um eine klimafreundliche Zukunft zu schaffen, braucht es vor allem eines: Geld. Nicht umsonst ist es ein – bisher vernachlässigtes – Ziel des Pariser Klimaabkommens, die weltweiten Finanzströme so umzulenken, dass sie den klimafreundlichen Wandel der Weltwirtschaft in Zukunft vorantreiben.
Weltbank und Internationaler Währungsfonds müssen mitziehen, damit das klappen kann. Derzeit beraten die beiden Finanzinstitutionen in Marrakesch über ihre grüne Reform. Auf einer Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch sprach Weltbankchef Ajay Banga darüber, wie die Folgen des Klimawandels bisherige Entwicklungsfortschritte etwa in Afrika zunichtemachen. Angesichts multipler Krisen, die einander verstärken, will die Bank ihren Auftrag in Marrakesch neu definieren. Die neue Devise, die Banga ausgab: “die Armut bekämpfen, aber auf einem lebenswerten Planeten”.
Caspar Dohmen hat die Details zu den Reformplänen der Bank – und beschreibt für Sie, welche Fragen bislang unbeantwortet bleiben. Urmi Goswami berichtet aus Neu-Delhi, warum es Zweifel an der Reformfähigkeit von Bank und IWF gibt: In Pakistan, einem Land, das seit Jahrzehnten mit beiden Finanzinstitutionen zusammenarbeitet, hätten bisherige Projekte die Schäden des Klimawandels sogar noch verstärkt, wie ein NGO-Report zeigt.
Auch bei den anstehenden Wahlen in Polen wird es – zumindest am Rande – um die Chance auf eine klimafreundlichere Zukunft gehen. Lisa Kuner war im Land unterwegs und hat für Sie aufgeschrieben, was sich nach der Abstimmung ändern könnte. Was sich nach den Landtagswahlen in Bayern ändern muss, damit die Wirtschaft dort weiter floriert, damit beschäftigt sich unser aktueller Standpunkt von Bernd Weber und Sabine Nallinger.
Die allgemeine Nachrichtenlage gibt derzeit nicht viel Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir hoffen, Sie finden in diesem Briefing wenigstens ein paar kleine Lichtblicke.
Bleiben Sie uns gewogen.
Polen gehört zu den Ländern in Europa, deren Stromerzeugung die meisten Emissionen verursacht. Im Jahr 2021 wurden dort mehr als 750 Kilogramm CO₂ pro erzeugter Megawattstunde verursacht. Der EU-Schnitt liegt bei unter 300 Kilogramm. Das zeigen Daten des polnischen Thinktanks Forum Energii. Am Sonntag wählt das Land ein neues Parlament. Sollten sich die Machtverhältnisse verändern, könnte sich auch Polens Haltung zur Energiewende ändern. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn die Regierungspartei PiS steht in Umfragen deutlich schlechter da als bei den letzten Wahlen und liegt nur noch knapp vor der Oppositionspartei Bürgerkoalition.
Seit 2015 regiert in Polen die sogenannte Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS). Die PiS hat in dieser Zeit nicht nur den Rechtsstaat ausgehöhlt und gegen Geflüchtete gehetzt, sondern auch “die Energiewende behindert”, sagt Michał Hetmański, CEO und Gründer des polnischen Thinktanks Instrat, der zu grüner und digitaler Ökonomie arbeitet.
Der Ausbau der Windkraft wurde jahrelang durch strenge Regulierung fast unmöglich gemacht. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte 10H-Regelung. Sie wurde 2016 eingeführt. Laut der Regulierung musste zwischen neuen Windkraftanlagen und Häusern ein Abstand eingehalten werden, der zehnmal der Höhe der Windturbine entspricht. In der Praxis sind das bei modernen Anlagen rund 2 Kilometer. Durch die 10H-Regelung kamen 98 Prozent des polnischen Territoriums nicht für den Bau neuer Onshore-Windanlagen infrage. Anfang 2023 wurde die Regelung gelockert, jetzt muss der Abstand nur noch 700 Meter betragen.
Während Erneuerbare lange Zeit ausgebremst wurden, hält die PiS weiterhin an der Kohleproduktion fest. Sie garantiere die Energiesouveränität Polens. Erst 2049 soll die letzte Kohlemine schließen. Im Jahr 2050 möchte das Land dann sein Netto-Null-Ziel erreichen. Bisher kommen rund 85 Prozent des Energiekonsums aus fossilen Energieträgern, Kohle macht 45 Prozent aus. Von der wenigen Energie aus Erneuerbaren kam 2021 noch der größte Teil aus Holz. Wind- und Solarenergie spielen nur eine kleine Rolle.
Dennoch gibt es aus klimapolitischer Sicht kleine Hoffnungsschimmer: Zuletzt nahm die Zahl der Installationen von Mikrosolaranlagen auf Privathäusern sehr stark zu. Dazu trug das staatliche Programm “Mein Strom” (Mój Prąd) bei, das die Installation von Solarpanels im Gesamtwert von 435 Millionen Euro unterstützte. Völlig ohne staatliche Unterstützung wurden allein 2022 mehr als 200.000 Wärmepumpen verkauft. Die Bosch-Gruppe kündigte den Bau eines großen Werks unweit von Warschau an: Dort sollen Wärmepumpen hergestellt werden, für den polnischen Markt und für andere europäische Länder.
Außerdem arbeitet die polnische Lokalpolitik an manchen Stellen an einer Beschleunigung der Energiewende. Einige Städte gehören beispielsweise der Powering Past Coal Alliance an, die sich für einen Kohleausstieg bis 2030 einsetzt. Warschau gehört zum C40-Netzwerk, das bis 2030 die Emissionen halbieren möchte. In diesem Netz haben sich knapp 100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus aller Welt für konsequenten Klimaschutz zusammengeschlossen.
“Die Energiewende findet statt”, fasst Aleksandra Gawlikowska-Fyk ihre Analyse zusammen. Sie ist Programmdirektorin für den Stromsektor beim Thinktank Forum Energii in Warschau. Doch Hetmański von Instrat bemängelt: Vieles an der Energiewende “ist Zufall und keine strategische Planung”. Preisdruck und der EU-Emissionshandel dürften auch eine Rolle spielen: Da die Menge der CO₂-Emissionen in Polen höher ist als die zugeteilte Menge der Verschmutzungsrechte, sind Unternehmen und Institutionen gezwungen, Zertifikate zuzukaufen. Im Jahr 2022 kosteten sie mehr als 7 Milliarden Euro. Dies erklärt auch, warum sich Polen gegen die Abschaffung der kostenlosen Emissionszertifikate für die energieintensiven Industrien gewehrt hat, allerdings ohne Erfolg.
Mehr strategische Planung gibt es bei Großprojekten. Polen plant den Bau von drei Atomkraftwerken. Am 27. September 2023 hat die Regierung die ersten Verträge dafür geschlossen. Die Unternehmen Westinghouse und Bechtel sollen den ersten Reaktor in Lubiatowo-Kopalino in der Region Pommern im Norden des Landes bauen. Er soll 2033 ans Netz gehen. “Ich sehe Nuklearenergie als gute und kosteneffiziente Energiequelle für die Zukunft”, sagte dazu Adam Guibourge-Czetwertyński, Staatssekretär im Ministerium für Klima und Umwelt. Nuklearenergie werde laut dem Politiker dafür sorgen, dass zu jeder Zeit genug Strom zur Verfügung stehe. Die Entscheidung für die Reaktoren zeige, dass die Angst der Bevölkerung vor hohen Energiekosten oder einem Blackout ernst genommen werde.
Vor der Wahl ist das Land tief gespalten. Verschiedene Oppositionsparteien haben sich zu einem Oppositionsbündnis namens Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) zusammengeschlossen. In aktuellen Umfragen liegt die KO mit 30 Prozent knapp hinter der PiS (34 Prozent). Da aber beide Parteien zur Bildung einer Regierung Koalitionspartner benötigen, ist für die Frage nach der nächsten Regierungsbildung nicht unbedingt entscheidend, wer mehr Prozentpunkte holt. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation sowie gestiegene Lebenshaltungskosten sind zentrale Themen des Wahlkampfs. Klimaschutz spielt keine große Rolle.
Trotzdem könnten die Wahlen etwas ändern: Sollte die Bürgerkoalition gewinnen, möchte sie die Energiewende im Land stärker vorantreiben. “Erneuerbare Energiequellen müssen die Grundlage des Systems werden”, sagte dazu beispielsweise Grzegorz Onichimowski von der KO gegenüber Reuters. Ihr Ziel sei es, dass bis 2030 zwischen 65 und 70 Prozent der polnischen Energieproduktion von Erneuerbaren gedeckt werden.
Ein Thema, mit dem die Wahlen außerdem zur Energiewende beitragen könnten, sind die Aufbauhilfen der EU. Rund 36 Milliarden Euro wurden von der EU geblockt, weil Polens Justizsystem nach seiner Reform nicht mehr unabhängig ist. Veränderte Mehrheiten könnten dazu beitragen, dass diese Gelder endlich fließen und so auch dem Ausbau von Erneuerbaren zugutekommen.
Über den Bau der Atomkraftwerke herrschte in Polens Politik bisher eher Einigkeit, die meisten Parteien stehen dahinter. Die Bürgerkoalition äußerte allerdings in der vergangenen Woche Bedenken und gab an, unter Umständen von den Verträgen zurücktreten zu wollen.
Mitarbeit: Claire Stam. Dieser Text entstand auf einer Researchtour des Netzwerkes Clean Energy Wire.
Auf der Jahrestagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die derzeit in Marrakesch stattfindet, geht es um eine große Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass die beiden großen internationalen Finanzinstitutionen die Entwicklungsländer künftig besser bei der Bewältigung der Klimakrise unterstützen?
Die Weltbank wolle ihre Vision neu definieren, sagte ihr Präsident Ajay Banga dazu am Mittwochmorgen auf einer Pressekonferenz. Künftig gehe es darum, “die Armut auszumerzen, aber auf einem lebenswerten Planeten”.
Doch drei zivilgesellschaftliche Organisationen aus Pakistan und den Niederlanden kritisieren in einem neuen Bericht: Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen seien die Weltbank und der IWF nicht in der Lage, auf die Klimakrise zu reagieren. Sie sehen “ein gemeinsames strukturelles Versagen” der beiden Finanzinstitutionen. Dass die “begrenzten und schwachen” Reformabsichten daran etwas ändern, glauben sie nicht. Vielmehr warnen die NGOs vor der “realen und ironischen” Gefahr, dass Weltbank und IWF durch ihre Arbeit die Klimakrise in den Ländern des Globalen Südens noch vertiefen könnten, statt sie wirksam zu bekämpfen.
Die drei Organisationen sind die Alliance for Climate Justice and Clean Energy, ein in Pakistan ansässiges zivilgesellschaftliches Netzwerk, das Alternative Law Collective, das zu dem Netzwerk gehört, und Recourse, eine in Amsterdam ansässige Nichtregierungsorganisation, die sich auf Finanzen konzentriert. In ihrem Bericht “Wie gestalten der IWF und die Weltbank die Klimapolitik? Lehren aus Pakistan” zeigen sie: Die Unterstützung Pakistans durch die Weltbank und den IWF hat die Klimaziele des Landes untergraben. Das geschah schon lange vor den verheerenden Überschwemmungen von 2022.
Die eingehende Analyse des Landes sei eine “geeignete Fallstudie”, schreiben sie, denn:
Schon zu Beginn der Zusammenarbeit konzentrierte sich die Weltbank darauf, staatlich geführte Großprojekte zu unterstützen, beispielsweise im Indusbecken. Das Indusbecken ist die dichtbesiedelte Region rund um Pakistans wichtigste Wasserader, den Indus. Ein Fokus der Großprojekte lag dabei auf den Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft und der Infrastruktur zur Wasser- und Stromversorgung.
Der aktuelle Bericht kommt zu dem Schluss, dass diese Projekte zu Pakistans aktuellen Klimaproblemen beigetragen haben. Zain Moulvi, Forschungsdirektor des Alternative Law Collective, sagt dazu: “Wie wir wissen, haben die Überschwemmungen des vergangenen Jahres Schäden in Höhe von etwa 40 Milliarden US-Dollar verursacht, was zehn Prozent des pakistanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.” Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass die Regenfälle ohne die vom Menschen verursachte globale Erwärmung um 75 Prozent weniger intensiv ausgefallen wären. “Aber was weniger bekannt ist und worüber weniger gesprochen wird – und das ist wichtig – ist die Rolle von verschärfenden Faktoren wie der Entwicklungsinfrastruktur im Indusbecken und sozioökonomischen Faktoren.”
Pakistans Entwicklungsinfrastruktur im Indusbecken sei “vollständig mit der Weltbank verbunden”, so Moulvi. “Sie sind diejenigen, die erfolgreich die große Staudamminfrastruktur, das Netz von Dämmen, Staustufen und Kanälen vorschlagen.”
1968 hätten die Institutionen Pakistan große Investitionen in Wasserkraft und auch in Gas empfohlen, sagt Moulvi. “Das hat nicht so gut geklappt.” Zwanzig Jahre danach hätten Weltbank und IWF dann ein Darlehensprogramm für den privaten Sektor vorgeschlagen, um den Energiesektor weiterzuentwickeln. “Das Ziel war die Privatisierung, die Beteiligung des privaten Sektors an den Energieinvestitionen”, sagt Moulvi. “Und das gipfelte in zwei der wahrscheinlich katastrophalsten Politiken, die Pakistan im Energiesektor je hatte.”
Laut Bericht hat sich das Emissionsprofil des pakistanischen Energiesektors durch das Engagement der Finanzinstitutionen stark verändert. 1994 entfielen demnach 60 Prozent der Energieerzeugungskapazität auf Wasserkraft und 40 Prozent auf Wärmekraftwerke, die mit fossilen Energiequellen betrieben werden, sowie nukleare Energie. Seither habe sich das Verhältnis umgekehrt. Heute machten mit importierten fossilen Brennstoffen betriebene Wärmekraftwerke 70 Prozent der pakistanischen Kapazität aus. Mehr als die Hälfte der Kapazität dieser Kraftwerke bleibe ungenutzt, doch bezahlt werden müsse sie trotzdem. Das trage stark zum “Verschuldungskreislauf im Energiesektor” bei.
Moulvi sieht ein “gemeinsames strukturelles Versagen” der beiden Finanzinstitutionen. Er kritisiert die “analytische und entwicklungspolitische Logik”, die derzeit ihre klimabezogenen Operationen antreibe. Er beschreibt eine Art Scheuklappendenken, das großen Schaden anrichte:
“Diese Institutionen verfolgen im Allgemeinen einen ahistorischen und isolierten Ansatz, der die interaktiven und dynamischen Verflechtungen zwischen ihrer fiskalischen und makroökonomischen Politik und den breiteren Alltagsrealitäten der wirtschaftlichen Ausbeutung, der Ungleichheit der Geschlechter und des Klimawandels nicht berücksichtigt – weder im kurz- noch im längerfristigen Zeitrahmen.”
