Table.Briefing: Climate

Extremwetter und Klimageld + KI im Klimaschutz + Nigerias Energiewende

Liebe Leserin, lieber Leser,

gestern war globaler Erdüberlastungstag – die Menschheit hat also alle ökologischen Ressourcen aufgebraucht, die in einem Jahr maximal erneuert werden können. Und dennoch streben fossile Unternehmen nach mehr: 50 Milliarden Dollar werden dieses Jahr für die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen investiert und Großbritannien und Nigeria haben neue Pläne zur Ausweitung der Förderung fossiler Rohstoffe. Das Motto “Drill Baby, Drill” scheint wohl niemals außer Mode zu kommen.

Die vermeintliche Lösung dieses fossilen Dilemmas? CO₂ unterirdisch speichern. Laut einer neuen Studie haben unterseeische Vulkane möglicherweise großes Potenzial, zu “fossilen Mülldeponien” zu werden. Ralf Nestler berichtet über die Fallstricke und Probleme dieses CCS-Ansatzes.

Trotz Erdüberlastung, extremen Niederschlägen und Hitzewellen gibt es in Deutschland nicht mehr Zustimmung für eine ehrgeizigere Klimapolitik, sagt der Soziologe Eduardo Gresse im Interview. Er fordert: Die Bundesregierung müsse mehr für den sozialen Ausgleich im Klimaschutz tun und klarer kommunizieren, wohin es gehen soll.

Wir hoffen, dabei Orientierung zu geben!

Beste Grüße

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

“Das Klimageld sollte bald kommen”

Porträtfoto von Eduardo Gonçalves Gresse, Soziologe und Senior Postdoc am Excellenzcluster
Eduardo Gresse erforscht an der Universität Hamburg, wie gesellschaftliche Entwicklungen und der Klimawandel miteinander verbunden sind.

Herr Gresse, wir haben im Juli den heißesten Monat seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt, in Deutschland warnte Anfang Juli selbst die Bild-Zeitung vor der Hitze, und auf Rhodos mussten Tausende Menschen vor Waldbränden in Sicherheit gebracht werden. Verändert das die Sicht der Deutschen auf den Klimaschutz?

Natürlich bewegen Wetterextreme die Menschen – vor allem, wenn sie von ihnen ganz persönlich betroffen sind. Aber es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass ungewöhnlich hohe Temperaturen, Waldbrände oder andere Katastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik plötzlich erhöhen.

Was müsste die Bundesregierung denn tun, um mehr Rückhalt für eine starke Klimapolitik zu erhalten?

Die Bundesregierung müsste viel klarer kommunizieren und ambitionierte Ziele umsetzen. Sie müsste den Menschen sagen: Die Klimakrise ist ernst, aber wir können etwas dagegen tun, und so sind unsere Pläne. Sie müsste deutlich machen: Klimapolitik hat nicht nur mit Regulierung zu tun – es geht auch um Wohlstand und bessere Lebensqualität. Ein klarer klimapolitischer Plan aber ist derzeit von außen kaum erkennbar. Natürlich ist es immer schwierig, in einer Koalition Kompromisse zu finden. Erst recht, wenn zwei Parteien in der Regierung sind, die in der Klimapolitik so gegensätzlich ticken wie FDP und Grüne. Aber die Menschen erwarten, dass die Regierenden ihnen klar sagen, wohin es gehen soll.

“Bundesregierung muss klarer kommunizieren”

Was braucht es außer Klarheit und Ehrgeiz noch?

Es geht auch um Gerechtigkeit. Diejenigen, die am meisten emittieren, können die steigenden Energiekosten leicht wegstecken. Sie werden auch die Belastungen durch den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft kaum spüren. Aber was ist mit den Menschen, die ohnehin schon knapsen müssen? Wenn die Klimapolitik kein klares Signal gibt, dass sie Gerechtigkeitsaspekte wirklich ernst nimmt, dann werden sich die Konflikte weiter verstärken.

Wie sähe so ein Signal aus?

Klimaschutz und Sozialpolitik gehören immer zusammen, das ist wichtig. Im Koalitionsvertrag hat die Regierung ein Klimageld angekündigt, das vor allem den Menschen mit geringem Einkommen helfen würde. Es wäre wichtig, dass es bald kommt. Gut wäre, wenn parallel zu seiner Auszahlung auch Subventionen für die agroökologische Produktion gezahlt würden, um Konsummuster in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Oder in der Verkehrspolitik: Da sind Investitionen in die Bahn-Infrastruktur in Verbindung mit dem Neun-Euro- oder Deutschlandticket essenziell. Im Moment sieht es aber danach aus, als würde nicht einmal das Klimageld für sich genommen in der laufenden Legislaturperiode beschlossen werden.

Dennoch: Warum schlägt sich die zunehmende Zahl von Extremwettern in unserer Nähe nicht in mehr Unterstützung für den Klimaschutz nieder?

Im Alltag wird das oft schnell wieder von anderen Sorgen überlagert, und das Klima verschwindet wieder aus den Medien. Nehmen Sie die schlimmen Überschwemmungen im Ahrtal vor zwei Jahren. Damals wurde viel über das Klima diskutiert, und viele Menschen waren wirklich erschüttert vom Ausmaß der Zerstörung. Aber dann wurde die Klimakrise durch die Pandemie verdrängt, und heute haben wir eine Energiekrise und Inflation. Im Moment sehen wir eher einen Backlash gegen den Klimaschutz.

Was meinen Sie mit Backlash?

Im September 2019 war die Klimapolitik noch im Aufwind, Millionen gingen weltweit mit Fridays for Future auf die Straße, in Deutschland demonstrierten Hunderttausende, die Grünen befanden sich in einem Umfragehoch. Jetzt aber geht es gerade für die Grünen darum, eine ehrgeizige Klimapolitik in die Praxis umzusetzen – und das ist auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Regierung schwierig. Viele Leute wollen eben keinen ambitionierten Klimaschutz. Andere sind umso enttäuschter, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Das führt zu Konflikten.

Interessen, Ideologien und Machtstrukturen

In Deutschland schlägt sich die Enttäuschung gerade in vergleichsweise radikalen Protesten nieder.

Aktuell passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Wir haben die Aktionen der Letzten Generation – zugleich protestieren auch andere Gruppen, die sich von der Klimapolitik überfordert fühlen, weil die jetzt beginnt, in ihren persönlichen Alltag einzugreifen, ins Heizen, ins Autofahren. Hinzu kommen ganz reale Sorgen durch den Krieg in Europa, die Energiekrise, die Inflation – und einige Medien und Parteien, die eine ehrgeizige Klimapolitik aktiv hintertreiben und auch absichtlich polarisieren. Dahinter stecken politische und wirtschaftliche Interessen, etwa der fossilen Industrie, Machtstrukturen und auch Ideologien. Nehmen Sie die hitzige Debatte ums Tempolimit. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung würde nicht nur dem Klima nützen, sondern auch der Verkehrssicherheit. Aus wissenschaftlicher Sicht hätte sie nur Vorteile. Trotzdem lässt sich ein Tempolimit aus ideologischen Gründen nicht durchsetzen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es der Menschheit noch gelingt, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten?

Für ziemlich unwahrscheinlich. Unsere Studie “Hamburg Climate Futures Outlook” zeigt, dass das vor allem an den gesellschaftlichen Triebkräften liegt, denn rein physikalisch wäre die 1,5-Grad-Grenze noch zu halten. Vor allem zwei Faktoren verhindern derzeit, dass die Welt sich auf den Weg hin zur tiefen Dekarbonisierung macht – also hin zu einer Wirtschaft und Gesellschaft, die netto keine Treibhausgase mehr verursacht.

Unternehmen müssen aktiver werden

Welche zwei Faktoren sind das?

Die globalen Konsummuster sind ein Faktor. Wir sehen ganz klar, dass die Emissionen aus dem Konsum stetig weiter steigen und mit großen sozialen Ungleichheiten verbunden sind. Der andere liegt in den Strategien der Unternehmen. Zwar haben sich viele Firmen Klimaschutzziele gegeben, aber alles in allem sehen wir nicht, dass der Unternehmenssektor als Ganzes die Dekarbonisierung unterstützt.

Zugleich verschärft sich die Klimakrise immer weiter. Bringt uns das irgendwann vielleicht doch noch an einen gesellschaftlichen Kipppunkt, ab dem engagierte Klimapolitik nicht mehr in Frage gestellt wird?

Ich halte den Begriff “gesellschaftlicher Kipppunkt” für irreführend. Ein Kipppunkt würde bedeuten, dass die Entwicklung nicht mehr zurückgedreht werden kann, sobald er überschritten ist. Ich bin da skeptisch. Die Forschung zeigt eher, dass Gesellschaften sich dynamisch bewegen. Mal geht es in die eine Richtung, dann in die andere. Und gerade schwingt das Pendel eher zurück.

Gibt es auch Entwicklungen, die Ihnen Hoffnung für das Klima machen?

Hoffnung macht mir die weltweite Verbreitung von fundamentalen Normen wie “Klimagerechtigkeit” sowie die Mobilisierung von – vor allem jungen – Leuten, die sich in der Klimabewegung und in der Politik engagieren. Klimaklagen sind auch wichtige Entwicklungen, sowie eine öffentliche Debatte, die sich immer stärker um das Klima dreht. Der Wandel geschieht nicht so schnell, wie wir es uns wünschen würden. Aber neben den Bremsern gibt es auch gesellschaftliche Kräfte, die in die richtige Richtung gehen.

Eduardo Gonçalves Gresse ist Soziologe und Senior Postdoc am Exzellenzcluster “Climate, Climatic Change and Society (CLICCS)” der Universität Hamburg. CLICCS erforscht, wie sich Klimaveränderungen und gesellschaftliche Entwicklungen gegenseitig beeinflussen, und leitet daraus ab, welche “Klimazukünfte” möglich und plausibel sind. Ein weiterer Schwerpunkt von Gresses Forschung ist die Nachhaltigkeitsgovernance, insbesondere in Brasilien.

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  • Energiewende
  • Extremwetter
  • Klimapolitik

KI im Klimaschutz: Potenziale und Risiken

Spätestens seit dem Aufkommen des vermeintlich intelligenten Chatbots ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der breiten Öffentlichkeit angekommen: Welche Jobs wird KI vernichten? Wird sie die Menschen überflügeln, gar bedrohen? Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt. Die Klimawissenschaft erforscht bereits, wie sich KI für bessere Vorhersagen einsetzen ließe. Welche Möglichkeiten bietet KI darüber hinaus für den Klimaschutz – und welche Hoffnungen sind womöglich übertrieben?

KI für klimafreundliches Verhalten

Die Beratungsfirma Boston Consulting Group und das von Microsoft gesponsorte Umweltschutzprogramm AI for the Planet sehen in KI-Anwendungen große Potenziale für den Klimaschutz. In einem gemeinsamen Bericht listen die beiden Organisationen auf, dass KI:

  • die Entscheidungsfindung in Unternehmen verbessern und Prozesse optimieren könne,
  • klimafreundliches Verhalten unterstützen könne,
  • und beim Sammeln und Vervollständigen von komplexen Datensets helfen könne.

Um die Pariser Klimaziele erreichen zu können, müssen die Emissionen bis 2030 um gut 50 Prozent sinken. “Unsere Erfahrung mit Kunden zeigt, dass der Einsatz von KI fünf bis zehn Prozent der erforderlichen Reduzierung bewirken kann“, zeigt sich die Boston Consulting Group (BCG) optimistisch. Weltweit könnten so demnach zwischen 2,6 und 5,3 Gigatonnen CO₂-Äquivalente eingespart werden.

Intelligente Anpassungsstrategien

Auch zur Anpassung an den Klimawandel könne KI beitragen, beispielsweise durch die Verbesserung von Risiko- und Gefahrenprognosen. Laut Hamid Maher, einem Mitautor des BCG-Berichts, könne KI beispielsweise dazu genutzt werden, intelligente nationale Adaptionspläne an die Klimakrise zu erarbeiten. “Der Klimawandel ist komplex, es gibt viele Faktoren und Risiken”, sagt er. “Das macht es schwierig, gute Entscheidungen zu treffen. Dabei kann KI helfen, weil sie verschiedene Faktoren besser abwägen und priorisieren kann“.

Künstliche Intelligenz könne auch zu klimafreundlichem Verhalten ermutigen, so Maher. Egal, ob die nächste Autofahrt, das Ferienziel oder die Mittagessen-Bestellung – immer mehr menschliche Entscheidungen werden, vom Konsumenten häufig unbemerkt, von (Empfehlungs-)Algorithmen beeinflusst. Dies geschieht durch das recht bekannte “Nutzer, die dieses Produkt kauften, kaufen auch” oder durch Algorithmen, die im Hintergrund Klickverhalten auswerten und darauf aufbauend weitere Inhalte wie Videos oder Webseiten vorschlagen. Wenn sichergestellt sei, dass Algorithmen in ihre Berechnungen auch Emissionen berücksichtigen, könne man klimafreundlichere Entscheidungen herbeiführen.

Für Microsoft und BCG sind KI-Anwendungen und -Dienstleistungen ein großes neues Geschäftsumfeld. Auch deshalb stellen sie den Nutzen von KI in den Vordergrund.

Noch viel ungenutztes Potenzial

Lynn Kaack, Assistenzprofessorin für Computer Science and Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin, forscht zum Zusammenspiel von KI und Klimaschutz. Sie sieht zwar Potenziale, weist aber auch auf einige Herausforderungen bei der Bewertung der Klimafolgen von KI hin. Aus ihrer Sicht sei es schwierig zu beurteilen, in welchem Bereich KI das größte Potenzial für Klimaschutz hat. Das hänge zum einen davon ab, wie viel Klimawirkung ein Sektor habe, zum anderen auch davon, wo der Sektor in Sachen KI steht. Während KI in der Wissenschaft und im Ingenieursbereich schon verhältnismäßig oft zum Klimaschutz eingesetzt werde, gebe es trotzdem zum Beispiel bei Heiz- und Kühlsystemen sowie bei flexibler Steuerung in Energiesystemen noch viel ungenutztes Potenzial. Außerdem weit Kaack auf einen Wettbewerbsnachteil von kleinen und mittelgroßen Unternehmen hin: “Große Firmen haben eher die Kapazitäten und das Kapital, KI fürs Klima zu nutzen”, sagt sie.

Hoher Energieverbrauch und Einsatz für Öl- und Gasförderung

“Bisher wird KI vor allem zur Kostenersparnis in Unternehmen eingesetzt”, sagt Kaack. Das könne sogar konträr zum Klimaschutz sein. Ein Beispiel: Im Öl- und Gassektor werden KI-Anwendungen genutzt, um mehr fossile Rohstoffe fördern zu können. Außerdem müsse man bedenken, dass KI sowohl in ihrer Entwicklung – beim Lernen aus großen Datenmengen – als auch in der Anwendung selbst einen hohen Energieverbrauch habe. Hamid Maher gibt in dem Zusammenhang zusätzlich zu bedenken, dass komplexe KI häufig für relativ einfache Problemstellungen genutzt werde. Das verbrauche dann unnötig viel Energie.

