantic Dialogue on the Industrial Heartlands”.
Reiner Hoffmann – Vorsitzender, Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)
Nachhaltigkeit muss zum “Gewinnerthema” werden, erklärte Reiner Hoffmann Anfang 2023 nach seiner Wahl zum RNE-Vorsitzenden. Damit das gelingt, braucht es für ihn auch sozialen Zusammenhalt und Lösungen für die Verteilungskonflikte. Dafür setzt sich das SPD-Mitglied seit Jahrzehnten ein – am prominentesten in seinen acht Jahren als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nach denen lobte der Bundespräsident, dass Hoffmann ein “Brückenbauer im besten Sinne” sei. Sein Geschick nutzt er jetzt beim RNE und in anderen Funktionen, etwa als SDG-Botschafter für gute Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Elisabeth Niejahr – Geschäftsführerin “Demokratie stärken”, Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Elisabeth Niejahr gehört hierzulande seit vielen Jahren zu den wichtigen Stimmen für soziale und wirtschaftspolitische Themen. Die Volkswirtin und Absolventin der Kölner Journalistenschule fing beim Spiegel an, ging ins Hauptstadtbüro der Zeit und später zur Wirtschaftswoche. Nach mehr als 25 Jahren als Journalistin wechselte Niejahr 2020 zur Hertie-Stiftung, wo sie den Bereich “Demokratie stärken” leitet. Sie wolle sich durchs Vermitteln von positiven Erfahrungen für die Demokratie einsetzen – ein System, das “vom Mitmachen” lebe. Durch das Erstarken autokratischer Kräfte in vielen Ländern könnte das Thema aktuell wichtiger nicht sein – im Podcast Table.Today ist sie daher eine geschätzte Gesprächspartnerin.
Lena Ruthner – Executive Director, Adelphi
Im Mai ist Lena Ruthner zur Executive Director von Adelphi aufgestiegen, einem der größten europäischen Thinktanks im Nachhaltigkeitsbereich. Adelphi berät Regierungen und Unternehmen in der Transformation und wurde im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Für ihre Position bringt Ruthner viel Erfahrung mit, insbesondere in Sachen Klima und Kreislaufwirtschaft: Nach dem Studium in Berlin, Budapest und St. Petersburg arbeitete sie mehrere Jahre für internationale Unternehmensberatungen, bis sie 2023 bei der European Climate Foundation Direktorin für internationale Klimadiplomatie wurde. Schon kurz darauf übernahm sie bei Adelphi in Berlin das Programm Green and Circular Economy, wo sie nun ebenso schnell in die Geschäftsleitung aufgenommen wurde.
Der Gewinner des Goldenen Geiers 2024 steht fest. Der Schmähpreis der Deutschen Umwelthilfe (DUH) für die dreisteste Umweltlüge geht in diesem Jahr an Nestlé. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern mit Sitz in der Schweiz wurde für seine Imagekampagne “Unterwegs nach Besser” ausgezeichnet.
Darin wirbt das Unternehmen damit, Verpackungsmaterial aus Kunststoff einzusparen – hält aber nach Ansicht der DUH an seinen kleinteiligen und besonders ressourcenverschwendenden Einwegverpackungen fest. Laut dem Global Brand Audit 2023 der Organisation Break Free From Plastic ist Nestlé nach Coca-Cola weltweit der zweitgrößte Verursacher von Plastikmüll in der Umwelt.
Nach Angaben der DUH beteiligten sich mehr als 20.000 Verbraucher an der Online-Abstimmung. 57 Prozent der Stimmen entfielen auf den Lebensmittelriesen, der bereits 2019 mit dem Goldenen Geier ausgezeichnet worden war.
Ob der Geier das geeignete Tier ist, um einen Umweltsünder zu schmähen, sei allerdings dahingestellt. Im Ökosystem Natur spielt er als “Bio-Bestatter” eine wichtige Rolle. In vielen Kulturen gilt er zudem als Symbol für Weisheit, Reinigung und Transformation. Weiß der Geier, wie die DUH darauf gekommen ist. Carsten Hübner
Bundeskanzler Olaf Scholz ist am heutigen Freitag in Serbien. Er will für die heimische Wirtschaft kritische Rohstoffe sichern, allen voran Lithium, das wichtig für die Dekarbonisierung ist. Allerdings: Gegen den Abbau protestieren Umweltgruppen und Bürger schon seit längerem. Welche Zielkonflikte der geplante Handel offenbart, das erklärt Leonie Düngefeld.
Scope 3-Emissionen zu reduzieren fällt vielen Unternehmen schwer. Der Maschinen- und Anlagenbauer Körber AG sagt, dass er trotzdem auf einem guten Weg sei. Wie das geht, analysiert Caspar Dohmen anhand von fünf Hebeln.
Außerdem: Sind Sie um 12 Uhr schon verplant? Falls nicht: Ich spreche in einem Webinar mit drei Expertinnen und Experten aus der Praxis über die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sollten Sie spontan noch Zeit und Interesse haben – hier geht es zur Anmeldung.
Kurz nachdem der Rohstoffkonzern Rio Tinto die Abbaulizenz für das serbische Jadar-Lithiumprojekt zurückerhalten hat, wollen Deutschland und die EU eine Partnerschaft mit Serbien vereinbaren. Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizepräsident der EU-Kommission Maroš Šefčovič reisen deshalb am heutigen Freitag nach Belgrad und treffen den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić.