Dabei spielen jedoch auch die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender pakistanischer Regierungen eine Rolle. Sie wurden vor dem Hintergrund wachsender Klimarisiken und -auswirkungen, makroökonomischer und sozialer Instabilität getroffen. Daraus erwuchsen ernsthafte politische Dilemmata. Der Bericht weist auch darauf hin.
Der Rückgriff auf Kredite der Weltbankgruppe und des IWF sei “zu einer gängigen Praxis für pakistanische Regierungen geworden. Sie versuchen damit, kurzfristige Krisen wie die Schuldenproblematik zu bewältigen und wichtige Importe wie Treibstoffe und Industrietechnologie zu bezahlen”, schreiben die Autoren. Um die Kredite zu erhalten, “mussten diese Regierungen jedoch einer immer anspruchsvolleren Reihe von politischen Reformen zustimmen, die marktbasierte Lösungen fördern”.
In ihrem Bericht fordern die drei NGOs, die Weltbank und den IWF zu mehr Rechenschaftspflicht und Demokratie auf. Um das zu erreichen, sollen sie ihr Instrumentarium überarbeiten. Notwendig seien Folgenabschätzungen, Schuldentragfähigkeitsanalysen, angemessene Entschädigungen für die Klimaschäden, die durch Weltbank- und IWF-Projekte entstanden seien, und sofortige Änderungen der laufenden Darlehen. Es wird empfohlen, jährlich Sonderziehungsrechte auszugeben. Das solle sicherstellen, dass Liquiditätsrückstellungen nicht an bestehende Quoten gebunden sind, sondern sich am tatsächlichen Bedarf orientieren können.
Zu den weiteren Empfehlungen gehören die Förderung internationaler Steuer- und Handelsreformen. Sie sollen die Möglichkeiten der Länder erweitern, einen gerechten Wandel des Energiesystems herbeizuführen. Außerdem sollen Gemeinden und lokale Regierungen Zugang zum Wissen und zur Expertise der Weltbank erhalten, um eine demokratische, selbstbestimmte makroökonomische Politik zu ermöglichen.
Federico Sibaja, IWF-Kampagnenleiter bei Recourse, hält die bisherigen Reformbemühungen für nicht ausreichend. “Die begrenzte und schwache ‘Reform’-Agenda der internationalen Finanzinstitutionen in Verbindung mit ihrer wachsenden Interventionsmacht unter dem Deckmantel des Klimaschutzes gibt Anlass zu ernsthafter Besorgnis für die Länder des Globalen Südens, die um einen effektiven klimaverträglichen Entwicklungspfad kämpfen”, sagt er. Denn an dem “alten entwicklungspolitischen Denken, das den Aktivitäten von Weltbank und IWF zugrunde liegt, (oder an der globalen Finanzarchitektur insgesamt) hat sich wenig geändert”.
Die internationale Gemeinschaft müsse “kollektiv einen neuen Kurs einschlagen, um die Notlage der Armut und die wachsende Zahl globaler Herausforderungen” zu bewältigen, heißt es in einem Strategiepapier der Weltbank, das sie auf ihrer aktuellen Tagung im Marrakesch diskutiert. Regierungsteilnehmer sprechen angesichts dieser Weichenstellung von einer der wichtigsten Weltbankkonferenzen seit langer Zeit.
Zu den traditionellen Kernaufgaben der Weltbank – Bekämpfung von Armut und Reduzierung von Ungleichheit – soll nun auch der Schutz globaler öffentlicher Güter als drittes Ziel kommen. Die Weltbank will sich auf acht Herausforderungen konzentrieren:
Um die Ziele zu erreichen, “müssen wir die Mittel für die Entwicklungsfinanzierung erheblich aufstocken”, heißt es in dem Strategiepapier mit Blick auf den Finanzierungsbedarf zur Bewältigung der Transformation im Globalen Süden.
Ärmere Länder fürchten, dass es weniger zu einer Aufstockung als vielmehr zu einer Verschiebung der Mittel innerhalb der Weltbank kommen könnte. Damit stünden weniger Mittel für klassische Entwicklungsaufgaben bereit. Manche Fachleute teilen diese Befürchtung. Anders sieht es das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): “Die Reform wird nicht zulasten der ärmsten Länder oder zulasten von Armutsbekämpfung gehen“, sagte ein Sprecher Table.Media. Entwicklungsministerin Svenja Schulze setze sich für einen Ansatz ein, den man mit “more for more” beschreiben könne: Entwicklungsländer könnten über ihre eigentliche Zuteilung hinaus mehr oder günstigere Mittel von der Weltbank bekommen, “wenn sie für Investitionen eingesetzt werden, die nicht nur das entsprechende Land allein begünstigen, sondern auch Vorteile für die gesamte Menschheit und den Planeten haben.”
In jedem Fall benötigen Regierungen im Globalen Süden erheblich mehr Kapital für den Transformationsprozess. Deutlich wird dies am Beispiel Afrikas. Es erhält bislang nur drei Prozent der weltweiten Klimafinanzierung, wovon nur 14 Prozent aus dem Privatsektor kommen. Dabei ist der Kontinent nur für 3,8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, während 90 Prozent auf den globalen Norden entfallen.
Die Weltbankgruppe ist mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar der weltweit größte Finanzier nachhaltiger Entwicklung. Die USA und Deutschland halten zusammen knapp 20 Prozent der Anteile.
Einige Länder haben im Vorfeld der Jahrestagung neue Mittel für die Weltbank angekündigt. Deutschland wird in Höhe von 305 Millionen Euro Anleihen der Weltbank kaufen. Die Bank kann dies als sogenanntes Hybridkapital nutzen. Bei dieser Anleiheklasse kann das Ausleihvolumen bis zum achtfachen Faktor des Kapitals erhöht werden – die 305 Millionen Euro könnten also auf mehr als 2,5 Milliarden Euro Kreditsumme für Investitionen über einen Zeitraum von zehn Jahren gehebelt werden.
Das erstmals eingesetzte Instrument ist auch eine Möglichkeit, um ohne Zuführung von frischem Eigenkapital der Weltbank zu einem größeren Kreditvolumen zu verhelfen. Zwar gäbe es Staaten wie China, die bereit wären, das Kapital der Weltbank aufzustocken, wenn sie dafür im Gegenzug mehr Anteile erhalten. Aber dem dürften die USA momentan kaum zustimmen.
Kritische Stimme gibt es im Globalen Süden auch zur immer stärkeren Einbeziehung privater Finanzakteure in die Finanzierungsprojekte der Weltbank. Sie plädieren für mehr Zuschüsse aus dem Globalen Norden. Aber die Weltbank verfolgt schon jetzt einen Kaskadenansatz, nach dem jede Aufgabe, wenn möglich erst mit privaten Mitteln finanziert und öffentliche Mittel nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollen.
Der Premierminister der vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten Cook-Inseln im Südpazifik, Mark Brown, warnt davor, bei der Klimafinanzierung zu stark auf den Privatsektor zu setzen. Dieser erwarte stets eine Rendite, was gerade ärmere Länder, die Kredite in Anspruch nähmen, überfordere. Hier seien reiche Länder gefragt. “Länder wie unseres sollten kein Geld von Ländern borgen, die die Treibhausgase verursachen, um uns gegen die Wirkungen dieser Emissionen zu schützen.”
Schon jetzt stecken viele Länder des Globalen Südens in einer veritablen Schuldenkrise. “Schuldenerlasse sind aus unserer Sicht unabdingbar, um auch in stark verschuldeten Staaten die Weichen Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu stellen”, sagt Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung, einem Beratungsorgan der Bundesregierung.
Anders als Nationalstaaten kann die Weltbank ihren Schuldnern momentan keine Schulden erlassen. “Es fehlt ein Mechanismus, dabei wäre dies sinnvoll, um hoch verschuldeten Ländern Luft zu verschaffen”, sagt Bodo Ellmers, Direktor des Programmbereichs für nachhaltige Entwicklung bei der NGO Global Policy Forum. Anders sieht dies das BMZ: “Eine Beteiligung an Abschreibungen wäre auch mit negativen Konsequenzen für die ärmsten Länder verbunden, denn wenn die Bank ihren bisherigen Status als präferierter Gläubiger aufgibt, wird ihre Bonität (das Rating) schlechter und damit die Konditionen für die Kundenländer teurer.” Änderungen sind hier bei der Jahrestagung nicht zu erwarten, ebenso wenig wie ein Ausstieg der Weltbank aus der Finanzierung fossiler Projekte, was Entwicklungshilfe- und Umweltorganisationen fordern.
Die Finanzarchitektur von IWF und Weltbank bleibt weitgehend unangetastet. “Dabei bestreitet niemand mehr die Notwendigkeit einer Reform, aber über den Weg gibt es unterschiedliche Vorstellungen”, sagt Ellmers.
UN-Generalsekretär Guterres hatte kürzlich die Finanzarchitektur als “hoffnungslos veraltet” bezeichnet – sie zementiere Unterentwicklung, statt zu ihrer Überwindung beizutragen. Deutlich machte er dies anhand der Sonderziehungsrechte, mit denen der Internationale Währungsfonds (IWF) in Krisensituationen Liquidität für Staaten schaffen kann, was er das letzte Mal während der Pandemie tat. Aber weil er die Mittel – gemäß seiner Statuten – nur entsprechend der Beteiligungsquoten der Staaten vergeben kann, stieg die Liquidität reicher Länder deutlich an, während die ärmsten Länder kaum davon profitierten.
Die Schwesterinstitutionen IWF und Weltbank wurden seit ihrer Gründung vor mehr 75 Jahren, ausgestaltet nach den Vorstellungen der USA und Großbritanniens, nicht nennenswert strukturell reformiert. In beiden Organisationen hat der Westen daher nach wie vor bestimmenden Einfluss. Die USA verfügen sogar de facto über ein Vetorecht. Daran wird sich auch in Marrakesch wohl nichts Wesentliches ändern.
“Mit dem Festhalten an dieser Governance-Struktur könnte die Legitimität beider Institutionen weiter Schaden nehmen“, sagt Ellmers. Eine Weltbank, die das Wohl der Menschen und des Planeten in den Mittelpunkt stelle, “braucht zwingend demokratischere Prozesse”, sagt Ute Straub, bei Brot für die Welt für Entwicklungsfinanzierung zuständig.
Auch in China sind die Menschen wegen des Klimawandels besorgt. Sich auf die Straße zu kleben oder eine Sehenswürdigkeit mit Farbe zu besprühen ist in dem autoritär regierten Staat jedoch keine Option, um seinen Sorgen ein Ventil zu geben. Dabei spüren die Chinesen die Wetterveränderungen und ihre Folgen schon jetzt auf katastrophale Weise. Im Januar 2023 erklärte die chinesische Meteorologiebehörde, dass das Wetter in China im Jahr 2022 eindeutig anomal war und zu Extremen tendierte. Im Sommer erreichten die Temperaturen ein Rekordhoch, und im Herbst kam es zu unerwarteten Kälteeinbrüchen.
Aber eine öffentliche Debatte gibt es dazu in den Staatsmedien und interessanterweise auch in den Sozialmedien kaum. Die Forscher Chuxuan Liu und Jeremy Lee Wallace schreiben in ihrer Studie “China’s missing climate change debate”, dass auf Weibo, Chinas führender Social-Media-Plattform, nur 0,12 Prozent der “Trending Topics” zwischen Juni 2017 und Februar 2021 mit dem Klimawandel in Verbindung standen. Dabei ergab eine von der Europäischen Investitionsbank Ende 2019 durchgeführte Umfrage, dass 73 Prozent der chinesischen Bürger den Klimawandel als große Bedrohung ansehen. Zum Vergleich nur 47 Prozent der Menschen in Europa und 39 Prozent in den USA sheen das so. Dass es das Thema in der öffentlichen Diskussion in China so schwer hat, hat mehrere Gründe.
Umweltorganisationen und NGOs werden strenger überwacht. In den letzten Jahren haben die Behörden zahllose Umweltschützer und Whistleblower verwarnt und verhaftet und Bürgerinitiativen ausgehebelt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 verpflichtet zudem alle ausländischen NGOs, mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten. Das hat laut vielen Beteiligten zu einer verstärkten Selbstzensur geführt.
Laut einem Bericht von Bloomberg werden Journalisten der staatlichen Medien dazu angehalten, nicht über Themen wie die Bedrohung der reichen Küstenstädte durch den steigenden Meeresspiegel zu berichten. Investigative Artikel über Umweltschäden bleiben auf Vergehen in einzelnen Provinzen oder Regionen begrenzt. Phänomene wie die Fridays-For-Future-Demos im Westen wurden in Artikeln der Staatsmedien als emotional, radikal und chaotisch verunglimpft. Greta Thunberg ist auch in den sozialen Medien eher Ziel des Spotts und gilt vielen als eine typische Verkörperung des westlichen “Baizuo 白左”, ein abwertender Begriff für die woke Linke, die anderen ihre Regeln aufzwingt. Auch kursieren in Chinas Netzwelt viele Verschwörungstheorien, die den Klimawandel als Fakt anzweifeln. Die junge Aktivistin Howey Ou, die kurzzeitig als “chinesische Greta” galt, protestiert mittlerweile lieber im Ausland gegen den Klimawandel.
Die Bildung an Schulen und die Berichterstattung in den Medien richtet den Fokus vor allem darauf, wie das Individuum einen kleineren ökologischen Fußabdruck erzielen kann. Beispiele dafür sind Abfalltrennung, Recycling und umweltbewussten Konsum. Die Rolle Chinas als größter CO₂-Emittent bei der globalen Erwärmung wird dagegen heruntergespielt. Der Tenor lautet: China bemühe sich nicht nur, mit grüner Technologie seinen Teil zum Klimaschutz beizutragen, es agiere mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden, auch als Vorbild für andere Länder. China habe jedoch gleichzeitig das Recht, sich in seinem eigenen Tempo zu entwickeln. Die Probleme, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sieht, seien schließlich zuallererst von den großen Industrienationen des Westens verursacht worden.
