fossil geht die Welt zugrunde – diesen Eindruck könnte man durch unsere heutige Ausgabe gewinnen. Bulgarien will aus dem Kohleausstieg aussteigen, weil der Stromexport so lukrativ ist. In Kolumbien warnt der Finanzminister vor einer zu schnellen Energiewende – die Staatseinnahmen durch den Export von Öl und Kohle seien in Gefahr. Und in Alaska genehmigt Joe Biden ein großes Öl- und Gasprojekt. Die Regierung vor Ort freut sich über Einnahmen und Arbeitsplätze.
Für das Klima gibt es jedoch auch Hoffnungsschimmer. Sinken die Energiepreise wieder, könnten die fossilen Projekte ihre Profitabilität verlieren, wie unsere Analysen über Bulgarien und Kolumbien zeigen. Und vieles deutet auf eine weiter abnehmende Nachfrage nach Fossilen in den nächsten Jahren hin: Es werden weniger Kohlekraftwerke geplant; und die EU will sich auf der COP28 weiter für ein Ende der Fossilen einsetzen.
Unsere heutige Ausgabe macht deshalb einmal mehr die Notwendigkeit einer gerechten Energiewende deutlich. Brechen Staatseinnahmen aus dem Export fossiler Energieträger weg, drohen zuerst die ohnehin schon Abgehängten und einfache Arbeiterinnen und Arbeiter beispielsweise aus dem Kohlebergbau zu leiden. Die Themen Klimafinanzierung und “Just Transition” werden uns spätestens zur Weltbank-Frühjahrstagung im April wieder beschäftigen.
Wir bleiben für Sie am Ball!
Beste Grüße
Die Energiewende in Kolumbien ist kein einfaches Unterfangen. Kolumbiens Finanzminister José Antonio Ocampo sagte im Juli letzten Jahres: “Wir müssen nach mehr Gas suchen. (…) Selbstversorgung ist ein klares Ziel, wir müssen sogar weiterhin Öl exportieren, sonst bekommen wir ein unbeherrschbares Problem mit der Zahlungsbilanz.”
Seit etwas mehr als einem halben Jahr wird Kolumbien von Gustavo Petro regiert, dem ersten linksgerichteten Präsidenten des lateinamerikanischen Landes. Schon im Wahlkampf hatte er angekündigt, die historische Abhängigkeit des Landes von Öl, Gas und Kohle zu beenden. Derzeit stammen 56 Prozent der Exporteinnahmen aus fossilen Quellen.
Die kolumbianischen Regierung hofft, dass Kolumbien in Zukunft auch grünen Wasserstoff exportiert. Dadurch sollen die wegfallenden Einnahmen aus dem Erdölexport ersetzt werden. Auf kolumbianischen Wasserstoff hofft auch Robert Habeck, deutscher Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Er will die deutsche Energieversorgung langfristig sichern. Nach einigen Tagen in Brasilien, ist Habeck noch bis Donnerstag in Kolumbien. Er kündigte an, dass er mit beiden Ländern “grüne Wertschöpfungsketten für mehr Wohlstand und Klimaschutz” etablieren möchte. In Kolumbien sei das Potenzial für grünen Wasserstoff “sehr, sehr groß”, Deutschland wolle dabei helfen, eine Wasserstoffindustrie aufzubauen.
Doch kolumbianische Expertinnen und Experten sehen das kritisch: “Wir sollten nicht eine Abhängigkeit durch eine andere ersetzen”, meint Nadia Catalina Combariza Diaz, Gründerin des Thinktanks POLEN Transiciones Justas. Ihre Kritik richtet sich besonders gegen riesige Wind- und Solarparks an Kolumbiens Karibikküste, besonders in der Region La Guajira, wie sie beispielsweise Analysen des kolumbianischen Ministeriums für Energie und Bergbau sie vorschlagen. “In der Region haben viele Menschen selbst noch gar keinen Zugang zu elektrischer Energie oder Trinkwasser“, sagt Combariza Diaz.
Andrés Gómez von der Nichtregierungsorganisation Censat Agua Viva sagt zu den Plänen, Wasserstoff zu exportieren: “Das hört sich für mich nach Energiekolonialismus an”. Er wirft Europa vor, es wolle saubere Energie zulasten anderer Länder importieren. Außerdem sei der Import von Wasserstoff aus Lateinamerika für Europa ineffizient und teuer. Stattdessen wünscht sich Gómez internationale Hilfe für die Energiewende und den Ausstieg aus fossilen Energieträgern in Kolumbien – zum Beispiel durch überarbeitete Just Energy Partnerships oder einem Erlass von Schulden im Gegenzug für Klimaschutz.
In Petros Kabinett gibt es unterschiedliche Meinungen zum Tempo der Energiewende. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte die Ministerin für Energie und Bergbau, Irene Veléz-Torres: “Wir haben beschlossen, im Rahmen unseres Engagements im Kampf gegen den Klimawandel keine neuen Aufträge für die Gas- und Erdölexploration zu vergeben.” Ihr Ministerium steht also im Konflikt zu Finanzminister Ocampo. Nach einer Untersuchung würden die aktuellen Förderkapazitäten schon Öl und Gas bis 2037 sichern. Später ruderte ein Vertreter des Finanzministeriums wieder zurück und sagte, das sei keine Entscheidung der Regierung. Wie genau die kolumbianische Energiewende aussehen soll, steht spätestens im Mai fest. Da will die Regierung einen “Fahrplan für eine gerechte Energiewende” vorlegen.
“Die Ideen der Regierung sind ambitioniert und gehen in die richtige Richtung”, sagt Gómez von der NGO Censat zu den Plänen einer Energiewende in Kolumbien. Besonders wichtig findet er, dass Energieversorgung in der Zukunft partizipativer werden soll. “Es gibt auch viel Widerstand gegen die Pläne”, fügt er hinzu. Das Argument: Der schrittweise Ausstieg von fossilen Energieträgern schade der kolumbianischen Wirtschaft, in einer Zeit, in der die Regierung sowieso schon zahlreiche teure Sozialprogramme durchsetzen möchte.
“Es wird nicht einfach, die Einnahmen aus den fossilen Energieträgern zu ersetzen“, meint auch Combariza Diaz vom Thinktank POLEN. “Kolumbien produziert fossile Energie nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch für den Export”. Trotzdem sei eine ambitionierte Energiewende nötig. Wichtig sei es dabei aber, echte Alternativen für die Menschen, die aktuell im Energiesektor arbeiten, anzubieten.
Der Strommix in Kolumbien ist relativ sauber:
Wind, Solar und Bioenergie spielen nur untergeordnete Rollen – obwohl das Land in allen drei Bereichen eigentlich große Kapazitäten hat, allerdings ist der Ausbau konfliktbehaftet: In der Guajira, im Norden von Kolumbien, gibt es riesige Wind- und Solarparks, die zum Teil bereits gebaut wurden, aber noch nicht an das Netz angeschlossen sind, erzählt Combariza. “Das Problem ist, dass die Betreiber der dort stattfindende Projekte zu spät in Dialog mit der lokalen, indigenen Bevölkerung getreten sind und kaum bereit sind auf wichtige Forderungen der lokalen Bevölkerung, etwa Miteigentümerschaft, einzugehen“.
Die Gesamtenergiebilanz ist deutlich schlechter: Rund 80 Prozent des Energiebedarfs werden aus fossilen Energieträgern gedeckt. Eine Herausforderung ist der Transportsektor – fast alles läuft in Kolumbien über die Straße. “Aufgrund von weiten Entfernungen und geografischen Gegebenheiten wird es auch nicht möglich sein, den Sektor völlig zu elektrifizieren”, gibt Combariza zu bedenken.
Ein weiteres großes Problem: 36 Prozent der Emissionen des Landes kommen aus Abholzung und Landnutzungsveränderungen – besonders im kolumbianischen Amazonasgebiet. Laut dem Climate Action Tracker liegen auch 70 Prozent des Klimaschutzpotenzials in dem Sektor.
Kolumbien produziert mehr als 80 Prozent der Kohle in Lateinamerika. Vor einiger Zeit sah es noch so aus, als würde der Kohleabbau in Kolumbien fast automatisch durch den niedrigen Kohlepreis auf dem Weltmarkt enden. Erste Minen wurden bereits geschlossen. Die Regierung arbeitete an einem Verbot von Tagebauen. Mit dem Krieg in der Ukraine stiegen dann plötzlich wieder die Nachfrage und der Preis von Kohle an, und das Land begann erneut, verstärkt Kohle zu exportieren – auch nach Deutschland.
Im Zusammenhang mit Kohleproduktion kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Combariza ist sicher, dass der Kohleausstieg schon wirtschaftlich Sinn ergibt: “Bis 2030 verliert Kolumbien mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Großteil der Märkte für Exportkohle“. Gómez sieht das ähnlich: Ein schneller Plan zum Ausstieg aus der Kohle sei auch wichtig, damit Kolumbien nicht mit Fehlinvestitionen (“Stranded Assets”) aus dem Kohleabbau zurückbleibe.
Bulgarien und die EU befinden sich in der Klima- und Energiepolitik derzeit auf Kollisionskurs. Im Januar:
Das Parlament beauftragte am 12. Januar die momentane Übergangsregierung, den Konjunktur- und Resilienzplan des Landes mit Brüssel neu auszuhandeln. Darin hatte sich Bulgarien verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis Ende 2025 um 40 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Bisher hat Bulgarien seine CO₂-Emissionen zwischen 1988 und 2017 um 47 Prozent gesenkt. Seit 2019 sind die CO₂-Emissionen allerdings von 42,3 auf 42,6 Millionen Tonnen in 2021 sogar leicht gestiegen.
Das Klimaziel aus dem Resilienzplan bedeutet, dass Kohlekraftwerke geschlossen werden müssen. Doch nach Protesten von mehr als 1.500 Bergleuten und Energieversorgern vor seinenTüren erklärte das Parlament, dass die Kohlekraftwerke bis 2038 in Betrieb bleiben sollen. Bulgarien deckt etwa 40 Prozent seines Strombedarfs aus Kohle und 36 Prozent aus Kernkraft.
Der Rückzieher Bulgariens könnte das Erreichen der EU-Klimaziele gefährden. Bei der niedrigsten Wirtschaftsleistung pro Kopf in der EU hat Bulgarien die kohlenstoffintensivste Wirtschaft und erzeugt viermal mehr Emissionen als der EU-Durchschnitt.
Das Festhalten an der Kohle hat noch einen anderen Grund: Bulgarien verdient damit derzeit gutes Geld. Die Strompreise sind durch die Energiekrise in Europa seit dem Jahr 2021 stark gestiegen. “Die bulgarischen Kohlekraftwerke, die zuvor Verluste gemacht haben, konnten nun erhebliche Gewinne erwirtschaften”, sagt der ehemalige bulgarische Umweltminister Julian Popov gegenüber Table.Media. “Wenn der Strompreis über 150 Euro pro Megawattstunde steigt, was im vergangenen Jahr mehrmals der Fall war, machen die Kohlekraftwerke in Bulgarien Gewinne – trotz der Zahlung von CO₂-Zertifikaten und ihrer Betriebskosten.”