Geplant ist laut Angaben des Bundeskanzleramts ein bilaterales Gespräch zwischen Scholz und Vučić sowie ein “Critical Raw Materials Summit” mit Vertretern der Industrie und der Finanzbranche. Serbien und die EU-Kommission wollen dabei eine Kooperationsvereinbarung für eine strategische Partnerschaft zu nachhaltigen Rohstoffen, Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeugen unterzeichnen.
Mit dem Ziel, sich strategische Rohstoffe für die Energiewende zu sichern und einseitige Abhängigkeiten von Ländern wie China zu reduzieren, schließt die EU zurzeit zahlreiche Rohstoffpartnerschaften ab – zuletzt mit Usbekistan und Australien. Das im Critical Raw Materials Act beschlossene Ziel lautet, bis 2030 nicht mehr als 65 Prozent eines strategischen Rohstoffs aus einem einzigen Land zu beziehen. Serbien machen seine Lithiumvorkommen zum attraktiven Partner: Der multinationale Rohstoffkonzern Rio Tinto will im westserbischen Jadar-Tal bis zu 58.000 Tonnen Lithium pro Jahr fördern. 1,1 Millionen Elektroautos sollen sich damit bauen lassen.
In der deutschen Wirtschaft stößt die Kanzlerreise auf positive Resonanz: “Der Abschluss eines Rohstoff-Abkommens zwischen der EU und Serbien wäre sehr wichtig für die Diversifizierung der deutschen und europäischen Industrie”, sagte Matthias Wachter, BDI-Abteilungsleiter für Rohstoffe und Internationale Zusammenarbeit, der Nachrichtenagentur Reuters. Es wäre auch ein wichtiger Schritt für die Heranführung Serbiens an die EU. Seit 2012 hat Serbien den Status eines Beitrittskandidaten.
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie, sagte dem Handelsblatt, das Abkommen mit Serbien sei “ein wichtiges und richtiges Signal”. Um die Ziele beim Klimaschutz zu erreichen, sei die Versorgung mit Rohstoffen essenziell. Besonders die Automobilindustrie ist aufgrund der Umstellung auf Elektroautos auf Lithium für Batterien angewiesen. Die europäischen Hersteller Mercedes und Stellantis sind bereits in Gesprächen mit Präsident Vučić über Investitionen in die Lithiumverarbeitung und die Produktion von Elektroautobatterien, bestätigten beide Seiten in Medienberichten.
Doch auch an diesem Beispiel werden die Zielkonflikte der Rohstoffgewinnung deutlich: Bergbau ist immer ein Eingriff in die Natur – auch, wenn er der Energiewende und damit dem Klimaschutz dient. Viele Bürgerinnen in Serbien befürchten immense Umweltschäden, da beim Abbau von Lithium zum Beispiel Schwermetalle ins Grundwasser gelangen können.
Nach massiven Protesten gegen die Lithiummine hatte die serbische Regierung 2022 beschlossen, das Projekt auf Eis zu legen und Rio Tinto die Abbaulizenz zu entziehen. Vergangene Woche erklärte das serbische Verfassungsgericht diese Entscheidung jedoch für ungültig. Damit ist der Weg für den Lithiumabbau wieder frei, Rio Tinto erhielt die Lizenz zurück.
Die Rohstoffpartnerschaft zwischen Serbien und der EU solle den politischen und wirtschaftlichen Lobbys helfen, das Jadar-Projekt wiederzubeleben, kritisiert die serbische NGO Kreni-Promeni. In einem öffentlichen Brief forderte diese im Vorfeld der Reise Scholz und Šefčovič sowie die gerade wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, Bürgerrechte zu respektieren und die Perspektive der serbischen Bevölkerung einzubeziehen. Sie schlagen den Politikern auch ein Treffen vor, um ihnen zu erläutern, warum “die große Mehrheit der serbischen Bürger den Jadar-Vorschlag ablehnt”.
Die NGO ruft zudem die Chefinnen der Europäischen Investitionsbank Nadia Calviño und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), Odile Renaud-Basso, dazu auf, das Lithiumprojekt nicht mitzufinanzieren.
Dabei spielen nicht nur die Gefahren für die Umwelt eine Rolle: Kreni-Premeni kritisiert in dem Brief auch die deutsche Bundesregierung für ihre Bereitschaft, im Gegenzug für die Rohstoffkooperation “tiefgreifende rote Linien” wie Einschränkungen der Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu ignorieren.
Vučić steht in der Kritik, Serbien zunehmend autoritär zu regieren. Die vergangenen Parlamentswahlen im Dezember waren von erheblichen Protesten begleitet, die Opposition wirft ihm unfaire Wahlbedingungen aufgrund von Betrug und Bestechung vor. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steigt Serbien seit Jahren immer weiter ab; in diesem Jahr bis auf Platz 98. Vučićs Nähe zu den Regimen in China und Russland scheint der geopolitische Grund für die EU zu sein, schnellstmöglich ein Rohstoffabkommen zu vereinbaren. Mit Erfolg: Auch China und Russland umwerben Serbien wegen des Lithiums. Dies bestätigte Vučić in einem Interview mit dem Handelsblatt – und versicherte: “Wir haben ihnen aber mitgeteilt, dass wir dieses Thema mit den Europäern diskutieren. Wir sind loyal zu Europa.”
In Scope 3 entstehen bei dem Maschinen- und Anlagenbauer Körber AG mit seinen vier Geschäftsfeldern (Digital, Pharma, Supply Chain und Technologies) 96 Prozent seiner Treibhausgasemissionen. Davon entfallen laut Unternehmen ein Drittel auf eingekaufte Materialien und zwei Drittel auf die Nutzungsperiode der Maschinen durch Kunden.