Aus der Sicht von Kaack sind verschiedene Maßnahmen denkbar, die dazu führen können, dass KI zum Klimaschutz beiträgt.

  • Die Anwendung für den Klimaschutz fördern: Das könnte zum Beispiel durch Forschung und Pilotprojekte passieren.
  • Die klimaschädliche Anwendung transparent machen: Es müsse klarer werden, wo KI klimaschädlich angewendet werde. Zudem müsse auch aufgezeigt werden, wo die Technologie wirklich Einsparungen bewirke und wo sie eventuell für Greenwashing eingesetzt werde.
  • Der direkte Energieverbrauch von KI muss sichtbar sein: Gerade Deep-Learning-Modelle wie ChatGPT verbrauchen viel Energie. Informationen darüber müssten zugänglich gemacht werden.
  • Die Effekte auf Wirtschaft und Gesellschaft sollten genau untersucht werden: KI kann zum Beispiel zu zusätzlichem Konsum verleiten und so zu negativen Klimaeffekten führen.

Damit KI klimafreundlich eingesetzt werden kann, braucht es wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Kaack begrüßt in dem Zusammenhang beispielsweise, dass die Dimension Klima in das Gesetzgebungsverfahren des “AI Act” der EU Einzug gefunden hat. Der AI Act ist weltweit eine der ersten größeren gesetzlichen Regelungen zu künstlicher Intelligenz.

Nach aktuellem Stand des AI Acts soll KI demnach nicht nur dann als risikoreich eingeschätzt werden, wenn sie eine Gefahr für Sicherheit und Gesundheit darstellen kann, sondern auch dann, wenn sie sich negativ auf das Klima auswirkt. Das sei der richtige Ansatz. Kaack findet aber, die EU müsse in Sachen Transparenzanforderungen an KI nochmal nachschärfen.

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Nigeria: Viel Öl und Gas – trotzdem fast auf Paris-Kurs

Lagos: U-Bahnbau und Ölplattform im Hafen

In Nigeria, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Afrikas, steht die Energie- und Klimapolitik vor großen Veränderungen. Der elftgrößte Ölproduzent der Welt, der an Platz 25 der Liste der globalen Treibhausgasemittenten steht, verfolgt eine widersprüchliche Strategie: Das Land will bis 2060 klimaneutral werden und die erneuerbaren Energien voranbringen, aber gleichzeitig die Förderung der heimischen Öl- und Gasreserven ausbauen. Trotz dieser fossilen Pläne sieht der “Climate Action Tracker” das Land fast auf einem Paris-kompatiblen Pfad.

Deutliches Zeichen für die Veränderungen: Bei Amtsantritt Ende Mai verkündete Präsident Bola Tinubu, die Subventionen für Treibstoff würden abgeschafft, weil das Geld fehle. Die Zahlungen sind seit 2005 von 400 Millionen Euro auf umgerechnet über vier Milliarden Euro für 2023 gestiegen. Ohne die Subventionen verdreifachte sich der Preis für Kraftstoff – Panikkäufe waren die Folge.  

Investitionen in erneuerbare oder fossile Energien?

Seitdem drängen Experten und wichtige Interessengruppen auf weitere Investitionen in erneuerbare Energien. Sie behaupten, wenn 30 Prozent der nigerianischen Haushalte bis 2030 auf Solarenergie umsteigen würden, könnten jährlich fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart und die Emissionen der Haushalte um 30 Prozent reduziert werden.

Allerdings hat Präsident Tinubu, ähnlich wie sein Vorgänger, in der Energiepolitik andere Ansichten. Er hat sich für eine Steigerung der Öl- und Gasproduktion ausgesprochen. Gleichzeitig sieht er aber die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von der Öl- und Gasindustrie zu verringern und die Solarenergie zu fördern.

Nigeria ist mit über 200 Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich größte Volkswirtschaft Afrikas. Nach Südafrika ist es der zweitgrößte afrikanische Emittent von Treibhausgasen. Mit 18 in Betrieb befindlichen Pipelines und einer durchschnittlichen Tagesproduktion von 1,8 Millionen Barrel im Jahr 2020 ist Nigeria der elftgrößte Ölproduzent der Welt. Seine Wirtschaft hängt weitgehend von Öl und Gas ab.

Afrikas größte Volkswirtschaft in der Energiekrise

Nahezu 90 Prozent der nigerianischen Ausfuhren und neun Prozent des BIP entfallen auf die Erdölindustrie. Ab 2020 verfügt Nigeria über 86,9 Millionen Tonnen und 49,4 Milliarden Kubikmeter (bcm) an nachgewiesenen Reserven an Erdgas beziehungsweise Erdöl.

Gleichzeitig leidet Nigeria unter einer Energiekrise: 92 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Elektrizität, der niedrigste Wert weltweit. Über 40 Prozent der nigerianischen Haushalte nutzen Generatoren, um bei einem unzuverlässigen Stromnetz eigenen Strom zu erzeugen. Sie geben dafür jährlich etwa 14 Milliarden Dollar aus. 

Erneuerbare Energien haben in Nigeria großes Potenzial, vor allem als “traditionelle” Energie: Bisher macht Biomasse fast 82 Prozent des Energieverbrauchs aus – zum größten Teil geht das auf Holz fürs Kochen zurück. Gas macht acht Prozent des Gesamtverbrauchs aus, Petroleum etwa fünf Prozent. Wasserkraft trägt nur 0,4 Prozent zum Gesamtverbrauch an Energie bei, leistet aber etwa 27 Prozent für die Stromerzeugung des Landes. Die Regierung will Wasserkraft ausbauen und etwa drei GW Wasserkraft-Leistung durch das Mambilla-Projekt entwickeln.

Der Plan: Armut bekämpfen, 2060 klimaneutral sein

Nigeria plant, die Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig eine sozial-gerechte Entwicklung und die Beseitigung der Armut zu gewährleisten. Mit dem Climate Change Act 2021 hat sich das Land verpflichtet, bis 2060 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Der Plan für die Energiewende (ETP) wurde vor der COP27 vorgestellt, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Er soll den Energiesektor bis 2060 von fossilen Brennstoffen auf kohlenstofffreie Energie umstellen.

Der ETP legt einen Zeitplan und einen Rahmen für die Reduzierung der Emissionen in fünf Schlüsselsektoren fest, die für 65 Prozent der insgesamt etwa 275 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verantwortlich sind:

  • Industrie
  • Elektrizität
  • Verkehr
  • Öl- und Gasindustrie
  • Kochen

Der Plan soll 100 Millionen Nigerianer aus der Armut befreien, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und der gesamten Bevölkerung moderne Energiedienstleistungen zur Verfügung stellen. Auch sollen die erwarteten langfristigen Jobverluste im Ölsektor bewältigt werden.

Emissionen steigen, trotzdem Politik “fast ausreichend”

Der Climate Action Tracker (CAT) schätzt, dass Nigerias Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 bei den aktuellen Rahmenbedingungen und ohne Landnutzung um 34 bis 43 Prozent über dem Niveau von 2010 liegen werden. Der Index bewertet Nigerias Klimaziele und -politik trotzdem als “fast ausreichend”: Die Verpflichtungen stimmten zwar noch nicht mit dem im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturlimit von 1,5°C überein. Dies wäre aber mit moderaten Verbesserungen möglich.

Laut CAT hat das Land 2023 neue Regeln für die Reduktion von Methanaustritten beschlossen und ein Konzept für einen CO₂-Preis angekündigt. Allerdings warnen die Experten, der weitere Ausbau von Öl und Gas könne zu größeren “Stranded Assets” und falsch angelegten Investitionen führen. Der Netto-Null-Plan bis 2060 brauche “signifikante internationale Unterstützung”.

Gas als Brückenenergie

Nigeria will als afrikanischer Vorreiter für eine “faire, integrative und gerechte Energiewende” gelten, der Gas als “Übergangsbrennstoff” einsetzt. Die Regierung hat ein “Jahrzehnt des Gases” ausgerufen. Diese Initiative von 2021 soll die riesigen Gasreserven für Wirtschaftswachstum und Entwicklung nutzbar machen. Bis 2030 will die Regierung dadurch zwölf Milliarden Dollar an Lizenzgebühren und Steuern einnehmen, 14 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen anziehen und zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.

Ayodele Oni, Partner der Anwaltskanzlei Bloomfield und Energieberater, sagte, die Debatte um Erdgas als Alternative für Generatoren, Fahrzeuge und Haushaltsgeräte sei durch die aktuelle Erhöhung der Spritpreise befeuert worden. In die nötige neue Infrastruktur für den Übergang von Öl zu Gas “müssen erhebliche Mittel investiert werden. Die Weltbank schätzt, dass dafür in Afrika jährlich 95 Milliarden Dollar benötigt werden. Nigeria hat dabei einen der größten Infrastrukturbedarfe auf dem Kontinent.” Auch nutze es, dass der Westen Afrika als “zuverlässige Ersatzquelle für russisches Gas” sehe, so Oni. Ziel bleibe aber die vollständige Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien.

1,9 Billionen Dollar für die Dekarbonisierung

Nach Berechnungen des ehemaligen Vizepräsidenten Yemi Osinbajo werde die Energiewende bis 2060 insgesamt 1,9 Billionen Dollar kosten. Sie werde erhebliche öffentliche Investitionen erfordern. Vor der COP27 hatte die Regierung international für ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Dollar geworben, bislang erfolglos.

Damilola Hamid Balogun, Mitbegründer des Youth Sustainable Development Network, fordert einen grünen Fonds, der einen Teil der Einnahmen aus fossilen Brennstoffen ausschließlich für die Finanzierung von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien erhalten soll. Nigeria solle Kohlenstoff besteuern, genau wie Südafrika, und die Erlöse für die Energiewende verwenden. Von Samuel Ajala, Abuja

  • Fossile Brennstoffe
  • Nigeria

Vulkane am Meeresboden als CO₂-Deponie?

Vulkanischer Ozeanboden vor Indonesien.

In der immer lauter werdenden Debatte um die Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS) rücken jetzt potenzielle neue Lagerstätten in den Fokus: Möglicherweise sind auch erloschene Unterwasservulkane für diese Technik geeignet. Das legt eine Studie von Ricardo Pereira und Davide Gamboa von der Universidade Nova de Lisboa im Fachmagazin “Geology” nahe.

Die Forscher analysierten einen Vulkan, der rund 100 Kilometer westlich von Lissabon im Atlantik liegt. Während der Kreidezeit, vor etwa 70 bis 90 Millionen Jahren, förderte er Basaltlava, die im Ozean rasch abkühlte. Die Reste des Kraterrands befinden sich in 2000 Metern Wassertiefe. Pereira und seine Kollegen untersuchten ihn mithilfe von geophysikalischen Messungen und Gesteinsproben, die mit Schlepp- und Schürfgeräten gesammelt wurden.

Großes Potenzial: Jahrzehnte der Industriemissionen aus Portugal

Ihren Berechnungen zufolge könnte der Vulkan zwischen 1,2 und 8,6 Gigatonnen CO₂ aufnehmen. Das entspräche den durchschnittlichen Industrieemissionen Portugals über 24 beziehungsweise 125 Jahre, schreibt das Team.

Es wäre – auf dem Papier – eine bedeutsame Option, um das Land schnell klimaneutral zu machen. Und es würde gut in die internationale Debatte passen: so plädiert etwa Sultan Al Jaber, der designierte Präsident der COP28 und Vorstandschef von ADNOC, der Öl- und Gasgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stark für die Nutzung von CCS. Länder und Unternehmen wie Norwegen, Dänemark, die EU und Wintershall/Dea unterstützten ihn dabei.

Natürliches Verfahren bindet CO₂ schnell im Gestein

Basalt ist grundsätzlich gut geeignet, um CO₂ aufzunehmen. In der Natur geschieht das von allein über Jahrtausende. Bei CCS wird der Prozess beschleunigt, indem das Treibhausgas in Wasser gelöst und durch den Fels gepumpt wird. Das ist möglich, denn das Gestein ist von winzigen Brüchen und Hohlräumen durchzogen – und genau dort reagiert das CO₂ etwa mit Kalzium und Magnesium und bildet feste Karbonatminerale.

Auf Island wird das beim “Carbfix”-Projekt bereits angewendet. Ozeanböden gelten wegen ihrer mineralogischen Zusammensetzung ebenfalls als geeignet, insbesondere alte Unterwasservulkane. “Wenn diese in relativ geringer Tiefe eruptiert sind, haben sich viele kleine Partikel gebildet, die insgesamt eine große Oberfläche haben und damit sehr günstig für die CO₂-Umsetzung sind”, sagt Colin Devey vom Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, der an Pereiras Studie nicht beteiligt ist. Der Unterwasserberg vor Portugal scheint in diese Gruppe zu gehören.

Unsicher: wie groß und wie dicht ist der Speicher?

Jedoch sind die Unsicherheiten bei den Eigenschaften des Vulkans noch immer groß. Nicht zuletzt bei der entscheidenden Frage, wie viel Kohlendioxid bei einer solchen Injektion wirklich mineralisch gebunden würde – und wie viel über Felsklüfte ins Meer gelangen könnte. Entsprechend weit gehen die Schätzungen über die mögliche Speichermenge von 1,2 bis 8,6 Gigatonnen CO₂ auseinander.

Zwar ist das theoretische CCS-Potenzial solcher Unterwasserberge groß, denn es gibt viele weitere Vulkane vor den Küsten Europas, Afrikas, in Südostasien oder Australien. “Am Ende muss man aber jeden einzelnen genau untersuchen, um eine Aussage zur Speicherfähigkeit zu treffen”, sagt Devey. Es lohne sich zudem, auch die Gesteine im gewöhnlichen Ozeanboden abseits der Vulkane als CCS-Option zu erforschen. “Durch die aufliegenden Sedimente ist der wirklich dicht, da kommt nichts raus.”

Seiner Ansicht nach besteht in beiden Fällen der Vorteil darin, dass das Kohlendioxid in Basalten binnen Wochen oder Monaten feste Minerale bildet und damit gebunden ist. In alten Erdgaslagerstätten etwa, die aus porösem Sandstein bestehen, dauert das viel länger. “Wenn es da ein Leck geben sollte, kann auch in Zukunft noch CO₂ entweichen.”

Alte Gasfelder: Technik bekannt und beherrschbar

Auf der anderen Seite sind diese CCS-Horizonte in ausgedienten Gasfeldern gut erkundet und es gibt Erfahrungen in der Speichertechnologie. Für zügigen und effektiven Klimaschutz wären sie wahrscheinlich günstiger und schneller zu verwirklichen als Vulkane und ozeanische Kruste, wo noch mehr Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig ist. Ehe dort eine Deponierung des Treibhausgases im industriellen Maßstab beginnen kann, dürften etliche Jahre vergehen.

