Table.Briefing: ESG

Einigung beim Sorgfaltspflichtengesetz + Xinjiang-Audit von VW + COP28-Beschluss

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit dem Kompromiss beim Trilog für ein EU-Lieferkettengesetz bahnt sich eine historische Entscheidung an. Stimmen alle Akteure dem Kompromiss zu, ginge die Zeit der freiwilligen unternehmerischen Verantwortung für die Verhältnisse in den globalen Liefernetzen zu Ende. Für die Menschen in den Lieferketten europäischer Unternehmen ist das eine gute Nachricht. Aber es ist auch eine gute Nachricht für die Unternehmen selbst, denn sie können nun weltweit in punkto Umwelt- und Menschenrechte Standards setzen. Was genau in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag beschlossen wurde und wie der Kompromiss bewertet wird, beschreibt Leonie Düngefeld.

Wie strittig es beim Thema Lieferkettenverantwortung zugehen kann, zeigen anhand des Beispiels des Gutachtens über das VW-Werk in der Uigurenregion Xinjiang in China Marcel Grzanna und Fabian Kretschmer.

Historische Züge hat auch die Einigung bei der COP28 in Dubai, denn zumindest der Umstieg aus den fossilen Energien ist beschlossen. Was dies bedeutet, lesen Sie bei Lukas Scheid.

Die Hinwendung zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Deutschland ist längst beschlossen. Inwieweit sich der aktuelle Haushaltskompromiss der Ampelregierung auf Erfolg oder Geschwindigkeit der Transformation auswirken könnte, beschäftigt Alex Veit.

Ihr
Caspar Dohmen
Bild von Caspar  Dohmen

Analyse

EU-Sorgfaltspflichtengesetz: Für Unternehmen werden transparente Lieferketten zum Strategiethema

In den Verhandlungen um das EU-Sorgfaltspflichtengesetz (CSDDD) haben sich EU-Parlament, Rat und Kommission vorläufig geeinigt. Bei dem erneut langen Trilogtreffen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten sie Kompromisse für die letzten strittigen Themen finden: Der Finanzsektor wird auf Druck des Rats zunächst von den Pflichten ausgenommen; bei der Haftung und der Umsetzungspflicht für Klimapläne konnte sich wiederum das Parlament durchsetzen.

“Dieses Gesetz ist ein historischer Durchbruch”, sagte EP-Berichterstatterin Lara Wolters am Donnerstagvormittag. Sie erinnerte an den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch 2013 mit mehr als 1130 Toten: Zehn Jahre später seien Unternehmen nun für mögliche Missstände in ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich. “Möge dieses Abkommen ein Tribut an die Opfer dieser Katastrophe sein und ein Ausgangspunkt für die Gestaltung der Wirtschaft der Zukunft – einer Wirtschaft, die das Wohlergehen der Menschen und des Planeten über Profite und Kurzsichtigkeit stellt.”

CSDDD geht deutlich über deutsches Gesetz hinaus

Die Richtlinie ähnelt in ihrer Struktur dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), geht jedoch noch deutlich darüber hinaus: Während in Deutschland nach dem LkSG etwa 3.000 Unternehmen berichten müssen, werden es nach der CSDDD um die 15.000 sein. Die CSDDD konzentriert sich außerdem nicht nur auf die direkten Lieferanten wie das LkSG, sondern umfasst sowohl die vorgelagerte Wertschöpfungskette (etwa den Rohstoffabbau) als auch teilweise die nachgelagerte Kette (Verwendung, Verwertung, Entsorgung).

Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen:

  • Betroffene Unternehmen müssen Sorgfaltspflichten für ihre Wertschöpfungskette in ihre Strategien und ihre Risikomanagementsysteme integrieren. Geeignete Maßnahmen sind auf einer geschlossenen Liste aufgeführt.
  • Geltungsbereich: Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz; Nicht-EU-Unternehmen mit einem Nettoumsatz von 300 Millionen Euro in der EU innerhalb von drei Jahren; kleine und mittelständische Unternehmen sind ausgenommen, werden aber dabei unterstützt, die Richtlinie freiwillig anzuwenden
  • Ausnahme für den Finanzsektor: Banken und Versicherer sind vorübergehend von den Sorgfaltspflichten ausgenommen. Das Gesetz beinhaltet jedoch eine Überprüfungsklausel für eine mögliche Einbeziehung dieses Sektors zu einem späteren Zeitpunkt auf der Grundlage einer Folgenabschätzung durch die EU-Kommission.
  • Klimapläne: Die Unternehmen müssen einen Plan verabschieden, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius übereinstimmt. Das Management von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern erhält finanzielle Leistungen für die Umsetzung des Plans. Auch der Finanzsektor ist von dieser Vorgabe betroffen.
  • Haftung: Für die Verursachung oder Mitwirkung an negativen Auswirkungen sollen Unternehmen haften. Die Verjährungsfrist wurde auf fünf Jahre verlängert, die Verfahrenskosten für Kläger werden begrenzt.
  • Sanktionen: Bei Verstößen müssen Unternehmen eine Strafe von mindestens fünf Prozent des Umsatzes zahlen.

VDMA: “Sargnagel für Wettbewerbsfähigkeit”

Mehrere Industrieverbände riefen Rat und Parlament auf, das Gesetz in den nun anstehenden Abstimmungen abzulehnen. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), nutzte drastische Worte: “Mit der heutigen Einigung im Trilog für ein europäisches Lieferkettengesetz liefert die EU den nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.” Das Gesetz stehe in einer langen Reihe bürokratischer Exzesse aus Brüssel, die vom industriellen Mittelstand geschultert werden müssten. Von der Ankündigung, europäische Unternehmen von 25 Prozent der Bürokratiepflichten zu entlasten, sei keine Spur.

Ähnlich äußerte sich auch BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner: Der finale Gesetzestext bedrohe Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, “da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten“. Dies würde Menschenrechten und Umwelt nicht zugutekommen, sondern schaden.

Forscher und Expertinnen aus der Wissenschaft sehen dies anders: “Deutsche Unternehmen, die sich um eine ernsthafte und gewissenhafte Umsetzung ihrer Pflichten nach dem Lieferkettengesetz bemühen, haben (…) wenig zu befürchten”, kommentierte Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität in Erlangen-Nürnberg. “Vielmehr hat die Richtlinie für sie nur Vorteile: Sie haben sich bereits auf die neuen Regeln eingestellt und erleben nun auch keine Wettbewerbsverzerrungen mehr.”

Unternehmen haften für Verstöße

Für Unternehmen werde es nun wichtig sein, das Thema Sorgfaltspflichten strategisch zu sehen, sagte Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität in Oestrich-Winkel: “Der Schutz von Menschenrechten ist von zunehmender Bedeutung für die Unternehmensreputation weltweit.” Außerdem seien Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten und transparente Lieferketten pflegen, deutlich krisenresilienter. Dies könne ein ausschlaggebender Faktor werden.