Im Jahr 2022 verdiente Bulgarien rund drei Milliarden Euro mit Stromexporten in Nachbarländer, darunter Serbien, Rumänien, die Türkei und Griechenland. Das ist dreimal so viel wie im Vorjahr. “Es gibt also auch ein starkes finanzielles Argument für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken”, sagt Popov. Da sich die meisten Kohlekraftwerke in Staatsbesitz befinden, füllen sie die Staatskasse. Die Regierung kann damit Unternehmen und Verbraucher von hohen Strompreisen entlasten.
Das EU-Programm für Resilienz- und Wiederaufbau sichert dem Land 6,3 Milliarden Euro zu, davon zwei Milliarden für den grünen Umbau des Energiesektors. Weil aber die Einnahmen aus dem Stromexport höher liegen, drängten die Gewerkschaften auf den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke, so Popov.
Die Europäische Kommission kennt die bulgarische Forderung. Bisher habe man aber aus Sofia noch keinen formellen Antrag zur Überarbeitung des Konjunktur- und Resilienzplans erhalten, erklärte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von Table.Media. Solche Änderungen gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn Länder objektiv die Pläne nicht erfüllen können. Eine Missachtung des Plans könne “erhebliche finanzielle Folgen für das Land” haben, erklärte der Sprecher. Dazu gehöre die “teilweisen Aussetzung und Kürzung” von EU-Geldern. Im Dezember 2022 erhielt Bulgarien eine erste Tranche in Höhe von 1,37 Milliarden Euro. Insgesamt sieht der Plan Unterstützung in Höhe von knapp 6,3 Milliarden Euro vor.
Mitte Februar erklärte der stellvertretende Energieminister Elenko Bozhkov, dass Bulgarien nach dem 30. März mit Brüssel neu über den Plan verhandeln wolle. Sofia spielt auf Zeit, denn am 2.April sind Parlamentswahlen. Deren Ausgang wird aber kaum etwas an der Meinung des Parlaments ändern. Denn der Antrag zum Ausstieg aus dem Kohleausstieg fand dort mit 187 Ja- und lediglich zwei Nein-Stimmen eine fast vollständige Mehrheit aller Parteien. Immerhin betrifft der Ausstieg etwa 15.000 Arbeitsplätze im Bergbau und in der Stromerzeugung und noch einmal etwa doppelt so viele indirekt. Der Kohleausstieg ist im Land daher nicht beliebt.
Ohnehin spielten die Entscheidungsträger in Sofia oft ein doppeltes Spiel mit Brüssel, stellt Energieexperte Toma Pavlov in seiner Studie über die politische Ökonomie der Kohle fest. Obwohl sie die EU-Klimapolitik offiziell unterstützen, behinderten sie die Umsetzung zu Hause.
Erneuerbare Energien könnten die Energiesicherheit in Bulgarien fördern. Zwischen 2010 und 2013 stieg ihr Anteil durch eine Einspeisevergütung schnell an. Seit sie 2015 abgeschafft wurde, stagnierten die Investitionen.
“Bis 2015 hat Bulgarien etwa 1,9 GW an Wind-, Solar- und Biomasseenergie zugebaut. Seitdem sind kaum neue Kapazitäten hinzugekommen”, sagt Martin Vladimirov, Direktor des Energie- und Klimaprogramms am Centre for the Study of Democracy. Schlupflöcher im Gesetz ermöglichen es den Netzbetreibern, Anschlüsse zu verweigern.
Am 26. Januar verklagte die EU-Kommission Bulgarien wegen mangelnder Umsetzung der EU-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien vor dem EuGH. Dem Land drohen auch hier finanzielle Sanktionen. Die Richtlinie fordert ein EU-Ziel von mindestens 32 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 und sieht dafür Fördermaßnahmen vor. Im Februar schließlich erklärte die bulgarische Regierung, sie habe das Gesetz über erneuerbare Energien geändert. Diese Gesetzesänderung aber muss das neue Parlament nach den Wahlen am 2. April genehmigen.
Bald werden die Strompreise in Europa wieder sinken, und die Kohlekraftwerke in Bulgarien wieder Verluste machen, meint Julian Popov. “Das Ende der Kohle wird nicht durch die Vereinbarung mit Brüssel kommen, sondern durch das Wachstum der Erneuerbaren und niedrigere Strompreise. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird die bulgarische Kohleindustrie zusammenbrechen“, so sein Fazit. Von Komila Nabiyeva
Ein Beschluss der EU-Staaten von vergangenem Donnerstag legt die Ziele der europäischen Klima- und Energiediplomatie für dieses Jahr fest. Faktisch handelt es sich bei dem Dokument um die Prioritäten für die Vorbereitung der nächsten Weltklimakonferenz (COP28) im November in Dubai. Dass es dabei vorrangig um die Vermeidung von Treibhausgasen (THG) gehen würde, war nach der vergangenen COP27 in Sharm el-Sheikh zu erwarten. Dort war es der EU nicht gelungen, signifikante Fortschritte in dem Bereich zu erzielen.
Wichtigstes Thema für die 27 EU-Staaten: Das globale Ende der fossilen Energieerzeugung. Allerdings ist die Forderung, wie immer auf dem internationalen Klimaparkett, mit einer Einschränkung versehen: Kraftwerke, bei denen ausgestoßene Treibhausgase abgeschieden und am Entweichen in die Atmosphäre gehindert werden können, dürften weiterlaufen. Unter Forscherinnen und Forschern gibt es jedoch erhebliche Zweifel, ob eine hundertprozentige Abscheidung möglich und vor allem rentabel ist. Die Forderung nach einem Ende von sogenannten “unabated fossil fuels” ist daher nahezu gleichbedeutend mit einem vollständigen Ende der fossilen Energieträger.
Auch staatliche Subventionen für fossile Infrastruktur sollen “allmählich” abgeschafft werden, sofern sie nicht “zu einem gerechten Übergang zu klimaneutralen Energiesystemen beitragen”. Der Zusatz bedeutet, dass vor allem in stark von Kohlekraft abhängigen Entwicklungsländern auch weiterhin in Gasinfrastruktur investiert werden könnte, wenn Gas dort als Übergangstechnologie eingesetzt wird. Lediglich bei neuer Kohleinfrastruktur wird eine “sofortige Einstellung jeglicher Finanzierung in Drittländern” gefordert. Somit besteht kein zwingender Widerspruch zwischen den COP28-Prioritäten und den deutschen Plänen, im Senegal in die Gasförderung zu investieren.
Weitere zentrale Forderungen der EU-Länder für die Klima- und Energiediplomatie:
Die EU-Staaten fordern insbesondere die Hauptemittenten und G20-Mitglieder auf, höhere und 1,5-Grad-kompatible Klimaziele (NDC) noch deutlich vor der COP28 festzulegen. Spannend an der Forderung ist, dass die EU ebenfalls noch eine Erhöhung ihres NDC schuldig ist. In ihrem 17-seitigen Dokument wiederholen die Mitgliedstaaten lediglich ihre Bereitschaft aus dem COP27-Mandat, ihr Klimaziel anzuheben, wenn das EU-Klimapaket “Fit for 55” fertig verhandelt ist.
Allerdings ist nicht ausgemacht, dass alle Gesetzesvorschläge des Pakets zur Umsetzung des EU-Klimaziels bis zur COP28 fertig verhandelt sind. Die zuletzt heftig umstrittene Gebäuderichtlinie ist auch Teil des Pakets und dürfte noch einmal für langwierige Abstimmungen zwischen den Mitgliedstaaten und schließlich auch den EU-Institutionen sorgen.
Die EU-Staaten werfen zudem einen Blick auf den in Dubai anstehenden “Global Stocktake” – eine weltweite Bestandsaufnahme für die Ziele aus dem Pariser Abkommen. Die EU-Länder fordern klare Leitlinien für die nächste Generation der NDCs über 2030 hinaus. Diese sollen 2025 vor der COP30 bei der UN eingereicht werden.
Zwar werden die EU-Staaten nicht konkret, wie sie sich den in Sharm el-Sheikh vereinbarten Fonds für Verluste und Schäden infolge des Klimawandels in besonders vulnerablen Ländern (Loss and Damage) vorstellen. Jedoch rufen sie “über die traditionelle Basis der Geber bei der Entwicklungsfinanzierung hinaus alle Partner aus allen Regionen, die dazu in der Lage sind, auf, ihre Unterstützung auszuweiten”. Damit dürfte vor allem China gemeint sein, das sich in der Vergangenheit dagegen gewehrt hat, als Geberland eingestuft zu werden. China beharrt auf seinem Status aus der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 als Entwicklungsland.
Der Beschluss der EU-Länder hätte eigentlich schon zwei Wochen vorher abgestimmt werden sollen, scheiterte jedoch an einer Formulierung zu Kernenergie. In der finalen Version fehlt ein direkter Bezug. Es heißt jedoch, dass “auch die Einführung sicherer und nachhaltiger CO₂-armer Technologien gefördert” wird. In klimapolitischen Kreisen ist nachhaltige CO₂-arme Technologie in der Regel Nuklearenergie, was bedeuten würde, dass die EU auch diese Energieform zur Erreichung der Klimaziele verwenden könnte.
Mit neuen “Naturzertifikaten” und verbesserten freiwilligen CO₂-Gutschriften wollen Wald- und Klimaschützer die weltweiten Regenwälder mit ihrer Artenvielfalt schützen und gleichzeitig den Markt der umstrittenen privaten Klimafinanzierung reformieren. Die neuen freiwilligen Lizenzen sollen die Finanzierung von Waldschutz, Kohlenstoffspeicherung und Artenvielfalt sichern, aber nicht als Ausgleich für Umweltschäden von Unternehmen gelten.
“Die Nationen der Welt müssen sich zusammentun, um ein Wirtschaftsmodell zum Schutz der Wälder vorzuschlagen”, sagte Gabuns Präsident Ali Bongo Anfang März auf dem “One Forest Summit” in Libreville. Zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte er das Treffen von Ministern aus dem Kongobecken und anderen Waldstaaten ausgerichtet, um Finanzierungsmöglichkeiten zum Schutz der tropischen Wälder vor Abholzung und dem Abbau von Bodenschätzen zu diskutieren.
Auf dem Gipfel forderte eine hochrangige Gruppe von 20 Expertinnen und Experten die Waldstaaten auf, die Entwicklung von Biodiversitätsgutschriften oder “Naturzertifikaten” für den Waldschutz zu unterstützen. Die Gruppe war von der “Globalen Umweltfazilität” (GEF) zusammengerufen worden, dem einzigen multilateralen Fonds, der sich auf die Rettung der biologischen Vielfalt konzentriert. Sie plädierte für den Einsatz marktbasierter Mechanismen für private Investitionen in die Natur.
Tropische Wälder sind wichtige Kohlenstoffsenken, die zur Kühlung des Planeten beitragen und eine der größten Organismenvielfalt der Erde beherbergen. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, finanzielle Anreize zu ihrem Schutz durchzusetzen.
In ihrem Bericht fordert die Expertengruppe, existierende Kohlenstoffgutschriften (“Offsets”) mit zusätzlichen und überprüfbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung und zum Schutz der biologischen Vielfalt aufzuwerten. Zusätzlich schlagen sie “Naturzertifikate” vor, die dann von Unternehmen und Einzelpersonen als Investition in ein Projekt erworben werden könnten. Diese Zertifikate würden die biologische Vielfalt nachvollziehbar verbessern oder erhalten. Die Käufer könnten mit ihrem grünen Investment werben, aber sie im Gegensatz zu “Offsets” nicht als Ausgleich für negative Auswirkungen auf die Natur geltend machen.
