Table.Briefing: Climate

Wagenknecht: Kein Klima-Ehrgeiz + USA: Poker um Wasserstoff + Indonesien: JETP verwässert

Liebe Leserin, lieber Leser,

rund um globale Emissionen schwankt dieser Newsletter zwischen Hoffnungsschimmer und Verzweiflung. Die schlechten Nachrichten zuerst: Während die weltweiten Emissionen um 8 Prozent sinken müssten, damit die 1,5-Grad-Grenze eingehalten wird, sind sie im vergangenen Jahr 1,4 Prozent gestiegen. Gleichzeitig verspricht die International Energy Agency (IEA) mit dem Blick in die Zukunft, dass bessere Zeiten kommen: Die globale Energiewende sei “unstoppable” und die CO₂-Energieemissionen erreichen schon 2025 ihren Peak, heißt es im aktuellen World Energy Outlook.

Wir schauen in dieser Woche auch in die USA, die Milliarden in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft investiert und nach Indonesien. Dort geht die Energiewende nur schleppend voran und es könnten sogar grüne Gelder in Kohlekraftwerke fließen. Die Brüssler Politik haben wir ebenfalls im Blick und erklären, warum Windkraft in der EU teurer werden könnte und wie die EU auf den Inflation Reduction Act antwortet.

Außerdem lesen Sie heute bei uns, warum ein Mittelfeld-Fußballprofi mehr vom Klima versteht als manche Politiker auf der Linksaußen-Position.

Mit uns behalten Sie den Überblick – und vielleicht auch ein bisschen Hoffnung.

Beste Grüße

Ihre
Lisa Kuner
Bild von Lisa  Kuner

Analyse

Wagenknecht will mit der bisherigen Klimapolitik brechen

Am Montag trat Sahra Wagenknecht aus der Linken aus und verkündete die Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Das “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) fordert eine grundlegend andere Klimapolitik in Deutschland und Europa. Das Bündnis bricht damit mit den wichtigsten bisherigen Elementen des Politikbereichs. Anders als im Konsens aller Fraktionen im Bundestag (mit Ausnahme der AfD) lehnt die BSW das Instrument des Emissionshandels ab, wendet sich von der Vollversorgung durch erneuerbare Energien ab und plädiert dafür, wieder russisches Gas zu importieren. Die energie- und klimapolitischen Vorstellungen des neu gegründeten Vereins “Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit” sind dabei bislang allerdings noch allgemein. Teilweise halten sie einem Faktencheck nicht stand.

Wagenknecht und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen legen zum Auftakt ihres politischen Weges keinen Schwerpunkt auf das Thema Klima. Sie geben keine eigenen Ziele vor und präsentieren bislang keine alternativen Ideen, wie die nationalen, europäischen und internationalen Klimaziele konkret zu erreichen wären. Dafür konzentrieren sie sich auf allgemeine Kritik an der aktuellen Politik in Berlin und Brüssel. “Blinder Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht, aber sie gefährden unsere wirtschaftliche Substanz”, schreibt das BSW.

Gegen Preissignale und Emissionshandel

  • Im Einzelnen befürwortet das Bündnis “Vorschläge, die mehr Klimaschutz bringen und gleichzeitig den Wohlstand unseres Landes nicht gefährden. Klimaschutzmaßnahmen, die die Menschen arm machen und den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, lehnen wir ab” heißt es auf der Homepage.
  • Darunter fallen für das Bündnis die Preissignale des geplanten deutschen und europäischen Emissionshandels. “Steigende Preise haben noch nicht einmal einen klimapolitischen Effekt”, heißt es, etwa wenn öffentliche Alternativen zum Autofahren fehlten, weshalb vor allem das Angebot der Bahn ausgeweitet werden solle. Dieser Aussage stehen allerdings Forschungsergebnisse gegenüber, wonach beim Energiesparen “monetäre Anreize als Einzelmaßnahme die wichtigste Rolle spielen”. 
  • “Immer teurere Emissionszertifikate, die wichtige Industrien nur aus Europa vertreiben, helfen dem Klima ebenso wenig”, schreibt das Bündnis. Zahlen der EU-Kommission widersprechen auch dieser Sichtweise. So sind in der EU von 1990 bis 2019 die Emissionen um 24 Prozent gesunken, während die Wirtschaft um 60 Prozent gewachsen ist. Die größten Reduzierungen gab es in den Bereichen, die dem Emissionshandel unterliegen.

Hoffnung auf Technik, Klimaneutralität 2045 nicht erwähnt

  • Das “Bündnis Sahra Wagenknecht” lehnt auch die EU-Regelung zum Auslaufen der Verbrennertechnologie bei Autos ab 2035 ab. Nötig seien “verbrauchsärmere Verbrenner und intensive Forschung an klimaverträglichen Brennstoffen”.
  • Der “entscheidende Beitrag” Deutschlands zur internationalen Klimapolitik sei die “Entwicklung von Zukunftstechnologien”. Dafür müssten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Mehr Güter auf die Schiene, weniger Bürokratie. Mit diesen Technologien ist auch etwa der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gemeint. Ein Bereich, den die Bundesregierung mit 62 Projekten mit insgesamt acht Milliarden Euro fördert.
  • Das BSW schreibt: Zu einer “seriösen Klima- und Umweltpolitik gehört aber Ehrlichkeit: Die Energieversorgung Deutschlands lässt sich im Rahmen der heutigen Technologien nicht allein durch erneuerbare Energien sichern.” Das widerspricht allerdings Berichten aus der Wissenschaft, die eine Vollversorgung mit Erneuerbaren für Deutschland “möglich und sinnvoll” nennen.
  • In der BSW-Erklärung zur “wirtschaftlichen Vernunft” und in den Fragen zur Klimapolitik auf der Homepage fehlen Hinweise auf die zentralen Punkte der Klimapolitik. Das international bindende Pariser Abkommen zum Klimaschutz von 2015 wird nicht erwähnt, auch nicht das gesetzliche Ziel Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu werden, oder das Klimaschutzgesetz des Bundes.

Gas aus Russland

“Wir wollen das Pariser Abkommen nicht kündigen. Aber Deutschlands Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ist so nicht zu erreichen, wie es die Bundesregierung derzeit macht”, sagt der Abgeordnete Klaus Ernst zu Table.Media. Er leitet für die Linke derzeit noch den Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie und will mit Wagenknecht die Linksfraktion Richtung BSW verlassen. “Es geht darum, international die Ziele zu erreichen und nicht darum, in Deutschland um jede Tonne CO₂ zu kämpfen oder die Sektorziele einzuhalten.” Das Ziel der Klimaneutralität “darf nicht zu dem Preis des Niedergangs der heimischen Industrie erreicht werden.”

Für Ernst ist es sinnvoller, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe in anderen Ländern mit besserem Erneuerbaren-Potenzial zu entwickeln und zu importieren. Er will auch Gas wieder aus Russland importieren, denn “in einer Marktwirtschaft sollten wir immer das Gas daher nehmen, wo es am billigsten ist.”

Greenpeace: Klimapolitik nicht zu billigem Populismus nutzen

Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, sagte dazu zu Table.Media: “Große klimapolitische Impulse sind von Sahra Wagenknecht und ihrer zu gründenden Partei nicht zu erwarten. Ihre Kritik, soziale Gerechtigkeit beim Klimaschutz zentral mitzudenken und große Konzerne stärker in die Verantwortung zu nehmen, statt Klimaschutz vorwiegend als individuelle Verantwortung einzelner zu behandeln, ist berechtigt.” Allein ihre konkreten Aussagen überzeugten nicht. Populistische Attacken zur eigenen Profilierung gegen zentrale Klimaschutzmaßnahmen wie das Gebäude-Energiegesetz wären ebenso problematisch “wie die Forderung, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu lockern, um leichter billiges fossiles Gas zu importieren.”

Kaiser sagte, er hoffe, “dass Sahra Wagenknecht die Klimapolitik nicht zu billigem Populismus nutzt, sondern konstruktiv daran arbeitet, Klimaschutz sozial gerecht zu gestalten. Eine weitere Partei, die die Energiewende aktiv sabotiert, können sich weder Deutschland noch das Klima leisten.”

Bleibt Klaus Ernst Vorsitzender im Klimaausschuss?

Ob Klaus Ernst Vorsitzender im Klimaschutzausschuss des Parlaments bleiben kann, ist derzeit offen. Denn ob ihm nach einer Spaltung der Linken-Fraktion und der Reduzierung auf den Status als Mitglied einer Gruppe noch das Recht auf den Vorsitz zusteht, ist unklar. Auf Anfrage von Table.Media hieß es bei der Verwaltung des Bundestags, ein solcher Fall sei bisher noch nicht aufgetreten. Er werde im Licht der Geschäftsordnung geprüft und vom Ältestenrat entschieden. Ernst selbst meint: “Ich klammere mich nicht an den Ausschuss-Vorsitz. Aber derzeit bin ich zum Vorsitzenden gewählt und wenn möglich, werde ich das auch bleiben.”    

  • Deutschland
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  • Klimapolitik
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USA: Milliardenwette auf grünen Wasserstoff

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das sich US-Präsident Joe Biden gesetzt hat. Mit milliardenschweren Anreizen will seine Regierung eine saubere Wasserstoffindustrie im Land aufbauen – und zwar “from scratch”, wie es heißt, also von Grund auf neu. Derzeit deckt Wasserstoff noch weniger als 4 Prozent des Energiebedarfs der USA, und 95 Prozent davon sind sogenannter grauer Wasserstoff, der mit Erdgas hergestellt wird.

Experten skeptisch: Billig und grün?

Experten sind skeptisch, dass eine kostengünstige und vor allem vollständig emissionsfreie Produktion gelingen kann. Neben dem grünen Wasserstoff (Produktion aus erneuerbaren Energien) wird zunächst auch der umstrittene blaue (Produktion aus Erdgas mit CCS) und pinke (Produktion aus Atomenergie) gefördert. Und nicht zuletzt wartet die Branche noch auf entscheidende Klarstellungen von der US-Regierung.

Den Anfang sollen 7 Milliarden US-Dollar aus dem Infrastrukturgesetz machen. Die Mittel fließen zunächst in den Aufbau von sieben regionalen Wasserstoff-Hubs, wie die US-Regierung jüngst angekündigt hat. Laut deren Prognose sollen die Anreize private Investitionen in Höhe von mehr als 40 Milliarden US-Dollar auslösen und Zehntausende Arbeitsplätze schaffen. Zusammen dürften die Zentren dann mehr als 3 Millionen Tonnen als sauber betitelten Wasserstoff (grün, blau, pink) pro Jahr produzieren und damit fast ein Drittel des für 2030 angestrebten Ziels erreichen.

In folgenden Regionen sollen die Knotenpunkte entstehen:

1: California Hydrogen Hub – Kalifornien; erneuerbare Energien und Biomasse

2: Appalachian Hydrogen Hub – West Virginia, Ohio, Pennsylvania; Erdgas mit CCS

3: Midwest Hydrogen Hub – Illinois, Indiana, Michigan; verschiedene Energiequellen

4: Gulf Coast Hydrogen Hub – Texas; Erdgas mit CCS und erneuerbare Energien

5: Mid-Atlantic Hydrogen Hub – Pennsylvania, Delaware, New Jersey; erneuerbare Energie und Kernenergie

6: Heartland Hydrogen Hub – Minnesota, North Dakota, South Dakota; verschiedene Energiequellen

7: Pacific Northwest Hydrogen Hub – Washington, Oregon, Montana; erneuerbare Energien

Ziele: Dekarbonisierung, privates Kapital, effiziente Produktion

Erst im Juni hatte die US-Regierung ihre lange erwartete Wasserstoffstrategie vorgestellt. Demnach sollen bis 2030 jährlich 10 Millionen Tonnen sauberer Wasserstoff produziert werden. Bis 2040 sollen es 20 Millionen und bis 2050 insgesamt 50 Millionen Tonnen sein. Drei Zielen hat sich die US-Regierung besonders verschrieben:

  • Wasserstoff soll vor allem zur Dekarbonisierung besonders schwieriger Sektoren genutzt werden – etwa in der Industrie oder dem Schwerlasttransport.
  • Staatliche Förderungen sollen für private Investitionen sorgen und dadurch langfristig die Kosten senken.
  • Durch die Konzentration auf regionale Netzwerke sollen die Unternehmen besonders effizient produzieren.

Die jüngsten 7 Milliarden US-Dollar für die Hubs seien aber nur ein Bruchteil der nötigen Investitionen für die Wasserstoffpläne des US-Energieministeriums, sagt Sean O’Leary, leitender Forscher am Energie-Thinktank “Ohio River Valley Institute” zu Table.Media. Er schätzt, dass die Summe gerade einmal 2 Prozent der erforderlichen Investitionen entspricht. Stattdessen geht O’Leary davon aus, dass deutlich mehr Förderungen aus Steuergutschriften des Bundes stammen werden – vor allem aus dem “Inflation Reduction Act” (IRA). Der hält mindestens 370 Milliarden US-Dollar für den Aufbau grüner Technologien bereit. Besonders großzügig ist dort die Förderung namens “45V“. Je geringer der CO₂-Ausstoß bei der Produktion, desto höher die Steuergutschrift – bis zu 3 US-Dollar pro Kilogramm können Hersteller über zehn Jahre hinweg verbuchen.

