Table.Briefing: Climate

COP28: Kipppunkte als Risiko und Chance + Neuer Text: Alles noch offen + Strategien gegen Populismus

Liebe Leserin, lieber Leser,

die COP28 bietet viele alarmierende Botschaften, aber immer wieder auch ein bisschen Hoffnung. Eine neue Studie zu Klima-Kipppunkten zeigt: Wir könnten die Kipppunkte des Erdsystems schneller als erwartet erreichen. Doch die Politik kann mit positiven, sozialen Kipppunkten gegensteuern. Im Energiesektor ist so ein positiver Kipppunkt fast erreicht. Nico Beckert berichtet über die drohenden Gefahren und möglichen Ansatzpunkte zur Abmilderung.

Passend zum heutigen Thementag zu Urbanisierung und Städten liefern wir Ihnen außerdem einen Hintergrund zur Rolle von Städten im Klimawandel: Sie sind besonders bedroht und werden in den nationalen Klimaplänen zu wenig beachtet. Und Manuel Berkel erläutert, was die jüngst verabschiedeten EU-Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten.

Daneben schauen wir auf neue Pläne zu Deutschlands Beitrag zur globalen Energiewende, den aktuellen Stand des Verhandlungstexts zum Global Stocktake und wie klimafreundliche Kühlsysteme in einer immer heißeren Zukunft aussehen können.

Behalten Sie einen kühlen Kopf!

Ihre
Lisa Kuner
Bild von Lisa  Kuner

Analyse

Studie: Kipppunkte als Katastrophen – oder als positive Veränderung

Gewaltige Eisberge vor Grönland
Das Grönland-Eisschild zählt zu den fünf der am meisten gefährdeten Klima-Kipppunkten.

In einer heute veröffentlichten Studie warnen Wissenschaftler, Klima-Kipppunkte “stellen Bedrohungen eines Ausmaßes dar, mit dem die Menschheit noch nie zuvor konfrontiert war“. Die Staaten müssten schnell aus den fossilen Energien aussteigen und Kipppunkte in ihre nationalen Klimaziele (NDCs) und das Global Stocktake aufnehmen.

“Die Welt befindet sich auf einem katastrophalen Weg”, so die deutliche Sprache der Studie, an der über 200 Wissenschaftler beteiligt waren und die die bisherige Forschung zu dem Thema zusammenfasst. Das Überschreiten von Kipppunkten bedrohe die Stabilität vieler Gesellschaften.

Weltweit würden beispielsweise wichtige Anbaugebiete für Nahrungsmittel so stark verändert, dass dort Landwirtschaft in ihrer bisherigen Form kaum noch möglich wäre. Doch die Politik könne auch positive Kipppunkte herbeiführen, mit denen sich die globale Erwärmung schneller stoppen lassen könne. Im Energiebereich sei so ein positiver Kipppunkt fast erreicht.

“Die Welt befindet sich auf einem katastrophalen Weg”

Laut der neuen Studie könnten einige negative Kipppunkte schon bei einer geringeren globalen Erwärmung eintreten, als bisher angenommen“. Der Welt laufe die Zeit davon: Schon in den nächsten Jahrzehnten drohten manche von ihnen zu kippen – teilweise sei dieses Kippen nicht rückgängig zu machen. Doch Jonathan Donges vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) stellt auch klar, dass nicht alle Kipppunkte zwangsläufig unumkehrbar seien.

Schon beim derzeitigen Stand der globalen Erwärmung bestehe bei fünf großen Kipppunkten die Gefahr, dass sie bald überschritten werden:

  • Instabile Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis. Beide Kipppunkte könnten bald auftreten. Allerdings würde das Abtauen nicht plötzlich geschehen, sondern über Jahrhunderte andauern.
  • Das Auftauen von Permafrostböden – dies wird als regionaler Kipppunkt gesehen.
  • Veränderungen des Subpolaren Nordatlantikwirbels, einer Meeresströmung im Nordatlantik, die bis nach Norwegen reicht.
  • Das Absterben von Warmwasser-Korallen.

Insgesamt haben die Forscher 26 Kipppunkte identifiziert. Andere Studien gehen von 14 oder 16 Kipppunkten aus.

Auswirkungen: Nahrungsanbau erschwert, Überschwemmungen, Billionen-Verluste

Überschreitet die globale Erwärmung die 2-Grad-Schwelle, sei auch der Amazonas Regenwald von einem “teilweisen Kollaps” bedroht. Die globale Erwärmung würde dazu beitragen, dass der Regenwald in bestimmten Regionen sein Blätterdach verliert, austrocknet und sich dadurch selbst zurückbildet.

Das Überschreiten der Kipppunkte hätte dramatische Auswirkungen auf die Wasser- und Lebensmittelversorgung, die Gesundheit, lokale Gemeinschaften und für Volkswirtschaften:

  • Das Absterben des Amazonas Regenwald würde sechs Millionen Menschen extremem Hitzestress aussetzen und zwischen einer und 3,5 Billionen US-Dollar an ökonomischen Schäden verursachen.
  • Das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes könne bis zum Jahr 2100 zu einem Meeresspielanstieg von zwei Metern und jährlichen Überschwemmungen führen, die 480 Millionen Menschen betreffen würden.
  • Ein Kollaps des Nordatlantikstroms würde die Nahrungsmittelversorgung von hunderten Millionen Menschen gefährden.

Allerdings gibt es auch Kritik an der Studie. Gerrit Lohmann, Klimawissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, sagte, die Studie gebe sich in einigen Bereichen zu sicher und habe Unsicherheiten, die es zu Kipppunkten in der Forschung noch gibt, zu klein gemacht”. Bei einigen Kipppunkten könne noch nicht allzu genau gesagt werden, bei welchen Temperaturanstiegen sie eintreten. Es bräuchte in einigen Bereichen noch mehr Forschung. Das heben allerdings auch die Studienautoren hervor.

Politik kann positive Kipppunkte herbeiführen

Um das Kippen ganzer Erdsysteme noch verhindern zu können, müssten die Staaten positive Kipppunkte herbeiführen, fordern die Wissenschaftler. Im Energiesystem sei so ein Kipppunkt fast erreicht: Erneuerbare Energien sind in vielen Staaten mittlerweile günstiger als fossile. Das könne zu mehr Nachfrage nach klimaschonenderen Technologien wie E-Autos und Wärmepumpen führen. Die Entwicklung in einem Bereich wirkt sich also positiv auf andere Bereich mit hohen Emissionen aus.

Auch im Bereich Verkehr und Ernährung gebe es Potenzial für positive Kipppunkte. Klimaschonende Verkehrsmittel müssten attraktiver werden als fossile – beispielsweise indem Städte attraktiver für Fuß- und Radverkehr werden und der öffentliche Nahverkehr besser ausgebaut werde. Gleiches gilt für Ernährung: Fleischlose Ernährung solle attraktiver und günstiger gemacht werden; Bauern sollten andere Einkommensquellen erhalten, beispielsweise indem sie für Umweltschutz bezahlt werden.

Allerdings müsste die Politik solche positiven Kipppunkte aktiv herbeiführen und dafür:

  • technologische Innovationen fördern und für deren weltweite Verbreitung sorgen;
  • Geld bereitstellen;
  • Verhaltens- und Normenveränderungen herbeiführen;
  • politisches und soziales Verhalten in positivere Bahnen lenken, beispielsweise durch Energieeffizienzstandards für Gebäude und Geräte.

Die Wissenschaftler empfehlen die Gründung von Klimaclubs von Vorreiter-Staaten. Die EU, die USA und China könnten sich beispielsweise zusammenschließen und den Verkauf von Verbrennungsmotoren verbieten. Das würde den positiven Kipppunkt hin zu mehr E-Autos beschleunigen. Auch das Finanzsystem müsste so umgebaut werden, dass es positive Kipppunkte beschleunigt, mahnen die Wissenschaftler.

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EU: Was die Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten

Direktreduktionsanlagen zur Stahlherstellung lassen sich auf grünen Wasserstoff umstellen.

Die Existenz vieler Wirtschaftsbereiche in Europa hängt am Zugang zu günstigem grünen Wasserstoff. Feste Quoten für Industrie und Verkehr legt die überarbeitete Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED III) fest, die am 20. November in Kraft getreten ist. Welche Verpflichtungen sich daraus ergeben, ob sie mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vereinbar sind und ob noch grüner Wasserstoff für weitere Einsatzzwecke übrig bleibt, lesen Sie in diesem Überblick.

Europäische Quoten für 2030 aus der RED III für grünen Wasserstoff und seine Derivate (im EU-Jargon “flüssige oder gasförmige erneuerbare Kraftstoffe für den Verkehr nicht biogenen Ursprungs” oder kurz RFNBO):

  • Industrie: 42 Prozent für energetische und nicht-energetische Zwecke, zum Beispiel in der Chemie-, Düngemittel- und Stahlindustrie. Schon 2035 steigt die Quote auf 60 Prozent.
  • Verkehr: Ein Prozent für alle Transportmittel insgesamt. Da die RED allerdings erlaubt, RFNBO für den Gesamtverkehr mit dem Doppelten ihres Energiegehalts anzurechnen, liegt die Quote laut dem Kraftstoffverband en2x effektiv nur bei 0,5 Prozent.

Unklare Vorgaben für den Flugverkehr

Für einzelne Verkehrsträger gelten 2030 gesonderte Anteile für E-Fuels:

  • Seeverkehr: Für EU-Staaten mit Seehäfen gilt laut RED III ein Sollwert von 1,2 Prozent RFNBO. Auch hier gilt aber ein höherer Anrechnungsfaktor von 1,5. Effektiv liegt die Quote also nur bei 0,8 Prozent.
  • Luftverkehr: Nach der neuen Verordnung ReFuelEU Aviation gilt im Mittel der Jahre 2030/31 eine verpflichtende Quote für “synthetische Flugkraftstoffe” von 1,2 Prozent – bis 2050 steigt sie auf 35 Prozent. Zusammen mit “Biokraftstoffen für die Luftfahrt” gelten noch höhere Anteile für “nachhaltige Flugkraftstoffe” (SAF) – 2050 zum Beispiel 70 Prozent. Die RED III setzt aber auch für RFNBO im Luftverkehr einen Faktor von 1,5 an. Die Quote für 2030/31 betrüge demnach ebenfalls 0,8 Prozent. Inwiefern der Faktor aus der RED aber auch für ReFuelEU Aviation gilt, sei unklar, erklärt Burkhard Hoffmann von der Stiftung Umweltenergierecht.
  • Autoverkehr: Die EU-Flottengrenzwerte für Lkw werden noch verhandelt, Quoten für Lastkraftwagen gelten allerdings als unwahrscheinlich. Für Pkw wurden in der jüngsten Novelle der Flottengrenzwerte keine verpflichtenden E-Fuel-Anteile beschlossen. Da Autos aktuell aber fast fünfmal so viele Kraftstoffe verbrauchen wie Flugzeuge und Schiffe zusammen, werden Pkw und Lkw wohl doch E-Fuels verfahren müssen, um die Quote für den Verkehr insgesamt zu erreichen. Sinken würde der Druck, wenn der Anteil von Elektroautos bis 2030 rasend schnell stiege.

