wer ESG auf eine Frage verkürzt, der könnte fragen: Wie sind Unternehmen auszurichten, damit ihre Ziele jenen der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen? Die Antwort auf diese Frage geben Akteure aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft – gemeinsam! Eine solche Gesellschaft ist nicht nur wettbewerbs- sondern auch ökologisch und sozial zukunftsfähig. Und eine solcherart integrierte Wirtschaft berücksichtigt die planetaren Grenzen, sie setzt sich ein für soziale Gerechtigkeit. Gerade für findige und verantwortungsvoll Wirtschaftende bieten sich immense Chancen bei dieser Transformation.
Sie sind hier, weil Sie bereits als Akteure am Tisch sitzen und an den künftigen Entscheidungen teilhaben.
Willkommen am ESG-Table.
Wir sind Caspar Dohmen und Torsten Sewing und wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen am Table, zu den Wegen in eine zukunftsfähige Wirtschaft. Für die erste Ausgabe laden wir ein zur ersten Tour de Force.
Was lesen Sie heute im ersten ESG.Table?
Der ESG.Table beginnt mit der Lieferkettenregulierung. Denn die geplante EU-Richtlinie für eine nachhaltige und faire Lieferkettenregulierung dürfte schärfer ausfallen als das deutsche Lieferkettengesetz. Zwar variieren die Vorstellungen von Kommission, Parlament und Rat mit Blick auf die Regulierung, aber alle drei gehen mit ihren Plänen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Am Donnerstag wollen die Wirtschaftsminister im EU-Rat ein entsprechendes Papier beschließen. Charlotte Wirth beschreibt im Europe.Table, wie der Rat den Vorschlag der Kommission abschwächen will.
Die Lieferkettenregulierung schafft mit ihren einheitlichen Berichtspflichten die Grundlage für validere Informationen über die sozialen und ökologischen Auswirkungen wirtschaftlichen Tuns, schreibt Caspar Dohmen. Aufgrund dieser Informationen können NGO, Think Tanks, Wissenschaft und Ratingagenturen Unternehmen vergleichen. Damit schaffen sie die Voraussetzungen für ESG-gerechte Investitionen, an denen sich alle Akteure orientieren können.
Auf diesem (sehr langen) Weg geraten auch die Bedingungen des Wirtschaftens stärker als bisher in den Blick. Die bislang nicht-finanzielle Ökobilanz bekommt nun eine neue Bedeutung: Sie hilft im Rahmen von Impact Investing bereits einigen Unternehmen bei der Finanzierung, schreibt Torsten Sewing.
Wie sich ESG schon heute mit Finanzierungsvorteilen in Lieferantenbeziehungen verbinden lässt, berichtet Annette Mühlberger. Schon vor Jahren brachte ein Manager des Hidden ESG-Champion Puma dies auf die griffige Formel: Mehr ESG ist gleich mehr Cash Flow!
Forscher weisen nach, dass Unternehmen kaum auf ESG-Ratings reagieren. Immerhin verfolgen Unternehmen aber schon deutlich anspruchsvollere Kriterien bei der Finanzierung von Projekten als die FIFA. Dennoch, so macht der Standpunkt von Yvonne Zwick, Vorstandsvorsitzende von B.A.U.M. e.V. deutlich, sind sie die Ausnahme.
Ihre Redaktionsleiter
Mit dem deutschen Lieferkettengesetz und der erwarteten EU-Richtlinie steigt der Druck auf Unternehmen, Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Doch Unternehmer sollten aus Eigeninteresse dafür sorgen, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten kommt.
Ab dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), ähnliche nationale Regeln gibt es auch in anderen Staaten. Die EU arbeitet an einer europäischen Regelung. Auch in Handelsabkommen vereinbaren Staaten häufiger höhere ökologische und soziale Standards.
Bewegung gibt es selbst auf Ebene der Vereinten Nationen: Staaten verhandeln im UN-Menschenrechtsrat seit 2014 über ein Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty). Es soll eines Tages alle Vertragsstaaten verpflichten, verbindliche Regeln für Unternehmen zu schaffen und es den Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in Wertschöpfungsketten leichter machen, über Grenzen hinweg ihre Rechte durchzusetzen.
Wichtig für Unternehmen: Die Ära der freiwilligen Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte in ihren Lieferketten endet. Perspektivisch werden sie auf National-, EU- und Völkerrechtsebene verpflichtet, auch dort die Menschenrechte einzuhalten. Unternehmen müssen ihre Lieferketten daher genau analysieren, insbesondere die unabhängigen Zulieferer. Auch Firmen, die nicht direkt betroffen sind, sollten sicherstellen, dass bei ihren Zulieferern Menschenrechte eingehalten werden. Denn auch sie werden aufgrund der neuen Regeln auf nationaler und EU-Ebene verpflichtet, weil ihre Auftraggeber ihnen entsprechende Vorgaben für die Einhaltung von Standards samt Nachweisen machen werden.
Seit dem Start der Debatte über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Deutschland wünschen sich manche Politiker, Unternehmen und Verbände eine Safe-Harbour-Klausel. Die Idee: Wenn Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, soll deren Haftung begrenzt werden. Befürworter nennen dafür als Beispiel die Beteiligung von Unternehmen an Brancheninitiativen wie dem Textilbündnis oder die Zertifizierung globaler Produktionsprozesse durch externe Prüfer. Politisch macht es Sinn, Anreize für Unternehmen zu setzen, die mehr tun, als der Gesetzgeber vorschreibt. So könnten Fälle ausgeklammert werden, wo leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Aber bei schweren Verstößen werden die Unternehmen haften. Das galt auch schon vor dem Start von Lieferkettengesetzen.
Wichtig für Unternehmen: Nach jetzigem Stand ist es unwahrscheinlich, dass es auf europäischer Ebene eine rechtsverbindliche Safe-Harbour-Klausel geben wird. Abgesehen davon kann es keinen umfassenden sicheren Hafen für Unternehmen geben. Beim Einsturz von Rana Plaza in Bangladesch starben mehr als 1.130 Menschen. Unter der Schlammlawine nach dem Bruch eines Damms der Eisenerzmine Brumadinho in Brasilien mehr als 270 Menschen. Beide Anlagen waren zertifiziert.
Zwar könnte eine Safe-Harbour-Klausel die juristischen Haftungsrisiken begrenzen, aber mögliche strafrechtliche Folgen oder Reputationsrisiken mit ihren ökonomischen Folgen blieben erhalten. Es liegt im ureigenen Interesse von Unternehmen, die Risiken in ihren Lieferantenbeziehungen wirklich zu reduzieren. Wer dabei Fortschritte macht, hat einen Wettbewerbsvorteil.
Bei der Erfassung von Risiken für Mensch und Natur wird die Welt selbst in weit abgelegenen Produktionsanlagen zunehmend zum Dorf. Spezielle Dienstleister bewerten immer genauer, ob Klimarisiken, politische Risiken oder menschenrechtliche Vorfälle auftreten. Für solche Informationen ist ein Markt entstanden, der expandiert. Treiber sind die Unterbrechungen der Lieferketten infolge der Pandemie und des Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie die menschenrechtlichen Regulierungsvorhaben. Firmen können sich also immer schneller ein deutlich umfassenderes Bild von der Lage bei ihren Zulieferern machen.
Wichtig für Unternehmen: Bislang lässt sich kaum beurteilen, welche Unternehmen sich besser oder schlechter um menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten kümmern. Das ändert sich. Denn auch Think Tanks und NGO werden die genaueren Informationen über Zulieferer in aller Welt auswerten und zur Basis von Studien, Reports und Kampagnen machen.
Das ermöglicht Scoringmodelle – diese erlauben künftig eine genauere Beurteilung von Unternehmen und damit auch Vergleiche. Daran haben Investoren, Kreditgeber, Kunden und Medien großes Interesse. Damit steigt der Druck auf Unternehmen enorm, die menschenrechtlichen Risiken in ihren Lieferketten nachweislich zu reduzieren. Helfen dürfte es Unternehmen, wenn sie dabei häufiger zusammenarbeiten.
Unternehmen können manches wichtige Problem bei Zulieferern kaum allein lösen, etwa eine die Grundbedürfnisse sichernde Bezahlung der Beschäftigten. Manche Firmen haben es versucht, sind aber wegen Konkurrenten gescheitert, die selbst keine Lohnerhöhungen ermöglichten und davon profitierten, dass andere dies in Fabriken zuließen. Letztere hatten durch die Trittbrettfahrer Wettbewerbsnachteile. Aber aufgrund der steigenden Zahl von Lieferkettengesetzen müssen alle Unternehmen umdenken. Die Zahl der Trittbrettfahrer wird sinken. Dadurch werden Kooperationen von Unternehmen erleichtert, etwa bei Beschwerdemechanismen entlang von Lieferketten.
Wichtig für Unternehmen: Beschwerdemechanismen einzurichten, ist anspruchsvoll. Wie erfahren Arbeitende bei Zulieferern tief in der Lieferkette, wer das Endprodukt abnimmt? Wie können Betroffene anonym bleiben, was häufig notwendig ist, damit sich überhaupt Menschen zu Wort melden? Wie lässt sich sicherstellen, dass Betroffene privaten Beschwerdemechanismen trauen?
Der Teufel steckt im Detail. Wer allein aufgrund einer anonymen Beschwerde eines Arbeitenden etwa einen Vorarbeiter entlässt, ohne den Sachverhalt genau zu klären, verstößt gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Sinnvoller wäre es, wenn möglichst viele Unternehmen sich bei den Beschwerdemechanismen zusammentäten, so wie es eine Handvoll Unternehmen aus der deutschen Automobilbranche in Mexiko machen wollen. Die deutsche Automobilbranche dürfte aufgrund ihrer Größe in der Lage sein, ein solches System zu etablieren. Aber selbst in diesem Fall wäre es effektiver, wenn sie sich mit Autobauern aus Frankreich oder den USA zusammentäten.
Die nur schwer zu übersehende Fülle an ESG-Ratings, Indikatoren und Kriterienkataloge will die schädlichen Wirkungen von Unternehmen reduzieren. Impact Investing, das gezielte Investieren in positiven “Impact”, ist anspruchsvoller als das durch ESG anzustrebende “Do No Harm”. Diese Art des Investierens will Unternehmen dabei unterstützen, sich ökologisch und sozial als zukunftsfähig zu positionieren.
Belastbare Daten zum ökologischen Wirtschaften sind ausreichend vorhanden: Die systematische Analyse und Bewertung der Umweltwirkungen im gesamten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen gehört als Ökobilanz seit langem zur “nicht-finanziellen” Berichterstattung. Eine Inwertsetzung dieser Daten erweitert das Feld: Wo ESG zur Pflicht wird, ist Impact Investing die Kür. Neue Geldgeber betreten das Feld, erste Venture Capital (VC) Unternehmen sind bereits aktiv.
Warum die Ökobilanz Unternehmen nützt, führt Lena Thiede aus, Mitgründerin des Hamburger VC Planet A: “Jeder ist ja mittlerweile nachhaltig, und mit der Ökobilanz schneidest du durch diesen grünen Nebel und bringst die Evidenz, dass deine Lösung tatsächlich an den großen Hebeln ansetzt.” Für die meist jungen Unternehmen heißt das, die Ökobilanz bei Gesprächen mit Geldgebern als überzeugendes Argument für die Finanzierung einzusetzen. Die Lebenszyklusanalysen oder Ökobilanzen erlauben es, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu investieren.
Die Ökobilanz ist dabei nur der Anfang dieser Monetarisierung von Wirkung: Derzeit arbeitet Planet A daran, das Rahmenwerk der planetaren Grenzen so mit Ökobilanzierungen zu verbinden, dass die Veränderungen innerhalb der einzelnen Grenzen im System abgebildet werden. Das gilt beispielsweise auch für die Biodiversität, die allerdings nicht so einfach zu messen ist wie der CO2-Ausstoß.
Allerdings profitieren die für eine Transformation erforderlichen sozialen Kriterien nicht von den zunehmend ausgefeilten Instrumenten im ökologischen Bereich. Das liegt laut Thiede vor allem daran, dass im sozialen Bereich der Kontext entscheidet – und der ist in der Regel lokal, nicht skalierbar und damit für Investments ungeeignet. Planet A behilft sich daher zu Fragen wie Menschenrechten, Inklusion und Antikorruption mit ESG-Fragebögen.
Dr. Andreas Rickert ist CEO der gemeinnützigen Beratung Phineo AG und hat noch einen anderen Blick auf das Problem fehlender Standards im sozialen Bereich. Für ihn zählt neben der Messbarkeit die Intention. Es geht ihm um das “Mindset” – zu erkennen, was die Unternehmer und Investoren bewegen wollen, was der Gesellschaft Nutzen stiftet. Das sei zu sehen in Pressemitteilungen, in Gesprächen mit der Geschäftsführung, im Geschäftsmodell. Und selbst wenn die meisten sozialen Kriterien nicht gemessen werden können und nicht skalierbar sind: Erste Standards entstünden, ein Rahmenwerk liege zumindest für den Prozess des Impact Management vor.
Entscheidend ist für Rickert, dass wir nicht mehr in einer Welt leben, in der auf der einen Seite die ganzheitlich denkenden Menschen als “Treehugger” gelten und auf der anderen Seite Investoren automatisch gierige Kapitalisten sind. Die Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, bringe Akteure zusammen, so Rickert. Dieser Prozess sei im Gang, es gebe erste Frameworks und hilfreiche Ansätze.