Entscheidend: Steuerabschreibungen

Dass der Plan der US-Regierung aufgeht, daran hat O’Leary trotz der hohen Subventionen allerdings Zweifel. “Die Steuergutschriften sind davon abhängig, dass die Industrie auch bereit ist, enorme Investitionen zu tätigen”, sagt er. “Und es gibt Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall sein wird. Zumindest nicht in dem Maße, wie es das Energieministerium hofft.” Denn einige der geförderten Technologien seien trotz der Subventionen entweder teuer oder riskant, sagt O’Leary. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) liegen die Produktionskosten von grünem Wasserstoff pro Kilogramm um bis zu 5 US-Dollar über denen von blauem Wasserstoffs. Der allerdings wird von Klimaschützern massiv kritisiert.

“Es ist äußerst enttäuschend zu sehen, dass die Biden-Regierung Mittel für Wasserstoff-Hubs bereitstellt, die auf fossilen Brennstoffen basieren”, sagt Robert Howarth. Er ist Professor für Ökologie am Atkinson Center for Sustainability in Cornell. Das gelte auch dann, wenn durch das CCS-Verfahren ein Großteil der Emissionen abgeschieden und gespeichert wird. “Es ist einfach nicht möglich, Erdgas zu fördern, zu verarbeiten, zu transportieren und zu speichern, ohne dass ein Teil davon als Methan in die Atmosphäre gelangt.”

Wird Wasserstoff zum Exportschlager?

Zu teuer oder nicht sauber genug – das könnte langfristig auch ein weiteres Ziel der US-Regierung gefährden: den Export von Wasserstoff. Zwar enthält die Wasserstoffstrategie dazu keine konkreten Vorgaben. Allerdings heißt es: “Weitere langfristige Möglichkeiten umfassen das Potenzial für den Export von sauberem Wasserstoff […] und die Energiesicherheit für unsere Verbündeten.”

Dazu kommt: Wer von den Steuergutschriften aus dem IRA profitiert, ist längst noch nicht geklärt. Zwar wurde beschlossen, dass mit den milliardenschweren Mitteln sauberer Wasserstoff gefördert werden solle. Doch die konkreten Bedingungen für die Subventionen muss der Internal Revenue Service (IRS), die oberste Steuerbehörde, erst noch in Leitlinien gießen. Dazu könnten dann auch Mindeststandards zur Verwendung erneuerbarer Energien zählen. In der Branche ist bereits von einem “Make-or-Break”-Moment die Rede. Soll heißen: Die IRS-Bedingungen dürften maßgeblich über die Zukunft der gesamten Industrie mitentscheiden.

Diese ungeklärte Frage ist längst zum Spielfeld mächtiger Lobbygruppen geworden. In großangelegten Werbekampagnen fordern sie je nach Interessenlage entweder besonders strikte oder besonders laxe Förderkriterien. Bis zum Jahresende wollen die Behörden eine Entscheidung fällen. Laurin Meyer, New York

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Indonesiens Energiewende: Verzögert und verwässert

Das Projekt wurde vor knapp einem Jahr als einer der Leuchttürme für die internationale Energiewende gestartet. Doch die Just Energy Transition Partnership (JETP) zwischen Indonesien und den Geldgebern der International Partners Group (IPG) kämpft mit Problemen: Das Programm verzögert sich, es leidet unter Intransparenz und Berechnungsfehlern, wichtige Sektoren sind nicht von der JETP erfasst. Das könnte auch dazu führen, dass neue Investitionen in Kohle als grünes Kapital etikettiert werden. Experten sehen die Probleme als Mahnung, die Energiewende-Partnerschaften in Zukunft besser vorzubereiten.  

Auf dem G20-Gipfel von Bali im November 2022 riefen Indonesien und die IPG-Geberländer unter Führung der USA und Japan die JETP ins Leben. Mit ihr versprachen sie 20 Milliarden US-Dollar (rund 310 Billionen indonesische Rupiah), jeweils zur Hälfte aus öffentlichen und privaten Mitteln. Die Finanzierung soll von der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) koordiniert werden.

Bedingungen und aktueller Stand der JETP

Indonesien sagte zu:

  • bis 2030 den Höchststand bei seinen CO₂-Emissionen aus dem Stromsektor zu erreichen. Sie sollen dann bei 290 Millionen Tonnen CO₂ liegen. Das wäre sieben Jahre früher als geplant und mit einem Peak deutlich unter den bisher geplanten 357 Millionen Tonnen.
  • bis 2050 Netto-Null im Stromsektor zu erreichen.
  • den Gesamt-Energiebedarf bis 2030 zu 34 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken, statt wie bisher geplant nur zu 16 Prozent.
  • keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.

Nun verzögert sich das Projekt. In der gemeinsamen Erklärung heißt es, dass ein JETP-Investitions- und Politikplan sechs Monate nach dem Start veröffentlicht werden soll. Die sechsmonatige Frist begann jedoch erst, als das JETP-Sekretariat im Februar 2023 gegründet wurde, wodurch der Termin auf August 2023 verschoben wurde.

Das JETP-Sekretariat hat die Aufgabe, den Investitions- und Strategieplan (Comprehensive Investment and Policy Plan, CIPP) zu überwachen und zu koordinieren. Dazu gibt es vier Arbeitsgruppen: Technik, Politik, Finanzen und Just Transition. Zu den Mitgliedern der Arbeitsgruppen gehören die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die Internationale Energieagentur (IEA), die Weltbank und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).

Langsame Prozesse, wenig Beteiligung

Die Veröffentlichung des CIPP wurde im August erneut verschoben. Der Entwurf liegt bisher nur der indonesischen Regierung und den IPG-Ländern zur Überprüfung vor. Einer der Gründe: Das JETP-Sekretariat braucht mehr Zeit, um Daten über die geplanten Emissionen zu sammeln. Knackpunkt bei den Berechnungen sind unter anderem Emissionen aus Kohlekraftwerken an Industrieanlagen, die nicht am Stromnetz hängen. Außerdem gibt es ungeklärte Fragen zum Verhältnis von Zuschüssen und Krediten bei den insgesamt 20 Milliarden US-Dollar.

Dem Prozess mangele es an Transparenz und öffentlicher Beteiligung, kritisieren indonesische Umweltgruppen. Das JETP-Sekretariat führte nur einen öffentlichen Konsultationsdialog im Juni 2023 durch. Es fehle eine Plattform zum Austausch von Informationen und Fortschritten beim CIPP. Nun will das Sekretariat Anfang November eine zweite öffentliche Konsultation abhalten und das CIPP-Dokument am 20. November 2023 veröffentlichen.

Kritik an Kohlekraftwerken

Die Schwierigkeiten in Indonesien seien “ein Rückschlag für das grundsätzlich sinnvolle Konzept von JETPs”, sagt Michael Jakob, Ökonom, Berater und wissenschaftlicher Experte für Fragen zur Energiewende in Schwellenländern. Die Datenlage über Emissionen, Kohlekapazitäten und ihren Anteil am Strommix für Indonesien sei unklar gewesen. “Dann gab es einen großen öffentlichen Druck, zu einer Einigung zu kommen, was zu unrealistischen Zielen geführt hat”, so Jakob.

Offenbar seien bis zu 20 Megawatt an Kohlekapazität bei Industriekraftwerken nicht berücksichtigt worden. Schwierig sei auch, dass in Indonesien die Zentralregierung und die Regionen bei Wirtschaftsdaten und -struktur oft unterschiedlich agierten. Schließlich seien auch bei den Geberländern die Bedingungen für die Finanzhilfen noch unklar. Aus dem Beispiel könne man lernen, dass “JETPs längere und sorgfältigere Vorbereitung brauchen.” Er hoffe auf einen “Lernprozess, damit die JETPs weiter eine Grundlage für die Dekarbonisierung in den Schwellenländern sein können.”    

Erste Kohlenstoffbörse in Indonesien

Indonesien hat am 26. September 2023 offiziell seine erste Kohlenstoffbörse eröffnet. Die Behörde für Finanzdienstleistungen (Otoritas Jasa Keuangan/OJK) wird den Prozess überwachen, und die Indonesian Stock Exchange (IDX) wird über IDXCarbon als Betreiber fungieren. Die Regierung sieht darin einen konkreten Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und ist optimistisch, dass Indonesien zur globalen Drehscheibe für den Handel mit CO₂-Zertifikaten wird. Bislang sind die Transaktionen auf IDXCarbon von den 17 Nutzern des Dienstes wegen der geringen Nachfrage langsam.

Anderseits hat ein Plan der Behörden in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen ausgelöst: Mit der jüngsten Aktualisierung der ASEAN-Taxonomie (Taxonomy for Sustainable Finance Version 2) plant die Finanzbehörde OJK, die indonesische Grüne Taxonomie und das Klassifizierungssystem zu überarbeiten. In der ASEAN-Taxonomie wird der Ausstieg aus der Kohle nach einem Ampelsystem als eine “grüne” oder “gelbe” Aktivität klassifiziert. Zu den Prüfkriterien gehört auch Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCUS). Allerdings zweifeln Kritiker, dass der Einsatz dieser Technologien wirtschaftlich ist.

Der Leiter des Board of Commissioners der OJK, Mahendra Siregar, erklärte, dass nach diesen Taxonomie-Kriterien Kohlekraftwerke möglicherweise in den Genuss von grüner Finanzierung kommen könnten. Dies sei der Fall, wenn sie sich im Übergangsprozess befinden, den Eigenbedarf von Industrieanlagen decken oder Strom für Elektrofahrzeuge herstellen.

Umweltgruppen werfen der OJK vor, damit ungewollt Greenwashing zu unterstützen und die Investitionen in die Energiewende in Indonesien zu gefährden, da viele ausländische Geber und Investoren die grüne Taxonomie Indonesiens als irrelevant ansehen würden.

Agenda für die COP28

Die indonesische Ministerin für Umwelt und Forstwirtschaft, Siti Nurbaya Bakar, erklärte, dass Indonesien auf der COP28 Fortschritte etwa bei der Finanzierung von “Loss and Damage”, bei einem globalen Ziel für die Anpassung und bei Details des Mitigation Work Program erwarte. Der Generaldirektor für Nachhaltige Waldbewirtschaftung im Umweltministerium und Leiter des indonesischen Pavillons auf der COP28, Agus Justianto, erwartet, dass die Verhandlungen bei der COP28 auf Energiefragen konzentriert sein werden. Für die indonesische Delegation mit rund 600 Mitgliedern werde die Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus der Kohleverstromung im Mittelpunkt stehen.

Allerdings spart die indonesische JETP die wichtigste Quelle von Treibhausgasen aus: die Waldvernichtung. Neben den etwa 620 Millionen Tonnen CO₂ aus fossilen Brennstoffen verursacht das Land noch einmal knapp 950 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen durch Entwaldung. Die pro-Kopf-Emissionen aus fossilen Brennstoffen liegen bei etwa 2,2 Tonnen. Rechnet man die Entwaldung ein, sind es etwa 7,2 Tonnen.

Zum Thema Entwaldung erklärte das Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft, dass im Jahr 2022 die Abholzungsrate in Indonesien um etwa 8,4 Prozent gesunken sei. Danach wurden 2022 rund 104.000 Hektar abgeholzt. Greenpeace Indonesien stellt diese Daten jedoch infrage und erklärt, die Methodik sei fehlerhaft und schließe die für industrielle Zwecke gerodeten Wälder nicht ein. Die NGO erwartet, dass die Entwaldungsrate im Jahr 2022 viel höher ist.

Wicaksono Gitawan ist Journalist und arbeitet für die non-profit Kommunikationsagentur GSCC, die weltweit Themen zu Klimakrise und Energiewende bearbeitet.