Frontier Economics legt erste Schätzung vor

Was diese EU-Vorgaben für Deutschland in absoluten Mengen bedeuten, dazu gibt es noch erstaunlich wenige Zahlen. Der BDI kann auf Anfrage nicht sagen, wie viele Tonnen grünen Wasserstoff die Industrie bis 2030 braucht, um die Vorgabe der Erneuerbaren-Richtlinie zu erfüllen. Im Frühjahr will der Thinktank Agora Industrie eine Studie vorlegen, die Antworten liefert. Eine erste Schätzung hat kürzlich Frontier Economics im Auftrag von Eon präsentiert.

Die Industrie benötige für die EU-Quote 23 Terawattstunden grünen Wasserstoff und der Verkehrssektor sechs bis neun Terawattstunden, je nachdem, ob sie mit Wasserstoff oder Derivaten erfüllt werden. Allerdings gibt Frontier auf Nachfrage an, im Verkehrssektor mit der Quote von einem Prozent gerechnet zu haben. Die doppelte Anrechenbarkeit wurde also offenbar außer Acht gelassen.

Nationale Wasserstoffstrategie lässt auch blauen Wasserstoff zu

Durch die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie wären die EU-Vorgaben auf den ersten Blick gedeckt. In ihrer neuen Nationalen Wasserstoffstrategie gibt sich die Bundesregierung für 2030 ein Ziel von 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff. Neben dem bisherigen Verbrauch von 55 Terawattstunden kalkulierte sie mit einem zusätzlichen Bedarf von 40 bis 75 Terawattstunden. Sicher ist die Erfüllung der europäischen Vorgaben dadurch aber noch nicht.

Zum einen will sich die Bundesregierung auch kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Erdgas auf ihre Ziele anrechnen lassen, was die RED III nicht zulässt. Zum anderen ist fraglich, ob die nationalen Ziele wirklich erreicht werden.

Urteil erschwert die Finanzierung

“In Summe halten wir die H2-Ziele für sehr ambitioniert, aber grundsätzlich realisierbar”, sagt Johanna Reichenbach von Frontier Economics. Inwieweit aber noch signifikante Fördermittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden können, sei nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds “sehr offen”. “Insofern ist die Zielerreichung für den Moment sicher weniger wahrscheinlich geworden“, sagt Reichenbach.

Auf europäischer Ebene machten Anfang der Woche mehrere Unternehmen Druck, damit die EU zusätzliche Fördermittel für die Wasserstoffwirtschaft bereitstellt. Existierende Fonds reichten nicht aus, um den Mangel an privaten Investitionen auszugleichen, schrieben unter anderem die Chefs der deutschen Firmen Sunfire, BayWa r.e. und Enapter in einer gemeinsamen Erklärung.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte dagegen am Montag zunächst keine neuen Finanzmittel an, sondern die zweite Ausschreibung der Europäischen Wasserstoffbank, die im Frühjahr startet. Im brasilianischen Bundesstaat Piauí solle außerdem durch EU-Mittel mit zehn Gigawatt eine der weltgrößten Erzeugungsanlagen für grünen Wasserstoff und Ammoniak entstehen, die an einem Terminal auf der kroatischen Insel Krk anlanden sollen. Zum Vergleich: Zehn Gigawatt entspricht dem Ziel der Bundesregierung für die gesamte Leistung inländischer Elektrolyseure im Jahr 2030.

Nationale Umsetzung soll Streitpunkte regeln

Was die deutsche Wirtschaft aber mindestens ebenso sehr umtreibt wie die Finanzierungsfrage, ist die Umsetzung der RED III in nationales Recht. Dies werde in den kommenden Monaten ein Schwerpunkt der Verbandsarbeit, heißt es beim BDI. Strittig sind gleich mehrere Punkte:

  • Theoretisch könnte die Bundesregierung höhere Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr vorschreiben als die EU.
  • Für Raffinerien wird es auch von nationalen Detailregelungen abhängen, ob der eingespeiste grüne Wasserstoff bei der Herstellung von fossilen Kraftstoffen auf die Quote für den Verkehr oder für die (Chemie-)Industrie angerechnet wird.
  • Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus den Delegierten Rechtsakten der EU dürfen nach Ansicht des BDI nicht verschärft werden. Die Stiftung Umweltenergierecht sieht laut einer aktuellen Studie außerdem zahlreiche Rechtsunsicherheiten durch den Rechtsakt selbst.

Umgesetzt werden die nationalen Regelungen durch Novellen des Immissionsschutzrechts. Die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) will die Bundesregierung dem Vernehmen nach Anfang nächsten Jahres anpacken. Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus dem Delegierten Rechtsakt werden in der 37. BImSchV umgesetzt, zu der es bereits Entwürfe, aber noch keinen Beschluss gibt.

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  • Industrie
  • RED
  • Wasserstoff

Hintergrund: Städte und Regionen

Das Sturmflutsperrwerk “Thames Barrier” in London. Durch den Klimawandel muss wahrscheinlich bald ausgebaut und verstärkt werden.

Darum geht es:

Städte und Regionen stehen im Kampf gegen die Klimakrise an vorderster Front. Urbane Zentren heizen sich besonders schnell auf. Lokale Verwaltungen und Regierungen müssen konkrete Maßnahmen treffen und Innovationen fördern. In der EU sind Lokalregierungen beispielsweise für die Umsetzung von 70 Prozent aller Regulierungen verantwortlich. Gleichzeitig stehen ihre Interessen mitunter im Konflikt mit denen von nationalen Regierungen. Und lokalen Akteuren fehlen häufig die nötigen Finanzmittel für effizienten Klimaschutz.

Deshalb ist das Thema wichtig:

Städte produzieren mehr als 75 Prozent der globalen Emissionen – dort wird besonders viel geheizt, gekühlt, es fallen große Mengen an Abfall an und Fahrzeuge stoßen viele Emissionen aus. Bis 2050 werden rund zwei Drittel aller Menschen in Städten wohnen.

Die Folgen der Klimakrise sind in Städten besonders stark zu spüren. Sie liegen häufig an Flüssen, Seen oder Berghängen, wo sie die Folgen von Extremwettereignissen stark treffen. Das zeigt sich auch am Beispiel des Austragungsorts der COP28. Analysen zeigen, dass Dubai bei einer Erderhitzung von 2,9 Grad durch den Anstieg des Meeresspiegels zu großen Teilen unter Wasser stehen würde.

Das sind die Details:

Die Local Governments and Municipal Authorities (LGMA) Constituency repräsentiert subnationale Regierungen im Prozess des UNFCCC. Vor der COP28 hatten die darin vertretenen Städte und Regionen in einem Statement bereits ihre Position zur Bekämpfung des Klimawandels formuliert. Sie fordern unter anderem:

  • Subnationale Akteure stärker anzuerkennen
  • Regionale Anpassung zu fördern
  • Lokalen Klimaschutz besser zu finanzieren
  • Subnationale Stimmen besser in den UNFCCC Prozess zu integrieren
  • Multilevel-Partnerschaften zu fördern

Daneben vertreten beispielsweise die Netzwerke C40 und ICLEI Städte und Regionen. Zum Auftakt der COP wurden die Bedürfnisse von Städten mit der Local Climate Action Summit (LCAS) mit mehr als 500 lokalen Leadern priorisiert. Der Thementag Multilevel Action, Urbanization und Built Environment legt am 6. Dezember ebenfalls einen Fokus darauf.

Auf der LCAS wurde eine Coalition for High Ambition Multilevel Partnerships ins Leben gerufen. Die Initiative fordert, dass für effizienteren Klimaschutz lokale und regionale Akteure besser mit einbezogen werden.

Diese Kritik gibt es:

Lokale Akteure klagen oft über mangelnde finanzielle Mittel für effizienten Klimaschutz – gerade auch für Anpassung, wie der Adaption Gap Report zeigt. In den kommenden 15 Jahren sind für nachhaltige Infrastruktur schätzungsweise 93 Billionen US-Dollar an Investitionen notwendig – ein großer Teil fällt in Städten und auf regionaler Ebene an.

Außerdem mahnen die Städte und Regionen regelmäßig an, dass sie besser in Klimaschutzprozesse integriert werden sollen. Wichtige Entscheidungen würden hauptsächlich auf nationaler Ebene getroffen werden. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder die Kritik, dass Städte innerhalb von NDCs nicht gut genug repräsentiert sind.

Das kann ein Ergebnis der COP28 sein:

Mobilität, Gebäude und Ernährungssysteme – das sind nur einige der Themen, die auf der Klimakonferenz im Zusammenhang mit Städten diskutiert werden. Es werden eher weniger konkrete Ergebnisse dazu erwartet. Viel mehr kann die Klimakonferenz eine Plattform sein, um lokale Lösungen zu präsentieren und ambitionierte Politiker zu vernetzen. Ein solches Beispiel ist der City Climate Finance Gap Fund, der von der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank verwaltet wird und Anschubfinanzierung für Investitionen in nachhaltige Infrastruktur gibt. Auf dem Ministerial zum Thema sollen zudem Hebel für lokale Klimafinanzierung identifiziert werden.