Befürworter des Modells sagen, es sei eine Antwort auf die Krise am Markt der freiwilligen Kompensationsmaßnahmen. Diese werden zunehmend kritisch gesehen, seit Berichte zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Projekte für vermiedene Abholzung ihren Klimanutzen übertrieben haben.
Um zu verhindern, dass sich dieses Problem bei den neuen “Naturzertifikaten” wiederholt, empfahlen die Experten, die höchsten Integritätsprinzipien anzulegen, um Glaubwürdigkeit und Preise zu erhöhen. Dafür sollten indigene Völker und lokale Gemeinschaften einbezogen werden und den Großteil der Verkaufserlöse erhalten.
Carlos Manuel Rodríguez, CEO der GEF, sagte, dass Naturzertifikate einen neuen Ansatz mit großem Potenzial darstellten. “Wir müssen zu einem offizielleren, regulierten Markt übergehen, der den Kohlenstoff und die Leistungen der Ökosysteme anerkennt”, sagte er. Die Zertifikate seien gut geeignet, um Gebiete mit hohem Waldbestand und geringer Abholzung zu erhalten, die von der traditionellen Kohlenstofffinanzierung weitgehend ausgeschlossen sind.
Die französische Entwicklungsministerin Chrysoula Zacharopoulou forderte, die Zertifikate sollten in einer internationalen Partnerschaft in großem Maßstab entwickelt werden. “Diese Diskussion wird ganz konkret mit bilateralen und multilateralen Akteuren beginnen, und ich ermutige sie, dieses Modell in Betracht zu ziehen”, sagte sie.
Aber einige Fragen sind noch ungeklärt. So gibt es keine anerkannte Methode, um zu messen, wie eine Maßnahme die biologische Vielfalt verbessert. Bisher gibt es auf dem Markt deshalb nur eine Handvoll Naturzertifikate zu kaufen, unter anderem vom kolumbianischen Start-up-Unternehmen Terrasos, das einen Nebelwald schützt.
Der gabunische Forst- und Umweltminister Lee White zeigte sich vorsichtig optimistisch. “Die Herausforderung besteht darin, konkrete Beispiele [für Projekte] zu finden, die wir starten können. Aber wenn wir uns beteiligen können, wäre ich bereit, mitzumachen”, sagte er.
“Ich habe gemischte Gefühle“, fügte Franz Tattenbach, Costa Ricas Umweltminister, hinzu. “Ich sehe noch keinen mutigen, neuen Mechanismus. Sie sprechen über Angebot und Nachfrage von Gutschriften und nicht über die Ursachen der Entwaldung.“
Die Umweltministerin der Republik Kongo, Arlette Soudan-Nonault, fügte hinzu, in ihrem Land fehlten Ressourcen, um Kohlenstoff- und Biodiversitätsbestände zu messen und angemessen mit den Kreditmärkten zu kooperieren.
Die Experten räumten auch ein, es werde schwierig, die Nachfrage nach diesen Zertifikaten zu steigern. “Wir können Naturzertifikate schaffen, aber wo sind die Käufer? Und wofür werden sie verwendet?”, fragte Margaret Kim, CEO von Gold Standard, das Kohlenstoffzertifikate für den freiwilligen Markt zertifiziert. “Man kann von den Unternehmen nicht verlangen, dass sie etwas nur aus gutem Willen finanzieren. Es muss für etwas verwendet werden”.
Oscar Soria von der Kampagnengruppe Avaaz argumentierte, dass “Naturzertifikate” mit Kohlenstoff- und Biodiversitätsnutzen “Ablenkungsmanöver” seien und den notwendigen Wandel nicht herbeiführen würden. “Die gescheiterte Ideologie unserer Zeit besteht darin, von den Märkten zu verlangen, dass sie freiwillig tun, was die Staaten nicht tun. Dies ist ein Mangel an politischem Mut, der sich als disruptive Innovation ausgibt”, schreib er. Von Chloé Farand, Nairobi
16. März, 9.30 Uhr, Online
Workshop Mobilität gestalten und Klima schützen
Die Workshopreihe des Nationalen Kompetenznetzwerks für nachhaltige Mobilität (NaKoMo) “Mobilität und Klimaschutz” thematisiert, wie klimafreundliche Mobilität vor Ort gestaltet werden kann. Infos und Anmeldung
20. März
Veröffentlichung IPCC Synthesis Report
Als letzter Teil des sechsten IPCC-Berichts (AR6) wird der Synthesis Report veröffentlicht. Der Bericht soll die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen. Er basiert auf den Berichten der Arbeitsgruppen “WGI – The Physical Science Basis”, “WGII – Impacts, Adaptation and Vulnerability”, “WGIII – Mitigation of Climate Change” sowie den drei Spezialberichten “Global Warming of 1.5 °C”, “Climate Change and Land” und “The Ocean and Cryosphere in a Changing Climate”. Infos
20. März, 12 Uhr, Online
Webinar Learning from the Sun to Decarbonise Europe’s Power Fusion Energy
Auf dem Event von Euractiv wird disktutiert welche Rolle Fusionsenergie in Zukunft spielen könnte und wie sie zu einer dekarbonisierten Energieversorgung beitragen könnte. Infos
20. März, 19 Uhr, Oelde/online
Dikussion Wie stärken wir den ÖPNV im ländlichen Raum?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung lässt auf dem Event gemeinsam mit dem Politischen Bildungsforum Thüringen darüber diskutieren, wie es um ÖPNV und die Verkehrswende auf dem Land steht. Mit dabei ist unter anderem Bundestagsmitglied Henning Rehbaum (CDU). Infos und Anmeldung
21. März, 10 Uhr, Berlin
Workshop Klimaschutz und Klimaanpassung im Stadt-Umland-Kontext
Das BMBF-geförderte Projekt ReGerecht erforscht und entwickelt Strategien eines gerechten Interessensausgleichs zwischen Stadt, städtischem Umland und ländlichem Raum. Der Workshop gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten von Klimaschutz und Klimaanpassung im Stadt-Umland-Kontext, als auch Einblicke in die kommunale Praxis. Infos
21. März, 12 Uhr, Brüssel/online
Diskussion CO2, H2 and O2 – Cornerstones of the Energy Transition?
Da eine 100-prozentige Dekarbonisierung durch Elektrifizierung in einigen Bereichen nicht möglich ist, werden beispielsweise im Verkehr oder beim Heizen in Zukunft beispielsweise Wasserstoff und synthetische Gase wichtiger werden. Auf der Veranstaltung von Euractiv wird diskutiert, welche Rolle genau diese Stoffe bei der Energiewende spielen können. Infos
22.-24. März, New York
Wasser UN Wasserkonferenz
Wasser ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens und Teil von allen drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung. Auf der UN-Konferenz wird unter dem Motto “Our watershed moment: uniting the world for water” diskutiert, wie die SDGs rund um Wasser erreicht werden können. Infos
22. März, 19 Uhr, Stuttgart
Podiumsgespräch Baden-Württemberg zwischen Dürre und Hochwasser – (Wie) können wir Extremereignissen vorbeugen?
Risse auf trockenen Böden, eingestellte Schifffahrt wegen niedriger Pegel, Waldbrände durch Dürre- und Trockenperioden. Vollgelaufene Keller, über die Ufer tretende Flüsse, Hochwasser beispielsweise durch Starkregen. Im Podiumsgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung werden sichtbare Folgen und weitere Konsequenzen von Extremwetterereignissen aufgezeigt. Infos
22.-23. März, Brüssel
Konferenz 2023 Environment and Emergencies Forum
Die Veranstaltung des UN-Umweltprogramms befasst sich mit dem Schnittpunkt von Umweltrisiken, Katastrophen, humanitären Krisen und anderen Trends. Infos
23. März, 12 Uhr, online
Diskussion German Roadmap to COP28
Die COP27 ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben und die Entscheidung, die COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten auszurichten, ist nicht unumstritten. Bernhard Pötter, Chefredakteur von Climate.Table, diskutiert mit Jennifer Morgan, Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, über die Rolle von Deutschland und EU bei der kommenden COP. Außerdem werden Sabine Nallinger (Geschäftsführerin Stiftung KlimaWirtschaft), Lutz Weischer (Germanwatch) und Saleemul Huq (International Centre for Climate Change and Development) mit kurzen Impulsstatements zum Table.Live-Briefing beitragen. Infos
Der britische Thinktank E3G hat neue Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass der globale Kohleausstieg schon recht weit fortgeschritten ist. Die Anzahl geplanter Kohlemeiler ist auf einem historischen Tiefstand, schreiben die E3G-Analystinnen und Analysten. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sei der Umfang neuer Projekte in allen größeren Regionen gesunken oder habe sich zumindest nicht erhöht. Kleinere Ausnahmen habe es nur in Indien und Indonesien gegeben.
Die größte Ausnahme aber ist China. “Ein neuer Kohlestromboom in China bedroht den klaren Fortschritt im Rest der Welt“, schreibt E3G. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sei die geplante Kapazität von Kohlekraftwerken in dem Land stärker gestiegen als je zuvor. Im Ergebnis entfielen jetzt 72 Prozent der weltweit geplanten Kapazität auf China, acht Prozentpunkte mehr als noch im Juli 2022. Doch wie stark die chinesischen Emissionen durch die neuen Kraftwerke steigen werden und ob überhaupt, ist noch nicht gesagt: Die Regierung baut auch die erneuerbaren Energien stark aus. Und wie lange die neuen Kraftwerke laufen werden, ist ebenfalls nicht sicher.
Der globale Ausstieg aus der Kohle ist ein zähes Ringen um jeden Meiler. Die Daten von E3G machen dennoch Hoffnung. Kohle ist nicht nur die wichtigste Energiequelle für die globale Stromerzeugung, sondern auch die größte Quelle von CO₂-Emissionen weltweit. Das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur IEA. Um die Erderwärmung zu begrenzen, ist mithin ein schneller Kohleausstieg entscheidend. ae
Deutschland hat sein Klimaziel für das Jahr 2022 überraschend doch eingehalten. So stark wie in den Niederlanden war der Rückgang jedoch nicht. Neue Daten des Umweltbundesamtes zeigen:
Doch nachhaltig ist der Rückgang nicht. Vor allem die geringere Energienachfrage im Industriesektor aufgrund hoher Energiepreise durch den Ukraine-Krieg wird als Ursache angeführt. Auch die Industrieproduktion ging zurück. Die Emissionen des Sektors sanken 2022 deutlich – um 19 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente auf nun 164 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente.
Wie erwartet worden war, hat der Verkehrssektor die Vorgaben weit verfehlt. In dem Sektor wurden 2022 rund 148 Millionen Tonnen CO₂ ausgestoßen. Das sind rund neun Millionen Tonnen mehr als die im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 festgesetzte Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende forderte: “Im Verkehrssektor gilt es, das längst überfällige Klimaschutz-Sofortprogramm schleunigst zu verabschieden”. Das Klimaschutzgesetz sieht solche Sofortprogramme vor, wenn Sektoren ihre Ziele verfehlen.
Auch der Gebäudesektor verfehlt seine Zielmarke um rund fünf Millionen Tonnen, obwohl die Emissionen in diesem Sektor zurückgingen.