Und auch die EU arbeitet daran, eine gemeinsame Sprache für alle Stakeholder zu entwickeln. Die EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) erarbeitete für die Kommission den ersten und “mit allen Stakeholdern abgestimmten” Entwurf zu European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Das Ziel: übergreifende ESG-Standards zu formulieren und damit die Transparenz zwischen den immer noch oft als Silos wahrgenommenen umweltbezogenen, sozialen und unternehmensbezogenen Inhalten der ESG zu erhöhen.
Auch wenn es einfacher ist, den ökologischen Impact eines Unternehmens als Silo auszuweisen, sind die sozialen und ökologischen Aspekte unternehmerischer Tätigkeit zusammenzudenken. Das ist leichter, als gemeinhin angenommen – denn wer einen Prozess belegbar ökologisch gestaltet, der leistet damit in der Regel auch einen sozialen Beitrag. Nächste Woche stellen wir die kontext-basierten Sustainable Development Performance Indicators (SDPI) vor – einen weiteren Schritt, diesen Zusammenhang nachvollziehbar zu machen
Supply Chain Finance (SCF), zu Deutsch Lieferkettenfinanzierung, ist ein Instrument aus dem Working Capital Management. Indem Lieferanten ihr Geld deutlich vor der eigentlichen Fälligkeit der Rechnungen erhalten, erhöht sich die Liquidität in der Lieferkette. Die Zwischenfinanzierung übernehmen Finanzpartner. Für die Lieferanten ergibt sich aus der besseren Bonität der Kunden ein Zinsvorteil. Großunternehmen wie Siemens betreiben das sogenannte Reverse Factoring seit Jahren. Mittlerweile bieten neben Banken auch Fintechs Finanzierungslösungen. Dass sich die Finanzierung mit ESG-Zielen verbinden lässt, macht das Instrument für die nachhaltige Lieferantenentwicklung interessant.
Der Sportartikelhersteller Puma sammelt mit der ESG-verbundenen Lieferkettenfinanzierung seit 2016 Erfahrung. Die bis dahin für Lieferbeziehungen völlig unübliche Kombination von mehr ESG gleich mehr Cashflow hat Frank Wächter, von Puma Global Director Treasury & Insurance, vor sechs Jahren gemeinsam mit Banken entwickelt.
Jetzt wenden auch andere Unternehmen die Formel an. So koppelt etwa der Chemiekonzern Henkel seit 2022 seine Lieferkettenfinanzierung (zunächst für seine europäische Lieferantenbasis) an ESG-Ratings. Und der US-Handelsriese Walmart hat ein SCF-Programm gestartet – mit dem Ziel, bei seinen Eigenmarken den CO2-Fußabdruck zu reduzieren.
Kein Lieferant muss, jeder kann mitmachen, ist das Prinzip, das Puma seit dem Start für sein Finanzierungsangebot auslobt. Einzige Voraussetzung für die Teilhabe: Der Lieferant (die meisten Produzenten für Puma sitzen wie beim Gros der Sportartikel- und Fashion-Industrie in Asien) erreicht ein bestimmtes ESG-Rating. Liegt das aktuelle Rating, das aus einem Mix aus NGO-Indizes, eigenen und externen Audits ermittelt wird, über dem Durchschnitt, gibt es on top günstigere Finanzierungskonditionen.
ESG-abhängige Lieferkettenfinanzierung unterscheidet sich von anderen Bonus-Malus-Verfahren, über die man die ausgelagerte Wertschöpfung steuert. “Nachhaltigkeit muss sich für Lieferanten auch lohnen”, sagt Wächter. 356 Lieferanten für Produkte, Materialien und Komponenten weist Puma aus. Über das Finance-Programm verfolgt Puma soziale Kriterien wie faire Löhne, Arbeitsbedingungen, Krankenversicherungsstatus der Belegschaft, aber auch ökologische Kennzahlen wie den Wasserverbrauch in den Fabriken.
Außerdem will Puma weiter vorne in der Wertschöpfung einsteigen, in die Pilotierung einer Pre-Shipment-Finanzierung. In diesem Fall werden Forderungen bereits vor Rechnungsstellung beglichen – bevor die Ware also an der Schiffsrampe und damit vor dem juristischen Gefahrenübergang steht, was Lieferanten mehr finanziellen Spielraum gibt. “Unser Ziel sind langfristige, nachhaltig stabile Lieferbeziehungen”, begründet Wächter die Motivation für das Finanzierungsprogramm.
Schon heute erhalten die Firmen, die an dem Programm teilnehmen, spätestens fünf Tage nach Rechnungsstellung ihr Geld. Und das ist deutlich schneller als eine Zahlung über die im Industrieeinkauf sonst üblichen Fristen, die je nach Branche und Unternehmen zwischen 30 und 90 Tagen liegen. Abgewickelt werden die Transaktionen bei Puma über ein elektronisches Portal, an das alle Lieferanten angeschlossen sind.
Bisher kommen die ESG-Ratings und Audits, die Puma für das Monitoring nutzt, unter anderem von der Fair Labor Association und Better Work, einem Kooperationsprogramm von ILO (International Labour Organization) und IFC (International Finance Corporation). Hinzu kommen eigene Prüfungen, Lieferantenbesuche und Audits durch den Einkauf. “Uns ist grundsätzlich an einer Überprüfung durch unabhängige Auditoren gelegen. Das hat für die Lieferanten den Vorteil, dass sie sich nicht für alle Kunden einzeln auditieren lassen müssen”, sagt Wächter.
Auch aus diesem Grund begrüßt nicht nur Puma, dass die internationale Handelskammer (ICC) nun erstmals globale Standards für ESG-Ratings für die Handelsfinanzierung entwickelt. “Im Verlauf dieses Prozesses hat sich gezeigt, dass wir branchenabhängige ESG-Standards brauchen, da die Lieferketten in den verschiedenen Industrien sehr unterschiedlich sind”, betont Wächter, der in der ICC-Arbeitsgruppe Sustainable Trade Finance mitwirkt. Für die Bekleidungsindustrie werden diese Branchenstandards nun parallel entwickelt.
David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TU München, sieht Potenziale, aber auch Zielkonflikte. “Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Unternehmen mit Supply Chain Finance ein weiteres Tool an der Hand haben, um die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten langfristig zu steigern”, sagt er. “Werden die Programme außerdem nur für Lieferanten mit hinreichender ESG-Performance angeboten, setzt das nochmal stärkere Anreize, als allein bessere Finanzkonditionen, widerspricht allerdings zunehmend dem eigentlichen Gedanken von SCF, nämlich mehr Liquidität in die Lieferkette zu bringen”, ergänzt Wuttke.
Um mit Supply Chain Finance mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Firmen einige Dinge beachten. “Unternehmen brauchen eine Working Capital Agenda und es braucht Zusammenarbeit. Allein aus dem Blick der Finanzverantwortlichen heraus, ohne den Input aus dem Einkauf und der IT, lässt sich so ein Programm nicht umsetzen”, lautet die Erfahrung von Olaf Haferkorn, Spezialist für Lieferkettenfinanzierung bei der deutschen Tochter der Londoner Großbank HSBC. Entscheidend seien einheitliche Ziele, eindeutige Kennzahlen, gerade in Bezug auf ESG.
Seit vielen Jahren genutzt wird die Lieferkettenfinanzierung in der chemischen Industrie, im Automotive- und Fashion-Bereich. Gerade in mittelständischen Unternehmen gebe es oft noch Verbesserungsbedarf, beobachtet Haferkorn. “Viele Unternehmen haben zwar eine Nachhaltigkeitsstrategie, aber sie sind meist noch nicht so weit, dass sie ihren Lieferanten ESG-Ratings gegeben haben”, sagt er und beschreibt damit das aktuell größte Hemmnis, eine ESG-incentivierte Lieferkettenfinanzierung schon in der Praxis einzusetzen.
Hat sich die Arbeitsrechtslage in Katar verbessert?
Nach übereinstimmenden Angaben von ILO und Amnesty ja. Formell abgeschafft ist das Kafala-System, bei dem man in einer Art modernen Leibeigenschaft lebt. Zum Ausmaß der Menschenrechtsverstöße kann man schwer etwas sagen, wahrscheinlich sind hunderte, wenn nicht tausende Arbeiter gestorben. Die ILO äußert sich positiv über Katar: Es habe sich viel getan und in der ganzen Golfregion gebe es kein anderes Land mit solchen Fortschritten. Aber es ist wohl kein großer Durchbruch, der jenseits der WM-Stadien alle Wirtschaftssektoren erreicht, und es ist offen, was bleibt, wenn die Scheinwerfer wieder ausgehen.
Kann man daraus etwas für künftige große Sportereignisse in autoritär regierten Staaten lernen?
Man hätte bei der Vergabe die gleichen Auflagen machen müssen wie bei Investitionen in Staudämme, erneuerbare Energieparks oder Niederlassungen von Unternehmen. Da hätte drinstehen müssen, dass für den Bau der Stadien die ILO-Standards und die Einhaltung der Menschenrechtsverträge gelten, dass dies auch entsprechend überwacht wird, dass es Gewerkschaftsfreiheit gibt und Beschwerdemöglichkeiten.
Welche Standards hätte man sinnvollerweise verwendet?
Es gibt beispielsweise als Standards für Privatinvestitionen die Performancestandards von der IFC, dem Privatarm der Weltbank. Die sind als Standards für die wichtigen Themen bei Investitionsvorhaben ziemlich gut geeignet. Da geht es um Partizipation, indigene Landrechte, Umsiedlungen, Arbeitsrechte inklusive Arbeitsschutzgesetze und so weiter. Wenn man die angewendet hätte, wäre schon viel gewonnen gewesen. Das hat aber nicht stattgefunden. Die FIFA hat sich im Grunde um diese Themen nicht ausreichend gekümmert.
Sind die IFC-Standards noch verbesserungsbedürftig?
Für Privatinvestitionen sind sie sehr gut nutzbar. Die Standards sind zuletzt 2012 revidiert worden. Sie sind auch noch besser als die entsprechenden neuen Weltbank-Safeguards für öffentliche Investitionen, aber natürlich könnte man auch sie noch verbessern. Dies habe ich in einer Studie mit Blick auf die Landfragen aufgezeigt. Da könnte mehr Detailtiefe helfen, wie sie die Freiwilligen Leitlinien für verantwortliche Investitionen in Land enthalten, die ebenfalls 2012 im Kontext der Welternährungsorganisation erarbeitet wurden. Aber für ein normales Investitionsvorhaben kann man damit sehr viel anfangen.
Es gibt immer wieder die Forderung nach einer Verschiebung des LkSG.
Das Gesetz kommt. Alles andere wäre auch schwierig. Denn dann würden wieder die Unternehmen bestraft, die sich frühzeitig um das Thema gekümmert haben.
Aber was ist von dem Argument zu halten, dass die Unternehmen wegen der Pandemie und dem Krieg einen Aufschub brauchen?
Gerade durch die Pandemie sind Lieferketten enorm unter Druck gekommen, sie verändern sich, werden neu strukturiert. Dies ist ein guter Augenblick, um gleichzeitig die menschenrechtliche Sorgfalt und die Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen. Die meisten Unternehmen müssen oder wollen bis 2035/40 klimaneutral sein. Da macht es doch keinen Sinn, fünf Jahre ungenutzt verstreichen zu lassen. Das gleich gilt für soziale Bedingungen. Beim derzeitig ohnehin stattfindenden Umbau der Lieferketten macht es doch Sinn, gleich dafür zu sorgen, dass die sozialen Risiken minimiert werden. Teilweise wird dies durch eine Rückverlagerung nach Europa erfolgen, wenn etwa in Spanien eine neue Solarindustrie aufgebaut wird. Teilweise werden das Verbesserungen bei bestehenden Lieferanten aus dem globalen Süden sein, teilweise auch neue Zulieferer.
Laut dem LkSG muss ein Unternehmen aktiv werden, wenn es von Menschenrechtsverstößen bei einem Lieferanten hört. Aber wann hat es das – genügen Mitteilungen in den Sozialen Medien?
Berichte in den sozialen Medien oder in anderen Medien können genug Substanz haben, Unternehmen auf Probleme hinzuweisen und könnten so als Startpunkt möglicherweise ausreichen. Am Ende wird sich das in der Praxis des Bafa als zuständiger Behörde klären. Das Gesetz und die Gesetzesbegründung gehen aber relativ weit. Es gab zwar erhebliche Einflussnahme von Lobbyisten aus der Wirtschaft auf den deutschen Gesetzgeber, um zu verhindern, dass die Risikoanalyse auch Probleme tief in der Lieferkette umfassen muss. Und tatsächlich stehen im Gesetz zunächst die direkten Zulieferer im Fokus, aber Unternehmen müssen eben auch aktiv werden, wenn sie von Missständen in der Lieferkette substanzielle Kenntnisse haben. Hier hat der Gesetzgeber sich weitgehend mit seinen Vorstellungen durchgesetzt.
Ist die Koordinierung der Sorgfaltspflichtengesetze gut in der Compliance-Abteilung aufgehoben?
Nach dem LkSG müssen große Unternehmen ab 2023 jetzt einen Menschenrechtsbeauftragten haben. Ich habe zuletzt vier solcher künftigen Menschenrechtsbeauftragten kennengelernt, zwei saßen in der Compliance-Abteilung, zwei in der ESG-Abteilung.
Macht das einen Unterschied?
Es ist zu früh, dies zu sagen. Menschen in der Compliance-Abteilung sind tendenziell eher Juristen und vorsichtiger. Sie werden möglicherweise schneller nervös bei Risikoanalysen und suchen eventuell sicherere Problemlösungen wie die Trennung von Lieferanten. In ESG-Abteilungen arbeiten möglicherweise eher problemorientierte Leute, die länger verschiedene Lösungswege ausprobieren. Aber dies muss sich in der Praxis in den kommenden Jahren zeigen.