Bis 2040 will das Technologieunternehmen seine Scope-3-Emissionen im Vergleich zum Basisjahr 2021 um mindestens 90 Prozent senken. Dabei orientieren sich die Hamburger an den Vorgaben der Science-Based-Targets-Initiative (SBTi), wollen aber diese Vorgabe der SPTI, die 2050 erfüllt sein soll, deutlich früher erfüllen.
Hat ein Unternehmen sein langfristiges Ziel erreicht und seine Emissionen um mehr als 90 Prozent verringert, kann es die verbleibenden zehn Prozent durch dauerhafte Kohlenstoffbindung und -speicherung ausgleichen. Als Technologie-Konzern beschäftige man sich auch mit solchen Lösungen, stehe aber noch am Anfang.
Man liege im Plan, sagte Körber-Konzernvorstand Erich Hoch zu Table.Briefings. Laut dem von der SBTi bestätigten Commitment werde Körber “Net Zero”-Emissionen in Scope 1 und 2 bis 2030 und in Scope 3 bis 2040 erreichen. Der Ehrgeiz der Firma ist auch ein Resultat der Unternehmens-DNA. Gründer Kurt A. Körber errichtete bereits Ende der 1950er-Jahre die Körber-Stiftung, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt engagiert und seit dessen Tod alle Anteile des Unternehmens hält. Außerdem sprach er in den 1980er-Jahren von Umweltschutz bereits als “ethischer Aufgabe der modernen Industriegesellschaft”. Heute fertigt das Unternehmen weltweit an hundert Standorten, davon den Großteil in 30 Fabriken. Um eine Dekarbonisierung in den gesamten eigenen Wertschöpfungsketten zu erreichen, betätigt das Unternehmen vor allem fünf Hebel.
Wichtig sei, das Thema der Emissionen im Einkauf zu verankern, sagt Hoch. “Das diskutieren Unternehmen schon lange, aber umgesetzt haben es bisher nur wenige.” Hoch selbst arbeitete mehrere Jahrzehnte im Einkauf, lange in den USA, bevor er bei Körber Vorstand für Technik und Operations wurde. Traditionell trimmen Unternehmen ihre Einkäufer auf die drei Kriterien Preis, Lieferzeit und Qualität.
“So wurden ursprünglich auch unsere Einkäufer trainiert”, räumt Hoch ein. Aber man habe 2022 “als viertes Kriterium Emissionen hinzugenommen”, was einen gehörigen Kulturwandel im Einkauf verlange. Jedoch würden die Produkte dadurch keineswegs zwangsläufig teurer. Sie könnten sogar – über ihren Lebenszyklus betrachtet – preiswerter werden, etwa weil sie weniger Energie verbrauchen, sagt Hoch. Um die Emissionen im Einkauf zu senken, sei auch “Nearshoring” ein wichtiger Faktor. Der eigene Einkauf würde sich demnach stärker auf Zulieferer konzentrieren, die ihre Produktionsstätten näher an Körber-Standorten haben. Umgesetzt habe man dieses Vorgehen bereits in Europa, Nord- und Südamerika sowie in Asien.
Schon lange bekämen Entwickler bei Körber genaue Informationen über die Preise und Qualitäten aller verwendeten Teile, zum Beispiel Kugellager. Entsprechende Infos seien in der Software hinterlegt. Künftig sollen die Entwickler auch automatisch informiert werden, wie viele Treibhausgasemissionen von den jeweiligen Komponenten verursacht werden. “Das sind aufwendige Prozesse der Datensammlung und Aufbereitung für entsprechende Kalkulationstools”, sagt Hoch. Aber nur so könnten die Entwickler die Emissionen einer Maschine bereits beim Design minimieren. Anfangs brauche es vor allem Informationen über die Höhe der Emissionen und Möglichkeiten der Reduktion. Während der Entwicklung bräuchten die Entwickler dann kontinuierlich Informationen darüber, wie sie mit der aktuellen Auslegung in puncto Emissionen dastehen und wie mögliche Varianten abschneiden. So könnten sie die umweltfreundlichste Variante auswählen.
Die Informationen über die jeweiligen Emissionen beschafft bei Körber der Einkauf, der systematisch bei Lieferanten die CO₂-Fußabdrücke der eingekauften Teile abfragen würde. Fehlten Angaben, würden die Emissionen – basierend auf den Materialien oder den Einkaufswerten – geschätzt, heißt es. Das sei ein übliches Verfahren in der Industrie.
“Wir betreiben viele Anlagen schon CO₂-neutral”, sagt Hoch. Es habe vielerorts enorme Fortschritte bei grünem Strom gegeben, dessen Beschaffung “ist mittlerweile an vielen unserer Standorte problemlos möglich”, sagt er. Neuerdings prüft das Unternehmen, wie Miniwindkraftanlagen in Deutschland installiert werden können. “Die stören auch das Ortsbild nicht besonders”, sagt er.
Körber wolle, dass seine Maschinen von den Kunden während des gesamten Lebenszyklus mit grüner Energie betrieben werden. “Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt”, sagt Hoch. So werde man dies zum Beispiel nicht von Abnehmern verlangen, die in Regionen mit einem unzureichenden Angebot grüner Energie beheimatet seien. “Wir würden die Umstände berücksichtigen”, sagt er. Vor allem große Kunden stünden dem Thema sehr offen gegenüber, aber “sie müssen schließlich auch selbst über ihre Emissionen berichten”, sagt Hoch. Körber hat nach eigenen Angaben rund 400 bis 450 Unternehmenskunden.