Für Länder wie Deutschland, die 2045 klimaneutral sein wollen, könnte diese Option zu spät kommen. Bisher ist CCS in Deutschland ohnehin praktisch untersagt, auch wenn die chemische Industrie hier eine neue Debatte fordert. Immerhin arbeitet das Wirtschaftsministerium an einer neuen Strategie, die es erlauben soll, CO₂ aus der Industrie in Nachbarländer zu exportieren.

Experten: Keine schnelle und umfassende Lösung

Die großen Erwartungen zum Klimaschutz werde CCS im globalen Maßstab nur ansatzweise erfüllen, warnten dagegen 2021 Joe Lane und Chris Greig von der Princeton University sowie Andrew Garnett von der University of Queensland in Brisbane im Journal “Nature Climate Change”. Versuche, die Industrie zu stimulieren, blieben hinter den Erwartungen zurück.

Auch für die Zukunft sind die Autoren skeptisch: Hindernisse gebe es:

  • bei der Geologie, die potenzielle Speicher nur in bestimmten Regionen biete,
  • bei der wissenschaftlich-technischen Expertise, die nicht immer vorhanden sei,
  • bei der fehlenden Akzeptanz in der Gesellschaft,
  • und bei der Frage, wie die hohen Kosten finanziert werden sollen.

All das bremst nach Meinung der Experten die Entwicklung. Besonders große Verzögerungen sehen sie in Asien. Sie fordern, die genannten Probleme sollten dringend angegangen werden, um die Unsicherheiten bei CCS abzubauen. Das Verfahren sei unbedingt nötig, um ein Übersteigen des Emissionsbudgets im Sinne des Paris-Abkommens zu vermeiden.

  • CCS
Translation missing.

Termine

30. Juli bis 6. August, Hannover
Camp System Change Camp
Ende Gelände veranstaltet in Hannover das System Change Camp zur Vernetzung der Klimagerechtigkeitsbewegung.  Infos

3. August, 10 Uhr, Online
Webinar Aktueller Stand Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
Die Komplexität der Nachhaltigkeitszertifizierung von Biogasanlagen führt bei zahlreichen Betreibern immer noch zu einigen Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen. Diese werden im Rahmen eines einstündigen Web-Seminars des Fachverbands Biogas aufgegriffen. Infos

4. August, 9.30 Uhr, Freiburg
Planspiel Wasser in der Klimakrise
Angesichts der Klimakrise werden sowohl Dürren als auch Fluten wahrscheinlicher. Auf dem Planspiel der Heinrich-Böll-Stiftung wird über das Spannungsfeld Wasser in der Klimakrise diskutiert.  Infos

5. August, 11.15 Uhr, Flensburg
Stadtrundgang Nachhaltige Lebenswelten: Suffizienter Stadtrundgang durch Flensburg
Der Stadtrundgang vom Transformativen Denk und Machwerk e. V. beschäftigt sich mit der Frage, wie Stadträume gestaltet und verteilt sein sollen und wie man in einer Stadt künftig ressourcenarm und gut gemeinsam leben kann.  Infos

7. August, 19.30 Uhr, Freitag/Online
Vortrag Aktiv werden und bleiben gegen die Multiplen Krisen
Im Rahmen der Zukunftsakademie Freiburg 2023 spricht Marina Weisband über Selbstwirksamkeit vor dem Hintergrund der multiplen Krisen. Infos

7. bis 11. August, Lübbenau
Akademie Zukunftsakakademie Lausitz 2023
Im Mittelpunkt der Akademie steht die Frage, wie die Energieregion Lausitz in der Zukunft gestaltet werden kann. Die Zukunftsakademie ist eine gemeinsame Veranstaltung des QLEE – Qualifizierungsverbundes in der Lausitz für Erneuerbare Energien und des DGB-Projektes REVIERWENDE. Beide Projekte werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen von STARK gefördert. Infos

8. August, 11:30 Uhr, Online
Webinar Loss and Damage in South Asia: What COP28 needs to deliver for the region
Südasien ist besonders anfällig für Klimarisiken, da die Entwicklungsbedingungen in der Region eingeschränkt sind und die Lebensgrundlagen überwiegend klimasensibel sind. Die daraus resultierenden Verluste und Schäden für Mensch und Natur, die bereits jetzt entstehen, werden mit der Erwärmung der Welt weiter zunehmen. Welche Vereinbarungen zu Loss and Damage auf der COP28 abgeschlossen werden sollten, wird in diesem Webinar diskutiert. Infos

8. August, 17 Uhr, Online
Webinar Firm Capacity in Central America: definitions and implications for Variable Renewable Energy
Im Jahr 2015 entwickelte IRENA den Clean Energy Corridor of Central America (CECCA). Die Initiative fördert die beschleunigte Einführung und den grenzüberschreitenden Handel mit Strom aus erneuerbaren Energien in Zentralamerika im Rahmen des regionalen Strommarktes und des regionalen Übertragungsnetzes (SIEPAC). Auf dem Event wird deren aktueller Bericht vorgestellt.  Infos

News

Klima in Zahlen: Was gegen die Erdüberlastung wirkt

Der gestrige Mittwoch markierte den globalen Erdüberlastungstag. Fast fünf Monate vor Jahresende hat die Menschheit laut Berechnungen des Global Footprint Network so viele Ressourcen von der Erde in Anspruch genommen, wie alle Ökosysteme im gesamten Jahr erneuern können. Laut dem Netzwerk machen die CO₂-Emissionen 60 Prozent des gesamten menschlichen “ökologischen Fußabdrucks” aus.

Um den Tag nach hinten zu verschieben, das heißt weniger ökologische Ressourcen zu verbrauchen, schlägt die Organisation einige Lösungen vor. Unter den wirksamsten sind demnach vor allem Maßnahmen aus dem Energiebereich, zum Beispiel:

  • ein CO₂-Preis von 100 US-Dollar pro Tonne CO₂. Er würde den Erdüberlastungstag um 63 Tage nach hinten verschieben und ist damit laut Global Footprint Network die wirksamste Einzelmaßnahme.
  • der Umbau der Städte hin zu ressourcenschonenderen Smart Cities. Umweltfreundlicher Verkehr, ein effizienteres und klimafreundlicheres Energiesystem und energieeffizientere Gebäude könnten den Erdüberlastungstag um 29 Tage verschieben, so das Global Footprint Network.
  • eine Verdopplung des Anteils des Stroms aus erneuerbaren Energien von derzeit 39 auf 75 Prozent der Stromerzeugung. Sie würde weitere 26 Tage bringen.
  • mehr grüne Finanzinvestitionen; grüner Wasserstoff für den Flugverkehr und Industrieprozesse wie Stahl und Zement; der Ausbau von Energiespeichern für die Stromversorgung.
  • und auch die Nutzung traditioneller Bautechniken, damit Gebäude besser an lokale Wetterextreme angepasst sind und beispielsweise weniger Energie zum Heizen oder Kühlen brauchen.

Laut Global Footprint Network liegt der Erdüberlastungstag seit 2010 auf einem Datum Anfang August. Nur im Corona-Jahr 2020 verschob er sich leicht auf Mitte August. Zum Vergleich: 1971 lag der Tag noch Ende Dezember. Damals hätte eine Erde also fast noch ausgereicht, um den Ressourcenbedarf der Menschheit zu decken. nib

  • Energiewende
  • Verkehrswende

Prognose: 50 Milliarden Dollar für Öl- und Gassuche

Öl- und Gasfirmen werden im laufenden Jahr möglicherweise über 50 Milliarden US-Dollar in die Suche nach neuen konventionellen Erdöl und -gasvorkommen – so viel wie seit 2019 nicht mehr. Das geht aus Berechnungen von Rystad Energy hervor, einem Unternehmen für Energieforschung und Business Intelligence.

Die sechs großen Ölkonzerne Exxon Mobil, BP, Shell, Total Energies, Eni und Chevron werden demnach rund sieben Milliarden US-Dollar in die Suche nach neuen Vorkommen investieren. Staatliche Firmen werden den Prognosen zufolge mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben ausmachen. Für das Klima sind das keine guten Nachrichten: Die Erschließung und Ausbeutung neuer Öl- und Gasfelder ist nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar.

In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden mit 2,6 Milliarden Barrel zwar weniger Öl- und Gas-Vorkommen gefunden als in der ersten Hälfte des Vorjahres (4,5 Milliarden Barrel). Doch nach Angaben von Rystad Energy wurden nur 30 Prozent der erwarteten Bohrungen bereits abgeschlossen. In den kommenden Monaten könnten also noch weitere Funde anstehen. Bei mehr als der Hälfte der für 2023 erwarteten Explorationsbohrungen handelt es sich demnach um Tiefsee- oder gar “Ultra-Tiefseebohrungen” mit einer Tiefe von 125 bis 1.500 Metern oder mehr. nib

  • Erdgas
  • Erdöl
  • Fossile Brennstoffe
  • Wirtschaft

UK: Rishi Sunak will heimisches Öl und Gas “maximal” ausbeuten

Der britische Premier Rishi Sunak hat angekündigt, mehr als 100 neue Lizenzen für die Öl- und Gasförderung in der Nordsee zu vergeben, berichtet der britische Guardian. Sunak will demnach auch Bohrungen nach den größten bislang unerschlossenen Reserven des Vereinigten Königreichs im Rosebank-Feld zulassen, das 500 Millionen Barrel Öl enthält. Der Premier habe erklärt, er wolle die heimischen Öl- und Gasreserven “maximal ausnutzen”.

Dem Artikel zufolge erklärte Sunak, seine Öl- und Gas-Pläne seien “gut für Jobs, aber auch gut für das Klima”. Sie seien auch “kompatibel” mit der Verpflichtung, die heimische Wirtschaft zu dekarbonisieren. Das Land werde noch auf Jahre teilweise von fossilen Treibstoffen abhängig sein. Sie zu importieren, verursache mehr Emissionen als die heimischen Reserven zu nutzen. Doch laut Guardian widersprechen Experten und Umweltorganisationen Sunaks Darstellung – nicht nur in diesem Punkt.

Zwei ehemalige Minister der konservativen Tories, führende Politiker der oppositionellen Labour-Partei, Umweltschutzorganisationen, Forschende und Vertreter von Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien kritisieren demnach Sunaks Pläne. Der Hintergrund: Die britische Regierung will bis 2050 netto null Emissionen erreichen. Doch schon die Pläne zur künftigen Energieversorgung, die sie im Frühjahr vorgelegt hatte, waren allgemein mit Enttäuschung aufgenommen worden.

Zusätzlich zu den neuen Lizenzen will der britische Premier laut Independent auch zwei weitere Projekte zur CO₂-Abspaltung und -Speicherung (CCS) vorantreiben. Sie seien “Teil des Antriebs in Richtung netto-null”. Wie der Independent weiter berichtet, hofft die britische Regierung, dass durch CCS bis 2030 im Land 50.000 Arbeitsplätze entstehen könnten. Durch die Ausbeutung der heimischen Öl- und Gasreserven wolle Sunak zudem die Energieunabhängigkeit des Vereinigten Königreichs erhöhen. ae

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Studie: Export-Förderung ist Treiber der Kohlefinanzierung im Ausland

Die Förderung der Exportindustrie ist ein wesentlicher Treiber für die Gewährung öffentlicher Kredite für neue Kohlekraftwerke im Globalen Süden. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie unter der Leitung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), die in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters erschienen ist. Die Finanzierung durch öffentliche Banken, vor allem aus China, Japan und Südkorea, ist oft entscheidend für den Bau neuer Kohlekraftwerke im Globalen Süden.

Für ihre Studie analysierten die Autorinnen und Autoren 188 Kraftwerksanlagen mit 91 Gigawatt, die seit 2018 fertiggestellt wurden oder bald in Betrieb genommen werden. Über 70 Prozent der Anlagen mit 65 Gigawatt Leistung wurden ganz oder teilweise von ausländischen Kapitalgebern finanziert. In 60 Prozent der Fälle stammte beispielsweise der Turbinenhersteller aus dem gleichen Land wie die kreditgebende Bank. “Hersteller von Turbinen, Stromgeneratoren oder Dampfzufuhrsystemen sowie Projektdienstleister wie Architekturbüros oder Ingenieurfirmen mobilisieren offensichtlich Kapitalgeber im eigenen Land, um jenseits der Grenzen selbst ins Geschäft zu kommen”, sagt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Co-Autor der Studie. Eine Expertenbefragung ergab demnach, dass ausländische Regierungen ihre Entwicklungsförderbanken zur Förderung der eigenen Exportindustrie nutzen.

China, Japan und Südkorea waren in den letzten Jahren die letzten großen Finanzierer von Kohlekraftwerken im Ausland – westliche Staaten und multilaterale Entwicklungsbanken hingegen haben Finanzzusagen für Kohleprojekte stark eingeschränkt. Aus allen drei Staaten gibt es aber Pläne und Zusagen, aus der Kohlefinanzierung auszusteigen. Jedoch entstünden inzwischen “auch für Gaskraftwerke ähnliche, für das Klima kaum weniger bedrohliche Kopplungsgeschäfte” zwischen der öffentlichen Finanzierung und der Förderung von Industrieinteressen, sagte Studien-Leitautor Niccolò Manych von der Universität Boston. Eigentlich sieht das Pariser Klimaabkommen vor, die Finanzströme in Einklang mit einer emissionsarmen Entwicklung zu bringen. nib

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Bericht: IRA um Regulierung ergänzen

Laut einer neuen Analyse von BloombergNEF (BNEF) wird der US-Inflation Reduction Act (IRA) bis 2030 kaum zu einer zusätzlichen Verringerung der CO₂-Emissionen führen. Laut Berechnungen des Think-Tanks werden die Emissionen dann bei circa 3,7 Milliarden Tonnen liegen. Das sind nur 50 Millionen Tonnen weniger als in einem Basisszenario ohne die Steueranreize des grünen Konjunkturprogramms. Aktuell liegen die US-Emissionen bei mehr als 5,2 Milliarden Tonnen.

“Wir waren überrascht, dass der Effekt in einigen Sektoren so klein war”, sagt Tara Narayanan von BNEF. Nach 2030 entfaltet der IRA demnach stärkere Klima-Effekte. Laut BNEF müsse die auf finanziellen Anreizen basierende US-Klimapolitik um regulatorische Eingriffe wie beispielsweise einen CO₂-Preis oder ein Ausstiegsdatum für Verbrenner ergänzt werden, um mehr Klimanutzen zu erzielen.

