Table.Briefing: Climate

Rockström: Verhandler missverstehen Wissenschaft + COP: Knackpunkte der zweiten Woche + EU: Vorbild oder Papiertiger

  • Rockström: “Verhandler nicht mit letztem Stand der Wissenschaft vertraut”
  • Die Sollbruchstellen der zweiten COP-Woche
  • EU zwischen Klima-Vorbild und Überforderung
  • Termine der kommenden Woche
  • UNO protestiert gegen Übergriffe ägyptischer Polizisten
  • Habeck sieht Konflikt zwischen Freihandel und Klimaschutz gelöst
  • Presseschau
Liebe Leserin, lieber Leser,

in Sharm el Sheikh steigt die politische Temperatur: Mit Beginn der zweiten Woche wird es ernst. Ob die COP27 ein Erfolg wird oder nicht, hängt vor allem auch am Geld. Die besonders verletzlichen Länder wollen schnell Sicherheit über eine feste Finanzierungsfazilität. Dabei dämpft EU-Delegationsleiter Dusík allerdings gleich die Erwartungen, berichtet Lukas Scheid.

Das gehört zum politischen Theater einer COP: Maximalforderung und Bremsen, um sich dann hoffentlich irgendwo zu treffen. Aber warum pokern die Verhandler, wenn doch sehr schnell gehandelt werden müsste? Weil sie teilweise selbst nicht verstehen, wie wahnsinnig eilig es ist, sagt einer der besten Kenner der Wissenschaft im Interview mit Bernhard Pötter: “Viele Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut”, meint Johan Rockström, Co-Direktor des PIK. Er warnt: Mit der Physik hinter dem Klimawandel ist nicht zu verhandeln.

Übrigens: Morgen starten unsere Kollegen vom Security.Table unter der Leitung von Marco Seliger mit ihrer ersten Ausgabe. Zur Redaktion gehören auch Thomas Wiegold, Nana Brink und Viktor Funk. Sie analysieren Veränderungen der globalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Schließlich verschärft der Klimawandel Konflikte auf der ganzen Welt – das Klima wird zu einem Thema der nationalen Sicherheit. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

Also dann: auf eine spannende und entscheidende Woche!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

“Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut”

Johan Rockström, Co-Direktor des PIK

Herr Rockström, auf der COP stellen Sie Politikern und Verhandlern wieder einmal die bitteren Daten über die Klimakrise vor. Die Daten werden jedes Jahr schlimmer. Fühlen Sie sich dabei wie ein Papagei?

Nicht wie ein Papagei. Aber es hat definitiv Elemente von Frustration. Und es braucht enorme Geduld. Wir überlegen vor jeder COP, inwiefern eine Teilnahme von PIK-Forschenden zielführend sein kann. Es gibt ja verschiedene Formate: Wir sitzen mit Politikern und Verhandlern auf Podien, wir briefen sie im persönlichen Gespräch, wir machen Öffentlichkeitsarbeit und wir treffen Leute informell. Hier habe ich den UNFCCC-Chef getroffen, die Verhandler der nordischen Staaten und Deutschland, Barbados, die Seychellen, immer wieder die Alliance of Small Island States (AOSIS), und G77-Verhandler und viele Entscheider aus der Wirtschaft.

Was wollen Politiker wissen, wenn sie mit Ihnen sprechen?

Das ist sehr unterschiedlich. Oft hat es mit dem CO2-Budget zu tun oder den Netto-Null-Zielen, auch mit Wetterextremen oder Kipppunkten im Erdsystem. Aber oft fragen sie auch Dinge, zu denen wir als Naturwissenschaftler nicht forschen: Finanzen zum Beispiel, oder Fragen globale Gerechtigkeit.

Verstehen die Politiker und Delegierten auf der COP, worum es hier geht?

Nach all den Jahren muss ich sagen: Viele Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut, sie sind auf einer anderen Ebene unterwegs als die Forschenden. Sie sind professionelle Außenpolitiker und Diplomaten. Aber mit Risikoanalysen können sie oft wenig anfangen.  

“Große Herausforderung: Die Zeitfrage”

Moment: Die Verhandler verstehen nicht, worüber sie eigentlich verhandeln?

Es wird besser. Aber manche Verhandler bei den COPs denken, sie könnten mit wissenschaftlichen Fakten so umgehen, als könne man mit der Physik verhandeln.

Was meinen Sie konkret?

Viele Verhandler verstehen, dass wir ein Problem haben. Aber sie können den Grad der Dringlichkeit und die Komplexität nicht immer nachvollziehen. Vor allem die Zeitfrage ist eine große Herausforderung. Diese Krise entwickelt sich langsam, und zugleich müssen wir sehr schnell eingreifen. Die Entscheidung darüber, ob Kipppunkte überschritten werden, kann sehr schnell nötig sein, aber die Auswirkungen können erst in 100 Jahren oder sogar mehr kommen.

Was ist daran so schwer zu verstehen?

Es gib zwei verschiedene Zeiten: eine für das Handeln, eine andere für die Folgen dieses Handelns. Politik und Wirtschaft kümmern sich nur um die Folgen: Wann wird der Sturm zuschlagen? Relevant ist aber auch die Zeit für Entscheidung und Handeln: Wann verurteilst du alle kommenden Generationen der Welt zu einem langfristig zehn Metern höheren Meeresspiegel? Wenn das abhängig von unseren Emissionen zum Beispiel 2030 ist, dann ist das sehr, sehr dringend. Wenn aber klar ist, dass die zehn Meter möglicherweise erst 2600 tatsächlich eintreten, dann schreibst du das einfach heute ab und es interessiert niemanden. Und genau das sehen wir oft auf diesen Konferenzen: Schwere Fehler in Politik, Wirtschaft und Verhandlungsteams dabei, die Folgen, die erst im Laufe der Zeit sichtbar werden, mit drängenden Entscheidungen zusammenzubringen.

Was funktioniert: Temperaturgrenzen oder Budgets

Haben Sie Tricks entwickelt, wie man das Entscheidern trotzdem beibringt?

Wir haben verschiedene Herangehensweisen. Wir haben jetzt zum Beispiel ein wissenschaftliches Papier in der Bewertung, wie man mit diesen Zeitskalen umgeht in der Kommunikation. Und es gibt ja gute Botschaften: 2017 haben wir das “Carbon Law” etabliert: Jedes Jahrzehnt müssen die Emissionen halbiert werden, um das Pariser Abkommen zu halten. Heute hat die “Science based Tagets Initiative” dieses Gesetz übernommen. Auch die Übersetzung der Erkenntnisse in die 2- und 1,5-Grad-Grenze ist ein solches Beispiel, wie man komplexe Wissenschaft umsetzbar macht. Das führt zu einem Restbudget, und das kann man aufteilen. Mit so etwas kann die Politik umgehen. Aber es passiert immer noch nicht genug.

Argumentieren Sie persönlich oder moralisch? Reden Sie mit den Verhandlern über das Schicksal ihrer Kinder und Enkel?

Ich frage nicht danach. Sollte ich vielleicht. Aber manchmal kommt das zur Sprache, vor allem, seit Fridays for Future groß geworden sind. Es gibt jetzt hier 55 Jugend-Delegierte. Immerhin.

Brauchen wir denn noch immer mehr Wissenschaft beim Klima? Ist nicht alles klar und gesagt?

Wir wissen seit Jahren genug, um handeln zu können. Wobei wir mit neuer Forschung zum Beispiel zu manchen Elementen im Erdsystem die Schwellenwerte besser bestimmen können, bei denen sie ins Kippen geraten können, und natürlich forschen wir auch zu Lösungen des Klimaproblems. Wenn unsere Stimmen aus der Wissenschaft jetzt lauter werden, liegt das vor allem daran, dass uns die Zeit davonläuft. 

Hoffen auf Handeln der Wirtschaftsführer

Die Menschen hören aber offenbar erst richtig zu, wenn ihr Haus überschwemmt wird.

Ja, es ist furchtbar, dass nicht gehandelt wird. Aber wenn wir nicht diese geduldige Detailarbeit des IPCC über Jahrzehnte hätten, gäbe es gar kein Handeln beim Klimaschutz.

Gibt es auch Treffen, die Ihnen Hoffnung machen?

Das passiert ab und an, sicher nicht jedes Mal. Mit hohen Wirtschaftsführern zu sprechen, etwa beim World Economic Forum, macht mir Hoffnung, da sie direkt in ihrem unternehmerischen Handeln den Wandel voranbringen können.

Es ist einfacher, über das Klima mit Vorstandschefs zu reden als mit Klima-Verhandlern? Aber Manager denken doch in noch kürzeren Zyklen.