“Wir geben sukzessive unsere Nachhaltigkeitsziele in die Incentive-Pläne“, sagt Erich Hoch. Man habe in die Short-Term-Incentives (ein Jahr Laufzeit) und Long-Term-Incentives (vier Jahre Laufzeit) nachhaltige Ziele wie zum Beispiel Zertifizierungsziele und klare CO₂-Reduzierungen integriert. Genauere Angaben über die Auswirkung des Mechanismus auf die Entlohnung macht Körber nicht. Aber die Vergütung sei nur eine Möglichkeit, um die Mitarbeiter für das Thema Nachhaltigkeit zu motivieren, sagt Hoch. Schließlich arbeite an dem Thema eigentlich jeder gerne.
Körber steht – wie die ganze deutsche Industrie – vor einer gewaltigen Aufgabe, wenn es um die Senkung der Scope-3-Emissionen geht. “Entscheidend für die Absenkung der Emissionen ist, dass die Produktion in vorgelagerten Betrieben klimaneutral gestaltet wird, sei es durch eine Reduktion der fossilen Energieanteile oder durch alternative technologische Prozesse”, sagt Erdal Yalcin von der Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung. Er spricht von einer großen Herausforderung für die deutsche Industrie, ihre Wertschöpfungsketten klimaneutral zu gestalten, gerade im Bereich der Scope-3 Emissionen: “Denn ein Großteil der Emissionen in Unternehmen resultieren aus Zulieferungen, und auf diese Zulieferer haben insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in der Regel keinen direkten Einfluss. Viele Zwischengüter sind weiterhin sehr emissionslastig”, sagt der Wissenschaftler.
Die am Donnerstag als EU-Kommissionspräsidentin bestätigte Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede vor dem EU-Parlament und in ihren politischen Leitlinien Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zur Priorität erklärt. “Wir brauchen weniger Berichterstattung, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen, eine bessere Durchsetzung und schnellere Genehmigungen”, sagte sie. Damit geht sie auf die Kritik vieler Industrievertreter an der kleinteiligen Regulierung und ausufernden Berichtspflichten des vergangenen Mandats ein, insbesondere im Rahmen der Nachhaltigkeitsgesetzgebung.
In der kommenden Kommission soll ein neuer Vizepräsident für Umsetzung, Vereinfachung und interinstitutionelle Beziehungen einmal pro Jahr dem Parlament über die Fortschritte berichten. Dieser werde den gesamten EU-Acquis einem Stresstest unterziehen, versprach von der Leyen, und dann Vorschläge zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften vorlegen. Zudem sollen Gesetzesinitiativen gesonderte KMU- und Wettbewerbsfähigkeitschecks durchlaufen, bevor die Kommission sie vorlegt.
Von der Leyen bekennt sich zu den Zielen des Green Deals, einer “Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens” und einem Klimaziel von 90 Prozent CO₂-Reduktion bis 2040. Wie erwartet will sie den Green Deal zu einem Clean Industrial Deal weiterentwickeln. Ein Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie soll Investitionen erleichtern, Leitmärkte für saubere Technologien schaffen und Ausschreibungen sowie Genehmigungen vereinfachen.
Für die chemische Industrie wird es ein eigenes Paket geben. Der erneute Anlauf für eine Reform von REACH soll die Chemikalienverordnung vereinfachen und auch für “ewige Chemikalien” (PFAS) soll die Kommission Klarheit schaffen.
Die Rezepte aus ihren Leitlinien für günstige Energie sind bekannt: der Ausbau sauberer Energien, eine Vollendung des Binnenmarktes und eine Ausweitung der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas auf Wasserstoff – und kritische Rohstoffe. Den Zugang zu Letzteren will die Kommission außerdem mit einem neuen Rechtsakt für die Kreislaufwirtschaft vereinfachen, für Abfälle soll ein echter Binnenmarkt entstehen.
Nur in den Leitlinien, nicht in der Rede im Plenum kommt das Aus für das Verbrenner-Aus vor. Ein Satz behandelt das Thema, das vor allem in Deutschland viel Beachtung gefunden hat: Es ist ein “technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden.”
Das heißt: Die Kommission wird die CO₂-Flottengesetzgebung einer Überprüfung unterziehen. Dies ist laut Gesetz 2026 vorgesehen. Es gibt keinen Hinweis, dass die Überprüfung um ein Jahr vorgezogen wird, wie gemutmaßt wurde. Im Zuge der Überprüfung soll es dabei bleiben, dass der Flottengrenzwert 2035 von Neufahrzeugen auf null Gramm CO₂ je gefahrenen Kilometer absinkt.
Die Änderung besteht darin, dass E-Fuels als klimaneutraler Kraftstoff zur Erreichung des CO₂-Flottenziels anerkannt werden und zwar im Rechtstext selbst und nicht wie bisher in einem unverbindlichen Erwägungsgrund. Auch über das Jahr 2035 hinaus könnten dann Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die mit klimaneutral erzeugten E-Fuels gefahren werden. tho, mgr, ber, jaa
Fast 38 Prozent der Unternehmen, die Ziele für den Frauenanteil in ihren Vorständen festlegen müssen, haben dies 2021 nicht getan. Bei der Hälfte der Unternehmen, die ein Ziel bestimmt haben, liegt dieses bei null. Das geht aus dem achten Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Frauenanteils in Führungsebenen hervor. Das Bundeskabinett hat ihn am Mittwoch beschlossen. Die Pflicht, Ziele für den Frauenanteil im Vorstand zu definieren, gilt für 2.109 börsennotierte und beziehungsweise oder mitbestimmte Unternehmen in Deutschland.