Die Zivilgesellschaft kritisierte die Ausnahme für den Finanzsektor scharf. Die Reaktionen fielen ansonsten sehr positiv aus: Das NGO-Bündnis “Initiative Lieferkettengesetz” sprach von einem “Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in globalen Lieferketten“. Etwa werde die Position von Betroffenen vor Gericht verbessert, sagte Koordinatorin Johanna Kusch: “Anders als das deutsche Lieferkettengesetz sieht es eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten verletzen.” Menschen, deren Rechte verletzt wurden, können zukünftig in verwaltungsrechtlichen Verfahren und vor Zivilgerichten klagen.

Anpassungen im deutschen Lieferkettensorgfaltsgesetz nötig

Als nächste Schritte müssen nun Rat und Parlament die Einigung formal annehmen. Anschließend tritt das Gesetz in Kraft. Da es sich um eine Richtlinie handelt, ist sie erst bindend, wenn sie in nationales Recht umgesetzt wurde.

Für die Umsetzung rechnet man laut Informationen von Table.Media aus dem Parlament mit etwa zwei Jahren. In Deutschland wird also weiterhin das LkSG gelten; es werden jedoch Anpassungen erforderlich sein.

  • Lieferkettengesetz
  • Sorgfaltspflichten

Prüfbericht zu VW in Xinjiang weckt Unbehagen bei beteiligten Mitarbeitern

Das Thema Xinjiang hat Volkswagen erneut eingeholt. Zuletzt haben sich Mitarbeiter der deutschen Beratungsfirma, die das Audit im Werk in Urumqi durchgeführt hat, öffentlich von dem Untersuchungsbericht distanziert. In einer Stellungnahme auf der Online-Plattform LinkedIn teilten sie mit, niemand außer zwei Vorstandsmitgliedern habe “an diesem Projekt teilgenommen, es unterstützt oder begleitet”. Mehrere der insgesamt 20 Angestellten stellen zudem in individuellen Stellungnahmen klar: “Ich habe weder die Annahme dieses Projekts unterstützt, noch war ich in irgendeiner Weise daran beteiligt.”

Es ist gut zwei Wochen her, dass Volkswagen erklärte, eine Sonderprüfung habe in ihrem Werk in Urumqi keine Hinweise auf arbeitsrechtliche Probleme gefunden. Der Vorwurf, dass der Autobauer von den Menschenrechtsverbrechen der chinesischen Regierung an den Uiguren profitieren könnte, war vom Tisch – das war jedenfalls die Hoffnung. Doch die Probleme mit Inspektionen in einem intransparenten System holen den Konzern nun ein. Wie wichtig es künftig sein wird, seine Lieferketten erfolgreich zu durchleuchten, zeigt die Einigung auf ein strenges Lieferkettengesetz durch die EU am Donnerstag.

Inspektion nur in der Fabrik selbst

Die Beratungsfirma Löning – Human Rights and Responsible Business wurde von dem ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning gegründet. Dieser sagte bislang zur Rebellion seiner Mitarbeiter: “Wie Sie sehen, sind wir ein lebendiges und engagiertes Team mit einem breiten Spektrum an Ansichten”. Zu dem Ergebnis der Studie, dass man keine Anzeichen für Zwangsarbeit bei VW gefunden habe, stehe er weiterhin.

Doch das Dilemma ist offensichtlich. Gegenüber der Financial Times hat Löning selbst gesagt, dass es für die Uiguren in Xinjiang praktisch unmöglich sei, von Menschenrechtsvergehen zu berichten: “Selbst wenn sie etwas wüssten, könnten sie das nicht in einem Interview sagen.” Zu groß ist die Gefahr, ins Visier der Sicherheitspolizei zu geraten.

Löning war bereits am Tag der Veröffentlichung des Berichts ein gewisses Unbehagen mit der Wahrnehmung des Projekts anzumerken. Er wies darauf hin, dass seine Leute nur im Werk selbst nachsehen konnten. Sie haben nicht bei Zulieferern oder im politisch-gesellschaftlichen Umfeld in Xinjiang recherchiert.

Das Handelsministerium war beteiligt

Dabei hatte schon die Art der Inspektion selbst viele Fragen offen gelassen. “Die Wertigkeit der Prüfung kann überhaupt nicht nachvollzogen werden”, sagt Tilman Massa vom Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Denn das Beratungsunternehmen hatte “Probleme bei der Datenerhebung” eingeräumt, diese aber nicht spezifiziert. “Volkswagen kann nicht einfach so tun, als seien diese Probleme hinlänglich bekannt, sondern muss sie klar benennen. Mit diesen Defiziten können wir ein Audit nicht als effektive Maßnahme anerkennen”, sagt Massa, der Volkswagen noch in dieser Woche um weitere Stellungnahmen bitten wird.

Was die Kritischen Aktionäre und andere Investoren interessiert, sind die Umstände, unter denen die Prüfer zu ihren Schlussfolgerungen gekommen sind. Löning konnte die Überprüfung keineswegs völlig unabhängig vorbereiten und durchführen, sondern war auf die Mithilfe einer Kanzlei aus Shenzhen angewiesen. Auch das chinesische Handelsministerium war in die Vorgänge involviert, wie ein Konzernsprecher gegenüber Table.Media bestätigt.

Saic hat das letzte Wort

Die Entscheidung darüber, ob die Werksprüfung tatsächlich stattfinden konnte, lag schlussendlich bei Volkswagens Partner-Unternehmen Saic. Der staatliche Autobauer hat in dem Joint Venture das letzte Wort. So steht es seit Jahrzehnten in den Verträgen zwischen den beiden Herstellern.

Man wisse um die “Umstände”, die in Xinjiang vorherrschen, heißt es aus dem Konzern. Aber man könne sich nur dort verantwortlich fühlen, wo man Einfluss habe – also zumindest im eigenen Werk in Xinjiang. Der Konzern ist der Überzeugung, man könne nicht von ihm erwarten, etwas zu schaffen, zu dem die Weltpolitik nicht in der Lage sei – “China zur Einsicht zu bewegen”. In Wolfsburg sieht man sich deshalb eher als Projektionsfläche für Nichtregierungsorganisationen, die deren Agenda unter anderem auch an Volkswagen ausrichteten, weil das eine hohe Aufmerksamkeit erzeuge.

Vorwurf einer “politischen Entscheidung”

Massa, der mit seinem Dachverband Investoren vertritt, die Aktien des Unternehmens besitzen, hält diesen Vorwurf für ungerechtfertigt. Volkswagen stehe unter Verdacht, mit der Zustimmung zum Bau des Werkes in Xinjiang eine “politische Entscheidung” getroffen zu haben. “Niemand erwartet Unmögliches von Volkswagen. Aber der Konzern muss zumindest seinen eigenen Aussagen und Ankündigungen gerecht werden”, fordert Massa.

Eine davon lautet, Menschenrechte seien bei Volkswagen nicht verhandelbar. Rechtsvorstand Manfred Döss betonte, Volkswagen werde auch künftig Hinweisen auf Menschenrechtsverstöße nachgehen. “Sollte es einen Verdacht oder Hinweise geben, werden wir diesen nachgehen”, hatte er gesagt. Doch während der Konzern die Umstände in Xinjiang im Rahmen des Audits eingesteht, sieht Döss seinen Informationsbedarf durch ein nur vordergründig sauberes Audit offenbar bereits befriedigt. Die Kritischen Aktionäre sehen darin einen Widerspruch.