Nein, das tun viele von ihnen nicht. Sie wollen langfristige Sicherheit auf den Märkten. Wir haben vor einiger Zeit am PIK die europäischen Lkw-Hersteller gebrieft. Danach haben sie gemeinsam entschieden, den Verbrennungsmotor 2040 auslaufen zu lassen. Sie sagten: wenn wir 2050 bei Null sein müssen, müssen wir zehn Jahre vorher mit den Verbrennern Schluss machen.

Was tun Sie, um in dem Geschäft nicht zynisch zu werden?

Nie aufgeben. Ich bin dickköpfig. Aber Verzweiflung und Weltuntergang stehen nicht jeden Tag auf meiner Tagesordnung. Denn ich liebe auch meine Arbeit als Akademiker. Meine größte Freude diese Woche war die Nachricht, dass wir eine Studie zu planetaren Grenzen bei einem Review nochmal überarbeiten können. Ich liebe es, zu lehren und ein Institut zu führen. Wir bringen den Stand des Wissens voran und stellen dieses Wissen allen zur Verfügung. Das ist unsere Mission.

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Zweite COP-Woche: Die Knackpunkte

Ex-Greenpeacer unter sich: Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault und AA-Staatssekretärin Jennifer Morgan.

Die Euphorie über den neuen Agendapunkt “Loss and Damage” ist längst verflogen. Nach einer Woche mit teils zähen Verhandlungen ist auf der COP27 inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Die Verhandlungsteams sind froh, dass sie nun mit der Ankunft der Ministerinnen und Minister eine neue Dynamik bekommen.

Streit bei Kompensationen für Verluste und Schäden

In der zweiten COP-Woche werden vor allem folgende Themen die Debatte dominieren:

  • Finanzierung von “Loss & Damage”
  • Klimafinanzierung nach 2025
  • Globales Ziel zur Klimaanpassung & Anpassungsfonds
  • Finalisierung des Arbeitsprogramms zur Abschwächung des Klimawandels (Mitigation)
  • Globale Energiewende
  • Cover Decision der COP27

Neue Dynamik braucht es vor allem bei der Finanzierung von “Loss and Damage”, denn die Fronten sind zunehmend verhärtet. Der globale Süden fordert weiterhin schnellstmöglich einen Kompensationsmechanismus bei Verlusten und Schäden in den anfälligsten Ländern. Für die Europäer ist jedoch mittlerweile ausgeschlossen, dass dieser schon in Sharm el-Sheikh aufgesetzt oder im Grundsatz entschieden wird.

Besonders kontrovers ist die Frage, ob solche Finanzflüsse innerhalb bestehender Instrumente, wie dem Grünen Klimafonds, organisiert werden – oder ob eine separate Struktur (Fazilität) eingerichtet wird. Das sei eine politische Frage, die Ministerinnen und Minister klären müssen, sagt Jacob Werksman, Chefverhandler der EU-Kommission. Deutschland und die EU wollen erst einmal nur den weiteren Prozess zur Finanzierung von “Loss and Damage” vorantreiben, heißt es, also Details klären: Wann soll es eine Entscheidung geben, in welchem Format wird verhandelt, wie werden Verluste und Schäden erfasst?

Einigung über Loss and Damage in weiter Ferne

Zuständig für die Definition dieses Prozesses ist Jennifer Morgan, Klimabeauftragte und Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, aber vor allem Vermittlerin zu “Loss and Damage”. Zusammen mit ihrer Co-Vermittlerin, der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas, wird sie in dieser Woche die Spielräume zwischen entwickelten und Entwicklungs-Ländern ausloten. Die Verhandlungstexte zur Finanzierung von “Loss & Damage” sind noch voller Klammern und kontroversen Optionen. Da wartet viel nervige Detailarbeit.

Die vulnerabelsten Länder fordern weiterhin konkrete Maßnahmen noch in diesem Jahr. “Was die gefährdeten Länder brauchen, ist ein klares Ergebnis, das die Bereitstellung von Finanzmitteln durch eine separate Fazilität beinhaltet. Wir können nicht so tun, als ob verfahrenstechnische Ergebnisse Hoffnung machen würden”, sagt Eddie Perez von Climate Action Network (CAN).

Die Europäer dagegen positionieren sich im Fazilitäts-Poker als Bremser: Jan Dusík, Delegationsleiter Tschechiens und der EU-Ratspräsidentschaft, schloss im Gespräch mit Table.Media nicht einmal aus, dass es auch im kommenden Jahr auf der COP28 noch keine Einigung geben wird. Man müsse erst einmal klären, welchen Umfang und welche Funktion ein solches Instrument haben müsste. Erst dann könne man über die Form einer Fazilität sprechen. “Form follows Function” – die Form folgt der Funktion. Nur eine neue Struktur wie eine Fazilität setze die Finanzen für Loss and Damage nicht unbedingt effektiv um. Das aber habe höchste Priorität für die EU, so Dusík.

Gut Wetter machen: Deutschland stellt Global Shield vor

Auf der anderen Seite senden Europäer Signale, dass sie zur Hilfe bereit sind: Die G7 stellt zusammen mit den vulnerabelsten 20 Nationen (V20) am Montag auf der COP den “Global Shield” vor. Der Schutzschirm, unter der deutschen G7-Präsidentschaft entworfen (Climate.Table berichtete), soll bei Klimakatastrophen greifen und für Schäden aufkommen. Die Bundesregierung stellt dafür 170 Millionen Euro zur Verfügung. Mit der Vorstellung in Sharm el-Sheikh sollen weitere Unterstützungsländer gewonnen werden.

Neben Finanzierungsfragen zu “Loss and Damage” werden auch andere Finanzthemen die Verhandler bis zum Schluss der COP27 begleiten, schätzt David Ryfisch, Teamleiter internationale Klimapolitik bei Germanwatch. Im “New Collective Quantified Goal on Climate Finance” soll eine Nachfolgeregelung für die 100 Milliarden Dollar gefunden werden, die den Entwicklungsländern ab 2020 versprochen wurden. Wie viel soll es nun ab 2025 sein?

Die Entwicklungsländer wollen schon jetzt konkrete Zusagen über Summen oder beispielsweise prozentuale Unterziele für die Klimaanpassung. Die Industrieländer stehen auf der Bremse und wollen lieber auch hier zunächst nur formale Fragen klären, berichtet Ryfisch. Eine offene Frage: Müssen alle Gelder mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sein? Die EU hat das Thema, wie die globalen Finanzflüsse für das Pariser Abkommen laut Artikel 2.1c umgeleitet werden müssen, nicht auf die Tagesordnung bekommen. Jetzt soll es zumindest prominent in der politischen “Cover Decision” stehen, wünschen sich die Europäer.

Laut Ryfisch haben die lateinamerikanischen Länder aber bereits einen Kompromiss vorgelegt. Zwar soll es in diesem Jahr noch keine konkreten Zusagen für die Klimafinanzierung nach 2025 geben, aber dafür verpflichtend im kommenden Jahr. Die Ministerinnen und Minister müssen dies jetzt auf der politischen Ebene verhandeln.

China: Nehmer- oder Geberland?

Außerdem würden die Industrienationen gerne den Kreis der Geberländer bei der Klimafinanzierung erweitern. Das würde bedeuten, dass sich nicht mehr nur die reichsten Länder in Europa, Nordamerika und Ostasien an der globalen Klimafinanzierung beteiligen, sondern auch jene, die bereits jetzt einen Großteil der Treibhausgasemissionen verursachen. “Damit beißen sie allerdings bei China auf Granit”, so Ryfisch.

Die Diskussion, ob China nun Geber- oder Nehmerland für finanzielle Unterstützung ist, kommt auf der COP27 immer wieder auf. “Die Anerkennung der eigenen Verursacherrolle ist das dickste Brett“, sagt Susanne Dröge, Leiterin der Abteilung Klimaschutz und Energie beim Umweltbundesamt. Die Klimafinanzierung sei daher das politisch am stärksten aufgeladene Thema. China investiere zwar Geld in Form der “Neuen Seidenstraße”, doch den Status als Land der G77 wolle man noch nicht aufgeben. “Und da hat China einen langen Atem”, schätzt Dröge.

Das zeigt sich auch in den Verhandlungen zur Minderung der Treibhausgase auf 1,5-Grad-Niveau (Mitigation). Das Arbeitsprogramm ist eines der wichtigsten Punkte für die Industrieländer auf der COP27, denn es geht darum, ob das Pariser Ziel in Reichweite bleibt. Die Industrieländer wollen, dass alle große Emittenten verpflichtet werden, ihre Emissionen zu senken – also auch die “major emitters” wie China, Indien oder Indonesien. Von den G77 kommt da starker Gegenwind. Das verspricht zu einem der Knackpunkte der zweiten Woche zu werden.