Umweltschützer sehen in der schwachen Einbindung der Zivilbevölkerung eine verpasste Chance. Auch in der jüngeren Vergangenheit hat kollektiver Druck aus dem Volk durchaus Macht zur Veränderung entfaltet. Vor etwa einem Jahrzehnt veranlasste etwa eine von der Bevölkerung getragene Kampagne gegen die Luftverschmutzung die chinesische Führung dazu, sich ernsthaft dem Smog-Problem anzunehmen, insbesondere in den großen Städten. Ein wichtiger Faktor war dabei auch der selbst finanzierte Dokumentarfilm “Under The Dome” der chinesischen Journalistin Chai Jing. Er verbreitete sich im Netz so schnell, dass die Zensur zunächst nicht hinterherkam.
Doch letztendlich ist die Furcht der Regierung vor einer destabilisierenden Wirkung eines offenen Aktivismus zu groß. Wohin also mit der Angst der Bevölkerung? Manche sind der Meinung, dass sie in der Empörung gegenüber ausländischen Umweltskandalen und als tendenziell diffuse Eco-Anxiety ein Ventil findet. Als Japan im Sommer Abwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima ins Meer verklappte, kam es in China zu Hamsterkäufen, vor allem von Salz. Und das, obwohl eine wissenschaftliche Grundlage für die Panik nicht gegeben war.
Auch im nach wie vor boomenden Science-Fiction-Genre in China, in dem der Klimawandel bislang kaum vorkam, zeichnet sich eine Veränderung ab. Autoren wie Chen Qiufan und zuletzt Gu Shi flechten Szenarien von Umweltkatastrophen und steigenden Meeresspiegeln in ihre literarischen Werke ein. Bei beiden spielt dabei Künstliche Intelligenz als Gegenmittel eine wichtige Rolle. Das spiegelt sich auch in den Zielen der Regierung wider, die der KI ähnlich optimistisch begegnet wie die USA einst den Errungenschaften der Atomenergie. So will Peking die Technologie in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens einsetzen, um Milliarden Tonnen an Kohlenstoffemissionen einzusparen. Auch so bleibt eine vage Hoffnung gewahrt, die die Chinesen davon abhält, geschlossen auf die Straße zu gehen.
12. Oktober, 9 Uhr, Berlin
Tagung International Pathways to Net-Zero
Der Weltenergierat – Deutschland lädt zu seinem “Energietag 2023” ein. Die Konferenz findet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) in Berlin unter dem Motto “International Pathways to Net-Zero” statt. Infos
13. Oktober bis 3. März, Frankfurt
Ausstelllung Bending the Curve – Wissen, Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität
Die Herbstausstellung 2023 im Frankfurter Kunstverein beschäftigt sich mit dem alarmierenden Verlust von Biodiversität. Die Ausstellung zeigt vielfältige Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, die zur Erholung der Ökosysteme beitragen. Infos
13. Oktober, 10.30 Uhr, Berlin
Diskussion Transformation made in Europe – Wie wird die europäische Industrie zukunftsfähig, nachhaltig und klimaneutral?
Der Vorschlag des “Net Zero Industry Act” der Europäischen Kommission im März ist nicht nur eine Reaktion der Europäischen Union auf den US-amerikanischen “Inflation Reduction Act”. Sondern er soll auch nachhaltige Investitionen in Europa fördern. Bei der Podiumsdiskussion diskutieren die Europäische Kommission in Deutschland und der Naturschutzring, wie eine sozial-ökologische Wende gelingen kann. Infos
15. Oktober, Polen
Wahlen Parlamentswahlen
Am Sonntag finden in Polen Parlamentswahlen statt. Die größte Oppositionspartei liegt in Umfragen nur knapp hinter der regierenden PiS-Partei.
16. Oktober, 11 Uhr, Online
Webinar Ensuring conflict sensitivity in the Loss and Damage Fund
Die Diskussion ist Teil einer Webinar-Serie der Berlin Climate and Security Conference. Es wird diskutiert, wie der Loss and Damage Fund gegen Konflikte abgesichert werden kann. Infos
16. bis 18. Oktober, Potsdam
Konferenz Cross-border climate impacts and systemic risks in Europe and beyond
Die Konferenz wird vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ausgerichtet. Sie bringt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie grenzübergreifend besser auf die Herausforderungen durch die Klimakrise reagiert werden kann. Infos
16. bis 18. Oktober, Rom
Konferenz World Conference on Climate Change and Sustainability
In diesem Jahr steht die “World Conference on Climate Change and Sustainability” unter dem Motto “Advancing Nature and Positive Solutions for Net Zero and Sustainable Future”. Sie bringt verschiedene Akteure zusammen, die über eine resilientere Zukunft diskutieren werden. Infos
17. Oktober, 9 Uhr, Online
Webinar Sustainable Finance for Clean Energy in ASEAN
Dieses Webinar wird von der Internationalen Energieagentur (IEA) organisiert. Es geht der Frage nach, wie die Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) Finanzierungen zum Erreichen von Netto-Null-Zielen erhalten können. Infos
18. Oktober, 14 Uhr, Online
Webinar Scaling Hydrogen Shipping While Reducing Emissions: What Are The Solutions?
In dem Webinar der Florence School of Regulation werden Lösungsansätze für den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Schifffahrt diskutiert. Es geht unter anderem darum, wie Wasserstoff sicher und effizient transportiert werden kann. Infos
Die EU-Institutionen konnten sich am Dienstag nicht auf einen Kompromiss für eine Methanregulierung einigen. Dabei könnte eine weitreichende Regulierung, die auch auf Methanemissionen in den außereuropäischen Produktionsländern von Erdgas, Öl und Kohle angewendet wird, weitreichende Methanreduktionen herbeiführen. Laut Schätzungen der Clean Air Task Force (CATF) könnte ein EU-Importstandard für Methanemissionen ein Drittel der weltweiten Methanemissionen aus dem Öl- und Gassektor reduzieren. Das wäre laut CATF ein wichtiger Schritt zur Erreichung des Global Methane Pledge im Jahr 2030. In dieser Initiative haben sich 150 Staaten zusammengeschlossen, um die Emissionen bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 zu senken.
Ein Vorschlag des EU-Parlaments für eine EU-Regulierung sieht einen solchen Importstandard vor. Dadurch müssten auch die Produktionsländer von Öl- und Gas Maßnahmen ergreifen, um die Methanemissionen während der Produktion und dem Transport der fossilen Rohstoffe zu senken. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht keine strikte Importregulierung vor. Der EU-Rat sei aber offen für “eine Ausweitung der Kontrollen auf Importe”, gibt das Medium Contexte eine Quelle aus dem Parlament wieder. Laut CATF würde eine Importnorm “die Methanemissionen 20-mal stärker verringern als eine Regelung, die nur die inländische Öl- und Gasproduktion in der EU betrifft”. Es besteht Hoffnung, dass sich die EU-Institutionen noch vor der COP28 einigen werden. Jutta Paulus, treibende Kraft hinter der Methanregulierung, sagte gegenüber Table.Media: “Es ist gut, dass von allen Verhandlungspartnern bekräftigt wurde, mit einer wirkungsvollen Einigung zur neuen EU-Methanverordnung zur Klimakonferenz nach Dubai fahren zu wollen.”
Die EU-Staaten importieren mehr als 80 Prozent ihres Gas- und Ölbedarfs und sind der weltweit größte Importeur. Demnach hätte eine Regulierung der Im- und Exporteure weitreichende Folgen. Das EU-Parlament fordert beispielsweise:
Die Mehrwertsteuer auf Gas soll in Deutschland bereits zum Jahreswechsel wieder von 7 auf 19 Prozent steigen. Für den Klimaschutz ist das hilfreich. Denn durch den Anstieg und die gleichzeitige Erhöhung des CO₂-Preises für Gas werden Wärmepumpen im Vergleich zu Gasheizungen wieder attraktiver.
Eine Formulierungshilfe für eine entsprechende Gesetzesänderung hat das Kabinett am Mittwoch auf Vorschlag von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beschlossen. Ursprünglich sollte der reduzierte Mehrwertsteuersatz, der während der Gaskrise am 1. Oktober 2022 eingeführt worden war, bis zum 1. April 2024 gelten. Unions-Vize Andreas Jung kritisiert den Plan: “Eine Zusatzbelastung mitten im Winter” sei “ganz sicher das falsche Signal”, erklärte er. Der Energieversorger-Verband BDEW warnt vor der Gefahr steigender Gaspreise “für viele Haushalte”.
Tatsächlich sind die Auswirkungen aber minimal. Denn die Gaspreise sind zuletzt wieder stark gesunken: Kurz bevor der Mehrwertsteuersatz gesenkt worden war, lagen die Gaskosten für Haushalte bei neuen Verträgen im Schnitt bei 30 bis 40 Cent pro Kilowattstunde. Aktuell beträgt der Preis wieder weniger als 9 Cent pro Kilowattstunde; durch den Wiederanstieg der Mehrwertsteuer würden daraus 10 Cent. Weil die starken Preissenkungen für Neuverträge erst mit Verzögerung bei den Bestandskunden ankommen, dürften die Gaspreise in diesem Winter für die meisten Haushalte trotz der Mehrwertsteuererhöhung deutlich sinken.
Im Gesetz, mit dem die Steuer 2022 gesenkt wurde, fand sich die Warnung, dass dadurch der Gasverbrauch steigen und somit die Nachhaltigkeitsziele gefährdet werden könnten. Tatsächlich war durch die aktuell günstigen Preise eine Gasheizung im Betrieb in manchen Fällen wieder günstiger als eine stromgetriebene Wärmepumpe. Das Verhältnis dürfte sich nun wieder zugunsten der Wärmepumpe verschieben. mkr
Kommenden Montag wollen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union beim Treffen der EU-Umweltminister auf ihr Verhandlungsmandat für die UN-Klimakonferenz in Dubai Ende November (COP28) einigen. Aus einem Entwurf der EU-Position – datiert auf den 29. September – geht hervor, dass der Einsatz von CO₂-Entnahmen (CCS) zum Erreichen der Klimaziele im Energiesektor nach wie vor umstritten ist.
Es heißt in dem Papier zwar, der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel erfordere den weltweiten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Doch davor steht noch immer das Wort “unabated” (unvermindert) in eckigen Klammern. Das bedeutet, ob das Wort im finalen Text auftaucht, ist noch immer Gegenstand von Diskussionen im Rat. Die Bezeichnung “unabated fossil fuels” wird im Kontext der internationalen Klimaverhandlungen für fossile Energieerzeugung ohne die Nutzung von CCS verwendet.
Die EU hat sich selbst zum Ziel gesetzt, CCS nur in den schwer zu dekarbonisierenden Sektoren anzuwenden. Die Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern zählt nicht dazu. Die EU-Kommission und der am Montag von den Mitgliedstaaten ernannte Klimakommissar Wopke Hoekstra wollen diese Forderung gerne auch global durchsetzen. Das Verhandlungsmandat für die COP28 legen jedoch die Länder fest.
In dem Entwurf fordern die Mitgliedstaaten auch schnellstmöglich die schrittweise Abschaffung “ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe” vor 2025. Die Definition von “ineffizienten” Subventionen ist jedoch sehr vage. In einem vorherigen Entwurf war noch von “umweltschädlichen fossilen Subventionen” die Rede. Dieser Zusatz wurde nun offenbar gestrichen.
Die EU-Umweltminister wollen kommende Woche auch über die Anhebung des bei der UN hinterlegten Klimaziels (NDC) entscheiden. Anfang der Woche hatten die Mitgliedsländer die überarbeitete Richtlinie für erneuerbare Energien (RED) sowie die ReFuelEU-Verordnung für den Luftverkehr angenommen. Die neue RED legt ein Ausbauziel von Erneuerbaren von 42,5 Prozent fest, ReFuelEU beinhaltet verpflichtende Quoten für nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF). Damit sind alle Vorhaben des “Fit for 55”-Gesetzespaketes von den Co-Gesetzgebern beschlossen und der Weg ist frei für die konkrete Umsetzung der EU-Klimaziele bis 2030.
Die angepasste Klimagesetzgebung der EU sorgt dafür, dass der Treibhausgasausstoß der EU bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 57 Prozent sinkt. Die EU hatte angekündigt, ihr derzeitiges NDC von minus 55 Prozent nach Abschluss der Verhandlungen auch offiziell auf den Wert von minus 57 Prozent anzuheben. luk/mgr
Saudi-Arabien will Anfang 2024 ein System für Treibhausgas-Zertifikate einführen. Es soll Unternehmen ermöglichen, ihre Emissionen durch den Kauf von Gutschriften aus Projekten auszugleichen, die Emissionen reduzieren oder der Atmosphäre entziehen.
Der Greenhouse Gas Crediting and Offsetting Mechanism (GCOM) wurde während der aktuellen MENA-Klimawoche der Vereinten Nationen in Riad ins Leben gerufen. Er soll Anreize für den Einsatz von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung schaffen, “um klimarelevante nationale Strategien, Politiken und Programme zu unterstützen und zu ermöglichen”, heißt es auf der GCOM-Website. Die Teilnahme an dem Programm, das mit den Regularien von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen soll, ist freiwillig und projektbasiert. Sie steht dem öffentlichen und privaten Sektor sowie Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen offen, heißt es weiter. rtr/luk
Rund 170 Millionen Euro hat Deutschland in dieser Woche für die Entwicklungszusammenarbeit im Senegal zugesagt. 100 Millionen davon sollen in eine sozial gerechte Energiewende fließen. Im vergangenen Juni hatten Senegals Staatspräsident Macky Sall, der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz sowie weitere internationale Partner eine sogenannte “Just Energy Transition Partnership” (JETP) auf den Weg gebracht. Die wird nach Angaben des Bundesministeriums für Internationale Zusammenarbeit (BMZ) jetzt mit Leben gefüllt. Insgesamt sollen im Rahmen der JETP mit dem Senegal in den kommenden drei bis fünf Jahren 2,5 Milliarden Euro mobilisiert werden.
Im Senegal gibt es großes Potenzial für den Ausbau von Erneuerbaren, besonders von Solarenergie. Innerhalb der JETP hat sich das Land verpflichtet, eine Langfriststrategie für die Energieversorgung zu erarbeiten. Dazu gehört beispielsweise, bis 2030 mindestens 40 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren zu beziehen. Der Senegal gewinnt nach Regierungsangaben bereits 30 Prozent seiner Energie aus Sonne, Biomasse, Wind- und Wasserkraft.