Grüner Wasserstoff braucht Jahre zur Wettbewerbsfähigkeit

Der Inflation Reduction Act sieht 369 Milliarden US-Dollar an Steuererleichterungen und Zuschüssen für grüne Investitionen vor. Er soll beispielsweise zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Kauf von E-Autos beitragen sowie die Entwicklung neuer Technologien wie die Speicherung von CO₂ (CCS) oder die Wasserstoff-Produktion vorantreiben.

Trotz IRA-Anreizen zur Produktion von grünem Wasserstoff werde dieser laut BNEF bis in die 2040er-Jahre nicht wettbewerbsfähig mit vorhandenen Energiequellen für die Industrie sein. Die Steueranreize für die Installation von CCS-Anlagen an Gaskraftwerken werden hingegen positiv bewertet. Sie könnten solche Kraftwerke recht zügig wettbewerbsfähig machen. Allerdings ist die Technologie dahinter noch nicht ausgereift.

Berechnungen anderer Forschungsinstitutionen zeigen einen größeren und auch kurzfristiger wirksamen Klimanutzen des IRA. Laut einer Studie des REPEAT-Projekts der Princeton-Universität verringert der IRA die Emissionen bis 2030 um etwa eine Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalent – ebenfalls verglichen zu einem Basisszenario ohne Förderung (siehe Grafik). nib

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EU genehmigt vorläufig Förderung von Wasserstoff-Kraftwerken

Damit der Kohleausstieg bis 2030 gelingt und Deutschlands Versorgungssicherheit auch ohne Kohle und Erdgas gewährleistet ist, will die Bundesregierung den Bau neuer wasserstofffähiger Kraftwerke fördern. Voraussichtlich kann sie das auch bald tun – jedoch in geringerem Umfang als geplant.

Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündete am Dienstag eine vorläufige Einigung mit der EU-Kommission über das weitere Vorgehen im Beihilfeverfahren. Der Grund für den Durchbruch: Die Ausschreibungen würden nicht als Beitrag zur Versorgungssicherheit bewertet, sondern als Beitrag zur Klimaneutralität, sagte eine Ministeriumssprecherin zu Table.Media.

Habeck musste allerdings auch Abstriche machen. Im Februar rechnete er noch damit, bis 2030 “zusätzliche” Wasserstoffkraftwerke im Umfang von 25 Gigawatt auszuschreiben. Am Dienstag verkündete das Ministerium nun einen anderen Zeitplan: Bis 2035 sollen jetzt 25 bis 30 Gigawatt ausgeschrieben werden. Davon sind aber nur rund 10 bis 15 Gigawatt Wasserstoff- und drei Gigawatt Biomasse-Kraftwerke tatsächlich zusätzlich. Daneben erwartet das Ministerium, zehn Gigawatt an alten Kohlekraftwerken austauschen zu können, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. Sie sollen durch wasserstofffähige Gas-Kraftwärmekopplung ersetzt werden.

Umrüstpflicht bis 2035

Generell umfasst die Einigung mit der Kommission laut BMWK drei Kraftwerkstypen:

  • Sogenannte Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerke, die Strom aus Wasserstoff erzeugen. Das Programm sei auch offen für die Umrüstung bestehender Gaskraftwerke. Ausschreibungsvolumen: 4,4 Gigawatt von 2024 bis 2028.
  • Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke als Bestandteil eines Konzepts, durch das “die gesamte Wasserstoffkette von der variablen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis zur Elektrolyse, Speicherung und Rückverstromung des erzeugten Wasserstoffs” entwickelt und getestet werden solle. Ausschreibungsvolumen: 4,4 Gigawatt.
  • Erdgaskraftwerke mit Umstiegspflicht auf Wasserstoff: Das betrifft neue oder bereits bestehende Kraftwerke, die zunächst mit Erdgas betrieben werden und spätestens bis 2035 auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden müssen. Umfang: bis zu 15 Gigawatt. Von 2024 bis 2026 sollen davon zehn Gigawatt ausgeschrieben werden, wovon sechs Gigawatt “für neue Kraftwerke reserviert werden können”, die ebenfalls zunächst mit Erdgas befeuert werden dürfen.

Blauer Wasserstoff bleibt vorerst erlaubt

Die Förderung schließt blauen Wasserstoff aus Erdgas nicht aus. Mit der EU-Kommission wurde aber laut Habeck ein Mechanismus vereinbart, wonach die Förderung umso geringer ausfällt, je niedriger der Anteil von grünem Wasserstoff ist. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte die Einigung dennoch scharf: “Im Jahre 2024 Steuergelder für die Förderung fossiler Energien auszugeben, ist absolut verantwortungslos”, sagte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. ber/ae

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Kritik an neuen EU-Standards für Nachhaltigkeitsberichte

Die EU will die heimischen Unternehmen dazu anzuhalten, ihre Geschäftsmodelle so zu verändern, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am Montag neue Standards in der Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgelegt. Umweltorganisationen und ESG-Investoren kritisieren, dass die geplante Berichtspflicht deutlich weniger Informationen umfasst als ursprünglich vorgesehen, und dass sie zu einem großen Teil auf Freiwilligkeit beruhe.

In einem ersten Entwurf hatte die Arbeitsgruppe, das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group), einen Kriterienkatalog aus mehr als 2.000 Datenpunkten zu Nachhaltigkeitsaspekten vorgelegt, über die die Unternehmen berichten sollen. Der Wirtschaft und der Kommission war das zu umfangreich. In den Verhandlungen wurden die Zahl deshalb auf weniger als ein Drittel reduziert. Das zieht nun Kritik auf sich.

Kritik an Freiwilligkeit und “Greenwashing”

Vincent Vandeloise, Senior Research und Advocacy Officer der NGO Finance Watch, nennt die signifikante Reduzierung der Datenpunkte problematisch. Er bemängelt auch, dass die meisten Regelungen nicht mehr verpflichtend seien. Vielmehr werde es den Firmen überlassen, wozu und in welcher Tiefe sie berichten. Tatsächlich müssen die Unternehmen bei einigen Daten, beispielsweise den Scope-3-Emissionen, nur noch erklären, warum sie diese gegebenenfalls nicht als wesentlich erachten, statt tatsächlich über sie Auskunft zu geben. Scope-3-Emissionen schließen etwa den Treibhausgasausstoß gekaufter Waren und Dienstleistungen oder von Geschäftsreisen mit ein.

Auch Angaben zum Schutz der biologischen Vielfalt sind in der neuen Fassung der “Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS)” freiwillig und nicht mehr verpflichtend. Der WWF kritisiert, die Kommission habe dem Druck von konservativen Lobbygruppen nachgegeben und Löcher zugelassen, die jetzt zum Greenwashing einlüden. Das europäische Netzwerk der nationalen Fachverbände für nachhaltige Geldanlagen EuroSIF “bedauert” ebenfalls, dass wichtige ESG-Indikatoren nicht mehr verpflichtend seien.

Durch die Standards steigt die Zahl der Firmen, die europaweit zur Berichterstattung verpflichtet sind, stufenweise von rund 12.000 auf mehr als 50.000 an. Bisherige Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Pflicht zur Berichterstattung nicht automatisch zu mehr Klimaschutz in den Unternehmen führt. Das Europäische Parlament und der Rat haben jetzt zwei Monate Zeit, die Vorschläge der EU-Kommission zu prüfen. Sie können sie ablehnen, aber nicht ändern. maw/leo

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Presseschau

News: Extreme Hitze kostet die USA jährlich 100 Milliarden Bloomberg
Reportage: Forscher fürchten die Folgen, wenn das Eisschild in der Antarktis kollabiert The Guardian
Reportage: Eine verzweifelte Anstrengung, Floridas Korallen zu schützen: Man holt sie aus dem Meer New York Times
Analyse: Lohnt sich Kernenergie für Brasilien? Climatetracker
Analyse: Brasilien will ein ambitioniertes, grünes Transitionspaket veröffentlichen Financial Times
Recherche: Wie Ölkonzerne mit britischen Influencern Aufmerksamkeit auf sich ziehen DeSmog
Reportage: In der Ostsee wird Seegras gepflanzt, um die Klimakrise zu bekämpfen Reuters
Analyse: Erkenntnisse aus dem letzten El Niño in Vietnam Fairplanet
Nachricht: Fluglinien prüfen Klagen gegen die Letzte Generation Frankfurter Allgemeine Zeitung
Analyse: Durch den Klimawandel kommen Mücken in höhere Gebiete – und mit ihnen Malaria Grist
Reportage: Missbrauch, Elend und Cholera – in Mosambik zeigt sich, was der Klimawandel anrichtet Zeit Online
Kolumne: Die Verweigerung des Klimageldes verschärft die soziale Ungleichheit Zeit Online
Kommentar: Wir können es uns mit Bezug zur Klimakrise nicht leisten Pessimisten zu sein The Guardian

Standpunkt

JETPs brauchen mehr soziale Gerechtigkeit

Von Michael Jakob
Erforscht die soziale Dimension der globalen Energiewende: Michael Jakob

Wenn die 1,5-Grad-Grenze nicht überschritten werden soll, müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null sinken. Das betrifft insbesondere die Industrie-, aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer. Just Energy Transition Partnershops (JETPs) stellen einen neuen Ansatz dar, um die Transformation voranzutreiben – vor dem Hintergrund, dass die Industriestaaten sich aufgrund ihrer historischen Verantwortung für die globale Erwärmung verpflichtet haben, Klimaschutzbemühungen in ärmeren Ländern finanziell zu unterstützen.

Die ersten JETPs gibt es bereits. Ihre klimapolitischen Zielsetzungen sind klar. Doch soziale Ziele werden in den Vereinbarungen vernachlässigt. Das birgt die Gefahr, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen bei der Transformation des Energiesystems auf der Verliererseite stehen. Solche sozialen Schieflagen wären nicht nur ungerecht. Sie würden auch starke politische Widerstände gegen die Dekarbonisierung wecken – ein Risiko für die globale Transformation.

JETPs mit Südafrika, Indonesien, Vietnam und Senegal

Im Rahmen von JETPs stellt die International Partners Group (IPG) Kredite, Zuschüsse und technische Unterstützung für Partnerländer zur Verfügung. Die IPG besteht aus den G7, der EU und einzelnen EU-Ländern. Zusätzlich sind in manchen JETPs auch internationale Finanzinstitutionen und Fonds direkt involviert.

Die erste JETP wurde bei der COP26 Ende 2021 mit Südafrika geschlossen. Sie verspricht dem Land 8,5 Milliarden US-Dollar für Investitionen in klimafreundliche Energieerzeugung, -übertragung und -nutzung. Im Fokus steht dabei der Ausstieg aus der Kohle. Im Jahr 2022 wurden weitere JETPs in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar mit Indonesien und 15,5 Milliarden US-Dollar mit Vietnam beschlossen. Es sind zwei weitere Länder, in deren Energiesystem die Kohle eine zentrale Rolle spielt. Am 22. Juni wurde im Rahmen des Pariser Klimafinanzgipfels eine vierte JETP mit Senegal in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vereinbart.

Diese JETPs sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung: Sie stellen gezielt Gelder bereit, um den Treibhausgasausstoß der Partnerländer zu senken. Sie lassen sich einfacher und schneller vereinbaren als beispielsweise Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Deshalb könnten sie zukünftig auch für weitere Länder eine Motivation bieten, verstärkt auf erneuerbare Energien zu setzen.

Fossile Schlupflöcher; wenig Konkretes zu Gerechtigkeit

Dennoch besteht Nachbesserungsbedarf. So ist unklar, welche konkreten Vorteile den Partnerländern aus den Finanzzusagen, die überwiegend in Form von Krediten vergeben wurden, im Vergleich zu Krediten zu Marktkonditionen tatsächlich erwachsen. Zusätzlich erlauben einige JETPs, dass mittelfristig die Nutzung fossiler Energien noch zunehmen kann. Besonders auffällig jedoch ist, dass die soziale Gerechtigkeit in den Vereinbarungen zwar als zentrales Element genannt wird – doch konkretes wird zu ihr kaum gesagt.

Im Rahmen der JETPs wird Gerechtigkeit in erster Linie aus einer Nord-Süd-Perspektive gedacht. Das heißt vor allem, dass reichere Länder Finanzmittel zur Verfügung stellen. Die Frage, für wen die Vereinbarungen im Partnerland am Ende gerecht sein sollen, wird nicht ausreichend berücksichtigt. So gibt es in den Abkommen keine Definition, welche Gerechtigkeitsaspekte durch die JETPs adressiert werden sollen. Auch fehlen Vorgaben, um negative Auswirkungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Beschäftigte in Kohleminen oder energieintensiven Industrien, zu vermeiden,

Die JETPs wurden großteils ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft verhandelt. Das bedeutet, dass viele Stimmen nicht gehört wurden. Ob nun in ihrer Umsetzung die Perspektiven zentraler Stakeholder, wie beispielsweise Gewerkschaften, berücksichtigt werden, hängt stark von der politischen Kultur des Partnerlandes ab. Doch in keinem der vier bisherigen JETP-Partnerländer sind inklusive Beteiligungsprozesse bisher tief verankert. Dennoch müssen sie der Anspruch sein. Denn mangelnde Beteiligung birgt das Risiko, dass JETPs von den Vorstellungen der Geberländer und Interessen der Entscheidungsträger im Partnerland geprägt werden, während die Gesamtbevölkerung insgesamt nur wenig von ihnen profitiert.

Mehr Transparenz und Beteiligung nötig

Um sicherzustellen, dass JETPs der breiten Bevölkerung zugutekommen, benötigt es eine klare Definition, welche gesellschaftlichen – neben den klimapolitischen – Zielen durch sie erreicht werden sollen und auf welchem Weg. Um die möglichen negativen Auswirkungen einer Transformation der Energiesysteme bereits im Vorfeld zu antizipieren und die Maßnahmen entsprechend ausgestalten zu können, ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern unerlässlich. Hier sollten JETPs Mindeststandards verankern. Sie sollten vorgeben, wie die Bevölkerung der Partnerländer in die Entscheidung eingebunden wird, und wie verfügbare Mittel investiert werden. Auf Geberseite bedarf es hierfür aber auch Geduld. Beteiligung braucht Zeit.

Geberländer können eine sozial gerechte Energiewende aktiv unterstützen. So können sie ihren Fokus darauf legen, den wirtschaftlichen Strukturwandel in den Partnerländern etwa durch Ausbildungsprogramme für Berufe in den erneuerbaren Energiebranchen zu fördern. Eine vernünftige Gesellschaftsbeteiligung können sie unterstützen, indem sie den Aufbau der erforderlichen institutionellen Kapazitäten fördern. Damit eine “Just Energy Transition” nicht nur dem Namen nach, sondern auch tatsächlich sozial gerecht ist.

Dr. Michael Jakob beschäftigt sich als unabhängiger Forscher und Berater mit den sozialen und politischen Implikationen von Maßnahmen zur Emissionsminderung.