Im Energiesektor wurde die Zielmarke erreicht. Trotz eines vermehrten Einsatzes von Stein- und Braunkohle blieben die Emissionen gut eine Million Tonnen unter dem Zielwert von 257 Millionen Tonnen. Ein Anstieg von neun Prozent bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren und ein geringerer Gasverbrauch sind dafür verantwortlich. In der Landwirtschaft und im Abfallsektor wurden die Klimaziele auch erreicht.
Doch die positiven Zahlen sind kein Grund für überschwänglichen Klima-Optimismus. “Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden“, sagt Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner. Bisher war der Pfad weniger steil und es reichte ein Rückgang von nicht einmal zwei Prozent pro Jahr. Messner mahnte, die “soziale Balance zu wahren”. Der Abbau klimaschädlicher Subventionen sei ein gutes Werkzeug.
Wirtschaftsminister Robert Habeck war überrascht über einige Zahlen und sagte: “In allen Handlungsfeldern gilt es jetzt, ohne Zögern den Klimaschutz zu verstärken und das mit konkreten Maßnahmen”. Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, forderte: “Beim Koalitionsgipfel in knapp zwei Wochen erwarten wir von der Ampel klare Antworten auf die hausgemachten Probleme beim Klimaschutz im Verkehr und bei Gebäuden. Alles andere wäre ein fortgesetzter Rechtsbruch der gesamten Regierung.”
In den Niederlanden gingen die CO₂-Emissionen im vergangenen Jahr noch stärker zurück. Laut nationaler Statistikbehörde sanken sie 2022 um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In der Industrie und im Gebäudesektor gab es demnach einen starken Rückgang des Gasverbrauchs. Die Emissionen in der fünftgrößten Volkswirtschaft der Eurozone lagen im vergangenen Jahr 32 Prozent unter dem Niveau von 1990, wie Reuters berichtet. Die Regierung strebt bis 2030 eine Senkung um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 an. nib
Umweltschützer und indigene Gruppen haben eine Klage gegen neue Öl- und Gasbohrungen in Alaska eingereicht. Die Biden-Administration hatte am Montag das Acht-Milliarden-Projekt namens “Willow” von ConocoPhillips zur Förderung von Öl und Gas im Nordwesten Alaskas bewilligt. Das Projekt sieht eine Ölförderung in Höhe von über 570 Millionen Barrel vor und wird unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 240 und 280 Millionen Tonnen CO₂ verursachen.
“Wieder einmal müssen wir vor Gericht gehen, um unser Leben, unsere Gemeinschaften und unsere Zukunft zu schützen”, sagt Siqiniq Maupin, Geschäftsführerin von Sovereign Inupiat for a Living Arctic. Die Organisation gehört zu einem Zusammenschluss von Organisationen, die jetzt Klage eingereicht haben.
Auch andere Umweltgruppen übten Kritik. “Die Genehmigung bedeutet, dass wir unsere Zukunft verspielen”, gab der Zusammenschluss “People vs. Fossil Fuels” wieder, eine US-Koalition aus über 1,200 Klimaorganisationen. Biden baue “die Infrastruktur für fossile Brennstoffe aus, die uns noch weiter ins Klimachaos treiben wird”, so die Organisation. Das Projekt sei eine “CO₂-Bombe”, sagte Ann Alexander, Anwältin des Natural Resources Defense Council, vor der Genehmigung des Projekts.
Es gilt als wahrscheinlich, dass weitere Umweltgruppen die Entscheidung vor Gericht anfechten. Laut Reuters sind die Erfolgsaussichten dieser Klagen aber gering. Sie würden die Umsetzung wahrscheinlich nur verzögern, gibt die Nachrichtenagentur einen Rechtsprofessor wieder. Wahrscheinlicher sei, dass die Ölpreise sinken und die ökonomische Grundlage des Projekts verschwände.
Am Sonntag kündigte die US-Regierung neue Schutzmaßnahmen für den Arktischen Ozean an. In fast drei Millionen Hektar der Beaufortsee sollen Ölbohrungen “auf unbestimmte Zeit verboten” werden. Die arktischen Gewässer der USA würden effektiv für die Ölexploration gesperrt werden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. nib
China hat eine neue Regierung um den am Wochenende ernannten Ministerpräsidenten Li Qiang. Der auf dem Parteitag der Kommunisten im Oktober 2022 begonnene Generationswechsel ist damit abgeschlossen. Auf die künftige Klimapolitik geben die auf dem Nationalen Volkskongress beschlossenen Personalien allerdings vorerst keinen Aufschluss. Das einmal im Jahr tagende Plenum konzentrierte sich auf die Themen Finanzen und Technologie, sowie Sicherheit und Stabilität. Einige ältere Politiker, die sich in der KP um das Klimathema gekümmert hatten, sind in Rente gegangen. Wer sie ersetzt, ist noch unklar.
Immerhin gibt es trotz derzeit anderer Schwerpunktsetzung keine Anzeichen, dass der Klimaschutz in China grundsätzlich an Bedeutung verliert. Nach Angaben von Nis Grünberg, Analyst am Merics-Institut für Chinastudien, sitzen seit dem Parteitag mehr Funktionäre mit Energie- und Umweltschutz-Hintergrund im 24-köpfigen Politbüro. Dieses trifft alle wichtigen Entscheidungen der KP, die dann zumeist auch in nationale Politik umgesetzt werden.
Unter den neuen Mitgliedern mit Nachhaltigkeits- und Klima-Expertise falle vor allem der frühere Umweltminister Chen Jining auf. Chen ist studierter Umweltingenieur und leitete mehrere Jahre die entsprechende Fakultät an der renommierten Tsinghua-Universität. In den letzten Jahren war er in der Provinzpolitik im Einsatz, zuerst als Bürgermeister Pekings und seit Oktober nun als – noch einen Rang höher – KP-Chef von Shanghai. Der bisherige Umweltminister Huang Runqiu, der China auf der Biodiversitäts-COP in Montreal vertrat, behielt sein Amt.
Allerdings liegt die Umsetzung der chinesischen Klima- und Energiepolitik hauptsächlich bei der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). “Da die grüne Transformation in China als eine Industrietransformation gedacht wird, macht das durchaus Sinn”, sagt Grünberg zu Table.Media. Der bisherige NDRC-Chef He Lifeng ist auf dem Volkskongress zum Vize-Ministerpräsidenten aufgestiegen. Sein Nachfolger ist Zheng Shanjie, der vor einigen Jahren stellvertretender Leiter der Energiebehörde war.
Offen ist derzeit auch die Zukunft von Chinas bekanntestem Klimapolitiker, dem erfahrenen COP-Verhandler Xie Zhenhua, der inzwischen 73 Jahre alt ist (Portrait). “Ich fürchte, er wird irgendwann von einem weniger erfahrenen und weniger international etablierten Funktionär abgelöst. Das würde dann dem gleichen Muster aller anderer Ressorts folgen”, meint Nis Grünberg. “Zu hoffen ist, dass er noch die kommende COP mitmacht.” Diese findet ab Ende November in Dubai statt. ck
Das EU-Parlament hat am Dienstag den Trilogergebnissen von drei Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets zugestimmt. So fehlt nur noch die finale Abstimmung im Rat, damit die Gesetzesvorschläge:
im Amtsblatt der EU erscheinen können und rechtskräftig sind.
Mit der neuen Verordnung zu LULUCF kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist, als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Mio. Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Dazu gehören die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilogeinigung zur ETS-Reform stimmt das EU-Parlament erst in der April-Sitzungswoche ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf zwölf Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
“Es gibt keinen dümmeren Spruch als ‘Der Markt regelt alles allein’“, findet Holger Lösch. Der 59-Jährige ist Vize-Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). “Die Ziele und den Rahmen muss die Politik setzen.” Ein gutes Beispiel sei der US-Inflation Reduction Act (IRA). Mit “pragmatischen Steuergutschriften” mache die Biden-Regierung die USA zu “einem der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff”, sagt Lösch. Deutschland und Europa bräuchten eine “wirksame Antwort” auf den IRA, so Lösch mit Blick auf die für den BDI enttäuschende Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie.
Volldampf voraus also für Industriepolitik und Staatsdirigismus? Das will der Verbandsmensch Lösch dann allerdings auch nicht. Für den exakten Weg zur Umsetzung – etwa der Klimaneutralität – seien die Marktmechanismen klar überlegen. Einen Weg zeigt die BDI-Studie “Klimapfade 2.0” auf, die Lösch vor zwei Jahren betreut hat. Die zentralen Ergebnisse: Die Transformation zum klimaneutralen Industrieland ist möglich, die deutschen Ziele für 2030 und 2045 lassen sich “mit schnellem Handeln” einhalten.
Lösch arbeitet seit 2008 für den Industrieverband, der mit seinen Mitgliedern 100.000 deutsche Unternehmen vertritt. Als stellvertretender Hauptgeschäftsführer arbeiten ihm fünf Abteilungen mit zusammen rund 50 Mitarbeitern zu, eine davon ist die Abteilung Energie- und Klimapolitik. Insofern sorgt sich Lösch gleichzeitig um anhaltend hohe Energiepreise und die drohende Klimakatastrophe: “Eine Plus-vier-Grad-Welt wäre sicher auch kein Paradies für Unternehmer.” Aus seiner Sicht verzettelt sich Europa allerdings zu sehr in detaillierter Regulierung, etwa dazu, welche Technologien zum Ziel führen.
Die Folge: “In der Umsetzung sind wir nicht an dem Punkt, wo wir sein wollen.” Ein Hebel, das zu ändern, sei die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. “Wenn wir drei Mal so viele Erneuerbare wollen wie aktuell, dann schaffen wir das im bestehenden System nicht.” Der US-amerikanische IRA könne als Vorbild dienen, wie man simpel – etwa durch Steuergutschriften – für mehr Geschwindigkeit sorgen könnte. Ein hochrangiger US-Beamter habe zu ihm mal über die Mentalitätsunterschiede zwischen US- und EU-Klimapolitik gesagt: “Ihr macht Dinge tiefgrün, wir machen Dinge, die Bargeld-grün sind.”
Der Spruch verfolgt ihn seitdem – und treffe zu, wenn man sich ansehe, wie ausgerechnet im republikanisch regierten Texas die Windräder aus dem Boden sprießen. Allerdings kritisiert er die Abschottungselemente, die im Subventionsprogramm der Amerikaner stecken: “Wir müssen ihnen klar sagen, wo knallharte Grenzen des Protektionismus sind, die für uns als Partner nicht tragbar sind.” Eine andere Grenze in Löschs Leben sei nicht so hart, die zwischen beruflichen und privaten Interessen. Ähnlich wie in seinem ehemaligen Job als TV-Journalist beim BR könne er “seinen Themen” in der Regel kaum entkommen, wenn er abends auf der Couch die Tagesschau gucke.
Manchmal ärgere er sich auch darüber, wie Dinge diskutiert würden. Sein Beruf sei nun mal nicht nur ein Vehikel zum Geldverdienen. Der Versuch, Wirtschafts- und Klimafragen in Einklang zu bringen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der er etwas beitragen wolle. Vor ein paar Tagen war er im Rotterdamer Hafen unterwegs und hat sich das Wasserstoffnetz angesehen, an dem dort gerade gebaut wird. Ein “super Tag”, der ihn wieder hoffnungsvoller gestimmt habe, dass Europa bald schneller vorankommt. Paul Meerkamp
fossil geht die Welt zugrunde – diesen Eindruck könnte man durch unsere heutige Ausgabe gewinnen. Bulgarien will aus dem Kohleausstieg aussteigen, weil der Stromexport so lukrativ ist. In Kolumbien warnt der Finanzminister vor einer zu schnellen Energiewende – die Staatseinnahmen durch den Export von Öl und Kohle seien in Gefahr. Und in Alaska genehmigt Joe Biden ein großes Öl- und Gasprojekt. Die Regierung vor Ort freut sich über Einnahmen und Arbeitsplätze.