Grundsätzlich gilt, dass es bei vielen Problemen sinnvoll sein kann, zu versuchen, sie über einen Zeitraum zu lösen oder die Situation zumindest deutlich zu verbessern. Das wäre auch entwicklungspolitisch sinnvoll, denn Lieferanten hätten dann genügend Zeit, die Probleme aus der Welt zu schaffen. Hier liegt eine große Chance, um die Prozesse zu verbessern.
30.11.-2.12.2022
Konferenz PRI in Person & Online 2022
Die Investoreninitiative Principles for Responsible Investment lädt zur Konferenz nach Barcelona ein. Anmeldungen sind noch für digitale Teilnehmende möglich. Die Veranstaltung ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
1.12.2022
Akzente / Accenture, Webtalk LkSG in der Praxis: Präventions- und Abhilfemaßnahmen
In der Talkreihe wird die Umsetzung des LkSG in der Praxis diskutiert. Die erste Veranstaltung drehte sich um das Thema Risikoanalyse. In diesem zweiten von vier Talks geht es um Präventions- und Abhilfemaßnahmen. Info & Anmeldung
9.12.2022
Veranstaltung, Berlin Towards Europe 2030 (Institut Open Diplomacy)
Unter dem Motto Towards Europe 2030 sprechen Expertinnen und Experten in verschiedenen Panels über die Ambitionen und Herausforderungen für ein nachhaltiges Europa. Info& Anmeldung
13.12.2022
Digitale Informationsveranstaltung Nachhaltiges Wirtschaften und Sustainable Finance (NRW Bank)
Unternehmen aus NRW berichten über ihre Vorhaben und Erfahrungen, wie sie sich zukunftsfähiger aufgestellt haben sowie welche Herausforderungen sie dabei zu überwinden hatten. Info & Anmeldung
30.11.2022
Veranstaltung, Berlin Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse der Stakeholder-Plattform Strommarktdesign (VDMA)
Stakeholder aus Politik und Wirtschaft diskutieren, wie die Klimaschutzziele für den Stromsektor erreicht werden können, ohne die Bezahlbarkeit von Strom und die Versorgungssicherheit zu gefährden. Info & Anmeldung
1.-2.12.2022
Kongress, Düsseldorf 15. Deutscher Nachhaltigkeitstag: Transformation in Krisenzeiten
Wie gelingt die notwendige Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft inmitten von geo-, finanz- und sozialpolitischen Krisen? Unter diesem Motto wird dieses Jahr der Deutsche Nachhaltigkeitspreis vergeben. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info und Anmeldung
6.12.2022
Webinar Corporate Reporting as a driver to achieving the SDGs (GRI)
Im Webinar diskutieren die Teilnehmenden, welche Bedeutung Berichterstattung für die Erreichung der Sustainable Development Goals hat. Info & Anmeldung
6.12.2022
Veranstaltung, Berlin Kolloquium der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft zu «Landwirtschaft in der Heiß-Zeit» (DLG)
Forscherinnen und Forscher präsentieren ihre Handlungsansätze für die Gestaltung einer resilienten und regenerativen Landwirtschaft, die vor allem Dürre trotzen können muss. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
7.12.-19.12.2022
Biodiversitätskonferenz (CBD COP 15), Montreal
Die Biodiversitätskonferenz COP 15 sollte ursprünglich 2020 im chinesischen Kunming stattfinden und wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Die Konferenz wurde dann auf zwei Termine aufgeteilt, der erste Verhandlungsteil fand im Oktober 2021 in Kunming statt. Für den zweiten treffen sich die Teilnehmenden in Montreal. Info
13.12.-14.12.2022
Präsenzveranstaltung, Düsseldorf Der Zukunftskongress für Wirtschaft mit Weitsicht (Fachmedien Otto Schmidt)
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen heute und in der nahen Zukunft? Ist Nachhaltigkeit der neue Wettbewerbsfaktor? Um diese und weitere Fragen geht es auf dem Zukunftskongress. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
VW ist bei dem innerhalb des Branchendialogs Automobil für Mexiko geplanten gemeinsamen Beschwerdemechanismus ausgestiegen. Ein VW-Sprecher bestätigte entsprechende Informationen des ESG.Table: Das Projekt in Mexiko biete “keine ausreichenden Vorteile gegenüber den bestehenden Beschwerdesystemen bei Volkswagen“. Zudem hätten sich in den vergangenen Jahren die “eigenen Compliance-Systeme in Bezug auf die Lieferkette in vielen Unternehmen weiterentwickelt, auch bei Volkswagen”. Nach sorgfältiger Abwägung setze man auf das eigene System.
In seinem Nachhaltigkeitsbericht 2021 hatte VW noch erklärt, das Unternehmen treibe “die Pilotierung eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus voran”. VW habe sogar Ambitionen gehabt, den eigenen Beschwerdemechanismus zum gemeinsamen Standard zu erheben, heißt es unter Teilnehmern des Branchendialogs. Aber jetzt soll die Compliance-Abteilung das gemeinsame Vorhaben gestoppt haben.
Die Überlegungen zu einem branchenübergreifenden Beschwerdesystem reichen in die Zeit vor der Verabschiedung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zurück und wurden ursprünglich als Teil der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP) in Deutschland diskutiert.
Diverse Regulierungen oder freiwillige Standards für Lieferketten sehen als ein zentrales Instrument zur Abschaffung von Missständen und der Wiedergutmachung für Betroffene die Einrichtung von Beschwerdesystemen vor – für Mitarbeiter, Beschäftigte in Lieferketten oder Anwohner.
VW hat im Berichtsjahr 2011 laut Nachhaltigkeitsbericht 111 Verstöße bearbeitet und die Zusammenarbeit mit vier Lieferanten beendet oder blockiert. Über direkte Lieferanten gab es 70 Beschwerden, über indirekte Lieferanten 41. Regional lag Europa bei den Beschwerden vorne (74), vor Nordamerika (17) und Asien (9).
Ob der kollektive Beschwerdemechanismus im Rahmen des Branchendialogs zustande kommt, ist unklar. Bislang haben erst eine Handvoll Unternehmen die Bereitschaft dazu signalisiert. cd/ch
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) muss Informationen über eine Agrar-Investition in Paraguay von ihrer Tochterfirma Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) beschaffen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt gab vergangenen Donnerstag der Klage der Menschenrechtsorganisationen FIAN und ECCHR statt.
Die KfW hatte jahrelang eine Einsichtnahme in die Umwelt- und Sozialpläne des in Paraguay aktiven Agrarinvestors PAYCO verweigert. Die KfW-Tochter Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) hält einen Anteil von 15,8 Prozent an PAYCO. Das Gericht urteilte, dass die KfW als Behörde nach dem Informationsfreiheitsgesetz informationspflichtig ist und die im öffentlichen Interesse stehenden Informationen von der DEG beschaffen muss.
PAYCO ist mit 146.000 Hektar – der dreifachen Fläche des Bodensees – einer der größten Landbesitzer in Paraguay. Das Unternehmen baut Gen-Soja an, besitzt Baumplantagen und betreibt Viehzucht. cd
Veränderte ESG-Ratings können den Aktienkurs von Unternehmen langfristig beeinflussen. Die Forscher Florian Berg, Florian Heeb und Julian Kölbel von der MIT Sloan School of Management und der Universität St. Gallen zeigen in ihrer Studie The Economic Impact of ESG, wie sich Veränderungen des MSCI ESG-Ratings auswirken.
Sie weisen eine negative langfristige Reaktion der Aktienrenditen auf Herabstufungen nach und stellen eine langsamere und schwächere positive Reaktion auf Heraufstufungen fest. Die Reaktionszeit von der Ratingveränderung bis zur Aktienpreisveränderung betrage ein bis zwei Jahre. Die Unternehmen reagierten auf die Veränderungen dabei nicht mit höheren oder niedrigeren Investitionsausgaben. Lediglich im Bereich der Governance veränderten Unternehmen ihre ESG-Praktiken, schreiben die Forscher.
“ESG-Ratings beeinflussen die Finanzwelt offenbar etwas mehr als gedacht”, schreibt Tillmann Lang, CEO der Digital Impact Investing-Plattform Inyova. “Das wirkliche Leben beeinflussen sie weiterhin nur wenig.” cd
Die Mitgliedsunternehmen des US-amerikanischen Cotton Trust Protocol, einem neuen Standard für nachhaltig angebaute Baumwolle, haben im Zeitraum 2021-22 gemessen an wichtigen Indikatoren ihre Umweltbilanz verbessert:
Das geht aus dem am 22. November veröffentlichten zweiten Jahresbericht der Initiative hervor, der mittlerweile 320 Unternehmen aus 80 Ländern angehören, darunter Ralph Lauren, J. Crew, Tesco, Levi Strauss & Co., GAP und Old Navy.
Das auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) abgestimmte Trust Protocol ist nach eigenen Angaben das einzige System, das quantifizierbare und überprüfbare Ziele und Messungen bietet und die kontinuierliche Verbesserung von sechs Nachhaltigkeitskennzahlen bei Baumwollfasern vorantreibt: wie Landnutzung, Bodenkohlenstoff, Wassermanagement, Bodenverlust, Treibhausgasemissionen und Energieeffizienz.
In der Initiative sind mittlerweile alle 17 baumwollproduzierende Bundesstaaten in den USA vertreten. Das System erfasst Baumwollflächen von 445.000 Hektar, mehr als doppelt so viel wie im Pilotjahr.
Im Mai 2022 wurde das Trust Protocol von Siegelklarheit anerkannt, einer Initiative der deutschen Bundesregierung. Damit können Mitglieder des Bündnisses für nachhaltige Textilien das Trust Protocoll als weiteren Standard nutzen, um nachhaltige Baumwolle zu beziehen. Im Juni 2022 wurde es als ISEAL Community Member aufgenommen. ISEAL unterstützt ehrgeizige Nachhaltigkeitsinitiativen. cd
Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den Platinminen im südafrikanischen Marikana haben sich wenig verändert. Die “empirischen Belege zeigen eine beunruhigende Kontinuität mit der Vergangenheit, zerplatzte Träume, Vernachlässigung und spürbare Traumata”, schreiben die beiden südafrikanischen Forscher Asanda-Jonas Benya und Crispen Chinguno in der von Brot für die Welt in Auftrag gegebenen Studie “Warten auf Gerechtigkeit“.
Die Löhne seien zwar gestiegen, aber der aktuelle Grundlohn von umgerechnet 815 Euro (Oktober 2022) für festangestellte Arbeiter sei “kein existenzsichernder Lohn”. Die Reallöhne hätten sich durch die Inflation von 4,5 bis 5,7 Prozent seit den Protesten vor zehn Jahren verringert. Seit der Übernahme der Mine von Lonmin durch Sibanye-Stillwater (SSW) 2021 sei es zu einem massiven Stellenabbau und einem verstärkten Einsatz von Subunternehmen in den Minen gekommen.
Beim “Marikana-Massaker” waren am 16. August 2012 34 Menschen erschossen und 78 verletzt worden. Sie kämpften für höhere Löhne und bessere Wohnverhältnisse. In den Fokus geriet damals auch BASF als einer der größten Kunden der Mine. Das Unternehmen musste sich der Kritik von ESG-Investoren stellen. BASF verwendet große Mengen Platin zur Herstellung von Katalysatoren.
Heute sei BASF aber nur noch ein “kleiner Kunde” von SSW, sagte Thorsten Pinkepank, Direktor Corporate Sustainability Relations bei BASF am vergangenen Donnerstag bei der Vorstellung der Studie. Das liege daran, dass das Unternehmen einen größeren Anteil des Platins aus Recycling beziehen. Aber es gebe monatliche Kontakte mit SSW. Es sei “frustrierend”, wie es in den informellen Arbeitersiedlungen aussehe, sagte Pinkepank. cd
Die Bundesregierung will die Erneuerbaren massiv ausbauen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeiten von China verringert werden. Doch die Volksrepublik dominiert alle Produktionsschritte der Solar-Industrie. Und es gibt Zwangsarbeitsvorwürfe bei der Herstellung einiger Solar-Grundstoffe in Xinjiang. Eine Diversifizierung der Lieferketten, wie sie ein geleakter Entwurf des Auswärtigen Amtes zur neuen China-Strategie vorschlägt, wird schwierig.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) beherrscht China drei Viertel des Welthandels mit Solarprodukten. Entsprechend gehen 90 Prozent der EU-Importe von Solarmodulen auf China zurück. Der Entwurf der neuen China-Strategie des Auswärtigen Amtes sieht China als “Wettbewerber bei der grünen Transformation”. Aus der “starken bis beherrschenden Stellung” Chinas in manchen Bereichen grüner Technologien könnten “einseitige Abhängigkeiten entstehen”, so der Entwurf. Man wolle diese “Abhängigkeiten […] unter dem Aspekt der Risikominimierung verringern“.
Doch neben Abhängigkeiten geht es auch um mögliche Verletzungen der Menschenrechte bei der Produktion von Polysilizium, einem Ausgangsstoff für Solarzellen, in der Region Xinjiang. Vorwürfen zufolge müssen Menschen dort in einigen Fabriken Zwangsarbeit verrichten (China.Table berichtete). Das Auswärtige Amt ist daher laut Entwurf “im EU-Rahmen auch bereit, Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, wenn Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen mit anderen Mitteln nicht sichergestellt werden können”.
Zwar haben die USA deshalb mit dem “Uyghur Forced Labour Prevention Act” bereits einen Importstopp verhängt für Produkte, die in Xinjiang unter Zwangsarbeit hergestellt werden. Laut Jenny Chase vom Think-Tank BloombergNEF wird das Gesetz den Ausbau der Solarenergie in den USA jedoch “nicht stark bremsen”, weil es genug Polysilizium außerhalb der Region gäbe.