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    gestern war globaler Erdüberlastungstag – die Menschheit hat also alle ökologischen Ressourcen aufgebraucht, die in einem Jahr maximal erneuert werden können. Und dennoch streben fossile Unternehmen nach mehr: 50 Milliarden Dollar werden dieses Jahr für die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen investiert und Großbritannien und Nigeria haben neue Pläne zur Ausweitung der Förderung fossiler Rohstoffe. Das Motto “Drill Baby, Drill” scheint wohl niemals außer Mode zu kommen.

    Die vermeintliche Lösung dieses fossilen Dilemmas? CO₂ unterirdisch speichern. Laut einer neuen Studie haben unterseeische Vulkane möglicherweise großes Potenzial, zu “fossilen Mülldeponien” zu werden. Ralf Nestler berichtet über die Fallstricke und Probleme dieses CCS-Ansatzes.

    Trotz Erdüberlastung, extremen Niederschlägen und Hitzewellen gibt es in Deutschland nicht mehr Zustimmung für eine ehrgeizigere Klimapolitik, sagt der Soziologe Eduardo Gresse im Interview. Er fordert: Die Bundesregierung müsse mehr für den sozialen Ausgleich im Klimaschutz tun und klarer kommunizieren, wohin es gehen soll.

    Wir hoffen, dabei Orientierung zu geben!

    Beste Grüße

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    “Das Klimageld sollte bald kommen”

    Porträtfoto von Eduardo Gonçalves Gresse, Soziologe und Senior Postdoc am Excellenzcluster
    Eduardo Gresse erforscht an der Universität Hamburg, wie gesellschaftliche Entwicklungen und der Klimawandel miteinander verbunden sind.

    Herr Gresse, wir haben im Juli den heißesten Monat seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt, in Deutschland warnte Anfang Juli selbst die Bild-Zeitung vor der Hitze, und auf Rhodos mussten Tausende Menschen vor Waldbränden in Sicherheit gebracht werden. Verändert das die Sicht der Deutschen auf den Klimaschutz?

    Natürlich bewegen Wetterextreme die Menschen – vor allem, wenn sie von ihnen ganz persönlich betroffen sind. Aber es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass ungewöhnlich hohe Temperaturen, Waldbrände oder andere Katastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik plötzlich erhöhen.

    Was müsste die Bundesregierung denn tun, um mehr Rückhalt für eine starke Klimapolitik zu erhalten?

    Die Bundesregierung müsste viel klarer kommunizieren und ambitionierte Ziele umsetzen. Sie müsste den Menschen sagen: Die Klimakrise ist ernst, aber wir können etwas dagegen tun, und so sind unsere Pläne. Sie müsste deutlich machen: Klimapolitik hat nicht nur mit Regulierung zu tun – es geht auch um Wohlstand und bessere Lebensqualität. Ein klarer klimapolitischer Plan aber ist derzeit von außen kaum erkennbar. Natürlich ist es immer schwierig, in einer Koalition Kompromisse zu finden. Erst recht, wenn zwei Parteien in der Regierung sind, die in der Klimapolitik so gegensätzlich ticken wie FDP und Grüne. Aber die Menschen erwarten, dass die Regierenden ihnen klar sagen, wohin es gehen soll.

    “Bundesregierung muss klarer kommunizieren”

    Was braucht es außer Klarheit und Ehrgeiz noch?

    Es geht auch um Gerechtigkeit. Diejenigen, die am meisten emittieren, können die steigenden Energiekosten leicht wegstecken. Sie werden auch die Belastungen durch den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft kaum spüren. Aber was ist mit den Menschen, die ohnehin schon knapsen müssen? Wenn die Klimapolitik kein klares Signal gibt, dass sie Gerechtigkeitsaspekte wirklich ernst nimmt, dann werden sich die Konflikte weiter verstärken.

    Wie sähe so ein Signal aus?

    Klimaschutz und Sozialpolitik gehören immer zusammen, das ist wichtig. Im Koalitionsvertrag hat die Regierung ein Klimageld angekündigt, das vor allem den Menschen mit geringem Einkommen helfen würde. Es wäre wichtig, dass es bald kommt. Gut wäre, wenn parallel zu seiner Auszahlung auch Subventionen für die agroökologische Produktion gezahlt würden, um Konsummuster in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Oder in der Verkehrspolitik: Da sind Investitionen in die Bahn-Infrastruktur in Verbindung mit dem Neun-Euro- oder Deutschlandticket essenziell. Im Moment sieht es aber danach aus, als würde nicht einmal das Klimageld für sich genommen in der laufenden Legislaturperiode beschlossen werden.

    Dennoch: Warum schlägt sich die zunehmende Zahl von Extremwettern in unserer Nähe nicht in mehr Unterstützung für den Klimaschutz nieder?

    Im Alltag wird das oft schnell wieder von anderen Sorgen überlagert, und das Klima verschwindet wieder aus den Medien. Nehmen Sie die schlimmen Überschwemmungen im Ahrtal vor zwei Jahren. Damals wurde viel über das Klima diskutiert, und viele Menschen waren wirklich erschüttert vom Ausmaß der Zerstörung. Aber dann wurde die Klimakrise durch die Pandemie verdrängt, und heute haben wir eine Energiekrise und Inflation. Im Moment sehen wir eher einen Backlash gegen den Klimaschutz.

    Was meinen Sie mit Backlash?

    Im September 2019 war die Klimapolitik noch im Aufwind, Millionen gingen weltweit mit Fridays for Future auf die Straße, in Deutschland demonstrierten Hunderttausende, die Grünen befanden sich in einem Umfragehoch. Jetzt aber geht es gerade für die Grünen darum, eine ehrgeizige Klimapolitik in die Praxis umzusetzen – und das ist auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Regierung schwierig. Viele Leute wollen eben keinen ambitionierten Klimaschutz. Andere sind umso enttäuschter, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Das führt zu Konflikten.

    Interessen, Ideologien und Machtstrukturen

    In Deutschland schlägt sich die Enttäuschung gerade in vergleichsweise radikalen Protesten nieder.

    Aktuell passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Wir haben die Aktionen der Letzten Generation – zugleich protestieren auch andere Gruppen, die sich von der Klimapolitik überfordert fühlen, weil die jetzt beginnt, in ihren persönlichen Alltag einzugreifen, ins Heizen, ins Autofahren. Hinzu kommen ganz reale Sorgen durch den Krieg in Europa, die Energiekrise, die Inflation – und einige Medien und Parteien, die eine ehrgeizige Klimapolitik aktiv hintertreiben und auch absichtlich polarisieren. Dahinter stecken politische und wirtschaftliche Interessen, etwa der fossilen Industrie, Machtstrukturen und auch Ideologien. Nehmen Sie die hitzige Debatte ums Tempolimit. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung würde nicht nur dem Klima nützen, sondern auch der Verkehrssicherheit. Aus wissenschaftlicher Sicht hätte sie nur Vorteile. Trotzdem lässt sich ein Tempolimit aus ideologischen Gründen nicht durchsetzen.

    Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es der Menschheit noch gelingt, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten?

    Für ziemlich unwahrscheinlich. Unsere Studie “Hamburg Climate Futures Outlook” zeigt, dass das vor allem an den gesellschaftlichen Triebkräften liegt, denn rein physikalisch wäre die 1,5-Grad-Grenze noch zu halten. Vor allem zwei Faktoren verhindern derzeit, dass die Welt sich auf den Weg hin zur tiefen Dekarbonisierung macht – also hin zu einer Wirtschaft und Gesellschaft, die netto keine Treibhausgase mehr verursacht.

    Unternehmen müssen aktiver werden

    Welche zwei Faktoren sind das?

    Die globalen Konsummuster sind ein Faktor. Wir sehen ganz klar, dass die Emissionen aus dem Konsum stetig weiter steigen und mit großen sozialen Ungleichheiten verbunden sind. Der andere liegt in den Strategien der Unternehmen. Zwar haben sich viele Firmen Klimaschutzziele gegeben, aber alles in allem sehen wir nicht, dass der Unternehmenssektor als Ganzes die Dekarbonisierung unterstützt.

    Zugleich verschärft sich die Klimakrise immer weiter. Bringt uns das irgendwann vielleicht doch noch an einen gesellschaftlichen Kipppunkt, ab dem engagierte Klimapolitik nicht mehr in Frage gestellt wird?

    Ich halte den Begriff “gesellschaftlicher Kipppunkt” für irreführend. Ein Kipppunkt würde bedeuten, dass die Entwicklung nicht mehr zurückgedreht werden kann, sobald er überschritten ist. Ich bin da skeptisch. Die Forschung zeigt eher, dass Gesellschaften sich dynamisch bewegen. Mal geht es in die eine Richtung, dann in die andere. Und gerade schwingt das Pendel eher zurück.

    Gibt es auch Entwicklungen, die Ihnen Hoffnung für das Klima machen?

    Hoffnung macht mir die weltweite Verbreitung von fundamentalen Normen wie “Klimagerechtigkeit” sowie die Mobilisierung von – vor allem jungen – Leuten, die sich in der Klimabewegung und in der Politik engagieren. Klimaklagen sind auch wichtige Entwicklungen, sowie eine öffentliche Debatte, die sich immer stärker um das Klima dreht. Der Wandel geschieht nicht so schnell, wie wir es uns wünschen würden. Aber neben den Bremsern gibt es auch gesellschaftliche Kräfte, die in die richtige Richtung gehen.

    Eduardo Gonçalves Gresse ist Soziologe und Senior Postdoc am Exzellenzcluster “Climate, Climatic Change and Society (CLICCS)” der Universität Hamburg. CLICCS erforscht, wie sich Klimaveränderungen und gesellschaftliche Entwicklungen gegenseitig beeinflussen, und leitet daraus ab, welche “Klimazukünfte” möglich und plausibel sind. Ein weiterer Schwerpunkt von Gresses Forschung ist die Nachhaltigkeitsgovernance, insbesondere in Brasilien.

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    KI im Klimaschutz: Potenziale und Risiken

    Spätestens seit dem Aufkommen des vermeintlich intelligenten Chatbots ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der breiten Öffentlichkeit angekommen: Welche Jobs wird KI vernichten? Wird sie die Menschen überflügeln, gar bedrohen? Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt. Die Klimawissenschaft erforscht bereits, wie sich KI für bessere Vorhersagen einsetzen ließe. Welche Möglichkeiten bietet KI darüber hinaus für den Klimaschutz – und welche Hoffnungen sind womöglich übertrieben?

    KI für klimafreundliches Verhalten

    Die Beratungsfirma Boston Consulting Group und das von Microsoft gesponsorte Umweltschutzprogramm AI for the Planet sehen in KI-Anwendungen große Potenziale für den Klimaschutz. In einem gemeinsamen Bericht listen die beiden Organisationen auf, dass KI:

    • die Entscheidungsfindung in Unternehmen verbessern und Prozesse optimieren könne,
    • klimafreundliches Verhalten unterstützen könne,
    • und beim Sammeln und Vervollständigen von komplexen Datensets helfen könne.

    Um die Pariser Klimaziele erreichen zu können, müssen die Emissionen bis 2030 um gut 50 Prozent sinken. “Unsere Erfahrung mit Kunden zeigt, dass der Einsatz von KI fünf bis zehn Prozent der erforderlichen Reduzierung bewirken kann“, zeigt sich die Boston Consulting Group (BCG) optimistisch. Weltweit könnten so demnach zwischen 2,6 und 5,3 Gigatonnen CO₂-Äquivalente eingespart werden.

    Intelligente Anpassungsstrategien

    Auch zur Anpassung an den Klimawandel könne KI beitragen, beispielsweise durch die Verbesserung von Risiko- und Gefahrenprognosen. Laut Hamid Maher, einem Mitautor des BCG-Berichts, könne KI beispielsweise dazu genutzt werden, intelligente nationale Adaptionspläne an die Klimakrise zu erarbeiten. “Der Klimawandel ist komplex, es gibt viele Faktoren und Risiken”, sagt er. “Das macht es schwierig, gute Entscheidungen zu treffen. Dabei kann KI helfen, weil sie verschiedene Faktoren besser abwägen und priorisieren kann“.

    Künstliche Intelligenz könne auch zu klimafreundlichem Verhalten ermutigen, so Maher. Egal, ob die nächste Autofahrt, das Ferienziel oder die Mittagessen-Bestellung – immer mehr menschliche Entscheidungen werden, vom Konsumenten häufig unbemerkt, von (Empfehlungs-)Algorithmen beeinflusst. Dies geschieht durch das recht bekannte “Nutzer, die dieses Produkt kauften, kaufen auch” oder durch Algorithmen, die im Hintergrund Klickverhalten auswerten und darauf aufbauend weitere Inhalte wie Videos oder Webseiten vorschlagen. Wenn sichergestellt sei, dass Algorithmen in ihre Berechnungen auch Emissionen berücksichtigen, könne man klimafreundlichere Entscheidungen herbeiführen.

    Für Microsoft und BCG sind KI-Anwendungen und -Dienstleistungen ein großes neues Geschäftsumfeld. Auch deshalb stellen sie den Nutzen von KI in den Vordergrund.

    Noch viel ungenutztes Potenzial

    Lynn Kaack, Assistenzprofessorin für Computer Science and Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin, forscht zum Zusammenspiel von KI und Klimaschutz. Sie sieht zwar Potenziale, weist aber auch auf einige Herausforderungen bei der Bewertung der Klimafolgen von KI hin. Aus ihrer Sicht sei es schwierig zu beurteilen, in welchem Bereich KI das größte Potenzial für Klimaschutz hat. Das hänge zum einen davon ab, wie viel Klimawirkung ein Sektor habe, zum anderen auch davon, wo der Sektor in Sachen KI steht. Während KI in der Wissenschaft und im Ingenieursbereich schon verhältnismäßig oft zum Klimaschutz eingesetzt werde, gebe es trotzdem zum Beispiel bei Heiz- und Kühlsystemen sowie bei flexibler Steuerung in Energiesystemen noch viel ungenutztes Potenzial. Außerdem weit Kaack auf einen Wettbewerbsnachteil von kleinen und mittelgroßen Unternehmen hin: “Große Firmen haben eher die Kapazitäten und das Kapital, KI fürs Klima zu nutzen”, sagt sie.

    Hoher Energieverbrauch und Einsatz für Öl- und Gasförderung

    “Bisher wird KI vor allem zur Kostenersparnis in Unternehmen eingesetzt”, sagt Kaack. Das könne sogar konträr zum Klimaschutz sein. Ein Beispiel: Im Öl- und Gassektor werden KI-Anwendungen genutzt, um mehr fossile Rohstoffe fördern zu können. Außerdem müsse man bedenken, dass KI sowohl in ihrer Entwicklung – beim Lernen aus großen Datenmengen – als auch in der Anwendung selbst einen hohen Energieverbrauch habe. Hamid Maher gibt in dem Zusammenhang zusätzlich zu bedenken, dass komplexe KI häufig für relativ einfache Problemstellungen genutzt werde. Das verbrauche dann unnötig viel Energie.