Werksschließung würde Gesichtsverlust bedeuten

Das hatte auch die Hallam University aus Sheffield im vergangenen Jahr festgestellt, die für verschiedene Zulieferer-Segmente der Autobranche höchste Alarmstufe ausgelöst hatte, auch weil die Lieferketten von ausländischen Firmen praktisch nicht verlässlich auf Nachhaltigkeit geprüft werden können. Passiert ist seitdem nichts. Kein Hersteller schien sich angesprochen zu fühlen, auch Volkswagen nicht. Es habe sich um Firmen gehandelt, mit denen man kein Vertragsverhältnis pflege.

Im Hintergrund sprechen VW-Mitarbeiter inzwischen ganz offen von ihren moralischen Bedenken. Gleichzeitig sagen sie auch, dass man das Werk nicht vor dem bis 2029 laufenden Vertrag schließen könne. Tatsächlich dürfte bei Volkswagen am Ende die Angst vor der chinesischen Regierung überwiegen: Ein Rückzug von VW aus Xinjiang würde für Peking schließlich einen großen Gesichtsverlust darstellen. Und dieser hätte sicherlich ökonomische Vergeltungsmaßnahmen zur Folge. Marcel Grzanna/Fabian Kretschmer

  • Autoindustrie
  • Menschenrechte
  • SAIC
  • Volkswagen
  • Xinjiang
  • Zwangsarbeit

COP28-Beschluss: Nicht perfekt, aber die Richtung ist klar

Für Außenministerin Annalena Baerbock benennt der Beschluss “klar und deutlich das Ende der Fossilen”.

Der erste Global Stocktake – die Bestandsaufnahme zu den Zielen des Paris-Abkommens – ist beschlossen. Zwar gebe es Fortschritte bei der Eindämmung des Klimawandels, der Anpassung an die sich ändernden klimatischen Verhältnisse und den zur Verfügung stehenden Mitteln zur Umsetzung der Pariser Ziele. Doch um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, sei man noch nicht auf dem richtigen Weg, heißt es in dem 21 Seiten langen Dokument, dem alle 197 Vertragsstaaten zugestimmt haben.

In Dubai haben sich die Länder nun verpflichtet, auf “wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Maßnahmen” noch in diesem Jahrzehnt zu beschleunigen. Wie diese Maßnahmen aussehen, war bis zuletzt die strittigste Frage der COP28, insbesondere in Bezug auf die Rolle fossiler Brennstoffe: Der “UAE-Consensus”, wie COP-Präsident Sultan Al Jaber das Papier taufte, sieht vor:  

  • Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030
  • Abkehr von fossilen Brennstoffen in Energiesystemen “in diesem kritischen Jahrzehnt”
  • Förderung von emissionsfreien und emissionsarmen Technologien, darunter Erneuerbare Energien, Wasserstoff, Kernenergie sowie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) mit Fokus auf schwer zu dekarbonisierende Sektoren
  • deutliche Reduzierung der Nicht-CO₂-Emissionen bis 2030, insbesondere Methan.

Semantische Feinheiten machen Beschlüsse möglich

Es ist das erste Mal, dass fossile Energien als Ganzes Einzug in einen Abschlusstext einer UN-Klimakonferenz halten, auch wenn es nicht der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen (“phase-out of fossil fuels”) ist, wie ihn Deutschland und die EU gefordert hatten. Der Widerstand einiger arabischen Länder rund um Saudi-Arabien war zu groß, eine Einigung auf das harte Ende der Fossilen war in Dubai nicht möglich. Die Formulierung “Phase-out” war aufgrund der wochenlangen Diskussionen ohnehin politisch verbrannt. Und so musste eine Alternative her, der auch Saudi-Arabien gesichtswahrend zustimmen konnte.

Dabei ist die jetzt getroffene “Abkehr” von Fossilen (im Englischen original: “transition away from fossil fuels”) für viele beinahe gleichwertig mit einem Ausstieg. Es gibt zudem keine Einschränkung für die Abkehr, beispielsweise durch den Zusatz der umstrittenen Bezeichnung “unabated fossil fuels” – oft als Synonym für Fossile ohne CCS bezeichnet. Li Shuo, Klimaexperte des Thinktanks Asia Society Policy Institute, hält das Signal, das mit der Einigung von Dubai einhergeht, ohnehin für wichtiger als die exakte semantische Differenzierung der Begrifflichkeiten.

Für die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock benennt der Beschluss von Dubai ebenfalls “klar und deutlich das Ende der Fossilen”. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sieht darin den “Anfang des Ausstiegs”. Auch für Christoph Bals, politischen Geschäftsführer von Germanwatch, ist mit der beschlossenen Formulierung das globale Ziel klar benannt: Eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe.

Nur Erneuerbare helfen kurzfristig

Wichtig ist dabei vor allem der Kontext, in dem die Abkehr von Fossilen im Absatz 28d eingebettet worden ist. Zum einen wäre da der Chapeau – der Einleitungssatz des Paragrafen. Darin erkennen die Staaten an, dass die Treibhausgase schnellstmöglich reduziert werden müssen, um 1,5 Grad Erderwärmung nicht zu überschreiten. Dadurch wird verdeutlicht, dass kurzfristige Maßnahmen zur Emissionsminderung notwendig sind – diese sind: Ausbau der Erneuerbaren und Erhöhung der Energieeffizienz.

Zwar einigten sich die Vertragsstaaten auch auf die Förderung von CCS und Kernenergie. Doch soll die Abkehr von Fossilen noch in diesem “kritischen Jahrzehnt” durch Maßnahmen beschleunigt werden. Sowohl CCS als auch Kernenergie sind in diesem Jahrzehnt aller Voraussicht nach nicht in ausreichendem Maßstab verfügbar, um ernsthaft Emissionen im Energiesektor zu reduzieren. Das bedeutet, die kurzfristigen Ziele des Global Stocktake sind nur durch eine drastische Reduzierung von Verbrauch und Herstellung fossiler Brennstoffe bei gleichzeitigem Hochlauf der Erneuerbaren möglich.

Annalena Baerbock stellte zum Abschluss der COP28 deshalb klar: “Jeder, der rechnen kann, weiß nun, dass sich Investitionen in fossile Energien langfristig nicht mehr lohnen.” Während Erneuerbare 2015 bei der COP21 in Paris im Haupttext noch keine Rolle spielten, habe sich die Welt nun entschieden. “Erneuerbare sind die globale Lösung für mehr Klimaschutz”, so die Außenministerin.

Konsens von Dubai hat auch Schattenseiten

Ein Paris-Moment konnte in Dubai jedoch nicht wiederholt werden. Die Freude ist getrübt, da “Übergangskraftstoffe” für die Energiewende auch weiterhin eine Rolle spielen sollen. Gemeint ist Gas. Allerdings sei Gas keine Brückentechnologie, sondern ein fossiler Brennstoff, stellt Alden Meyer, Senior Associate und Klimapolitikexperte beim Thinktank E3G, klar. Vollends zufrieden sei er mit dem Text daher nicht.