Für das Klima gibt es jedoch auch Hoffnungsschimmer. Sinken die Energiepreise wieder, könnten die fossilen Projekte ihre Profitabilität verlieren, wie unsere Analysen über Bulgarien und Kolumbien zeigen. Und vieles deutet auf eine weiter abnehmende Nachfrage nach Fossilen in den nächsten Jahren hin: Es werden weniger Kohlekraftwerke geplant; und die EU will sich auf der COP28 weiter für ein Ende der Fossilen einsetzen.
Unsere heutige Ausgabe macht deshalb einmal mehr die Notwendigkeit einer gerechten Energiewende deutlich. Brechen Staatseinnahmen aus dem Export fossiler Energieträger weg, drohen zuerst die ohnehin schon Abgehängten und einfache Arbeiterinnen und Arbeiter beispielsweise aus dem Kohlebergbau zu leiden. Die Themen Klimafinanzierung und “Just Transition” werden uns spätestens zur Weltbank-Frühjahrstagung im April wieder beschäftigen.
Wir bleiben für Sie am Ball!
Beste Grüße
Die Energiewende in Kolumbien ist kein einfaches Unterfangen. Kolumbiens Finanzminister José Antonio Ocampo sagte im Juli letzten Jahres: “Wir müssen nach mehr Gas suchen. (…) Selbstversorgung ist ein klares Ziel, wir müssen sogar weiterhin Öl exportieren, sonst bekommen wir ein unbeherrschbares Problem mit der Zahlungsbilanz.”
Seit etwas mehr als einem halben Jahr wird Kolumbien von Gustavo Petro regiert, dem ersten linksgerichteten Präsidenten des lateinamerikanischen Landes. Schon im Wahlkampf hatte er angekündigt, die historische Abhängigkeit des Landes von Öl, Gas und Kohle zu beenden. Derzeit stammen 56 Prozent der Exporteinnahmen aus fossilen Quellen.
Die kolumbianischen Regierung hofft, dass Kolumbien in Zukunft auch grünen Wasserstoff exportiert. Dadurch sollen die wegfallenden Einnahmen aus dem Erdölexport ersetzt werden. Auf kolumbianischen Wasserstoff hofft auch Robert Habeck, deutscher Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Er will die deutsche Energieversorgung langfristig sichern. Nach einigen Tagen in Brasilien, ist Habeck noch bis Donnerstag in Kolumbien. Er kündigte an, dass er mit beiden Ländern “grüne Wertschöpfungsketten für mehr Wohlstand und Klimaschutz” etablieren möchte. In Kolumbien sei das Potenzial für grünen Wasserstoff “sehr, sehr groß”, Deutschland wolle dabei helfen, eine Wasserstoffindustrie aufzubauen.
Doch kolumbianische Expertinnen und Experten sehen das kritisch: “Wir sollten nicht eine Abhängigkeit durch eine andere ersetzen”, meint Nadia Catalina Combariza Diaz, Gründerin des Thinktanks POLEN Transiciones Justas. Ihre Kritik richtet sich besonders gegen riesige Wind- und Solarparks an Kolumbiens Karibikküste, besonders in der Region La Guajira, wie sie beispielsweise Analysen des kolumbianischen Ministeriums für Energie und Bergbau sie vorschlagen. “In der Region haben viele Menschen selbst noch gar keinen Zugang zu elektrischer Energie oder Trinkwasser“, sagt Combariza Diaz.
Andrés Gómez von der Nichtregierungsorganisation Censat Agua Viva sagt zu den Plänen, Wasserstoff zu exportieren: “Das hört sich für mich nach Energiekolonialismus an”. Er wirft Europa vor, es wolle saubere Energie zulasten anderer Länder importieren. Außerdem sei der Import von Wasserstoff aus Lateinamerika für Europa ineffizient und teuer. Stattdessen wünscht sich Gómez internationale Hilfe für die Energiewende und den Ausstieg aus fossilen Energieträgern in Kolumbien – zum Beispiel durch überarbeitete Just Energy Partnerships oder einem Erlass von Schulden im Gegenzug für Klimaschutz.
In Petros Kabinett gibt es unterschiedliche Meinungen zum Tempo der Energiewende. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte die Ministerin für Energie und Bergbau, Irene Veléz-Torres: “Wir haben beschlossen, im Rahmen unseres Engagements im Kampf gegen den Klimawandel keine neuen Aufträge für die Gas- und Erdölexploration zu vergeben.” Ihr Ministerium steht also im Konflikt zu Finanzminister Ocampo. Nach einer Untersuchung würden die aktuellen Förderkapazitäten schon Öl und Gas bis 2037 sichern. Später ruderte ein Vertreter des Finanzministeriums wieder zurück und sagte, das sei keine Entscheidung der Regierung. Wie genau die kolumbianische Energiewende aussehen soll, steht spätestens im Mai fest. Da will die Regierung einen “Fahrplan für eine gerechte Energiewende” vorlegen.
“Die Ideen der Regierung sind ambitioniert und gehen in die richtige Richtung”, sagt Gómez von der NGO Censat zu den Plänen einer Energiewende in Kolumbien. Besonders wichtig findet er, dass Energieversorgung in der Zukunft partizipativer werden soll. “Es gibt auch viel Widerstand gegen die Pläne”, fügt er hinzu. Das Argument: Der schrittweise Ausstieg von fossilen Energieträgern schade der kolumbianischen Wirtschaft, in einer Zeit, in der die Regierung sowieso schon zahlreiche teure Sozialprogramme durchsetzen möchte.
“Es wird nicht einfach, die Einnahmen aus den fossilen Energieträgern zu ersetzen“, meint auch Combariza Diaz vom Thinktank POLEN. “Kolumbien produziert fossile Energie nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch für den Export”. Trotzdem sei eine ambitionierte Energiewende nötig. Wichtig sei es dabei aber, echte Alternativen für die Menschen, die aktuell im Energiesektor arbeiten, anzubieten.
Der Strommix in Kolumbien ist relativ sauber:
Wind, Solar und Bioenergie spielen nur untergeordnete Rollen – obwohl das Land in allen drei Bereichen eigentlich große Kapazitäten hat, allerdings ist der Ausbau konfliktbehaftet: In der Guajira, im Norden von Kolumbien, gibt es riesige Wind- und Solarparks, die zum Teil bereits gebaut wurden, aber noch nicht an das Netz angeschlossen sind, erzählt Combariza. “Das Problem ist, dass die Betreiber der dort stattfindende Projekte zu spät in Dialog mit der lokalen, indigenen Bevölkerung getreten sind und kaum bereit sind auf wichtige Forderungen der lokalen Bevölkerung, etwa Miteigentümerschaft, einzugehen“.
Die Gesamtenergiebilanz ist deutlich schlechter: Rund 80 Prozent des Energiebedarfs werden aus fossilen Energieträgern gedeckt. Eine Herausforderung ist der Transportsektor – fast alles läuft in Kolumbien über die Straße. “Aufgrund von weiten Entfernungen und geografischen Gegebenheiten wird es auch nicht möglich sein, den Sektor völlig zu elektrifizieren”, gibt Combariza zu bedenken.
Ein weiteres großes Problem: 36 Prozent der Emissionen des Landes kommen aus Abholzung und Landnutzungsveränderungen – besonders im kolumbianischen Amazonasgebiet. Laut dem Climate Action Tracker liegen auch 70 Prozent des Klimaschutzpotenzials in dem Sektor.
Kolumbien produziert mehr als 80 Prozent der Kohle in Lateinamerika. Vor einiger Zeit sah es noch so aus, als würde der Kohleabbau in Kolumbien fast automatisch durch den niedrigen Kohlepreis auf dem Weltmarkt enden. Erste Minen wurden bereits geschlossen. Die Regierung arbeitete an einem Verbot von Tagebauen. Mit dem Krieg in der Ukraine stiegen dann plötzlich wieder die Nachfrage und der Preis von Kohle an, und das Land begann erneut, verstärkt Kohle zu exportieren – auch nach Deutschland.
Im Zusammenhang mit Kohleproduktion kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Combariza ist sicher, dass der Kohleausstieg schon wirtschaftlich Sinn ergibt: “Bis 2030 verliert Kolumbien mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Großteil der Märkte für Exportkohle“. Gómez sieht das ähnlich: Ein schneller Plan zum Ausstieg aus der Kohle sei auch wichtig, damit Kolumbien nicht mit Fehlinvestitionen (“Stranded Assets”) aus dem Kohleabbau zurückbleibe.
Bulgarien und die EU befinden sich in der Klima- und Energiepolitik derzeit auf Kollisionskurs. Im Januar:
Das Parlament beauftragte am 12. Januar die momentane Übergangsregierung, den Konjunktur- und Resilienzplan des Landes mit Brüssel neu auszuhandeln. Darin hatte sich Bulgarien verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis Ende 2025 um 40 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Bisher hat Bulgarien seine CO₂-Emissionen zwischen 1988 und 2017 um 47 Prozent gesenkt. Seit 2019 sind die CO₂-Emissionen allerdings von 42,3 auf 42,6 Millionen Tonnen in 2021 sogar leicht gestiegen.
Das Klimaziel aus dem Resilienzplan bedeutet, dass Kohlekraftwerke geschlossen werden müssen. Doch nach Protesten von mehr als 1.500 Bergleuten und Energieversorgern vor seinenTüren erklärte das Parlament, dass die Kohlekraftwerke bis 2038 in Betrieb bleiben sollen. Bulgarien deckt etwa 40 Prozent seines Strombedarfs aus Kohle und 36 Prozent aus Kernkraft.
Der Rückzieher Bulgariens könnte das Erreichen der EU-Klimaziele gefährden. Bei der niedrigsten Wirtschaftsleistung pro Kopf in der EU hat Bulgarien die kohlenstoffintensivste Wirtschaft und erzeugt viermal mehr Emissionen als der EU-Durchschnitt.
Das Festhalten an der Kohle hat noch einen anderen Grund: Bulgarien verdient damit derzeit gutes Geld. Die Strompreise sind durch die Energiekrise in Europa seit dem Jahr 2021 stark gestiegen. “Die bulgarischen Kohlekraftwerke, die zuvor Verluste gemacht haben, konnten nun erhebliche Gewinne erwirtschaften”, sagt der ehemalige bulgarische Umweltminister Julian Popov gegenüber Table.Media. “Wenn der Strompreis über 150 Euro pro Megawattstunde steigt, was im vergangenen Jahr mehrmals der Fall war, machen die Kohlekraftwerke in Bulgarien Gewinne – trotz der Zahlung von CO₂-Zertifikaten und ihrer Betriebskosten.”