    Aus der Sicht von Kaack sind verschiedene Maßnahmen denkbar, die dazu führen können, dass KI zum Klimaschutz beiträgt.

    • Die Anwendung für den Klimaschutz fördern: Das könnte zum Beispiel durch Forschung und Pilotprojekte passieren.
    • Die klimaschädliche Anwendung transparent machen: Es müsse klarer werden, wo KI klimaschädlich angewendet werde. Zudem müsse auch aufgezeigt werden, wo die Technologie wirklich Einsparungen bewirke und wo sie eventuell für Greenwashing eingesetzt werde.
    • Der direkte Energieverbrauch von KI muss sichtbar sein: Gerade Deep-Learning-Modelle wie ChatGPT verbrauchen viel Energie. Informationen darüber müssten zugänglich gemacht werden.
    • Die Effekte auf Wirtschaft und Gesellschaft sollten genau untersucht werden: KI kann zum Beispiel zu zusätzlichem Konsum verleiten und so zu negativen Klimaeffekten führen.

    Damit KI klimafreundlich eingesetzt werden kann, braucht es wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Kaack begrüßt in dem Zusammenhang beispielsweise, dass die Dimension Klima in das Gesetzgebungsverfahren des “AI Act” der EU Einzug gefunden hat. Der AI Act ist weltweit eine der ersten größeren gesetzlichen Regelungen zu künstlicher Intelligenz.

    Nach aktuellem Stand des AI Acts soll KI demnach nicht nur dann als risikoreich eingeschätzt werden, wenn sie eine Gefahr für Sicherheit und Gesundheit darstellen kann, sondern auch dann, wenn sie sich negativ auf das Klima auswirkt. Das sei der richtige Ansatz. Kaack findet aber, die EU müsse in Sachen Transparenzanforderungen an KI nochmal nachschärfen.

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    Nigeria: Viel Öl und Gas – trotzdem fast auf Paris-Kurs

    Lagos: U-Bahnbau und Ölplattform im Hafen

    In Nigeria, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Afrikas, steht die Energie- und Klimapolitik vor großen Veränderungen. Der elftgrößte Ölproduzent der Welt, der an Platz 25 der Liste der globalen Treibhausgasemittenten steht, verfolgt eine widersprüchliche Strategie: Das Land will bis 2060 klimaneutral werden und die erneuerbaren Energien voranbringen, aber gleichzeitig die Förderung der heimischen Öl- und Gasreserven ausbauen. Trotz dieser fossilen Pläne sieht der “Climate Action Tracker” das Land fast auf einem Paris-kompatiblen Pfad.

    Deutliches Zeichen für die Veränderungen: Bei Amtsantritt Ende Mai verkündete Präsident Bola Tinubu, die Subventionen für Treibstoff würden abgeschafft, weil das Geld fehle. Die Zahlungen sind seit 2005 von 400 Millionen Euro auf umgerechnet über vier Milliarden Euro für 2023 gestiegen. Ohne die Subventionen verdreifachte sich der Preis für Kraftstoff – Panikkäufe waren die Folge.  

    Investitionen in erneuerbare oder fossile Energien?

    Seitdem drängen Experten und wichtige Interessengruppen auf weitere Investitionen in erneuerbare Energien. Sie behaupten, wenn 30 Prozent der nigerianischen Haushalte bis 2030 auf Solarenergie umsteigen würden, könnten jährlich fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart und die Emissionen der Haushalte um 30 Prozent reduziert werden.

    Allerdings hat Präsident Tinubu, ähnlich wie sein Vorgänger, in der Energiepolitik andere Ansichten. Er hat sich für eine Steigerung der Öl- und Gasproduktion ausgesprochen. Gleichzeitig sieht er aber die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von der Öl- und Gasindustrie zu verringern und die Solarenergie zu fördern.

    Nigeria ist mit über 200 Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich größte Volkswirtschaft Afrikas. Nach Südafrika ist es der zweitgrößte afrikanische Emittent von Treibhausgasen. Mit 18 in Betrieb befindlichen Pipelines und einer durchschnittlichen Tagesproduktion von 1,8 Millionen Barrel im Jahr 2020 ist Nigeria der elftgrößte Ölproduzent der Welt. Seine Wirtschaft hängt weitgehend von Öl und Gas ab.

    Afrikas größte Volkswirtschaft in der Energiekrise

    Nahezu 90 Prozent der nigerianischen Ausfuhren und neun Prozent des BIP entfallen auf die Erdölindustrie. Ab 2020 verfügt Nigeria über 86,9 Millionen Tonnen und 49,4 Milliarden Kubikmeter (bcm) an nachgewiesenen Reserven an Erdgas beziehungsweise Erdöl.

    Gleichzeitig leidet Nigeria unter einer Energiekrise: 92 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Elektrizität, der niedrigste Wert weltweit. Über 40 Prozent der nigerianischen Haushalte nutzen Generatoren, um bei einem unzuverlässigen Stromnetz eigenen Strom zu erzeugen. Sie geben dafür jährlich etwa 14 Milliarden Dollar aus. 

    Erneuerbare Energien haben in Nigeria großes Potenzial, vor allem als “traditionelle” Energie: Bisher macht Biomasse fast 82 Prozent des Energieverbrauchs aus – zum größten Teil geht das auf Holz fürs Kochen zurück. Gas macht acht Prozent des Gesamtverbrauchs aus, Petroleum etwa fünf Prozent. Wasserkraft trägt nur 0,4 Prozent zum Gesamtverbrauch an Energie bei, leistet aber etwa 27 Prozent für die Stromerzeugung des Landes. Die Regierung will Wasserkraft ausbauen und etwa drei GW Wasserkraft-Leistung durch das Mambilla-Projekt entwickeln.

    Der Plan: Armut bekämpfen, 2060 klimaneutral sein

    Nigeria plant, die Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig eine sozial-gerechte Entwicklung und die Beseitigung der Armut zu gewährleisten. Mit dem Climate Change Act 2021 hat sich das Land verpflichtet, bis 2060 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Der Plan für die Energiewende (ETP) wurde vor der COP27 vorgestellt, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Er soll den Energiesektor bis 2060 von fossilen Brennstoffen auf kohlenstofffreie Energie umstellen.

    Der ETP legt einen Zeitplan und einen Rahmen für die Reduzierung der Emissionen in fünf Schlüsselsektoren fest, die für 65 Prozent der insgesamt etwa 275 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verantwortlich sind:

    • Industrie
    • Elektrizität
    • Verkehr
    • Öl- und Gasindustrie
    • Kochen

    Der Plan soll 100 Millionen Nigerianer aus der Armut befreien, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und der gesamten Bevölkerung moderne Energiedienstleistungen zur Verfügung stellen. Auch sollen die erwarteten langfristigen Jobverluste im Ölsektor bewältigt werden.

    Emissionen steigen, trotzdem Politik “fast ausreichend”

    Der Climate Action Tracker (CAT) schätzt, dass Nigerias Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 bei den aktuellen Rahmenbedingungen und ohne Landnutzung um 34 bis 43 Prozent über dem Niveau von 2010 liegen werden. Der Index bewertet Nigerias Klimaziele und -politik trotzdem als “fast ausreichend”: Die Verpflichtungen stimmten zwar noch nicht mit dem im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturlimit von 1,5°C überein. Dies wäre aber mit moderaten Verbesserungen möglich.

    Laut CAT hat das Land 2023 neue Regeln für die Reduktion von Methanaustritten beschlossen und ein Konzept für einen CO₂-Preis angekündigt. Allerdings warnen die Experten, der weitere Ausbau von Öl und Gas könne zu größeren “Stranded Assets” und falsch angelegten Investitionen führen. Der Netto-Null-Plan bis 2060 brauche “signifikante internationale Unterstützung”.

    Gas als Brückenenergie

    Nigeria will als afrikanischer Vorreiter für eine “faire, integrative und gerechte Energiewende” gelten, der Gas als “Übergangsbrennstoff” einsetzt. Die Regierung hat ein “Jahrzehnt des Gases” ausgerufen. Diese Initiative von 2021 soll die riesigen Gasreserven für Wirtschaftswachstum und Entwicklung nutzbar machen. Bis 2030 will die Regierung dadurch zwölf Milliarden Dollar an Lizenzgebühren und Steuern einnehmen, 14 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen anziehen und zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.

    Ayodele Oni, Partner der Anwaltskanzlei Bloomfield und Energieberater, sagte, die Debatte um Erdgas als Alternative für Generatoren, Fahrzeuge und Haushaltsgeräte sei durch die aktuelle Erhöhung der Spritpreise befeuert worden. In die nötige neue Infrastruktur für den Übergang von Öl zu Gas “müssen erhebliche Mittel investiert werden. Die Weltbank schätzt, dass dafür in Afrika jährlich 95 Milliarden Dollar benötigt werden. Nigeria hat dabei einen der größten Infrastrukturbedarfe auf dem Kontinent.” Auch nutze es, dass der Westen Afrika als “zuverlässige Ersatzquelle für russisches Gas” sehe, so Oni. Ziel bleibe aber die vollständige Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien.

    1,9 Billionen Dollar für die Dekarbonisierung

    Nach Berechnungen des ehemaligen Vizepräsidenten Yemi Osinbajo werde die Energiewende bis 2060 insgesamt 1,9 Billionen Dollar kosten. Sie werde erhebliche öffentliche Investitionen erfordern. Vor der COP27 hatte die Regierung international für ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Dollar geworben, bislang erfolglos.

    Damilola Hamid Balogun, Mitbegründer des Youth Sustainable Development Network, fordert einen grünen Fonds, der einen Teil der Einnahmen aus fossilen Brennstoffen ausschließlich für die Finanzierung von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien erhalten soll. Nigeria solle Kohlenstoff besteuern, genau wie Südafrika, und die Erlöse für die Energiewende verwenden. Von Samuel Ajala, Abuja

    • Fossile Brennstoffe
    • Nigeria

    Vulkane am Meeresboden als CO₂-Deponie?

    Vulkanischer Ozeanboden vor Indonesien.

    In der immer lauter werdenden Debatte um die Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS) rücken jetzt potenzielle neue Lagerstätten in den Fokus: Möglicherweise sind auch erloschene Unterwasservulkane für diese Technik geeignet. Das legt eine Studie von Ricardo Pereira und Davide Gamboa von der Universidade Nova de Lisboa im Fachmagazin “Geology” nahe.

    Die Forscher analysierten einen Vulkan, der rund 100 Kilometer westlich von Lissabon im Atlantik liegt. Während der Kreidezeit, vor etwa 70 bis 90 Millionen Jahren, förderte er Basaltlava, die im Ozean rasch abkühlte. Die Reste des Kraterrands befinden sich in 2000 Metern Wassertiefe. Pereira und seine Kollegen untersuchten ihn mithilfe von geophysikalischen Messungen und Gesteinsproben, die mit Schlepp- und Schürfgeräten gesammelt wurden.

    Großes Potenzial: Jahrzehnte der Industriemissionen aus Portugal

    Ihren Berechnungen zufolge könnte der Vulkan zwischen 1,2 und 8,6 Gigatonnen CO₂ aufnehmen. Das entspräche den durchschnittlichen Industrieemissionen Portugals über 24 beziehungsweise 125 Jahre, schreibt das Team.

    Es wäre – auf dem Papier – eine bedeutsame Option, um das Land schnell klimaneutral zu machen. Und es würde gut in die internationale Debatte passen: so plädiert etwa Sultan Al Jaber, der designierte Präsident der COP28 und Vorstandschef von ADNOC, der Öl- und Gasgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stark für die Nutzung von CCS. Länder und Unternehmen wie Norwegen, Dänemark, die EU und Wintershall/Dea unterstützten ihn dabei.

    Natürliches Verfahren bindet CO₂ schnell im Gestein

    Basalt ist grundsätzlich gut geeignet, um CO₂ aufzunehmen. In der Natur geschieht das von allein über Jahrtausende. Bei CCS wird der Prozess beschleunigt, indem das Treibhausgas in Wasser gelöst und durch den Fels gepumpt wird. Das ist möglich, denn das Gestein ist von winzigen Brüchen und Hohlräumen durchzogen – und genau dort reagiert das CO₂ etwa mit Kalzium und Magnesium und bildet feste Karbonatminerale.

    Auf Island wird das beim “Carbfix”-Projekt bereits angewendet. Ozeanböden gelten wegen ihrer mineralogischen Zusammensetzung ebenfalls als geeignet, insbesondere alte Unterwasservulkane. “Wenn diese in relativ geringer Tiefe eruptiert sind, haben sich viele kleine Partikel gebildet, die insgesamt eine große Oberfläche haben und damit sehr günstig für die CO₂-Umsetzung sind”, sagt Colin Devey vom Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, der an Pereiras Studie nicht beteiligt ist. Der Unterwasserberg vor Portugal scheint in diese Gruppe zu gehören.

    Unsicher: wie groß und wie dicht ist der Speicher?

    Jedoch sind die Unsicherheiten bei den Eigenschaften des Vulkans noch immer groß. Nicht zuletzt bei der entscheidenden Frage, wie viel Kohlendioxid bei einer solchen Injektion wirklich mineralisch gebunden würde – und wie viel über Felsklüfte ins Meer gelangen könnte. Entsprechend weit gehen die Schätzungen über die mögliche Speichermenge von 1,2 bis 8,6 Gigatonnen CO₂ auseinander.

    Zwar ist das theoretische CCS-Potenzial solcher Unterwasserberge groß, denn es gibt viele weitere Vulkane vor den Küsten Europas, Afrikas, in Südostasien oder Australien. “Am Ende muss man aber jeden einzelnen genau untersuchen, um eine Aussage zur Speicherfähigkeit zu treffen”, sagt Devey. Es lohne sich zudem, auch die Gesteine im gewöhnlichen Ozeanboden abseits der Vulkane als CCS-Option zu erforschen. “Durch die aufliegenden Sedimente ist der wirklich dicht, da kommt nichts raus.”

    Seiner Ansicht nach besteht in beiden Fällen der Vorteil darin, dass das Kohlendioxid in Basalten binnen Wochen oder Monaten feste Minerale bildet und damit gebunden ist. In alten Erdgaslagerstätten etwa, die aus porösem Sandstein bestehen, dauert das viel länger. “Wenn es da ein Leck geben sollte, kann auch in Zukunft noch CO₂ entweichen.”

    Alte Gasfelder: Technik bekannt und beherrschbar

    Auf der anderen Seite sind diese CCS-Horizonte in ausgedienten Gasfeldern gut erkundet und es gibt Erfahrungen in der Speichertechnologie. Für zügigen und effektiven Klimaschutz wären sie wahrscheinlich günstiger und schneller zu verwirklichen als Vulkane und ozeanische Kruste, wo noch mehr Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig ist. Ehe dort eine Deponierung des Treibhausgases im industriellen Maßstab beginnen kann, dürften etliche Jahre vergehen.