Erneuerbare spielen auch eine Schlüsselrolle bei dem Ziel bis 2025, die gesamte Bevölkerung ans Stromnetz anzuschließen. Aktuell haben rund drei Viertel der Menschen im Senegal Zugang zu elektrischer Energie. Die Bundesregierung will den Senegal auch mit Know-how bei seiner Energiewende begleiten. Kritik gab es an der Energiewende im Senegal zuletzt, weil das Land in diesem Jahr auch in die Gasförderung einsteigen will. Die werde aber laut der Bundesregierung nicht durch die JETP unterstützt. kul
Die Bundesregierung will in der Außenwirtschaftsförderung den Fokus stärker auf Investitionen in den Klimaschutz legen. Das sehen die neuen klimapolitischen Sektorleitlinien für Exportkredit- und Investitionsgarantien vor, zu denen nun Konsultationen unter anderem mit Wirtschaftsverbänden abgeschlossen sind. Wie es am Dienstag aus Kreisen des Wirtschaftsministeriums hieß, ist das Ziel der neuen Leitlinien, Innovationen und klimafreundliche Technologien sowie den Export grüner Technologien ins Ausland zu fördern. Zugleich solle die Finanzierung klimaschädlicher Aktivitäten perspektivisch beendet werden. Die neuen Leitlinien befinden sich innerhalb der Bundesregierung noch in der finalen Abstimmung.
Eng begrenzte Ausnahmen, unter denen eine Exportkreditgarantie noch übernommen werden kann, betreffen demnach vor allem den Sektor Gas. Eine Deckung für Gasförderprojekte kann übernommen werden, wenn etwa die Wahrung der nationalen Sicherheit das erfordert – also zum Beispiel zur Abwendung einer ernsthaften Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit.
Die Leitlinien für Exportkredit- und Investitionsgarantien betreffen drei Sektoren – Energie, Industrie und Transport. Festgelegt werden sollen drei Kategorien, wie es hieß:
Exportkreditgarantien schützen Exporteure und Banken vor wirtschaftlich und politisch bedingten Zahlungsausfällen. Investitionsgarantien sichern Investoren bei Auslandsinvestitionen gegen politische Risiken wie Enteignung, Krieg und Kapitalbeschränkungen ab. Mit den Garantieinstrumenten des Bundes seien günstigere Finanzierungskonditionen und auch eine politische Flankierung bei nicht reibungslosen Geschäften möglich, hieß es. dpa/nib
Die EU-Kommission will stärker gegen Greenwashing vorgehen. Zwei Richtlinien werden zurzeit in Brüssel verhandelt. Zum einen wurde das Thema mit der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel bereits angegangen. Sie verbietet unlautere Praktiken und schafft verbindliche Vorgaben für Produktlabel. Außerdem soll die Green Claims-Richtlinie verpflichten, umweltbezogene Aussagen über ihre Produkte mit einer Standardmethode zur Bewertung ihrer Umweltauswirkungen zu belegen.
Laut einer Studie der EU-Kommission von 2020 gibt es in der EU derzeit etwa 230 Nachhaltigkeit-Labels. In ihrem Transparenzgrad unterscheiden sie sich stark. Rund die Hälfte solcher Angaben auf Produkten und Dienstleistungen enthalte “vage, irreführende oder unbegründete Informationen“. 40 Prozent der Angaben können gar nicht belegt werden.
Erste Schritte wurden bereits umgesetzt: Laut der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel gelten zukünftig generische Umweltangaben wie “klimaneutral”, “umweltfreundlich” und “ökologisch abbaubar” ohne Beleg als unlautere Geschäftspraktiken. Auch Behauptungen, ein Produkt hätte neutrale, reduzierte oder positive Auswirkungen auf die Umwelt, wenn diese auf CO₂-Kompensation beruhen, werden als unlauter eingestuft. Im September einigten sich Rat, Kommission und Parlament auf einen Gesetzestext; dieser muss nun noch formal angenommen werden. Das Parlament stimmt voraussichtlich im November ab. Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten 24 Monate für die Umsetzung in nationales Recht.
Die im März von der Kommission vorgestellte Green-Claims-Richtlinie sieht Mindestanforderungen an die Begründung und Kommunikation freiwilliger umweltbezogener Angaben und Umweltkennzeichnungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor. Umweltbezogene Angaben sollen auf der Grundlage einer Methodik begründet werden, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, internationale Normen sowie weitere Kriterien der Kommission stützt. Nur Umweltangaben, die auf dieser Methodik basieren, dürfen kommuniziert werden. leo
Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) plädiert für eine Weiterentwicklung von Technologien zum Auffangen und Speichern von CO₂-Emissionen aus der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS). Laut einem heute veröffentlichen Policy Brief sei DACCS einer “der vielversprechenderen technologischen Ansätze, um negative Emissionen zu erzielen“.
Die Autoren des Fraunhofer ISI plädieren für eine “zeitnahe” Schaffung der “notwendigen Bedingungen”, um DACCS zum Durchbruch zu verhelfen. Die Weiterentwicklung der Technologie, der Aufbau von Produktionskapazitäten und Infrastrukturen für CO₂-Transport und -Speicherung seien zeit- und kapitalintensiv und müssten frühzeitig vorangetrieben werden, wenn “DACCS eine relevante Rolle im Klimaschutz spielen” solle, so die Fraunhofer-Forscher. Gleichzeitig dürfe eine Weiterentwicklung der Technologie “nicht zu Lasten anderer Klimaschutzmaßnahmen gehen und zu keinen neuen Pfadabhängigkeiten führen”.
Derzeit ist weder die Technologie noch das regulatorische Umfeld ausgereift, schreiben die Autoren:
Aktuell werden laut Internationaler Energieagentur (IEA) weltweit nur 18 DAC-Anlagen zum Auffangen von CO₂ aus der Umgebungsluft betrieben. Laut Fraunhofer-Briefing soll die Kapazität bis 2026 jedoch um den Faktor 200 zunehmen. Selbst dann bliebe aber eine große Lücke zwischen dem geplanten Kapazitätsausbau (2 Millionen Tonnen aufgefangenes CO₂ in 2026) und dem in internationalen 1,5-Grad-Szenarien vorgesehenen Ausbau (80 Millionen Tonnen CO₂ bis 2030 im IEA-Szenario).
Allerdings warnen die Forscher auch vor neuen “Pfadabhängigkeiten”. Die Nutzung von DACCS könne “kontraproduktiv” sein und zu einer “Verzögerung der Dekarbonisierung der Industrie” und dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen führen. Die IEA empfiehlt in ihrem kürzlich aktualisierten Netto-Null-Szenario für den Energiesektor, den Einsatz von DACCS “so weit wie möglich zu minimieren” und “der direkten Verringerung der Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und aus Anwendungen ohne Verbrennung Vorrang einzuräumen”. Doch wie die Fraunhofer-Forscher plädiert auch die IEA für eine beschleunigte Weiterentwicklung und einen schnelleren Einsatz der DACCS-Technologie. nib
Auch ohne weitere Zusagen zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wird die weltweite Kohleindustrie bis 2050 fast eine Million Arbeitsplätze abbauen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des US-amerikanischen Thinktank Global Energy Monitor (GEM). Die meisten Arbeitsplätze gehen demnach in Indien und China verloren.
In den kommenden Jahrzehnten werden weltweit hunderte arbeitsintensive Bergwerke schließen, wenn Kohleenergie durch saubere Energiequellen ersetzt wird, so GEM. Laut den Studien-Autoren haben die meisten Kohleminen noch keine Pläne, um den Übergang der Wirtschaft zu einer “Post-Coal-Economy” zu gestalten. Die Regierungen der betroffenen Länder müssten solche Pläne ausgestalten, fordern die Autoren. Der Kohleausstieg sei unvermeidbar, “wirtschaftliche Härten und soziales Unglück” könnten aber abgefedert werden. Die Hauptlast der Energiewende dürfe nicht von den Arbeiterinnen und Arbeitern getragen werden.
Allein bis 2035 seien demnach 400.000 Arbeiterinnen und Arbeiter von Minenschließungen betroffen. Wenn eine ambitionierte Klimapolitik durchgesetzt werde, könnten sogar noch deutlich mehr Arbeitsplätze wegfallen, so die Autoren.
Laut GEM befindet sich die große Mehrheit der aktuell mehr als 2,7 Millionen Kohlejobs in Asien. Allein in China arbeiten aktuell rund 1,5 Millionen Menschen in dem Bereich. Neben China und Indien werden auch in Russland, Indonesien, Polen, Südafrika und Australien noch besonders viele Arbeitsplätze verloren gehen. rtr/kul
Günstige Energie, gute Infrastruktur und ausreichend Arbeitskräfte – für die Ansiedlung von Industrie sind diese drei Faktoren seit jeher von zentraler Bedeutung. Ein Blick auf die Landkarte zeigt das sehr deutlich: Die Zentren der industriellen Revolution lagen nicht zufällig im Ruhrgebiet und Nordwesten Englands, wo große Städte, Kohlevorkommen und Wasserstraßen aufeinandertrafen. Doch die Zeiten von Kohle, Koks und Kumpels sind lange vorbei. Das fossile Zeitalter neigt sich dem Ende zu und investitionswillige Unternehmen suchen nach dem Treibstoff der nächsten Industrierevolution. Besonders im Fokus dabei: Windkraft und Wasserstoff. Für Süddeutschland eine schlechte Nachricht.
Wie wichtig Grünstrom für die Attraktivität eines Standorts ist, zeigt eine Umfrage, deren Ergebnisse die Stiftung KlimaWirtschaft mit der Denkfabrik EPICO und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor Kurzem veröffentlicht hat. Ihr Ergebnis: Rund 75 Prozent der Industrieunternehmen sehen in der Energieversorgung einen entscheidenden Standortfaktor. Gleichzeitig bewerten 80 Prozent die Versorgung mit Erneuerbaren im Norden perspektivisch als “eher gut” oder “sehr gut”. Für Süddeutschland ist das nur bei etwa 30 Prozent der Unternehmen der Fall.
Das ist ein Weckruf für den Süden, denn ohne grünen Strom und Wasserstoff droht die Abwanderung energieintensiver Industrie. Die Umfrage bestätigt damit die Annahme einer Sogwirkung grüner Energie auf die Industrie, die in der Theorie schon länger unter dem Begriff des “renewables pull effect” diskutiert wird: Geld folgt Grünstrom.
Die Gründe für den grünen Pull-Effekt liegen auf der Hand, denn ohne Erneuerbare können Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nicht dekarbonisieren. Hinzu kommt, dass Instrumente wie der Emissionshandel die Kosten für fossile Energien deutlich erhöhen, während die Herstellungskosten von Wind- oder Solarstrom stetig fallen.
Ein Effekt, der voll durchschlagen könnte, wenn es zu der von der EU-Regulierungsbehörde ACER vorgeschlagenen Teilung des deutschen Strommarktes kommt. Dann nämlich würden Knappheiten die Preise im Süden in die Höhe schießen lassen, während es an der Küste ein Überangebot und Niedrigpreise gäbe. Ähnlich, wenn auch abgeschwächt, wäre auch die Wirkung der Netzentgelte-Reform, die die Bundesregierung bereits angekündigt hat.
Die Ergebnisse der Umfrage legen offen, wo Deutschland bei Erneuerbaren hinterherhinkt – nämlich im Süden. Die gute Nachricht: Die Lösung des Problems ist bekannt. Was benötigt wird, ist ein konsequenter Ausbau von Erneuerbaren, Stromnetzen, Speichertechnologien und Wasserstoff-Infrastruktur im ganzen Land. In Bayern und Baden-Württemberg sollte der Fokus dabei auf der Windkraft liegen, da Solarparks allein den Energiehunger der ansässigen Industrie nicht stillen können. Zu hohe Abstandsregelungen, langwierige Genehmigungen und uneinheitliche Artenschutzvorgaben – alles Windkraftbremsen, für die es jetzt “Servus” heißen muss.
Gleiches gilt für die Blockadehaltung beim Infrastrukturausbau, der mittlerweile nicht mehr nur den fehlenden Südlink betrifft. Zwar hat der Bau der Südlink-Trasse inzwischen begonnen, aber bisher sind nur 17 Kilometer des gesamten Streckenverlaufs genehmigt. Und auch Pipelines für Wasserstoff müssen zügig ausgebaut und der Umgang mit unvermeidbaren Emissionen (CCS/ CCU) geklärt werden. Ansonsten heißt es: Mia san abgehängt!
Die Lage ist ernst, denn der Pull-Effekt der Erneuerbaren wird in den USA längst als industriepolitisches Mittel eingesetzt. Man muss nicht nach Amerika schauen, um zu sehen, dass andere Länder beim Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich weiter sind als wir in Deutschland. In Dänemark, den Niederlanden und Schweden haben Investitionen in Erneuerbare nicht nur zu einer umweltfreundlicheren Energieversorgung geführt, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gestärkt.
Diese Länder haben gezeigt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile mit sich bringen kann. Als Export- und Industrienation muss Deutschland zügig aufholen. Ansonsten wird die fehlende Verfügbarkeit von günstigen erneuerbaren Energien zum Standortnachteil für die Wirtschaft.
Die Debatte um den Industriestrompreis zeigt: Das nötige Problembewusstsein für zu hohe Energiepreise ist in der Politik vorhanden, der Wind für eine breite Maßnahmenoffensive steht gut. Damit die Diskussion allerdings nicht nur bei kurzfristigen Lösungsansätzen verharrt, müssen auch Initiativen vorangebracht werden, die strukturelle Verbesserungen bewirken können. Ein geeignetes Mittel sind die neu eingeführten Klimaschutzverträge, durch die Mehrkosten von klimafreundlichen Produktionsverfahren gegenüber herkömmlichen Verfahren ausgeglichen werden. Nach ersten Berichten stoßen diese völlig neuartigen Operational-Expenditure-Förderungen in der Industrie auf reges Interesse. Das Problem ist nur, dass Finanzierung und Bedarf hier noch weit auseinanderklaffen.
Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Ertüchtigung intelligenter Stromnetze samt Smartmetern und flexibler Stromtarife, um Last- und Preisspitzen im Strommarkt zu glätten. Der bestehende Nachholbedarf ist hier leider hausgemacht. Anders ist es bei Fachkräften, wo Deutschland traditionell gut aufgestellt ist. Doch der industrielle Wandel erhöht auch hier den Druck auf bestehende Strukturen. Ausbauoffensive muss deshalb stets auch Ausbildungsoffensive heißen.
Andernfalls droht dem Industriestandort Deutschland langfristig das gleiche Schicksal wie den Fördertürmen des Ruhrgebiets, die heute nur noch für Ausstellungszwecke genutzt werden. Kulturerbe statt Zukunftstechnologie. Dass Deutschland den Wandel unter Druck meistern kann, hat die Energiekrise im Sommer 2022 jedoch beeindruckend gezeigt. Daraus sollten wir lernen.
Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft. Bernd Weber ist der Gründer und Geschäftsführer von EPICO KlimaInnovation, einer Denkfabrik für eine nachhaltige, marktbasierte und innovationsorientierte Klima- und Energiepolitik.
um eine klimafreundliche Zukunft zu schaffen, braucht es vor allem eines: Geld. Nicht umsonst ist es ein – bisher vernachlässigtes – Ziel des Pariser Klimaabkommens, die weltweiten Finanzströme so umzulenken, dass sie den klimafreundlichen Wandel der Weltwirtschaft in Zukunft vorantreiben.
Weltbank und Internationaler Währungsfonds müssen mitziehen, damit das klappen kann. Derzeit beraten die beiden Finanzinstitutionen in Marrakesch über ihre grüne Reform. Auf einer Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch sprach Weltbankchef Ajay Banga darüber, wie die Folgen des Klimawandels bisherige Entwicklungsfortschritte etwa in Afrika zunichtemachen. Angesichts multipler Krisen, die einander verstärken, will die Bank ihren Auftrag in Marrakesch neu definieren. Die neue Devise, die Banga ausgab: “die Armut bekämpfen, aber auf einem lebenswerten Planeten”.
Caspar Dohmen hat die Details zu den Reformplänen der Bank – und beschreibt für Sie, welche Fragen bislang unbeantwortet bleiben. Urmi Goswami berichtet aus Neu-Delhi, warum es Zweifel an der Reformfähigkeit von Bank und IWF gibt: In Pakistan, einem Land, das seit Jahrzehnten mit beiden Finanzinstitutionen zusammenarbeitet, hätten bisherige Projekte die Schäden des Klimawandels sogar noch verstärkt, wie ein NGO-Report zeigt.
Auch bei den anstehenden Wahlen in Polen wird es – zumindest am Rande – um die Chance auf eine klimafreundlichere Zukunft gehen. Lisa Kuner war im Land unterwegs und hat für Sie aufgeschrieben, was sich nach der Abstimmung ändern könnte. Was sich nach den Landtagswahlen in Bayern ändern muss, damit die Wirtschaft dort weiter floriert, damit beschäftigt sich unser aktueller Standpunkt von Bernd Weber und Sabine Nallinger.
Die allgemeine Nachrichtenlage gibt derzeit nicht viel Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir hoffen, Sie finden in diesem Briefing wenigstens ein paar kleine Lichtblicke.
Bleiben Sie uns gewogen.
Polen gehört zu den Ländern in Europa, deren Stromerzeugung die meisten Emissionen verursacht. Im Jahr 2021 wurden dort mehr als 750 Kilogramm CO₂ pro erzeugter Megawattstunde verursacht. Der EU-Schnitt liegt bei unter 300 Kilogramm. Das zeigen Daten des polnischen Thinktanks Forum Energii. Am Sonntag wählt das Land ein neues Parlament. Sollten sich die Machtverhältnisse verändern, könnte sich auch Polens Haltung zur Energiewende ändern. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn die Regierungspartei PiS steht in Umfragen deutlich schlechter da als bei den letzten Wahlen und liegt nur noch knapp vor der Oppositionspartei Bürgerkoalition.
Seit 2015 regiert in Polen die sogenannte Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS). Die PiS hat in dieser Zeit nicht nur den Rechtsstaat ausgehöhlt und gegen Geflüchtete gehetzt, sondern auch “die Energiewende behindert”, sagt Michał Hetmański, CEO und Gründer des polnischen Thinktanks Instrat, der zu grüner und digitaler Ökonomie arbeitet.
Der Ausbau der Windkraft wurde jahrelang durch strenge Regulierung fast unmöglich gemacht. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte 10H-Regelung. Sie wurde 2016 eingeführt. Laut der Regulierung musste zwischen neuen Windkraftanlagen und Häusern ein Abstand eingehalten werden, der zehnmal der Höhe der Windturbine entspricht. In der Praxis sind das bei modernen Anlagen rund 2 Kilometer. Durch die 10H-Regelung kamen 98 Prozent des polnischen Territoriums nicht für den Bau neuer Onshore-Windanlagen infrage. Anfang 2023 wurde die Regelung gelockert, jetzt muss der Abstand nur noch 700 Meter betragen.
Während Erneuerbare lange Zeit ausgebremst wurden, hält die PiS weiterhin an der Kohleproduktion fest. Sie garantiere die Energiesouveränität Polens. Erst 2049 soll die letzte Kohlemine schließen. Im Jahr 2050 möchte das Land dann sein Netto-Null-Ziel erreichen. Bisher kommen rund 85 Prozent des Energiekonsums aus fossilen Energieträgern, Kohle macht 45 Prozent aus. Von der wenigen Energie aus Erneuerbaren kam 2021 noch der größte Teil aus Holz. Wind- und Solarenergie spielen nur eine kleine Rolle.
Dennoch gibt es aus klimapolitischer Sicht kleine Hoffnungsschimmer: Zuletzt nahm die Zahl der Installationen von Mikrosolaranlagen auf Privathäusern sehr stark zu. Dazu trug das staatliche Programm “Mein Strom” (Mój Prąd) bei, das die Installation von Solarpanels im Gesamtwert von 435 Millionen Euro unterstützte. Völlig ohne staatliche Unterstützung wurden allein 2022 mehr als 200.000 Wärmepumpen verkauft. Die Bosch-Gruppe kündigte den Bau eines großen Werks unweit von Warschau an: Dort sollen Wärmepumpen hergestellt werden, für den polnischen Markt und für andere europäische Länder.
Außerdem arbeitet die polnische Lokalpolitik an manchen Stellen an einer Beschleunigung der Energiewende. Einige Städte gehören beispielsweise der Powering Past Coal Alliance an, die sich für einen Kohleausstieg bis 2030 einsetzt. Warschau gehört zum C40-Netzwerk, das bis 2030 die Emissionen halbieren möchte. In diesem Netz haben sich knapp 100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus aller Welt für konsequenten Klimaschutz zusammengeschlossen.
“Die Energiewende findet statt”, fasst Aleksandra Gawlikowska-Fyk ihre Analyse zusammen. Sie ist Programmdirektorin für den Stromsektor beim Thinktank Forum Energii in Warschau. Doch Hetmański von Instrat bemängelt: Vieles an der Energiewende “ist Zufall und keine strategische Planung”. Preisdruck und der EU-Emissionshandel dürften auch eine Rolle spielen: Da die Menge der CO₂-Emissionen in Polen höher ist als die zugeteilte Menge der Verschmutzungsrechte, sind Unternehmen und Institutionen gezwungen, Zertifikate zuzukaufen. Im Jahr 2022 kosteten sie mehr als 7 Milliarden Euro. Dies erklärt auch, warum sich Polen gegen die Abschaffung der kostenlosen Emissionszertifikate für die energieintensiven Industrien gewehrt hat, allerdings ohne Erfolg.
Mehr strategische Planung gibt es bei Großprojekten. Polen plant den Bau von drei Atomkraftwerken. Am 27. September 2023 hat die Regierung die ersten Verträge dafür geschlossen. Die Unternehmen Westinghouse und Bechtel sollen den ersten Reaktor in Lubiatowo-Kopalino in der Region Pommern im Norden des Landes bauen. Er soll 2033 ans Netz gehen. “Ich sehe Nuklearenergie als gute und kosteneffiziente Energiequelle für die Zukunft”, sagte dazu Adam Guibourge-Czetwertyński, Staatssekretär im Ministerium für Klima und Umwelt. Nuklearenergie werde laut dem Politiker dafür sorgen, dass zu jeder Zeit genug Strom zur Verfügung stehe. Die Entscheidung für die Reaktoren zeige, dass die Angst der Bevölkerung vor hohen Energiekosten oder einem Blackout ernst genommen werde.
Vor der Wahl ist das Land tief gespalten. Verschiedene Oppositionsparteien haben sich zu einem Oppositionsbündnis namens Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) zusammengeschlossen. In aktuellen Umfragen liegt die KO mit 30 Prozent knapp hinter der PiS (34 Prozent). Da aber beide Parteien zur Bildung einer Regierung Koalitionspartner benötigen, ist für die Frage nach der nächsten Regierungsbildung nicht unbedingt entscheidend, wer mehr Prozentpunkte holt. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation sowie gestiegene Lebenshaltungskosten sind zentrale Themen des Wahlkampfs. Klimaschutz spielt keine große Rolle.
Trotzdem könnten die Wahlen etwas ändern: Sollte die Bürgerkoalition gewinnen, möchte sie die Energiewende im Land stärker vorantreiben. “Erneuerbare Energiequellen müssen die Grundlage des Systems werden”, sagte dazu beispielsweise Grzegorz Onichimowski von der KO gegenüber Reuters. Ihr Ziel sei es, dass bis 2030 zwischen 65 und 70 Prozent der polnischen Energieproduktion von Erneuerbaren gedeckt werden.
Ein Thema, mit dem die Wahlen außerdem zur Energiewende beitragen könnten, sind die Aufbauhilfen der EU. Rund 36 Milliarden Euro wurden von der EU geblockt, weil Polens Justizsystem nach seiner Reform nicht mehr unabhängig ist. Veränderte Mehrheiten könnten dazu beitragen, dass diese Gelder endlich fließen und so auch dem Ausbau von Erneuerbaren zugutekommen.
Über den Bau der Atomkraftwerke herrschte in Polens Politik bisher eher Einigkeit, die meisten Parteien stehen dahinter. Die Bürgerkoalition äußerte allerdings in der vergangenen Woche Bedenken und gab an, unter Umständen von den Verträgen zurücktreten zu wollen.
Mitarbeit: Claire Stam. Dieser Text entstand auf einer Researchtour des Netzwerkes Clean Energy Wire.
Auf der Jahrestagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die derzeit in Marrakesch stattfindet, geht es um eine große Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass die beiden großen internationalen Finanzinstitutionen die Entwicklungsländer künftig besser bei der Bewältigung der Klimakrise unterstützen?
Die Weltbank wolle ihre Vision neu definieren, sagte ihr Präsident Ajay Banga dazu am Mittwochmorgen auf einer Pressekonferenz. Künftig gehe es darum, “die Armut auszumerzen, aber auf einem lebenswerten Planeten”.
Doch drei zivilgesellschaftliche Organisationen aus Pakistan und den Niederlanden kritisieren in einem neuen Bericht: Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen seien die Weltbank und der IWF nicht in der Lage, auf die Klimakrise zu reagieren. Sie sehen “ein gemeinsames strukturelles Versagen” der beiden Finanzinstitutionen. Dass die “begrenzten und schwachen” Reformabsichten daran etwas ändern, glauben sie nicht. Vielmehr warnen die NGOs vor der “realen und ironischen” Gefahr, dass Weltbank und IWF durch ihre Arbeit die Klimakrise in den Ländern des Globalen Südens noch vertiefen könnten, statt sie wirksam zu bekämpfen.
Die drei Organisationen sind die Alliance for Climate Justice and Clean Energy, ein in Pakistan ansässiges zivilgesellschaftliches Netzwerk, das Alternative Law Collective, das zu dem Netzwerk gehört, und Recourse, eine in Amsterdam ansässige Nichtregierungsorganisation, die sich auf Finanzen konzentriert. In ihrem Bericht “Wie gestalten der IWF und die Weltbank die Klimapolitik? Lehren aus Pakistan” zeigen sie: Die Unterstützung Pakistans durch die Weltbank und den IWF hat die Klimaziele des Landes untergraben. Das geschah schon lange vor den verheerenden Überschwemmungen von 2022.
Die eingehende Analyse des Landes sei eine “geeignete Fallstudie”, schreiben sie, denn:
Schon zu Beginn der Zusammenarbeit konzentrierte sich die Weltbank darauf, staatlich geführte Großprojekte zu unterstützen, beispielsweise im Indusbecken. Das Indusbecken ist die dichtbesiedelte Region rund um Pakistans wichtigste Wasserader, den Indus. Ein Fokus der Großprojekte lag dabei auf den Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft und der Infrastruktur zur Wasser- und Stromversorgung.
Der aktuelle Bericht kommt zu dem Schluss, dass diese Projekte zu Pakistans aktuellen Klimaproblemen beigetragen haben. Zain Moulvi, Forschungsdirektor des Alternative Law Collective, sagt dazu: “Wie wir wissen, haben die Überschwemmungen des vergangenen Jahres Schäden in Höhe von etwa 40 Milliarden US-Dollar verursacht, was zehn Prozent des pakistanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.” Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass die Regenfälle ohne die vom Menschen verursachte globale Erwärmung um 75 Prozent weniger intensiv ausgefallen wären. “Aber was weniger bekannt ist und worüber weniger gesprochen wird – und das ist wichtig – ist die Rolle von verschärfenden Faktoren wie der Entwicklungsinfrastruktur im Indusbecken und sozioökonomischen Faktoren.”
Pakistans Entwicklungsinfrastruktur im Indusbecken sei “vollständig mit der Weltbank verbunden”, so Moulvi. “Sie sind diejenigen, die erfolgreich die große Staudamminfrastruktur, das Netz von Dämmen, Staustufen und Kanälen vorschlagen.”
1968 hätten die Institutionen Pakistan große Investitionen in Wasserkraft und auch in Gas empfohlen, sagt Moulvi. “Das hat nicht so gut geklappt.” Zwanzig Jahre danach hätten Weltbank und IWF dann ein Darlehensprogramm für den privaten Sektor vorgeschlagen, um den Energiesektor weiterzuentwickeln. “Das Ziel war die Privatisierung, die Beteiligung des privaten Sektors an den Energieinvestitionen”, sagt Moulvi. “Und das gipfelte in zwei der wahrscheinlich katastrophalsten Politiken, die Pakistan im Energiesektor je hatte.”
Laut Bericht hat sich das Emissionsprofil des pakistanischen Energiesektors durch das Engagement der Finanzinstitutionen stark verändert. 1994 entfielen demnach 60 Prozent der Energieerzeugungskapazität auf Wasserkraft und 40 Prozent auf Wärmekraftwerke, die mit fossilen Energiequellen betrieben werden, sowie nukleare Energie. Seither habe sich das Verhältnis umgekehrt. Heute machten mit importierten fossilen Brennstoffen betriebene Wärmekraftwerke 70 Prozent der pakistanischen Kapazität aus. Mehr als die Hälfte der Kapazität dieser Kraftwerke bleibe ungenutzt, doch bezahlt werden müsse sie trotzdem. Das trage stark zum “Verschuldungskreislauf im Energiesektor” bei.
Moulvi sieht ein “gemeinsames strukturelles Versagen” der beiden Finanzinstitutionen. Er kritisiert die “analytische und entwicklungspolitische Logik”, die derzeit ihre klimabezogenen Operationen antreibe. Er beschreibt eine Art Scheuklappendenken, das großen Schaden anrichte:
“Diese Institutionen verfolgen im Allgemeinen einen ahistorischen und isolierten Ansatz, der die interaktiven und dynamischen Verflechtungen zwischen ihrer fiskalischen und makroökonomischen Politik und den breiteren Alltagsrealitäten der wirtschaftlichen Ausbeutung, der Ungleichheit der Geschlechter und des Klimawandels nicht berücksichtigt – weder im kurz- noch im längerfristigen Zeitrahmen.”