  • Anpassung
  • COP28
  • UNFCCC

Termine

6. Dezember, 9.30 Uhr, Plenary Al Ghafat
Ministerial Ministerial Meeting on Urbanization and Climate Change
Auf dem Ministerial Meeting werden viele Klimathemen verhandelt, die Städte betreffen: Finanzierung, Wohnen und Stadtentwicklung. Außerdem soll es dazu aufrufen, der neu gegründeten Coalition for High Ambition Multilevel Partnerships beizutreten. Infos

6. Dezember, 11.30 Uhr, SE Room 8
Podiumsdiskussion A Farmer-Driven Agenda to Advance Climate Action & Food Security through Cooperation and Innovation
Auf diesem Side-Event informieren verschiedene Verbände und Interessensvertretungen aus der Landwirtschaft über nachhaltige, regenerative Ansätze für eine Landwirtschaft im Klimawandel. Infos

6. Dezember, 12.30 Uhr, Online
Webinar Jobs and skills for a just green transition
Die globale Energiewende hat große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Auf diesem Event der OECD wird darüber diskutiert, wie man mit den daraus resultierenden Herausforderungen umgehen kann. Info & Anmeldung

6. Dezember, 14 Uhr, German Pavilion
Diskussion Solutions to unleash the potential of decentralised sustainable energy production
Auf der Veranstaltung des Deutschen Städtetags geht es um die Rolle von Städten im Klimaschutz. Lokale Vertreter aus Deutschland und Afrika diskutieren über Chancen und Herausforderungen. Infos

6. Dezember, 11.30, EU Pavilion & Online
Podiumsdiskussion Fuelling the Future: the role of sustainable aviation fuels in greening aviation
Auf dem Side-Event im EU-Pavillon geht es um neue Entwicklungen rund um die Emissionsreduzierung im Flugverkehr. Es sollen vielversprechende Technologien vorgestellt und Schwierigkeiten erörtert werden. Infos

News

Zweiter GST-Entwurf: Viele Optionen, viele Probleme

Am Dienstagmorgen wurde der zweite Textentwurf für den Verhandlungstext zum Global Stocktake veröffentlicht. Es wird zugleich auch das Abschlussdokument der COP28 sein, da es in diesem Jahr keine gesonderte sogenannte “Cover Decision” geben wird. Darin befinden sich zahlreiche Optionen für die strittigsten Themen. Das heißt, dass zwischen zwei meist konträren Positionen unterschieden wird. Die dritte Option ist die Streichung des gesamten Absatzes.

Fossil Fuel Phase Out oder Phase Down

Der Textvorschlag beinhaltet die Option eines “geordneten und gerechten Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen” – ein Ausstieg ohne Schlupflöcher für CCS und ohne Beschränkungen auf Emissionen aus Fossilen, aber auch ohne Jahreszahl. Die zweite Option ist die Beschleunigung der “Bemühungen” um einen schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ohne Verminderung (“phasing out unabated fossil fuels”).

Hier gibt es allerdings noch den Zusatz, dass der “Verbrauch” der Fossilen gesenkt und Netto-Null-CO₂ in Energiesystemen um das Jahr 2050 erreicht werden sollen. Linda Kalcher von Brüsseler Thinktank Strategic Perspectives hält diesen Zusatz für problematisch, da er die Verantwortung für die Reduktion vollständig auf Verbraucher abwälzt und öl- und gasproduzierende Länder daraus entlässt.

Kohleausstieg bis 2030 und Net-Zero bis 2040

Eine ambitionierte Formulierung zur Kohle, die es wohl kaum in den finalen Text schaffen wird, fordert einen zügigen Ausstieg aus der unverminderten Kohleverstromung (“unabated coal power”) noch in diesem Jahrzehnt. China und Indien werden dem voraussichtlich nicht zustimmen, da sie ihre Wirtschaft nicht bis 2030 vollständig umstellen können. Der Absatz wird voraussichtlich abgeschwächt werden.

Eine weitere Baustelle ist die Aufforderung zu Netto-Null-Zielen, die Länder bis zur nächsten COP kommunizieren sollen. Option 1 würde Länder dazu auffordern, dass diese Ziele 1,5-Grad-kompatibel sein müssen. Entwicklungsländer lehnen dies jedoch ab, da so kein Unterschied zwischen den ärmeren Ländern und den reicheren Hauptverursachern des Klimawandels gemacht wird.

Option 2 gefällt den entwickelten Ländern nicht, da sie darin zu Netto-Null-Emissionen bis 2040 und negativen Treibhausgasemissionen “so früh wie möglich” aufgefordert werden. Deutschlands aktuelles Ziel für Netto-Null liegt bei 2045, die EU will 2050 klimaneutral sein.

Versteckte CBAM-Kritik

Ein Vorschlag für eine Formulierung dürfte vor allem die Europäer hellhörig machen. Einseitige Klimaschutzmaßnahmen, die eine Beschränkung des internationalen Handels darstellen, sollen vermieden werden, heißt es darin. Da der europäischen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM insbesondere von Südafrika als genau das kritisiert wird, ist der Fingerzeig offenkundig. Auch die USA werden sich jedoch durch ihren Inflation Reduction Act angesprochen fühlen. China empfindet den IRA als unfaire Handelspraxis.

Der neue Text befindet sich nun in den weiteren Verhandlungen und soll noch am Mittwoch, dem letzten Tag der ersten COP-Woche, im Zwischenplenum thematisiert werden. Da es ein Verhandlungstext ist, kann es im weiteren Verlauf noch zahlreiche Änderungen und auch Zusammenführungen der Optionen geben. luk

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Bericht: Durch CCS drohen mehr Emissionen als erwartet

Laut Berechnungen von Climate Analytics könnte der breite Einsatz von Carbon Capture-Technologien bis zum Jahr 2050 bis zu 86 Gigatonnen an Treibhausgasemissionen weniger reduzieren als angenommen. Denn CCS-Anlagen fangen in der Praxis häufig viel weniger CO₂ auf als nötig wäre, um die Emissionen wirksam zu senken. Der Weltklimarat (IPCC) definiert abgemilderte Emissionen (“Abatement”) als Reduktion von 95 Prozent. Bisherige CCS-Anlagen fangen allerdings häufig nur 50 Prozent oder weniger der Emissionen auf.

Sollte in Zukunft großflächig auf CCS gesetzt werden und der Ausstieg aus den fossilen Energien dadurch verzögert werden, drohen die Emissionen also auf hohem Level zu bleiben. Die Forscher hatten für ihre Berechnungen ein IPCC-Szenario mit dem höchsten Anteil an CCS-Ausbau zugrunde gelegt. Die 86 Gigatonnen an Emissionen (CO₂-Äquivalente) sind der Unterschied zwischen einer Auffangrate von 50 Prozent und einer Rate von 95 Prozent, plus höherer Methan-Emissionen, weil auch hier die Auffangraten in der Praxis häufig geringer sind.

Der Begriff ,abated’ wird als trojanisches Pferd benutzt, damit fossile Brennstoffe mit miserablen Abscheidungsraten als Klimaschutzmaßnahmen gelten können”, kritisiert Claire Fyson von Climate Analytics. Die Diskussionen um “Abmilderung” würden den falschen Eindruck erwecken, dass CCS die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe in großem Umfang ermögliche und gleichzeitig die im Pariser Abkommen festgelegte Obergrenze von 1,5 °C eingehalten werden könne. nib

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Energiewende: Deutschland will internationale Fachkräfte ausbilden

Deutschland will sein Engagement zur beruflichen Qualifizierung von Fachkräften für die Energiewende weltweit ausbauen. Das BMZ arbeitet mit rund 60 Ländern in der beruflichen Bildung zusammen, bisher geht es in rund einem Fünftel der Projekte schon um Energiewende-Kompetenzen. Der Anteil davon soll bis 2025 steigen. Das gaben Vertreter der Bundesregierung gestern auf der COP28 bekannt, als sie Deutschlands Beitrag zur globalen Energiewende vorstellten.

Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden bis zum Jahr 2030 weltweit mehr als 100 Millionen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien entstehen. Einem Aktionsplan zufolge will das BMZ Partnerländer beraten und beim Ausbau von Wissenschaftszentren unterstützen.

Engagement für gerechte Energiewenden

Außerdem bringt sich Deutschland in verschiedene Energiewende-Partnerschaften (JETPs) ein. Gestern wurde das Engagement konkretisiert: Deutschland will Südafrika 500 Millionen Euro dafür zur Verfügung stellen. Das Geld wird über günstige KfW-Kredite bereitgestellt, Haushaltsmittel kämen nicht zum Einsatz. Südafrika muss für die Kredite weniger Zinsen zahlen als üblich. Im Zuge des JETP mit Indonesien will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Nach- und Umnutzungspläne für indonesische Kohlekraftwerke entwickeln. kul

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“Global Cooling Pledge” verspricht klimafreundlicheren Kühlungssektor

Mehr als 60 Länder – unter ihnen auch Deutschland – haben gestern auf der COP28 das “Global Cooling Pledge” unterzeichnet. Darin versprechen sie, ihre Emissionen aus Kühlung künftig über alle Wirtschaftsbereiche hinweg um mindestens 68 Prozent weltweit (2022-2050) zu senken. Sie wollen die internationale Zusammenarbeit für mehr Klimaschutz im Kühlungssektor verstärken, die Energieeffizienz erhöhen und den Ausstoß von Treibhausgasen durch “gemeinsame, globale Emissionsziele” senken.

Der Kühlungssektor verursacht Treibhausgase unter anderem durch seinen Strombedarf. Hinzu kommt die Klimawirkung von entweichenden Kühlmitteln, die im Vergleich zu CO₂ besonders hoch ist. Dazu gehören beispielsweise Fluorkohlenwasserstoffe.

Besonders gefährdete Menschen sollen durch den Pledge einen besseren Zugang zu nachhaltiger Kühlung bekommen. Dem UN-Entwicklungsprogramm (UNEP) zufolge haben derzeit rund 1,2 Milliarden Menschen in Afrika und Asien keinen Zugang zu Kühlung, “was ihr Leben durch extreme Hitze gefährdet, das Einkommen der Landwirte schmälert, zu Lebensmittelverlusten und -verschwendung führt und den allgemeinen Zugang zu Impfstoffen behindert”.

Passive Kühlung, Effizienz und Reduktion von Kühlmitteln

Je weiter die Temperatur auf der Erde steige, desto höher werde der Bedarf an Kühlung sein, sagte Inger Andersen, die geschäftsführende Direktorin der UN-Entwicklungsagentur UNEP in Dubai. Sie stellte auf der COP28 einen neuen Bericht vor, der zeigt, wie die Emissionen aus Kühlung gesenkt werden könnten. “Keeping it Chill: How to meet cooling demands while cutting emissions” hat vier Hauptbotschaften:

  • Ändert sich nichts, werden sich die Treibhausgas-Emissionen des Kühlungssektors bis 2050 mehr als verdoppeln und dann mehr als zehn Prozent der weltweiten Emissionen umfassen.
  • Durch entscheidende “Schlüsselmaßnahmen” könnte der wachsende Energiebedarf aber gesenkt und so die vorhergesagten Emissionen um 60 bis 96 Prozent gesenkt werden. Mindestens 3,8 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente würden dadurch vermieden.
  • Dadurch könnten die Haushalte jährlich eine Billion US-Dollar sparen, der Stromsektor sogar bis zu fünf Billionen.
  • 3,5 Milliarden Menschen würden einen Zugang zu Kühlung erhalten.

