
Wie wichtig sind die SDG zur Umsetzung der ökologischen Transformation?
Das ist für mich der Fokus und führt zu den wichtigsten Fragen: Wie kann die Politik in einer Zeit multipler Krisen die Transformationen hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz meistern? Und wie können wir den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft so gestalten, dass alle Menschen mitmachen? Denn die Transformation wird scheitern, wenn sie nicht in der gesellschaftlichen Breite auf soziale Akzeptanz stößt. Darin sehe ich heute das größte Problem.
Das scheint selbst in Deutschland schwierig, wie die Diskussion um das sogenannte Heizungsgesetz zeigt.
Viele Menschen hatten das Gefühl, hier wird ihnen was aufgezwungen, was sie nicht stemmen können. Also: Sie brauchen Hilfe und der Staat ignoriert das. Die entscheidende Frage ist, ob wir in den nächsten zehn Jahren die soziale Akzeptanz für einen Wandel in der Art wie wir leben und wirtschaften schaffen, innerhalb unserer Gesellschaft und auch global. Wenn wir die Ärmsten der Armen im globalen Süden vergessen, deren Lebensgrundlage durch die Klimaerwärmung, durch Dürren oder Fluten schwindet, dann wird es Kriege und Konflikte geben, Menschen werden fliehen und ihre Heimat verlassen. Chaos droht auch innerhalb unserer Gesellschaft als Folge des Klimawandels. Für mich ist die große Frage die des sozialen Friedens, der sozialen Akzeptanz, der sozialen Transformation.
Das bedeutet, die Verteilungsfrage innergesellschaftlich und auch international mit einer ganz anderen Ernsthaftigkeit als bisher anzugehen?
Die Verteilungsfrage entscheidet über den Erfolg der klimaneutralen Transformation – weltweit. Wir tun leider auch in Deutschland immer noch so, als würde uns der Rest der Welt nichts angehen. In der Ukrainekrise fokussieren wir uns auf die hiesige Inflation und vergessen, dass hunderte Millionen Menschen weltweit unter höheren Energiepreisen und Nahrungsmittelpreisen viel stärker leiden als fast jeder hierzulande. Wir haben uns im Klimaschutzabkommen von Paris 2015 und auch im vergangenen Jahr dazu verpflichtet, dem globalen Süden finanziell zu helfen, damit dieser die Transformation bewerkstelligt. Aber nichts passiert, gar nichts.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse vom Gipfel in Paris vergangene Woche?
Es braucht ein stabiles globales Finanzsystem, das bei Problemen im Norden nicht die ärmsten Länder im Süden in Finanzkrisen treibt. Ich hoffe, dass es zu einem ultimativen Umdenken im globalen Norden kommt, denn natürlich geht es darum, dem globalen Süden zu helfen, eigene Probleme selbst zu lösen. Aber letztlich sind das Probleme, die wir im globalen Norden ausgelöst haben. Dafür müssen auch direkte finanzielle Transfers vom globalen Norden an den globalen Süden fließen, um der eigenen Verantwortung gegenüber dem Klimaschutz gerecht zu werden.
Und wie steht es um die Verteilungsfrage in Deutschland?
Viel zu viele Menschen denken immer noch, dass die, die wenig haben, zum Teil selbst schuld sind. Und wenn wir nur genug Wachstum schaffen, dann werde schon genug für die ärmeren Menschen abfallen und die sollen sich mal nicht so haben. Das ist arrogant, falsch, überheblich und kontraproduktiv. Diese Haltung bereitet mir größte Sorge. Als Gesellschaft müssen wir wieder eine soziale Brücke zwischen den Bevölkerungsgruppen bauen. Wir müssen die soziale Polarisierung reduzieren.
Haben Sie den Eindruck, dass das den Eliten in der Politik bewusst ist?
Politik greift viel zu kurz an der Stelle. Es geht genauso um Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Die große Transformation verlangt große Veränderungen, ökologische, wirtschaftliche und soziale. Dafür sind auch Veränderungen in der Demokratie notwendig, und darauf sind wir zumindest kurzfristig nicht vorbereitet. Denn Menschen mit wenig sozialer Teilhabe und einem geringen Einkommen haben meist keine politische Stimme. Sie gehen häufig nicht wählen und es gibt auch keine Lobbyisten, die ihre Interessen vertreten. Leider erreichen oft die am meisten in der Demokratie, die am lautesten schreien und sich am meisten engagieren.
Ein Wettbewerb in der Demokratie …
Ja, das ist nicht schlecht, aber das macht es schwierig für die Politik, die langfristigen, schwierigen Weichen gegen das Interesse der mächtigen Lobbys zu stellen. Viele Studien zeigen, dass diejenigen mit dem meisten Vermögen die meiste Macht haben und am wenigsten durch die Klimakrise oder eine globale Transformation verlieren. Das ist der grundlegende Konflikt. Es gibt zu wenig Anreize für die Mächtigen in den Industrieländern, die Veränderung als Chance zu verstehen und sie massiv zu unterstützen. Solange das nicht gelingt, wird es schwierig sein, die Transformation voranzubringen.
Wie könnte man einen Anreiz schaffen, damit sich dieser Zustand ändert?
Global brauchen wir in den Demokratien eine klügere Politik, die klare Regeln setzt. Ohne Verbote funktioniert auch unser tägliches Leben nicht und klare Regeln schaffen finanzielle Anreize für Investitionen in neue Technologien und Nachhaltigkeit, und sie ermöglichen dann auch, finanzielle Transfers für Menschen mit wenig Einkommen gesetzlich zu verankern. Menschen sollten für die notwendigen Veränderungen nicht bestraft, sondern unterstützt werden. Für diese gewaltigen Aufgaben müssen die Länder viel stärker zusammenarbeiten in Europa und weltweit – kein Land kann das allein machen.
Deutschland wirkt gerade nicht so, als ob wir das schaffen würden?
Ja, im Augenblick habe ich das Gefühl, gerade wir in Deutschland sind noch so ein bisschen melancholisch, schauen auf die 2010er Jahre, denken, wir wollen wieder zurück in die Vergangenheit und den Status quo ante zementieren. Das wird nicht gelingen. Solange wir nicht verstehen, dass wir schnell diese Transformation bewerkstelligen müssen, auch um im globalen Wettbewerb unseren Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit wahren zu können, befürchte ich, dass wir in Deutschland einen sehr hohen Preis zahlen werden für dieses Verzögern und Verhindern, das wir im Augenblick in der deutschen Politik sehen.