Dass fast 800 Unternehmen trotz der gesetzlichen Pflicht keine Ziele definiert haben, steht dem Ziel der Bundesregierung entgegen, mehr Frauen in die Chefetagen zu bringen. Frauenministerin Lisa Paus sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass sie sich jetzt verstärkt für eine konsequentere Durchsetzung der Vorgaben des Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG) einsetze – vor allem mit Blick auf Sanktionen, die in Form von Geldbußen verhängt werden.
Monika Schulz-Strelow, Gründungspräsidentin des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR), sieht mangelnde behördliche Durchsetzung ebenfalls als einen zentralen Grund dafür, dass viele Unternehmen keine Ziele festlegen. “Verstöße bei den Zielgrößen sind noch nie sanktioniert worden”, sagte sie zu Table.Briefings. “Wenn künftig Sanktionen verhängt werden, würden deutlich mehr Unternehmen die Anforderungen erfüllen.”
Auch nach der Reform des FüPoG 2021 dürfen Unternehmen weiterhin als Ziel festlegen, dass sie keine Frauen im Vorstand haben wollen. Seitdem müssen sie es aber begründen. Dies habe dazu geführt, dass Unternehmen teilweise ausführliche Statements schreiben. “Doch die Ausführungen lassen häufig qualifizierte Begründungen vermissen, warum es kein Ziel ist, den Frauenanteil im Vorstand zu erhöhen”, sagt Schulz-Strelow.
Lediglich für die 65 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern gelten seit August 2022 strengere Regelungen: Wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht, muss ihm mindestens eine Frau oder ein Mann angehören. nh
Der Umsatz von fair gehandelten Produkten ist 2023 in Deutschland um 7,3 Prozent auf 2,34 Milliarden Euro gestiegen. Pro Kopf wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 27,61 Euro für fair gehandelte Lebensmittel, Textilien und Handwerksprodukte ausgegeben. Das geht aus dem Jahresbericht des Forums Fairer Handel (FFH) hervor, der diese Woche vorgestellt wurde. Erfasst werden in dem Bericht alle Waren, die das Fairtrade-Siegel tragen oder von anerkannten Handelsunternehmen und in Weltläden verkauft wurden. Im FFH sind Unternehmen wie GEPA, Naturland und Banana Fair sowie der Dachverband der über 900 Weltläden zusammengeschlossen. Ihr Anteil fair gehandelter Lebensmittel am Gesamtmarkt beträgt rund ein Prozent.
“Der faire Handel in Deutschland hat sich im Geschäftsjahr 2023 trotz des zurückhaltenden Konsumverhaltens sowie der Klima- und Wirtschaftskrise solide entwickelt und einmal mehr seine Resilienz im Einsatz für globale Gerechtigkeit bewiesen”, so FFH-Geschäftsführer Matthias Fiedler.
Allerdings war die Absatzentwicklung nicht bei allen Produkten gleich. Fair gehandelte Schokolade etwa legte beim Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 Prozent zu. Der Absatz von Kaffee ging hingegen um drei Prozent zurück. Mit einem Anteil von 38,6 Prozent am Gesamtumsatz ist Kaffee aber weiterhin der Topseller im Fairen Handel. Durch höhere Verkaufspreise stieg der Umsatz sogar um 16 Prozent.
Das Forum Fairer Handel befürwortet Lieferkettengesetze, die faire Arbeits- und Marktbedingungen insbesondere im Globalen Süden herstellen. Die jüngste Ankündigung der Bundesregierung, das deutsche Lieferkettengesetz zugunsten eines erhofften höheren Wirtschaftswachstums abzuschwächen, stieß beim FFH auf Ablehnung. “Es kann nicht sein, dass die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz der Umwelt einer sogenannten Wachstumsinitiative zum Opfer fallen”, sagte die FFH-Vorstandsvorsitzende Andrea Fütterer bei der Vorstellung des Jahresberichts. ch
FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing und sein Parlamentarischer Staatssekretär Oliver Luksic sollen Recherchen des ZDF-Magazins “Frontal 21″ zufolge gegen Geld für Gespräche mit Lobbyisten zur Verfügung gestanden haben. Hintergrund ist eine Kampagne des Münchner Automobilclubs “Mobil in Deutschland”, der sich für den alternativen Diesel-Kraftstoff HVO100 stark macht.
Luksic hatte nicht nur die Schirmherrschaft der Kampagne “HVO100 Diesel goes Germany” übernommen. Nach Recherchen des ZDF bot “Mobil in Deutschland” Industrievertretern und Verbänden für 9.900 Euro im Jahr auch ein Kooperationspaket an, das die “Möglichkeit” beinhaltet habe, “sich bei einem exklusiven VIP-Meeting mit Minister oder Staatssekretär vorzustellen und auszutauschen”.
Das Magazin berichtet weiter, dass zwei Fachreferate in Wissings Ministerium von der Übernahme einer Schirmherrschaft durch den Staatssekretär abgeraten hätten. Wissing und Luksic seien dieser Empfehlung jedoch nicht gefolgt. Im Gegenteil: Beide setzten sich nachdrücklich für die Kampagne ein, wie mehrere mittlerweile gelöschte Videos im Internet belegen.