  • COP27
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  • Klimafinanzierung
  • Klimapolitik
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EU auf der COP: Mittelfeld statt Spitze

EU-Klimazar Frans Timmermans steht auf der COP27 unter Druck. Erste Forderungen nach einem europäischen Klimabotschafter werden laut.

Die häufigste Frage in dieser Woche wird sein: Wann und wie wird die EU ihr Klimaziel erhöhen? Mit der Trilog-Einigung bei der LULUCF-Verordnung ist Europa auf Kurs, mehr Emissionen einzusparen als im EU-Klimagesetz vorgesehen. Somit könnten die EU-Verhandler auf der COP27 umsetzen, was sie selbst von anderen fordern: Das bei der UN hinterlegte Klimaziel (NDC) anzuheben. Zwar wird die EU keinesfalls in Sharm el-Sheikh schon eine NDC-Erhöhung offiziell ankündigen. Doch in den Verhandlungen mit anderen Staaten dürfte sie diesen Vorschlag auf den Tisch legen.

Zuständig für ein höheres Klimaziel wären allein die Mitgliedsländer. Kommission und Parlament haben keinen Einfluss darauf. Es gibt drei Szenarien, wie die EU mit dem gewonnenen Spielraum aus der LULUCF-Einigung für ein höheres NDC umgehen kann, erklärte ein hoher EU-Beamter gegenüber Table.Media.

Szenario 1: Keine NDC-Erhöhung

Klimagesetz und NDC der EU fordern, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um “mindestens” 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Wort “mindestens” schließt auch eine höhere Reduktion nicht aus.

Ein paar EU-Staaten bevorzugen dieses Szenario. Es ließe Spielräume, falls die Ziele der einzelnen Gesetzgebungen des Fit-for-55-Pakets nicht erreicht werden. Dies dürfte international jedoch gar nicht gut ankommen. Europa pocht in den Klimaverhandlungen mit anderen Ländern selbst auf NDC-Erhöhungen. Deshalb gilt dieses Szenario auch als unwahrscheinlich.

Szenario 2: Nur die Erklärung des NDCs wird angepasst

Das Klimaziel bleibt bei “mindestens 55 Prozent”, aber in den angehängten Erklärungen zum EU-NDC, also in der Anleitung zur Umsetzung, wird ein höheres Ziel beschrieben.

Dies wäre der Kompromiss. Allerdings wäre die politische Schlagkraft dieses Schrittes bei den internationalen Verhandlungen deutlich geringer als eine faktische NDC-Erhöhung.

Szenario 3: Die EU erhöht ihr NDC

Europa würde damit einen entscheidenden Teil des Glasgow Climate Pacts erfüllen und könnte Druck auf andere Nationen aufbauen. Die Erhöhung ist unter den Mitgliedstaaten allerdings umstritten, da sie noch größere Verpflichtungen nach sich ziehen würde.

Allerdings: Die EU hat in Glasgow zugestimmt, dass alle Länder ihre NDCs überarbeiten. Nimmt Europa seine Rolle als selbsternannter Vorreiter ernst, muss es das eigene Ziel anheben.  

Still geeinigt: Kein ETS-Geld für Internationales

Eine andere Einigung dürfte in Sharm el-Sheikh allerdings weniger gut ankommen, sofern sie überhaupt die Runde macht. Kaum bemerkt haben EU-Kommission, Parlament und Rat eine wichtige Forderung des Parlaments zur internationalen Klimafinanzierung unter den Tisch fallen lassen:

Die Parlamentarier wollten, dass Mitgliedstaaten mindestens zehn Prozent ihrer Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem (ETS) für Klimaschutzmaßnahmen in besonders vom Klimaschutz betroffenen Drittstaaten reservieren. Das reduzierten die Parlamentarier noch auf 7,5 Prozent. Trotzdem hatte der Vorstoß beim Rat keine Chance. Der Trilog zur ETS-Reform fand die schwammige Formulierung: “Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die Notwendigkeit, die internationale Klimafinanzierung in gefährdeten Drittländern weiter aufzustocken.”

Eine feste Klimafinanzierungsquote für ETS-Einnahmen hätte auf der COP die EU-Position gestärkt. Schließlich bestimmt die aufgeheizte Debatte um das gebrochene Versprechen von jährlich 100 Milliarden US-Dollar die Debatten. Neben den kompromissscheuen Mitgliedstaaten wird insbesondere EU-Klimakommissar Frans Timmermans für diesen geschwächten Deal verantwortlich gemacht.

Zweite COP-Woche: Wie gut verhandeln die Europäer?

Sowohl vonseiten der EVP als auch der Grünen wird dem Niederländer angekreidet, nicht ausreichend Druck auf den Rat ausgeübt zu haben. Timmermans mache zu viel auf einmal und sei dabei nicht fokussiert auf die wichtigen Dinge, sagte der ETS-Berichterstatter und umweltpolitische Sprecher der EVP, Peter Liese.

Neben der europäischen Klimagesetzgebung ist Timmermans auch für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig. Liese fürchtet, dass der Kommissar, der bekannt dafür ist, alles selbst in die Hand zu nehmen, mit seinen Aufgaben überfordert sein könnte. Mit Blick auf die COP27 fordert er deshalb einen EU-Klimabotschafter wie China oder die USA.

Auch Michael Bloss (Grüne) zeigte sich zuletzt mehrfach enttäuscht vom EU-Klimazar. “Wenn diese Klimakonferenz scheitert, dann sind Sie auch dafür verantwortlich”, sagte Bloss bei einer Rede Ende Oktober im EU-Parlament.

Timmermans steht in dieser Woche also enorm unter Druck. Zwar verhandelt die Kommission in Sharm el-Sheikh nicht allein – hauptverantwortlich ist theoretisch sogar der Rat. Doch Tschechiens Umweltminister, Marian Jurečka, ist erst seit zwei Wochen und nur vorübergehend im Amt. Er ist eigentlich Arbeitsminister, hatte mutmaßlich daher kaum Zeit, sich in die Themen einzulesen und wird nur einen Tag lang in Sharm el-Sheikh sein. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock könnte daher auf ministerieller Ebene eine prägendere Rolle einnehmen. Ohnehin gehört die Grünen-Politikerin zu den ambitioniertesten Ministerinnen und Ministern Europas beim internationalen Klimaschutz.

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Termine

14. November, 9 Uhr
COP27 Getting to Zero-Deforestation by 2030
Private, öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure diskutieren über das Ziel, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. Wiederaufforstung und die Verbesserung von Lebensbedingungen für Landwirte stehen im Mittelpunkt. INFOS

15. November, 10 Uhr
COP27 Energy Transition and Synthetic Fuels
In der Diskussion werden Best-Practices gezeigt. Beispiel ist ein Unternehmen aus Chile, das heute das größte E-Lade-Netz in Lateinamerikas zur Verfügung stellt. INFOS

15. November, 13.15 Uhr
COP27 Jointly Combating the Climate and Biodiversity Crises: The Critical Role of Nature-Based Solutions
Auf der COP26 wurden zum ersten Mal die Zusammenhänge zwischen Biodiversitätsverlust und der Klimakrise anerkannt. Auf diesem Event soll diskutiert werden, was das bedeutet und wie man gegen beide Krisen gleichzeitig kämpfen kann. INFOS

15. November, 13.30 Uhr
COP27 UrbanShift: Catalyzing Climate Action with Nature-Positive Cities
Podiumsdiskussion zu aktuellen Anstrengungen von Städten, mit naturbasierten Lösungen auf die Klimakrise zu reagieren. Außerdem wird der UrbanShift Bericht veröffentlicht. INFOS

15.-16. November, Bali
Gipfeltreffen G20-Gipfel
Der jährliche Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer findet in diesem Jahr in Bali statt. INFOS

16. November, 11.30 Uhr
COP27 The role of carbon pricing and electricity market reform in advancing power sector decarbonisation
Bei einer Podiumsdiskussion sprechen Expertinnen und Experten aus China, Südafrika und Chile über die Vorteile und Herausforderung der CO2-Bepreisung und die effiziente Gestaltung der CO2-Preis-Mechanismen. INFOS

16. November, 19 Uhr
COP27 Decoupling agriculture from deforestation: win-wins for climate, livelihoods and food security
Auf der Veranstaltung werden Praktiken für land- und forstwirtschaftliche Ansätze vorgestellt, die direkt zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. INFOS

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News

UNO untersucht Übergriffe ägyptischer Polizisten

Die Vereinten Nationen sind zunehmend irritiert über Übergriffe ägyptischer Sicherheitskräfte auf der COP27. In den vergangenen Tagen sei den Vertretern des Gastlandes mehrfach klargemacht worden, dass ihre Beamten sich gemäß UN-Regeln verhalten müssten und die Besucher der Konferenz nicht ausspionieren dürften, heißt es aus hochrangigen UN-Kreisen. Auch die deutsche Botschaft warnt die deutsche Delegation vor Überwachung und Störungen durch Beamte des Gastgebers Ägypten.