Wie China auf die Importeinschränkungen reagiert und eine zweite Solar-Lieferkette ohne Menschenrechtsverletzungen aufbauen will, erläutert Nico Beckert in der ausführlichen Analyse zu Lieferketten von Solarprodukten des Climate.Table. nib/nh
Vieles ist anders seit Beginn der Pandemie, seit Beginn des Ukraine-Kriegs, seit Beginn des post-fossilen Zeitalters… Moment, was? Ja, genau: des post-fossilen Zeitalters, das viele Menschen nicht wahrhaben wollen, weil sie in ein “Drill, drill, drill!” einstimmen, während einige Wenige sich die Taschen vollschaufeln. Dieselben, die weghören, wenn Menschen in den vulnerabelsten Weltregionen, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden und am häufigsten ausbeuterischen Strukturen ausgeliefert sind, sagen: “Bitte kauft uns die fossilen Energieträger nicht ab”. Die Abweichung vom Normal ist die Nachhaltigkeit. Das merken wir, wenn unsere Politik und Wirtschaft immer und immer wieder zurückfedert und wieder und wieder Technologien stärkt und Beschaffung praktiziert, die jene problematischen Strukturen geschaffen hat – statt sie mit grundlegend neuer Praxis wirklich zu lösen.
Wie entfesseln wir Innovation? Wie mobilisieren wir die wirtschaftlichen Kräfte zum Guten und setzen regulatorische Leitplanken so, dass sie unternehmerische Freiheiten erhalten und gesellschaftlich nützliche Lösungen ermöglichen?
Arbeitsthese: Wir brauchen einen neuen Tunnelblick. Raus aus den Subventionen und rein in die steuerlichen Anreize. Ins Cap & Trade von Emissionszertifikaten und da, wo es sie nicht gibt; in die Schattenbilanzierung ökologischer und gesellschaftlicher Schäden, für die Rückstellungen gemacht werden müssen, um auf etwaige Schadensklagen vorbereitet zu sein. Geübt wurde das ja schon am deutschen Klimaschutzgesetz. Die Gerichte werden in der Wahrheitsfindung eine Rolle spielen. Besser wäre es jedoch, wenn wir Berichte von Institutionen wie dem Bundesrechnungshof lesen und verstehen, warum jener dem Bund ineffektive und unkoordinierte Klimapolitik attestiert.
Während 16 Milliarden Euro im Jahr 2021 einen positiven Bezug zu den deutschen Umwelt- und Klimazielen leisten, stehen dieser Summe 65 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen im Jahr 2018 entgegen (Quelle: Umweltbundesamt). Das ist der staatlich organisierte Rebound-Effekt. Er generiert Fehlanreize und provoziert Uneindeutigkeiten. Deshalb: neuer Tunnelblick.
Was ist das Ziel nachhaltigen Wirtschaftens? Nachhaltig wirtschaften wir dann, wenn wir regenerativ mit allen verfügbaren Ressourcen umgehen, seien es menschliche, ökologische oder wirtschaftliche. Regenerativ heißt: mehr Nutzen stiften, als Schaden zu verursachen. Wenn unser Wirtschaften konsequent zu Ende gedacht und an jeden Ort, in jede Zeit übertragbar ist. Die wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise gilt es erst noch zu erfinden.
Im Kleinen gibt es sie schon und gab es viele guten Ideen, die ein Comeback verdienen. Ob das Solar Valley in Sachsen-Anhalt, Kampagnen wie “Solar, na klar!” auf sämtlichen Flachdächern inklusive des Abbaus regulatorischer Hürden für den Fall, Wettbewerbe – wer baut das smarteste Smart Grid für resiliente regionale Wirtschaftsstrukturen in Gegenden höchster Lebensqualität? Welche Technologien gibt es, die eine Wirtschaft mit zirkulärer Wertschöpfung und umweltpositiven Bilanzen aufweisen? Schauen wir sie uns doch an, die öko-bewegten Innovatoren, die eine Hydrothermale Karbonisierung oder ähnliche Technologien entwickelt haben, die bei keinem Innovationswettbewerb einen Stich machen – eben weil es sie schon so lange gibt? Woran liegt es, dass sich manche Dinge nicht durchsetzen? Ist es der Markt, die Nachfrage allein?
Regulierung muss als “Enabling Regulation” komplett neu gedacht werden. Raus aus den Details und technologischen Festlegungen in Bundesprogrammen und rein in die Zielformulierung, aus der sich die Wirkungsindikatoren ableiten lassen, anhand derer die nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten qualifiziert werden können. Die EU-Taxonomie hat hier einen wichtigen Anfang gemacht. Es ist ausdrücklich erlaubt, die Taxonomie in ihrer anspruchsvollsten Form umzusetzen.
Transformationstechnologien wie Gas und Atom dürfen den Übergang zum nachhaltigen Wirtschaften moderieren. Dieser Übergang ist kein Rastplatz, sondern Schleudersitz mit Zeitschaltuhr. Es ist konsequent, diese Transition ordnungspolitisch zu moderieren – und das tut die EU mit stoischer Ruhe seit der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die nach der konsequenten Unterbewertung von Kreditrisiken ganze Volkswirtschaften an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit gebracht haben. Gerettet hat sie: Solidarität in Europa. Griechenland steht seit diesem Frühjahr wieder auf eigenen Beinen. Wir brauchen mehr davon, auch ohne im akuten Krisenmodus zu sein. Ob wir es schon sind oder die Krise erst noch kommt, darüber lässt sich trefflich streiten.
Die unsichtbare Hand des Marktes versagt auch in der Chancen- und Risikobewertung, wenn es um die Entwicklung von Märkten für nachhaltige Güter und Dienstleistungen geht. Nach der Kapitalmarktunion brauchen wir die Europäische Energie-Union und ein Europäisches Wirtschaftsmodell. Jeremy Rifkin beschrieb 2004 den Europäischen Traum. Die Zeit, diesen Traum umzusetzen, ist jetzt: Die aktuelle Regierungskoalition bietet die große Chance, Rahmenbedingungen für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft zu setzen. Die Leitplanken für unternehmerische Freiheit werden neu verhandelt. An ihnen orientieren sich Innovation und Lösungssuche.
Die politische Vision des EU Green Deal, der umweltfreundlichste, wettbewerbsfähigste und inklusivste Wirtschaftsraum der Welt zu werden, lohnt jede Anstrengung und fördert den Wohlstand in regionalen Wertschöpfungsnetzwerken weltweit. Nie waren wir der Verwirklichung des Europäischen Traums näher, wenn Offenlegungsverordnungen für Finanzmarktakteure erzieherischen Charakter entfalten, wenn die Ausweitung von Berichtspflichten an Unternehmen die Lieferketten integrieren und wenn die Wahrnehmung von Sorgfaltspflichten in komplexe Strukturen münden. Dabei gilt es, die Marktanreize auch für die Beschaffung der öffentlichen Hand zu schaffen, um nachhaltiges Wirtschaften zu belohnen. Das wird dann auch die letzten Nachzügler unternehmerisch überzeugen – und dann heißt es: Nachhaltigkeit wird gemacht, koste es, was es wolle!
Yvonne Zwick ist seit 2021 Vorsitzende des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.). Die Theologin ist Expertin für Governance von Nachhaltigkeit, Berichterstattung und nachhaltiges Wirtschaften. Vor ihrem Engagement bei B.A.U.M. e.V. arbeitete sie 16 Jahre beim Rat für nachhaltige Entwicklung, erst als wissenschaftliche Referentin, dann als stellvertretende Generalsekretärin. Die letzten vier Jahre leitete sie zudem das Büro Deutscher Nachhaltigkeitskodex.
“Keine Frage, die Menschheit kann sich mit Innovationen aus schwierigen Situationen heraushelfen”, sagt Arwen Colell. Aber die Gesellschaft verstehe Innovationen vor allem technisch, unterschätzt würde das Potenzial sozialer Innovationen für eine erfolgreiche Transformation der Wirtschaft, etwa Verhaltensänderungen. “Was nutzt die tollste Erfindung, wenn niemand sie gebraucht?” Mit sozialen Innovationen kennt sie sich aus. Damit beschäftigt sie sich als Forscherin und Unternehmerin mit Blick auf die Energiewende.
Sie beschränkte sich während ihres Studiums der Politikwissenschaft in Berlin, Japan und den USA nicht auf die Theorie, sondern gründete mit anderen eine Genossenschaft, um die Energiepolitik der Hauptstadt zu verändern. Bis heute ist sie in der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin im Aufsichtsrat. Sie verfolgten ein ehrgeiziges Ziel: Die komplette Übernahme des Berliner Stromnetzes, um es dezentral und nachhaltig auszurichten. Die Chance bot sich 2011, als das Land Berlin einen neuen Netzbetreiber suchte. Für ihr Vorhaben gewann die Genossenschaft rund 3.000 Mitglieder, bekam aber einen Korb. Den Zuschlag erhielt die stadteigene Gesellschaft Stromnetz Berlin GmbH – sie übernahm das Netz von dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Aber die rot-grün-rote Landesregierung will die Strom-Genossen als Mitgesellschafter ins Boot holen. So steht es im Koalitionsvertrag. Arwen Collel gestaltet schon jetzt im Aufsichtsrat der Stromnetz Berlin GmbH die Strategie mit.
Ihre Forschungen haben sie darin bestärkt, sich für die Beteiligung von Bürgern an Energieinfrastrukturen einzusetzen. Sie untersuchte Projekte in Deutschland, Schottland und Dänemark. Ihr Fazit: Menschen engagieren sich in bürgereigenen Energiestrukturen, um eigene Werte umsetzen und Verantwortung übernehmen zu können, “sie möchten etwas bewegen können”. Beeindruckt war die Forscherin von Bürgern auf den schottischen Hebriden. Sie wehrten sich erfolgreich gegen den massiven Ausbau der Windenergie vor ihrer Küste, aus gutem Grund: Sie lebten vom Tourismus und außerdem hätte wegen des rauen Klimas ohnehin nur im Schnitt an rund 24 Tagen im Jahr an den Windanlagen im Meer gebaut werden könnten. Aber die Bürger legten sich für eine Alternative ins Zeug: Sie installierten Anlagen für die Stromgewinnung aus Regenwasser, was es hier reichlich gibt. Anders als Windräder kann man diese Anlagen auch begrünen, so dass sie mit der Landschaft verwachsen.
Natürlich benötigen lokale Energieprojekte ausreichende Mittel. Aber die Forscherin zeigte, dass die erfolgreiche Umsetzung mindestens ebenso stark von weichen Faktoren abhängt. Ihr Wissen brachte sie am Mercator Research Institute on Global Commans and Climate Change ein. Sie koordinierte dort den sogenannten Grünbuch-Weißbuch-Prozess. Dabei lernten Wissenschaftler, Politiker und Gesellschaft gemeinsam, aufbauend auf Forschungsergebnissen, wie sich die deutsche Energiewende beschleunigen lässt.
Dazu gründete Colell Anfang 2022 mit anderen ein Unternehmen: decarbon1sze. Sie selbst verantwortet dort die Bereiche Regulierung, Stakeholder und Beteiligung. Die Idee: Prinzipiell lässt sich durch die Nutzung von Batterien in Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen und sonstigen Speichern die Abnahme und Nutzung von Strom verschieben. Solch kleinräumige Flexibilitäten trügen dazu bei, die Belastung des Verteilernetzes zu verringern und die Effizienz sowie Stabilität des gesamten Elektrizitätssystems zu erhöhen. Dazu entwickelt die Firma Lösungen für die digitale Messung, Abrechnung und Steuerung solch kleiner Flexibilitäten. Die gemeinsame Entwicklungsarbeit mit dem Netzbetreiber 50Hertz wird auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. “Wir schaffen mehr Teilhabemöglichkeiten für Menschen und beschleunigen damit die Energiewende”, sagt die Unternehmerin, ihr Plädoyer: “Soziale Innovationen und technische Innovationen sollten Hand in Hand gehen”. Caspar Dohmen
Wie gut es Vögeln geht, sagt viel über den allgemeinen Zustand der Natur aus. Denn Vögel sind auf intakte Ökosysteme angewiesen und reagieren schnell, wenn es sich verändert, beispielsweise durch Pestizide. Rachel Carson, die Zoologin, Biologin und Wissenschaftsjournalistin aus den USA, thematisierte dies vor 60 Jahren. 1962 erschien ihr Buch Silent Spring. Es führte schließlich zum Verbot von DDT und motivierte viele Menschen in den USA, sich der entstehenden Umweltbewegung anzuschließen.
Und das Thema ist aktueller denn je, gerade in Deutschland. Mehr als die Hälfte aller verbliebenen rund 260 Brutvogelarten ist gefährdet. Vor allem in Agrarlandschaften leben laut dem Naturschutzbund Deutschland immer weniger Vögel. Wiesenvogelarten, wie Bekassine, Uferschnepfe oder Brachvogel, die früher ganze Landstriche charakterisierten, seien heute ausnahmslos “vom Aussterben bedroht”.