Das Bundesverkehrsministerium teilte am Donnerstag mit, dass Staatssekretär Luksic die Schirmherrschaft der Kampagne vorerst ruhen lasse. Vorwürfe der “unrechtmäßigen Einflussnahme von Interessengruppen und einer Vermittlung von Terminen mit der Hausleitung gegen Bezahlung” weise er aber zurück.
Die Organisation Lobbycontrol übte deutliche Kritik an Wissing und Luksic. “Regierungsvertreter sollten sich nicht einseitig für irreführende Lobbykampagnen einspannen lassen.” Deren Ziel sei es, das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus zu kippen. “Das widerspricht laut Fachleuten sowohl dem Stand der Forschung als auch klimapolitischen Notwendigkeiten – entspricht aber den Interessen der Verbrenner-Lobby”, so Lobbycontrol. lf
Unternehmen der Automobilindustrie mit Fokus auf Elektromobilität suchen deutlich mehr Arbeitskräfte als Unternehmen im Bereich Verbrennermotoren. Das zeigt eine Auswertung von mehr als 1,5 Millionen Stellenanzeigen in Deutschland für den Zeitraum Januar 2018 bis April 2024, die das Ifo Institut gemeinsam mit der Online-Jobbörse Indeed durchgeführt hat.
Demnach liegt die Arbeitsnachfrage der Unternehmen mit Fokus auf Elektromobilität seit dem Frühjahr 2019 durchschnittlich 34 bis 50 Prozentpunkte über der der Unternehmen der konventionellen Antriebstechnik. Erst in den letzten Monaten hat sich der Abstand wieder etwas verringert. Besonders gefragt waren Fachkräfte in den Bereichen Softwareentwicklung, Industrial Engineering und Vertrieb.
“Unternehmen aus der Autoindustrie performen auf dem Arbeitsmarkt besser, wenn sie auf nachhaltige Antriebstechnologien setzen”, sagte Annina Hering, Arbeitsmarktforscherin bei Indeed. “Der Verbrenner als die klassische Domäne deutscher Ingenieurskunst verliert an Bedeutung als Jobmotor.”
Aus Sicht der Studienautoren handelt es sich dabei nicht um ein vorübergehendes Phänomen, sondern um die Folgen eines grundlegenden Wandels. “Die Unterschiede in der Arbeitsnachfrage spiegeln den tiefgreifenden Strukturwandel in der Automobilbranche wider”, erläuterte Oliver Falck, Leiter des Ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.
Ein verschärfter Wettbewerb, globale Handelskonflikte, die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Energiekrise hätten den Strukturwandel in der deutschen Automobilindustrie zusätzlich beschleunigt, so Falck. Die Studie spricht daher auch von einem “Transformationsdruck” in der Autoindustrie.
Die Autoren raten davon ab, “althergebrachte Geschäftsmodelle um den Verbrenner zu schützen”. Stattdessen sei “eine aktive Gestaltung des Strukturwandels im Zuge der grünen Transformation angezeigt“. Dazu gehörten aus ihrer Sicht unter anderem eindeutigere Vorgaben der Politik, die Bereitstellung nötiger Infrastruktur und vereinfachte und schnellere Genehmigungsverfahren. ch
Wie die Ampel Luxus-Elektroautos für Reiche fördert – Spiegel
Das Dienstwagenprivileg sei ein Win-win-Konstrukt für Arbeitgeber und Angestellte, schreibt Arvid Haitsch. Bezahlen müsse den Doppel-Gewinn allerdings der Staat, dem Steuern entgehen – letztes Jahr 1,5 Milliarden Euro. Der maximale Bruttolistenpreis für E-Dienstwagen soll nun auf 95.000 Euro erhöht werden. Für eine Antriebswende in der Breite würden so teure Autos auch später als Gebrauchte nichts bringen. Zum Artikel
Strict EU sustainable finance rules deter emerging market investment, banks say – Financial Times
Europäische Banken können nachhaltige Investitionen in Drittländern in der Regel nicht in ihrer “Green Asset Ratio” bilanzieren, die sie seit diesem Jahr ausweisen müssen. Der Grund: Partnerunternehmen außerhalb der Union unterliegen nicht europäischen Nachhaltigkeits-Berichterstattungsregeln. Dieser Widerspruch bremse private Klimainvestitionen im globalen Süden, kritisiert Michael Jongeneel von der niederländischen Entwicklungsbank FMO im Gespräch mit Alice Hancock. Zum Artikel
Ökologische Transformation: Nachhaltige Umsätze nehmen zu – FAZ
Philipp Krohn hat sich eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC genauer angesehen, die untersucht hat, wie taxonomiekonform die Umsätze von mehr als 600 Unternehmen und Finanzdienstleistern sind. Das Ergebnis: Der Anteil der “Green Asset Ratio” ist mit zwei Prozent weiterhin gering, steigt aber spürbar an. Zum Artikel
Energiewende: EU-Wasserstoffstrategie ohne Plan – Der Standard
Der Europäische Rechnungshof empfiehlt dringend einen Realitätscheck für die EU-Wasserstoffstrategie. Die Markteinschätzung sei zu vage, ein verbindlicher Fahrplan für die EU-Länder fehle, schreibt Luise Ungerboeck. Dabei werde im Zusammenhang mit Wasserstoff eine Menge Geld bewegt. Allein auf EU-Ebene gehe es bis 2027 um Fördermittel in Höhe von 18,8 Milliarden Euro. Zum Artikel
Klimawandel: “Wir verbrauchen mehr Energie für den Genuss von Musik als in 10.000 Jahren davor” – Klimareporter