Dabei spielen jedoch auch die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender pakistanischer Regierungen eine Rolle. Sie wurden vor dem Hintergrund wachsender Klimarisiken und -auswirkungen, makroökonomischer und sozialer Instabilität getroffen. Daraus erwuchsen ernsthafte politische Dilemmata. Der Bericht weist auch darauf hin.
Der Rückgriff auf Kredite der Weltbankgruppe und des IWF sei “zu einer gängigen Praxis für pakistanische Regierungen geworden. Sie versuchen damit, kurzfristige Krisen wie die Schuldenproblematik zu bewältigen und wichtige Importe wie Treibstoffe und Industrietechnologie zu bezahlen”, schreiben die Autoren. Um die Kredite zu erhalten, “mussten diese Regierungen jedoch einer immer anspruchsvolleren Reihe von politischen Reformen zustimmen, die marktbasierte Lösungen fördern”.
In ihrem Bericht fordern die drei NGOs, die Weltbank und den IWF zu mehr Rechenschaftspflicht und Demokratie auf. Um das zu erreichen, sollen sie ihr Instrumentarium überarbeiten. Notwendig seien Folgenabschätzungen, Schuldentragfähigkeitsanalysen, angemessene Entschädigungen für die Klimaschäden, die durch Weltbank- und IWF-Projekte entstanden seien, und sofortige Änderungen der laufenden Darlehen. Es wird empfohlen, jährlich Sonderziehungsrechte auszugeben. Das solle sicherstellen, dass Liquiditätsrückstellungen nicht an bestehende Quoten gebunden sind, sondern sich am tatsächlichen Bedarf orientieren können.
Zu den weiteren Empfehlungen gehören die Förderung internationaler Steuer- und Handelsreformen. Sie sollen die Möglichkeiten der Länder erweitern, einen gerechten Wandel des Energiesystems herbeizuführen. Außerdem sollen Gemeinden und lokale Regierungen Zugang zum Wissen und zur Expertise der Weltbank erhalten, um eine demokratische, selbstbestimmte makroökonomische Politik zu ermöglichen.
Federico Sibaja, IWF-Kampagnenleiter bei Recourse, hält die bisherigen Reformbemühungen für nicht ausreichend. “Die begrenzte und schwache ‘Reform’-Agenda der internationalen Finanzinstitutionen in Verbindung mit ihrer wachsenden Interventionsmacht unter dem Deckmantel des Klimaschutzes gibt Anlass zu ernsthafter Besorgnis für die Länder des Globalen Südens, die um einen effektiven klimaverträglichen Entwicklungspfad kämpfen”, sagt er. Denn an dem “alten entwicklungspolitischen Denken, das den Aktivitäten von Weltbank und IWF zugrunde liegt, (oder an der globalen Finanzarchitektur insgesamt) hat sich wenig geändert”.
Die internationale Gemeinschaft müsse “kollektiv einen neuen Kurs einschlagen, um die Notlage der Armut und die wachsende Zahl globaler Herausforderungen” zu bewältigen, heißt es in einem Strategiepapier der Weltbank, das sie auf ihrer aktuellen Tagung im Marrakesch diskutiert. Regierungsteilnehmer sprechen angesichts dieser Weichenstellung von einer der wichtigsten Weltbankkonferenzen seit langer Zeit.
Zu den traditionellen Kernaufgaben der Weltbank – Bekämpfung von Armut und Reduzierung von Ungleichheit – soll nun auch der Schutz globaler öffentlicher Güter als drittes Ziel kommen. Die Weltbank will sich auf acht Herausforderungen konzentrieren:
Um die Ziele zu erreichen, “müssen wir die Mittel für die Entwicklungsfinanzierung erheblich aufstocken”, heißt es in dem Strategiepapier mit Blick auf den Finanzierungsbedarf zur Bewältigung der Transformation im Globalen Süden.
Ärmere Länder fürchten, dass es weniger zu einer Aufstockung als vielmehr zu einer Verschiebung der Mittel innerhalb der Weltbank kommen könnte. Damit stünden weniger Mittel für klassische Entwicklungsaufgaben bereit. Manche Fachleute teilen diese Befürchtung. Anders sieht es das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): “Die Reform wird nicht zulasten der ärmsten Länder oder zulasten von Armutsbekämpfung gehen“, sagte ein Sprecher Table.Media. Entwicklungsministerin Svenja Schulze setze sich für einen Ansatz ein, den man mit “more for more” beschreiben könne: Entwicklungsländer könnten über ihre eigentliche Zuteilung hinaus mehr oder günstigere Mittel von der Weltbank bekommen, “wenn sie für Investitionen eingesetzt werden, die nicht nur das entsprechende Land allein begünstigen, sondern auch Vorteile für die gesamte Menschheit und den Planeten haben.”
In jedem Fall benötigen Regierungen im Globalen Süden erheblich mehr Kapital für den Transformationsprozess. Deutlich wird dies am Beispiel Afrikas. Es erhält bislang nur drei Prozent der weltweiten Klimafinanzierung, wovon nur 14 Prozent aus dem Privatsektor kommen. Dabei ist der Kontinent nur für 3,8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, während 90 Prozent auf den globalen Norden entfallen.
Die Weltbankgruppe ist mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar der weltweit größte Finanzier nachhaltiger Entwicklung. Die USA und Deutschland halten zusammen knapp 20 Prozent der Anteile.
Einige Länder haben im Vorfeld der Jahrestagung neue Mittel für die Weltbank angekündigt. Deutschland wird in Höhe von 305 Millionen Euro Anleihen der Weltbank kaufen. Die Bank kann dies als sogenanntes Hybridkapital nutzen. Bei dieser Anleiheklasse kann das Ausleihvolumen bis zum achtfachen Faktor des Kapitals erhöht werden – die 305 Millionen Euro könnten also auf mehr als 2,5 Milliarden Euro Kreditsumme für Investitionen über einen Zeitraum von zehn Jahren gehebelt werden.
Das erstmals eingesetzte Instrument ist auch eine Möglichkeit, um ohne Zuführung von frischem Eigenkapital der Weltbank zu einem größeren Kreditvolumen zu verhelfen. Zwar gäbe es Staaten wie China, die bereit wären, das Kapital der Weltbank aufzustocken, wenn sie dafür im Gegenzug mehr Anteile erhalten. Aber dem dürften die USA momentan kaum zustimmen.
Kritische Stimme gibt es im Globalen Süden auch zur immer stärkeren Einbeziehung privater Finanzakteure in die Finanzierungsprojekte der Weltbank. Sie plädieren für mehr Zuschüsse aus dem Globalen Norden. Aber die Weltbank verfolgt schon jetzt einen Kaskadenansatz, nach dem jede Aufgabe, wenn möglich erst mit privaten Mitteln finanziert und öffentliche Mittel nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollen.
Der Premierminister der vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten Cook-Inseln im Südpazifik, Mark Brown, warnt davor, bei der Klimafinanzierung zu stark auf den Privatsektor zu setzen. Dieser erwarte stets eine Rendite, was gerade ärmere Länder, die Kredite in Anspruch nähmen, überfordere. Hier seien reiche Länder gefragt. “Länder wie unseres sollten kein Geld von Ländern borgen, die die Treibhausgase verursachen, um uns gegen die Wirkungen dieser Emissionen zu schützen.”
Schon jetzt stecken viele Länder des Globalen Südens in einer veritablen Schuldenkrise. “Schuldenerlasse sind aus unserer Sicht unabdingbar, um auch in stark verschuldeten Staaten die Weichen Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu stellen”, sagt Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung, einem Beratungsorgan der Bundesregierung.
Anders als Nationalstaaten kann die Weltbank ihren Schuldnern momentan keine Schulden erlassen. “Es fehlt ein Mechanismus, dabei wäre dies sinnvoll, um hoch verschuldeten Ländern Luft zu verschaffen”, sagt Bodo Ellmers, Direktor des Programmbereichs für nachhaltige Entwicklung bei der NGO Global Policy Forum. Anders sieht dies das BMZ: “Eine Beteiligung an Abschreibungen wäre auch mit negativen Konsequenzen für die ärmsten Länder verbunden, denn wenn die Bank ihren bisherigen Status als präferierter Gläubiger aufgibt, wird ihre Bonität (das Rating) schlechter und damit die Konditionen für die Kundenländer teurer.” Änderungen sind hier bei der Jahrestagung nicht zu erwarten, ebenso wenig wie ein Ausstieg der Weltbank aus der Finanzierung fossiler Projekte, was Entwicklungshilfe- und Umweltorganisationen fordern.
Die Finanzarchitektur von IWF und Weltbank bleibt weitgehend unangetastet. “Dabei bestreitet niemand mehr die Notwendigkeit einer Reform, aber über den Weg gibt es unterschiedliche Vorstellungen”, sagt Ellmers.
UN-Generalsekretär Guterres hatte kürzlich die Finanzarchitektur als “hoffnungslos veraltet” bezeichnet – sie zementiere Unterentwicklung, statt zu ihrer Überwindung beizutragen. Deutlich machte er dies anhand der Sonderziehungsrechte, mit denen der Internationale Währungsfonds (IWF) in Krisensituationen Liquidität für Staaten schaffen kann, was er das letzte Mal während der Pandemie tat. Aber weil er die Mittel – gemäß seiner Statuten – nur entsprechend der Beteiligungsquoten der Staaten vergeben kann, stieg die Liquidität reicher Länder deutlich an, während die ärmsten Länder kaum davon profitierten.
Die Schwesterinstitutionen IWF und Weltbank wurden seit ihrer Gründung vor mehr 75 Jahren, ausgestaltet nach den Vorstellungen der USA und Großbritanniens, nicht nennenswert strukturell reformiert. In beiden Organisationen hat der Westen daher nach wie vor bestimmenden Einfluss. Die USA verfügen sogar de facto über ein Vetorecht. Daran wird sich auch in Marrakesch wohl nichts Wesentliches ändern.
“Mit dem Festhalten an dieser Governance-Struktur könnte die Legitimität beider Institutionen weiter Schaden nehmen“, sagt Ellmers. Eine Weltbank, die das Wohl der Menschen und des Planeten in den Mittelpunkt stelle, “braucht zwingend demokratischere Prozesse”, sagt Ute Straub, bei Brot für die Welt für Entwicklungsfinanzierung zuständig.
Auch in China sind die Menschen wegen des Klimawandels besorgt. Sich auf die Straße zu kleben oder eine Sehenswürdigkeit mit Farbe zu besprühen ist in dem autoritär regierten Staat jedoch keine Option, um seinen Sorgen ein Ventil zu geben. Dabei spüren die Chinesen die Wetterveränderungen und ihre Folgen schon jetzt auf katastrophale Weise. Im Januar 2023 erklärte die chinesische Meteorologiebehörde, dass das Wetter in China im Jahr 2022 eindeutig anomal war und zu Extremen tendierte. Im Sommer erreichten die Temperaturen ein Rekordhoch, und im Herbst kam es zu unerwarteten Kälteeinbrüchen.
Aber eine öffentliche Debatte gibt es dazu in den Staatsmedien und interessanterweise auch in den Sozialmedien kaum. Die Forscher Chuxuan Liu und Jeremy Lee Wallace schreiben in ihrer Studie “China’s missing climate change debate”, dass auf Weibo, Chinas führender Social-Media-Plattform, nur 0,12 Prozent der “Trending Topics” zwischen Juni 2017 und Februar 2021 mit dem Klimawandel in Verbindung standen. Dabei ergab eine von der Europäischen Investitionsbank Ende 2019 durchgeführte Umfrage, dass 73 Prozent der chinesischen Bürger den Klimawandel als große Bedrohung ansehen. Zum Vergleich nur 47 Prozent der Menschen in Europa und 39 Prozent in den USA sheen das so. Dass es das Thema in der öffentlichen Diskussion in China so schwer hat, hat mehrere Gründe.
Umweltorganisationen und NGOs werden strenger überwacht. In den letzten Jahren haben die Behörden zahllose Umweltschützer und Whistleblower verwarnt und verhaftet und Bürgerinitiativen ausgehebelt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 verpflichtet zudem alle ausländischen NGOs, mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten. Das hat laut vielen Beteiligten zu einer verstärkten Selbstzensur geführt.
Laut einem Bericht von Bloomberg werden Journalisten der staatlichen Medien dazu angehalten, nicht über Themen wie die Bedrohung der reichen Küstenstädte durch den steigenden Meeresspiegel zu berichten. Investigative Artikel über Umweltschäden bleiben auf Vergehen in einzelnen Provinzen oder Regionen begrenzt. Phänomene wie die Fridays-For-Future-Demos im Westen wurden in Artikeln der Staatsmedien als emotional, radikal und chaotisch verunglimpft. Greta Thunberg ist auch in den sozialen Medien eher Ziel des Spotts und gilt vielen als eine typische Verkörperung des westlichen “Baizuo 白左”, ein abwertender Begriff für die woke Linke, die anderen ihre Regeln aufzwingt. Auch kursieren in Chinas Netzwelt viele Verschwörungstheorien, die den Klimawandel als Fakt anzweifeln. Die junge Aktivistin Howey Ou, die kurzzeitig als “chinesische Greta” galt, protestiert mittlerweile lieber im Ausland gegen den Klimawandel.
Die Bildung an Schulen und die Berichterstattung in den Medien richtet den Fokus vor allem darauf, wie das Individuum einen kleineren ökologischen Fußabdruck erzielen kann. Beispiele dafür sind Abfalltrennung, Recycling und umweltbewussten Konsum. Die Rolle Chinas als größter CO₂-Emittent bei der globalen Erwärmung wird dagegen heruntergespielt. Der Tenor lautet: China bemühe sich nicht nur, mit grüner Technologie seinen Teil zum Klimaschutz beizutragen, es agiere mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden, auch als Vorbild für andere Länder. China habe jedoch gleichzeitig das Recht, sich in seinem eigenen Tempo zu entwickeln. Die Probleme, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sieht, seien schließlich zuallererst von den großen Industrienationen des Westens verursacht worden.