Nach den Zielen der neue EU-Biodiversitätsstrategie sollen 30 Prozent aller gefährdeten Arten bis 2030 in einen guten Erhaltungszustand gebracht werden. Nichts spricht dafür, dass Deutschland das Ziel 2030 erreicht. Bereits 2010 und 2020 verfehlte das Land die Ziele. Wie aktuell der Umweltklassiker Silent Spring ist, wird sich bei der anstehenden Biodiversitätskonferenz in Montreal vom 7.-19. Dezember zeigen. Caspar Dohmen
wer ESG auf eine Frage verkürzt, der könnte fragen: Wie sind Unternehmen auszurichten, damit ihre Ziele jenen der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen? Die Antwort auf diese Frage geben Akteure aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft – gemeinsam! Eine solche Gesellschaft ist nicht nur wettbewerbs- sondern auch ökologisch und sozial zukunftsfähig. Und eine solcherart integrierte Wirtschaft berücksichtigt die planetaren Grenzen, sie setzt sich ein für soziale Gerechtigkeit. Gerade für findige und verantwortungsvoll Wirtschaftende bieten sich immense Chancen bei dieser Transformation.
Sie sind hier, weil Sie bereits als Akteure am Tisch sitzen und an den künftigen Entscheidungen teilhaben.
Willkommen am ESG-Table.
Wir sind Caspar Dohmen und Torsten Sewing und wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen am Table, zu den Wegen in eine zukunftsfähige Wirtschaft. Für die erste Ausgabe laden wir ein zur ersten Tour de Force.
Was lesen Sie heute im ersten ESG.Table?
Der ESG.Table beginnt mit der Lieferkettenregulierung. Denn die geplante EU-Richtlinie für eine nachhaltige und faire Lieferkettenregulierung dürfte schärfer ausfallen als das deutsche Lieferkettengesetz. Zwar variieren die Vorstellungen von Kommission, Parlament und Rat mit Blick auf die Regulierung, aber alle drei gehen mit ihren Plänen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Am Donnerstag wollen die Wirtschaftsminister im EU-Rat ein entsprechendes Papier beschließen. Charlotte Wirth beschreibt im Europe.Table, wie der Rat den Vorschlag der Kommission abschwächen will.
Die Lieferkettenregulierung schafft mit ihren einheitlichen Berichtspflichten die Grundlage für validere Informationen über die sozialen und ökologischen Auswirkungen wirtschaftlichen Tuns, schreibt Caspar Dohmen. Aufgrund dieser Informationen können NGO, Think Tanks, Wissenschaft und Ratingagenturen Unternehmen vergleichen. Damit schaffen sie die Voraussetzungen für ESG-gerechte Investitionen, an denen sich alle Akteure orientieren können.
Auf diesem (sehr langen) Weg geraten auch die Bedingungen des Wirtschaftens stärker als bisher in den Blick. Die bislang nicht-finanzielle Ökobilanz bekommt nun eine neue Bedeutung: Sie hilft im Rahmen von Impact Investing bereits einigen Unternehmen bei der Finanzierung, schreibt Torsten Sewing.
Wie sich ESG schon heute mit Finanzierungsvorteilen in Lieferantenbeziehungen verbinden lässt, berichtet Annette Mühlberger. Schon vor Jahren brachte ein Manager des Hidden ESG-Champion Puma dies auf die griffige Formel: Mehr ESG ist gleich mehr Cash Flow!
Forscher weisen nach, dass Unternehmen kaum auf ESG-Ratings reagieren. Immerhin verfolgen Unternehmen aber schon deutlich anspruchsvollere Kriterien bei der Finanzierung von Projekten als die FIFA. Dennoch, so macht der Standpunkt von Yvonne Zwick, Vorstandsvorsitzende von B.A.U.M. e.V. deutlich, sind sie die Ausnahme.
Ihre Redaktionsleiter
Mit dem deutschen Lieferkettengesetz und der erwarteten EU-Richtlinie steigt der Druck auf Unternehmen, Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Doch Unternehmer sollten aus Eigeninteresse dafür sorgen, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten kommt.
Ab dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), ähnliche nationale Regeln gibt es auch in anderen Staaten. Die EU arbeitet an einer europäischen Regelung. Auch in Handelsabkommen vereinbaren Staaten häufiger höhere ökologische und soziale Standards.
Bewegung gibt es selbst auf Ebene der Vereinten Nationen: Staaten verhandeln im UN-Menschenrechtsrat seit 2014 über ein Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty). Es soll eines Tages alle Vertragsstaaten verpflichten, verbindliche Regeln für Unternehmen zu schaffen und es den Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in Wertschöpfungsketten leichter machen, über Grenzen hinweg ihre Rechte durchzusetzen.
Wichtig für Unternehmen: Die Ära der freiwilligen Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte in ihren Lieferketten endet. Perspektivisch werden sie auf National-, EU- und Völkerrechtsebene verpflichtet, auch dort die Menschenrechte einzuhalten. Unternehmen müssen ihre Lieferketten daher genau analysieren, insbesondere die unabhängigen Zulieferer. Auch Firmen, die nicht direkt betroffen sind, sollten sicherstellen, dass bei ihren Zulieferern Menschenrechte eingehalten werden. Denn auch sie werden aufgrund der neuen Regeln auf nationaler und EU-Ebene verpflichtet, weil ihre Auftraggeber ihnen entsprechende Vorgaben für die Einhaltung von Standards samt Nachweisen machen werden.
Seit dem Start der Debatte über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Deutschland wünschen sich manche Politiker, Unternehmen und Verbände eine Safe-Harbour-Klausel. Die Idee: Wenn Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, soll deren Haftung begrenzt werden. Befürworter nennen dafür als Beispiel die Beteiligung von Unternehmen an Brancheninitiativen wie dem Textilbündnis oder die Zertifizierung globaler Produktionsprozesse durch externe Prüfer. Politisch macht es Sinn, Anreize für Unternehmen zu setzen, die mehr tun, als der Gesetzgeber vorschreibt. So könnten Fälle ausgeklammert werden, wo leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Aber bei schweren Verstößen werden die Unternehmen haften. Das galt auch schon vor dem Start von Lieferkettengesetzen.
Wichtig für Unternehmen: Nach jetzigem Stand ist es unwahrscheinlich, dass es auf europäischer Ebene eine rechtsverbindliche Safe-Harbour-Klausel geben wird. Abgesehen davon kann es keinen umfassenden sicheren Hafen für Unternehmen geben. Beim Einsturz von Rana Plaza in Bangladesch starben mehr als 1.130 Menschen. Unter der Schlammlawine nach dem Bruch eines Damms der Eisenerzmine Brumadinho in Brasilien mehr als 270 Menschen. Beide Anlagen waren zertifiziert.
Zwar könnte eine Safe-Harbour-Klausel die juristischen Haftungsrisiken begrenzen, aber mögliche strafrechtliche Folgen oder Reputationsrisiken mit ihren ökonomischen Folgen blieben erhalten. Es liegt im ureigenen Interesse von Unternehmen, die Risiken in ihren Lieferantenbeziehungen wirklich zu reduzieren. Wer dabei Fortschritte macht, hat einen Wettbewerbsvorteil.
Bei der Erfassung von Risiken für Mensch und Natur wird die Welt selbst in weit abgelegenen Produktionsanlagen zunehmend zum Dorf. Spezielle Dienstleister bewerten immer genauer, ob Klimarisiken, politische Risiken oder menschenrechtliche Vorfälle auftreten. Für solche Informationen ist ein Markt entstanden, der expandiert. Treiber sind die Unterbrechungen der Lieferketten infolge der Pandemie und des Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie die menschenrechtlichen Regulierungsvorhaben. Firmen können sich also immer schneller ein deutlich umfassenderes Bild von der Lage bei ihren Zulieferern machen.
Wichtig für Unternehmen: Bislang lässt sich kaum beurteilen, welche Unternehmen sich besser oder schlechter um menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten kümmern. Das ändert sich. Denn auch Think Tanks und NGO werden die genaueren Informationen über Zulieferer in aller Welt auswerten und zur Basis von Studien, Reports und Kampagnen machen.
Das ermöglicht Scoringmodelle – diese erlauben künftig eine genauere Beurteilung von Unternehmen und damit auch Vergleiche. Daran haben Investoren, Kreditgeber, Kunden und Medien großes Interesse. Damit steigt der Druck auf Unternehmen enorm, die menschenrechtlichen Risiken in ihren Lieferketten nachweislich zu reduzieren. Helfen dürfte es Unternehmen, wenn sie dabei häufiger zusammenarbeiten.
Unternehmen können manches wichtige Problem bei Zulieferern kaum allein lösen, etwa eine die Grundbedürfnisse sichernde Bezahlung der Beschäftigten. Manche Firmen haben es versucht, sind aber wegen Konkurrenten gescheitert, die selbst keine Lohnerhöhungen ermöglichten und davon profitierten, dass andere dies in Fabriken zuließen. Letztere hatten durch die Trittbrettfahrer Wettbewerbsnachteile. Aber aufgrund der steigenden Zahl von Lieferkettengesetzen müssen alle Unternehmen umdenken. Die Zahl der Trittbrettfahrer wird sinken. Dadurch werden Kooperationen von Unternehmen erleichtert, etwa bei Beschwerdemechanismen entlang von Lieferketten.
Wichtig für Unternehmen: Beschwerdemechanismen einzurichten, ist anspruchsvoll. Wie erfahren Arbeitende bei Zulieferern tief in der Lieferkette, wer das Endprodukt abnimmt? Wie können Betroffene anonym bleiben, was häufig notwendig ist, damit sich überhaupt Menschen zu Wort melden? Wie lässt sich sicherstellen, dass Betroffene privaten Beschwerdemechanismen trauen?
Der Teufel steckt im Detail. Wer allein aufgrund einer anonymen Beschwerde eines Arbeitenden etwa einen Vorarbeiter entlässt, ohne den Sachverhalt genau zu klären, verstößt gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Sinnvoller wäre es, wenn möglichst viele Unternehmen sich bei den Beschwerdemechanismen zusammentäten, so wie es eine Handvoll Unternehmen aus der deutschen Automobilbranche in Mexiko machen wollen. Die deutsche Automobilbranche dürfte aufgrund ihrer Größe in der Lage sein, ein solches System zu etablieren. Aber selbst in diesem Fall wäre es effektiver, wenn sie sich mit Autobauern aus Frankreich oder den USA zusammentäten.
Die nur schwer zu übersehende Fülle an ESG-Ratings, Indikatoren und Kriterienkataloge will die schädlichen Wirkungen von Unternehmen reduzieren. Impact Investing, das gezielte Investieren in positiven “Impact”, ist anspruchsvoller als das durch ESG anzustrebende “Do No Harm”. Diese Art des Investierens will Unternehmen dabei unterstützen, sich ökologisch und sozial als zukunftsfähig zu positionieren.
Belastbare Daten zum ökologischen Wirtschaften sind ausreichend vorhanden: Die systematische Analyse und Bewertung der Umweltwirkungen im gesamten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen gehört als Ökobilanz seit langem zur “nicht-finanziellen” Berichterstattung. Eine Inwertsetzung dieser Daten erweitert das Feld: Wo ESG zur Pflicht wird, ist Impact Investing die Kür. Neue Geldgeber betreten das Feld, erste Venture Capital (VC) Unternehmen sind bereits aktiv.
Warum die Ökobilanz Unternehmen nützt, führt Lena Thiede aus, Mitgründerin des Hamburger VC Planet A: “Jeder ist ja mittlerweile nachhaltig, und mit der Ökobilanz schneidest du durch diesen grünen Nebel und bringst die Evidenz, dass deine Lösung tatsächlich an den großen Hebeln ansetzt.” Für die meist jungen Unternehmen heißt das, die Ökobilanz bei Gesprächen mit Geldgebern als überzeugendes Argument für die Finanzierung einzusetzen. Die Lebenszyklusanalysen oder Ökobilanzen erlauben es, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu investieren.
Die Ökobilanz ist dabei nur der Anfang dieser Monetarisierung von Wirkung: Derzeit arbeitet Planet A daran, das Rahmenwerk der planetaren Grenzen so mit Ökobilanzierungen zu verbinden, dass die Veränderungen innerhalb der einzelnen Grenzen im System abgebildet werden. Das gilt beispielsweise auch für die Biodiversität, die allerdings nicht so einfach zu messen ist wie der CO2-Ausstoß.
Allerdings profitieren die für eine Transformation erforderlichen sozialen Kriterien nicht von den zunehmend ausgefeilten Instrumenten im ökologischen Bereich. Das liegt laut Thiede vor allem daran, dass im sozialen Bereich der Kontext entscheidet – und der ist in der Regel lokal, nicht skalierbar und damit für Investments ungeeignet. Planet A behilft sich daher zu Fragen wie Menschenrechten, Inklusion und Antikorruption mit ESG-Fragebögen.
Dr. Andreas Rickert ist CEO der gemeinnützigen Beratung Phineo AG und hat noch einen anderen Blick auf das Problem fehlender Standards im sozialen Bereich. Für ihn zählt neben der Messbarkeit die Intention. Es geht ihm um das “Mindset” – zu erkennen, was die Unternehmer und Investoren bewegen wollen, was der Gesellschaft Nutzen stiftet. Das sei zu sehen in Pressemitteilungen, in Gesprächen mit der Geschäftsführung, im Geschäftsmodell. Und selbst wenn die meisten sozialen Kriterien nicht gemessen werden können und nicht skalierbar sind: Erste Standards entstünden, ein Rahmenwerk liege zumindest für den Prozess des Impact Management vor.
Entscheidend ist für Rickert, dass wir nicht mehr in einer Welt leben, in der auf der einen Seite die ganzheitlich denkenden Menschen als “Treehugger” gelten und auf der anderen Seite Investoren automatisch gierige Kapitalisten sind. Die Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, bringe Akteure zusammen, so Rickert. Dieser Prozess sei im Gang, es gebe erste Frameworks und hilfreiche Ansätze.