  • Entwaldung
  • Indonesien
  • JETP
  • Kohle

Termine

23. bis 27. Oktober, Nairobi
Konferenz MOP35
In Nairobi findet die 35. Tagung der Vertragsparteien des Montrealer Protokolls statt. Dabei geht es um die Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (MOP 35). Auf der MOP 35 werden Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Montrealer Protokolls erörtert. Infos

23. bis 27. Oktober, Panama
Konferenz Latin America and the Caribbean Climate Week
Die Latin America and the Caribbean Climate Week gehört zu den Regionalkonferenzen, die auf die COP28 in Dubai vorbereiten. Sie soll die Region auf den Global Stocktake vorbereiten.  Infos

26. Oktober, 9.30 Uhr, Online
Dialogveranstaltung GJETC Outreach Roadmaps und Konzepte zur Dekarbonisierung der (petro-)chemischen Industrie und des Gebäudebestands
Sowohl Japan als auch Deutschland haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um klimaneutral zu werden: Japan strebt Klimaneutralität bis 2050 an, Deutschland sogar bis 2045. Vor diesem Hintergrund kommt dem deutsch-japanischen Dialog zur Energiewende eine besondere Bedeutung zu. Der German-Japanese Energy Transition Council (GJETC) arbeitet seit seiner Gründung im Jahr 2016 an strategischen und systemischen Analysen, um Politikberatung für neue und langfristige Perspektiven auf dem Weg zu einer ambitionierten Energiewende zu entwickeln. Infos

26. Oktober, 15 Uhr, Washington/Online
Konferenz Latin America Energy Conference – Shaping a New Era of Energy Systems
Lateinamerikas Energielandschaft ist komplex. Der Thinktank Inter-American Dialogue bringt verschiedene Akteure zusammen, um aktuelle Trends und zukünftige Entwicklungen in dem Gebiet zu diskutieren.  Infos

26. Oktober, 17 Uhr, Brüssel/Online
Diskussion Just and Ambitious: Circular Economy – A concrete answer to transformation demands in a changing world
Im Jahr 2021 war die Weltwirtschaft nur zu 7,2 Prozent kreislauforientiert. Dabei hat Kreislaufwirtschaft große Klimapotenziale. Vor diesem Hintergrund laden das Umweltbundesamt (⁠UBA⁠) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu einer Diskussion von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und zwischenstaatlichen Institutionen über eine zukünftige Kreislaufwirtschaft nach Brüssel ein. Infos

26. bis 27. Oktober, Amsterdam
Konferenz Re-Source 2023
Auf der Konferenz versammeln sich Lieferanten und Käufer von Erneuerbaren aus aller Welt. In diesem Jahr ist eines der Themen, wie die Dekarbonisierungsziele für 2030 erreicht werden können.   Infos

26. Oktober, 9 Uhr, Brüssel
Diskussion LOCOMOTION policy event
Diese Veranstaltung ist Teil der politischen Abschlussveranstaltung des Horizont 2020-Projekts LOCOMOTION (“Low-carbon society: an enhanced modelling tool for the transition to sustainability”). Die Veranstaltung ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil richtet sich an die Zivilgesellschaft und zielt darauf ab, die neuesten Erkenntnisse aus dem Projekt in fünf verschiedenen Bereichen zu präsentieren. Der zweite Teil richtet sich an politische Entscheidungsträger und Modellierungsexperten und zielt darauf ab, eine Auswahl von Fallstudien zu präsentieren, die die Möglichkeiten des Modells veranschaulichen. Infos

27. Oktober, 9.30 Uhr bis 18 Uhr
Konferenz The European Climate Stocktake – EU and global progress towards the goals of the Paris Agreement
Auf dem Event der Europäischen Kommission wird diskutiert, wo die EU aktuell auf dem Weg zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens steht. Infos

29. Oktober, 10 Uhr, Berlin
Preisverleihung Verleihung des Deutschen Umweltpreises
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt verleiht den Umweltpreis an die Klimawissenschaftlerin Friederike Otto und an die Architektin Dagmar Fritz-Kramer. Infos

31. Oktober, Berlin, 9.30 Uhr
Konferenz Industriekonferenz 2023 des BMWK und des Bündnisses Zukunft der Industrie
Deutschland und Europa wollen die industrielle Produktion grundlegend transformieren, um Treibhausgasneutralität zu erreichen. Wie kann das funktionieren? Das wird auf der Industriekonferenz mit Teilnahme von Robert Habeck diskutiert.  Infos

News

Klima in Zahlen: Emissionen nach Sektor

53.800.000.000 Tonnen CO₂-Äquivalent – das ist der neue Negativrekord an Treibhausgas-Emissionen, der laut aktuellem Bericht der EU-Datenbank EDGAR 2022 erreicht wurde. Das sind immer noch 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr und ein Trend, der der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze direkt zuwider läuft: Dafür wäre nämlich ein Sinken um etwa 8 Prozent nötig.

Der Bericht zeigt viele verschiedene Details: So etwa, dass von den sechs größten CO₂-Emittenten Indien, China und die USA ihre Emissionen noch erhöht haben – Russland, die EU und Brasilien dagegen haben sie gesenkt. Seit 1990 haben die Gesamtemissionen weltweit um 62 Prozent zugelegt.

Vor allem aber gibt der Bericht eine Übersicht darüber, wie sich die Emissionen seit 1990 in den einzelnen Branchen entwickelt haben. Zugelegt haben sie vor allem bei der Stromerzeugung und in der Industrie. Auch im Verkehr hat der CO₂-Ausstoß um 72 Prozent zugenommen. Die Klimabelastung durch Gebäude ist dagegen über die letzten 32 Jahre praktisch gleich geblieben – Einsparungen und Effizienz wurden offenbar durch neue Gebäude ausgeglichen.

Die kurzfristige Statistik aus dem letzten Jahr zeigt global ein anderes Bild: Die großen CO₂-Verursacher Stromproduktion und Industrie haben praktisch nicht zugelegt, auch Gebäude und Landwirtschaft halten sich zurück. Weiter auf Wachstumskurs sind dagegen der Verkehr und die Herstellung von fossilen Brennstoffen. bpo

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EU-Klimaziele 2030 und 2045 gefährdet

Die Länder der Europäischen Union sind auf dem Weg, ihr geplantes Klimaziel deutlich zu verpassen. Statt der geplanten minus 55 Prozent an Treibhausgasemissionen bis 2030 bringen die bisherigen Maßnahmen nur eine Minderung von minus 40 Prozent. Mit geplanten zusätzlichen Maßnahmen verringert sich die Lücke zum angestrebten Ziel auf minus 45 Prozent. Das ist ein Ergebnis des ersten Fortschrittsberichts der EU-Kommission zum Erreichen der europäischen Klimaneutralität.

“Obwohl die Emissionen weiter fallen und es ermutigende Beispiele für praktische Anwendungen gibt, erscheint der Fortschritt zu den EU-Klimazielen unzureichend”, heißt es. Für das EU-Ziel, bis 2050 bei Netto-Null zu sein, müssten die Mitgliedsstaaten und die EU “die Geschwindigkeit des Wandels signifikant erhöhen”, heißt es. Am dringendsten sei es, dort zu handeln:

  • wo noch große Emissionsreduktionen nötig sind (Gebäude, Verkehr)
  • wo der aktuelle Fortschritt zu langsam ist (Landwirtschaft)
  • wo die Entwicklung in die falsche Richtung geht (Landnutzung, Wälder)

Im Jahr 2022 sanken demnach die EU-Emissionen (ohne Landnutzung und Flugverkehr) in Übereinstimmung mit einem 30-jährigen Trend um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr – während die Wirtschaft um 3,5 Prozent wuchs. Die Emissionen unter dem EU-Emissionshandel sanken nur um 0,2 Prozent, außerhalb des ETS um 2,9 Prozent.

Viele Mitgliedsländer sind auch damit im Verzug, ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) an die Anforderungen der EU-Klimaziele anzupassen, zeigt ein neuer Report des Climate Action Network. Demnach versäumen es die Niederlande, Italien, Dänemark, Finnland und Zypern, ihren Beitrag zum EU-Reduktionsziel zu erbringen. Und viele Länder, unter ihnen auch Deutschland, Frankreich und Polen, hätten bis Ende September immer noch nicht ihre NECP nach Brüssel gemeldet. bpo

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Studie warnt vor neuen Kipppunkten

In der neuen Studie “Interconnected Disaster Risks 2023” warnt die United Nations University (UNU) vor sechs “Risiko-Kipppunkten”, deren Eintreten “unumkehrbare Auswirkungen auf Menschen und den Planeten” hätte. Vier der untersuchten Kipppunkte gehen teilweise oder ganz auf den Klimawandel zurück:

  • Unerträgliche Hitze: Hitzewellen in Kombination mit hoher Feuchtigkeit werden einige Weltregionen unbewohnbar machen, weil die Menschen ihre Körperhitze nicht mehr ableiten können. Schon heute sind 30 Prozent der Weltbevölkerung von solch unerträglicher Hitze betroffen. Bis 2100 könnten es 70 Prozent sein, so die Studie.
  • Schmelze von Berggletschern: Durch die Erderhitzung schmelzen die Gletscher schneller als neuer Schnee fällt. Dadurch wird die Wasserversorgung von hunderten Millionen Menschen gefährdet. Selbst die höchsten Gletscher in Asien werden laut Prognosen um das Jahr 2050 ihren “Peak Water”-Moment erreichen. Ab dann wird die Verfügbarkeit von Frischwasser kontinuierlich abnehmen.
  • “Nicht versicherbare Zukunft”: Extremwetter und Schäden an der Infrastruktur nehmen durch den Klimawandel massiv zu. In einigen Regionen bieten Versicherungen schon keinen oder nicht mehr den vollen Versicherungsschutz an. Im Katastrophenfall bleiben viele Menschen auf hohen Kosten sitzen, was sich wiederum stark auf die regionale Wirtschaft und den Häusermarkt auswirken kann.
  • Massenaussterben: Durch den Klimawandel und die Zerstörung von Lebensräumen sterben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus oder sind vom Aussterben bedroht. Da viele Spezies beispielsweise über die Nahrungskette eng mit anderen verbunden sind, drohen ganze Ökosysteme auszusterben, was sich auf die Nahrungsmittelversorgung des Menschen auswirken würde.

Daneben werden das Versiegen von Grundwasser und der zunehmende Weltraumschrott als Kipppunkte angeführt.

Risiken können sich vervielfachen

Die Autoren der Studie definieren Risikokipppunkte als Zeitpunkte, ab denen “ein sozio-ökologisches System seine Funktion nicht weiter ausführen kann und Risiken für den Menschen nicht mehr abfedert”. Die Autoren übersetzen das mit einem Beispiel: “Wir öffnen den Wasserhahn und nichts passiert”. Treten die Kipppunkte auf, habe das “katastrophale Auswirkungen” auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und das Ökosystem, weil viele Systeme miteinander verbunden seien und sich Risiken durch das Kippen eines Systems vervielfachen.

Die Autoren schlagen unter anderem vor:

  • Das Wachstumsmodell zu hinterfragen: Statt auf ökonomisches Wachstum auf Wachstum des menschlichen und ökologischen Wohlbefindens zu setzen.
  • Eine Kreislaufwirtschaft, um Energie-, Wasser- und Rohstoffverbrauch zu senken.
  • Stärker im Einklang mit der Natur zu leben, beispielsweise indem weniger Boden versiegelt wird und sogenannte Schwammstädte ausgebaut werden. nib
  • Kipppunkte

IEA: Fossile erreichen bis 2030 Höchststand – bleiben dann zu hoch

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen wird. Das geht aus dem neuen World Energy Outlook der IEA hervor. “Der Übergang zu sauberer Energie findet weltweit statt und ist unaufhaltsam. Es ist keine Frage des ‘ob’, sondern nur des ‘wann’”, sagte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol.

Die Prognosen der IEA basieren auf der aktuellen Politik der Regierungen weltweit. Während der Kohleverbrauch demnach nach 2030 stark zurückgeht, bleibe der Gas- und Ölverbrauch bis mindestens 2050 in der Nähe des Höchststandes.

Als Ursachen für einen baldigen Höhepunkt beim Verbrauch fossiler Rohstoffe nennt die IEA beispielhaft:

  • den Boom bei E-Autos und Solarkraft
  • langsameres Wachstum in China und die Umstellung des Landes auf saubere Energien
  • die Politik zur Förderung sauberer Energien in den wichtigsten Märkten wie den USA (Inflation Reduction Act) und der EU (Green Deal)

China komme “eine überdimensionale Rolle bei der Gestaltung globaler Energietrends” zu, da die Volksrepublik im letzten Jahrzehnt weltweit am stärksten zur wachsenden Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle beigetragen habe. Laut IEA-Prognosen bleibt die Nachfrage nach fossilen Energieträgern allerdings viel zu hoch. Das 1,5-Grad-Ziel sei stark gefährdet. nib/rtr

  • Energiewende
  • Fossile Brennstoffe
  • IEA

Studie: Schelfeis in der Antarktis wird abschmelzen

Das Amundsensee-Schelfeis in der Antarktis ist laut einer neuen Untersuchung nicht mehr zu retten. Damit droht auch der Westantarktische Eisschild seinen Halt zu verlieren. Das Schelfeis dient derzeit noch als Barriere, die dahinterliegende Eismassen schützt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Montag im Fachmagazin Nature Climate Change veröffentlicht wurde.