Samoa kritisierte im Namen der Gruppe der Inselstaaten noch im Abschlussplenum der COP, dass lediglich die Rede von einem Ende der “ineffizienten” Subventionen für Fossile ist, wobei der Begriff “ineffizient” in diesem Kontext nicht definiert ist. Auch die Aufforderung, den globalen Emissionshöchststand spätestens 2025 zu erreichen, sei nicht im Text, bemängelte die samoanische Delegierte.

Vor allem aber die Frage, wie Entwicklungsländer bei der Energiewende unterstützt werden, bleibt auch in Dubai ungeklärt. Der Text gibt zudem keine Verpflichtungen für Industrienationen oder reichere Länder vor, schneller als andere zu dekarbonisieren.

Der COP mag zu einer Einigung über den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gekommen sein, kommentiert Mohamed Adow von Power Shift Afrika, aber sie liefere keinen Plan zur Finanzierung. “Wenn die reichen Länder wirklich an einem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe interessiert sind, müssen sie kreative Wege finden, um diesen zu finanzieren.” Entwicklungsländer würden nicht in der Lage sein, den Ausstieg zu schaffen, so Adow.

  • Autoindustrie
  • CCS
  • COP28
  • Fossile Brennstoffe
  • Global Stocktake
  • Klima & Umwelt

Opposition: Höherer CO₂-Preis schadet Akzeptanz der Klimapolitik

In seltener Einigkeit kritisieren Politiker aus der Union wie von der Linken eine soziale Schieflage bei der Haushaltseinigung der Bundesregierung. Diese schadet aus ihrer Sicht der Akzeptanz der Klimapolitik in der Bevölkerung und könnte damit die Transformation erschweren.

Die Ampelregierung will die CO₂-Abgabe auf 45 Euro statt wie bisher geplant 40 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2024 erhöhen. Damit kehrt sie zurück auf den von der vorherigen Großen Koalition eingeschlagenen Preispfad. Andreas Jung, klima- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt gegenüber Table.Media zwar: “Diesen Preis hatten wir ja ursprünglich für 2024 beschlossen“, und dazu stehe die Fraktion auch. Er bemängelt jedoch: “Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen trifft es besonders hart“, ohne dass es dafür einen Ausgleich in Form eines Klimageldes gebe.

Grundsätzlich befürworten alle im Bundestag vertretenen Parteien die Kopplung einer CO₂-Bepreisung und eines Klimageldes, wie sie andere Länder schon verwirklicht haben. Einzig die AfD lehnt die CO₂-Bepreisung ab und bezeichnet ein Klimageld als “Almosen”.

Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es, dass ein Klimageld “die Akzeptanz des Marktsystems” für CO₂-Emissionen gewährleisten und sozial kompensieren solle. Andere Länder wie die Schweiz haben ein solches System schon eingeführt. Nur unter zwei Bedingungen sei die CO₂-Bepreisung gerechtfertigt, sagt Jung, der auch stellvertretender Vorsitzender der CDU ist: “Effektiver Klimaschutz muss im Vordergrund stehen”, und die Einnahmen müssten zurückgegeben werden.

Linke befürchtet Schaden an der Demokratie

Ganz ähnlich äußert sich Lorenz Gösta Beutin, stellvertretender Parteivorsitzender der Linken und bis 2021 Mitglied des Bundestags. “Die Erhöhung des CO₂-Preises ist nur zur Gegenfinanzierung dieser Haushaltslücke gedacht”, sagte er Table.Media, “und somit wird der CO₂-Preis zum Instrument der Umverteilung von unten nach oben.” Wie Finanztip.de berechnet hat, werden sich allein die CO₂-Kosten einer Gasheizung mit 6000kWh-Verbrauch infolge der Entscheidung fast verdoppeln, von in diesem Jahr 39 Euro auf 65 Euro in 2024. Der Preis für einen Liter Benzin wird um 4,3 Cent steigen.

Die Energiekosten für Konsumenten und Gewerbe steigen zusätzlich, weil die Bundesregierung den Ausbau der Stromübertragungsnetze im Rahmen der Umstellung auf erneuerbare Energien nicht mehr wie ursprünglich versprochen mit 5,5 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds subventionieren will. Das Vorhaben hatten die Spitzen der Bundesregierung zuletzt noch bei der Vorstellung des Industriestrompakets im November bekräftigt, am Mittwoch aber ersatzlos gestrichen.

Jung und Beutin kritisieren, dass die Beschlüsse der Klimapolitik schaden. “Die Art und Weise, wie das gemacht wird, diskreditiert das Instrument” der CO₂-Bepreisung, die im Mittelpunkt der Klimaanpassungsstrategien der CDU steht. Beutin sieht “das Vertrauen in Klimaschutz insgesamt sinken”, und befürchtet, dass es zu zunehmender Energiearmut in Deutschland kommen wird. “Und das in einer Situation, in der die Gesellschaft ohnehin instabil ist und nach rechts zu kippen droht“, sagt der Klimapolitiker der Linken. “Unserer Ansicht nach ist das auch eine Gefahr für die Demokratie insgesamt und ein Konjunkturprogramm auch für die AfD.”

Das “zarte Pflänzchen” Solarindustrie könnte eingehen

Zu den weiteren Änderungen im Haushalt, die den ESG-Bereich betreffen, gehören

  • der Wegfall des “Umweltbonus” zur Förderung von E-Autos, der ursprünglich bis Ende 2024 gelten sollte
  • die Sanierung des Schienennetzes der Bahn, die nun durch Privatisierungserlöse finanziert werden soll
  • eine Abgabe auf Plastikprodukte
  • voraussichtliche Kürzungen im Bereich der Wärmewende

Beibehalten bleiben sollen hingegen

  • der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft
  • Vorhaben zur Dekarbonisierung der Industrie
  • Die Entlastung von der EEG-Umlage
  • Das Wachstumschancengesetz, dass allerdings im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelt werden muss

Die Politiker aus CDU und der Linken zeigen sich auch besorgt über das bevorstehende Ende der Förderung für die Solarindustrie in Deutschland, die Habeck ebenfalls ankündigte. “Die Solarindustrie ist ja ein ganz zartes Pflänzchen in Deutschland”, sagt Beutin. “Es besteht die Gefahr, dass das wieder eingestampft wird.” Auch Andreas Jung sieht die Notwendigkeit, nun alternative Wege zu finden, um die Solarindustrie “resilienter zu machen”.

Allerdings hatte die Union mit ihrer Haltung auch indirekt mit zu den jetzigen Kürzungen beigetragen. Denn einem gerade von den Grünen präferierten Sondervermögen für die Transformationsvorhaben wollte die CDU ebenso wenig zustimmen wie einer Reform der Schuldenbremse, wie sie SPD und Grüne wollten. Für beides bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, die ohne die CDU nicht zu erreichen ist.