Und auch die EU arbeitet daran, eine gemeinsame Sprache für alle Stakeholder zu entwickeln. Die EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) erarbeitete für die Kommission den ersten und “mit allen Stakeholdern abgestimmten” Entwurf zu European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Das Ziel: übergreifende ESG-Standards zu formulieren und damit die Transparenz zwischen den immer noch oft als Silos wahrgenommenen umweltbezogenen, sozialen und unternehmensbezogenen Inhalten der ESG zu erhöhen.
Auch wenn es einfacher ist, den ökologischen Impact eines Unternehmens als Silo auszuweisen, sind die sozialen und ökologischen Aspekte unternehmerischer Tätigkeit zusammenzudenken. Das ist leichter, als gemeinhin angenommen – denn wer einen Prozess belegbar ökologisch gestaltet, der leistet damit in der Regel auch einen sozialen Beitrag. Nächste Woche stellen wir die kontext-basierten Sustainable Development Performance Indicators (SDPI) vor – einen weiteren Schritt, diesen Zusammenhang nachvollziehbar zu machen
Supply Chain Finance (SCF), zu Deutsch Lieferkettenfinanzierung, ist ein Instrument aus dem Working Capital Management. Indem Lieferanten ihr Geld deutlich vor der eigentlichen Fälligkeit der Rechnungen erhalten, erhöht sich die Liquidität in der Lieferkette. Die Zwischenfinanzierung übernehmen Finanzpartner. Für die Lieferanten ergibt sich aus der besseren Bonität der Kunden ein Zinsvorteil. Großunternehmen wie Siemens betreiben das sogenannte Reverse Factoring seit Jahren. Mittlerweile bieten neben Banken auch Fintechs Finanzierungslösungen. Dass sich die Finanzierung mit ESG-Zielen verbinden lässt, macht das Instrument für die nachhaltige Lieferantenentwicklung interessant.
Der Sportartikelhersteller Puma sammelt mit der ESG-verbundenen Lieferkettenfinanzierung seit 2016 Erfahrung. Die bis dahin für Lieferbeziehungen völlig unübliche Kombination von mehr ESG gleich mehr Cashflow hat Frank Wächter, von Puma Global Director Treasury & Insurance, vor sechs Jahren gemeinsam mit Banken entwickelt.
Jetzt wenden auch andere Unternehmen die Formel an. So koppelt etwa der Chemiekonzern Henkel seit 2022 seine Lieferkettenfinanzierung (zunächst für seine europäische Lieferantenbasis) an ESG-Ratings. Und der US-Handelsriese Walmart hat ein SCF-Programm gestartet – mit dem Ziel, bei seinen Eigenmarken den CO2-Fußabdruck zu reduzieren.
Kein Lieferant muss, jeder kann mitmachen, ist das Prinzip, das Puma seit dem Start für sein Finanzierungsangebot auslobt. Einzige Voraussetzung für die Teilhabe: Der Lieferant (die meisten Produzenten für Puma sitzen wie beim Gros der Sportartikel- und Fashion-Industrie in Asien) erreicht ein bestimmtes ESG-Rating. Liegt das aktuelle Rating, das aus einem Mix aus NGO-Indizes, eigenen und externen Audits ermittelt wird, über dem Durchschnitt, gibt es on top günstigere Finanzierungskonditionen.
ESG-abhängige Lieferkettenfinanzierung unterscheidet sich von anderen Bonus-Malus-Verfahren, über die man die ausgelagerte Wertschöpfung steuert. “Nachhaltigkeit muss sich für Lieferanten auch lohnen”, sagt Wächter. 356 Lieferanten für Produkte, Materialien und Komponenten weist Puma aus. Über das Finance-Programm verfolgt Puma soziale Kriterien wie faire Löhne, Arbeitsbedingungen, Krankenversicherungsstatus der Belegschaft, aber auch ökologische Kennzahlen wie den Wasserverbrauch in den Fabriken.
Außerdem will Puma weiter vorne in der Wertschöpfung einsteigen, in die Pilotierung einer Pre-Shipment-Finanzierung. In diesem Fall werden Forderungen bereits vor Rechnungsstellung beglichen – bevor die Ware also an der Schiffsrampe und damit vor dem juristischen Gefahrenübergang steht, was Lieferanten mehr finanziellen Spielraum gibt. “Unser Ziel sind langfristige, nachhaltig stabile Lieferbeziehungen”, begründet Wächter die Motivation für das Finanzierungsprogramm.
Schon heute erhalten die Firmen, die an dem Programm teilnehmen, spätestens fünf Tage nach Rechnungsstellung ihr Geld. Und das ist deutlich schneller als eine Zahlung über die im Industrieeinkauf sonst üblichen Fristen, die je nach Branche und Unternehmen zwischen 30 und 90 Tagen liegen. Abgewickelt werden die Transaktionen bei Puma über ein elektronisches Portal, an das alle Lieferanten angeschlossen sind.
Bisher kommen die ESG-Ratings und Audits, die Puma für das Monitoring nutzt, unter anderem von der Fair Labor Association und Better Work, einem Kooperationsprogramm von ILO (International Labour Organization) und IFC (International Finance Corporation). Hinzu kommen eigene Prüfungen, Lieferantenbesuche und Audits durch den Einkauf. “Uns ist grundsätzlich an einer Überprüfung durch unabhängige Auditoren gelegen. Das hat für die Lieferanten den Vorteil, dass sie sich nicht für alle Kunden einzeln auditieren lassen müssen”, sagt Wächter.
Auch aus diesem Grund begrüßt nicht nur Puma, dass die internationale Handelskammer (ICC) nun erstmals globale Standards für ESG-Ratings für die Handelsfinanzierung entwickelt. “Im Verlauf dieses Prozesses hat sich gezeigt, dass wir branchenabhängige ESG-Standards brauchen, da die Lieferketten in den verschiedenen Industrien sehr unterschiedlich sind”, betont Wächter, der in der ICC-Arbeitsgruppe Sustainable Trade Finance mitwirkt. Für die Bekleidungsindustrie werden diese Branchenstandards nun parallel entwickelt.
David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TU München, sieht Potenziale, aber auch Zielkonflikte. “Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Unternehmen mit Supply Chain Finance ein weiteres Tool an der Hand haben, um die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten langfristig zu steigern”, sagt er. “Werden die Programme außerdem nur für Lieferanten mit hinreichender ESG-Performance angeboten, setzt das nochmal stärkere Anreize, als allein bessere Finanzkonditionen, widerspricht allerdings zunehmend dem eigentlichen Gedanken von SCF, nämlich mehr Liquidität in die Lieferkette zu bringen”, ergänzt Wuttke.
Um mit Supply Chain Finance mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Firmen einige Dinge beachten. “Unternehmen brauchen eine Working Capital Agenda und es braucht Zusammenarbeit. Allein aus dem Blick der Finanzverantwortlichen heraus, ohne den Input aus dem Einkauf und der IT, lässt sich so ein Programm nicht umsetzen”, lautet die Erfahrung von Olaf Haferkorn, Spezialist für Lieferkettenfinanzierung bei der deutschen Tochter der Londoner Großbank HSBC. Entscheidend seien einheitliche Ziele, eindeutige Kennzahlen, gerade in Bezug auf ESG.
Seit vielen Jahren genutzt wird die Lieferkettenfinanzierung in der chemischen Industrie, im Automotive- und Fashion-Bereich. Gerade in mittelständischen Unternehmen gebe es oft noch Verbesserungsbedarf, beobachtet Haferkorn. “Viele Unternehmen haben zwar eine Nachhaltigkeitsstrategie, aber sie sind meist noch nicht so weit, dass sie ihren Lieferanten ESG-Ratings gegeben haben”, sagt er und beschreibt damit das aktuell größte Hemmnis, eine ESG-incentivierte Lieferkettenfinanzierung schon in der Praxis einzusetzen.
Hat sich die Arbeitsrechtslage in Katar verbessert?
Nach übereinstimmenden Angaben von ILO und Amnesty ja. Formell abgeschafft ist das Kafala-System, bei dem man in einer Art modernen Leibeigenschaft lebt. Zum Ausmaß der Menschenrechtsverstöße kann man schwer etwas sagen, wahrscheinlich sind hunderte, wenn nicht tausende Arbeiter gestorben. Die ILO äußert sich positiv über Katar: Es habe sich viel getan und in der ganzen Golfregion gebe es kein anderes Land mit solchen Fortschritten. Aber es ist wohl kein großer Durchbruch, der jenseits der WM-Stadien alle Wirtschaftssektoren erreicht, und es ist offen, was bleibt, wenn die Scheinwerfer wieder ausgehen.
Kann man daraus etwas für künftige große Sportereignisse in autoritär regierten Staaten lernen?
Man hätte bei der Vergabe die gleichen Auflagen machen müssen wie bei Investitionen in Staudämme, erneuerbare Energieparks oder Niederlassungen von Unternehmen. Da hätte drinstehen müssen, dass für den Bau der Stadien die ILO-Standards und die Einhaltung der Menschenrechtsverträge gelten, dass dies auch entsprechend überwacht wird, dass es Gewerkschaftsfreiheit gibt und Beschwerdemöglichkeiten.
Welche Standards hätte man sinnvollerweise verwendet?
Es gibt beispielsweise als Standards für Privatinvestitionen die Performancestandards von der IFC, dem Privatarm der Weltbank. Die sind als Standards für die wichtigen Themen bei Investitionsvorhaben ziemlich gut geeignet. Da geht es um Partizipation, indigene Landrechte, Umsiedlungen, Arbeitsrechte inklusive Arbeitsschutzgesetze und so weiter. Wenn man die angewendet hätte, wäre schon viel gewonnen gewesen. Das hat aber nicht stattgefunden. Die FIFA hat sich im Grunde um diese Themen nicht ausreichend gekümmert.
Sind die IFC-Standards noch verbesserungsbedürftig?
Für Privatinvestitionen sind sie sehr gut nutzbar. Die Standards sind zuletzt 2012 revidiert worden. Sie sind auch noch besser als die entsprechenden neuen Weltbank-Safeguards für öffentliche Investitionen, aber natürlich könnte man auch sie noch verbessern. Dies habe ich in einer Studie mit Blick auf die Landfragen aufgezeigt. Da könnte mehr Detailtiefe helfen, wie sie die Freiwilligen Leitlinien für verantwortliche Investitionen in Land enthalten, die ebenfalls 2012 im Kontext der Welternährungsorganisation erarbeitet wurden. Aber für ein normales Investitionsvorhaben kann man damit sehr viel anfangen.
Es gibt immer wieder die Forderung nach einer Verschiebung des LkSG.
Das Gesetz kommt. Alles andere wäre auch schwierig. Denn dann würden wieder die Unternehmen bestraft, die sich frühzeitig um das Thema gekümmert haben.
Aber was ist von dem Argument zu halten, dass die Unternehmen wegen der Pandemie und dem Krieg einen Aufschub brauchen?
Gerade durch die Pandemie sind Lieferketten enorm unter Druck gekommen, sie verändern sich, werden neu strukturiert. Dies ist ein guter Augenblick, um gleichzeitig die menschenrechtliche Sorgfalt und die Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen. Die meisten Unternehmen müssen oder wollen bis 2035/40 klimaneutral sein. Da macht es doch keinen Sinn, fünf Jahre ungenutzt verstreichen zu lassen. Das gleich gilt für soziale Bedingungen. Beim derzeitig ohnehin stattfindenden Umbau der Lieferketten macht es doch Sinn, gleich dafür zu sorgen, dass die sozialen Risiken minimiert werden. Teilweise wird dies durch eine Rückverlagerung nach Europa erfolgen, wenn etwa in Spanien eine neue Solarindustrie aufgebaut wird. Teilweise werden das Verbesserungen bei bestehenden Lieferanten aus dem globalen Süden sein, teilweise auch neue Zulieferer.
Laut dem LkSG muss ein Unternehmen aktiv werden, wenn es von Menschenrechtsverstößen bei einem Lieferanten hört. Aber wann hat es das – genügen Mitteilungen in den Sozialen Medien?
Berichte in den sozialen Medien oder in anderen Medien können genug Substanz haben, Unternehmen auf Probleme hinzuweisen und könnten so als Startpunkt möglicherweise ausreichen. Am Ende wird sich das in der Praxis des Bafa als zuständiger Behörde klären. Das Gesetz und die Gesetzesbegründung gehen aber relativ weit. Es gab zwar erhebliche Einflussnahme von Lobbyisten aus der Wirtschaft auf den deutschen Gesetzgeber, um zu verhindern, dass die Risikoanalyse auch Probleme tief in der Lieferkette umfassen muss. Und tatsächlich stehen im Gesetz zunächst die direkten Zulieferer im Fokus, aber Unternehmen müssen eben auch aktiv werden, wenn sie von Missständen in der Lieferkette substanzielle Kenntnisse haben. Hier hat der Gesetzgeber sich weitgehend mit seinen Vorstellungen durchgesetzt.
Ist die Koordinierung der Sorgfaltspflichtengesetze gut in der Compliance-Abteilung aufgehoben?
Nach dem LkSG müssen große Unternehmen ab 2023 jetzt einen Menschenrechtsbeauftragten haben. Ich habe zuletzt vier solcher künftigen Menschenrechtsbeauftragten kennengelernt, zwei saßen in der Compliance-Abteilung, zwei in der ESG-Abteilung.
Macht das einen Unterschied?
Es ist zu früh, dies zu sagen. Menschen in der Compliance-Abteilung sind tendenziell eher Juristen und vorsichtiger. Sie werden möglicherweise schneller nervös bei Risikoanalysen und suchen eventuell sicherere Problemlösungen wie die Trennung von Lieferanten. In ESG-Abteilungen arbeiten möglicherweise eher problemorientierte Leute, die länger verschiedene Lösungswege ausprobieren. Aber dies muss sich in der Praxis in den kommenden Jahren zeigen.