Nach Modellierungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schmilzt das Schelfeis auch dann ab, wenn die Weltgemeinschaft die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen kann. Das Schmelzen des Schelfeises könnte die landeinwärts liegenden Gletscher – unter anderem den Thwaites- und den Pine Island-Gletscher – beeinflussen. Deren Schmelzen würde den gesamten Westantarktischen Eisschild destabilisieren. Schmilzt das Eisschild ab, würde allein dadurch der Meeresspiegel in den nächsten Jahrhunderten um drei bis fünf Meter ansteigen. Deswegen bezeichnet die Forschung das Schmelzen des Westantarktischen Eisschild auch als Klima-Kipppunkt.

Das Meereis in der Antarktis geht aktuell besorgniserregend schnell zurück. Im September wurde beispielsweise ein Rekordtief der Ausdehnung für Wintermonate festgestellt. kul

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WRI: Unverbindliche Allianzen bringen kaum Emissionsminderung

Unverbindliche internationale Klimaallianzen wie der Global Methane Pledge oder die Beyond Oil & Gas Alliance können zwar dabei helfen, Wissen weiterzugeben. Sie führen aber nur selten dazu, dass tatsächlich Maßnahmen eingeführt werden, um Emissionen zu senken. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Thinktanks World Resources Institute (WRI), der mehr als 90 zwischenstaatliche Klimaallianzen und -partnerschaften analysiert hat.

Die Anzahl solcher Initiativen habe seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 rasant zugenommen, aber nur wenige der Initiativen beruhten auf konkreten Vereinbarungen über Maßnahmen oder Investitionen. Außerdem seien zwar fast alle Staaten Teil mindestens einer Initiative. Gleichzeitig gelinge es aber selten, in den Allianzen eine kritische Masse der Emittenten in den verschiedenen Sektoren zusammenzubringen. Als positive Ausnahme nennt der Bericht die International Renewable Energy Agency (IRENA), sie komme ihren selbstgesetzten Ziele wenigstens nah. Damit die Initiativen effizienter werden, rät das WRI, dass konkrete Ziele gesetzt und Entwicklungsländer aktiver einbezogen werden. kul

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Windenergie: EU könnte höhere Preise zulassen

Um die europäische Windindustrie vor Konkurrenz aus China zu schützen, erwägt die EU-Kommission, die Ausschreibungsregeln für Windparks zu lockern. Ziel ist es, teureren europäischen Herstellern einen Vorteil gegenüber Anlagenproduzenten zu verschaffen, die weniger nachhaltig produzieren oder sogar von unfairen Subventionen profitieren. Die EU-Staaten werden deshalb ermuntert, bei den Ausschreibungen verstärkt nicht-finanzielle Kriterien wie Cybersicherheit oder Recyclingfähigkeit zu berücksichtigen. Das geht aus dem Europäischen Windenergie-Aktionsplan hervor, den die Kommission am Dienstag vorgestellt hat.

Neue Ausschreibungsregeln legen die EU-Gesetzgeber gerade mit dem Net-Zero-Industry-Act (NZIA) fest. Im Windenergiepaket bietet die Kommission nun an, die neuen Ausschreibungskriterien nach Verabschiedung des NZIA mit einem Durchführungsrechtsakt verbindlich zu machen.

Auf scharfe Ablehnung stößt der Kurs der Kommission und ihrer Präsidentin bei der FDP im Bundestag. “Unter dem Vorwand, Billiganlagen aus China bekämpfen zu wollen, versucht Ursula von der Leyen, auf Kosten der Steuerzahler verdeckte Subventionen für die Windindustrie einzuführen”, sagte der energiepolitische Sprecher Michael Kruse.

Im November will die Kommission außerdem eine Empfehlung veröffentlichen, die Notfallverordnung für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verlängern. Die EU-Staaten hatten sie auf dem Höhepunkt der Energiekrise im vergangenen Jahr beschlossen, sie läuft aber Mitte 2024 aus. Möglichst nahtlos sollen im Anschluss Beschleunigungsmaßnahmen zum Windenergieausbau greifen, die mit der gerade novellierten Erneuerbare-Energien-Richtlinie beschlossen wurden. ber

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  • Windkraft

EU-Antwort auf IRA: Schnelligkeit, Transparenz, Planungssicherheit

Planungssicherheit beim klimafreundlichen Umbau der Industrie soll nach dem Willen der EU-Kommission eine kostengünstige Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sein. In ihren anstehenden Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) sollen die EU-Staaten für die nächsten zehn statt wie bisher fünf Jahre ihre Ausbauziele für erneuerbare Energien darlegen. So steht es im Aktionsplan für die Windenergie, den die Behörde am Dienstag in Brüssel vorstellte.

Für sämtliche Ausschreibungen von Ökoenergien in der EU will die Kommission außerdem eine digitale Übersicht schaffen und so die Transparenz für die Branche erhöhen. “Dies würde der Industrie helfen, ihre Investitionen in Produktionskapazitäten zu planen und ihr Geschäftsmodell zu stärken”, heißt es in dem Papier. In einer ebenfalls am Dienstag präsentierten Bewertung der IRA-Auswirkungen auf die europäische Industrie verdeutlicht die Kommission die strategische Bedeutung dieses Ansatzes: “Viele saubere Technologien werden zwar international gehandelt, aber die Produktion von Gütern konzentriert sich in der Regel in der Nähe der Nachfrage.”

Um die Auswirkungen des IRA zu bewerten, fehle es noch an Daten, meint die Kommission. So habe die US-Regierung noch nicht dargelegt, welche Standards für förderfähigen sauberen Wasserstoff gelten sollen. Trotzdem räumt Brüssel ein, dass die US-Initiative wohl bestimmte Branchen anziehen werde: “Der Kostenvorteil bei der Herstellung von Batterien aufgrund der IRA-Steuergutschriften beläuft sich auf etwa 25 bis 30 Prozent der gesamten Produktionskosten.”

Unterdessen hat der Industrieausschuss des EU-Parlaments am Mittwoch seine Position zur europäischen Antwort auf den IRA angenommen, den Net-Zero Industry Act (NZIA). Die Abgeordneten wollen die Förderung anders als die Kommission nicht nur auf einige wenige “strategische Technologien” fokussieren – so sollen zum Beispiel auch Kernenergie und nachhaltige Luftfahrttreibstoffe (SAF) gefördert werden. Produktionsstätten für diese Technologien sollen künftig innerhalb von sechs bis zwölf Monaten genehmigt und dafür Umweltprüfungen modifiziert werden. ber

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Loss and Damage: Deutschland drängt auf mehr Geldgeber

Im Tauziehen um die Details für den “Loss and Damage-Fonds” (L&D) drängt Deutschland darauf, den Kreis der möglichen Geberländer über die traditionellen Industriestaaten hinaus zu vergrößern. “Es ist zentral, dass alle, die es stemmen können, auch zu dem Loss und Damage Fonds beitragen”, sagte Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Klimabeauftragte gegenüber Table.Media. “Das bedeutet neben Industrieländern auch andere reiche Staaten und große Emittenten. Es ist eine Frage der Solidarität und des gemeinsamen Handelns, um die Verletzlichsten zu schützen.”

Morgan betonte, “alle Seiten sind im intensiven Austausch zu möglichen Lösungen.” Denn der durchaus auch intensive Austausch im Vorbereitungskomitee für den L&D-Fonds hat in den vier angesetzten Runden bisher keine Einigung erbracht. Ende letzter Woche ging die letzte planmäßige Sitzung des Komitees in Ägypten ohne Ergebnis auseinander. Eine neue und vorerst letzte Runde wird nun nach Angaben von Teilnehmern für den 3. bis 5. November nach der Pre-COP in Abu Dhabi angesetzt. Bislang liegen die Vorstellungen noch weit auseinander:

Vor allem darüber,

  • welche Staaten und andere Einheiten Geld einzahlen sollen
  • ob nur die ärmsten und verwundbarsten Länder Zugang haben oder auch andere Länder, die von Klimaschäden schwer getroffen werden
  • ob der L&D-Fonds bei der Weltbank angesiedelt wird. bpo
  • COP28
  • Loss and Damage

Presseschau

Recherche: Die Rückkehr der Reiskrise – wie extremes Wetter und Exportbeschränkungen das Grundnahrungsmittel bedrohen Financial Times
Reportage: Ein Blick in die Zukunft in Spanien – Wasser mit dem Lastwagen statt aus der Leitung New York Times
Hintergrund: Energiewende in Kroatien Clean Energy Wire
Kommentar: Die fossile Industrie behauptet, Latinos seien gegen Elektroautos. Ich habe etwas anderes herausgefunden Los Angeles Times
Analyse: Fast die Hälfte der Weltbevölkerung könnte aufgrund der globalen Erwärmung von Dengue-Fieber bedroht sein The Telegraph
Reportage: Kompensation galt als eine Lösung, um Emissionen einzudämmen. Nach vielen Skandalen bricht der Markt langsam ein The New Yorker
Analyse: Südamerikas Winter war schon viel zu heiß. Nun kommt der Sommer Bloomberg
Analyse: Interessiert sich der europäische Fußball fürs Klima? BBC
Reportage: Zero-Waste-City – Was die Welt von Kiel lernen kann The Guardian
Reportage: Wie der Krieg in der Ukraine die Arktis-Forschung ins Stocken gebracht hat Aljazeera

Heads

Morten Thorsby – Klimaschutz im zentralen Mittelfeld 

Als Morten Thorsby beginnt, sich mit der Klimakrise zu beschäftigen, beendet er beinahe seine Karriere als Fußballprofi. Es gibt schließlich wichtigeres als den Sport. Aber Thorsby kommt eine andere Idee: Was, wenn er die beiden Themen miteinander verbindet? Im Jahr 2020 gründet der Norweger seine Organisation “We Play Green“, mit der Profifußballer auf der ganzen Welt auf Klimaschutz aufmerksam machen.

“We Play Green” bildet Fußballprofis zu Klimabotschaftern aus, die ihre Bekanntheit nutzen wollen, um auf die Folgen des Klimanotstands aufmerksam zu machen. Die Spielerinnen und Spieler erhalten Schulungen zum Thema Klimaschutz, Infomaterial und Social Media Coachings, um ihre Fans mit dem Thema zu erreichen. Derzeit arbeiten 18 Spielerinnen und Spieler mit “We Play Green” zusammen. “Unser Ziel ist es, den grünen Wandel zu beschleunigen, indem wir die globale Fußballfamilie mobilisieren”, sagt der 27-Jährige zentrale Mittelfeldspieler. Es gäbe keinen besseren Weg, eine so große Gruppe von Menschen zu mobilisieren, als über den beliebtesten Sport der Welt. “Indem wir die Anführer der Fußballfamilie – die Spieler – unterstützen, können wir den lebensrettenden grünen Wandel herbeiführen, dem derzeit nicht nur Zeit, sondern auch Unterstützung fehlt.”

Norwegischer Nationalspieler

Thorsby spielte als Profi unter anderem bei Sampdoria Genua und dem SC Heerenveen. Derzeit spielt er in der norwegischen Nationalmannschaft, ist seit 2022 beim FC Union Berlin unter Vertrag und ist an den CFC Genua ausgeliehen. 

“Weil ich in Norwegen aufgewachsen bin, habe ich mich der Natur immer sehr verbunden gefühlt”, sagt Thorsby. Aber erst als er in die Niederlande zieht, um für den FC Heerenveen zu spielen, beginnt er, sich intensiver mit dem Klimanotstand zu befassen. “In meiner Freizeit habe ich angefangen, mich über globale Krisen zu informieren”, sagt Thorsby. “Um 2015 herum habe ich die Guardian-Artikelserie Keep it in the ground gelesen. Das machte mir viele Probleme bewusst und ich begann, mich zu engagieren.” 

Obwohl Thorsby an die Chancen des Fußballs für den Klimaschutz glaubt, ist er sich der Umweltschäden bewusst, die Turniere wie die Weltmeisterschaft in Katar und Millionen reisende Fans verursachen. “Der Fußballer kritisiert vor allem den Wachstumszwang, den er in der Fußballindustrie erlebt. “Viele Clubs, Nationalverbände und Fußballgremien betonen die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit. Gleichzeitig veranstalten wir immer mehr Turniere und Spiele, was zu immer mehr Emissionen und Abfall führt”, sagt er. Mit rund vier Milliarden Fans bietet der Fußball die größte Bühne der Welt. “Wir müssen die Fußballfamilie mobilisieren”, sagt Thorsby. Er will sicherstellen, dass auch zukünftige Generationen noch eine lebenswerte Welt vorfinden. “Derzeit bewegen wir uns nicht schnell genug in diese Richtung.” Svenja Schlicht

  • Klimaschutz
  • Sport

Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    rund um globale Emissionen schwankt dieser Newsletter zwischen Hoffnungsschimmer und Verzweiflung. Die schlechten Nachrichten zuerst: Während die weltweiten Emissionen um 8 Prozent sinken müssten, damit die 1,5-Grad-Grenze eingehalten wird, sind sie im vergangenen Jahr 1,4 Prozent gestiegen. Gleichzeitig verspricht die International Energy Agency (IEA) mit dem Blick in die Zukunft, dass bessere Zeiten kommen: Die globale Energiewende sei “unstoppable” und die CO₂-Energieemissionen erreichen schon 2025 ihren Peak, heißt es im aktuellen World Energy Outlook.