“Die Lösungen sind heute verfügbar”, so Andersen. Laut dem Bericht sind die 60 Prozent Emissionsreduktion bereits durch passive Kühlung, also etwa Beschattung oder bessere Luftzirkulation, höhere Energieeffizienzstandards und eine schnellere Reduktion von klimaschädlichen Kühlmitteln zu realisieren. Würden dazu noch die Emissionen des Stromsektors schnell in Richtung null sinken, dann wären 96 Prozent erreichbar. ae

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Standpunkt

Eine Strategie gegen populistische Angriffe auf die Klimapolitik

Von Fritz Reusswig
Porträtfoto eines Mannes im schwarzen Poloshirt und mit Brille
Fritz Reusswig ist Soziologe und Philosoph am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Gemeinsam mit Beate Küpper, Sozialpsychologin und Professorin an der Hochschule Niederrhein, hat er das Klima-Kapitel der aktuellen Mitte-Studie verfasst.

Die jüngste Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Der Klimaschutz wird immer stärker zum polarisierenden Thema. Seine populistischen Gegner mobilisieren bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein. Was wäre eine gute Gegenstrategie? Ein konsequenter Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit, der die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende betont und die Kommunen dabei nicht alleine lässt.

Die Ergebnisse der jüngsten Mitte-Studie sind besorgniserregend: Rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen gewinnen bis in die gesellschaftliche Mitte hinein an Boden. Gleichzeitig beobachten wir, dass das Themenfeld Klimawandel und Klimapolitik von anderen Themen überlagert und – besonders bedenklich – immer stärker in die gesellschaftliche Polarisierung hineingezogen wird.

Das ist ganz wesentlich eine Folge des Erfolges rechtspopulistischer Diskurse und Strategien. Wie konnte es dazu kommen? Und was lässt sich dagegen tun?

Die massiv angewachsene Forschung zum Populismus kann bei allen Divergenzen so zusammengefasst werden, dass der Populismus – als Diskurs und als politischer Akteur – auf drei Polarisierungen hinausläuft:

  • Gut gegen Böse,
  • korrupte Elite gegen Volk,
  • die vermeintliche “moralische Mehrheit” des Volkes gegen “böse Minderheiten”.

Der Widerstand wächst, die Debatte ist polarisiert – was heißt das fürs Klima?

Auf die kommunikative Strategie der Populisten im Klimabereich bezogen, bedeutet das:

  • Die Klimapolitik wird von ihnen nicht als “gute” Sache dargestellt, die im übergeordneten Interesse der Menschheit liegt, sondern als parteiliche und selbstdienliche Ideologie bestimmter sozialer und politischer Gruppen.
  • Die Klimapolitik der Regierung wird als der Versuch einer korrupten und vom Volk und seinen Problemen völlig abgehobenen politischen Klasse dargestellt, Herrschaft auszuüben und partikuläre ideologische Interessen zu bedienen. Klimapolitik richtet sich also gegen das Volk.
  • Gesellschaftliche Gruppen, die Klimapolitik wollen und unterstützen, sind in der Erzählung der Populisten eine “böse” Minderheit, die entweder rein egoistisch handelt, wie beispielsweise Windkraftbetreiber, oder ideologisch an sozialer Hegemonie interessiert ist – und die zudem ihre urban-grünen Privilegien pflegt, aber anderen einen klimafreundlichen Lebensstil und ihre eigenen Weltdeutungen überstülpen will.

Die bisherigen Folgen dieser Strategie: Auf der lokalen Ebene hat der Widerstand gegen Klimapolitik zugenommen und ist härter geworden. Der gesellschaftliche Diskurs ist polarisiert, Klimaschutz soll abgewertet und verhindert werden.

Vier Einstellungen zum Klima

Wir haben in der Mitte-Studie die deutsche Bevölkerung hinsichtlich ihrer klimapolitischen Einstellungen in vier Gruppen eingeteilt:

  • Klima-Progressive – die einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien befürworten, mehr Bürgerbeteiligung wollen und eher Verständnis für Klimaproteste haben. Das sind 50,8 Prozent der Bevölkerung.
  • Klima-Regressive – die weder den Ausbau der Erneuerbaren wünschen noch Verständnis für Proteste haben. Sie finden die Energiewende zu teuer und verstehen Klimaschutz als Ökoterrorismus gegen die Bevölkerung. Sie machen 15,4 Prozent aus.
  • Indifferente – die sich kaum für das Thema interessieren: 19,4 Prozent.
  • Ambivalente – die zwar für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind, die Energiewende aber zugleich zu teuer finden, für Anpassung statt Klimaschutz sind und die Energiewende den Fachleuten überlassen möchten. Sie machen 14,4 Prozent der Bevölkerung aus.

Gegner der Klimapolitik sind eine Minderheit

Die Klima-Regressiven haben das populistische Anti-Klima-Narrativ weitgehend übernommen. Dafür spricht auch, dass ihr Anteil im Osten mit 22,9 Prozent deutlich höher ist als im Westen (13,6 Prozent) – das passt zu den höheren AfD-Wahlergebnissen in Ostdeutschland.

Zwar sind die Klima-Progressiven insgesamt in der Mehrheit. Die populistische Behauptung von der “Minderheitenpolitik” stimmt also nicht. Aber das kann sich erstens schnell ändern, und zweitens sind auch die Klima-Progressiven mit der Klimapolitik der Bundesregierung teilweise unzufrieden. So wünschen sie sich beispielsweise mehr Bürgerbeteiligung.

Hoffnungsschimmer und Lösungsansätze

Was kann man also tun, um die Menschen von engagiertem Klimaschutz zu überzeugen? Aus den Ergebnissen der Mitte-Studie lassen sich einige Hoffnungsschimmer und Lösungsansätze ableiten.

  • Nur 44,7 Prozent der AfD-Wähler und Wählerinnen sind eindeutig klima-regressiv. Die Mehrheit ist es nicht – und 16,5 Prozent sind sogar klima-progressiv eingestellt.
  • Betrachtet man die Wählerwanderungen der letzten Landtagswahlen, dann fällt auf: Die AfD hat auch Stimmen von den Linken, der SPD und sogar den Grünen geholt. Primär motivierend war dabei die Migrationspolitik, nicht die Klimapolitik. Daraus folgt: Je erfolgreicher die AfD wird, desto mehr wird sie von Menschen gewählt, die klimapolitisch deutlich progressiver sind, als es die Funktionäre wollen.
  • Natürlich reicht es nicht, auf eine klimafreundlichere Politik der AfD zu warten – oder auch der CDU/CSU, die derzeit ebenfalls ihre klima-progressiven Wähleranteile nicht bedient. Wir brauchen konsequenten Klimaschutz mit einer an sozialer Gerechtigkeit, technischer Innovation und Bürgerbeteiligung orientierten Flankierung. Etwa bei der Ausgestaltung des Klimageldes, das ja noch kommen soll.

Unterstützung für Kommunen, Anpassung, Herzblut

  • Deutschlands Kommunen müssen viel mehr von der Energiewende haben, und einige Beispiele zeigen auch, dass das geht. Klimaschutz lässt sich als Teil einer zukunftsorientierten Regionalentwicklung rahmen und sollte durch neue Akteurskonstellationen – inklusive der Wirtschaft – untersetzt werden. Der langjährige Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises zum Beispiel – seines Zeichens CDU-Politiker – hat den Ausbau der Erneuerbaren in seinem Kreis systematisch gefördert und dafür gesorgt, dass die Gemeinden davon profitieren. Heute gehören sie zu den finanziell am besten dastehenden Kommunen in Rheinland-Pfalz. Auch der aktuelle Vorstoß des Bundeswirtschaftsministers, Klimaschutz mit einer industriepolitischen Strategie zu verknüpfen, geht in die richtige Richtung.
  • Gerade kleine Kommunen sind aber mit den Herausforderungen und Aufgaben rund um die Energiewende massiv überfordert, werden sie doch – ob zuständig oder nicht – von den Bürgerinnen und Bürgern zuallererst angesprochen. Wir brauchen hier Kompetenzaufbau und mobile Informations- und Konfliktlösungseinheiten, damit die Kommunalpolitik argumentativ und vom Konfliktmanagement her besser vorbereitet ist. Und das möglichst, bevor die Bagger kommen.
  • Klimaanpassung ist deutlich weniger kontrovers als Klimaschutz. In vielen Regionen drohen die Lebensgrundlagen durch den Klimawandel wegzubrechen – Wasser, Wälder, Ökosysteme, Landwirtschaft. Lokalpolitik kann hier sehr gut ansetzen, und sie kann die Populisten zwingen, Farbe zu bekennen: Seid ihr für oder gegen den Schutz unserer Heimat?
  • Studien zeigen: Energiewende-Gegner haben starke, aber negative Emotionen, Befürworter positive, aber schwache Emotionen. Befürworterinnen und Befürworter müssen ihre guten und rationalen Argumente mit einem nachvollziehbaren und positiven emotionalen Engagement kombinieren. Man muss nicht nur verstehen, welche guten Gründe sie haben, man muss auch spüren, dass sie mit Herzblut für eine Sache kämpfen, die zugleich für alle wichtig ist, statt irgendwelche Anweisungen von oben zu exekutieren.

Mehr Demokratie, nicht weniger!

Rechts- und zukünftig vielleicht auch linkspopulistische Akteure versuchen, das Klimathema als polarisierendes Negativthema zu markieren. Dem kann nicht durch eine Gegenpolarisierung und Ausgrenzungen begegnet werden – insbesondere nicht gegenüber einfachen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Hier braucht es inklusive Strategien, die an den Bruchstellen der Gegnerschaft und den bisher zu wenig genutzten Chancen von Energie- und Klimapolitik ansetzen.

Übrigens kann es auch ganz interessant sein, sich mal in Ruhe und in geschützter Atmosphäre erzählen zu lassen, warum jemand gegen ein bestimmtes Projekt oder den Klimaschutz allgemein ist. Das schafft nicht nur Vertrauen, sondern hilft vielleicht auch dabei, das politische Design der Energiewende zu verbessern. Denn darum müssen wir ringen: Wir brauchen auch hier mehr, nicht weniger Demokratie.

Fritz Reusswig ist Soziologe und Philosoph und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er erforscht den gesellschaftlichen Klimadiskurs und berät Länder und Kommunen in Klimaschutz- und Klimaanpassungsfragen. Zusammen mit Beate Küpper (Hochschule Niederrhein) ist er der Verfasser des Klima-Kapitels der jüngsten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die COP28 bietet viele alarmierende Botschaften, aber immer wieder auch ein bisschen Hoffnung. Eine neue Studie zu Klima-Kipppunkten zeigt: Wir könnten die Kipppunkte des Erdsystems schneller als erwartet erreichen. Doch die Politik kann mit positiven, sozialen Kipppunkten gegensteuern. Im Energiesektor ist so ein positiver Kipppunkt fast erreicht. Nico Beckert berichtet über die drohenden Gefahren und möglichen Ansatzpunkte zur Abmilderung.