Die UN sind mit mehreren Dutzend ihrer eigenen Polizei- und Ordnungskräfte vom UN Department for Safety and Security (UN DSS) auf dem COP-Gelände für die Sicherheit verantwortlich. Sie sind die sogenannten “Blauhemden”, erkennbar an ihren Uniformen, die an US-Polizei erinnern. Die UN-Sicherheitskräfte haben das Hausrecht, um einen ungestörten Ablauf der Verhandlungen und die Sicherheit der Teilnehmer zu garantieren. Unangekündigter Protest etwa von Umweltgruppen kann nach UN-Regeln zum Entzug der Akkreditierung führen.

Wie auch bei anderen Konferenzen stellt die UNO für weitere Aufgaben und die Bewachung von Infrastruktur Kräfte aus dem Gastland ein. Normalerweise sind das Angestellte von privaten Sicherheitsdiensten, wie es etwa bei der COP26 in Glasgow der Fall war. Bei der COP27 allerdings werde vom Gastgeber dafür ausschließlich ägyptisches Polizeipersonal eingesetzt, hieß es jetzt von der UN. Es geht dabei um mehrere hundert Helfer auf dem Gelände.

Vorwurf: Überwachung und Einschüchterung

Diese Beamten stehen offiziell für die Zeit der COP27 unter dem Befehl der UN. Doch es häuften sich Vorfälle, bei denen sie Veranstaltungen beobachten, Menschen filmen und einschüchtern, hieß es. Als eine Pressekonferenz mit der Schwester des inhaftierten Regimekritikers al Fattah gestört wurde, hätten zwei Sicherheitsleute ohne Genehmigung die Besucher gefilmt. Eine Prüfung der UN-Sicherheitsbehörde ergab, dass sie zu den ägyptischen Polizeikräften gehörten. Proteste der UNO bei den Gastgebern stießen bisher auf taube Ohren, hieß es.

Die ägyptischen Kräfte seien “hier, um bei der Sicherung des Geländes zu assistieren und die Sicherheit aller Teilnehmer sicherzustellen”, sagte ein UN-Sprecher. “UN DSS ist darauf hingewiesen worden, dass es Vorwürfe gibt, der Verhaltenscodex sei verletzt worden. Wir untersuchen diese Berichte.”

Auch die deutsche Delegation sei durch die ihr Eintreten für die Menschenrechte in Ägypten “in den Fokus der ägyptischen Sicherheitsbehörden geraten”, warnt die deutsche Botschaft. In einem internen Schreiben an die Delegation und an Journalisten heißt es, es sei damit zu rechnen, dass die Arbeit von Delegation und Journalisten überwacht und aufgezeichnet werden könne. Es könne zu Störungen durch staatsnahe Aktivisten kommen. Laptops und Telefone sollten vor Ausspähen geschützt werden. bpo

  • COP27

Habeck: Konflikt zwischen Freihandel und Klimaschutz gelöst

Auf diese Nachricht hatte Robert Habeck lange hingearbeitet, aber als sie bekannt wurde, konnte er sich zunächst nicht öffentlich dazu äußern: Denn als die Ampel-Koalition am Freitagabend verkündete, dass sie sich auf einen Kompromiss bei CETA, dem seit Jahren umkämpften Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada geeinigt hatte, saß der Wirtschaftsminister gerade im Regierungsflieger nach Singapur auf dem Weg zur Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft – und dort gab es nicht mal in der VIP-Klasse Internet-Zugang.

Habecks Einschätzung, dass es sich bei der Einigung um einen “handelspolitischen Meilenstein” handele, erreichte die Öffentlichkeit darum erst am Samstagmorgen. “Wir richten unsere Handelspolitik dabei konsequent am Klimaschutz aus“, begründete der Minister seine Begeisterung. Bei CETA heißt das: Der bisher von Deutschland nicht ratifizierte Investitionsschutz-Teil des Abkommens, der es Unternehmen erlaubt, Staaten zu verklagen, wenn ihre Eigentumsrechte durch neue Gesetze eingeschränkt werden, darf nun doch in Kraft treten. Allerdings wird das Abkommen um eine “Interpretationserklärung” ergänzt, in der festgelegt wird, dass Maßnahmen, die dem Schutz von Klima, Gesundheit oder sozialer Sicherheit dienen, keine Schadenersatzansprüche begründen.

CETA – Klimaschutz kein Grund für Schadensersatz

Diesem Vorschlag, den Habeck erstmals im Frühjahr präsentierte, habe sich die EU nun angeschlossen, und auch mit Kanada sei der Plan bereits besprochen, berichtete der Minister. CETA könne darum noch im Dezember ratifiziert werden. Von den Grünen, die die Investitionsschutzregelungen bisher entschieden abgelehnt haben, ist kein Widerstand mehr zu erwarten. Die gleichen Bedingungen sollen auch in die Freihandelsabkommen der EU mit Chile und Mexiko aufgenommen werden, erklärte Habeck.

Bei freihandelskritischen Organisationen dürfte die Einigung schlecht ankommen, denn sie bezweifeln, dass die Interpretationserklärung Klagen gegen Klimaschutzauflagen tatsächlich verhindert. Auch ein Gutachten, das die Rechtswissenschaftlerinnen Alessandra Arcuri und Federica Violi von der Universität Rotterdam im Auftrag der NGO PowerShift angefertigt hatten, kam zum Schluss, dass die Erklärung zu unbestimmt sei, um das Risiko klimabezogener Klagen unter CETA vollständig auszuschließen.

Für große Freude sorgte bei Umweltverbänden dagegen eine weitere Entscheidung, die gleichzeitig mit der CETA-Einigung verkündet wurde: Deutschland steigt aus dem Energiecharta-Vertrag aus (Climate.Table berichtete), der ebenfalls Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen erlaubt hat. Diese Entscheidung sei “folgerichtig”, weil es nicht gelungen sei, diesen Vertrag so zu reformieren, dass er stärker auf Klimaschutz ausgerichtet werde. Zuvor hatten bereits mehrere andere Länder angekündigt, den den Energiecharta-Vertrag zu kündigen.

Umweltinstitut begrüßt Ausstieg aus Energiecharta

Beim Umweltinstitut München ist die Begeisterung dennoch groß. “Unsere jahrelange Arbeit hat sich gelohnt”, sagte Referent Ludwig Essig. “Der Anfang vom Ende für den Investitionsschutz für fossile Energien ist gemacht.” Als nächstes müsse Deutschland jetzt darauf drängen, dass auch die EU als Ganzes aus der Charta aussteigt.

Auch unabhängig von den Handelsabkommen warb Habeck bei der Wirtschaftskonferenz in Singapur bei praktisch jeder Gelegenheit für mehr Anstrengungen beim Klimaschutz. “Klimawandel ist keine abstrakte Bedrohung mehr”, sagte er etwa bei einer Diskussion – und verwies auf die drastische Schilderung der jüngsten Flutkatastrophe durch seinen pakistanischen Amtskollegen Syed Naveed Qamar, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm. “Wenn wir daran scheitern, das Tempo der globalen Erwärmung zu verringern”, mahnte der Wirtschaftsminister vor über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 20 Ländern, “wird unsere ganze politische Generation gescheitert sein.” mkr

  • Asien-Pazifik-Konferenz
  • Energiecharta
  • Freihandel
  • Robert Habeck

Presseschau

Analyse: Mit diesen Plänen sollen Billionen für die Klimafinanzierung armer Länder gesammelt werden New York Times
Analyse: Welchen Einfluss die Midterm Elections in den USA auf Klimapolitik haben Scientific American
Hintergrund: Emissionen und der Krieg in der Ukraine Bloomberg
Dokumentarfilm: Wer ist dafür verantwortlich, den Planeten zu retten? The Guardian
Analyse: Welche Länder haben die meisten Delegierten zur COP27 geschickt? CarbonBrief
Kommentar: Ich konnte mich von meinen Verwandten und Opfern der Klimakrise nie verabschieden Climate Home News
Analyse: Wie kann grüner Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden? Handelsblatt
Reportage: Wie viele Treibhausgase die Welt wirklich ausstößt Spiegel
Film: Kann sich Indien an extreme Hitze anpassen? Financial Times

Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

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    • Die Sollbruchstellen der zweiten COP-Woche
    • EU zwischen Klima-Vorbild und Überforderung
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    • UNO protestiert gegen Übergriffe ägyptischer Polizisten
    • Habeck sieht Konflikt zwischen Freihandel und Klimaschutz gelöst
    • Presseschau
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    in Sharm el Sheikh steigt die politische Temperatur: Mit Beginn der zweiten Woche wird es ernst. Ob die COP27 ein Erfolg wird oder nicht, hängt vor allem auch am Geld. Die besonders verletzlichen Länder wollen schnell Sicherheit über eine feste Finanzierungsfazilität. Dabei dämpft EU-Delegationsleiter Dusík allerdings gleich die Erwartungen, berichtet Lukas Scheid.