Im Jahr 2022 verdiente Bulgarien rund drei Milliarden Euro mit Stromexporten in Nachbarländer, darunter Serbien, Rumänien, die Türkei und Griechenland. Das ist dreimal so viel wie im Vorjahr. “Es gibt also auch ein starkes finanzielles Argument für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken”, sagt Popov. Da sich die meisten Kohlekraftwerke in Staatsbesitz befinden, füllen sie die Staatskasse. Die Regierung kann damit Unternehmen und Verbraucher von hohen Strompreisen entlasten.
Das EU-Programm für Resilienz- und Wiederaufbau sichert dem Land 6,3 Milliarden Euro zu, davon zwei Milliarden für den grünen Umbau des Energiesektors. Weil aber die Einnahmen aus dem Stromexport höher liegen, drängten die Gewerkschaften auf den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke, so Popov.
Die Europäische Kommission kennt die bulgarische Forderung. Bisher habe man aber aus Sofia noch keinen formellen Antrag zur Überarbeitung des Konjunktur- und Resilienzplans erhalten, erklärte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von Table.Media. Solche Änderungen gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn Länder objektiv die Pläne nicht erfüllen können. Eine Missachtung des Plans könne “erhebliche finanzielle Folgen für das Land” haben, erklärte der Sprecher. Dazu gehöre die “teilweisen Aussetzung und Kürzung” von EU-Geldern. Im Dezember 2022 erhielt Bulgarien eine erste Tranche in Höhe von 1,37 Milliarden Euro. Insgesamt sieht der Plan Unterstützung in Höhe von knapp 6,3 Milliarden Euro vor.
Mitte Februar erklärte der stellvertretende Energieminister Elenko Bozhkov, dass Bulgarien nach dem 30. März mit Brüssel neu über den Plan verhandeln wolle. Sofia spielt auf Zeit, denn am 2.April sind Parlamentswahlen. Deren Ausgang wird aber kaum etwas an der Meinung des Parlaments ändern. Denn der Antrag zum Ausstieg aus dem Kohleausstieg fand dort mit 187 Ja- und lediglich zwei Nein-Stimmen eine fast vollständige Mehrheit aller Parteien. Immerhin betrifft der Ausstieg etwa 15.000 Arbeitsplätze im Bergbau und in der Stromerzeugung und noch einmal etwa doppelt so viele indirekt. Der Kohleausstieg ist im Land daher nicht beliebt.
Ohnehin spielten die Entscheidungsträger in Sofia oft ein doppeltes Spiel mit Brüssel, stellt Energieexperte Toma Pavlov in seiner Studie über die politische Ökonomie der Kohle fest. Obwohl sie die EU-Klimapolitik offiziell unterstützen, behinderten sie die Umsetzung zu Hause.
Erneuerbare Energien könnten die Energiesicherheit in Bulgarien fördern. Zwischen 2010 und 2013 stieg ihr Anteil durch eine Einspeisevergütung schnell an. Seit sie 2015 abgeschafft wurde, stagnierten die Investitionen.
“Bis 2015 hat Bulgarien etwa 1,9 GW an Wind-, Solar- und Biomasseenergie zugebaut. Seitdem sind kaum neue Kapazitäten hinzugekommen”, sagt Martin Vladimirov, Direktor des Energie- und Klimaprogramms am Centre for the Study of Democracy. Schlupflöcher im Gesetz ermöglichen es den Netzbetreibern, Anschlüsse zu verweigern.
Am 26. Januar verklagte die EU-Kommission Bulgarien wegen mangelnder Umsetzung der EU-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien vor dem EuGH. Dem Land drohen auch hier finanzielle Sanktionen. Die Richtlinie fordert ein EU-Ziel von mindestens 32 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 und sieht dafür Fördermaßnahmen vor. Im Februar schließlich erklärte die bulgarische Regierung, sie habe das Gesetz über erneuerbare Energien geändert. Diese Gesetzesänderung aber muss das neue Parlament nach den Wahlen am 2. April genehmigen.
Bald werden die Strompreise in Europa wieder sinken, und die Kohlekraftwerke in Bulgarien wieder Verluste machen, meint Julian Popov. “Das Ende der Kohle wird nicht durch die Vereinbarung mit Brüssel kommen, sondern durch das Wachstum der Erneuerbaren und niedrigere Strompreise. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird die bulgarische Kohleindustrie zusammenbrechen“, so sein Fazit. Von Komila Nabiyeva
Ein Beschluss der EU-Staaten von vergangenem Donnerstag legt die Ziele der europäischen Klima- und Energiediplomatie für dieses Jahr fest. Faktisch handelt es sich bei dem Dokument um die Prioritäten für die Vorbereitung der nächsten Weltklimakonferenz (COP28) im November in Dubai. Dass es dabei vorrangig um die Vermeidung von Treibhausgasen (THG) gehen würde, war nach der vergangenen COP27 in Sharm el-Sheikh zu erwarten. Dort war es der EU nicht gelungen, signifikante Fortschritte in dem Bereich zu erzielen.
Wichtigstes Thema für die 27 EU-Staaten: Das globale Ende der fossilen Energieerzeugung. Allerdings ist die Forderung, wie immer auf dem internationalen Klimaparkett, mit einer Einschränkung versehen: Kraftwerke, bei denen ausgestoßene Treibhausgase abgeschieden und am Entweichen in die Atmosphäre gehindert werden können, dürften weiterlaufen. Unter Forscherinnen und Forschern gibt es jedoch erhebliche Zweifel, ob eine hundertprozentige Abscheidung möglich und vor allem rentabel ist. Die Forderung nach einem Ende von sogenannten “unabated fossil fuels” ist daher nahezu gleichbedeutend mit einem vollständigen Ende der fossilen Energieträger.
Auch staatliche Subventionen für fossile Infrastruktur sollen “allmählich” abgeschafft werden, sofern sie nicht “zu einem gerechten Übergang zu klimaneutralen Energiesystemen beitragen”. Der Zusatz bedeutet, dass vor allem in stark von Kohlekraft abhängigen Entwicklungsländern auch weiterhin in Gasinfrastruktur investiert werden könnte, wenn Gas dort als Übergangstechnologie eingesetzt wird. Lediglich bei neuer Kohleinfrastruktur wird eine “sofortige Einstellung jeglicher Finanzierung in Drittländern” gefordert. Somit besteht kein zwingender Widerspruch zwischen den COP28-Prioritäten und den deutschen Plänen, im Senegal in die Gasförderung zu investieren.
Weitere zentrale Forderungen der EU-Länder für die Klima- und Energiediplomatie:
Die EU-Staaten fordern insbesondere die Hauptemittenten und G20-Mitglieder auf, höhere und 1,5-Grad-kompatible Klimaziele (NDC) noch deutlich vor der COP28 festzulegen. Spannend an der Forderung ist, dass die EU ebenfalls noch eine Erhöhung ihres NDC schuldig ist. In ihrem 17-seitigen Dokument wiederholen die Mitgliedstaaten lediglich ihre Bereitschaft aus dem COP27-Mandat, ihr Klimaziel anzuheben, wenn das EU-Klimapaket “Fit for 55” fertig verhandelt ist.
Allerdings ist nicht ausgemacht, dass alle Gesetzesvorschläge des Pakets zur Umsetzung des EU-Klimaziels bis zur COP28 fertig verhandelt sind. Die zuletzt heftig umstrittene Gebäuderichtlinie ist auch Teil des Pakets und dürfte noch einmal für langwierige Abstimmungen zwischen den Mitgliedstaaten und schließlich auch den EU-Institutionen sorgen.
Die EU-Staaten werfen zudem einen Blick auf den in Dubai anstehenden “Global Stocktake” – eine weltweite Bestandsaufnahme für die Ziele aus dem Pariser Abkommen. Die EU-Länder fordern klare Leitlinien für die nächste Generation der NDCs über 2030 hinaus. Diese sollen 2025 vor der COP30 bei der UN eingereicht werden.
Zwar werden die EU-Staaten nicht konkret, wie sie sich den in Sharm el-Sheikh vereinbarten Fonds für Verluste und Schäden infolge des Klimawandels in besonders vulnerablen Ländern (Loss and Damage) vorstellen. Jedoch rufen sie “über die traditionelle Basis der Geber bei der Entwicklungsfinanzierung hinaus alle Partner aus allen Regionen, die dazu in der Lage sind, auf, ihre Unterstützung auszuweiten”. Damit dürfte vor allem China gemeint sein, das sich in der Vergangenheit dagegen gewehrt hat, als Geberland eingestuft zu werden. China beharrt auf seinem Status aus der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 als Entwicklungsland.
Der Beschluss der EU-Länder hätte eigentlich schon zwei Wochen vorher abgestimmt werden sollen, scheiterte jedoch an einer Formulierung zu Kernenergie. In der finalen Version fehlt ein direkter Bezug. Es heißt jedoch, dass “auch die Einführung sicherer und nachhaltiger CO₂-armer Technologien gefördert” wird. In klimapolitischen Kreisen ist nachhaltige CO₂-arme Technologie in der Regel Nuklearenergie, was bedeuten würde, dass die EU auch diese Energieform zur Erreichung der Klimaziele verwenden könnte.
Mit neuen “Naturzertifikaten” und verbesserten freiwilligen CO₂-Gutschriften wollen Wald- und Klimaschützer die weltweiten Regenwälder mit ihrer Artenvielfalt schützen und gleichzeitig den Markt der umstrittenen privaten Klimafinanzierung reformieren. Die neuen freiwilligen Lizenzen sollen die Finanzierung von Waldschutz, Kohlenstoffspeicherung und Artenvielfalt sichern, aber nicht als Ausgleich für Umweltschäden von Unternehmen gelten.
“Die Nationen der Welt müssen sich zusammentun, um ein Wirtschaftsmodell zum Schutz der Wälder vorzuschlagen”, sagte Gabuns Präsident Ali Bongo Anfang März auf dem “One Forest Summit” in Libreville. Zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte er das Treffen von Ministern aus dem Kongobecken und anderen Waldstaaten ausgerichtet, um Finanzierungsmöglichkeiten zum Schutz der tropischen Wälder vor Abholzung und dem Abbau von Bodenschätzen zu diskutieren.
Auf dem Gipfel forderte eine hochrangige Gruppe von 20 Expertinnen und Experten die Waldstaaten auf, die Entwicklung von Biodiversitätsgutschriften oder “Naturzertifikaten” für den Waldschutz zu unterstützen. Die Gruppe war von der “Globalen Umweltfazilität” (GEF) zusammengerufen worden, dem einzigen multilateralen Fonds, der sich auf die Rettung der biologischen Vielfalt konzentriert. Sie plädierte für den Einsatz marktbasierter Mechanismen für private Investitionen in die Natur.
Tropische Wälder sind wichtige Kohlenstoffsenken, die zur Kühlung des Planeten beitragen und eine der größten Organismenvielfalt der Erde beherbergen. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, finanzielle Anreize zu ihrem Schutz durchzusetzen.
In ihrem Bericht fordert die Expertengruppe, existierende Kohlenstoffgutschriften (“Offsets”) mit zusätzlichen und überprüfbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung und zum Schutz der biologischen Vielfalt aufzuwerten. Zusätzlich schlagen sie “Naturzertifikate” vor, die dann von Unternehmen und Einzelpersonen als Investition in ein Projekt erworben werden könnten. Diese Zertifikate würden die biologische Vielfalt nachvollziehbar verbessern oder erhalten. Die Käufer könnten mit ihrem grünen Investment werben, aber sie im Gegensatz zu “Offsets” nicht als Ausgleich für negative Auswirkungen auf die Natur geltend machen.