    Passend zum heutigen Thementag zu Urbanisierung und Städten liefern wir Ihnen außerdem einen Hintergrund zur Rolle von Städten im Klimawandel: Sie sind besonders bedroht und werden in den nationalen Klimaplänen zu wenig beachtet. Und Manuel Berkel erläutert, was die jüngst verabschiedeten EU-Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten.

    Daneben schauen wir auf neue Pläne zu Deutschlands Beitrag zur globalen Energiewende, den aktuellen Stand des Verhandlungstexts zum Global Stocktake und wie klimafreundliche Kühlsysteme in einer immer heißeren Zukunft aussehen können.

    Behalten Sie einen kühlen Kopf!

    Ihre
    Lisa Kuner
    Bild von Lisa  Kuner

    Analyse

    Studie: Kipppunkte als Katastrophen – oder als positive Veränderung

    Gewaltige Eisberge vor Grönland
    Das Grönland-Eisschild zählt zu den fünf der am meisten gefährdeten Klima-Kipppunkten.

    In einer heute veröffentlichten Studie warnen Wissenschaftler, Klima-Kipppunkte “stellen Bedrohungen eines Ausmaßes dar, mit dem die Menschheit noch nie zuvor konfrontiert war“. Die Staaten müssten schnell aus den fossilen Energien aussteigen und Kipppunkte in ihre nationalen Klimaziele (NDCs) und das Global Stocktake aufnehmen.

    “Die Welt befindet sich auf einem katastrophalen Weg”, so die deutliche Sprache der Studie, an der über 200 Wissenschaftler beteiligt waren und die die bisherige Forschung zu dem Thema zusammenfasst. Das Überschreiten von Kipppunkten bedrohe die Stabilität vieler Gesellschaften.

    Weltweit würden beispielsweise wichtige Anbaugebiete für Nahrungsmittel so stark verändert, dass dort Landwirtschaft in ihrer bisherigen Form kaum noch möglich wäre. Doch die Politik könne auch positive Kipppunkte herbeiführen, mit denen sich die globale Erwärmung schneller stoppen lassen könne. Im Energiebereich sei so ein positiver Kipppunkt fast erreicht.

    “Die Welt befindet sich auf einem katastrophalen Weg”

    Laut der neuen Studie könnten einige negative Kipppunkte schon bei einer geringeren globalen Erwärmung eintreten, als bisher angenommen“. Der Welt laufe die Zeit davon: Schon in den nächsten Jahrzehnten drohten manche von ihnen zu kippen – teilweise sei dieses Kippen nicht rückgängig zu machen. Doch Jonathan Donges vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) stellt auch klar, dass nicht alle Kipppunkte zwangsläufig unumkehrbar seien.

    Schon beim derzeitigen Stand der globalen Erwärmung bestehe bei fünf großen Kipppunkten die Gefahr, dass sie bald überschritten werden:

    • Instabile Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis. Beide Kipppunkte könnten bald auftreten. Allerdings würde das Abtauen nicht plötzlich geschehen, sondern über Jahrhunderte andauern.
    • Das Auftauen von Permafrostböden – dies wird als regionaler Kipppunkt gesehen.
    • Veränderungen des Subpolaren Nordatlantikwirbels, einer Meeresströmung im Nordatlantik, die bis nach Norwegen reicht.
    • Das Absterben von Warmwasser-Korallen.

    Insgesamt haben die Forscher 26 Kipppunkte identifiziert. Andere Studien gehen von 14 oder 16 Kipppunkten aus.

    Auswirkungen: Nahrungsanbau erschwert, Überschwemmungen, Billionen-Verluste

    Überschreitet die globale Erwärmung die 2-Grad-Schwelle, sei auch der Amazonas Regenwald von einem “teilweisen Kollaps” bedroht. Die globale Erwärmung würde dazu beitragen, dass der Regenwald in bestimmten Regionen sein Blätterdach verliert, austrocknet und sich dadurch selbst zurückbildet.

    Das Überschreiten der Kipppunkte hätte dramatische Auswirkungen auf die Wasser- und Lebensmittelversorgung, die Gesundheit, lokale Gemeinschaften und für Volkswirtschaften:

    • Das Absterben des Amazonas Regenwald würde sechs Millionen Menschen extremem Hitzestress aussetzen und zwischen einer und 3,5 Billionen US-Dollar an ökonomischen Schäden verursachen.
    • Das Abschmelzen des antarktischen Eisschildes könne bis zum Jahr 2100 zu einem Meeresspielanstieg von zwei Metern und jährlichen Überschwemmungen führen, die 480 Millionen Menschen betreffen würden.
    • Ein Kollaps des Nordatlantikstroms würde die Nahrungsmittelversorgung von hunderten Millionen Menschen gefährden.

    Allerdings gibt es auch Kritik an der Studie. Gerrit Lohmann, Klimawissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, sagte, die Studie gebe sich in einigen Bereichen zu sicher und habe Unsicherheiten, die es zu Kipppunkten in der Forschung noch gibt, zu klein gemacht”. Bei einigen Kipppunkten könne noch nicht allzu genau gesagt werden, bei welchen Temperaturanstiegen sie eintreten. Es bräuchte in einigen Bereichen noch mehr Forschung. Das heben allerdings auch die Studienautoren hervor.

    Politik kann positive Kipppunkte herbeiführen

    Um das Kippen ganzer Erdsysteme noch verhindern zu können, müssten die Staaten positive Kipppunkte herbeiführen, fordern die Wissenschaftler. Im Energiesystem sei so ein Kipppunkt fast erreicht: Erneuerbare Energien sind in vielen Staaten mittlerweile günstiger als fossile. Das könne zu mehr Nachfrage nach klimaschonenderen Technologien wie E-Autos und Wärmepumpen führen. Die Entwicklung in einem Bereich wirkt sich also positiv auf andere Bereich mit hohen Emissionen aus.

    Auch im Bereich Verkehr und Ernährung gebe es Potenzial für positive Kipppunkte. Klimaschonende Verkehrsmittel müssten attraktiver werden als fossile – beispielsweise indem Städte attraktiver für Fuß- und Radverkehr werden und der öffentliche Nahverkehr besser ausgebaut werde. Gleiches gilt für Ernährung: Fleischlose Ernährung solle attraktiver und günstiger gemacht werden; Bauern sollten andere Einkommensquellen erhalten, beispielsweise indem sie für Umweltschutz bezahlt werden.

    Allerdings müsste die Politik solche positiven Kipppunkte aktiv herbeiführen und dafür:

    • technologische Innovationen fördern und für deren weltweite Verbreitung sorgen;
    • Geld bereitstellen;
    • Verhaltens- und Normenveränderungen herbeiführen;
    • politisches und soziales Verhalten in positivere Bahnen lenken, beispielsweise durch Energieeffizienzstandards für Gebäude und Geräte.

    Die Wissenschaftler empfehlen die Gründung von Klimaclubs von Vorreiter-Staaten. Die EU, die USA und China könnten sich beispielsweise zusammenschließen und den Verkauf von Verbrennungsmotoren verbieten. Das würde den positiven Kipppunkt hin zu mehr E-Autos beschleunigen. Auch das Finanzsystem müsste so umgebaut werden, dass es positive Kipppunkte beschleunigt, mahnen die Wissenschaftler.

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    • Kipppunkte
    • Klimakrise
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    EU: Was die Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr bedeuten

    Direktreduktionsanlagen zur Stahlherstellung lassen sich auf grünen Wasserstoff umstellen.

    Die Existenz vieler Wirtschaftsbereiche in Europa hängt am Zugang zu günstigem grünen Wasserstoff. Feste Quoten für Industrie und Verkehr legt die überarbeitete Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED III) fest, die am 20. November in Kraft getreten ist. Welche Verpflichtungen sich daraus ergeben, ob sie mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vereinbar sind und ob noch grüner Wasserstoff für weitere Einsatzzwecke übrig bleibt, lesen Sie in diesem Überblick.

    Europäische Quoten für 2030 aus der RED III für grünen Wasserstoff und seine Derivate (im EU-Jargon “flüssige oder gasförmige erneuerbare Kraftstoffe für den Verkehr nicht biogenen Ursprungs” oder kurz RFNBO):

    • Industrie: 42 Prozent für energetische und nicht-energetische Zwecke, zum Beispiel in der Chemie-, Düngemittel- und Stahlindustrie. Schon 2035 steigt die Quote auf 60 Prozent.
    • Verkehr: Ein Prozent für alle Transportmittel insgesamt. Da die RED allerdings erlaubt, RFNBO für den Gesamtverkehr mit dem Doppelten ihres Energiegehalts anzurechnen, liegt die Quote laut dem Kraftstoffverband en2x effektiv nur bei 0,5 Prozent.

    Unklare Vorgaben für den Flugverkehr

    Für einzelne Verkehrsträger gelten 2030 gesonderte Anteile für E-Fuels:

    • Seeverkehr: Für EU-Staaten mit Seehäfen gilt laut RED III ein Sollwert von 1,2 Prozent RFNBO. Auch hier gilt aber ein höherer Anrechnungsfaktor von 1,5. Effektiv liegt die Quote also nur bei 0,8 Prozent.
    • Luftverkehr: Nach der neuen Verordnung ReFuelEU Aviation gilt im Mittel der Jahre 2030/31 eine verpflichtende Quote für “synthetische Flugkraftstoffe” von 1,2 Prozent – bis 2050 steigt sie auf 35 Prozent. Zusammen mit “Biokraftstoffen für die Luftfahrt” gelten noch höhere Anteile für “nachhaltige Flugkraftstoffe” (SAF) – 2050 zum Beispiel 70 Prozent. Die RED III setzt aber auch für RFNBO im Luftverkehr einen Faktor von 1,5 an. Die Quote für 2030/31 betrüge demnach ebenfalls 0,8 Prozent. Inwiefern der Faktor aus der RED aber auch für ReFuelEU Aviation gilt, sei unklar, erklärt Burkhard Hoffmann von der Stiftung Umweltenergierecht.
    • Autoverkehr: Die EU-Flottengrenzwerte für Lkw werden noch verhandelt, Quoten für Lastkraftwagen gelten allerdings als unwahrscheinlich. Für Pkw wurden in der jüngsten Novelle der Flottengrenzwerte keine verpflichtenden E-Fuel-Anteile beschlossen. Da Autos aktuell aber fast fünfmal so viele Kraftstoffe verbrauchen wie Flugzeuge und Schiffe zusammen, werden Pkw und Lkw wohl doch E-Fuels verfahren müssen, um die Quote für den Verkehr insgesamt zu erreichen. Sinken würde der Druck, wenn der Anteil von Elektroautos bis 2030 rasend schnell stiege.