    Das gehört zum politischen Theater einer COP: Maximalforderung und Bremsen, um sich dann hoffentlich irgendwo zu treffen. Aber warum pokern die Verhandler, wenn doch sehr schnell gehandelt werden müsste? Weil sie teilweise selbst nicht verstehen, wie wahnsinnig eilig es ist, sagt einer der besten Kenner der Wissenschaft im Interview mit Bernhard Pötter: “Viele Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut”, meint Johan Rockström, Co-Direktor des PIK. Er warnt: Mit der Physik hinter dem Klimawandel ist nicht zu verhandeln.

    Übrigens: Morgen starten unsere Kollegen vom Security.Table unter der Leitung von Marco Seliger mit ihrer ersten Ausgabe. Zur Redaktion gehören auch Thomas Wiegold, Nana Brink und Viktor Funk. Sie analysieren Veränderungen der globalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Schließlich verschärft der Klimawandel Konflikte auf der ganzen Welt – das Klima wird zu einem Thema der nationalen Sicherheit. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

    Also dann: auf eine spannende und entscheidende Woche!

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    Analyse

    “Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut”

    Johan Rockström, Co-Direktor des PIK

    Herr Rockström, auf der COP stellen Sie Politikern und Verhandlern wieder einmal die bitteren Daten über die Klimakrise vor. Die Daten werden jedes Jahr schlimmer. Fühlen Sie sich dabei wie ein Papagei?

    Nicht wie ein Papagei. Aber es hat definitiv Elemente von Frustration. Und es braucht enorme Geduld. Wir überlegen vor jeder COP, inwiefern eine Teilnahme von PIK-Forschenden zielführend sein kann. Es gibt ja verschiedene Formate: Wir sitzen mit Politikern und Verhandlern auf Podien, wir briefen sie im persönlichen Gespräch, wir machen Öffentlichkeitsarbeit und wir treffen Leute informell. Hier habe ich den UNFCCC-Chef getroffen, die Verhandler der nordischen Staaten und Deutschland, Barbados, die Seychellen, immer wieder die Alliance of Small Island States (AOSIS), und G77-Verhandler und viele Entscheider aus der Wirtschaft.

    Was wollen Politiker wissen, wenn sie mit Ihnen sprechen?

    Das ist sehr unterschiedlich. Oft hat es mit dem CO2-Budget zu tun oder den Netto-Null-Zielen, auch mit Wetterextremen oder Kipppunkten im Erdsystem. Aber oft fragen sie auch Dinge, zu denen wir als Naturwissenschaftler nicht forschen: Finanzen zum Beispiel, oder Fragen globale Gerechtigkeit.

    Verstehen die Politiker und Delegierten auf der COP, worum es hier geht?

    Nach all den Jahren muss ich sagen: Viele Verhandler sind nicht mit dem letzten Stand der Wissenschaft vertraut, sie sind auf einer anderen Ebene unterwegs als die Forschenden. Sie sind professionelle Außenpolitiker und Diplomaten. Aber mit Risikoanalysen können sie oft wenig anfangen.  

    “Große Herausforderung: Die Zeitfrage”

    Moment: Die Verhandler verstehen nicht, worüber sie eigentlich verhandeln?

    Es wird besser. Aber manche Verhandler bei den COPs denken, sie könnten mit wissenschaftlichen Fakten so umgehen, als könne man mit der Physik verhandeln.

    Was meinen Sie konkret?

    Viele Verhandler verstehen, dass wir ein Problem haben. Aber sie können den Grad der Dringlichkeit und die Komplexität nicht immer nachvollziehen. Vor allem die Zeitfrage ist eine große Herausforderung. Diese Krise entwickelt sich langsam, und zugleich müssen wir sehr schnell eingreifen. Die Entscheidung darüber, ob Kipppunkte überschritten werden, kann sehr schnell nötig sein, aber die Auswirkungen können erst in 100 Jahren oder sogar mehr kommen.

    Was ist daran so schwer zu verstehen?

    Es gib zwei verschiedene Zeiten: eine für das Handeln, eine andere für die Folgen dieses Handelns. Politik und Wirtschaft kümmern sich nur um die Folgen: Wann wird der Sturm zuschlagen? Relevant ist aber auch die Zeit für Entscheidung und Handeln: Wann verurteilst du alle kommenden Generationen der Welt zu einem langfristig zehn Metern höheren Meeresspiegel? Wenn das abhängig von unseren Emissionen zum Beispiel 2030 ist, dann ist das sehr, sehr dringend. Wenn aber klar ist, dass die zehn Meter möglicherweise erst 2600 tatsächlich eintreten, dann schreibst du das einfach heute ab und es interessiert niemanden. Und genau das sehen wir oft auf diesen Konferenzen: Schwere Fehler in Politik, Wirtschaft und Verhandlungsteams dabei, die Folgen, die erst im Laufe der Zeit sichtbar werden, mit drängenden Entscheidungen zusammenzubringen.

    Was funktioniert: Temperaturgrenzen oder Budgets

    Haben Sie Tricks entwickelt, wie man das Entscheidern trotzdem beibringt?

    Wir haben verschiedene Herangehensweisen. Wir haben jetzt zum Beispiel ein wissenschaftliches Papier in der Bewertung, wie man mit diesen Zeitskalen umgeht in der Kommunikation. Und es gibt ja gute Botschaften: 2017 haben wir das “Carbon Law” etabliert: Jedes Jahrzehnt müssen die Emissionen halbiert werden, um das Pariser Abkommen zu halten. Heute hat die “Science based Tagets Initiative” dieses Gesetz übernommen. Auch die Übersetzung der Erkenntnisse in die 2- und 1,5-Grad-Grenze ist ein solches Beispiel, wie man komplexe Wissenschaft umsetzbar macht. Das führt zu einem Restbudget, und das kann man aufteilen. Mit so etwas kann die Politik umgehen. Aber es passiert immer noch nicht genug.

    Argumentieren Sie persönlich oder moralisch? Reden Sie mit den Verhandlern über das Schicksal ihrer Kinder und Enkel?

    Ich frage nicht danach. Sollte ich vielleicht. Aber manchmal kommt das zur Sprache, vor allem, seit Fridays for Future groß geworden sind. Es gibt jetzt hier 55 Jugend-Delegierte. Immerhin.

    Brauchen wir denn noch immer mehr Wissenschaft beim Klima? Ist nicht alles klar und gesagt?

    Wir wissen seit Jahren genug, um handeln zu können. Wobei wir mit neuer Forschung zum Beispiel zu manchen Elementen im Erdsystem die Schwellenwerte besser bestimmen können, bei denen sie ins Kippen geraten können, und natürlich forschen wir auch zu Lösungen des Klimaproblems. Wenn unsere Stimmen aus der Wissenschaft jetzt lauter werden, liegt das vor allem daran, dass uns die Zeit davonläuft. 

    Hoffen auf Handeln der Wirtschaftsführer

    Die Menschen hören aber offenbar erst richtig zu, wenn ihr Haus überschwemmt wird.

    Ja, es ist furchtbar, dass nicht gehandelt wird. Aber wenn wir nicht diese geduldige Detailarbeit des IPCC über Jahrzehnte hätten, gäbe es gar kein Handeln beim Klimaschutz.

    Gibt es auch Treffen, die Ihnen Hoffnung machen?

    Das passiert ab und an, sicher nicht jedes Mal. Mit hohen Wirtschaftsführern zu sprechen, etwa beim World Economic Forum, macht mir Hoffnung, da sie direkt in ihrem unternehmerischen Handeln den Wandel voranbringen können.

    Es ist einfacher, über das Klima mit Vorstandschefs zu reden als mit Klima-Verhandlern? Aber Manager denken doch in noch kürzeren Zyklen.