    Wir schauen in dieser Woche auch in die USA, die Milliarden in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft investiert und nach Indonesien. Dort geht die Energiewende nur schleppend voran und es könnten sogar grüne Gelder in Kohlekraftwerke fließen. Die Brüssler Politik haben wir ebenfalls im Blick und erklären, warum Windkraft in der EU teurer werden könnte und wie die EU auf den Inflation Reduction Act antwortet.

    Außerdem lesen Sie heute bei uns, warum ein Mittelfeld-Fußballprofi mehr vom Klima versteht als manche Politiker auf der Linksaußen-Position.

    Mit uns behalten Sie den Überblick – und vielleicht auch ein bisschen Hoffnung.

    Beste Grüße

    Ihre
    Lisa Kuner
    Bild von Lisa  Kuner

    Analyse

    Wagenknecht will mit der bisherigen Klimapolitik brechen

    Am Montag trat Sahra Wagenknecht aus der Linken aus und verkündete die Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht.

    Das “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) fordert eine grundlegend andere Klimapolitik in Deutschland und Europa. Das Bündnis bricht damit mit den wichtigsten bisherigen Elementen des Politikbereichs. Anders als im Konsens aller Fraktionen im Bundestag (mit Ausnahme der AfD) lehnt die BSW das Instrument des Emissionshandels ab, wendet sich von der Vollversorgung durch erneuerbare Energien ab und plädiert dafür, wieder russisches Gas zu importieren. Die energie- und klimapolitischen Vorstellungen des neu gegründeten Vereins “Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit” sind dabei bislang allerdings noch allgemein. Teilweise halten sie einem Faktencheck nicht stand.

    Wagenknecht und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen legen zum Auftakt ihres politischen Weges keinen Schwerpunkt auf das Thema Klima. Sie geben keine eigenen Ziele vor und präsentieren bislang keine alternativen Ideen, wie die nationalen, europäischen und internationalen Klimaziele konkret zu erreichen wären. Dafür konzentrieren sie sich auf allgemeine Kritik an der aktuellen Politik in Berlin und Brüssel. “Blinder Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht, aber sie gefährden unsere wirtschaftliche Substanz”, schreibt das BSW.

    Gegen Preissignale und Emissionshandel

    • Im Einzelnen befürwortet das Bündnis “Vorschläge, die mehr Klimaschutz bringen und gleichzeitig den Wohlstand unseres Landes nicht gefährden. Klimaschutzmaßnahmen, die die Menschen arm machen und den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, lehnen wir ab” heißt es auf der Homepage.
    • Darunter fallen für das Bündnis die Preissignale des geplanten deutschen und europäischen Emissionshandels. “Steigende Preise haben noch nicht einmal einen klimapolitischen Effekt”, heißt es, etwa wenn öffentliche Alternativen zum Autofahren fehlten, weshalb vor allem das Angebot der Bahn ausgeweitet werden solle. Dieser Aussage stehen allerdings Forschungsergebnisse gegenüber, wonach beim Energiesparen “monetäre Anreize als Einzelmaßnahme die wichtigste Rolle spielen”. 
    • “Immer teurere Emissionszertifikate, die wichtige Industrien nur aus Europa vertreiben, helfen dem Klima ebenso wenig”, schreibt das Bündnis. Zahlen der EU-Kommission widersprechen auch dieser Sichtweise. So sind in der EU von 1990 bis 2019 die Emissionen um 24 Prozent gesunken, während die Wirtschaft um 60 Prozent gewachsen ist. Die größten Reduzierungen gab es in den Bereichen, die dem Emissionshandel unterliegen.

    Hoffnung auf Technik, Klimaneutralität 2045 nicht erwähnt

    • Das “Bündnis Sahra Wagenknecht” lehnt auch die EU-Regelung zum Auslaufen der Verbrennertechnologie bei Autos ab 2035 ab. Nötig seien “verbrauchsärmere Verbrenner und intensive Forschung an klimaverträglichen Brennstoffen”.
    • Der “entscheidende Beitrag” Deutschlands zur internationalen Klimapolitik sei die “Entwicklung von Zukunftstechnologien”. Dafür müssten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Mehr Güter auf die Schiene, weniger Bürokratie. Mit diesen Technologien ist auch etwa der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gemeint. Ein Bereich, den die Bundesregierung mit 62 Projekten mit insgesamt acht Milliarden Euro fördert.
    • Das BSW schreibt: Zu einer “seriösen Klima- und Umweltpolitik gehört aber Ehrlichkeit: Die Energieversorgung Deutschlands lässt sich im Rahmen der heutigen Technologien nicht allein durch erneuerbare Energien sichern.” Das widerspricht allerdings Berichten aus der Wissenschaft, die eine Vollversorgung mit Erneuerbaren für Deutschland “möglich und sinnvoll” nennen.
    • In der BSW-Erklärung zur “wirtschaftlichen Vernunft” und in den Fragen zur Klimapolitik auf der Homepage fehlen Hinweise auf die zentralen Punkte der Klimapolitik. Das international bindende Pariser Abkommen zum Klimaschutz von 2015 wird nicht erwähnt, auch nicht das gesetzliche Ziel Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu werden, oder das Klimaschutzgesetz des Bundes.

    Gas aus Russland

    “Wir wollen das Pariser Abkommen nicht kündigen. Aber Deutschlands Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ist so nicht zu erreichen, wie es die Bundesregierung derzeit macht”, sagt der Abgeordnete Klaus Ernst zu Table.Media. Er leitet für die Linke derzeit noch den Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie und will mit Wagenknecht die Linksfraktion Richtung BSW verlassen. “Es geht darum, international die Ziele zu erreichen und nicht darum, in Deutschland um jede Tonne CO₂ zu kämpfen oder die Sektorziele einzuhalten.” Das Ziel der Klimaneutralität “darf nicht zu dem Preis des Niedergangs der heimischen Industrie erreicht werden.”

    Für Ernst ist es sinnvoller, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe in anderen Ländern mit besserem Erneuerbaren-Potenzial zu entwickeln und zu importieren. Er will auch Gas wieder aus Russland importieren, denn “in einer Marktwirtschaft sollten wir immer das Gas daher nehmen, wo es am billigsten ist.”

    Greenpeace: Klimapolitik nicht zu billigem Populismus nutzen

    Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, sagte dazu zu Table.Media: “Große klimapolitische Impulse sind von Sahra Wagenknecht und ihrer zu gründenden Partei nicht zu erwarten. Ihre Kritik, soziale Gerechtigkeit beim Klimaschutz zentral mitzudenken und große Konzerne stärker in die Verantwortung zu nehmen, statt Klimaschutz vorwiegend als individuelle Verantwortung einzelner zu behandeln, ist berechtigt.” Allein ihre konkreten Aussagen überzeugten nicht. Populistische Attacken zur eigenen Profilierung gegen zentrale Klimaschutzmaßnahmen wie das Gebäude-Energiegesetz wären ebenso problematisch “wie die Forderung, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu lockern, um leichter billiges fossiles Gas zu importieren.”

    Kaiser sagte, er hoffe, “dass Sahra Wagenknecht die Klimapolitik nicht zu billigem Populismus nutzt, sondern konstruktiv daran arbeitet, Klimaschutz sozial gerecht zu gestalten. Eine weitere Partei, die die Energiewende aktiv sabotiert, können sich weder Deutschland noch das Klima leisten.”

    Bleibt Klaus Ernst Vorsitzender im Klimaausschuss?

    Ob Klaus Ernst Vorsitzender im Klimaschutzausschuss des Parlaments bleiben kann, ist derzeit offen. Denn ob ihm nach einer Spaltung der Linken-Fraktion und der Reduzierung auf den Status als Mitglied einer Gruppe noch das Recht auf den Vorsitz zusteht, ist unklar. Auf Anfrage von Table.Media hieß es bei der Verwaltung des Bundestags, ein solcher Fall sei bisher noch nicht aufgetreten. Er werde im Licht der Geschäftsordnung geprüft und vom Ältestenrat entschieden. Ernst selbst meint: “Ich klammere mich nicht an den Ausschuss-Vorsitz. Aber derzeit bin ich zum Vorsitzenden gewählt und wenn möglich, werde ich das auch bleiben.”    

    • Deutschland
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    USA: Milliardenwette auf grünen Wasserstoff

    Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das sich US-Präsident Joe Biden gesetzt hat. Mit milliardenschweren Anreizen will seine Regierung eine saubere Wasserstoffindustrie im Land aufbauen – und zwar “from scratch”, wie es heißt, also von Grund auf neu. Derzeit deckt Wasserstoff noch weniger als 4 Prozent des Energiebedarfs der USA, und 95 Prozent davon sind sogenannter grauer Wasserstoff, der mit Erdgas hergestellt wird.

    Experten skeptisch: Billig und grün?

    Experten sind skeptisch, dass eine kostengünstige und vor allem vollständig emissionsfreie Produktion gelingen kann. Neben dem grünen Wasserstoff (Produktion aus erneuerbaren Energien) wird zunächst auch der umstrittene blaue (Produktion aus Erdgas mit CCS) und pinke (Produktion aus Atomenergie) gefördert. Und nicht zuletzt wartet die Branche noch auf entscheidende Klarstellungen von der US-Regierung.

    Den Anfang sollen 7 Milliarden US-Dollar aus dem Infrastrukturgesetz machen. Die Mittel fließen zunächst in den Aufbau von sieben regionalen Wasserstoff-Hubs, wie die US-Regierung jüngst angekündigt hat. Laut deren Prognose sollen die Anreize private Investitionen in Höhe von mehr als 40 Milliarden US-Dollar auslösen und Zehntausende Arbeitsplätze schaffen. Zusammen dürften die Zentren dann mehr als 3 Millionen Tonnen als sauber betitelten Wasserstoff (grün, blau, pink) pro Jahr produzieren und damit fast ein Drittel des für 2030 angestrebten Ziels erreichen.

    In folgenden Regionen sollen die Knotenpunkte entstehen:

    1: California Hydrogen Hub – Kalifornien; erneuerbare Energien und Biomasse

    2: Appalachian Hydrogen Hub – West Virginia, Ohio, Pennsylvania; Erdgas mit CCS

    3: Midwest Hydrogen Hub – Illinois, Indiana, Michigan; verschiedene Energiequellen

    4: Gulf Coast Hydrogen Hub – Texas; Erdgas mit CCS und erneuerbare Energien

    5: Mid-Atlantic Hydrogen Hub – Pennsylvania, Delaware, New Jersey; erneuerbare Energie und Kernenergie

    6: Heartland Hydrogen Hub – Minnesota, North Dakota, South Dakota; verschiedene Energiequellen

    7: Pacific Northwest Hydrogen Hub – Washington, Oregon, Montana; erneuerbare Energien

    Ziele: Dekarbonisierung, privates Kapital, effiziente Produktion

    Erst im Juni hatte die US-Regierung ihre lange erwartete Wasserstoffstrategie vorgestellt. Demnach sollen bis 2030 jährlich 10 Millionen Tonnen sauberer Wasserstoff produziert werden. Bis 2040 sollen es 20 Millionen und bis 2050 insgesamt 50 Millionen Tonnen sein. Drei Zielen hat sich die US-Regierung besonders verschrieben:

    • Wasserstoff soll vor allem zur Dekarbonisierung besonders schwieriger Sektoren genutzt werden – etwa in der Industrie oder dem Schwerlasttransport.
    • Staatliche Förderungen sollen für private Investitionen sorgen und dadurch langfristig die Kosten senken.
    • Durch die Konzentration auf regionale Netzwerke sollen die Unternehmen besonders effizient produzieren.

    Die jüngsten 7 Milliarden US-Dollar für die Hubs seien aber nur ein Bruchteil der nötigen Investitionen für die Wasserstoffpläne des US-Energieministeriums, sagt Sean O’Leary, leitender Forscher am Energie-Thinktank “Ohio River Valley Institute” zu Table.Media. Er schätzt, dass die Summe gerade einmal 2 Prozent der erforderlichen Investitionen entspricht. Stattdessen geht O’Leary davon aus, dass deutlich mehr Förderungen aus Steuergutschriften des Bundes stammen werden – vor allem aus dem “Inflation Reduction Act” (IRA). Der hält mindestens 370 Milliarden US-Dollar für den Aufbau grüner Technologien bereit. Besonders großzügig ist dort die Förderung namens “45V“. Je geringer der CO₂-Ausstoß bei der Produktion, desto höher die Steuergutschrift – bis zu 3 US-Dollar pro Kilogramm können Hersteller über zehn Jahre hinweg verbuchen.