    Frontier Economics legt erste Schätzung vor

    Was diese EU-Vorgaben für Deutschland in absoluten Mengen bedeuten, dazu gibt es noch erstaunlich wenige Zahlen. Der BDI kann auf Anfrage nicht sagen, wie viele Tonnen grünen Wasserstoff die Industrie bis 2030 braucht, um die Vorgabe der Erneuerbaren-Richtlinie zu erfüllen. Im Frühjahr will der Thinktank Agora Industrie eine Studie vorlegen, die Antworten liefert. Eine erste Schätzung hat kürzlich Frontier Economics im Auftrag von Eon präsentiert.

    Die Industrie benötige für die EU-Quote 23 Terawattstunden grünen Wasserstoff und der Verkehrssektor sechs bis neun Terawattstunden, je nachdem, ob sie mit Wasserstoff oder Derivaten erfüllt werden. Allerdings gibt Frontier auf Nachfrage an, im Verkehrssektor mit der Quote von einem Prozent gerechnet zu haben. Die doppelte Anrechenbarkeit wurde also offenbar außer Acht gelassen.

    Nationale Wasserstoffstrategie lässt auch blauen Wasserstoff zu

    Durch die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie wären die EU-Vorgaben auf den ersten Blick gedeckt. In ihrer neuen Nationalen Wasserstoffstrategie gibt sich die Bundesregierung für 2030 ein Ziel von 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff. Neben dem bisherigen Verbrauch von 55 Terawattstunden kalkulierte sie mit einem zusätzlichen Bedarf von 40 bis 75 Terawattstunden. Sicher ist die Erfüllung der europäischen Vorgaben dadurch aber noch nicht.

    Zum einen will sich die Bundesregierung auch kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Erdgas auf ihre Ziele anrechnen lassen, was die RED III nicht zulässt. Zum anderen ist fraglich, ob die nationalen Ziele wirklich erreicht werden.

    Urteil erschwert die Finanzierung

    “In Summe halten wir die H2-Ziele für sehr ambitioniert, aber grundsätzlich realisierbar”, sagt Johanna Reichenbach von Frontier Economics. Inwieweit aber noch signifikante Fördermittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden können, sei nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds “sehr offen”. “Insofern ist die Zielerreichung für den Moment sicher weniger wahrscheinlich geworden“, sagt Reichenbach.

    Auf europäischer Ebene machten Anfang der Woche mehrere Unternehmen Druck, damit die EU zusätzliche Fördermittel für die Wasserstoffwirtschaft bereitstellt. Existierende Fonds reichten nicht aus, um den Mangel an privaten Investitionen auszugleichen, schrieben unter anderem die Chefs der deutschen Firmen Sunfire, BayWa r.e. und Enapter in einer gemeinsamen Erklärung.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte dagegen am Montag zunächst keine neuen Finanzmittel an, sondern die zweite Ausschreibung der Europäischen Wasserstoffbank, die im Frühjahr startet. Im brasilianischen Bundesstaat Piauí solle außerdem durch EU-Mittel mit zehn Gigawatt eine der weltgrößten Erzeugungsanlagen für grünen Wasserstoff und Ammoniak entstehen, die an einem Terminal auf der kroatischen Insel Krk anlanden sollen. Zum Vergleich: Zehn Gigawatt entspricht dem Ziel der Bundesregierung für die gesamte Leistung inländischer Elektrolyseure im Jahr 2030.

    Nationale Umsetzung soll Streitpunkte regeln

    Was die deutsche Wirtschaft aber mindestens ebenso sehr umtreibt wie die Finanzierungsfrage, ist die Umsetzung der RED III in nationales Recht. Dies werde in den kommenden Monaten ein Schwerpunkt der Verbandsarbeit, heißt es beim BDI. Strittig sind gleich mehrere Punkte:

    • Theoretisch könnte die Bundesregierung höhere Wasserstoffquoten für Industrie und Verkehr vorschreiben als die EU.
    • Für Raffinerien wird es auch von nationalen Detailregelungen abhängen, ob der eingespeiste grüne Wasserstoff bei der Herstellung von fossilen Kraftstoffen auf die Quote für den Verkehr oder für die (Chemie-)Industrie angerechnet wird.
    • Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus den Delegierten Rechtsakten der EU dürfen nach Ansicht des BDI nicht verschärft werden. Die Stiftung Umweltenergierecht sieht laut einer aktuellen Studie außerdem zahlreiche Rechtsunsicherheiten durch den Rechtsakt selbst.

    Umgesetzt werden die nationalen Regelungen durch Novellen des Immissionsschutzrechts. Die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) will die Bundesregierung dem Vernehmen nach Anfang nächsten Jahres anpacken. Die Kriterien für grünen Wasserstoff aus dem Delegierten Rechtsakt werden in der 37. BImSchV umgesetzt, zu der es bereits Entwürfe, aber noch keinen Beschluss gibt.

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    • Wasserstoff

    Hintergrund: Städte und Regionen

    Das Sturmflutsperrwerk “Thames Barrier” in London. Durch den Klimawandel muss wahrscheinlich bald ausgebaut und verstärkt werden.

    Darum geht es:

    Städte und Regionen stehen im Kampf gegen die Klimakrise an vorderster Front. Urbane Zentren heizen sich besonders schnell auf. Lokale Verwaltungen und Regierungen müssen konkrete Maßnahmen treffen und Innovationen fördern. In der EU sind Lokalregierungen beispielsweise für die Umsetzung von 70 Prozent aller Regulierungen verantwortlich. Gleichzeitig stehen ihre Interessen mitunter im Konflikt mit denen von nationalen Regierungen. Und lokalen Akteuren fehlen häufig die nötigen Finanzmittel für effizienten Klimaschutz.

    Deshalb ist das Thema wichtig:

    Städte produzieren mehr als 75 Prozent der globalen Emissionen – dort wird besonders viel geheizt, gekühlt, es fallen große Mengen an Abfall an und Fahrzeuge stoßen viele Emissionen aus. Bis 2050 werden rund zwei Drittel aller Menschen in Städten wohnen.

    Die Folgen der Klimakrise sind in Städten besonders stark zu spüren. Sie liegen häufig an Flüssen, Seen oder Berghängen, wo sie die Folgen von Extremwettereignissen stark treffen. Das zeigt sich auch am Beispiel des Austragungsorts der COP28. Analysen zeigen, dass Dubai bei einer Erderhitzung von 2,9 Grad durch den Anstieg des Meeresspiegels zu großen Teilen unter Wasser stehen würde.

    Das sind die Details:

    Die Local Governments and Municipal Authorities (LGMA) Constituency repräsentiert subnationale Regierungen im Prozess des UNFCCC. Vor der COP28 hatten die darin vertretenen Städte und Regionen in einem Statement bereits ihre Position zur Bekämpfung des Klimawandels formuliert. Sie fordern unter anderem:

    • Subnationale Akteure stärker anzuerkennen
    • Regionale Anpassung zu fördern
    • Lokalen Klimaschutz besser zu finanzieren
    • Subnationale Stimmen besser in den UNFCCC Prozess zu integrieren
    • Multilevel-Partnerschaften zu fördern

    Daneben vertreten beispielsweise die Netzwerke C40 und ICLEI Städte und Regionen. Zum Auftakt der COP wurden die Bedürfnisse von Städten mit der Local Climate Action Summit (LCAS) mit mehr als 500 lokalen Leadern priorisiert. Der Thementag Multilevel Action, Urbanization und Built Environment legt am 6. Dezember ebenfalls einen Fokus darauf.

    Auf der LCAS wurde eine Coalition for High Ambition Multilevel Partnerships ins Leben gerufen. Die Initiative fordert, dass für effizienteren Klimaschutz lokale und regionale Akteure besser mit einbezogen werden.

    Diese Kritik gibt es:

    Lokale Akteure klagen oft über mangelnde finanzielle Mittel für effizienten Klimaschutz – gerade auch für Anpassung, wie der Adaption Gap Report zeigt. In den kommenden 15 Jahren sind für nachhaltige Infrastruktur schätzungsweise 93 Billionen US-Dollar an Investitionen notwendig – ein großer Teil fällt in Städten und auf regionaler Ebene an.

    Außerdem mahnen die Städte und Regionen regelmäßig an, dass sie besser in Klimaschutzprozesse integriert werden sollen. Wichtige Entscheidungen würden hauptsächlich auf nationaler Ebene getroffen werden. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder die Kritik, dass Städte innerhalb von NDCs nicht gut genug repräsentiert sind.

    Das kann ein Ergebnis der COP28 sein:

    Mobilität, Gebäude und Ernährungssysteme – das sind nur einige der Themen, die auf der Klimakonferenz im Zusammenhang mit Städten diskutiert werden. Es werden eher weniger konkrete Ergebnisse dazu erwartet. Viel mehr kann die Klimakonferenz eine Plattform sein, um lokale Lösungen zu präsentieren und ambitionierte Politiker zu vernetzen. Ein solches Beispiel ist der City Climate Finance Gap Fund, der von der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank verwaltet wird und Anschubfinanzierung für Investitionen in nachhaltige Infrastruktur gibt. Auf dem Ministerial zum Thema sollen zudem Hebel für lokale Klimafinanzierung identifiziert werden.