Umweltschützer sehen in der schwachen Einbindung der Zivilbevölkerung eine verpasste Chance. Auch in der jüngeren Vergangenheit hat kollektiver Druck aus dem Volk durchaus Macht zur Veränderung entfaltet. Vor etwa einem Jahrzehnt veranlasste etwa eine von der Bevölkerung getragene Kampagne gegen die Luftverschmutzung die chinesische Führung dazu, sich ernsthaft dem Smog-Problem anzunehmen, insbesondere in den großen Städten. Ein wichtiger Faktor war dabei auch der selbst finanzierte Dokumentarfilm “Under The Dome” der chinesischen Journalistin Chai Jing. Er verbreitete sich im Netz so schnell, dass die Zensur zunächst nicht hinterherkam.
Doch letztendlich ist die Furcht der Regierung vor einer destabilisierenden Wirkung eines offenen Aktivismus zu groß. Wohin also mit der Angst der Bevölkerung? Manche sind der Meinung, dass sie in der Empörung gegenüber ausländischen Umweltskandalen und als tendenziell diffuse Eco-Anxiety ein Ventil findet. Als Japan im Sommer Abwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima ins Meer verklappte, kam es in China zu Hamsterkäufen, vor allem von Salz. Und das, obwohl eine wissenschaftliche Grundlage für die Panik nicht gegeben war.
Auch im nach wie vor boomenden Science-Fiction-Genre in China, in dem der Klimawandel bislang kaum vorkam, zeichnet sich eine Veränderung ab. Autoren wie Chen Qiufan und zuletzt Gu Shi flechten Szenarien von Umweltkatastrophen und steigenden Meeresspiegeln in ihre literarischen Werke ein. Bei beiden spielt dabei Künstliche Intelligenz als Gegenmittel eine wichtige Rolle. Das spiegelt sich auch in den Zielen der Regierung wider, die der KI ähnlich optimistisch begegnet wie die USA einst den Errungenschaften der Atomenergie. So will Peking die Technologie in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens einsetzen, um Milliarden Tonnen an Kohlenstoffemissionen einzusparen. Auch so bleibt eine vage Hoffnung gewahrt, die die Chinesen davon abhält, geschlossen auf die Straße zu gehen.
12. Oktober, 9 Uhr, Berlin
Tagung International Pathways to Net-Zero
Der Weltenergierat – Deutschland lädt zu seinem “Energietag 2023” ein. Die Konferenz findet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) in Berlin unter dem Motto “International Pathways to Net-Zero” statt. Infos
13. Oktober bis 3. März, Frankfurt
Ausstelllung Bending the Curve – Wissen, Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität
Die Herbstausstellung 2023 im Frankfurter Kunstverein beschäftigt sich mit dem alarmierenden Verlust von Biodiversität. Die Ausstellung zeigt vielfältige Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, die zur Erholung der Ökosysteme beitragen. Infos
13. Oktober, 10.30 Uhr, Berlin
Diskussion Transformation made in Europe – Wie wird die europäische Industrie zukunftsfähig, nachhaltig und klimaneutral?
Der Vorschlag des “Net Zero Industry Act” der Europäischen Kommission im März ist nicht nur eine Reaktion der Europäischen Union auf den US-amerikanischen “Inflation Reduction Act”. Sondern er soll auch nachhaltige Investitionen in Europa fördern. Bei der Podiumsdiskussion diskutieren die Europäische Kommission in Deutschland und der Naturschutzring, wie eine sozial-ökologische Wende gelingen kann. Infos
15. Oktober, Polen
Wahlen Parlamentswahlen
Am Sonntag finden in Polen Parlamentswahlen statt. Die größte Oppositionspartei liegt in Umfragen nur knapp hinter der regierenden PiS-Partei.
16. Oktober, 11 Uhr, Online
Webinar Ensuring conflict sensitivity in the Loss and Damage Fund
Die Diskussion ist Teil einer Webinar-Serie der Berlin Climate and Security Conference. Es wird diskutiert, wie der Loss and Damage Fund gegen Konflikte abgesichert werden kann. Infos
16. bis 18. Oktober, Potsdam
Konferenz Cross-border climate impacts and systemic risks in Europe and beyond
Die Konferenz wird vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ausgerichtet. Sie bringt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie grenzübergreifend besser auf die Herausforderungen durch die Klimakrise reagiert werden kann. Infos
16. bis 18. Oktober, Rom
Konferenz World Conference on Climate Change and Sustainability
In diesem Jahr steht die “World Conference on Climate Change and Sustainability” unter dem Motto “Advancing Nature and Positive Solutions for Net Zero and Sustainable Future”. Sie bringt verschiedene Akteure zusammen, die über eine resilientere Zukunft diskutieren werden. Infos
17. Oktober, 9 Uhr, Online
Webinar Sustainable Finance for Clean Energy in ASEAN
Dieses Webinar wird von der Internationalen Energieagentur (IEA) organisiert. Es geht der Frage nach, wie die Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) Finanzierungen zum Erreichen von Netto-Null-Zielen erhalten können. Infos
18. Oktober, 14 Uhr, Online
Webinar Scaling Hydrogen Shipping While Reducing Emissions: What Are The Solutions?
In dem Webinar der Florence School of Regulation werden Lösungsansätze für den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Schifffahrt diskutiert. Es geht unter anderem darum, wie Wasserstoff sicher und effizient transportiert werden kann. Infos
Die EU-Institutionen konnten sich am Dienstag nicht auf einen Kompromiss für eine Methanregulierung einigen. Dabei könnte eine weitreichende Regulierung, die auch auf Methanemissionen in den außereuropäischen Produktionsländern von Erdgas, Öl und Kohle angewendet wird, weitreichende Methanreduktionen herbeiführen. Laut Schätzungen der Clean Air Task Force (CATF) könnte ein EU-Importstandard für Methanemissionen ein Drittel der weltweiten Methanemissionen aus dem Öl- und Gassektor reduzieren. Das wäre laut CATF ein wichtiger Schritt zur Erreichung des Global Methane Pledge im Jahr 2030. In dieser Initiative haben sich 150 Staaten zusammengeschlossen, um die Emissionen bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 zu senken.
Ein Vorschlag des EU-Parlaments für eine EU-Regulierung sieht einen solchen Importstandard vor. Dadurch müssten auch die Produktionsländer von Öl- und Gas Maßnahmen ergreifen, um die Methanemissionen während der Produktion und dem Transport der fossilen Rohstoffe zu senken. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht keine strikte Importregulierung vor. Der EU-Rat sei aber offen für “eine Ausweitung der Kontrollen auf Importe”, gibt das Medium Contexte eine Quelle aus dem Parlament wieder. Laut CATF würde eine Importnorm “die Methanemissionen 20-mal stärker verringern als eine Regelung, die nur die inländische Öl- und Gasproduktion in der EU betrifft”. Es besteht Hoffnung, dass sich die EU-Institutionen noch vor der COP28 einigen werden. Jutta Paulus, treibende Kraft hinter der Methanregulierung, sagte gegenüber Table.Media: “Es ist gut, dass von allen Verhandlungspartnern bekräftigt wurde, mit einer wirkungsvollen Einigung zur neuen EU-Methanverordnung zur Klimakonferenz nach Dubai fahren zu wollen.”
Die EU-Staaten importieren mehr als 80 Prozent ihres Gas- und Ölbedarfs und sind der weltweit größte Importeur. Demnach hätte eine Regulierung der Im- und Exporteure weitreichende Folgen. Das EU-Parlament fordert beispielsweise:
Die Mehrwertsteuer auf Gas soll in Deutschland bereits zum Jahreswechsel wieder von 7 auf 19 Prozent steigen. Für den Klimaschutz ist das hilfreich. Denn durch den Anstieg und die gleichzeitige Erhöhung des CO₂-Preises für Gas werden Wärmepumpen im Vergleich zu Gasheizungen wieder attraktiver.
Eine Formulierungshilfe für eine entsprechende Gesetzesänderung hat das Kabinett am Mittwoch auf Vorschlag von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beschlossen. Ursprünglich sollte der reduzierte Mehrwertsteuersatz, der während der Gaskrise am 1. Oktober 2022 eingeführt worden war, bis zum 1. April 2024 gelten. Unions-Vize Andreas Jung kritisiert den Plan: “Eine Zusatzbelastung mitten im Winter” sei “ganz sicher das falsche Signal”, erklärte er. Der Energieversorger-Verband BDEW warnt vor der Gefahr steigender Gaspreise “für viele Haushalte”.
Tatsächlich sind die Auswirkungen aber minimal. Denn die Gaspreise sind zuletzt wieder stark gesunken: Kurz bevor der Mehrwertsteuersatz gesenkt worden war, lagen die Gaskosten für Haushalte bei neuen Verträgen im Schnitt bei 30 bis 40 Cent pro Kilowattstunde. Aktuell beträgt der Preis wieder weniger als 9 Cent pro Kilowattstunde; durch den Wiederanstieg der Mehrwertsteuer würden daraus 10 Cent. Weil die starken Preissenkungen für Neuverträge erst mit Verzögerung bei den Bestandskunden ankommen, dürften die Gaspreise in diesem Winter für die meisten Haushalte trotz der Mehrwertsteuererhöhung deutlich sinken.
Im Gesetz, mit dem die Steuer 2022 gesenkt wurde, fand sich die Warnung, dass dadurch der Gasverbrauch steigen und somit die Nachhaltigkeitsziele gefährdet werden könnten. Tatsächlich war durch die aktuell günstigen Preise eine Gasheizung im Betrieb in manchen Fällen wieder günstiger als eine stromgetriebene Wärmepumpe. Das Verhältnis dürfte sich nun wieder zugunsten der Wärmepumpe verschieben. mkr
Kommenden Montag wollen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union beim Treffen der EU-Umweltminister auf ihr Verhandlungsmandat für die UN-Klimakonferenz in Dubai Ende November (COP28) einigen. Aus einem Entwurf der EU-Position – datiert auf den 29. September – geht hervor, dass der Einsatz von CO₂-Entnahmen (CCS) zum Erreichen der Klimaziele im Energiesektor nach wie vor umstritten ist.
Es heißt in dem Papier zwar, der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel erfordere den weltweiten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Doch davor steht noch immer das Wort “unabated” (unvermindert) in eckigen Klammern. Das bedeutet, ob das Wort im finalen Text auftaucht, ist noch immer Gegenstand von Diskussionen im Rat. Die Bezeichnung “unabated fossil fuels” wird im Kontext der internationalen Klimaverhandlungen für fossile Energieerzeugung ohne die Nutzung von CCS verwendet.
Die EU hat sich selbst zum Ziel gesetzt, CCS nur in den schwer zu dekarbonisierenden Sektoren anzuwenden. Die Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern zählt nicht dazu. Die EU-Kommission und der am Montag von den Mitgliedstaaten ernannte Klimakommissar Wopke Hoekstra wollen diese Forderung gerne auch global durchsetzen. Das Verhandlungsmandat für die COP28 legen jedoch die Länder fest.
In dem Entwurf fordern die Mitgliedstaaten auch schnellstmöglich die schrittweise Abschaffung “ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe” vor 2025. Die Definition von “ineffizienten” Subventionen ist jedoch sehr vage. In einem vorherigen Entwurf war noch von “umweltschädlichen fossilen Subventionen” die Rede. Dieser Zusatz wurde nun offenbar gestrichen.
Die EU-Umweltminister wollen kommende Woche auch über die Anhebung des bei der UN hinterlegten Klimaziels (NDC) entscheiden. Anfang der Woche hatten die Mitgliedsländer die überarbeitete Richtlinie für erneuerbare Energien (RED) sowie die ReFuelEU-Verordnung für den Luftverkehr angenommen. Die neue RED legt ein Ausbauziel von Erneuerbaren von 42,5 Prozent fest, ReFuelEU beinhaltet verpflichtende Quoten für nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF). Damit sind alle Vorhaben des “Fit for 55”-Gesetzespaketes von den Co-Gesetzgebern beschlossen und der Weg ist frei für die konkrete Umsetzung der EU-Klimaziele bis 2030.
Die angepasste Klimagesetzgebung der EU sorgt dafür, dass der Treibhausgasausstoß der EU bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 57 Prozent sinkt. Die EU hatte angekündigt, ihr derzeitiges NDC von minus 55 Prozent nach Abschluss der Verhandlungen auch offiziell auf den Wert von minus 57 Prozent anzuheben. luk/mgr
Saudi-Arabien will Anfang 2024 ein System für Treibhausgas-Zertifikate einführen. Es soll Unternehmen ermöglichen, ihre Emissionen durch den Kauf von Gutschriften aus Projekten auszugleichen, die Emissionen reduzieren oder der Atmosphäre entziehen.
Der Greenhouse Gas Crediting and Offsetting Mechanism (GCOM) wurde während der aktuellen MENA-Klimawoche der Vereinten Nationen in Riad ins Leben gerufen. Er soll Anreize für den Einsatz von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung schaffen, “um klimarelevante nationale Strategien, Politiken und Programme zu unterstützen und zu ermöglichen”, heißt es auf der GCOM-Website. Die Teilnahme an dem Programm, das mit den Regularien von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen soll, ist freiwillig und projektbasiert. Sie steht dem öffentlichen und privaten Sektor sowie Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen offen, heißt es weiter. rtr/luk
Rund 170 Millionen Euro hat Deutschland in dieser Woche für die Entwicklungszusammenarbeit im Senegal zugesagt. 100 Millionen davon sollen in eine sozial gerechte Energiewende fließen. Im vergangenen Juni hatten Senegals Staatspräsident Macky Sall, der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz sowie weitere internationale Partner eine sogenannte “Just Energy Transition Partnership” (JETP) auf den Weg gebracht. Die wird nach Angaben des Bundesministeriums für Internationale Zusammenarbeit (BMZ) jetzt mit Leben gefüllt. Insgesamt sollen im Rahmen der JETP mit dem Senegal in den kommenden drei bis fünf Jahren 2,5 Milliarden Euro mobilisiert werden.
Im Senegal gibt es großes Potenzial für den Ausbau von Erneuerbaren, besonders von Solarenergie. Innerhalb der JETP hat sich das Land verpflichtet, eine Langfriststrategie für die Energieversorgung zu erarbeiten. Dazu gehört beispielsweise, bis 2030 mindestens 40 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren zu beziehen. Der Senegal gewinnt nach Regierungsangaben bereits 30 Prozent seiner Energie aus Sonne, Biomasse, Wind- und Wasserkraft.