    Nein, das tun viele von ihnen nicht. Sie wollen langfristige Sicherheit auf den Märkten. Wir haben vor einiger Zeit am PIK die europäischen Lkw-Hersteller gebrieft. Danach haben sie gemeinsam entschieden, den Verbrennungsmotor 2040 auslaufen zu lassen. Sie sagten: wenn wir 2050 bei Null sein müssen, müssen wir zehn Jahre vorher mit den Verbrennern Schluss machen.

    Was tun Sie, um in dem Geschäft nicht zynisch zu werden?

    Nie aufgeben. Ich bin dickköpfig. Aber Verzweiflung und Weltuntergang stehen nicht jeden Tag auf meiner Tagesordnung. Denn ich liebe auch meine Arbeit als Akademiker. Meine größte Freude diese Woche war die Nachricht, dass wir eine Studie zu planetaren Grenzen bei einem Review nochmal überarbeiten können. Ich liebe es, zu lehren und ein Institut zu führen. Wir bringen den Stand des Wissens voran und stellen dieses Wissen allen zur Verfügung. Das ist unsere Mission.

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    Zweite COP-Woche: Die Knackpunkte

    Ex-Greenpeacer unter sich: Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault und AA-Staatssekretärin Jennifer Morgan.

    Die Euphorie über den neuen Agendapunkt “Loss and Damage” ist längst verflogen. Nach einer Woche mit teils zähen Verhandlungen ist auf der COP27 inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Die Verhandlungsteams sind froh, dass sie nun mit der Ankunft der Ministerinnen und Minister eine neue Dynamik bekommen.

    Streit bei Kompensationen für Verluste und Schäden

    In der zweiten COP-Woche werden vor allem folgende Themen die Debatte dominieren:

    • Finanzierung von “Loss & Damage”
    • Klimafinanzierung nach 2025
    • Globales Ziel zur Klimaanpassung & Anpassungsfonds
    • Finalisierung des Arbeitsprogramms zur Abschwächung des Klimawandels (Mitigation)
    • Globale Energiewende
    • Cover Decision der COP27

    Neue Dynamik braucht es vor allem bei der Finanzierung von “Loss and Damage”, denn die Fronten sind zunehmend verhärtet. Der globale Süden fordert weiterhin schnellstmöglich einen Kompensationsmechanismus bei Verlusten und Schäden in den anfälligsten Ländern. Für die Europäer ist jedoch mittlerweile ausgeschlossen, dass dieser schon in Sharm el-Sheikh aufgesetzt oder im Grundsatz entschieden wird.

    Besonders kontrovers ist die Frage, ob solche Finanzflüsse innerhalb bestehender Instrumente, wie dem Grünen Klimafonds, organisiert werden – oder ob eine separate Struktur (Fazilität) eingerichtet wird. Das sei eine politische Frage, die Ministerinnen und Minister klären müssen, sagt Jacob Werksman, Chefverhandler der EU-Kommission. Deutschland und die EU wollen erst einmal nur den weiteren Prozess zur Finanzierung von “Loss and Damage” vorantreiben, heißt es, also Details klären: Wann soll es eine Entscheidung geben, in welchem Format wird verhandelt, wie werden Verluste und Schäden erfasst?

    Einigung über Loss and Damage in weiter Ferne

    Zuständig für die Definition dieses Prozesses ist Jennifer Morgan, Klimabeauftragte und Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, aber vor allem Vermittlerin zu “Loss and Damage”. Zusammen mit ihrer Co-Vermittlerin, der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas, wird sie in dieser Woche die Spielräume zwischen entwickelten und Entwicklungs-Ländern ausloten. Die Verhandlungstexte zur Finanzierung von “Loss & Damage” sind noch voller Klammern und kontroversen Optionen. Da wartet viel nervige Detailarbeit.

    Die vulnerabelsten Länder fordern weiterhin konkrete Maßnahmen noch in diesem Jahr. “Was die gefährdeten Länder brauchen, ist ein klares Ergebnis, das die Bereitstellung von Finanzmitteln durch eine separate Fazilität beinhaltet. Wir können nicht so tun, als ob verfahrenstechnische Ergebnisse Hoffnung machen würden”, sagt Eddie Perez von Climate Action Network (CAN).

    Die Europäer dagegen positionieren sich im Fazilitäts-Poker als Bremser: Jan Dusík, Delegationsleiter Tschechiens und der EU-Ratspräsidentschaft, schloss im Gespräch mit Table.Media nicht einmal aus, dass es auch im kommenden Jahr auf der COP28 noch keine Einigung geben wird. Man müsse erst einmal klären, welchen Umfang und welche Funktion ein solches Instrument haben müsste. Erst dann könne man über die Form einer Fazilität sprechen. “Form follows Function” – die Form folgt der Funktion. Nur eine neue Struktur wie eine Fazilität setze die Finanzen für Loss and Damage nicht unbedingt effektiv um. Das aber habe höchste Priorität für die EU, so Dusík.

    Gut Wetter machen: Deutschland stellt Global Shield vor

    Auf der anderen Seite senden Europäer Signale, dass sie zur Hilfe bereit sind: Die G7 stellt zusammen mit den vulnerabelsten 20 Nationen (V20) am Montag auf der COP den “Global Shield” vor. Der Schutzschirm, unter der deutschen G7-Präsidentschaft entworfen (Climate.Table berichtete), soll bei Klimakatastrophen greifen und für Schäden aufkommen. Die Bundesregierung stellt dafür 170 Millionen Euro zur Verfügung. Mit der Vorstellung in Sharm el-Sheikh sollen weitere Unterstützungsländer gewonnen werden.

    Neben Finanzierungsfragen zu “Loss and Damage” werden auch andere Finanzthemen die Verhandler bis zum Schluss der COP27 begleiten, schätzt David Ryfisch, Teamleiter internationale Klimapolitik bei Germanwatch. Im “New Collective Quantified Goal on Climate Finance” soll eine Nachfolgeregelung für die 100 Milliarden Dollar gefunden werden, die den Entwicklungsländern ab 2020 versprochen wurden. Wie viel soll es nun ab 2025 sein?

    Die Entwicklungsländer wollen schon jetzt konkrete Zusagen über Summen oder beispielsweise prozentuale Unterziele für die Klimaanpassung. Die Industrieländer stehen auf der Bremse und wollen lieber auch hier zunächst nur formale Fragen klären, berichtet Ryfisch. Eine offene Frage: Müssen alle Gelder mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sein? Die EU hat das Thema, wie die globalen Finanzflüsse für das Pariser Abkommen laut Artikel 2.1c umgeleitet werden müssen, nicht auf die Tagesordnung bekommen. Jetzt soll es zumindest prominent in der politischen “Cover Decision” stehen, wünschen sich die Europäer.

    Laut Ryfisch haben die lateinamerikanischen Länder aber bereits einen Kompromiss vorgelegt. Zwar soll es in diesem Jahr noch keine konkreten Zusagen für die Klimafinanzierung nach 2025 geben, aber dafür verpflichtend im kommenden Jahr. Die Ministerinnen und Minister müssen dies jetzt auf der politischen Ebene verhandeln.

    China: Nehmer- oder Geberland?

    Außerdem würden die Industrienationen gerne den Kreis der Geberländer bei der Klimafinanzierung erweitern. Das würde bedeuten, dass sich nicht mehr nur die reichsten Länder in Europa, Nordamerika und Ostasien an der globalen Klimafinanzierung beteiligen, sondern auch jene, die bereits jetzt einen Großteil der Treibhausgasemissionen verursachen. “Damit beißen sie allerdings bei China auf Granit”, so Ryfisch.

    Die Diskussion, ob China nun Geber- oder Nehmerland für finanzielle Unterstützung ist, kommt auf der COP27 immer wieder auf. “Die Anerkennung der eigenen Verursacherrolle ist das dickste Brett“, sagt Susanne Dröge, Leiterin der Abteilung Klimaschutz und Energie beim Umweltbundesamt. Die Klimafinanzierung sei daher das politisch am stärksten aufgeladene Thema. China investiere zwar Geld in Form der “Neuen Seidenstraße”, doch den Status als Land der G77 wolle man noch nicht aufgeben. “Und da hat China einen langen Atem”, schätzt Dröge.

    Das zeigt sich auch in den Verhandlungen zur Minderung der Treibhausgase auf 1,5-Grad-Niveau (Mitigation). Das Arbeitsprogramm ist eines der wichtigsten Punkte für die Industrieländer auf der COP27, denn es geht darum, ob das Pariser Ziel in Reichweite bleibt. Die Industrieländer wollen, dass alle große Emittenten verpflichtet werden, ihre Emissionen zu senken – also auch die “major emitters” wie China, Indien oder Indonesien. Von den G77 kommt da starker Gegenwind. Das verspricht zu einem der Knackpunkte der zweiten Woche zu werden.