Befürworter des Modells sagen, es sei eine Antwort auf die Krise am Markt der freiwilligen Kompensationsmaßnahmen. Diese werden zunehmend kritisch gesehen, seit Berichte zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Projekte für vermiedene Abholzung ihren Klimanutzen übertrieben haben.
Um zu verhindern, dass sich dieses Problem bei den neuen “Naturzertifikaten” wiederholt, empfahlen die Experten, die höchsten Integritätsprinzipien anzulegen, um Glaubwürdigkeit und Preise zu erhöhen. Dafür sollten indigene Völker und lokale Gemeinschaften einbezogen werden und den Großteil der Verkaufserlöse erhalten.
Carlos Manuel Rodríguez, CEO der GEF, sagte, dass Naturzertifikate einen neuen Ansatz mit großem Potenzial darstellten. “Wir müssen zu einem offizielleren, regulierten Markt übergehen, der den Kohlenstoff und die Leistungen der Ökosysteme anerkennt”, sagte er. Die Zertifikate seien gut geeignet, um Gebiete mit hohem Waldbestand und geringer Abholzung zu erhalten, die von der traditionellen Kohlenstofffinanzierung weitgehend ausgeschlossen sind.
Die französische Entwicklungsministerin Chrysoula Zacharopoulou forderte, die Zertifikate sollten in einer internationalen Partnerschaft in großem Maßstab entwickelt werden. “Diese Diskussion wird ganz konkret mit bilateralen und multilateralen Akteuren beginnen, und ich ermutige sie, dieses Modell in Betracht zu ziehen”, sagte sie.
Aber einige Fragen sind noch ungeklärt. So gibt es keine anerkannte Methode, um zu messen, wie eine Maßnahme die biologische Vielfalt verbessert. Bisher gibt es auf dem Markt deshalb nur eine Handvoll Naturzertifikate zu kaufen, unter anderem vom kolumbianischen Start-up-Unternehmen Terrasos, das einen Nebelwald schützt.
Der gabunische Forst- und Umweltminister Lee White zeigte sich vorsichtig optimistisch. “Die Herausforderung besteht darin, konkrete Beispiele [für Projekte] zu finden, die wir starten können. Aber wenn wir uns beteiligen können, wäre ich bereit, mitzumachen”, sagte er.
“Ich habe gemischte Gefühle“, fügte Franz Tattenbach, Costa Ricas Umweltminister, hinzu. “Ich sehe noch keinen mutigen, neuen Mechanismus. Sie sprechen über Angebot und Nachfrage von Gutschriften und nicht über die Ursachen der Entwaldung.“
Die Umweltministerin der Republik Kongo, Arlette Soudan-Nonault, fügte hinzu, in ihrem Land fehlten Ressourcen, um Kohlenstoff- und Biodiversitätsbestände zu messen und angemessen mit den Kreditmärkten zu kooperieren.
Die Experten räumten auch ein, es werde schwierig, die Nachfrage nach diesen Zertifikaten zu steigern. “Wir können Naturzertifikate schaffen, aber wo sind die Käufer? Und wofür werden sie verwendet?”, fragte Margaret Kim, CEO von Gold Standard, das Kohlenstoffzertifikate für den freiwilligen Markt zertifiziert. “Man kann von den Unternehmen nicht verlangen, dass sie etwas nur aus gutem Willen finanzieren. Es muss für etwas verwendet werden”.
Oscar Soria von der Kampagnengruppe Avaaz argumentierte, dass “Naturzertifikate” mit Kohlenstoff- und Biodiversitätsnutzen “Ablenkungsmanöver” seien und den notwendigen Wandel nicht herbeiführen würden. “Die gescheiterte Ideologie unserer Zeit besteht darin, von den Märkten zu verlangen, dass sie freiwillig tun, was die Staaten nicht tun. Dies ist ein Mangel an politischem Mut, der sich als disruptive Innovation ausgibt”, schreib er. Von Chloé Farand, Nairobi
16. März, 9.30 Uhr, Online
Workshop Mobilität gestalten und Klima schützen
Die Workshopreihe des Nationalen Kompetenznetzwerks für nachhaltige Mobilität (NaKoMo) “Mobilität und Klimaschutz” thematisiert, wie klimafreundliche Mobilität vor Ort gestaltet werden kann. Infos und Anmeldung
20. März
Veröffentlichung IPCC Synthesis Report
Als letzter Teil des sechsten IPCC-Berichts (AR6) wird der Synthesis Report veröffentlicht. Der Bericht soll die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen. Er basiert auf den Berichten der Arbeitsgruppen “WGI – The Physical Science Basis”, “WGII – Impacts, Adaptation and Vulnerability”, “WGIII – Mitigation of Climate Change” sowie den drei Spezialberichten “Global Warming of 1.5 °C”, “Climate Change and Land” und “The Ocean and Cryosphere in a Changing Climate”. Infos
20. März, 12 Uhr, Online
Webinar Learning from the Sun to Decarbonise Europe’s Power Fusion Energy
Auf dem Event von Euractiv wird disktutiert welche Rolle Fusionsenergie in Zukunft spielen könnte und wie sie zu einer dekarbonisierten Energieversorgung beitragen könnte. Infos
20. März, 19 Uhr, Oelde/online
Dikussion Wie stärken wir den ÖPNV im ländlichen Raum?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung lässt auf dem Event gemeinsam mit dem Politischen Bildungsforum Thüringen darüber diskutieren, wie es um ÖPNV und die Verkehrswende auf dem Land steht. Mit dabei ist unter anderem Bundestagsmitglied Henning Rehbaum (CDU). Infos und Anmeldung
21. März, 10 Uhr, Berlin
Workshop Klimaschutz und Klimaanpassung im Stadt-Umland-Kontext
Das BMBF-geförderte Projekt ReGerecht erforscht und entwickelt Strategien eines gerechten Interessensausgleichs zwischen Stadt, städtischem Umland und ländlichem Raum. Der Workshop gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten von Klimaschutz und Klimaanpassung im Stadt-Umland-Kontext, als auch Einblicke in die kommunale Praxis. Infos
21. März, 12 Uhr, Brüssel/online
Diskussion CO2, H2 and O2 – Cornerstones of the Energy Transition?
Da eine 100-prozentige Dekarbonisierung durch Elektrifizierung in einigen Bereichen nicht möglich ist, werden beispielsweise im Verkehr oder beim Heizen in Zukunft beispielsweise Wasserstoff und synthetische Gase wichtiger werden. Auf der Veranstaltung von Euractiv wird diskutiert, welche Rolle genau diese Stoffe bei der Energiewende spielen können. Infos
22.-24. März, New York
Wasser UN Wasserkonferenz
Wasser ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens und Teil von allen drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung. Auf der UN-Konferenz wird unter dem Motto “Our watershed moment: uniting the world for water” diskutiert, wie die SDGs rund um Wasser erreicht werden können. Infos
22. März, 19 Uhr, Stuttgart
Podiumsgespräch Baden-Württemberg zwischen Dürre und Hochwasser – (Wie) können wir Extremereignissen vorbeugen?
Risse auf trockenen Böden, eingestellte Schifffahrt wegen niedriger Pegel, Waldbrände durch Dürre- und Trockenperioden. Vollgelaufene Keller, über die Ufer tretende Flüsse, Hochwasser beispielsweise durch Starkregen. Im Podiumsgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung werden sichtbare Folgen und weitere Konsequenzen von Extremwetterereignissen aufgezeigt. Infos
22.-23. März, Brüssel
Konferenz 2023 Environment and Emergencies Forum
Die Veranstaltung des UN-Umweltprogramms befasst sich mit dem Schnittpunkt von Umweltrisiken, Katastrophen, humanitären Krisen und anderen Trends. Infos
23. März, 12 Uhr, online
Diskussion German Roadmap to COP28
Die COP27 ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben und die Entscheidung, die COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten auszurichten, ist nicht unumstritten. Bernhard Pötter, Chefredakteur von Climate.Table, diskutiert mit Jennifer Morgan, Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, über die Rolle von Deutschland und EU bei der kommenden COP. Außerdem werden Sabine Nallinger (Geschäftsführerin Stiftung KlimaWirtschaft), Lutz Weischer (Germanwatch) und Saleemul Huq (International Centre for Climate Change and Development) mit kurzen Impulsstatements zum Table.Live-Briefing beitragen. Infos
Der britische Thinktank E3G hat neue Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass der globale Kohleausstieg schon recht weit fortgeschritten ist. Die Anzahl geplanter Kohlemeiler ist auf einem historischen Tiefstand, schreiben die E3G-Analystinnen und Analysten. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sei der Umfang neuer Projekte in allen größeren Regionen gesunken oder habe sich zumindest nicht erhöht. Kleinere Ausnahmen habe es nur in Indien und Indonesien gegeben.
Die größte Ausnahme aber ist China. “Ein neuer Kohlestromboom in China bedroht den klaren Fortschritt im Rest der Welt“, schreibt E3G. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sei die geplante Kapazität von Kohlekraftwerken in dem Land stärker gestiegen als je zuvor. Im Ergebnis entfielen jetzt 72 Prozent der weltweit geplanten Kapazität auf China, acht Prozentpunkte mehr als noch im Juli 2022. Doch wie stark die chinesischen Emissionen durch die neuen Kraftwerke steigen werden und ob überhaupt, ist noch nicht gesagt: Die Regierung baut auch die erneuerbaren Energien stark aus. Und wie lange die neuen Kraftwerke laufen werden, ist ebenfalls nicht sicher.
Der globale Ausstieg aus der Kohle ist ein zähes Ringen um jeden Meiler. Die Daten von E3G machen dennoch Hoffnung. Kohle ist nicht nur die wichtigste Energiequelle für die globale Stromerzeugung, sondern auch die größte Quelle von CO₂-Emissionen weltweit. Das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur IEA. Um die Erderwärmung zu begrenzen, ist mithin ein schneller Kohleausstieg entscheidend. ae
Deutschland hat sein Klimaziel für das Jahr 2022 überraschend doch eingehalten. So stark wie in den Niederlanden war der Rückgang jedoch nicht. Neue Daten des Umweltbundesamtes zeigen:
Doch nachhaltig ist der Rückgang nicht. Vor allem die geringere Energienachfrage im Industriesektor aufgrund hoher Energiepreise durch den Ukraine-Krieg wird als Ursache angeführt. Auch die Industrieproduktion ging zurück. Die Emissionen des Sektors sanken 2022 deutlich – um 19 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente auf nun 164 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente.
Wie erwartet worden war, hat der Verkehrssektor die Vorgaben weit verfehlt. In dem Sektor wurden 2022 rund 148 Millionen Tonnen CO₂ ausgestoßen. Das sind rund neun Millionen Tonnen mehr als die im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 festgesetzte Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende forderte: “Im Verkehrssektor gilt es, das längst überfällige Klimaschutz-Sofortprogramm schleunigst zu verabschieden”. Das Klimaschutzgesetz sieht solche Sofortprogramme vor, wenn Sektoren ihre Ziele verfehlen.
Auch der Gebäudesektor verfehlt seine Zielmarke um rund fünf Millionen Tonnen, obwohl die Emissionen in diesem Sektor zurückgingen.