    Entscheidend: Steuerabschreibungen

    Dass der Plan der US-Regierung aufgeht, daran hat O’Leary trotz der hohen Subventionen allerdings Zweifel. “Die Steuergutschriften sind davon abhängig, dass die Industrie auch bereit ist, enorme Investitionen zu tätigen”, sagt er. “Und es gibt Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall sein wird. Zumindest nicht in dem Maße, wie es das Energieministerium hofft.” Denn einige der geförderten Technologien seien trotz der Subventionen entweder teuer oder riskant, sagt O’Leary. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) liegen die Produktionskosten von grünem Wasserstoff pro Kilogramm um bis zu 5 US-Dollar über denen von blauem Wasserstoffs. Der allerdings wird von Klimaschützern massiv kritisiert.

    “Es ist äußerst enttäuschend zu sehen, dass die Biden-Regierung Mittel für Wasserstoff-Hubs bereitstellt, die auf fossilen Brennstoffen basieren”, sagt Robert Howarth. Er ist Professor für Ökologie am Atkinson Center for Sustainability in Cornell. Das gelte auch dann, wenn durch das CCS-Verfahren ein Großteil der Emissionen abgeschieden und gespeichert wird. “Es ist einfach nicht möglich, Erdgas zu fördern, zu verarbeiten, zu transportieren und zu speichern, ohne dass ein Teil davon als Methan in die Atmosphäre gelangt.”

    Wird Wasserstoff zum Exportschlager?

    Zu teuer oder nicht sauber genug – das könnte langfristig auch ein weiteres Ziel der US-Regierung gefährden: den Export von Wasserstoff. Zwar enthält die Wasserstoffstrategie dazu keine konkreten Vorgaben. Allerdings heißt es: “Weitere langfristige Möglichkeiten umfassen das Potenzial für den Export von sauberem Wasserstoff […] und die Energiesicherheit für unsere Verbündeten.”

    Dazu kommt: Wer von den Steuergutschriften aus dem IRA profitiert, ist längst noch nicht geklärt. Zwar wurde beschlossen, dass mit den milliardenschweren Mitteln sauberer Wasserstoff gefördert werden solle. Doch die konkreten Bedingungen für die Subventionen muss der Internal Revenue Service (IRS), die oberste Steuerbehörde, erst noch in Leitlinien gießen. Dazu könnten dann auch Mindeststandards zur Verwendung erneuerbarer Energien zählen. In der Branche ist bereits von einem “Make-or-Break”-Moment die Rede. Soll heißen: Die IRS-Bedingungen dürften maßgeblich über die Zukunft der gesamten Industrie mitentscheiden.

    Diese ungeklärte Frage ist längst zum Spielfeld mächtiger Lobbygruppen geworden. In großangelegten Werbekampagnen fordern sie je nach Interessenlage entweder besonders strikte oder besonders laxe Förderkriterien. Bis zum Jahresende wollen die Behörden eine Entscheidung fällen. Laurin Meyer, New York

    • USA
    • Wasserstoff

    Indonesiens Energiewende: Verzögert und verwässert

    Das Projekt wurde vor knapp einem Jahr als einer der Leuchttürme für die internationale Energiewende gestartet. Doch die Just Energy Transition Partnership (JETP) zwischen Indonesien und den Geldgebern der International Partners Group (IPG) kämpft mit Problemen: Das Programm verzögert sich, es leidet unter Intransparenz und Berechnungsfehlern, wichtige Sektoren sind nicht von der JETP erfasst. Das könnte auch dazu führen, dass neue Investitionen in Kohle als grünes Kapital etikettiert werden. Experten sehen die Probleme als Mahnung, die Energiewende-Partnerschaften in Zukunft besser vorzubereiten.  

    Auf dem G20-Gipfel von Bali im November 2022 riefen Indonesien und die IPG-Geberländer unter Führung der USA und Japan die JETP ins Leben. Mit ihr versprachen sie 20 Milliarden US-Dollar (rund 310 Billionen indonesische Rupiah), jeweils zur Hälfte aus öffentlichen und privaten Mitteln. Die Finanzierung soll von der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) koordiniert werden.

    Bedingungen und aktueller Stand der JETP

    Indonesien sagte zu:

    • bis 2030 den Höchststand bei seinen CO₂-Emissionen aus dem Stromsektor zu erreichen. Sie sollen dann bei 290 Millionen Tonnen CO₂ liegen. Das wäre sieben Jahre früher als geplant und mit einem Peak deutlich unter den bisher geplanten 357 Millionen Tonnen.
    • bis 2050 Netto-Null im Stromsektor zu erreichen.
    • den Gesamt-Energiebedarf bis 2030 zu 34 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken, statt wie bisher geplant nur zu 16 Prozent.
    • keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.

    Nun verzögert sich das Projekt. In der gemeinsamen Erklärung heißt es, dass ein JETP-Investitions- und Politikplan sechs Monate nach dem Start veröffentlicht werden soll. Die sechsmonatige Frist begann jedoch erst, als das JETP-Sekretariat im Februar 2023 gegründet wurde, wodurch der Termin auf August 2023 verschoben wurde.

    Das JETP-Sekretariat hat die Aufgabe, den Investitions- und Strategieplan (Comprehensive Investment and Policy Plan, CIPP) zu überwachen und zu koordinieren. Dazu gibt es vier Arbeitsgruppen: Technik, Politik, Finanzen und Just Transition. Zu den Mitgliedern der Arbeitsgruppen gehören die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die Internationale Energieagentur (IEA), die Weltbank und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).

    Langsame Prozesse, wenig Beteiligung

    Die Veröffentlichung des CIPP wurde im August erneut verschoben. Der Entwurf liegt bisher nur der indonesischen Regierung und den IPG-Ländern zur Überprüfung vor. Einer der Gründe: Das JETP-Sekretariat braucht mehr Zeit, um Daten über die geplanten Emissionen zu sammeln. Knackpunkt bei den Berechnungen sind unter anderem Emissionen aus Kohlekraftwerken an Industrieanlagen, die nicht am Stromnetz hängen. Außerdem gibt es ungeklärte Fragen zum Verhältnis von Zuschüssen und Krediten bei den insgesamt 20 Milliarden US-Dollar.

    Dem Prozess mangele es an Transparenz und öffentlicher Beteiligung, kritisieren indonesische Umweltgruppen. Das JETP-Sekretariat führte nur einen öffentlichen Konsultationsdialog im Juni 2023 durch. Es fehle eine Plattform zum Austausch von Informationen und Fortschritten beim CIPP. Nun will das Sekretariat Anfang November eine zweite öffentliche Konsultation abhalten und das CIPP-Dokument am 20. November 2023 veröffentlichen.

    Kritik an Kohlekraftwerken

    Die Schwierigkeiten in Indonesien seien “ein Rückschlag für das grundsätzlich sinnvolle Konzept von JETPs”, sagt Michael Jakob, Ökonom, Berater und wissenschaftlicher Experte für Fragen zur Energiewende in Schwellenländern. Die Datenlage über Emissionen, Kohlekapazitäten und ihren Anteil am Strommix für Indonesien sei unklar gewesen. “Dann gab es einen großen öffentlichen Druck, zu einer Einigung zu kommen, was zu unrealistischen Zielen geführt hat”, so Jakob.

    Offenbar seien bis zu 20 Megawatt an Kohlekapazität bei Industriekraftwerken nicht berücksichtigt worden. Schwierig sei auch, dass in Indonesien die Zentralregierung und die Regionen bei Wirtschaftsdaten und -struktur oft unterschiedlich agierten. Schließlich seien auch bei den Geberländern die Bedingungen für die Finanzhilfen noch unklar. Aus dem Beispiel könne man lernen, dass “JETPs längere und sorgfältigere Vorbereitung brauchen.” Er hoffe auf einen “Lernprozess, damit die JETPs weiter eine Grundlage für die Dekarbonisierung in den Schwellenländern sein können.”    

    Erste Kohlenstoffbörse in Indonesien

    Indonesien hat am 26. September 2023 offiziell seine erste Kohlenstoffbörse eröffnet. Die Behörde für Finanzdienstleistungen (Otoritas Jasa Keuangan/OJK) wird den Prozess überwachen, und die Indonesian Stock Exchange (IDX) wird über IDXCarbon als Betreiber fungieren. Die Regierung sieht darin einen konkreten Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und ist optimistisch, dass Indonesien zur globalen Drehscheibe für den Handel mit CO₂-Zertifikaten wird. Bislang sind die Transaktionen auf IDXCarbon von den 17 Nutzern des Dienstes wegen der geringen Nachfrage langsam.

    Anderseits hat ein Plan der Behörden in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen ausgelöst: Mit der jüngsten Aktualisierung der ASEAN-Taxonomie (Taxonomy for Sustainable Finance Version 2) plant die Finanzbehörde OJK, die indonesische Grüne Taxonomie und das Klassifizierungssystem zu überarbeiten. In der ASEAN-Taxonomie wird der Ausstieg aus der Kohle nach einem Ampelsystem als eine “grüne” oder “gelbe” Aktivität klassifiziert. Zu den Prüfkriterien gehört auch Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCUS). Allerdings zweifeln Kritiker, dass der Einsatz dieser Technologien wirtschaftlich ist.

    Der Leiter des Board of Commissioners der OJK, Mahendra Siregar, erklärte, dass nach diesen Taxonomie-Kriterien Kohlekraftwerke möglicherweise in den Genuss von grüner Finanzierung kommen könnten. Dies sei der Fall, wenn sie sich im Übergangsprozess befinden, den Eigenbedarf von Industrieanlagen decken oder Strom für Elektrofahrzeuge herstellen.

    Umweltgruppen werfen der OJK vor, damit ungewollt Greenwashing zu unterstützen und die Investitionen in die Energiewende in Indonesien zu gefährden, da viele ausländische Geber und Investoren die grüne Taxonomie Indonesiens als irrelevant ansehen würden.

    Agenda für die COP28

    Die indonesische Ministerin für Umwelt und Forstwirtschaft, Siti Nurbaya Bakar, erklärte, dass Indonesien auf der COP28 Fortschritte etwa bei der Finanzierung von “Loss and Damage”, bei einem globalen Ziel für die Anpassung und bei Details des Mitigation Work Program erwarte. Der Generaldirektor für Nachhaltige Waldbewirtschaftung im Umweltministerium und Leiter des indonesischen Pavillons auf der COP28, Agus Justianto, erwartet, dass die Verhandlungen bei der COP28 auf Energiefragen konzentriert sein werden. Für die indonesische Delegation mit rund 600 Mitgliedern werde die Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus der Kohleverstromung im Mittelpunkt stehen.

    Allerdings spart die indonesische JETP die wichtigste Quelle von Treibhausgasen aus: die Waldvernichtung. Neben den etwa 620 Millionen Tonnen CO₂ aus fossilen Brennstoffen verursacht das Land noch einmal knapp 950 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen durch Entwaldung. Die pro-Kopf-Emissionen aus fossilen Brennstoffen liegen bei etwa 2,2 Tonnen. Rechnet man die Entwaldung ein, sind es etwa 7,2 Tonnen.

    Zum Thema Entwaldung erklärte das Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft, dass im Jahr 2022 die Abholzungsrate in Indonesien um etwa 8,4 Prozent gesunken sei. Danach wurden 2022 rund 104.000 Hektar abgeholzt. Greenpeace Indonesien stellt diese Daten jedoch infrage und erklärt, die Methodik sei fehlerhaft und schließe die für industrielle Zwecke gerodeten Wälder nicht ein. Die NGO erwartet, dass die Entwaldungsrate im Jahr 2022 viel höher ist.

    Wicaksono Gitawan ist Journalist und arbeitet für die non-profit Kommunikationsagentur GSCC, die weltweit Themen zu Klimakrise und Energiewende bearbeitet.