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    EU auf der COP: Mittelfeld statt Spitze

    EU-Klimazar Frans Timmermans steht auf der COP27 unter Druck. Erste Forderungen nach einem europäischen Klimabotschafter werden laut.

    Die häufigste Frage in dieser Woche wird sein: Wann und wie wird die EU ihr Klimaziel erhöhen? Mit der Trilog-Einigung bei der LULUCF-Verordnung ist Europa auf Kurs, mehr Emissionen einzusparen als im EU-Klimagesetz vorgesehen. Somit könnten die EU-Verhandler auf der COP27 umsetzen, was sie selbst von anderen fordern: Das bei der UN hinterlegte Klimaziel (NDC) anzuheben. Zwar wird die EU keinesfalls in Sharm el-Sheikh schon eine NDC-Erhöhung offiziell ankündigen. Doch in den Verhandlungen mit anderen Staaten dürfte sie diesen Vorschlag auf den Tisch legen.

    Zuständig für ein höheres Klimaziel wären allein die Mitgliedsländer. Kommission und Parlament haben keinen Einfluss darauf. Es gibt drei Szenarien, wie die EU mit dem gewonnenen Spielraum aus der LULUCF-Einigung für ein höheres NDC umgehen kann, erklärte ein hoher EU-Beamter gegenüber Table.Media.

    Szenario 1: Keine NDC-Erhöhung

    Klimagesetz und NDC der EU fordern, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um “mindestens” 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Wort “mindestens” schließt auch eine höhere Reduktion nicht aus.

    Ein paar EU-Staaten bevorzugen dieses Szenario. Es ließe Spielräume, falls die Ziele der einzelnen Gesetzgebungen des Fit-for-55-Pakets nicht erreicht werden. Dies dürfte international jedoch gar nicht gut ankommen. Europa pocht in den Klimaverhandlungen mit anderen Ländern selbst auf NDC-Erhöhungen. Deshalb gilt dieses Szenario auch als unwahrscheinlich.

    Szenario 2: Nur die Erklärung des NDCs wird angepasst

    Das Klimaziel bleibt bei “mindestens 55 Prozent”, aber in den angehängten Erklärungen zum EU-NDC, also in der Anleitung zur Umsetzung, wird ein höheres Ziel beschrieben.

    Dies wäre der Kompromiss. Allerdings wäre die politische Schlagkraft dieses Schrittes bei den internationalen Verhandlungen deutlich geringer als eine faktische NDC-Erhöhung.

    Szenario 3: Die EU erhöht ihr NDC

    Europa würde damit einen entscheidenden Teil des Glasgow Climate Pacts erfüllen und könnte Druck auf andere Nationen aufbauen. Die Erhöhung ist unter den Mitgliedstaaten allerdings umstritten, da sie noch größere Verpflichtungen nach sich ziehen würde.

    Allerdings: Die EU hat in Glasgow zugestimmt, dass alle Länder ihre NDCs überarbeiten. Nimmt Europa seine Rolle als selbsternannter Vorreiter ernst, muss es das eigene Ziel anheben.  

    Still geeinigt: Kein ETS-Geld für Internationales

    Eine andere Einigung dürfte in Sharm el-Sheikh allerdings weniger gut ankommen, sofern sie überhaupt die Runde macht. Kaum bemerkt haben EU-Kommission, Parlament und Rat eine wichtige Forderung des Parlaments zur internationalen Klimafinanzierung unter den Tisch fallen lassen:

    Die Parlamentarier wollten, dass Mitgliedstaaten mindestens zehn Prozent ihrer Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem (ETS) für Klimaschutzmaßnahmen in besonders vom Klimaschutz betroffenen Drittstaaten reservieren. Das reduzierten die Parlamentarier noch auf 7,5 Prozent. Trotzdem hatte der Vorstoß beim Rat keine Chance. Der Trilog zur ETS-Reform fand die schwammige Formulierung: “Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die Notwendigkeit, die internationale Klimafinanzierung in gefährdeten Drittländern weiter aufzustocken.”

    Eine feste Klimafinanzierungsquote für ETS-Einnahmen hätte auf der COP die EU-Position gestärkt. Schließlich bestimmt die aufgeheizte Debatte um das gebrochene Versprechen von jährlich 100 Milliarden US-Dollar die Debatten. Neben den kompromissscheuen Mitgliedstaaten wird insbesondere EU-Klimakommissar Frans Timmermans für diesen geschwächten Deal verantwortlich gemacht.

    Zweite COP-Woche: Wie gut verhandeln die Europäer?

    Sowohl vonseiten der EVP als auch der Grünen wird dem Niederländer angekreidet, nicht ausreichend Druck auf den Rat ausgeübt zu haben. Timmermans mache zu viel auf einmal und sei dabei nicht fokussiert auf die wichtigen Dinge, sagte der ETS-Berichterstatter und umweltpolitische Sprecher der EVP, Peter Liese.

    Neben der europäischen Klimagesetzgebung ist Timmermans auch für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig. Liese fürchtet, dass der Kommissar, der bekannt dafür ist, alles selbst in die Hand zu nehmen, mit seinen Aufgaben überfordert sein könnte. Mit Blick auf die COP27 fordert er deshalb einen EU-Klimabotschafter wie China oder die USA.

    Auch Michael Bloss (Grüne) zeigte sich zuletzt mehrfach enttäuscht vom EU-Klimazar. “Wenn diese Klimakonferenz scheitert, dann sind Sie auch dafür verantwortlich”, sagte Bloss bei einer Rede Ende Oktober im EU-Parlament.

    Timmermans steht in dieser Woche also enorm unter Druck. Zwar verhandelt die Kommission in Sharm el-Sheikh nicht allein – hauptverantwortlich ist theoretisch sogar der Rat. Doch Tschechiens Umweltminister, Marian Jurečka, ist erst seit zwei Wochen und nur vorübergehend im Amt. Er ist eigentlich Arbeitsminister, hatte mutmaßlich daher kaum Zeit, sich in die Themen einzulesen und wird nur einen Tag lang in Sharm el-Sheikh sein. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock könnte daher auf ministerieller Ebene eine prägendere Rolle einnehmen. Ohnehin gehört die Grünen-Politikerin zu den ambitioniertesten Ministerinnen und Ministern Europas beim internationalen Klimaschutz.

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    Termine

    14. November, 9 Uhr
    COP27 Getting to Zero-Deforestation by 2030
    Private, öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure diskutieren über das Ziel, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. Wiederaufforstung und die Verbesserung von Lebensbedingungen für Landwirte stehen im Mittelpunkt. INFOS

    15. November, 10 Uhr
    COP27 Energy Transition and Synthetic Fuels
    In der Diskussion werden Best-Practices gezeigt. Beispiel ist ein Unternehmen aus Chile, das heute das größte E-Lade-Netz in Lateinamerikas zur Verfügung stellt. INFOS

    15. November, 13.15 Uhr
    COP27 Jointly Combating the Climate and Biodiversity Crises: The Critical Role of Nature-Based Solutions
    Auf der COP26 wurden zum ersten Mal die Zusammenhänge zwischen Biodiversitätsverlust und der Klimakrise anerkannt. Auf diesem Event soll diskutiert werden, was das bedeutet und wie man gegen beide Krisen gleichzeitig kämpfen kann. INFOS

    15. November, 13.30 Uhr
    COP27 UrbanShift: Catalyzing Climate Action with Nature-Positive Cities
    Podiumsdiskussion zu aktuellen Anstrengungen von Städten, mit naturbasierten Lösungen auf die Klimakrise zu reagieren. Außerdem wird der UrbanShift Bericht veröffentlicht. INFOS

    15.-16. November, Bali
    Gipfeltreffen G20-Gipfel
    Der jährliche Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer findet in diesem Jahr in Bali statt. INFOS

    16. November, 11.30 Uhr
    COP27 The role of carbon pricing and electricity market reform in advancing power sector decarbonisation
    Bei einer Podiumsdiskussion sprechen Expertinnen und Experten aus China, Südafrika und Chile über die Vorteile und Herausforderung der CO2-Bepreisung und die effiziente Gestaltung der CO2-Preis-Mechanismen. INFOS

    16. November, 19 Uhr
    COP27 Decoupling agriculture from deforestation: win-wins for climate, livelihoods and food security
    Auf der Veranstaltung werden Praktiken für land- und forstwirtschaftliche Ansätze vorgestellt, die direkt zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. INFOS

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    News

    UNO untersucht Übergriffe ägyptischer Polizisten

    Die Vereinten Nationen sind zunehmend irritiert über Übergriffe ägyptischer Sicherheitskräfte auf der COP27. In den vergangenen Tagen sei den Vertretern des Gastlandes mehrfach klargemacht worden, dass ihre Beamten sich gemäß UN-Regeln verhalten müssten und die Besucher der Konferenz nicht ausspionieren dürften, heißt es aus hochrangigen UN-Kreisen. Auch die deutsche Botschaft warnt die deutsche Delegation vor Überwachung und Störungen durch Beamte des Gastgebers Ägypten.