Im Energiesektor wurde die Zielmarke erreicht. Trotz eines vermehrten Einsatzes von Stein- und Braunkohle blieben die Emissionen gut eine Million Tonnen unter dem Zielwert von 257 Millionen Tonnen. Ein Anstieg von neun Prozent bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren und ein geringerer Gasverbrauch sind dafür verantwortlich. In der Landwirtschaft und im Abfallsektor wurden die Klimaziele auch erreicht.
Doch die positiven Zahlen sind kein Grund für überschwänglichen Klima-Optimismus. “Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden“, sagt Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner. Bisher war der Pfad weniger steil und es reichte ein Rückgang von nicht einmal zwei Prozent pro Jahr. Messner mahnte, die “soziale Balance zu wahren”. Der Abbau klimaschädlicher Subventionen sei ein gutes Werkzeug.
Wirtschaftsminister Robert Habeck war überrascht über einige Zahlen und sagte: “In allen Handlungsfeldern gilt es jetzt, ohne Zögern den Klimaschutz zu verstärken und das mit konkreten Maßnahmen”. Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, forderte: “Beim Koalitionsgipfel in knapp zwei Wochen erwarten wir von der Ampel klare Antworten auf die hausgemachten Probleme beim Klimaschutz im Verkehr und bei Gebäuden. Alles andere wäre ein fortgesetzter Rechtsbruch der gesamten Regierung.”
In den Niederlanden gingen die CO₂-Emissionen im vergangenen Jahr noch stärker zurück. Laut nationaler Statistikbehörde sanken sie 2022 um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In der Industrie und im Gebäudesektor gab es demnach einen starken Rückgang des Gasverbrauchs. Die Emissionen in der fünftgrößten Volkswirtschaft der Eurozone lagen im vergangenen Jahr 32 Prozent unter dem Niveau von 1990, wie Reuters berichtet. Die Regierung strebt bis 2030 eine Senkung um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 an. nib
Umweltschützer und indigene Gruppen haben eine Klage gegen neue Öl- und Gasbohrungen in Alaska eingereicht. Die Biden-Administration hatte am Montag das Acht-Milliarden-Projekt namens “Willow” von ConocoPhillips zur Förderung von Öl und Gas im Nordwesten Alaskas bewilligt. Das Projekt sieht eine Ölförderung in Höhe von über 570 Millionen Barrel vor und wird unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 240 und 280 Millionen Tonnen CO₂ verursachen.
“Wieder einmal müssen wir vor Gericht gehen, um unser Leben, unsere Gemeinschaften und unsere Zukunft zu schützen”, sagt Siqiniq Maupin, Geschäftsführerin von Sovereign Inupiat for a Living Arctic. Die Organisation gehört zu einem Zusammenschluss von Organisationen, die jetzt Klage eingereicht haben.
Auch andere Umweltgruppen übten Kritik. “Die Genehmigung bedeutet, dass wir unsere Zukunft verspielen”, gab der Zusammenschluss “People vs. Fossil Fuels” wieder, eine US-Koalition aus über 1,200 Klimaorganisationen. Biden baue “die Infrastruktur für fossile Brennstoffe aus, die uns noch weiter ins Klimachaos treiben wird”, so die Organisation. Das Projekt sei eine “CO₂-Bombe”, sagte Ann Alexander, Anwältin des Natural Resources Defense Council, vor der Genehmigung des Projekts.
Es gilt als wahrscheinlich, dass weitere Umweltgruppen die Entscheidung vor Gericht anfechten. Laut Reuters sind die Erfolgsaussichten dieser Klagen aber gering. Sie würden die Umsetzung wahrscheinlich nur verzögern, gibt die Nachrichtenagentur einen Rechtsprofessor wieder. Wahrscheinlicher sei, dass die Ölpreise sinken und die ökonomische Grundlage des Projekts verschwände.
Am Sonntag kündigte die US-Regierung neue Schutzmaßnahmen für den Arktischen Ozean an. In fast drei Millionen Hektar der Beaufortsee sollen Ölbohrungen “auf unbestimmte Zeit verboten” werden. Die arktischen Gewässer der USA würden effektiv für die Ölexploration gesperrt werden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. nib
China hat eine neue Regierung um den am Wochenende ernannten Ministerpräsidenten Li Qiang. Der auf dem Parteitag der Kommunisten im Oktober 2022 begonnene Generationswechsel ist damit abgeschlossen. Auf die künftige Klimapolitik geben die auf dem Nationalen Volkskongress beschlossenen Personalien allerdings vorerst keinen Aufschluss. Das einmal im Jahr tagende Plenum konzentrierte sich auf die Themen Finanzen und Technologie, sowie Sicherheit und Stabilität. Einige ältere Politiker, die sich in der KP um das Klimathema gekümmert hatten, sind in Rente gegangen. Wer sie ersetzt, ist noch unklar.
Immerhin gibt es trotz derzeit anderer Schwerpunktsetzung keine Anzeichen, dass der Klimaschutz in China grundsätzlich an Bedeutung verliert. Nach Angaben von Nis Grünberg, Analyst am Merics-Institut für Chinastudien, sitzen seit dem Parteitag mehr Funktionäre mit Energie- und Umweltschutz-Hintergrund im 24-köpfigen Politbüro. Dieses trifft alle wichtigen Entscheidungen der KP, die dann zumeist auch in nationale Politik umgesetzt werden.
Unter den neuen Mitgliedern mit Nachhaltigkeits- und Klima-Expertise falle vor allem der frühere Umweltminister Chen Jining auf. Chen ist studierter Umweltingenieur und leitete mehrere Jahre die entsprechende Fakultät an der renommierten Tsinghua-Universität. In den letzten Jahren war er in der Provinzpolitik im Einsatz, zuerst als Bürgermeister Pekings und seit Oktober nun als – noch einen Rang höher – KP-Chef von Shanghai. Der bisherige Umweltminister Huang Runqiu, der China auf der Biodiversitäts-COP in Montreal vertrat, behielt sein Amt.
Allerdings liegt die Umsetzung der chinesischen Klima- und Energiepolitik hauptsächlich bei der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). “Da die grüne Transformation in China als eine Industrietransformation gedacht wird, macht das durchaus Sinn”, sagt Grünberg zu Table.Media. Der bisherige NDRC-Chef He Lifeng ist auf dem Volkskongress zum Vize-Ministerpräsidenten aufgestiegen. Sein Nachfolger ist Zheng Shanjie, der vor einigen Jahren stellvertretender Leiter der Energiebehörde war.
Offen ist derzeit auch die Zukunft von Chinas bekanntestem Klimapolitiker, dem erfahrenen COP-Verhandler Xie Zhenhua, der inzwischen 73 Jahre alt ist (Portrait). “Ich fürchte, er wird irgendwann von einem weniger erfahrenen und weniger international etablierten Funktionär abgelöst. Das würde dann dem gleichen Muster aller anderer Ressorts folgen”, meint Nis Grünberg. “Zu hoffen ist, dass er noch die kommende COP mitmacht.” Diese findet ab Ende November in Dubai statt. ck
Das EU-Parlament hat am Dienstag den Trilogergebnissen von drei Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets zugestimmt. So fehlt nur noch die finale Abstimmung im Rat, damit die Gesetzesvorschläge:
im Amtsblatt der EU erscheinen können und rechtskräftig sind.
Mit der neuen Verordnung zu LULUCF kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist, als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Mio. Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Dazu gehören die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilogeinigung zur ETS-Reform stimmt das EU-Parlament erst in der April-Sitzungswoche ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf zwölf Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
“Es gibt keinen dümmeren Spruch als ‘Der Markt regelt alles allein’“, findet Holger Lösch. Der 59-Jährige ist Vize-Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). “Die Ziele und den Rahmen muss die Politik setzen.” Ein gutes Beispiel sei der US-Inflation Reduction Act (IRA). Mit “pragmatischen Steuergutschriften” mache die Biden-Regierung die USA zu “einem der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff”, sagt Lösch. Deutschland und Europa bräuchten eine “wirksame Antwort” auf den IRA, so Lösch mit Blick auf die für den BDI enttäuschende Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie.
Volldampf voraus also für Industriepolitik und Staatsdirigismus? Das will der Verbandsmensch Lösch dann allerdings auch nicht. Für den exakten Weg zur Umsetzung – etwa der Klimaneutralität – seien die Marktmechanismen klar überlegen. Einen Weg zeigt die BDI-Studie “Klimapfade 2.0” auf, die Lösch vor zwei Jahren betreut hat. Die zentralen Ergebnisse: Die Transformation zum klimaneutralen Industrieland ist möglich, die deutschen Ziele für 2030 und 2045 lassen sich “mit schnellem Handeln” einhalten.
Lösch arbeitet seit 2008 für den Industrieverband, der mit seinen Mitgliedern 100.000 deutsche Unternehmen vertritt. Als stellvertretender Hauptgeschäftsführer arbeiten ihm fünf Abteilungen mit zusammen rund 50 Mitarbeitern zu, eine davon ist die Abteilung Energie- und Klimapolitik. Insofern sorgt sich Lösch gleichzeitig um anhaltend hohe Energiepreise und die drohende Klimakatastrophe: “Eine Plus-vier-Grad-Welt wäre sicher auch kein Paradies für Unternehmer.” Aus seiner Sicht verzettelt sich Europa allerdings zu sehr in detaillierter Regulierung, etwa dazu, welche Technologien zum Ziel führen.
Die Folge: “In der Umsetzung sind wir nicht an dem Punkt, wo wir sein wollen.” Ein Hebel, das zu ändern, sei die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. “Wenn wir drei Mal so viele Erneuerbare wollen wie aktuell, dann schaffen wir das im bestehenden System nicht.” Der US-amerikanische IRA könne als Vorbild dienen, wie man simpel – etwa durch Steuergutschriften – für mehr Geschwindigkeit sorgen könnte. Ein hochrangiger US-Beamter habe zu ihm mal über die Mentalitätsunterschiede zwischen US- und EU-Klimapolitik gesagt: “Ihr macht Dinge tiefgrün, wir machen Dinge, die Bargeld-grün sind.”
Der Spruch verfolgt ihn seitdem – und treffe zu, wenn man sich ansehe, wie ausgerechnet im republikanisch regierten Texas die Windräder aus dem Boden sprießen. Allerdings kritisiert er die Abschottungselemente, die im Subventionsprogramm der Amerikaner stecken: “Wir müssen ihnen klar sagen, wo knallharte Grenzen des Protektionismus sind, die für uns als Partner nicht tragbar sind.” Eine andere Grenze in Löschs Leben sei nicht so hart, die zwischen beruflichen und privaten Interessen. Ähnlich wie in seinem ehemaligen Job als TV-Journalist beim BR könne er “seinen Themen” in der Regel kaum entkommen, wenn er abends auf der Couch die Tagesschau gucke.
Manchmal ärgere er sich auch darüber, wie Dinge diskutiert würden. Sein Beruf sei nun mal nicht nur ein Vehikel zum Geldverdienen. Der Versuch, Wirtschafts- und Klimafragen in Einklang zu bringen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der er etwas beitragen wolle. Vor ein paar Tagen war er im Rotterdamer Hafen unterwegs und hat sich das Wasserstoffnetz angesehen, an dem dort gerade gebaut wird. Ein “super Tag”, der ihn wieder hoffnungsvoller gestimmt habe, dass Europa bald schneller vorankommt. Paul Meerkamp