    • Entwaldung
    • Indonesien
    • JETP
    • Kohle

    Termine

    23. bis 27. Oktober, Nairobi
    Konferenz MOP35
    In Nairobi findet die 35. Tagung der Vertragsparteien des Montrealer Protokolls statt. Dabei geht es um die Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (MOP 35). Auf der MOP 35 werden Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Montrealer Protokolls erörtert. Infos

    23. bis 27. Oktober, Panama
    Konferenz Latin America and the Caribbean Climate Week
    Die Latin America and the Caribbean Climate Week gehört zu den Regionalkonferenzen, die auf die COP28 in Dubai vorbereiten. Sie soll die Region auf den Global Stocktake vorbereiten.  Infos

    26. Oktober, 9.30 Uhr, Online
    Dialogveranstaltung GJETC Outreach Roadmaps und Konzepte zur Dekarbonisierung der (petro-)chemischen Industrie und des Gebäudebestands
    Sowohl Japan als auch Deutschland haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um klimaneutral zu werden: Japan strebt Klimaneutralität bis 2050 an, Deutschland sogar bis 2045. Vor diesem Hintergrund kommt dem deutsch-japanischen Dialog zur Energiewende eine besondere Bedeutung zu. Der German-Japanese Energy Transition Council (GJETC) arbeitet seit seiner Gründung im Jahr 2016 an strategischen und systemischen Analysen, um Politikberatung für neue und langfristige Perspektiven auf dem Weg zu einer ambitionierten Energiewende zu entwickeln. Infos

    26. Oktober, 15 Uhr, Washington/Online
    Konferenz Latin America Energy Conference – Shaping a New Era of Energy Systems
    Lateinamerikas Energielandschaft ist komplex. Der Thinktank Inter-American Dialogue bringt verschiedene Akteure zusammen, um aktuelle Trends und zukünftige Entwicklungen in dem Gebiet zu diskutieren.  Infos

    26. Oktober, 17 Uhr, Brüssel/Online
    Diskussion Just and Ambitious: Circular Economy – A concrete answer to transformation demands in a changing world
    Im Jahr 2021 war die Weltwirtschaft nur zu 7,2 Prozent kreislauforientiert. Dabei hat Kreislaufwirtschaft große Klimapotenziale. Vor diesem Hintergrund laden das Umweltbundesamt (⁠UBA⁠) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu einer Diskussion von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und zwischenstaatlichen Institutionen über eine zukünftige Kreislaufwirtschaft nach Brüssel ein. Infos

    26. bis 27. Oktober, Amsterdam
    Konferenz Re-Source 2023
    Auf der Konferenz versammeln sich Lieferanten und Käufer von Erneuerbaren aus aller Welt. In diesem Jahr ist eines der Themen, wie die Dekarbonisierungsziele für 2030 erreicht werden können.   Infos

    26. Oktober, 9 Uhr, Brüssel
    Diskussion LOCOMOTION policy event
    Diese Veranstaltung ist Teil der politischen Abschlussveranstaltung des Horizont 2020-Projekts LOCOMOTION (“Low-carbon society: an enhanced modelling tool for the transition to sustainability”). Die Veranstaltung ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil richtet sich an die Zivilgesellschaft und zielt darauf ab, die neuesten Erkenntnisse aus dem Projekt in fünf verschiedenen Bereichen zu präsentieren. Der zweite Teil richtet sich an politische Entscheidungsträger und Modellierungsexperten und zielt darauf ab, eine Auswahl von Fallstudien zu präsentieren, die die Möglichkeiten des Modells veranschaulichen. Infos

    27. Oktober, 9.30 Uhr bis 18 Uhr
    Konferenz The European Climate Stocktake – EU and global progress towards the goals of the Paris Agreement
    Auf dem Event der Europäischen Kommission wird diskutiert, wo die EU aktuell auf dem Weg zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens steht. Infos

    29. Oktober, 10 Uhr, Berlin
    Preisverleihung Verleihung des Deutschen Umweltpreises
    Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt verleiht den Umweltpreis an die Klimawissenschaftlerin Friederike Otto und an die Architektin Dagmar Fritz-Kramer. Infos

    31. Oktober, Berlin, 9.30 Uhr
    Konferenz Industriekonferenz 2023 des BMWK und des Bündnisses Zukunft der Industrie
    Deutschland und Europa wollen die industrielle Produktion grundlegend transformieren, um Treibhausgasneutralität zu erreichen. Wie kann das funktionieren? Das wird auf der Industriekonferenz mit Teilnahme von Robert Habeck diskutiert.  Infos

    News

    Klima in Zahlen: Emissionen nach Sektor

    53.800.000.000 Tonnen CO₂-Äquivalent – das ist der neue Negativrekord an Treibhausgas-Emissionen, der laut aktuellem Bericht der EU-Datenbank EDGAR 2022 erreicht wurde. Das sind immer noch 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr und ein Trend, der der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze direkt zuwider läuft: Dafür wäre nämlich ein Sinken um etwa 8 Prozent nötig.

    Der Bericht zeigt viele verschiedene Details: So etwa, dass von den sechs größten CO₂-Emittenten Indien, China und die USA ihre Emissionen noch erhöht haben – Russland, die EU und Brasilien dagegen haben sie gesenkt. Seit 1990 haben die Gesamtemissionen weltweit um 62 Prozent zugelegt.

    Vor allem aber gibt der Bericht eine Übersicht darüber, wie sich die Emissionen seit 1990 in den einzelnen Branchen entwickelt haben. Zugelegt haben sie vor allem bei der Stromerzeugung und in der Industrie. Auch im Verkehr hat der CO₂-Ausstoß um 72 Prozent zugenommen. Die Klimabelastung durch Gebäude ist dagegen über die letzten 32 Jahre praktisch gleich geblieben – Einsparungen und Effizienz wurden offenbar durch neue Gebäude ausgeglichen.

    Die kurzfristige Statistik aus dem letzten Jahr zeigt global ein anderes Bild: Die großen CO₂-Verursacher Stromproduktion und Industrie haben praktisch nicht zugelegt, auch Gebäude und Landwirtschaft halten sich zurück. Weiter auf Wachstumskurs sind dagegen der Verkehr und die Herstellung von fossilen Brennstoffen. bpo

    • Emissionsdaten
    • EU

    EU-Klimaziele 2030 und 2045 gefährdet

    Die Länder der Europäischen Union sind auf dem Weg, ihr geplantes Klimaziel deutlich zu verpassen. Statt der geplanten minus 55 Prozent an Treibhausgasemissionen bis 2030 bringen die bisherigen Maßnahmen nur eine Minderung von minus 40 Prozent. Mit geplanten zusätzlichen Maßnahmen verringert sich die Lücke zum angestrebten Ziel auf minus 45 Prozent. Das ist ein Ergebnis des ersten Fortschrittsberichts der EU-Kommission zum Erreichen der europäischen Klimaneutralität.

    “Obwohl die Emissionen weiter fallen und es ermutigende Beispiele für praktische Anwendungen gibt, erscheint der Fortschritt zu den EU-Klimazielen unzureichend”, heißt es. Für das EU-Ziel, bis 2050 bei Netto-Null zu sein, müssten die Mitgliedsstaaten und die EU “die Geschwindigkeit des Wandels signifikant erhöhen”, heißt es. Am dringendsten sei es, dort zu handeln:

    • wo noch große Emissionsreduktionen nötig sind (Gebäude, Verkehr)
    • wo der aktuelle Fortschritt zu langsam ist (Landwirtschaft)
    • wo die Entwicklung in die falsche Richtung geht (Landnutzung, Wälder)

    Im Jahr 2022 sanken demnach die EU-Emissionen (ohne Landnutzung und Flugverkehr) in Übereinstimmung mit einem 30-jährigen Trend um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr – während die Wirtschaft um 3,5 Prozent wuchs. Die Emissionen unter dem EU-Emissionshandel sanken nur um 0,2 Prozent, außerhalb des ETS um 2,9 Prozent.

    Viele Mitgliedsländer sind auch damit im Verzug, ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) an die Anforderungen der EU-Klimaziele anzupassen, zeigt ein neuer Report des Climate Action Network. Demnach versäumen es die Niederlande, Italien, Dänemark, Finnland und Zypern, ihren Beitrag zum EU-Reduktionsziel zu erbringen. Und viele Länder, unter ihnen auch Deutschland, Frankreich und Polen, hätten bis Ende September immer noch nicht ihre NECP nach Brüssel gemeldet. bpo

    • EU-Klimapolitik
    • Europa
    • NECP

    Studie warnt vor neuen Kipppunkten

    In der neuen Studie “Interconnected Disaster Risks 2023” warnt die United Nations University (UNU) vor sechs “Risiko-Kipppunkten”, deren Eintreten “unumkehrbare Auswirkungen auf Menschen und den Planeten” hätte. Vier der untersuchten Kipppunkte gehen teilweise oder ganz auf den Klimawandel zurück:

    • Unerträgliche Hitze: Hitzewellen in Kombination mit hoher Feuchtigkeit werden einige Weltregionen unbewohnbar machen, weil die Menschen ihre Körperhitze nicht mehr ableiten können. Schon heute sind 30 Prozent der Weltbevölkerung von solch unerträglicher Hitze betroffen. Bis 2100 könnten es 70 Prozent sein, so die Studie.
    • Schmelze von Berggletschern: Durch die Erderhitzung schmelzen die Gletscher schneller als neuer Schnee fällt. Dadurch wird die Wasserversorgung von hunderten Millionen Menschen gefährdet. Selbst die höchsten Gletscher in Asien werden laut Prognosen um das Jahr 2050 ihren “Peak Water”-Moment erreichen. Ab dann wird die Verfügbarkeit von Frischwasser kontinuierlich abnehmen.
    • “Nicht versicherbare Zukunft”: Extremwetter und Schäden an der Infrastruktur nehmen durch den Klimawandel massiv zu. In einigen Regionen bieten Versicherungen schon keinen oder nicht mehr den vollen Versicherungsschutz an. Im Katastrophenfall bleiben viele Menschen auf hohen Kosten sitzen, was sich wiederum stark auf die regionale Wirtschaft und den Häusermarkt auswirken kann.
    • Massenaussterben: Durch den Klimawandel und die Zerstörung von Lebensräumen sterben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus oder sind vom Aussterben bedroht. Da viele Spezies beispielsweise über die Nahrungskette eng mit anderen verbunden sind, drohen ganze Ökosysteme auszusterben, was sich auf die Nahrungsmittelversorgung des Menschen auswirken würde.

    Daneben werden das Versiegen von Grundwasser und der zunehmende Weltraumschrott als Kipppunkte angeführt.

    Risiken können sich vervielfachen

    Die Autoren der Studie definieren Risikokipppunkte als Zeitpunkte, ab denen “ein sozio-ökologisches System seine Funktion nicht weiter ausführen kann und Risiken für den Menschen nicht mehr abfedert”. Die Autoren übersetzen das mit einem Beispiel: “Wir öffnen den Wasserhahn und nichts passiert”. Treten die Kipppunkte auf, habe das “katastrophale Auswirkungen” auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und das Ökosystem, weil viele Systeme miteinander verbunden seien und sich Risiken durch das Kippen eines Systems vervielfachen.

    Die Autoren schlagen unter anderem vor:

    • Das Wachstumsmodell zu hinterfragen: Statt auf ökonomisches Wachstum auf Wachstum des menschlichen und ökologischen Wohlbefindens zu setzen.
    • Eine Kreislaufwirtschaft, um Energie-, Wasser- und Rohstoffverbrauch zu senken.
    • Stärker im Einklang mit der Natur zu leben, beispielsweise indem weniger Boden versiegelt wird und sogenannte Schwammstädte ausgebaut werden. nib
    • Kipppunkte

    IEA: Fossile erreichen bis 2030 Höchststand – bleiben dann zu hoch

    Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen wird. Das geht aus dem neuen World Energy Outlook der IEA hervor. “Der Übergang zu sauberer Energie findet weltweit statt und ist unaufhaltsam. Es ist keine Frage des ‘ob’, sondern nur des ‘wann’”, sagte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol.

    Die Prognosen der IEA basieren auf der aktuellen Politik der Regierungen weltweit. Während der Kohleverbrauch demnach nach 2030 stark zurückgeht, bleibe der Gas- und Ölverbrauch bis mindestens 2050 in der Nähe des Höchststandes.

    Als Ursachen für einen baldigen Höhepunkt beim Verbrauch fossiler Rohstoffe nennt die IEA beispielhaft:

    • den Boom bei E-Autos und Solarkraft
    • langsameres Wachstum in China und die Umstellung des Landes auf saubere Energien
    • die Politik zur Förderung sauberer Energien in den wichtigsten Märkten wie den USA (Inflation Reduction Act) und der EU (Green Deal)

    China komme “eine überdimensionale Rolle bei der Gestaltung globaler Energietrends” zu, da die Volksrepublik im letzten Jahrzehnt weltweit am stärksten zur wachsenden Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle beigetragen habe. Laut IEA-Prognosen bleibt die Nachfrage nach fossilen Energieträgern allerdings viel zu hoch. Das 1,5-Grad-Ziel sei stark gefährdet. nib/rtr

    • Energiewende
    • Fossile Brennstoffe
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    Studie: Schelfeis in der Antarktis wird abschmelzen

    Das Amundsensee-Schelfeis in der Antarktis ist laut einer neuen Untersuchung nicht mehr zu retten. Damit droht auch der Westantarktische Eisschild seinen Halt zu verlieren. Das Schelfeis dient derzeit noch als Barriere, die dahinterliegende Eismassen schützt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Montag im Fachmagazin Nature Climate Change veröffentlicht wurde.