  • Haushalt
  • Klimageld
  • Klimapolitik

ESG.Table Redaktion

ESG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    mit dem Kompromiss beim Trilog für ein EU-Lieferkettengesetz bahnt sich eine historische Entscheidung an. Stimmen alle Akteure dem Kompromiss zu, ginge die Zeit der freiwilligen unternehmerischen Verantwortung für die Verhältnisse in den globalen Liefernetzen zu Ende. Für die Menschen in den Lieferketten europäischer Unternehmen ist das eine gute Nachricht. Aber es ist auch eine gute Nachricht für die Unternehmen selbst, denn sie können nun weltweit in punkto Umwelt- und Menschenrechte Standards setzen. Was genau in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag beschlossen wurde und wie der Kompromiss bewertet wird, beschreibt Leonie Düngefeld.

    Wie strittig es beim Thema Lieferkettenverantwortung zugehen kann, zeigen anhand des Beispiels des Gutachtens über das VW-Werk in der Uigurenregion Xinjiang in China Marcel Grzanna und Fabian Kretschmer.

    Historische Züge hat auch die Einigung bei der COP28 in Dubai, denn zumindest der Umstieg aus den fossilen Energien ist beschlossen. Was dies bedeutet, lesen Sie bei Lukas Scheid.

    Die Hinwendung zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Deutschland ist längst beschlossen. Inwieweit sich der aktuelle Haushaltskompromiss der Ampelregierung auf Erfolg oder Geschwindigkeit der Transformation auswirken könnte, beschäftigt Alex Veit.

    Ihr
    Caspar Dohmen
    Bild von Caspar  Dohmen

    Analyse

    EU-Sorgfaltspflichtengesetz: Für Unternehmen werden transparente Lieferketten zum Strategiethema

    In den Verhandlungen um das EU-Sorgfaltspflichtengesetz (CSDDD) haben sich EU-Parlament, Rat und Kommission vorläufig geeinigt. Bei dem erneut langen Trilogtreffen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten sie Kompromisse für die letzten strittigen Themen finden: Der Finanzsektor wird auf Druck des Rats zunächst von den Pflichten ausgenommen; bei der Haftung und der Umsetzungspflicht für Klimapläne konnte sich wiederum das Parlament durchsetzen.

    “Dieses Gesetz ist ein historischer Durchbruch”, sagte EP-Berichterstatterin Lara Wolters am Donnerstagvormittag. Sie erinnerte an den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch 2013 mit mehr als 1130 Toten: Zehn Jahre später seien Unternehmen nun für mögliche Missstände in ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich. “Möge dieses Abkommen ein Tribut an die Opfer dieser Katastrophe sein und ein Ausgangspunkt für die Gestaltung der Wirtschaft der Zukunft – einer Wirtschaft, die das Wohlergehen der Menschen und des Planeten über Profite und Kurzsichtigkeit stellt.”

    CSDDD geht deutlich über deutsches Gesetz hinaus

    Die Richtlinie ähnelt in ihrer Struktur dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), geht jedoch noch deutlich darüber hinaus: Während in Deutschland nach dem LkSG etwa 3.000 Unternehmen berichten müssen, werden es nach der CSDDD um die 15.000 sein. Die CSDDD konzentriert sich außerdem nicht nur auf die direkten Lieferanten wie das LkSG, sondern umfasst sowohl die vorgelagerte Wertschöpfungskette (etwa den Rohstoffabbau) als auch teilweise die nachgelagerte Kette (Verwendung, Verwertung, Entsorgung).

    Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen:

    • Betroffene Unternehmen müssen Sorgfaltspflichten für ihre Wertschöpfungskette in ihre Strategien und ihre Risikomanagementsysteme integrieren. Geeignete Maßnahmen sind auf einer geschlossenen Liste aufgeführt.
    • Geltungsbereich: Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz; Nicht-EU-Unternehmen mit einem Nettoumsatz von 300 Millionen Euro in der EU innerhalb von drei Jahren; kleine und mittelständische Unternehmen sind ausgenommen, werden aber dabei unterstützt, die Richtlinie freiwillig anzuwenden
    • Ausnahme für den Finanzsektor: Banken und Versicherer sind vorübergehend von den Sorgfaltspflichten ausgenommen. Das Gesetz beinhaltet jedoch eine Überprüfungsklausel für eine mögliche Einbeziehung dieses Sektors zu einem späteren Zeitpunkt auf der Grundlage einer Folgenabschätzung durch die EU-Kommission.
    • Klimapläne: Die Unternehmen müssen einen Plan verabschieden, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius übereinstimmt. Das Management von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern erhält finanzielle Leistungen für die Umsetzung des Plans. Auch der Finanzsektor ist von dieser Vorgabe betroffen.
    • Haftung: Für die Verursachung oder Mitwirkung an negativen Auswirkungen sollen Unternehmen haften. Die Verjährungsfrist wurde auf fünf Jahre verlängert, die Verfahrenskosten für Kläger werden begrenzt.
    • Sanktionen: Bei Verstößen müssen Unternehmen eine Strafe von mindestens fünf Prozent des Umsatzes zahlen.

    VDMA: “Sargnagel für Wettbewerbsfähigkeit”

    Mehrere Industrieverbände riefen Rat und Parlament auf, das Gesetz in den nun anstehenden Abstimmungen abzulehnen. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), nutzte drastische Worte: “Mit der heutigen Einigung im Trilog für ein europäisches Lieferkettengesetz liefert die EU den nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.” Das Gesetz stehe in einer langen Reihe bürokratischer Exzesse aus Brüssel, die vom industriellen Mittelstand geschultert werden müssten. Von der Ankündigung, europäische Unternehmen von 25 Prozent der Bürokratiepflichten zu entlasten, sei keine Spur.

    Ähnlich äußerte sich auch BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner: Der finale Gesetzestext bedrohe Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, “da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten“. Dies würde Menschenrechten und Umwelt nicht zugutekommen, sondern schaden.

    Forscher und Expertinnen aus der Wissenschaft sehen dies anders: “Deutsche Unternehmen, die sich um eine ernsthafte und gewissenhafte Umsetzung ihrer Pflichten nach dem Lieferkettengesetz bemühen, haben (…) wenig zu befürchten”, kommentierte Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität in Erlangen-Nürnberg. “Vielmehr hat die Richtlinie für sie nur Vorteile: Sie haben sich bereits auf die neuen Regeln eingestellt und erleben nun auch keine Wettbewerbsverzerrungen mehr.”

    Unternehmen haften für Verstöße

    Für Unternehmen werde es nun wichtig sein, das Thema Sorgfaltspflichten strategisch zu sehen, sagte Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität in Oestrich-Winkel: “Der Schutz von Menschenrechten ist von zunehmender Bedeutung für die Unternehmensreputation weltweit.” Außerdem seien Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten und transparente Lieferketten pflegen, deutlich krisenresilienter. Dies könne ein ausschlaggebender Faktor werden.