Grundsätzlich gilt, dass es bei vielen Problemen sinnvoll sein kann, zu versuchen, sie über einen Zeitraum zu lösen oder die Situation zumindest deutlich zu verbessern. Das wäre auch entwicklungspolitisch sinnvoll, denn Lieferanten hätten dann genügend Zeit, die Probleme aus der Welt zu schaffen. Hier liegt eine große Chance, um die Prozesse zu verbessern.
30.11.-2.12.2022
Konferenz PRI in Person & Online 2022
Die Investoreninitiative Principles for Responsible Investment lädt zur Konferenz nach Barcelona ein. Anmeldungen sind noch für digitale Teilnehmende möglich. Die Veranstaltung ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
1.12.2022
Akzente / Accenture, Webtalk LkSG in der Praxis: Präventions- und Abhilfemaßnahmen
In der Talkreihe wird die Umsetzung des LkSG in der Praxis diskutiert. Die erste Veranstaltung drehte sich um das Thema Risikoanalyse. In diesem zweiten von vier Talks geht es um Präventions- und Abhilfemaßnahmen. Info & Anmeldung
9.12.2022
Veranstaltung, Berlin Towards Europe 2030 (Institut Open Diplomacy)
Unter dem Motto Towards Europe 2030 sprechen Expertinnen und Experten in verschiedenen Panels über die Ambitionen und Herausforderungen für ein nachhaltiges Europa. Info& Anmeldung
13.12.2022
Digitale Informationsveranstaltung Nachhaltiges Wirtschaften und Sustainable Finance (NRW Bank)
Unternehmen aus NRW berichten über ihre Vorhaben und Erfahrungen, wie sie sich zukunftsfähiger aufgestellt haben sowie welche Herausforderungen sie dabei zu überwinden hatten. Info & Anmeldung
30.11.2022
Veranstaltung, Berlin Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse der Stakeholder-Plattform Strommarktdesign (VDMA)
Stakeholder aus Politik und Wirtschaft diskutieren, wie die Klimaschutzziele für den Stromsektor erreicht werden können, ohne die Bezahlbarkeit von Strom und die Versorgungssicherheit zu gefährden. Info & Anmeldung
1.-2.12.2022
Kongress, Düsseldorf 15. Deutscher Nachhaltigkeitstag: Transformation in Krisenzeiten
Wie gelingt die notwendige Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft inmitten von geo-, finanz- und sozialpolitischen Krisen? Unter diesem Motto wird dieses Jahr der Deutsche Nachhaltigkeitspreis vergeben. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info und Anmeldung
6.12.2022
Webinar Corporate Reporting as a driver to achieving the SDGs (GRI)
Im Webinar diskutieren die Teilnehmenden, welche Bedeutung Berichterstattung für die Erreichung der Sustainable Development Goals hat. Info & Anmeldung
6.12.2022
Veranstaltung, Berlin Kolloquium der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft zu «Landwirtschaft in der Heiß-Zeit» (DLG)
Forscherinnen und Forscher präsentieren ihre Handlungsansätze für die Gestaltung einer resilienten und regenerativen Landwirtschaft, die vor allem Dürre trotzen können muss. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
7.12.-19.12.2022
Biodiversitätskonferenz (CBD COP 15), Montreal
Die Biodiversitätskonferenz COP 15 sollte ursprünglich 2020 im chinesischen Kunming stattfinden und wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Die Konferenz wurde dann auf zwei Termine aufgeteilt, der erste Verhandlungsteil fand im Oktober 2021 in Kunming statt. Für den zweiten treffen sich die Teilnehmenden in Montreal. Info
13.12.-14.12.2022
Präsenzveranstaltung, Düsseldorf Der Zukunftskongress für Wirtschaft mit Weitsicht (Fachmedien Otto Schmidt)
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen heute und in der nahen Zukunft? Ist Nachhaltigkeit der neue Wettbewerbsfaktor? Um diese und weitere Fragen geht es auf dem Zukunftskongress. Die Teilnahme ist kostenpflichtig. Info & Anmeldung
VW ist bei dem innerhalb des Branchendialogs Automobil für Mexiko geplanten gemeinsamen Beschwerdemechanismus ausgestiegen. Ein VW-Sprecher bestätigte entsprechende Informationen des ESG.Table: Das Projekt in Mexiko biete “keine ausreichenden Vorteile gegenüber den bestehenden Beschwerdesystemen bei Volkswagen“. Zudem hätten sich in den vergangenen Jahren die “eigenen Compliance-Systeme in Bezug auf die Lieferkette in vielen Unternehmen weiterentwickelt, auch bei Volkswagen”. Nach sorgfältiger Abwägung setze man auf das eigene System.
In seinem Nachhaltigkeitsbericht 2021 hatte VW noch erklärt, das Unternehmen treibe “die Pilotierung eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus voran”. VW habe sogar Ambitionen gehabt, den eigenen Beschwerdemechanismus zum gemeinsamen Standard zu erheben, heißt es unter Teilnehmern des Branchendialogs. Aber jetzt soll die Compliance-Abteilung das gemeinsame Vorhaben gestoppt haben.
Die Überlegungen zu einem branchenübergreifenden Beschwerdesystem reichen in die Zeit vor der Verabschiedung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zurück und wurden ursprünglich als Teil der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP) in Deutschland diskutiert.
Diverse Regulierungen oder freiwillige Standards für Lieferketten sehen als ein zentrales Instrument zur Abschaffung von Missständen und der Wiedergutmachung für Betroffene die Einrichtung von Beschwerdesystemen vor – für Mitarbeiter, Beschäftigte in Lieferketten oder Anwohner.
VW hat im Berichtsjahr 2011 laut Nachhaltigkeitsbericht 111 Verstöße bearbeitet und die Zusammenarbeit mit vier Lieferanten beendet oder blockiert. Über direkte Lieferanten gab es 70 Beschwerden, über indirekte Lieferanten 41. Regional lag Europa bei den Beschwerden vorne (74), vor Nordamerika (17) und Asien (9).
Ob der kollektive Beschwerdemechanismus im Rahmen des Branchendialogs zustande kommt, ist unklar. Bislang haben erst eine Handvoll Unternehmen die Bereitschaft dazu signalisiert. cd/ch
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) muss Informationen über eine Agrar-Investition in Paraguay von ihrer Tochterfirma Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) beschaffen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt gab vergangenen Donnerstag der Klage der Menschenrechtsorganisationen FIAN und ECCHR statt.
Die KfW hatte jahrelang eine Einsichtnahme in die Umwelt- und Sozialpläne des in Paraguay aktiven Agrarinvestors PAYCO verweigert. Die KfW-Tochter Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) hält einen Anteil von 15,8 Prozent an PAYCO. Das Gericht urteilte, dass die KfW als Behörde nach dem Informationsfreiheitsgesetz informationspflichtig ist und die im öffentlichen Interesse stehenden Informationen von der DEG beschaffen muss.
PAYCO ist mit 146.000 Hektar – der dreifachen Fläche des Bodensees – einer der größten Landbesitzer in Paraguay. Das Unternehmen baut Gen-Soja an, besitzt Baumplantagen und betreibt Viehzucht. cd
Veränderte ESG-Ratings können den Aktienkurs von Unternehmen langfristig beeinflussen. Die Forscher Florian Berg, Florian Heeb und Julian Kölbel von der MIT Sloan School of Management und der Universität St. Gallen zeigen in ihrer Studie The Economic Impact of ESG, wie sich Veränderungen des MSCI ESG-Ratings auswirken.
Sie weisen eine negative langfristige Reaktion der Aktienrenditen auf Herabstufungen nach und stellen eine langsamere und schwächere positive Reaktion auf Heraufstufungen fest. Die Reaktionszeit von der Ratingveränderung bis zur Aktienpreisveränderung betrage ein bis zwei Jahre. Die Unternehmen reagierten auf die Veränderungen dabei nicht mit höheren oder niedrigeren Investitionsausgaben. Lediglich im Bereich der Governance veränderten Unternehmen ihre ESG-Praktiken, schreiben die Forscher.
“ESG-Ratings beeinflussen die Finanzwelt offenbar etwas mehr als gedacht”, schreibt Tillmann Lang, CEO der Digital Impact Investing-Plattform Inyova. “Das wirkliche Leben beeinflussen sie weiterhin nur wenig.” cd
Die Mitgliedsunternehmen des US-amerikanischen Cotton Trust Protocol, einem neuen Standard für nachhaltig angebaute Baumwolle, haben im Zeitraum 2021-22 gemessen an wichtigen Indikatoren ihre Umweltbilanz verbessert:
Das geht aus dem am 22. November veröffentlichten zweiten Jahresbericht der Initiative hervor, der mittlerweile 320 Unternehmen aus 80 Ländern angehören, darunter Ralph Lauren, J. Crew, Tesco, Levi Strauss & Co., GAP und Old Navy.
Das auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) abgestimmte Trust Protocol ist nach eigenen Angaben das einzige System, das quantifizierbare und überprüfbare Ziele und Messungen bietet und die kontinuierliche Verbesserung von sechs Nachhaltigkeitskennzahlen bei Baumwollfasern vorantreibt: wie Landnutzung, Bodenkohlenstoff, Wassermanagement, Bodenverlust, Treibhausgasemissionen und Energieeffizienz.
In der Initiative sind mittlerweile alle 17 baumwollproduzierende Bundesstaaten in den USA vertreten. Das System erfasst Baumwollflächen von 445.000 Hektar, mehr als doppelt so viel wie im Pilotjahr.
Im Mai 2022 wurde das Trust Protocol von Siegelklarheit anerkannt, einer Initiative der deutschen Bundesregierung. Damit können Mitglieder des Bündnisses für nachhaltige Textilien das Trust Protocoll als weiteren Standard nutzen, um nachhaltige Baumwolle zu beziehen. Im Juni 2022 wurde es als ISEAL Community Member aufgenommen. ISEAL unterstützt ehrgeizige Nachhaltigkeitsinitiativen. cd
Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den Platinminen im südafrikanischen Marikana haben sich wenig verändert. Die “empirischen Belege zeigen eine beunruhigende Kontinuität mit der Vergangenheit, zerplatzte Träume, Vernachlässigung und spürbare Traumata”, schreiben die beiden südafrikanischen Forscher Asanda-Jonas Benya und Crispen Chinguno in der von Brot für die Welt in Auftrag gegebenen Studie “Warten auf Gerechtigkeit“.
Die Löhne seien zwar gestiegen, aber der aktuelle Grundlohn von umgerechnet 815 Euro (Oktober 2022) für festangestellte Arbeiter sei “kein existenzsichernder Lohn”. Die Reallöhne hätten sich durch die Inflation von 4,5 bis 5,7 Prozent seit den Protesten vor zehn Jahren verringert. Seit der Übernahme der Mine von Lonmin durch Sibanye-Stillwater (SSW) 2021 sei es zu einem massiven Stellenabbau und einem verstärkten Einsatz von Subunternehmen in den Minen gekommen.
Beim “Marikana-Massaker” waren am 16. August 2012 34 Menschen erschossen und 78 verletzt worden. Sie kämpften für höhere Löhne und bessere Wohnverhältnisse. In den Fokus geriet damals auch BASF als einer der größten Kunden der Mine. Das Unternehmen musste sich der Kritik von ESG-Investoren stellen. BASF verwendet große Mengen Platin zur Herstellung von Katalysatoren.
Heute sei BASF aber nur noch ein “kleiner Kunde” von SSW, sagte Thorsten Pinkepank, Direktor Corporate Sustainability Relations bei BASF am vergangenen Donnerstag bei der Vorstellung der Studie. Das liege daran, dass das Unternehmen einen größeren Anteil des Platins aus Recycling beziehen. Aber es gebe monatliche Kontakte mit SSW. Es sei “frustrierend”, wie es in den informellen Arbeitersiedlungen aussehe, sagte Pinkepank. cd
Die Bundesregierung will die Erneuerbaren massiv ausbauen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeiten von China verringert werden. Doch die Volksrepublik dominiert alle Produktionsschritte der Solar-Industrie. Und es gibt Zwangsarbeitsvorwürfe bei der Herstellung einiger Solar-Grundstoffe in Xinjiang. Eine Diversifizierung der Lieferketten, wie sie ein geleakter Entwurf des Auswärtigen Amtes zur neuen China-Strategie vorschlägt, wird schwierig.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) beherrscht China drei Viertel des Welthandels mit Solarprodukten. Entsprechend gehen 90 Prozent der EU-Importe von Solarmodulen auf China zurück. Der Entwurf der neuen China-Strategie des Auswärtigen Amtes sieht China als “Wettbewerber bei der grünen Transformation”. Aus der “starken bis beherrschenden Stellung” Chinas in manchen Bereichen grüner Technologien könnten “einseitige Abhängigkeiten entstehen”, so der Entwurf. Man wolle diese “Abhängigkeiten […] unter dem Aspekt der Risikominimierung verringern“.
Doch neben Abhängigkeiten geht es auch um mögliche Verletzungen der Menschenrechte bei der Produktion von Polysilizium, einem Ausgangsstoff für Solarzellen, in der Region Xinjiang. Vorwürfen zufolge müssen Menschen dort in einigen Fabriken Zwangsarbeit verrichten (China.Table berichtete). Das Auswärtige Amt ist daher laut Entwurf “im EU-Rahmen auch bereit, Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, wenn Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen mit anderen Mitteln nicht sichergestellt werden können”.
Zwar haben die USA deshalb mit dem “Uyghur Forced Labour Prevention Act” bereits einen Importstopp verhängt für Produkte, die in Xinjiang unter Zwangsarbeit hergestellt werden. Laut Jenny Chase vom Think-Tank BloombergNEF wird das Gesetz den Ausbau der Solarenergie in den USA jedoch “nicht stark bremsen”, weil es genug Polysilizium außerhalb der Region gäbe.