    Die UN sind mit mehreren Dutzend ihrer eigenen Polizei- und Ordnungskräfte vom UN Department for Safety and Security (UN DSS) auf dem COP-Gelände für die Sicherheit verantwortlich. Sie sind die sogenannten “Blauhemden”, erkennbar an ihren Uniformen, die an US-Polizei erinnern. Die UN-Sicherheitskräfte haben das Hausrecht, um einen ungestörten Ablauf der Verhandlungen und die Sicherheit der Teilnehmer zu garantieren. Unangekündigter Protest etwa von Umweltgruppen kann nach UN-Regeln zum Entzug der Akkreditierung führen.

    Wie auch bei anderen Konferenzen stellt die UNO für weitere Aufgaben und die Bewachung von Infrastruktur Kräfte aus dem Gastland ein. Normalerweise sind das Angestellte von privaten Sicherheitsdiensten, wie es etwa bei der COP26 in Glasgow der Fall war. Bei der COP27 allerdings werde vom Gastgeber dafür ausschließlich ägyptisches Polizeipersonal eingesetzt, hieß es jetzt von der UN. Es geht dabei um mehrere hundert Helfer auf dem Gelände.

    Vorwurf: Überwachung und Einschüchterung

    Diese Beamten stehen offiziell für die Zeit der COP27 unter dem Befehl der UN. Doch es häuften sich Vorfälle, bei denen sie Veranstaltungen beobachten, Menschen filmen und einschüchtern, hieß es. Als eine Pressekonferenz mit der Schwester des inhaftierten Regimekritikers al Fattah gestört wurde, hätten zwei Sicherheitsleute ohne Genehmigung die Besucher gefilmt. Eine Prüfung der UN-Sicherheitsbehörde ergab, dass sie zu den ägyptischen Polizeikräften gehörten. Proteste der UNO bei den Gastgebern stießen bisher auf taube Ohren, hieß es.

    Die ägyptischen Kräfte seien “hier, um bei der Sicherung des Geländes zu assistieren und die Sicherheit aller Teilnehmer sicherzustellen”, sagte ein UN-Sprecher. “UN DSS ist darauf hingewiesen worden, dass es Vorwürfe gibt, der Verhaltenscodex sei verletzt worden. Wir untersuchen diese Berichte.”

    Auch die deutsche Delegation sei durch die ihr Eintreten für die Menschenrechte in Ägypten “in den Fokus der ägyptischen Sicherheitsbehörden geraten”, warnt die deutsche Botschaft. In einem internen Schreiben an die Delegation und an Journalisten heißt es, es sei damit zu rechnen, dass die Arbeit von Delegation und Journalisten überwacht und aufgezeichnet werden könne. Es könne zu Störungen durch staatsnahe Aktivisten kommen. Laptops und Telefone sollten vor Ausspähen geschützt werden. bpo

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    Habeck: Konflikt zwischen Freihandel und Klimaschutz gelöst

    Auf diese Nachricht hatte Robert Habeck lange hingearbeitet, aber als sie bekannt wurde, konnte er sich zunächst nicht öffentlich dazu äußern: Denn als die Ampel-Koalition am Freitagabend verkündete, dass sie sich auf einen Kompromiss bei CETA, dem seit Jahren umkämpften Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada geeinigt hatte, saß der Wirtschaftsminister gerade im Regierungsflieger nach Singapur auf dem Weg zur Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft – und dort gab es nicht mal in der VIP-Klasse Internet-Zugang.

    Habecks Einschätzung, dass es sich bei der Einigung um einen “handelspolitischen Meilenstein” handele, erreichte die Öffentlichkeit darum erst am Samstagmorgen. “Wir richten unsere Handelspolitik dabei konsequent am Klimaschutz aus“, begründete der Minister seine Begeisterung. Bei CETA heißt das: Der bisher von Deutschland nicht ratifizierte Investitionsschutz-Teil des Abkommens, der es Unternehmen erlaubt, Staaten zu verklagen, wenn ihre Eigentumsrechte durch neue Gesetze eingeschränkt werden, darf nun doch in Kraft treten. Allerdings wird das Abkommen um eine “Interpretationserklärung” ergänzt, in der festgelegt wird, dass Maßnahmen, die dem Schutz von Klima, Gesundheit oder sozialer Sicherheit dienen, keine Schadenersatzansprüche begründen.

    CETA – Klimaschutz kein Grund für Schadensersatz

    Diesem Vorschlag, den Habeck erstmals im Frühjahr präsentierte, habe sich die EU nun angeschlossen, und auch mit Kanada sei der Plan bereits besprochen, berichtete der Minister. CETA könne darum noch im Dezember ratifiziert werden. Von den Grünen, die die Investitionsschutzregelungen bisher entschieden abgelehnt haben, ist kein Widerstand mehr zu erwarten. Die gleichen Bedingungen sollen auch in die Freihandelsabkommen der EU mit Chile und Mexiko aufgenommen werden, erklärte Habeck.

    Bei freihandelskritischen Organisationen dürfte die Einigung schlecht ankommen, denn sie bezweifeln, dass die Interpretationserklärung Klagen gegen Klimaschutzauflagen tatsächlich verhindert. Auch ein Gutachten, das die Rechtswissenschaftlerinnen Alessandra Arcuri und Federica Violi von der Universität Rotterdam im Auftrag der NGO PowerShift angefertigt hatten, kam zum Schluss, dass die Erklärung zu unbestimmt sei, um das Risiko klimabezogener Klagen unter CETA vollständig auszuschließen.

    Für große Freude sorgte bei Umweltverbänden dagegen eine weitere Entscheidung, die gleichzeitig mit der CETA-Einigung verkündet wurde: Deutschland steigt aus dem Energiecharta-Vertrag aus (Climate.Table berichtete), der ebenfalls Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen erlaubt hat. Diese Entscheidung sei “folgerichtig”, weil es nicht gelungen sei, diesen Vertrag so zu reformieren, dass er stärker auf Klimaschutz ausgerichtet werde. Zuvor hatten bereits mehrere andere Länder angekündigt, den den Energiecharta-Vertrag zu kündigen.

    Umweltinstitut begrüßt Ausstieg aus Energiecharta

    Beim Umweltinstitut München ist die Begeisterung dennoch groß. “Unsere jahrelange Arbeit hat sich gelohnt”, sagte Referent Ludwig Essig. “Der Anfang vom Ende für den Investitionsschutz für fossile Energien ist gemacht.” Als nächstes müsse Deutschland jetzt darauf drängen, dass auch die EU als Ganzes aus der Charta aussteigt.

    Auch unabhängig von den Handelsabkommen warb Habeck bei der Wirtschaftskonferenz in Singapur bei praktisch jeder Gelegenheit für mehr Anstrengungen beim Klimaschutz. “Klimawandel ist keine abstrakte Bedrohung mehr”, sagte er etwa bei einer Diskussion – und verwies auf die drastische Schilderung der jüngsten Flutkatastrophe durch seinen pakistanischen Amtskollegen Syed Naveed Qamar, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm. “Wenn wir daran scheitern, das Tempo der globalen Erwärmung zu verringern”, mahnte der Wirtschaftsminister vor über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 20 Ländern, “wird unsere ganze politische Generation gescheitert sein.” mkr

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    Presseschau

    Analyse: Mit diesen Plänen sollen Billionen für die Klimafinanzierung armer Länder gesammelt werden New York Times
    Analyse: Welchen Einfluss die Midterm Elections in den USA auf Klimapolitik haben Scientific American
    Hintergrund: Emissionen und der Krieg in der Ukraine Bloomberg
    Dokumentarfilm: Wer ist dafür verantwortlich, den Planeten zu retten? The Guardian
    Analyse: Welche Länder haben die meisten Delegierten zur COP27 geschickt? CarbonBrief
    Kommentar: Ich konnte mich von meinen Verwandten und Opfern der Klimakrise nie verabschieden Climate Home News
    Analyse: Wie kann grüner Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden? Handelsblatt
    Reportage: Wie viele Treibhausgase die Welt wirklich ausstößt Spiegel
    Film: Kann sich Indien an extreme Hitze anpassen? Financial Times

    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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