    • Anpassung
    • COP28
    • UNFCCC

    Termine

    6. Dezember, 9.30 Uhr, Plenary Al Ghafat
    Ministerial Ministerial Meeting on Urbanization and Climate Change
    Auf dem Ministerial Meeting werden viele Klimathemen verhandelt, die Städte betreffen: Finanzierung, Wohnen und Stadtentwicklung. Außerdem soll es dazu aufrufen, der neu gegründeten Coalition for High Ambition Multilevel Partnerships beizutreten. Infos

    6. Dezember, 11.30 Uhr, SE Room 8
    Podiumsdiskussion A Farmer-Driven Agenda to Advance Climate Action & Food Security through Cooperation and Innovation
    Auf diesem Side-Event informieren verschiedene Verbände und Interessensvertretungen aus der Landwirtschaft über nachhaltige, regenerative Ansätze für eine Landwirtschaft im Klimawandel. Infos

    6. Dezember, 12.30 Uhr, Online
    Webinar Jobs and skills for a just green transition
    Die globale Energiewende hat große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Auf diesem Event der OECD wird darüber diskutiert, wie man mit den daraus resultierenden Herausforderungen umgehen kann. Info & Anmeldung

    6. Dezember, 14 Uhr, German Pavilion
    Diskussion Solutions to unleash the potential of decentralised sustainable energy production
    Auf der Veranstaltung des Deutschen Städtetags geht es um die Rolle von Städten im Klimaschutz. Lokale Vertreter aus Deutschland und Afrika diskutieren über Chancen und Herausforderungen. Infos

    6. Dezember, 11.30, EU Pavilion & Online
    Podiumsdiskussion Fuelling the Future: the role of sustainable aviation fuels in greening aviation
    Auf dem Side-Event im EU-Pavillon geht es um neue Entwicklungen rund um die Emissionsreduzierung im Flugverkehr. Es sollen vielversprechende Technologien vorgestellt und Schwierigkeiten erörtert werden. Infos

    News

    Zweiter GST-Entwurf: Viele Optionen, viele Probleme

    Am Dienstagmorgen wurde der zweite Textentwurf für den Verhandlungstext zum Global Stocktake veröffentlicht. Es wird zugleich auch das Abschlussdokument der COP28 sein, da es in diesem Jahr keine gesonderte sogenannte “Cover Decision” geben wird. Darin befinden sich zahlreiche Optionen für die strittigsten Themen. Das heißt, dass zwischen zwei meist konträren Positionen unterschieden wird. Die dritte Option ist die Streichung des gesamten Absatzes.

    Fossil Fuel Phase Out oder Phase Down

    Der Textvorschlag beinhaltet die Option eines “geordneten und gerechten Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen” – ein Ausstieg ohne Schlupflöcher für CCS und ohne Beschränkungen auf Emissionen aus Fossilen, aber auch ohne Jahreszahl. Die zweite Option ist die Beschleunigung der “Bemühungen” um einen schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ohne Verminderung (“phasing out unabated fossil fuels”).

    Hier gibt es allerdings noch den Zusatz, dass der “Verbrauch” der Fossilen gesenkt und Netto-Null-CO₂ in Energiesystemen um das Jahr 2050 erreicht werden sollen. Linda Kalcher von Brüsseler Thinktank Strategic Perspectives hält diesen Zusatz für problematisch, da er die Verantwortung für die Reduktion vollständig auf Verbraucher abwälzt und öl- und gasproduzierende Länder daraus entlässt.

    Kohleausstieg bis 2030 und Net-Zero bis 2040

    Eine ambitionierte Formulierung zur Kohle, die es wohl kaum in den finalen Text schaffen wird, fordert einen zügigen Ausstieg aus der unverminderten Kohleverstromung (“unabated coal power”) noch in diesem Jahrzehnt. China und Indien werden dem voraussichtlich nicht zustimmen, da sie ihre Wirtschaft nicht bis 2030 vollständig umstellen können. Der Absatz wird voraussichtlich abgeschwächt werden.

    Eine weitere Baustelle ist die Aufforderung zu Netto-Null-Zielen, die Länder bis zur nächsten COP kommunizieren sollen. Option 1 würde Länder dazu auffordern, dass diese Ziele 1,5-Grad-kompatibel sein müssen. Entwicklungsländer lehnen dies jedoch ab, da so kein Unterschied zwischen den ärmeren Ländern und den reicheren Hauptverursachern des Klimawandels gemacht wird.

    Option 2 gefällt den entwickelten Ländern nicht, da sie darin zu Netto-Null-Emissionen bis 2040 und negativen Treibhausgasemissionen “so früh wie möglich” aufgefordert werden. Deutschlands aktuelles Ziel für Netto-Null liegt bei 2045, die EU will 2050 klimaneutral sein.

    Versteckte CBAM-Kritik

    Ein Vorschlag für eine Formulierung dürfte vor allem die Europäer hellhörig machen. Einseitige Klimaschutzmaßnahmen, die eine Beschränkung des internationalen Handels darstellen, sollen vermieden werden, heißt es darin. Da der europäischen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM insbesondere von Südafrika als genau das kritisiert wird, ist der Fingerzeig offenkundig. Auch die USA werden sich jedoch durch ihren Inflation Reduction Act angesprochen fühlen. China empfindet den IRA als unfaire Handelspraxis.

    Der neue Text befindet sich nun in den weiteren Verhandlungen und soll noch am Mittwoch, dem letzten Tag der ersten COP-Woche, im Zwischenplenum thematisiert werden. Da es ein Verhandlungstext ist, kann es im weiteren Verlauf noch zahlreiche Änderungen und auch Zusammenführungen der Optionen geben. luk

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    Bericht: Durch CCS drohen mehr Emissionen als erwartet

    Laut Berechnungen von Climate Analytics könnte der breite Einsatz von Carbon Capture-Technologien bis zum Jahr 2050 bis zu 86 Gigatonnen an Treibhausgasemissionen weniger reduzieren als angenommen. Denn CCS-Anlagen fangen in der Praxis häufig viel weniger CO₂ auf als nötig wäre, um die Emissionen wirksam zu senken. Der Weltklimarat (IPCC) definiert abgemilderte Emissionen (“Abatement”) als Reduktion von 95 Prozent. Bisherige CCS-Anlagen fangen allerdings häufig nur 50 Prozent oder weniger der Emissionen auf.

    Sollte in Zukunft großflächig auf CCS gesetzt werden und der Ausstieg aus den fossilen Energien dadurch verzögert werden, drohen die Emissionen also auf hohem Level zu bleiben. Die Forscher hatten für ihre Berechnungen ein IPCC-Szenario mit dem höchsten Anteil an CCS-Ausbau zugrunde gelegt. Die 86 Gigatonnen an Emissionen (CO₂-Äquivalente) sind der Unterschied zwischen einer Auffangrate von 50 Prozent und einer Rate von 95 Prozent, plus höherer Methan-Emissionen, weil auch hier die Auffangraten in der Praxis häufig geringer sind.

    Der Begriff ,abated’ wird als trojanisches Pferd benutzt, damit fossile Brennstoffe mit miserablen Abscheidungsraten als Klimaschutzmaßnahmen gelten können”, kritisiert Claire Fyson von Climate Analytics. Die Diskussionen um “Abmilderung” würden den falschen Eindruck erwecken, dass CCS die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe in großem Umfang ermögliche und gleichzeitig die im Pariser Abkommen festgelegte Obergrenze von 1,5 °C eingehalten werden könne. nib

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    Energiewende: Deutschland will internationale Fachkräfte ausbilden

    Deutschland will sein Engagement zur beruflichen Qualifizierung von Fachkräften für die Energiewende weltweit ausbauen. Das BMZ arbeitet mit rund 60 Ländern in der beruflichen Bildung zusammen, bisher geht es in rund einem Fünftel der Projekte schon um Energiewende-Kompetenzen. Der Anteil davon soll bis 2025 steigen. Das gaben Vertreter der Bundesregierung gestern auf der COP28 bekannt, als sie Deutschlands Beitrag zur globalen Energiewende vorstellten.

    Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden bis zum Jahr 2030 weltweit mehr als 100 Millionen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien entstehen. Einem Aktionsplan zufolge will das BMZ Partnerländer beraten und beim Ausbau von Wissenschaftszentren unterstützen.

    Engagement für gerechte Energiewenden

    Außerdem bringt sich Deutschland in verschiedene Energiewende-Partnerschaften (JETPs) ein. Gestern wurde das Engagement konkretisiert: Deutschland will Südafrika 500 Millionen Euro dafür zur Verfügung stellen. Das Geld wird über günstige KfW-Kredite bereitgestellt, Haushaltsmittel kämen nicht zum Einsatz. Südafrika muss für die Kredite weniger Zinsen zahlen als üblich. Im Zuge des JETP mit Indonesien will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Nach- und Umnutzungspläne für indonesische Kohlekraftwerke entwickeln. kul

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    “Global Cooling Pledge” verspricht klimafreundlicheren Kühlungssektor

    Mehr als 60 Länder – unter ihnen auch Deutschland – haben gestern auf der COP28 das “Global Cooling Pledge” unterzeichnet. Darin versprechen sie, ihre Emissionen aus Kühlung künftig über alle Wirtschaftsbereiche hinweg um mindestens 68 Prozent weltweit (2022-2050) zu senken. Sie wollen die internationale Zusammenarbeit für mehr Klimaschutz im Kühlungssektor verstärken, die Energieeffizienz erhöhen und den Ausstoß von Treibhausgasen durch “gemeinsame, globale Emissionsziele” senken.

    Der Kühlungssektor verursacht Treibhausgase unter anderem durch seinen Strombedarf. Hinzu kommt die Klimawirkung von entweichenden Kühlmitteln, die im Vergleich zu CO₂ besonders hoch ist. Dazu gehören beispielsweise Fluorkohlenwasserstoffe.

    Besonders gefährdete Menschen sollen durch den Pledge einen besseren Zugang zu nachhaltiger Kühlung bekommen. Dem UN-Entwicklungsprogramm (UNEP) zufolge haben derzeit rund 1,2 Milliarden Menschen in Afrika und Asien keinen Zugang zu Kühlung, “was ihr Leben durch extreme Hitze gefährdet, das Einkommen der Landwirte schmälert, zu Lebensmittelverlusten und -verschwendung führt und den allgemeinen Zugang zu Impfstoffen behindert”.

    Passive Kühlung, Effizienz und Reduktion von Kühlmitteln

    Je weiter die Temperatur auf der Erde steige, desto höher werde der Bedarf an Kühlung sein, sagte Inger Andersen, die geschäftsführende Direktorin der UN-Entwicklungsagentur UNEP in Dubai. Sie stellte auf der COP28 einen neuen Bericht vor, der zeigt, wie die Emissionen aus Kühlung gesenkt werden könnten. “Keeping it Chill: How to meet cooling demands while cutting emissions” hat vier Hauptbotschaften:

    • Ändert sich nichts, werden sich die Treibhausgas-Emissionen des Kühlungssektors bis 2050 mehr als verdoppeln und dann mehr als zehn Prozent der weltweiten Emissionen umfassen.
    • Durch entscheidende “Schlüsselmaßnahmen” könnte der wachsende Energiebedarf aber gesenkt und so die vorhergesagten Emissionen um 60 bis 96 Prozent gesenkt werden. Mindestens 3,8 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente würden dadurch vermieden.
    • Dadurch könnten die Haushalte jährlich eine Billion US-Dollar sparen, der Stromsektor sogar bis zu fünf Billionen.
    • 3,5 Milliarden Menschen würden einen Zugang zu Kühlung erhalten.