Wie China auf die Importeinschränkungen reagiert und eine zweite Solar-Lieferkette ohne Menschenrechtsverletzungen aufbauen will, erläutert Nico Beckert in der ausführlichen Analyse zu Lieferketten von Solarprodukten des Climate.Table. nib/nh
Vieles ist anders seit Beginn der Pandemie, seit Beginn des Ukraine-Kriegs, seit Beginn des post-fossilen Zeitalters… Moment, was? Ja, genau: des post-fossilen Zeitalters, das viele Menschen nicht wahrhaben wollen, weil sie in ein “Drill, drill, drill!” einstimmen, während einige Wenige sich die Taschen vollschaufeln. Dieselben, die weghören, wenn Menschen in den vulnerabelsten Weltregionen, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden und am häufigsten ausbeuterischen Strukturen ausgeliefert sind, sagen: “Bitte kauft uns die fossilen Energieträger nicht ab”. Die Abweichung vom Normal ist die Nachhaltigkeit. Das merken wir, wenn unsere Politik und Wirtschaft immer und immer wieder zurückfedert und wieder und wieder Technologien stärkt und Beschaffung praktiziert, die jene problematischen Strukturen geschaffen hat – statt sie mit grundlegend neuer Praxis wirklich zu lösen.
Wie entfesseln wir Innovation? Wie mobilisieren wir die wirtschaftlichen Kräfte zum Guten und setzen regulatorische Leitplanken so, dass sie unternehmerische Freiheiten erhalten und gesellschaftlich nützliche Lösungen ermöglichen?
Arbeitsthese: Wir brauchen einen neuen Tunnelblick. Raus aus den Subventionen und rein in die steuerlichen Anreize. Ins Cap & Trade von Emissionszertifikaten und da, wo es sie nicht gibt; in die Schattenbilanzierung ökologischer und gesellschaftlicher Schäden, für die Rückstellungen gemacht werden müssen, um auf etwaige Schadensklagen vorbereitet zu sein. Geübt wurde das ja schon am deutschen Klimaschutzgesetz. Die Gerichte werden in der Wahrheitsfindung eine Rolle spielen. Besser wäre es jedoch, wenn wir Berichte von Institutionen wie dem Bundesrechnungshof lesen und verstehen, warum jener dem Bund ineffektive und unkoordinierte Klimapolitik attestiert.
Während 16 Milliarden Euro im Jahr 2021 einen positiven Bezug zu den deutschen Umwelt- und Klimazielen leisten, stehen dieser Summe 65 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen im Jahr 2018 entgegen (Quelle: Umweltbundesamt). Das ist der staatlich organisierte Rebound-Effekt. Er generiert Fehlanreize und provoziert Uneindeutigkeiten. Deshalb: neuer Tunnelblick.
Was ist das Ziel nachhaltigen Wirtschaftens? Nachhaltig wirtschaften wir dann, wenn wir regenerativ mit allen verfügbaren Ressourcen umgehen, seien es menschliche, ökologische oder wirtschaftliche. Regenerativ heißt: mehr Nutzen stiften, als Schaden zu verursachen. Wenn unser Wirtschaften konsequent zu Ende gedacht und an jeden Ort, in jede Zeit übertragbar ist. Die wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise gilt es erst noch zu erfinden.
Im Kleinen gibt es sie schon und gab es viele guten Ideen, die ein Comeback verdienen. Ob das Solar Valley in Sachsen-Anhalt, Kampagnen wie “Solar, na klar!” auf sämtlichen Flachdächern inklusive des Abbaus regulatorischer Hürden für den Fall, Wettbewerbe – wer baut das smarteste Smart Grid für resiliente regionale Wirtschaftsstrukturen in Gegenden höchster Lebensqualität? Welche Technologien gibt es, die eine Wirtschaft mit zirkulärer Wertschöpfung und umweltpositiven Bilanzen aufweisen? Schauen wir sie uns doch an, die öko-bewegten Innovatoren, die eine Hydrothermale Karbonisierung oder ähnliche Technologien entwickelt haben, die bei keinem Innovationswettbewerb einen Stich machen – eben weil es sie schon so lange gibt? Woran liegt es, dass sich manche Dinge nicht durchsetzen? Ist es der Markt, die Nachfrage allein?
Regulierung muss als “Enabling Regulation” komplett neu gedacht werden. Raus aus den Details und technologischen Festlegungen in Bundesprogrammen und rein in die Zielformulierung, aus der sich die Wirkungsindikatoren ableiten lassen, anhand derer die nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten qualifiziert werden können. Die EU-Taxonomie hat hier einen wichtigen Anfang gemacht. Es ist ausdrücklich erlaubt, die Taxonomie in ihrer anspruchsvollsten Form umzusetzen.
Transformationstechnologien wie Gas und Atom dürfen den Übergang zum nachhaltigen Wirtschaften moderieren. Dieser Übergang ist kein Rastplatz, sondern Schleudersitz mit Zeitschaltuhr. Es ist konsequent, diese Transition ordnungspolitisch zu moderieren – und das tut die EU mit stoischer Ruhe seit der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die nach der konsequenten Unterbewertung von Kreditrisiken ganze Volkswirtschaften an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit gebracht haben. Gerettet hat sie: Solidarität in Europa. Griechenland steht seit diesem Frühjahr wieder auf eigenen Beinen. Wir brauchen mehr davon, auch ohne im akuten Krisenmodus zu sein. Ob wir es schon sind oder die Krise erst noch kommt, darüber lässt sich trefflich streiten.
Die unsichtbare Hand des Marktes versagt auch in der Chancen- und Risikobewertung, wenn es um die Entwicklung von Märkten für nachhaltige Güter und Dienstleistungen geht. Nach der Kapitalmarktunion brauchen wir die Europäische Energie-Union und ein Europäisches Wirtschaftsmodell. Jeremy Rifkin beschrieb 2004 den Europäischen Traum. Die Zeit, diesen Traum umzusetzen, ist jetzt: Die aktuelle Regierungskoalition bietet die große Chance, Rahmenbedingungen für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft zu setzen. Die Leitplanken für unternehmerische Freiheit werden neu verhandelt. An ihnen orientieren sich Innovation und Lösungssuche.
Die politische Vision des EU Green Deal, der umweltfreundlichste, wettbewerbsfähigste und inklusivste Wirtschaftsraum der Welt zu werden, lohnt jede Anstrengung und fördert den Wohlstand in regionalen Wertschöpfungsnetzwerken weltweit. Nie waren wir der Verwirklichung des Europäischen Traums näher, wenn Offenlegungsverordnungen für Finanzmarktakteure erzieherischen Charakter entfalten, wenn die Ausweitung von Berichtspflichten an Unternehmen die Lieferketten integrieren und wenn die Wahrnehmung von Sorgfaltspflichten in komplexe Strukturen münden. Dabei gilt es, die Marktanreize auch für die Beschaffung der öffentlichen Hand zu schaffen, um nachhaltiges Wirtschaften zu belohnen. Das wird dann auch die letzten Nachzügler unternehmerisch überzeugen – und dann heißt es: Nachhaltigkeit wird gemacht, koste es, was es wolle!
Yvonne Zwick ist seit 2021 Vorsitzende des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.). Die Theologin ist Expertin für Governance von Nachhaltigkeit, Berichterstattung und nachhaltiges Wirtschaften. Vor ihrem Engagement bei B.A.U.M. e.V. arbeitete sie 16 Jahre beim Rat für nachhaltige Entwicklung, erst als wissenschaftliche Referentin, dann als stellvertretende Generalsekretärin. Die letzten vier Jahre leitete sie zudem das Büro Deutscher Nachhaltigkeitskodex.
“Keine Frage, die Menschheit kann sich mit Innovationen aus schwierigen Situationen heraushelfen”, sagt Arwen Colell. Aber die Gesellschaft verstehe Innovationen vor allem technisch, unterschätzt würde das Potenzial sozialer Innovationen für eine erfolgreiche Transformation der Wirtschaft, etwa Verhaltensänderungen. “Was nutzt die tollste Erfindung, wenn niemand sie gebraucht?” Mit sozialen Innovationen kennt sie sich aus. Damit beschäftigt sie sich als Forscherin und Unternehmerin mit Blick auf die Energiewende.
Sie beschränkte sich während ihres Studiums der Politikwissenschaft in Berlin, Japan und den USA nicht auf die Theorie, sondern gründete mit anderen eine Genossenschaft, um die Energiepolitik der Hauptstadt zu verändern. Bis heute ist sie in der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin im Aufsichtsrat. Sie verfolgten ein ehrgeiziges Ziel: Die komplette Übernahme des Berliner Stromnetzes, um es dezentral und nachhaltig auszurichten. Die Chance bot sich 2011, als das Land Berlin einen neuen Netzbetreiber suchte. Für ihr Vorhaben gewann die Genossenschaft rund 3.000 Mitglieder, bekam aber einen Korb. Den Zuschlag erhielt die stadteigene Gesellschaft Stromnetz Berlin GmbH – sie übernahm das Netz von dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Aber die rot-grün-rote Landesregierung will die Strom-Genossen als Mitgesellschafter ins Boot holen. So steht es im Koalitionsvertrag. Arwen Collel gestaltet schon jetzt im Aufsichtsrat der Stromnetz Berlin GmbH die Strategie mit.
Ihre Forschungen haben sie darin bestärkt, sich für die Beteiligung von Bürgern an Energieinfrastrukturen einzusetzen. Sie untersuchte Projekte in Deutschland, Schottland und Dänemark. Ihr Fazit: Menschen engagieren sich in bürgereigenen Energiestrukturen, um eigene Werte umsetzen und Verantwortung übernehmen zu können, “sie möchten etwas bewegen können”. Beeindruckt war die Forscherin von Bürgern auf den schottischen Hebriden. Sie wehrten sich erfolgreich gegen den massiven Ausbau der Windenergie vor ihrer Küste, aus gutem Grund: Sie lebten vom Tourismus und außerdem hätte wegen des rauen Klimas ohnehin nur im Schnitt an rund 24 Tagen im Jahr an den Windanlagen im Meer gebaut werden könnten. Aber die Bürger legten sich für eine Alternative ins Zeug: Sie installierten Anlagen für die Stromgewinnung aus Regenwasser, was es hier reichlich gibt. Anders als Windräder kann man diese Anlagen auch begrünen, so dass sie mit der Landschaft verwachsen.
Natürlich benötigen lokale Energieprojekte ausreichende Mittel. Aber die Forscherin zeigte, dass die erfolgreiche Umsetzung mindestens ebenso stark von weichen Faktoren abhängt. Ihr Wissen brachte sie am Mercator Research Institute on Global Commans and Climate Change ein. Sie koordinierte dort den sogenannten Grünbuch-Weißbuch-Prozess. Dabei lernten Wissenschaftler, Politiker und Gesellschaft gemeinsam, aufbauend auf Forschungsergebnissen, wie sich die deutsche Energiewende beschleunigen lässt.
Dazu gründete Colell Anfang 2022 mit anderen ein Unternehmen: decarbon1sze. Sie selbst verantwortet dort die Bereiche Regulierung, Stakeholder und Beteiligung. Die Idee: Prinzipiell lässt sich durch die Nutzung von Batterien in Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen und sonstigen Speichern die Abnahme und Nutzung von Strom verschieben. Solch kleinräumige Flexibilitäten trügen dazu bei, die Belastung des Verteilernetzes zu verringern und die Effizienz sowie Stabilität des gesamten Elektrizitätssystems zu erhöhen. Dazu entwickelt die Firma Lösungen für die digitale Messung, Abrechnung und Steuerung solch kleiner Flexibilitäten. Die gemeinsame Entwicklungsarbeit mit dem Netzbetreiber 50Hertz wird auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. “Wir schaffen mehr Teilhabemöglichkeiten für Menschen und beschleunigen damit die Energiewende”, sagt die Unternehmerin, ihr Plädoyer: “Soziale Innovationen und technische Innovationen sollten Hand in Hand gehen”. Caspar Dohmen
Wie gut es Vögeln geht, sagt viel über den allgemeinen Zustand der Natur aus. Denn Vögel sind auf intakte Ökosysteme angewiesen und reagieren schnell, wenn es sich verändert, beispielsweise durch Pestizide. Rachel Carson, die Zoologin, Biologin und Wissenschaftsjournalistin aus den USA, thematisierte dies vor 60 Jahren. 1962 erschien ihr Buch Silent Spring. Es führte schließlich zum Verbot von DDT und motivierte viele Menschen in den USA, sich der entstehenden Umweltbewegung anzuschließen.
Und das Thema ist aktueller denn je, gerade in Deutschland. Mehr als die Hälfte aller verbliebenen rund 260 Brutvogelarten ist gefährdet. Vor allem in Agrarlandschaften leben laut dem Naturschutzbund Deutschland immer weniger Vögel. Wiesenvogelarten, wie Bekassine, Uferschnepfe oder Brachvogel, die früher ganze Landstriche charakterisierten, seien heute ausnahmslos “vom Aussterben bedroht”.
Nach den Zielen der neue EU-Biodiversitätsstrategie sollen 30 Prozent aller gefährdeten Arten bis 2030 in einen guten Erhaltungszustand gebracht werden. Nichts spricht dafür, dass Deutschland das Ziel 2030 erreicht. Bereits 2010 und 2020 verfehlte das Land die Ziele. Wie aktuell der Umweltklassiker Silent Spring ist, wird sich bei der anstehenden Biodiversitätskonferenz in Montreal vom 7.-19. Dezember zeigen. Caspar Dohmen