    Die Zivilgesellschaft kritisierte die Ausnahme für den Finanzsektor scharf. Die Reaktionen fielen ansonsten sehr positiv aus: Das NGO-Bündnis “Initiative Lieferkettengesetz” sprach von einem “Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in globalen Lieferketten“. Etwa werde die Position von Betroffenen vor Gericht verbessert, sagte Koordinatorin Johanna Kusch: “Anders als das deutsche Lieferkettengesetz sieht es eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten verletzen.” Menschen, deren Rechte verletzt wurden, können zukünftig in verwaltungsrechtlichen Verfahren und vor Zivilgerichten klagen.

    Anpassungen im deutschen Lieferkettensorgfaltsgesetz nötig

    Als nächste Schritte müssen nun Rat und Parlament die Einigung formal annehmen. Anschließend tritt das Gesetz in Kraft. Da es sich um eine Richtlinie handelt, ist sie erst bindend, wenn sie in nationales Recht umgesetzt wurde.

    Für die Umsetzung rechnet man laut Informationen von Table.Media aus dem Parlament mit etwa zwei Jahren. In Deutschland wird also weiterhin das LkSG gelten; es werden jedoch Anpassungen erforderlich sein.

    • Lieferkettengesetz
    • Sorgfaltspflichten

    Prüfbericht zu VW in Xinjiang weckt Unbehagen bei beteiligten Mitarbeitern

    Das Thema Xinjiang hat Volkswagen erneut eingeholt. Zuletzt haben sich Mitarbeiter der deutschen Beratungsfirma, die das Audit im Werk in Urumqi durchgeführt hat, öffentlich von dem Untersuchungsbericht distanziert. In einer Stellungnahme auf der Online-Plattform LinkedIn teilten sie mit, niemand außer zwei Vorstandsmitgliedern habe “an diesem Projekt teilgenommen, es unterstützt oder begleitet”. Mehrere der insgesamt 20 Angestellten stellen zudem in individuellen Stellungnahmen klar: “Ich habe weder die Annahme dieses Projekts unterstützt, noch war ich in irgendeiner Weise daran beteiligt.”

    Es ist gut zwei Wochen her, dass Volkswagen erklärte, eine Sonderprüfung habe in ihrem Werk in Urumqi keine Hinweise auf arbeitsrechtliche Probleme gefunden. Der Vorwurf, dass der Autobauer von den Menschenrechtsverbrechen der chinesischen Regierung an den Uiguren profitieren könnte, war vom Tisch – das war jedenfalls die Hoffnung. Doch die Probleme mit Inspektionen in einem intransparenten System holen den Konzern nun ein. Wie wichtig es künftig sein wird, seine Lieferketten erfolgreich zu durchleuchten, zeigt die Einigung auf ein strenges Lieferkettengesetz durch die EU am Donnerstag.

    Inspektion nur in der Fabrik selbst

    Die Beratungsfirma Löning – Human Rights and Responsible Business wurde von dem ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning gegründet. Dieser sagte bislang zur Rebellion seiner Mitarbeiter: “Wie Sie sehen, sind wir ein lebendiges und engagiertes Team mit einem breiten Spektrum an Ansichten”. Zu dem Ergebnis der Studie, dass man keine Anzeichen für Zwangsarbeit bei VW gefunden habe, stehe er weiterhin.

    Doch das Dilemma ist offensichtlich. Gegenüber der Financial Times hat Löning selbst gesagt, dass es für die Uiguren in Xinjiang praktisch unmöglich sei, von Menschenrechtsvergehen zu berichten: “Selbst wenn sie etwas wüssten, könnten sie das nicht in einem Interview sagen.” Zu groß ist die Gefahr, ins Visier der Sicherheitspolizei zu geraten.

    Löning war bereits am Tag der Veröffentlichung des Berichts ein gewisses Unbehagen mit der Wahrnehmung des Projekts anzumerken. Er wies darauf hin, dass seine Leute nur im Werk selbst nachsehen konnten. Sie haben nicht bei Zulieferern oder im politisch-gesellschaftlichen Umfeld in Xinjiang recherchiert.

    Das Handelsministerium war beteiligt

    Dabei hatte schon die Art der Inspektion selbst viele Fragen offen gelassen. “Die Wertigkeit der Prüfung kann überhaupt nicht nachvollzogen werden”, sagt Tilman Massa vom Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Denn das Beratungsunternehmen hatte “Probleme bei der Datenerhebung” eingeräumt, diese aber nicht spezifiziert. “Volkswagen kann nicht einfach so tun, als seien diese Probleme hinlänglich bekannt, sondern muss sie klar benennen. Mit diesen Defiziten können wir ein Audit nicht als effektive Maßnahme anerkennen”, sagt Massa, der Volkswagen noch in dieser Woche um weitere Stellungnahmen bitten wird.

    Was die Kritischen Aktionäre und andere Investoren interessiert, sind die Umstände, unter denen die Prüfer zu ihren Schlussfolgerungen gekommen sind. Löning konnte die Überprüfung keineswegs völlig unabhängig vorbereiten und durchführen, sondern war auf die Mithilfe einer Kanzlei aus Shenzhen angewiesen. Auch das chinesische Handelsministerium war in die Vorgänge involviert, wie ein Konzernsprecher gegenüber Table.Media bestätigt.

    Saic hat das letzte Wort

    Die Entscheidung darüber, ob die Werksprüfung tatsächlich stattfinden konnte, lag schlussendlich bei Volkswagens Partner-Unternehmen Saic. Der staatliche Autobauer hat in dem Joint Venture das letzte Wort. So steht es seit Jahrzehnten in den Verträgen zwischen den beiden Herstellern.

    Man wisse um die “Umstände”, die in Xinjiang vorherrschen, heißt es aus dem Konzern. Aber man könne sich nur dort verantwortlich fühlen, wo man Einfluss habe – also zumindest im eigenen Werk in Xinjiang. Der Konzern ist der Überzeugung, man könne nicht von ihm erwarten, etwas zu schaffen, zu dem die Weltpolitik nicht in der Lage sei – “China zur Einsicht zu bewegen”. In Wolfsburg sieht man sich deshalb eher als Projektionsfläche für Nichtregierungsorganisationen, die deren Agenda unter anderem auch an Volkswagen ausrichteten, weil das eine hohe Aufmerksamkeit erzeuge.

    Vorwurf einer “politischen Entscheidung”

    Massa, der mit seinem Dachverband Investoren vertritt, die Aktien des Unternehmens besitzen, hält diesen Vorwurf für ungerechtfertigt. Volkswagen stehe unter Verdacht, mit der Zustimmung zum Bau des Werkes in Xinjiang eine “politische Entscheidung” getroffen zu haben. “Niemand erwartet Unmögliches von Volkswagen. Aber der Konzern muss zumindest seinen eigenen Aussagen und Ankündigungen gerecht werden”, fordert Massa.

    Eine davon lautet, Menschenrechte seien bei Volkswagen nicht verhandelbar. Rechtsvorstand Manfred Döss betonte, Volkswagen werde auch künftig Hinweisen auf Menschenrechtsverstöße nachgehen. “Sollte es einen Verdacht oder Hinweise geben, werden wir diesen nachgehen”, hatte er gesagt. Doch während der Konzern die Umstände in Xinjiang im Rahmen des Audits eingesteht, sieht Döss seinen Informationsbedarf durch ein nur vordergründig sauberes Audit offenbar bereits befriedigt. Die Kritischen Aktionäre sehen darin einen Widerspruch.