    Für Länder wie Deutschland, die 2045 klimaneutral sein wollen, könnte diese Option zu spät kommen. Bisher ist CCS in Deutschland ohnehin praktisch untersagt, auch wenn die chemische Industrie hier eine neue Debatte fordert. Immerhin arbeitet das Wirtschaftsministerium an einer neuen Strategie, die es erlauben soll, CO₂ aus der Industrie in Nachbarländer zu exportieren.

    Experten: Keine schnelle und umfassende Lösung

    Die großen Erwartungen zum Klimaschutz werde CCS im globalen Maßstab nur ansatzweise erfüllen, warnten dagegen 2021 Joe Lane und Chris Greig von der Princeton University sowie Andrew Garnett von der University of Queensland in Brisbane im Journal “Nature Climate Change”. Versuche, die Industrie zu stimulieren, blieben hinter den Erwartungen zurück.

    Auch für die Zukunft sind die Autoren skeptisch: Hindernisse gebe es:

    • bei der Geologie, die potenzielle Speicher nur in bestimmten Regionen biete,
    • bei der wissenschaftlich-technischen Expertise, die nicht immer vorhanden sei,
    • bei der fehlenden Akzeptanz in der Gesellschaft,
    • und bei der Frage, wie die hohen Kosten finanziert werden sollen.

    All das bremst nach Meinung der Experten die Entwicklung. Besonders große Verzögerungen sehen sie in Asien. Sie fordern, die genannten Probleme sollten dringend angegangen werden, um die Unsicherheiten bei CCS abzubauen. Das Verfahren sei unbedingt nötig, um ein Übersteigen des Emissionsbudgets im Sinne des Paris-Abkommens zu vermeiden.

    • CCS
    Translation missing.

    Termine

    30. Juli bis 6. August, Hannover
    Camp System Change Camp
    Ende Gelände veranstaltet in Hannover das System Change Camp zur Vernetzung der Klimagerechtigkeitsbewegung.  Infos

    3. August, 10 Uhr, Online
    Webinar Aktueller Stand Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
    Die Komplexität der Nachhaltigkeitszertifizierung von Biogasanlagen führt bei zahlreichen Betreibern immer noch zu einigen Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen. Diese werden im Rahmen eines einstündigen Web-Seminars des Fachverbands Biogas aufgegriffen. Infos

    4. August, 9.30 Uhr, Freiburg
    Planspiel Wasser in der Klimakrise
    Angesichts der Klimakrise werden sowohl Dürren als auch Fluten wahrscheinlicher. Auf dem Planspiel der Heinrich-Böll-Stiftung wird über das Spannungsfeld Wasser in der Klimakrise diskutiert.  Infos

    5. August, 11.15 Uhr, Flensburg
    Stadtrundgang Nachhaltige Lebenswelten: Suffizienter Stadtrundgang durch Flensburg
    Der Stadtrundgang vom Transformativen Denk und Machwerk e. V. beschäftigt sich mit der Frage, wie Stadträume gestaltet und verteilt sein sollen und wie man in einer Stadt künftig ressourcenarm und gut gemeinsam leben kann.  Infos

    7. August, 19.30 Uhr, Freitag/Online
    Vortrag Aktiv werden und bleiben gegen die Multiplen Krisen
    Im Rahmen der Zukunftsakademie Freiburg 2023 spricht Marina Weisband über Selbstwirksamkeit vor dem Hintergrund der multiplen Krisen. Infos

    7. bis 11. August, Lübbenau
    Akademie Zukunftsakakademie Lausitz 2023
    Im Mittelpunkt der Akademie steht die Frage, wie die Energieregion Lausitz in der Zukunft gestaltet werden kann. Die Zukunftsakademie ist eine gemeinsame Veranstaltung des QLEE – Qualifizierungsverbundes in der Lausitz für Erneuerbare Energien und des DGB-Projektes REVIERWENDE. Beide Projekte werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen von STARK gefördert. Infos

    8. August, 11:30 Uhr, Online
    Webinar Loss and Damage in South Asia: What COP28 needs to deliver for the region
    Südasien ist besonders anfällig für Klimarisiken, da die Entwicklungsbedingungen in der Region eingeschränkt sind und die Lebensgrundlagen überwiegend klimasensibel sind. Die daraus resultierenden Verluste und Schäden für Mensch und Natur, die bereits jetzt entstehen, werden mit der Erwärmung der Welt weiter zunehmen. Welche Vereinbarungen zu Loss and Damage auf der COP28 abgeschlossen werden sollten, wird in diesem Webinar diskutiert. Infos

    8. August, 17 Uhr, Online
    Webinar Firm Capacity in Central America: definitions and implications for Variable Renewable Energy
    Im Jahr 2015 entwickelte IRENA den Clean Energy Corridor of Central America (CECCA). Die Initiative fördert die beschleunigte Einführung und den grenzüberschreitenden Handel mit Strom aus erneuerbaren Energien in Zentralamerika im Rahmen des regionalen Strommarktes und des regionalen Übertragungsnetzes (SIEPAC). Auf dem Event wird deren aktueller Bericht vorgestellt.  Infos

    News

    Klima in Zahlen: Was gegen die Erdüberlastung wirkt

    Der gestrige Mittwoch markierte den globalen Erdüberlastungstag. Fast fünf Monate vor Jahresende hat die Menschheit laut Berechnungen des Global Footprint Network so viele Ressourcen von der Erde in Anspruch genommen, wie alle Ökosysteme im gesamten Jahr erneuern können. Laut dem Netzwerk machen die CO₂-Emissionen 60 Prozent des gesamten menschlichen “ökologischen Fußabdrucks” aus.

    Um den Tag nach hinten zu verschieben, das heißt weniger ökologische Ressourcen zu verbrauchen, schlägt die Organisation einige Lösungen vor. Unter den wirksamsten sind demnach vor allem Maßnahmen aus dem Energiebereich, zum Beispiel:

    • ein CO₂-Preis von 100 US-Dollar pro Tonne CO₂. Er würde den Erdüberlastungstag um 63 Tage nach hinten verschieben und ist damit laut Global Footprint Network die wirksamste Einzelmaßnahme.
    • der Umbau der Städte hin zu ressourcenschonenderen Smart Cities. Umweltfreundlicher Verkehr, ein effizienteres und klimafreundlicheres Energiesystem und energieeffizientere Gebäude könnten den Erdüberlastungstag um 29 Tage verschieben, so das Global Footprint Network.
    • eine Verdopplung des Anteils des Stroms aus erneuerbaren Energien von derzeit 39 auf 75 Prozent der Stromerzeugung. Sie würde weitere 26 Tage bringen.
    • mehr grüne Finanzinvestitionen; grüner Wasserstoff für den Flugverkehr und Industrieprozesse wie Stahl und Zement; der Ausbau von Energiespeichern für die Stromversorgung.
    • und auch die Nutzung traditioneller Bautechniken, damit Gebäude besser an lokale Wetterextreme angepasst sind und beispielsweise weniger Energie zum Heizen oder Kühlen brauchen.

    Laut Global Footprint Network liegt der Erdüberlastungstag seit 2010 auf einem Datum Anfang August. Nur im Corona-Jahr 2020 verschob er sich leicht auf Mitte August. Zum Vergleich: 1971 lag der Tag noch Ende Dezember. Damals hätte eine Erde also fast noch ausgereicht, um den Ressourcenbedarf der Menschheit zu decken. nib

    • Energiewende
    • Verkehrswende

    Prognose: 50 Milliarden Dollar für Öl- und Gassuche

    Öl- und Gasfirmen werden im laufenden Jahr möglicherweise über 50 Milliarden US-Dollar in die Suche nach neuen konventionellen Erdöl und -gasvorkommen – so viel wie seit 2019 nicht mehr. Das geht aus Berechnungen von Rystad Energy hervor, einem Unternehmen für Energieforschung und Business Intelligence.

    Die sechs großen Ölkonzerne Exxon Mobil, BP, Shell, Total Energies, Eni und Chevron werden demnach rund sieben Milliarden US-Dollar in die Suche nach neuen Vorkommen investieren. Staatliche Firmen werden den Prognosen zufolge mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben ausmachen. Für das Klima sind das keine guten Nachrichten: Die Erschließung und Ausbeutung neuer Öl- und Gasfelder ist nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar.

    In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden mit 2,6 Milliarden Barrel zwar weniger Öl- und Gas-Vorkommen gefunden als in der ersten Hälfte des Vorjahres (4,5 Milliarden Barrel). Doch nach Angaben von Rystad Energy wurden nur 30 Prozent der erwarteten Bohrungen bereits abgeschlossen. In den kommenden Monaten könnten also noch weitere Funde anstehen. Bei mehr als der Hälfte der für 2023 erwarteten Explorationsbohrungen handelt es sich demnach um Tiefsee- oder gar “Ultra-Tiefseebohrungen” mit einer Tiefe von 125 bis 1.500 Metern oder mehr. nib

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    • Erdöl
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    • Wirtschaft

    UK: Rishi Sunak will heimisches Öl und Gas “maximal” ausbeuten

    Der britische Premier Rishi Sunak hat angekündigt, mehr als 100 neue Lizenzen für die Öl- und Gasförderung in der Nordsee zu vergeben, berichtet der britische Guardian. Sunak will demnach auch Bohrungen nach den größten bislang unerschlossenen Reserven des Vereinigten Königreichs im Rosebank-Feld zulassen, das 500 Millionen Barrel Öl enthält. Der Premier habe erklärt, er wolle die heimischen Öl- und Gasreserven “maximal ausnutzen”.

    Dem Artikel zufolge erklärte Sunak, seine Öl- und Gas-Pläne seien “gut für Jobs, aber auch gut für das Klima”. Sie seien auch “kompatibel” mit der Verpflichtung, die heimische Wirtschaft zu dekarbonisieren. Das Land werde noch auf Jahre teilweise von fossilen Treibstoffen abhängig sein. Sie zu importieren, verursache mehr Emissionen als die heimischen Reserven zu nutzen. Doch laut Guardian widersprechen Experten und Umweltorganisationen Sunaks Darstellung – nicht nur in diesem Punkt.

    Zwei ehemalige Minister der konservativen Tories, führende Politiker der oppositionellen Labour-Partei, Umweltschutzorganisationen, Forschende und Vertreter von Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien kritisieren demnach Sunaks Pläne. Der Hintergrund: Die britische Regierung will bis 2050 netto null Emissionen erreichen. Doch schon die Pläne zur künftigen Energieversorgung, die sie im Frühjahr vorgelegt hatte, waren allgemein mit Enttäuschung aufgenommen worden.

    Zusätzlich zu den neuen Lizenzen will der britische Premier laut Independent auch zwei weitere Projekte zur CO₂-Abspaltung und -Speicherung (CCS) vorantreiben. Sie seien “Teil des Antriebs in Richtung netto-null”. Wie der Independent weiter berichtet, hofft die britische Regierung, dass durch CCS bis 2030 im Land 50.000 Arbeitsplätze entstehen könnten. Durch die Ausbeutung der heimischen Öl- und Gasreserven wolle Sunak zudem die Energieunabhängigkeit des Vereinigten Königreichs erhöhen. ae

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    Studie: Export-Förderung ist Treiber der Kohlefinanzierung im Ausland

    Die Förderung der Exportindustrie ist ein wesentlicher Treiber für die Gewährung öffentlicher Kredite für neue Kohlekraftwerke im Globalen Süden. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie unter der Leitung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), die in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters erschienen ist. Die Finanzierung durch öffentliche Banken, vor allem aus China, Japan und Südkorea, ist oft entscheidend für den Bau neuer Kohlekraftwerke im Globalen Süden.

    Für ihre Studie analysierten die Autorinnen und Autoren 188 Kraftwerksanlagen mit 91 Gigawatt, die seit 2018 fertiggestellt wurden oder bald in Betrieb genommen werden. Über 70 Prozent der Anlagen mit 65 Gigawatt Leistung wurden ganz oder teilweise von ausländischen Kapitalgebern finanziert. In 60 Prozent der Fälle stammte beispielsweise der Turbinenhersteller aus dem gleichen Land wie die kreditgebende Bank. “Hersteller von Turbinen, Stromgeneratoren oder Dampfzufuhrsystemen sowie Projektdienstleister wie Architekturbüros oder Ingenieurfirmen mobilisieren offensichtlich Kapitalgeber im eigenen Land, um jenseits der Grenzen selbst ins Geschäft zu kommen”, sagt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Co-Autor der Studie. Eine Expertenbefragung ergab demnach, dass ausländische Regierungen ihre Entwicklungsförderbanken zur Förderung der eigenen Exportindustrie nutzen.

    China, Japan und Südkorea waren in den letzten Jahren die letzten großen Finanzierer von Kohlekraftwerken im Ausland – westliche Staaten und multilaterale Entwicklungsbanken hingegen haben Finanzzusagen für Kohleprojekte stark eingeschränkt. Aus allen drei Staaten gibt es aber Pläne und Zusagen, aus der Kohlefinanzierung auszusteigen. Jedoch entstünden inzwischen “auch für Gaskraftwerke ähnliche, für das Klima kaum weniger bedrohliche Kopplungsgeschäfte” zwischen der öffentlichen Finanzierung und der Förderung von Industrieinteressen, sagte Studien-Leitautor Niccolò Manych von der Universität Boston. Eigentlich sieht das Pariser Klimaabkommen vor, die Finanzströme in Einklang mit einer emissionsarmen Entwicklung zu bringen. nib

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    Bericht: IRA um Regulierung ergänzen

    Laut einer neuen Analyse von BloombergNEF (BNEF) wird der US-Inflation Reduction Act (IRA) bis 2030 kaum zu einer zusätzlichen Verringerung der CO₂-Emissionen führen. Laut Berechnungen des Think-Tanks werden die Emissionen dann bei circa 3,7 Milliarden Tonnen liegen. Das sind nur 50 Millionen Tonnen weniger als in einem Basisszenario ohne die Steueranreize des grünen Konjunkturprogramms. Aktuell liegen die US-Emissionen bei mehr als 5,2 Milliarden Tonnen.

    “Wir waren überrascht, dass der Effekt in einigen Sektoren so klein war”, sagt Tara Narayanan von BNEF. Nach 2030 entfaltet der IRA demnach stärkere Klima-Effekte. Laut BNEF müsse die auf finanziellen Anreizen basierende US-Klimapolitik um regulatorische Eingriffe wie beispielsweise einen CO₂-Preis oder ein Ausstiegsdatum für Verbrenner ergänzt werden, um mehr Klimanutzen zu erzielen.

    Grüner Wasserstoff braucht Jahre zur Wettbewerbsfähigkeit

    Der Inflation Reduction Act sieht 369 Milliarden US-Dollar an Steuererleichterungen und Zuschüssen für grüne Investitionen vor. Er soll beispielsweise zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Kauf von E-Autos beitragen sowie die Entwicklung neuer Technologien wie die Speicherung von CO₂ (CCS) oder die Wasserstoff-Produktion vorantreiben.