Erneuerbare spielen auch eine Schlüsselrolle bei dem Ziel bis 2025, die gesamte Bevölkerung ans Stromnetz anzuschließen. Aktuell haben rund drei Viertel der Menschen im Senegal Zugang zu elektrischer Energie. Die Bundesregierung will den Senegal auch mit Know-how bei seiner Energiewende begleiten. Kritik gab es an der Energiewende im Senegal zuletzt, weil das Land in diesem Jahr auch in die Gasförderung einsteigen will. Die werde aber laut der Bundesregierung nicht durch die JETP unterstützt. kul
Die Bundesregierung will in der Außenwirtschaftsförderung den Fokus stärker auf Investitionen in den Klimaschutz legen. Das sehen die neuen klimapolitischen Sektorleitlinien für Exportkredit- und Investitionsgarantien vor, zu denen nun Konsultationen unter anderem mit Wirtschaftsverbänden abgeschlossen sind. Wie es am Dienstag aus Kreisen des Wirtschaftsministeriums hieß, ist das Ziel der neuen Leitlinien, Innovationen und klimafreundliche Technologien sowie den Export grüner Technologien ins Ausland zu fördern. Zugleich solle die Finanzierung klimaschädlicher Aktivitäten perspektivisch beendet werden. Die neuen Leitlinien befinden sich innerhalb der Bundesregierung noch in der finalen Abstimmung.
Eng begrenzte Ausnahmen, unter denen eine Exportkreditgarantie noch übernommen werden kann, betreffen demnach vor allem den Sektor Gas. Eine Deckung für Gasförderprojekte kann übernommen werden, wenn etwa die Wahrung der nationalen Sicherheit das erfordert – also zum Beispiel zur Abwendung einer ernsthaften Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit.
Die Leitlinien für Exportkredit- und Investitionsgarantien betreffen drei Sektoren – Energie, Industrie und Transport. Festgelegt werden sollen drei Kategorien, wie es hieß:
Exportkreditgarantien schützen Exporteure und Banken vor wirtschaftlich und politisch bedingten Zahlungsausfällen. Investitionsgarantien sichern Investoren bei Auslandsinvestitionen gegen politische Risiken wie Enteignung, Krieg und Kapitalbeschränkungen ab. Mit den Garantieinstrumenten des Bundes seien günstigere Finanzierungskonditionen und auch eine politische Flankierung bei nicht reibungslosen Geschäften möglich, hieß es. dpa/nib
Die EU-Kommission will stärker gegen Greenwashing vorgehen. Zwei Richtlinien werden zurzeit in Brüssel verhandelt. Zum einen wurde das Thema mit der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel bereits angegangen. Sie verbietet unlautere Praktiken und schafft verbindliche Vorgaben für Produktlabel. Außerdem soll die Green Claims-Richtlinie verpflichten, umweltbezogene Aussagen über ihre Produkte mit einer Standardmethode zur Bewertung ihrer Umweltauswirkungen zu belegen.
Laut einer Studie der EU-Kommission von 2020 gibt es in der EU derzeit etwa 230 Nachhaltigkeit-Labels. In ihrem Transparenzgrad unterscheiden sie sich stark. Rund die Hälfte solcher Angaben auf Produkten und Dienstleistungen enthalte “vage, irreführende oder unbegründete Informationen“. 40 Prozent der Angaben können gar nicht belegt werden.
Erste Schritte wurden bereits umgesetzt: Laut der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel gelten zukünftig generische Umweltangaben wie “klimaneutral”, “umweltfreundlich” und “ökologisch abbaubar” ohne Beleg als unlautere Geschäftspraktiken. Auch Behauptungen, ein Produkt hätte neutrale, reduzierte oder positive Auswirkungen auf die Umwelt, wenn diese auf CO₂-Kompensation beruhen, werden als unlauter eingestuft. Im September einigten sich Rat, Kommission und Parlament auf einen Gesetzestext; dieser muss nun noch formal angenommen werden. Das Parlament stimmt voraussichtlich im November ab. Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten 24 Monate für die Umsetzung in nationales Recht.
Die im März von der Kommission vorgestellte Green-Claims-Richtlinie sieht Mindestanforderungen an die Begründung und Kommunikation freiwilliger umweltbezogener Angaben und Umweltkennzeichnungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor. Umweltbezogene Angaben sollen auf der Grundlage einer Methodik begründet werden, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, internationale Normen sowie weitere Kriterien der Kommission stützt. Nur Umweltangaben, die auf dieser Methodik basieren, dürfen kommuniziert werden. leo
Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) plädiert für eine Weiterentwicklung von Technologien zum Auffangen und Speichern von CO₂-Emissionen aus der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS). Laut einem heute veröffentlichen Policy Brief sei DACCS einer “der vielversprechenderen technologischen Ansätze, um negative Emissionen zu erzielen“.
Die Autoren des Fraunhofer ISI plädieren für eine “zeitnahe” Schaffung der “notwendigen Bedingungen”, um DACCS zum Durchbruch zu verhelfen. Die Weiterentwicklung der Technologie, der Aufbau von Produktionskapazitäten und Infrastrukturen für CO₂-Transport und -Speicherung seien zeit- und kapitalintensiv und müssten frühzeitig vorangetrieben werden, wenn “DACCS eine relevante Rolle im Klimaschutz spielen” solle, so die Fraunhofer-Forscher. Gleichzeitig dürfe eine Weiterentwicklung der Technologie “nicht zu Lasten anderer Klimaschutzmaßnahmen gehen und zu keinen neuen Pfadabhängigkeiten führen”.
Derzeit ist weder die Technologie noch das regulatorische Umfeld ausgereift, schreiben die Autoren:
Aktuell werden laut Internationaler Energieagentur (IEA) weltweit nur 18 DAC-Anlagen zum Auffangen von CO₂ aus der Umgebungsluft betrieben. Laut Fraunhofer-Briefing soll die Kapazität bis 2026 jedoch um den Faktor 200 zunehmen. Selbst dann bliebe aber eine große Lücke zwischen dem geplanten Kapazitätsausbau (2 Millionen Tonnen aufgefangenes CO₂ in 2026) und dem in internationalen 1,5-Grad-Szenarien vorgesehenen Ausbau (80 Millionen Tonnen CO₂ bis 2030 im IEA-Szenario).
Allerdings warnen die Forscher auch vor neuen “Pfadabhängigkeiten”. Die Nutzung von DACCS könne “kontraproduktiv” sein und zu einer “Verzögerung der Dekarbonisierung der Industrie” und dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen führen. Die IEA empfiehlt in ihrem kürzlich aktualisierten Netto-Null-Szenario für den Energiesektor, den Einsatz von DACCS “so weit wie möglich zu minimieren” und “der direkten Verringerung der Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und aus Anwendungen ohne Verbrennung Vorrang einzuräumen”. Doch wie die Fraunhofer-Forscher plädiert auch die IEA für eine beschleunigte Weiterentwicklung und einen schnelleren Einsatz der DACCS-Technologie. nib
Auch ohne weitere Zusagen zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wird die weltweite Kohleindustrie bis 2050 fast eine Million Arbeitsplätze abbauen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des US-amerikanischen Thinktank Global Energy Monitor (GEM). Die meisten Arbeitsplätze gehen demnach in Indien und China verloren.
In den kommenden Jahrzehnten werden weltweit hunderte arbeitsintensive Bergwerke schließen, wenn Kohleenergie durch saubere Energiequellen ersetzt wird, so GEM. Laut den Studien-Autoren haben die meisten Kohleminen noch keine Pläne, um den Übergang der Wirtschaft zu einer “Post-Coal-Economy” zu gestalten. Die Regierungen der betroffenen Länder müssten solche Pläne ausgestalten, fordern die Autoren. Der Kohleausstieg sei unvermeidbar, “wirtschaftliche Härten und soziales Unglück” könnten aber abgefedert werden. Die Hauptlast der Energiewende dürfe nicht von den Arbeiterinnen und Arbeitern getragen werden.
Allein bis 2035 seien demnach 400.000 Arbeiterinnen und Arbeiter von Minenschließungen betroffen. Wenn eine ambitionierte Klimapolitik durchgesetzt werde, könnten sogar noch deutlich mehr Arbeitsplätze wegfallen, so die Autoren.
Laut GEM befindet sich die große Mehrheit der aktuell mehr als 2,7 Millionen Kohlejobs in Asien. Allein in China arbeiten aktuell rund 1,5 Millionen Menschen in dem Bereich. Neben China und Indien werden auch in Russland, Indonesien, Polen, Südafrika und Australien noch besonders viele Arbeitsplätze verloren gehen. rtr/kul
Günstige Energie, gute Infrastruktur und ausreichend Arbeitskräfte – für die Ansiedlung von Industrie sind diese drei Faktoren seit jeher von zentraler Bedeutung. Ein Blick auf die Landkarte zeigt das sehr deutlich: Die Zentren der industriellen Revolution lagen nicht zufällig im Ruhrgebiet und Nordwesten Englands, wo große Städte, Kohlevorkommen und Wasserstraßen aufeinandertrafen. Doch die Zeiten von Kohle, Koks und Kumpels sind lange vorbei. Das fossile Zeitalter neigt sich dem Ende zu und investitionswillige Unternehmen suchen nach dem Treibstoff der nächsten Industrierevolution. Besonders im Fokus dabei: Windkraft und Wasserstoff. Für Süddeutschland eine schlechte Nachricht.
Wie wichtig Grünstrom für die Attraktivität eines Standorts ist, zeigt eine Umfrage, deren Ergebnisse die Stiftung KlimaWirtschaft mit der Denkfabrik EPICO und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor Kurzem veröffentlicht hat. Ihr Ergebnis: Rund 75 Prozent der Industrieunternehmen sehen in der Energieversorgung einen entscheidenden Standortfaktor. Gleichzeitig bewerten 80 Prozent die Versorgung mit Erneuerbaren im Norden perspektivisch als “eher gut” oder “sehr gut”. Für Süddeutschland ist das nur bei etwa 30 Prozent der Unternehmen der Fall.
Das ist ein Weckruf für den Süden, denn ohne grünen Strom und Wasserstoff droht die Abwanderung energieintensiver Industrie. Die Umfrage bestätigt damit die Annahme einer Sogwirkung grüner Energie auf die Industrie, die in der Theorie schon länger unter dem Begriff des “renewables pull effect” diskutiert wird: Geld folgt Grünstrom.
Die Gründe für den grünen Pull-Effekt liegen auf der Hand, denn ohne Erneuerbare können Unternehmen ihre Geschäftsmodelle nicht dekarbonisieren. Hinzu kommt, dass Instrumente wie der Emissionshandel die Kosten für fossile Energien deutlich erhöhen, während die Herstellungskosten von Wind- oder Solarstrom stetig fallen.
Ein Effekt, der voll durchschlagen könnte, wenn es zu der von der EU-Regulierungsbehörde ACER vorgeschlagenen Teilung des deutschen Strommarktes kommt. Dann nämlich würden Knappheiten die Preise im Süden in die Höhe schießen lassen, während es an der Küste ein Überangebot und Niedrigpreise gäbe. Ähnlich, wenn auch abgeschwächt, wäre auch die Wirkung der Netzentgelte-Reform, die die Bundesregierung bereits angekündigt hat.
Die Ergebnisse der Umfrage legen offen, wo Deutschland bei Erneuerbaren hinterherhinkt – nämlich im Süden. Die gute Nachricht: Die Lösung des Problems ist bekannt. Was benötigt wird, ist ein konsequenter Ausbau von Erneuerbaren, Stromnetzen, Speichertechnologien und Wasserstoff-Infrastruktur im ganzen Land. In Bayern und Baden-Württemberg sollte der Fokus dabei auf der Windkraft liegen, da Solarparks allein den Energiehunger der ansässigen Industrie nicht stillen können. Zu hohe Abstandsregelungen, langwierige Genehmigungen und uneinheitliche Artenschutzvorgaben – alles Windkraftbremsen, für die es jetzt “Servus” heißen muss.
Gleiches gilt für die Blockadehaltung beim Infrastrukturausbau, der mittlerweile nicht mehr nur den fehlenden Südlink betrifft. Zwar hat der Bau der Südlink-Trasse inzwischen begonnen, aber bisher sind nur 17 Kilometer des gesamten Streckenverlaufs genehmigt. Und auch Pipelines für Wasserstoff müssen zügig ausgebaut und der Umgang mit unvermeidbaren Emissionen (CCS/ CCU) geklärt werden. Ansonsten heißt es: Mia san abgehängt!
Die Lage ist ernst, denn der Pull-Effekt der Erneuerbaren wird in den USA längst als industriepolitisches Mittel eingesetzt. Man muss nicht nach Amerika schauen, um zu sehen, dass andere Länder beim Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich weiter sind als wir in Deutschland. In Dänemark, den Niederlanden und Schweden haben Investitionen in Erneuerbare nicht nur zu einer umweltfreundlicheren Energieversorgung geführt, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gestärkt.
Diese Länder haben gezeigt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile mit sich bringen kann. Als Export- und Industrienation muss Deutschland zügig aufholen. Ansonsten wird die fehlende Verfügbarkeit von günstigen erneuerbaren Energien zum Standortnachteil für die Wirtschaft.
Die Debatte um den Industriestrompreis zeigt: Das nötige Problembewusstsein für zu hohe Energiepreise ist in der Politik vorhanden, der Wind für eine breite Maßnahmenoffensive steht gut. Damit die Diskussion allerdings nicht nur bei kurzfristigen Lösungsansätzen verharrt, müssen auch Initiativen vorangebracht werden, die strukturelle Verbesserungen bewirken können. Ein geeignetes Mittel sind die neu eingeführten Klimaschutzverträge, durch die Mehrkosten von klimafreundlichen Produktionsverfahren gegenüber herkömmlichen Verfahren ausgeglichen werden. Nach ersten Berichten stoßen diese völlig neuartigen Operational-Expenditure-Förderungen in der Industrie auf reges Interesse. Das Problem ist nur, dass Finanzierung und Bedarf hier noch weit auseinanderklaffen.
Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Ertüchtigung intelligenter Stromnetze samt Smartmetern und flexibler Stromtarife, um Last- und Preisspitzen im Strommarkt zu glätten. Der bestehende Nachholbedarf ist hier leider hausgemacht. Anders ist es bei Fachkräften, wo Deutschland traditionell gut aufgestellt ist. Doch der industrielle Wandel erhöht auch hier den Druck auf bestehende Strukturen. Ausbauoffensive muss deshalb stets auch Ausbildungsoffensive heißen.
Andernfalls droht dem Industriestandort Deutschland langfristig das gleiche Schicksal wie den Fördertürmen des Ruhrgebiets, die heute nur noch für Ausstellungszwecke genutzt werden. Kulturerbe statt Zukunftstechnologie. Dass Deutschland den Wandel unter Druck meistern kann, hat die Energiekrise im Sommer 2022 jedoch beeindruckend gezeigt. Daraus sollten wir lernen.
Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft. Bernd Weber ist der Gründer und Geschäftsführer von EPICO KlimaInnovation, einer Denkfabrik für eine nachhaltige, marktbasierte und innovationsorientierte Klima- und Energiepolitik.