Der Komponist Bernhard König hat sich lange mit den Wechselwirkungen zwischen der Musikbranche und dem Klimawandel befasst und darüber ein Buch geschrieben. Im Interview mit Christina Mikalo erläutert er, warum Musik Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung sein kann. Zum Artikel
From green energy to rivers, environment at heart of nine plans in king’s speech – Guardian
Bei der traditionellen königlichen Verkündung der Gesetze, die die neue Regierung in Großbritannien plant, stand Umwelt bei neun Vorschlägen im Mittelpunkt, schreibt Fiona Harvey. Die Labour-Partei habe Investitionen in ein nationales Unternehmen für erneuerbare Energien und Infrastruktur als Mittel dargestellt, um die Lebenskosten der Britten zu senken. Kaum eine Rolle habe allerdings die Wiederherstellung der Natur gespielt. Zum Artikel
Silke Stremlau – Vorsitzende, Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung
Silke Stremlau gehört zu den kenntnisreichsten Nachhaltigkeitsexpertinnen im Finanzwesen. Die Bankbetriebswirtin und Sozialwissenschaftlerin ist Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. Dabei kann sie auf vielfältigen Erfahrungen aufbauen: 15 Jahre war sie bei der IMUG Beratungsgesellschaft in Hannover. Dort baute sie den Bereich “Nachhaltiges Investment” auf. Danach übernahm sie Managementaufgaben: als Generalbevollmächtigte bei der “Bank im Bistum Essen” und Vorständin der Hannoverschen Kassen, einer nachhaltigen Pensionskasse. 2023 wechselte sie für ein Jahr als Senior Fellow zur Mercator Stiftung. Seit vielen Jahren ist Stremlau Aufsichtsrätin bei der Umweltbank in Nürnberg und neuerdings auch bei der NordLB.
Jesco Kreft – Geschäftsführender Vorstand, Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik
Jesco Kreft ist ein Brückenbauer zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, zuletzt beim Lieferkettengesetz. Als Journalist befasste er sich mit den politischen und sozialen Rahmenbedingungen der Wirtschaft. Später arbeitete er für eine Beratungsfirma, in der er sich auf Arbeitskonflikte und Politikberatung konzentrierte. Die Frage, warum trotz gesellschaftlichem Problembewusstsein Lösungen nicht immer umgesetzt werden, trieb ihn um. Seit 2005 baute er die Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik auf, die er bis heute als geschäftsführender Vorstand leitet. Kreft ist in vielen Beiräten, Aufsichtsgremien und Anlageausschüssen tätig und seit 2015 auch Mitglied des Ethikrats der Welthungerhilfe.
Thomas Losse-Müller – Direktor, Stiftung Klimaneutralität
Neu angekommen in der Thinktank-Szene ist Thomas Losse-Müller. Seit April leitet er als einer der Direktoren die Stiftung Klimaneutralität, bei der er sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland mitentwickelt. Dabei baut er auf Erfahrungen in der Politik auf: vom Finanzstaatssekretär stieg Losse-Müller zum Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein auf, bevor er als SPD-Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für den Landtag agierte. Als Volkswirt bringt er auch ökonomischen Sachverstand mit, den er während beruflicher Stationen bei der Weltbank, der GIZ und EY vervollständigt hat. Wenige wissen so gut wie er, wie sich Klimapolitik mit Verwaltungshandeln verbinden lässt.
Thomas Bruhn – Forschungsgruppenleiter, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit, Helmholz-Zentrum Potsdam (RIFS)
Als Forschungsgruppenleiter am ehemaligen IASS in Potsdam befasst sich Thomas Bruhn mit “transformativen Räumen und Mindsets”. Die Transdisziplinarität hat es Bruhn angetan – der Physiker möchte genauer wissen, wie sich etwa mentale Modelle und Geisteshaltungen wie Achtsamkeit und Mitgefühl mit der Nachhaltigkeits-Transformation verbinden lassen. Komplexe Problemlagen, davon ist Bruhn überzeugt, lassen sich nur durch verschiedene Perspektiven und Wissensformen verstehen und bearbeiten. Bevor er zum RIFS kam, forschte Bruhn zu Halbleiter-Nanomaterialien in Berlin, Rom und Marseille. Mitglied ist er unter anderem im Präsidium der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.
Jörg Geier – Programmleiter, Arts & Nature Social Club
Im Hotel de Rome am Berliner Bebelplatz veranstaltet Jörg Geier regelmäßig den Salon des Arts & Nature Social Club, in dem er Künstler und Entrepreneure zusammenbringt. Dabei geht es um die Vision einer Zukunft, “die für alle funktioniert”. Um dorthin zu gelangen, entwirft Geier zudem Nachhaltigkeitsstrategien für Unternehmen. Beim Club of Rome war Geier stellvertretender Generalsekretär. An renommierten Universitäten entwickelt er Weiterbildungen für Führungskräfte, derzeit für die Thunderbird School of Global Management als Director of Executive Education and Sustainability Programs. Sein weitgespanntes Netzwerk macht ihn zu einem der besten Kenner der Social Impact Investment-Szene.