    Trotz IRA-Anreizen zur Produktion von grünem Wasserstoff werde dieser laut BNEF bis in die 2040er-Jahre nicht wettbewerbsfähig mit vorhandenen Energiequellen für die Industrie sein. Die Steueranreize für die Installation von CCS-Anlagen an Gaskraftwerken werden hingegen positiv bewertet. Sie könnten solche Kraftwerke recht zügig wettbewerbsfähig machen. Allerdings ist die Technologie dahinter noch nicht ausgereift.

    Berechnungen anderer Forschungsinstitutionen zeigen einen größeren und auch kurzfristiger wirksamen Klimanutzen des IRA. Laut einer Studie des REPEAT-Projekts der Princeton-Universität verringert der IRA die Emissionen bis 2030 um etwa eine Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalent – ebenfalls verglichen zu einem Basisszenario ohne Förderung (siehe Grafik). nib

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    EU genehmigt vorläufig Förderung von Wasserstoff-Kraftwerken

    Damit der Kohleausstieg bis 2030 gelingt und Deutschlands Versorgungssicherheit auch ohne Kohle und Erdgas gewährleistet ist, will die Bundesregierung den Bau neuer wasserstofffähiger Kraftwerke fördern. Voraussichtlich kann sie das auch bald tun – jedoch in geringerem Umfang als geplant.

    Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündete am Dienstag eine vorläufige Einigung mit der EU-Kommission über das weitere Vorgehen im Beihilfeverfahren. Der Grund für den Durchbruch: Die Ausschreibungen würden nicht als Beitrag zur Versorgungssicherheit bewertet, sondern als Beitrag zur Klimaneutralität, sagte eine Ministeriumssprecherin zu Table.Media.

    Habeck musste allerdings auch Abstriche machen. Im Februar rechnete er noch damit, bis 2030 “zusätzliche” Wasserstoffkraftwerke im Umfang von 25 Gigawatt auszuschreiben. Am Dienstag verkündete das Ministerium nun einen anderen Zeitplan: Bis 2035 sollen jetzt 25 bis 30 Gigawatt ausgeschrieben werden. Davon sind aber nur rund 10 bis 15 Gigawatt Wasserstoff- und drei Gigawatt Biomasse-Kraftwerke tatsächlich zusätzlich. Daneben erwartet das Ministerium, zehn Gigawatt an alten Kohlekraftwerken austauschen zu können, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. Sie sollen durch wasserstofffähige Gas-Kraftwärmekopplung ersetzt werden.

    Umrüstpflicht bis 2035

    Generell umfasst die Einigung mit der Kommission laut BMWK drei Kraftwerkstypen:

    • Sogenannte Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerke, die Strom aus Wasserstoff erzeugen. Das Programm sei auch offen für die Umrüstung bestehender Gaskraftwerke. Ausschreibungsvolumen: 4,4 Gigawatt von 2024 bis 2028.
    • Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke als Bestandteil eines Konzepts, durch das “die gesamte Wasserstoffkette von der variablen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis zur Elektrolyse, Speicherung und Rückverstromung des erzeugten Wasserstoffs” entwickelt und getestet werden solle. Ausschreibungsvolumen: 4,4 Gigawatt.
    • Erdgaskraftwerke mit Umstiegspflicht auf Wasserstoff: Das betrifft neue oder bereits bestehende Kraftwerke, die zunächst mit Erdgas betrieben werden und spätestens bis 2035 auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden müssen. Umfang: bis zu 15 Gigawatt. Von 2024 bis 2026 sollen davon zehn Gigawatt ausgeschrieben werden, wovon sechs Gigawatt “für neue Kraftwerke reserviert werden können”, die ebenfalls zunächst mit Erdgas befeuert werden dürfen.

    Blauer Wasserstoff bleibt vorerst erlaubt

    Die Förderung schließt blauen Wasserstoff aus Erdgas nicht aus. Mit der EU-Kommission wurde aber laut Habeck ein Mechanismus vereinbart, wonach die Förderung umso geringer ausfällt, je niedriger der Anteil von grünem Wasserstoff ist. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte die Einigung dennoch scharf: “Im Jahre 2024 Steuergelder für die Förderung fossiler Energien auszugeben, ist absolut verantwortungslos”, sagte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. ber/ae

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    Kritik an neuen EU-Standards für Nachhaltigkeitsberichte

    Die EU will die heimischen Unternehmen dazu anzuhalten, ihre Geschäftsmodelle so zu verändern, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am Montag neue Standards in der Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgelegt. Umweltorganisationen und ESG-Investoren kritisieren, dass die geplante Berichtspflicht deutlich weniger Informationen umfasst als ursprünglich vorgesehen, und dass sie zu einem großen Teil auf Freiwilligkeit beruhe.

    In einem ersten Entwurf hatte die Arbeitsgruppe, das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group), einen Kriterienkatalog aus mehr als 2.000 Datenpunkten zu Nachhaltigkeitsaspekten vorgelegt, über die die Unternehmen berichten sollen. Der Wirtschaft und der Kommission war das zu umfangreich. In den Verhandlungen wurden die Zahl deshalb auf weniger als ein Drittel reduziert. Das zieht nun Kritik auf sich.

    Kritik an Freiwilligkeit und “Greenwashing”

    Vincent Vandeloise, Senior Research und Advocacy Officer der NGO Finance Watch, nennt die signifikante Reduzierung der Datenpunkte problematisch. Er bemängelt auch, dass die meisten Regelungen nicht mehr verpflichtend seien. Vielmehr werde es den Firmen überlassen, wozu und in welcher Tiefe sie berichten. Tatsächlich müssen die Unternehmen bei einigen Daten, beispielsweise den Scope-3-Emissionen, nur noch erklären, warum sie diese gegebenenfalls nicht als wesentlich erachten, statt tatsächlich über sie Auskunft zu geben. Scope-3-Emissionen schließen etwa den Treibhausgasausstoß gekaufter Waren und Dienstleistungen oder von Geschäftsreisen mit ein.

    Auch Angaben zum Schutz der biologischen Vielfalt sind in der neuen Fassung der “Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS)” freiwillig und nicht mehr verpflichtend. Der WWF kritisiert, die Kommission habe dem Druck von konservativen Lobbygruppen nachgegeben und Löcher zugelassen, die jetzt zum Greenwashing einlüden. Das europäische Netzwerk der nationalen Fachverbände für nachhaltige Geldanlagen EuroSIF “bedauert” ebenfalls, dass wichtige ESG-Indikatoren nicht mehr verpflichtend seien.

    Durch die Standards steigt die Zahl der Firmen, die europaweit zur Berichterstattung verpflichtet sind, stufenweise von rund 12.000 auf mehr als 50.000 an. Bisherige Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Pflicht zur Berichterstattung nicht automatisch zu mehr Klimaschutz in den Unternehmen führt. Das Europäische Parlament und der Rat haben jetzt zwei Monate Zeit, die Vorschläge der EU-Kommission zu prüfen. Sie können sie ablehnen, aber nicht ändern. maw/leo

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    Presseschau

    News: Extreme Hitze kostet die USA jährlich 100 Milliarden Bloomberg
    Reportage: Forscher fürchten die Folgen, wenn das Eisschild in der Antarktis kollabiert The Guardian
    Reportage: Eine verzweifelte Anstrengung, Floridas Korallen zu schützen: Man holt sie aus dem Meer New York Times
    Analyse: Lohnt sich Kernenergie für Brasilien? Climatetracker
    Analyse: Brasilien will ein ambitioniertes, grünes Transitionspaket veröffentlichen Financial Times
    Recherche: Wie Ölkonzerne mit britischen Influencern Aufmerksamkeit auf sich ziehen DeSmog
    Reportage: In der Ostsee wird Seegras gepflanzt, um die Klimakrise zu bekämpfen Reuters
    Analyse: Erkenntnisse aus dem letzten El Niño in Vietnam Fairplanet
    Nachricht: Fluglinien prüfen Klagen gegen die Letzte Generation Frankfurter Allgemeine Zeitung
    Analyse: Durch den Klimawandel kommen Mücken in höhere Gebiete – und mit ihnen Malaria Grist
    Reportage: Missbrauch, Elend und Cholera – in Mosambik zeigt sich, was der Klimawandel anrichtet Zeit Online
    Kolumne: Die Verweigerung des Klimageldes verschärft die soziale Ungleichheit Zeit Online
    Kommentar: Wir können es uns mit Bezug zur Klimakrise nicht leisten Pessimisten zu sein The Guardian

    Standpunkt

    JETPs brauchen mehr soziale Gerechtigkeit

    Von Michael Jakob
    Erforscht die soziale Dimension der globalen Energiewende: Michael Jakob

    Wenn die 1,5-Grad-Grenze nicht überschritten werden soll, müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null sinken. Das betrifft insbesondere die Industrie-, aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer. Just Energy Transition Partnershops (JETPs) stellen einen neuen Ansatz dar, um die Transformation voranzutreiben – vor dem Hintergrund, dass die Industriestaaten sich aufgrund ihrer historischen Verantwortung für die globale Erwärmung verpflichtet haben, Klimaschutzbemühungen in ärmeren Ländern finanziell zu unterstützen.

    Die ersten JETPs gibt es bereits. Ihre klimapolitischen Zielsetzungen sind klar. Doch soziale Ziele werden in den Vereinbarungen vernachlässigt. Das birgt die Gefahr, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen bei der Transformation des Energiesystems auf der Verliererseite stehen. Solche sozialen Schieflagen wären nicht nur ungerecht. Sie würden auch starke politische Widerstände gegen die Dekarbonisierung wecken – ein Risiko für die globale Transformation.

    JETPs mit Südafrika, Indonesien, Vietnam und Senegal

    Im Rahmen von JETPs stellt die International Partners Group (IPG) Kredite, Zuschüsse und technische Unterstützung für Partnerländer zur Verfügung. Die IPG besteht aus den G7, der EU und einzelnen EU-Ländern. Zusätzlich sind in manchen JETPs auch internationale Finanzinstitutionen und Fonds direkt involviert.

    Die erste JETP wurde bei der COP26 Ende 2021 mit Südafrika geschlossen. Sie verspricht dem Land 8,5 Milliarden US-Dollar für Investitionen in klimafreundliche Energieerzeugung, -übertragung und -nutzung. Im Fokus steht dabei der Ausstieg aus der Kohle. Im Jahr 2022 wurden weitere JETPs in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar mit Indonesien und 15,5 Milliarden US-Dollar mit Vietnam beschlossen. Es sind zwei weitere Länder, in deren Energiesystem die Kohle eine zentrale Rolle spielt. Am 22. Juni wurde im Rahmen des Pariser Klimafinanzgipfels eine vierte JETP mit Senegal in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vereinbart.

    Diese JETPs sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung: Sie stellen gezielt Gelder bereit, um den Treibhausgasausstoß der Partnerländer zu senken. Sie lassen sich einfacher und schneller vereinbaren als beispielsweise Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Deshalb könnten sie zukünftig auch für weitere Länder eine Motivation bieten, verstärkt auf erneuerbare Energien zu setzen.

    Fossile Schlupflöcher; wenig Konkretes zu Gerechtigkeit

    Dennoch besteht Nachbesserungsbedarf. So ist unklar, welche konkreten Vorteile den Partnerländern aus den Finanzzusagen, die überwiegend in Form von Krediten vergeben wurden, im Vergleich zu Krediten zu Marktkonditionen tatsächlich erwachsen. Zusätzlich erlauben einige JETPs, dass mittelfristig die Nutzung fossiler Energien noch zunehmen kann. Besonders auffällig jedoch ist, dass die soziale Gerechtigkeit in den Vereinbarungen zwar als zentrales Element genannt wird – doch konkretes wird zu ihr kaum gesagt.

    Im Rahmen der JETPs wird Gerechtigkeit in erster Linie aus einer Nord-Süd-Perspektive gedacht. Das heißt vor allem, dass reichere Länder Finanzmittel zur Verfügung stellen. Die Frage, für wen die Vereinbarungen im Partnerland am Ende gerecht sein sollen, wird nicht ausreichend berücksichtigt. So gibt es in den Abkommen keine Definition, welche Gerechtigkeitsaspekte durch die JETPs adressiert werden sollen. Auch fehlen Vorgaben, um negative Auswirkungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Beschäftigte in Kohleminen oder energieintensiven Industrien, zu vermeiden,

    Die JETPs wurden großteils ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft verhandelt. Das bedeutet, dass viele Stimmen nicht gehört wurden. Ob nun in ihrer Umsetzung die Perspektiven zentraler Stakeholder, wie beispielsweise Gewerkschaften, berücksichtigt werden, hängt stark von der politischen Kultur des Partnerlandes ab. Doch in keinem der vier bisherigen JETP-Partnerländer sind inklusive Beteiligungsprozesse bisher tief verankert. Dennoch müssen sie der Anspruch sein. Denn mangelnde Beteiligung birgt das Risiko, dass JETPs von den Vorstellungen der Geberländer und Interessen der Entscheidungsträger im Partnerland geprägt werden, während die Gesamtbevölkerung insgesamt nur wenig von ihnen profitiert.

    Mehr Transparenz und Beteiligung nötig

    Um sicherzustellen, dass JETPs der breiten Bevölkerung zugutekommen, benötigt es eine klare Definition, welche gesellschaftlichen – neben den klimapolitischen – Zielen durch sie erreicht werden sollen und auf welchem Weg. Um die möglichen negativen Auswirkungen einer Transformation der Energiesysteme bereits im Vorfeld zu antizipieren und die Maßnahmen entsprechend ausgestalten zu können, ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern unerlässlich. Hier sollten JETPs Mindeststandards verankern. Sie sollten vorgeben, wie die Bevölkerung der Partnerländer in die Entscheidung eingebunden wird, und wie verfügbare Mittel investiert werden. Auf Geberseite bedarf es hierfür aber auch Geduld. Beteiligung braucht Zeit.

    Geberländer können eine sozial gerechte Energiewende aktiv unterstützen. So können sie ihren Fokus darauf legen, den wirtschaftlichen Strukturwandel in den Partnerländern etwa durch Ausbildungsprogramme für Berufe in den erneuerbaren Energiebranchen zu fördern. Eine vernünftige Gesellschaftsbeteiligung können sie unterstützen, indem sie den Aufbau der erforderlichen institutionellen Kapazitäten fördern. Damit eine “Just Energy Transition” nicht nur dem Namen nach, sondern auch tatsächlich sozial gerecht ist.

    Dr. Michael Jakob beschäftigt sich als unabhängiger Forscher und Berater mit den sozialen und politischen Implikationen von Maßnahmen zur Emissionsminderung.

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    Climate.Table Redaktion

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