    Nach Modellierungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schmilzt das Schelfeis auch dann ab, wenn die Weltgemeinschaft die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen kann. Das Schmelzen des Schelfeises könnte die landeinwärts liegenden Gletscher – unter anderem den Thwaites- und den Pine Island-Gletscher – beeinflussen. Deren Schmelzen würde den gesamten Westantarktischen Eisschild destabilisieren. Schmilzt das Eisschild ab, würde allein dadurch der Meeresspiegel in den nächsten Jahrhunderten um drei bis fünf Meter ansteigen. Deswegen bezeichnet die Forschung das Schmelzen des Westantarktischen Eisschild auch als Klima-Kipppunkt.

    Das Meereis in der Antarktis geht aktuell besorgniserregend schnell zurück. Im September wurde beispielsweise ein Rekordtief der Ausdehnung für Wintermonate festgestellt. kul

    • Antarktis
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    WRI: Unverbindliche Allianzen bringen kaum Emissionsminderung

    Unverbindliche internationale Klimaallianzen wie der Global Methane Pledge oder die Beyond Oil & Gas Alliance können zwar dabei helfen, Wissen weiterzugeben. Sie führen aber nur selten dazu, dass tatsächlich Maßnahmen eingeführt werden, um Emissionen zu senken. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Thinktanks World Resources Institute (WRI), der mehr als 90 zwischenstaatliche Klimaallianzen und -partnerschaften analysiert hat.

    Die Anzahl solcher Initiativen habe seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 rasant zugenommen, aber nur wenige der Initiativen beruhten auf konkreten Vereinbarungen über Maßnahmen oder Investitionen. Außerdem seien zwar fast alle Staaten Teil mindestens einer Initiative. Gleichzeitig gelinge es aber selten, in den Allianzen eine kritische Masse der Emittenten in den verschiedenen Sektoren zusammenzubringen. Als positive Ausnahme nennt der Bericht die International Renewable Energy Agency (IRENA), sie komme ihren selbstgesetzten Ziele wenigstens nah. Damit die Initiativen effizienter werden, rät das WRI, dass konkrete Ziele gesetzt und Entwicklungsländer aktiver einbezogen werden. kul

    • Global Methane Pledge
    • IRENA
    • Pariser Klimaabkommen

    Windenergie: EU könnte höhere Preise zulassen

    Um die europäische Windindustrie vor Konkurrenz aus China zu schützen, erwägt die EU-Kommission, die Ausschreibungsregeln für Windparks zu lockern. Ziel ist es, teureren europäischen Herstellern einen Vorteil gegenüber Anlagenproduzenten zu verschaffen, die weniger nachhaltig produzieren oder sogar von unfairen Subventionen profitieren. Die EU-Staaten werden deshalb ermuntert, bei den Ausschreibungen verstärkt nicht-finanzielle Kriterien wie Cybersicherheit oder Recyclingfähigkeit zu berücksichtigen. Das geht aus dem Europäischen Windenergie-Aktionsplan hervor, den die Kommission am Dienstag vorgestellt hat.

    Neue Ausschreibungsregeln legen die EU-Gesetzgeber gerade mit dem Net-Zero-Industry-Act (NZIA) fest. Im Windenergiepaket bietet die Kommission nun an, die neuen Ausschreibungskriterien nach Verabschiedung des NZIA mit einem Durchführungsrechtsakt verbindlich zu machen.

    Auf scharfe Ablehnung stößt der Kurs der Kommission und ihrer Präsidentin bei der FDP im Bundestag. “Unter dem Vorwand, Billiganlagen aus China bekämpfen zu wollen, versucht Ursula von der Leyen, auf Kosten der Steuerzahler verdeckte Subventionen für die Windindustrie einzuführen”, sagte der energiepolitische Sprecher Michael Kruse.

    Im November will die Kommission außerdem eine Empfehlung veröffentlichen, die Notfallverordnung für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verlängern. Die EU-Staaten hatten sie auf dem Höhepunkt der Energiekrise im vergangenen Jahr beschlossen, sie läuft aber Mitte 2024 aus. Möglichst nahtlos sollen im Anschluss Beschleunigungsmaßnahmen zum Windenergieausbau greifen, die mit der gerade novellierten Erneuerbare-Energien-Richtlinie beschlossen wurden. ber

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    • Windkraft

    EU-Antwort auf IRA: Schnelligkeit, Transparenz, Planungssicherheit

    Planungssicherheit beim klimafreundlichen Umbau der Industrie soll nach dem Willen der EU-Kommission eine kostengünstige Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sein. In ihren anstehenden Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) sollen die EU-Staaten für die nächsten zehn statt wie bisher fünf Jahre ihre Ausbauziele für erneuerbare Energien darlegen. So steht es im Aktionsplan für die Windenergie, den die Behörde am Dienstag in Brüssel vorstellte.

    Für sämtliche Ausschreibungen von Ökoenergien in der EU will die Kommission außerdem eine digitale Übersicht schaffen und so die Transparenz für die Branche erhöhen. “Dies würde der Industrie helfen, ihre Investitionen in Produktionskapazitäten zu planen und ihr Geschäftsmodell zu stärken”, heißt es in dem Papier. In einer ebenfalls am Dienstag präsentierten Bewertung der IRA-Auswirkungen auf die europäische Industrie verdeutlicht die Kommission die strategische Bedeutung dieses Ansatzes: “Viele saubere Technologien werden zwar international gehandelt, aber die Produktion von Gütern konzentriert sich in der Regel in der Nähe der Nachfrage.”

    Um die Auswirkungen des IRA zu bewerten, fehle es noch an Daten, meint die Kommission. So habe die US-Regierung noch nicht dargelegt, welche Standards für förderfähigen sauberen Wasserstoff gelten sollen. Trotzdem räumt Brüssel ein, dass die US-Initiative wohl bestimmte Branchen anziehen werde: “Der Kostenvorteil bei der Herstellung von Batterien aufgrund der IRA-Steuergutschriften beläuft sich auf etwa 25 bis 30 Prozent der gesamten Produktionskosten.”

    Unterdessen hat der Industrieausschuss des EU-Parlaments am Mittwoch seine Position zur europäischen Antwort auf den IRA angenommen, den Net-Zero Industry Act (NZIA). Die Abgeordneten wollen die Förderung anders als die Kommission nicht nur auf einige wenige “strategische Technologien” fokussieren – so sollen zum Beispiel auch Kernenergie und nachhaltige Luftfahrttreibstoffe (SAF) gefördert werden. Produktionsstätten für diese Technologien sollen künftig innerhalb von sechs bis zwölf Monaten genehmigt und dafür Umweltprüfungen modifiziert werden. ber

    • EU
    • Inflation Reduction Act

    Loss and Damage: Deutschland drängt auf mehr Geldgeber

    Im Tauziehen um die Details für den “Loss and Damage-Fonds” (L&D) drängt Deutschland darauf, den Kreis der möglichen Geberländer über die traditionellen Industriestaaten hinaus zu vergrößern. “Es ist zentral, dass alle, die es stemmen können, auch zu dem Loss und Damage Fonds beitragen”, sagte Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Klimabeauftragte gegenüber Table.Media. “Das bedeutet neben Industrieländern auch andere reiche Staaten und große Emittenten. Es ist eine Frage der Solidarität und des gemeinsamen Handelns, um die Verletzlichsten zu schützen.”

    Morgan betonte, “alle Seiten sind im intensiven Austausch zu möglichen Lösungen.” Denn der durchaus auch intensive Austausch im Vorbereitungskomitee für den L&D-Fonds hat in den vier angesetzten Runden bisher keine Einigung erbracht. Ende letzter Woche ging die letzte planmäßige Sitzung des Komitees in Ägypten ohne Ergebnis auseinander. Eine neue und vorerst letzte Runde wird nun nach Angaben von Teilnehmern für den 3. bis 5. November nach der Pre-COP in Abu Dhabi angesetzt. Bislang liegen die Vorstellungen noch weit auseinander:

    Vor allem darüber,

    • welche Staaten und andere Einheiten Geld einzahlen sollen
    • ob nur die ärmsten und verwundbarsten Länder Zugang haben oder auch andere Länder, die von Klimaschäden schwer getroffen werden
    • ob der L&D-Fonds bei der Weltbank angesiedelt wird. bpo
    • COP28
    • Loss and Damage

    Presseschau

    Recherche: Die Rückkehr der Reiskrise – wie extremes Wetter und Exportbeschränkungen das Grundnahrungsmittel bedrohen Financial Times
    Reportage: Ein Blick in die Zukunft in Spanien – Wasser mit dem Lastwagen statt aus der Leitung New York Times
    Hintergrund: Energiewende in Kroatien Clean Energy Wire
    Kommentar: Die fossile Industrie behauptet, Latinos seien gegen Elektroautos. Ich habe etwas anderes herausgefunden Los Angeles Times
    Analyse: Fast die Hälfte der Weltbevölkerung könnte aufgrund der globalen Erwärmung von Dengue-Fieber bedroht sein The Telegraph
    Reportage: Kompensation galt als eine Lösung, um Emissionen einzudämmen. Nach vielen Skandalen bricht der Markt langsam ein The New Yorker
    Analyse: Südamerikas Winter war schon viel zu heiß. Nun kommt der Sommer Bloomberg
    Analyse: Interessiert sich der europäische Fußball fürs Klima? BBC
    Reportage: Zero-Waste-City – Was die Welt von Kiel lernen kann The Guardian
    Reportage: Wie der Krieg in der Ukraine die Arktis-Forschung ins Stocken gebracht hat Aljazeera

    Heads

    Morten Thorsby – Klimaschutz im zentralen Mittelfeld 

    Als Morten Thorsby beginnt, sich mit der Klimakrise zu beschäftigen, beendet er beinahe seine Karriere als Fußballprofi. Es gibt schließlich wichtigeres als den Sport. Aber Thorsby kommt eine andere Idee: Was, wenn er die beiden Themen miteinander verbindet? Im Jahr 2020 gründet der Norweger seine Organisation “We Play Green“, mit der Profifußballer auf der ganzen Welt auf Klimaschutz aufmerksam machen.

    “We Play Green” bildet Fußballprofis zu Klimabotschaftern aus, die ihre Bekanntheit nutzen wollen, um auf die Folgen des Klimanotstands aufmerksam zu machen. Die Spielerinnen und Spieler erhalten Schulungen zum Thema Klimaschutz, Infomaterial und Social Media Coachings, um ihre Fans mit dem Thema zu erreichen. Derzeit arbeiten 18 Spielerinnen und Spieler mit “We Play Green” zusammen. “Unser Ziel ist es, den grünen Wandel zu beschleunigen, indem wir die globale Fußballfamilie mobilisieren”, sagt der 27-Jährige zentrale Mittelfeldspieler. Es gäbe keinen besseren Weg, eine so große Gruppe von Menschen zu mobilisieren, als über den beliebtesten Sport der Welt. “Indem wir die Anführer der Fußballfamilie – die Spieler – unterstützen, können wir den lebensrettenden grünen Wandel herbeiführen, dem derzeit nicht nur Zeit, sondern auch Unterstützung fehlt.”

    Norwegischer Nationalspieler

    Thorsby spielte als Profi unter anderem bei Sampdoria Genua und dem SC Heerenveen. Derzeit spielt er in der norwegischen Nationalmannschaft, ist seit 2022 beim FC Union Berlin unter Vertrag und ist an den CFC Genua ausgeliehen. 

    “Weil ich in Norwegen aufgewachsen bin, habe ich mich der Natur immer sehr verbunden gefühlt”, sagt Thorsby. Aber erst als er in die Niederlande zieht, um für den FC Heerenveen zu spielen, beginnt er, sich intensiver mit dem Klimanotstand zu befassen. “In meiner Freizeit habe ich angefangen, mich über globale Krisen zu informieren”, sagt Thorsby. “Um 2015 herum habe ich die Guardian-Artikelserie Keep it in the ground gelesen. Das machte mir viele Probleme bewusst und ich begann, mich zu engagieren.” 

    Obwohl Thorsby an die Chancen des Fußballs für den Klimaschutz glaubt, ist er sich der Umweltschäden bewusst, die Turniere wie die Weltmeisterschaft in Katar und Millionen reisende Fans verursachen. “Der Fußballer kritisiert vor allem den Wachstumszwang, den er in der Fußballindustrie erlebt. “Viele Clubs, Nationalverbände und Fußballgremien betonen die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit. Gleichzeitig veranstalten wir immer mehr Turniere und Spiele, was zu immer mehr Emissionen und Abfall führt”, sagt er. Mit rund vier Milliarden Fans bietet der Fußball die größte Bühne der Welt. “Wir müssen die Fußballfamilie mobilisieren”, sagt Thorsby. Er will sicherstellen, dass auch zukünftige Generationen noch eine lebenswerte Welt vorfinden. “Derzeit bewegen wir uns nicht schnell genug in diese Richtung.” Svenja Schlicht

    • Klimaschutz
    • Sport

    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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