Armando García Schmidt – Senior Expert, Bertelsmann Stiftung
Armando García Schmidt arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Bertelsmann Stiftung und hat sich dort einen Namen als ausgewiesener Experte für nachhaltiges Wirtschaften gemacht hat. Sein Fokus lag zunächst auf Europa. Heute beschäftigt er sich im Programm “Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft” mit den Herausforderungen der Transformation und dem Thema Innovation. Dazu gehörten zuletzt auch die Kreislaufwirtschaft und die Frage, welche Bedeutung eine nachhaltige öffentliche Beschaffung für die Transformation der Wirtschaft hat. Kollegen schätzen an dem studierten Geisteswissenschaftler nicht nur seine Expertise und sein Engagement, sondern auch, dass er immer mehr liefert, als zu erwarten war.
Florian Ranft – Mitglied der Geschäftsleitung, Progressives Zentrum
Die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist das Steckenpferd von Florian Ranft. Nach Lehre und Forschung an der Goethe-Universität in Frankfurt und seiner Promotion an der Universität Greifswald war der Politikwissenschaftler zunächst bei den Londoner Thinktanks “Policy Network” und “Centre for Progressive Policy” tätig. Heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Berliner Denkfabrik “Das Progressive Zentrum”. Dort verantwortet er den Schwerpunkt “Green New Deal”. In dieser Funktion beschäftigt er sich intensiv mit dem sozialen, regionalen, demokratischen und ökonomischen Wandel in Deutschland und Europa und leitet das Projekt “Transatlantic Dialogue on the Industrial Heartlands”.
Reiner Hoffmann – Vorsitzender, Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)
Nachhaltigkeit muss zum “Gewinnerthema” werden, erklärte Reiner Hoffmann Anfang 2023 nach seiner Wahl zum RNE-Vorsitzenden. Damit das gelingt, braucht es für ihn auch sozialen Zusammenhalt und Lösungen für die Verteilungskonflikte. Dafür setzt sich das SPD-Mitglied seit Jahrzehnten ein – am prominentesten in seinen acht Jahren als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nach denen lobte der Bundespräsident, dass Hoffmann ein “Brückenbauer im besten Sinne” sei. Sein Geschick nutzt er jetzt beim RNE und in anderen Funktionen, etwa als SDG-Botschafter für gute Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Elisabeth Niejahr – Geschäftsführerin “Demokratie stärken”, Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Elisabeth Niejahr gehört hierzulande seit vielen Jahren zu den wichtigen Stimmen für soziale und wirtschaftspolitische Themen. Die Volkswirtin und Absolventin der Kölner Journalistenschule fing beim Spiegel an, ging ins Hauptstadtbüro der Zeit und später zur Wirtschaftswoche. Nach mehr als 25 Jahren als Journalistin wechselte Niejahr 2020 zur Hertie-Stiftung, wo sie den Bereich “Demokratie stärken” leitet. Sie wolle sich durchs Vermitteln von positiven Erfahrungen für die Demokratie einsetzen – ein System, das “vom Mitmachen” lebe. Durch das Erstarken autokratischer Kräfte in vielen Ländern könnte das Thema aktuell wichtiger nicht sein – im Podcast Table.Today ist sie daher eine geschätzte Gesprächspartnerin.
Lena Ruthner – Executive Director, Adelphi
Im Mai ist Lena Ruthner zur Executive Director von Adelphi aufgestiegen, einem der größten europäischen Thinktanks im Nachhaltigkeitsbereich. Adelphi berät Regierungen und Unternehmen in der Transformation und wurde im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Für ihre Position bringt Ruthner viel Erfahrung mit, insbesondere in Sachen Klima und Kreislaufwirtschaft: Nach dem Studium in Berlin, Budapest und St. Petersburg arbeitete sie mehrere Jahre für internationale Unternehmensberatungen, bis sie 2023 bei der European Climate Foundation Direktorin für internationale Klimadiplomatie wurde. Schon kurz darauf übernahm sie bei Adelphi in Berlin das Programm Green and Circular Economy, wo sie nun ebenso schnell in die Geschäftsleitung aufgenommen wurde.
Der Gewinner des Goldenen Geiers 2024 steht fest. Der Schmähpreis der Deutschen Umwelthilfe (DUH) für die dreisteste Umweltlüge geht in diesem Jahr an Nestlé. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern mit Sitz in der Schweiz wurde für seine Imagekampagne “Unterwegs nach Besser” ausgezeichnet.
Darin wirbt das Unternehmen damit, Verpackungsmaterial aus Kunststoff einzusparen – hält aber nach Ansicht der DUH an seinen kleinteiligen und besonders ressourcenverschwendenden Einwegverpackungen fest. Laut dem Global Brand Audit 2023 der Organisation Break Free From Plastic ist Nestlé nach Coca-Cola weltweit der zweitgrößte Verursacher von Plastikmüll in der Umwelt.
Nach Angaben der DUH beteiligten sich mehr als 20.000 Verbraucher an der Online-Abstimmung. 57 Prozent der Stimmen entfielen auf den Lebensmittelriesen, der bereits 2019 mit dem Goldenen Geier ausgezeichnet worden war.
Ob der Geier das geeignete Tier ist, um einen Umweltsünder zu schmähen, sei allerdings dahingestellt. Im Ökosystem Natur spielt er als “Bio-Bestatter” eine wichtige Rolle. In vielen Kulturen gilt er zudem als Symbol für Weisheit, Reinigung und Transformation. Weiß der Geier, wie die DUH darauf gekommen ist. Carsten Hübner