    Werksschließung würde Gesichtsverlust bedeuten

    Das hatte auch die Hallam University aus Sheffield im vergangenen Jahr festgestellt, die für verschiedene Zulieferer-Segmente der Autobranche höchste Alarmstufe ausgelöst hatte, auch weil die Lieferketten von ausländischen Firmen praktisch nicht verlässlich auf Nachhaltigkeit geprüft werden können. Passiert ist seitdem nichts. Kein Hersteller schien sich angesprochen zu fühlen, auch Volkswagen nicht. Es habe sich um Firmen gehandelt, mit denen man kein Vertragsverhältnis pflege.

    Im Hintergrund sprechen VW-Mitarbeiter inzwischen ganz offen von ihren moralischen Bedenken. Gleichzeitig sagen sie auch, dass man das Werk nicht vor dem bis 2029 laufenden Vertrag schließen könne. Tatsächlich dürfte bei Volkswagen am Ende die Angst vor der chinesischen Regierung überwiegen: Ein Rückzug von VW aus Xinjiang würde für Peking schließlich einen großen Gesichtsverlust darstellen. Und dieser hätte sicherlich ökonomische Vergeltungsmaßnahmen zur Folge. Marcel Grzanna/Fabian Kretschmer

    • Autoindustrie
    • Menschenrechte
    • SAIC
    • Volkswagen
    • Xinjiang
    • Zwangsarbeit

    COP28-Beschluss: Nicht perfekt, aber die Richtung ist klar

    Für Außenministerin Annalena Baerbock benennt der Beschluss “klar und deutlich das Ende der Fossilen”.

    Der erste Global Stocktake – die Bestandsaufnahme zu den Zielen des Paris-Abkommens – ist beschlossen. Zwar gebe es Fortschritte bei der Eindämmung des Klimawandels, der Anpassung an die sich ändernden klimatischen Verhältnisse und den zur Verfügung stehenden Mitteln zur Umsetzung der Pariser Ziele. Doch um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, sei man noch nicht auf dem richtigen Weg, heißt es in dem 21 Seiten langen Dokument, dem alle 197 Vertragsstaaten zugestimmt haben.

    In Dubai haben sich die Länder nun verpflichtet, auf “wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Maßnahmen” noch in diesem Jahrzehnt zu beschleunigen. Wie diese Maßnahmen aussehen, war bis zuletzt die strittigste Frage der COP28, insbesondere in Bezug auf die Rolle fossiler Brennstoffe: Der “UAE-Consensus”, wie COP-Präsident Sultan Al Jaber das Papier taufte, sieht vor:  

    • Verdreifachung der erneuerbaren Energien und Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030
    • Abkehr von fossilen Brennstoffen in Energiesystemen “in diesem kritischen Jahrzehnt”
    • Förderung von emissionsfreien und emissionsarmen Technologien, darunter Erneuerbare Energien, Wasserstoff, Kernenergie sowie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) mit Fokus auf schwer zu dekarbonisierende Sektoren
    • deutliche Reduzierung der Nicht-CO₂-Emissionen bis 2030, insbesondere Methan.

    Semantische Feinheiten machen Beschlüsse möglich

    Es ist das erste Mal, dass fossile Energien als Ganzes Einzug in einen Abschlusstext einer UN-Klimakonferenz halten, auch wenn es nicht der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen (“phase-out of fossil fuels”) ist, wie ihn Deutschland und die EU gefordert hatten. Der Widerstand einiger arabischen Länder rund um Saudi-Arabien war zu groß, eine Einigung auf das harte Ende der Fossilen war in Dubai nicht möglich. Die Formulierung “Phase-out” war aufgrund der wochenlangen Diskussionen ohnehin politisch verbrannt. Und so musste eine Alternative her, der auch Saudi-Arabien gesichtswahrend zustimmen konnte.

    Dabei ist die jetzt getroffene “Abkehr” von Fossilen (im Englischen original: “transition away from fossil fuels”) für viele beinahe gleichwertig mit einem Ausstieg. Es gibt zudem keine Einschränkung für die Abkehr, beispielsweise durch den Zusatz der umstrittenen Bezeichnung “unabated fossil fuels” – oft als Synonym für Fossile ohne CCS bezeichnet. Li Shuo, Klimaexperte des Thinktanks Asia Society Policy Institute, hält das Signal, das mit der Einigung von Dubai einhergeht, ohnehin für wichtiger als die exakte semantische Differenzierung der Begrifflichkeiten.

    Für die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock benennt der Beschluss von Dubai ebenfalls “klar und deutlich das Ende der Fossilen”. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sieht darin den “Anfang des Ausstiegs”. Auch für Christoph Bals, politischen Geschäftsführer von Germanwatch, ist mit der beschlossenen Formulierung das globale Ziel klar benannt: Eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe.

    Nur Erneuerbare helfen kurzfristig

    Wichtig ist dabei vor allem der Kontext, in dem die Abkehr von Fossilen im Absatz 28d eingebettet worden ist. Zum einen wäre da der Chapeau – der Einleitungssatz des Paragrafen. Darin erkennen die Staaten an, dass die Treibhausgase schnellstmöglich reduziert werden müssen, um 1,5 Grad Erderwärmung nicht zu überschreiten. Dadurch wird verdeutlicht, dass kurzfristige Maßnahmen zur Emissionsminderung notwendig sind – diese sind: Ausbau der Erneuerbaren und Erhöhung der Energieeffizienz.

    Zwar einigten sich die Vertragsstaaten auch auf die Förderung von CCS und Kernenergie. Doch soll die Abkehr von Fossilen noch in diesem “kritischen Jahrzehnt” durch Maßnahmen beschleunigt werden. Sowohl CCS als auch Kernenergie sind in diesem Jahrzehnt aller Voraussicht nach nicht in ausreichendem Maßstab verfügbar, um ernsthaft Emissionen im Energiesektor zu reduzieren. Das bedeutet, die kurzfristigen Ziele des Global Stocktake sind nur durch eine drastische Reduzierung von Verbrauch und Herstellung fossiler Brennstoffe bei gleichzeitigem Hochlauf der Erneuerbaren möglich.

    Annalena Baerbock stellte zum Abschluss der COP28 deshalb klar: “Jeder, der rechnen kann, weiß nun, dass sich Investitionen in fossile Energien langfristig nicht mehr lohnen.” Während Erneuerbare 2015 bei der COP21 in Paris im Haupttext noch keine Rolle spielten, habe sich die Welt nun entschieden. “Erneuerbare sind die globale Lösung für mehr Klimaschutz”, so die Außenministerin.

    Konsens von Dubai hat auch Schattenseiten

    Ein Paris-Moment konnte in Dubai jedoch nicht wiederholt werden. Die Freude ist getrübt, da “Übergangskraftstoffe” für die Energiewende auch weiterhin eine Rolle spielen sollen. Gemeint ist Gas. Allerdings sei Gas keine Brückentechnologie, sondern ein fossiler Brennstoff, stellt Alden Meyer, Senior Associate und Klimapolitikexperte beim Thinktank E3G, klar. Vollends zufrieden sei er mit dem Text daher nicht.