    “Die Lösungen sind heute verfügbar”, so Andersen. Laut dem Bericht sind die 60 Prozent Emissionsreduktion bereits durch passive Kühlung, also etwa Beschattung oder bessere Luftzirkulation, höhere Energieeffizienzstandards und eine schnellere Reduktion von klimaschädlichen Kühlmitteln zu realisieren. Würden dazu noch die Emissionen des Stromsektors schnell in Richtung null sinken, dann wären 96 Prozent erreichbar. ae

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    • Klimaanpassung
    • Klimaschutz

    Standpunkt

    Eine Strategie gegen populistische Angriffe auf die Klimapolitik

    Von Fritz Reusswig
    Porträtfoto eines Mannes im schwarzen Poloshirt und mit Brille
    Fritz Reusswig ist Soziologe und Philosoph am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Gemeinsam mit Beate Küpper, Sozialpsychologin und Professorin an der Hochschule Niederrhein, hat er das Klima-Kapitel der aktuellen Mitte-Studie verfasst.

    Die jüngste Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Der Klimaschutz wird immer stärker zum polarisierenden Thema. Seine populistischen Gegner mobilisieren bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein. Was wäre eine gute Gegenstrategie? Ein konsequenter Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit, der die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende betont und die Kommunen dabei nicht alleine lässt.

    Die Ergebnisse der jüngsten Mitte-Studie sind besorgniserregend: Rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen gewinnen bis in die gesellschaftliche Mitte hinein an Boden. Gleichzeitig beobachten wir, dass das Themenfeld Klimawandel und Klimapolitik von anderen Themen überlagert und – besonders bedenklich – immer stärker in die gesellschaftliche Polarisierung hineingezogen wird.

    Das ist ganz wesentlich eine Folge des Erfolges rechtspopulistischer Diskurse und Strategien. Wie konnte es dazu kommen? Und was lässt sich dagegen tun?

    Die massiv angewachsene Forschung zum Populismus kann bei allen Divergenzen so zusammengefasst werden, dass der Populismus – als Diskurs und als politischer Akteur – auf drei Polarisierungen hinausläuft:

    • Gut gegen Böse,
    • korrupte Elite gegen Volk,
    • die vermeintliche “moralische Mehrheit” des Volkes gegen “böse Minderheiten”.

    Der Widerstand wächst, die Debatte ist polarisiert – was heißt das fürs Klima?

    Auf die kommunikative Strategie der Populisten im Klimabereich bezogen, bedeutet das:

    • Die Klimapolitik wird von ihnen nicht als “gute” Sache dargestellt, die im übergeordneten Interesse der Menschheit liegt, sondern als parteiliche und selbstdienliche Ideologie bestimmter sozialer und politischer Gruppen.
    • Die Klimapolitik der Regierung wird als der Versuch einer korrupten und vom Volk und seinen Problemen völlig abgehobenen politischen Klasse dargestellt, Herrschaft auszuüben und partikuläre ideologische Interessen zu bedienen. Klimapolitik richtet sich also gegen das Volk.
    • Gesellschaftliche Gruppen, die Klimapolitik wollen und unterstützen, sind in der Erzählung der Populisten eine “böse” Minderheit, die entweder rein egoistisch handelt, wie beispielsweise Windkraftbetreiber, oder ideologisch an sozialer Hegemonie interessiert ist – und die zudem ihre urban-grünen Privilegien pflegt, aber anderen einen klimafreundlichen Lebensstil und ihre eigenen Weltdeutungen überstülpen will.

    Die bisherigen Folgen dieser Strategie: Auf der lokalen Ebene hat der Widerstand gegen Klimapolitik zugenommen und ist härter geworden. Der gesellschaftliche Diskurs ist polarisiert, Klimaschutz soll abgewertet und verhindert werden.

    Vier Einstellungen zum Klima

    Wir haben in der Mitte-Studie die deutsche Bevölkerung hinsichtlich ihrer klimapolitischen Einstellungen in vier Gruppen eingeteilt:

    • Klima-Progressive – die einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien befürworten, mehr Bürgerbeteiligung wollen und eher Verständnis für Klimaproteste haben. Das sind 50,8 Prozent der Bevölkerung.
    • Klima-Regressive – die weder den Ausbau der Erneuerbaren wünschen noch Verständnis für Proteste haben. Sie finden die Energiewende zu teuer und verstehen Klimaschutz als Ökoterrorismus gegen die Bevölkerung. Sie machen 15,4 Prozent aus.
    • Indifferente – die sich kaum für das Thema interessieren: 19,4 Prozent.
    • Ambivalente – die zwar für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind, die Energiewende aber zugleich zu teuer finden, für Anpassung statt Klimaschutz sind und die Energiewende den Fachleuten überlassen möchten. Sie machen 14,4 Prozent der Bevölkerung aus.

    Gegner der Klimapolitik sind eine Minderheit

    Die Klima-Regressiven haben das populistische Anti-Klima-Narrativ weitgehend übernommen. Dafür spricht auch, dass ihr Anteil im Osten mit 22,9 Prozent deutlich höher ist als im Westen (13,6 Prozent) – das passt zu den höheren AfD-Wahlergebnissen in Ostdeutschland.

    Zwar sind die Klima-Progressiven insgesamt in der Mehrheit. Die populistische Behauptung von der “Minderheitenpolitik” stimmt also nicht. Aber das kann sich erstens schnell ändern, und zweitens sind auch die Klima-Progressiven mit der Klimapolitik der Bundesregierung teilweise unzufrieden. So wünschen sie sich beispielsweise mehr Bürgerbeteiligung.

    Hoffnungsschimmer und Lösungsansätze

    Was kann man also tun, um die Menschen von engagiertem Klimaschutz zu überzeugen? Aus den Ergebnissen der Mitte-Studie lassen sich einige Hoffnungsschimmer und Lösungsansätze ableiten.

    • Nur 44,7 Prozent der AfD-Wähler und Wählerinnen sind eindeutig klima-regressiv. Die Mehrheit ist es nicht – und 16,5 Prozent sind sogar klima-progressiv eingestellt.
    • Betrachtet man die Wählerwanderungen der letzten Landtagswahlen, dann fällt auf: Die AfD hat auch Stimmen von den Linken, der SPD und sogar den Grünen geholt. Primär motivierend war dabei die Migrationspolitik, nicht die Klimapolitik. Daraus folgt: Je erfolgreicher die AfD wird, desto mehr wird sie von Menschen gewählt, die klimapolitisch deutlich progressiver sind, als es die Funktionäre wollen.
    • Natürlich reicht es nicht, auf eine klimafreundlichere Politik der AfD zu warten – oder auch der CDU/CSU, die derzeit ebenfalls ihre klima-progressiven Wähleranteile nicht bedient. Wir brauchen konsequenten Klimaschutz mit einer an sozialer Gerechtigkeit, technischer Innovation und Bürgerbeteiligung orientierten Flankierung. Etwa bei der Ausgestaltung des Klimageldes, das ja noch kommen soll.

    Unterstützung für Kommunen, Anpassung, Herzblut

    • Deutschlands Kommunen müssen viel mehr von der Energiewende haben, und einige Beispiele zeigen auch, dass das geht. Klimaschutz lässt sich als Teil einer zukunftsorientierten Regionalentwicklung rahmen und sollte durch neue Akteurskonstellationen – inklusive der Wirtschaft – untersetzt werden. Der langjährige Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises zum Beispiel – seines Zeichens CDU-Politiker – hat den Ausbau der Erneuerbaren in seinem Kreis systematisch gefördert und dafür gesorgt, dass die Gemeinden davon profitieren. Heute gehören sie zu den finanziell am besten dastehenden Kommunen in Rheinland-Pfalz. Auch der aktuelle Vorstoß des Bundeswirtschaftsministers, Klimaschutz mit einer industriepolitischen Strategie zu verknüpfen, geht in die richtige Richtung.
    • Gerade kleine Kommunen sind aber mit den Herausforderungen und Aufgaben rund um die Energiewende massiv überfordert, werden sie doch – ob zuständig oder nicht – von den Bürgerinnen und Bürgern zuallererst angesprochen. Wir brauchen hier Kompetenzaufbau und mobile Informations- und Konfliktlösungseinheiten, damit die Kommunalpolitik argumentativ und vom Konfliktmanagement her besser vorbereitet ist. Und das möglichst, bevor die Bagger kommen.
    • Klimaanpassung ist deutlich weniger kontrovers als Klimaschutz. In vielen Regionen drohen die Lebensgrundlagen durch den Klimawandel wegzubrechen – Wasser, Wälder, Ökosysteme, Landwirtschaft. Lokalpolitik kann hier sehr gut ansetzen, und sie kann die Populisten zwingen, Farbe zu bekennen: Seid ihr für oder gegen den Schutz unserer Heimat?
    • Studien zeigen: Energiewende-Gegner haben starke, aber negative Emotionen, Befürworter positive, aber schwache Emotionen. Befürworterinnen und Befürworter müssen ihre guten und rationalen Argumente mit einem nachvollziehbaren und positiven emotionalen Engagement kombinieren. Man muss nicht nur verstehen, welche guten Gründe sie haben, man muss auch spüren, dass sie mit Herzblut für eine Sache kämpfen, die zugleich für alle wichtig ist, statt irgendwelche Anweisungen von oben zu exekutieren.

    Mehr Demokratie, nicht weniger!

    Rechts- und zukünftig vielleicht auch linkspopulistische Akteure versuchen, das Klimathema als polarisierendes Negativthema zu markieren. Dem kann nicht durch eine Gegenpolarisierung und Ausgrenzungen begegnet werden – insbesondere nicht gegenüber einfachen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Hier braucht es inklusive Strategien, die an den Bruchstellen der Gegnerschaft und den bisher zu wenig genutzten Chancen von Energie- und Klimapolitik ansetzen.

    Übrigens kann es auch ganz interessant sein, sich mal in Ruhe und in geschützter Atmosphäre erzählen zu lassen, warum jemand gegen ein bestimmtes Projekt oder den Klimaschutz allgemein ist. Das schafft nicht nur Vertrauen, sondern hilft vielleicht auch dabei, das politische Design der Energiewende zu verbessern. Denn darum müssen wir ringen: Wir brauchen auch hier mehr, nicht weniger Demokratie.

    Fritz Reusswig ist Soziologe und Philosoph und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er erforscht den gesellschaftlichen Klimadiskurs und berät Länder und Kommunen in Klimaschutz- und Klimaanpassungsfragen. Zusammen mit Beate Küpper (Hochschule Niederrhein) ist er der Verfasser des Klima-Kapitels der jüngsten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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