    Samoa kritisierte im Namen der Gruppe der Inselstaaten noch im Abschlussplenum der COP, dass lediglich die Rede von einem Ende der “ineffizienten” Subventionen für Fossile ist, wobei der Begriff “ineffizient” in diesem Kontext nicht definiert ist. Auch die Aufforderung, den globalen Emissionshöchststand spätestens 2025 zu erreichen, sei nicht im Text, bemängelte die samoanische Delegierte.

    Vor allem aber die Frage, wie Entwicklungsländer bei der Energiewende unterstützt werden, bleibt auch in Dubai ungeklärt. Der Text gibt zudem keine Verpflichtungen für Industrienationen oder reichere Länder vor, schneller als andere zu dekarbonisieren.

    Der COP mag zu einer Einigung über den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gekommen sein, kommentiert Mohamed Adow von Power Shift Afrika, aber sie liefere keinen Plan zur Finanzierung. “Wenn die reichen Länder wirklich an einem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe interessiert sind, müssen sie kreative Wege finden, um diesen zu finanzieren.” Entwicklungsländer würden nicht in der Lage sein, den Ausstieg zu schaffen, so Adow.

    • Autoindustrie
    • CCS
    • COP28
    • Fossile Brennstoffe
    • Global Stocktake
    • Klima & Umwelt

    Opposition: Höherer CO₂-Preis schadet Akzeptanz der Klimapolitik

    In seltener Einigkeit kritisieren Politiker aus der Union wie von der Linken eine soziale Schieflage bei der Haushaltseinigung der Bundesregierung. Diese schadet aus ihrer Sicht der Akzeptanz der Klimapolitik in der Bevölkerung und könnte damit die Transformation erschweren.

    Die Ampelregierung will die CO₂-Abgabe auf 45 Euro statt wie bisher geplant 40 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2024 erhöhen. Damit kehrt sie zurück auf den von der vorherigen Großen Koalition eingeschlagenen Preispfad. Andreas Jung, klima- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt gegenüber Table.Media zwar: “Diesen Preis hatten wir ja ursprünglich für 2024 beschlossen“, und dazu stehe die Fraktion auch. Er bemängelt jedoch: “Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen trifft es besonders hart“, ohne dass es dafür einen Ausgleich in Form eines Klimageldes gebe.

    Grundsätzlich befürworten alle im Bundestag vertretenen Parteien die Kopplung einer CO₂-Bepreisung und eines Klimageldes, wie sie andere Länder schon verwirklicht haben. Einzig die AfD lehnt die CO₂-Bepreisung ab und bezeichnet ein Klimageld als “Almosen”.

    Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es, dass ein Klimageld “die Akzeptanz des Marktsystems” für CO₂-Emissionen gewährleisten und sozial kompensieren solle. Andere Länder wie die Schweiz haben ein solches System schon eingeführt. Nur unter zwei Bedingungen sei die CO₂-Bepreisung gerechtfertigt, sagt Jung, der auch stellvertretender Vorsitzender der CDU ist: “Effektiver Klimaschutz muss im Vordergrund stehen”, und die Einnahmen müssten zurückgegeben werden.

    Linke befürchtet Schaden an der Demokratie

    Ganz ähnlich äußert sich Lorenz Gösta Beutin, stellvertretender Parteivorsitzender der Linken und bis 2021 Mitglied des Bundestags. “Die Erhöhung des CO₂-Preises ist nur zur Gegenfinanzierung dieser Haushaltslücke gedacht”, sagte er Table.Media, “und somit wird der CO₂-Preis zum Instrument der Umverteilung von unten nach oben.” Wie Finanztip.de berechnet hat, werden sich allein die CO₂-Kosten einer Gasheizung mit 6000kWh-Verbrauch infolge der Entscheidung fast verdoppeln, von in diesem Jahr 39 Euro auf 65 Euro in 2024. Der Preis für einen Liter Benzin wird um 4,3 Cent steigen.

    Die Energiekosten für Konsumenten und Gewerbe steigen zusätzlich, weil die Bundesregierung den Ausbau der Stromübertragungsnetze im Rahmen der Umstellung auf erneuerbare Energien nicht mehr wie ursprünglich versprochen mit 5,5 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds subventionieren will. Das Vorhaben hatten die Spitzen der Bundesregierung zuletzt noch bei der Vorstellung des Industriestrompakets im November bekräftigt, am Mittwoch aber ersatzlos gestrichen.

    Jung und Beutin kritisieren, dass die Beschlüsse der Klimapolitik schaden. “Die Art und Weise, wie das gemacht wird, diskreditiert das Instrument” der CO₂-Bepreisung, die im Mittelpunkt der Klimaanpassungsstrategien der CDU steht. Beutin sieht “das Vertrauen in Klimaschutz insgesamt sinken”, und befürchtet, dass es zu zunehmender Energiearmut in Deutschland kommen wird. “Und das in einer Situation, in der die Gesellschaft ohnehin instabil ist und nach rechts zu kippen droht“, sagt der Klimapolitiker der Linken. “Unserer Ansicht nach ist das auch eine Gefahr für die Demokratie insgesamt und ein Konjunkturprogramm auch für die AfD.”

    Das “zarte Pflänzchen” Solarindustrie könnte eingehen

    Zu den weiteren Änderungen im Haushalt, die den ESG-Bereich betreffen, gehören

    • der Wegfall des “Umweltbonus” zur Förderung von E-Autos, der ursprünglich bis Ende 2024 gelten sollte
    • die Sanierung des Schienennetzes der Bahn, die nun durch Privatisierungserlöse finanziert werden soll
    • eine Abgabe auf Plastikprodukte
    • voraussichtliche Kürzungen im Bereich der Wärmewende

    Beibehalten bleiben sollen hingegen

    • der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft
    • Vorhaben zur Dekarbonisierung der Industrie
    • Die Entlastung von der EEG-Umlage
    • Das Wachstumschancengesetz, dass allerdings im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelt werden muss

    Die Politiker aus CDU und der Linken zeigen sich auch besorgt über das bevorstehende Ende der Förderung für die Solarindustrie in Deutschland, die Habeck ebenfalls ankündigte. “Die Solarindustrie ist ja ein ganz zartes Pflänzchen in Deutschland”, sagt Beutin. “Es besteht die Gefahr, dass das wieder eingestampft wird.” Auch Andreas Jung sieht die Notwendigkeit, nun alternative Wege zu finden, um die Solarindustrie “resilienter zu machen”.

    Allerdings hatte die Union mit ihrer Haltung auch indirekt mit zu den jetzigen Kürzungen beigetragen. Denn einem gerade von den Grünen präferierten Sondervermögen für die Transformationsvorhaben wollte die CDU ebenso wenig zustimmen wie einer Reform der Schuldenbremse, wie sie SPD und Grüne wollten. Für beides bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, die ohne die CDU nicht zu erreichen ist.

    • Haushalt
    • Klimageld
    • Klimapolitik

    ESG.Table Redaktion

    ESG.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen