Table.Briefing: Climate

China: Erstmals CO₂-Obergrenze + Indien: Regierung beschleunigt Energiewende + 7. IPCC-Bericht: Die neuen Details

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf der internationalen Klimabühne hat sich in der vergangenen Woche einiges abgespielt: In China etwa hat der Staatsrat ein “Arbeitsprogramm” vorgelegt, das erstmals harte Obergrenzen für CO₂-Emissionen festlegt. Experten sprechen von einer “neuen Ära in der Klimapolitik”; diese sei nun wieder ganz oben auf Chinas Agenda. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen – allen voran über den genauen Grenzwert und den Zeitpunkt dafür, wie Nico Beckert berichtet.

Indien hat unterdessen sein Budget für 2024/25 vorgestellt. Aus diesem lässt sich ablesen, dass die neue Regierung trotz reduzierter Mehrheit im Parlament nicht von ihrer Klimapolitik abrückt. Warum indirekt deutlich mehr Geld dem Klimaschutz zugewiesen wird als aus den Budgetzahlen ersichtlich, hat Urmi Goswami analysiert – und ebenso, welche weiteren Pläne Indiens Klimapolitik verfolgt.

Neuigkeiten gibt es auch von der Plenarsitzung des IPCC: In Sofia wurde vergangene Woche der Rahmen für wichtige Teile des nächsten Sachstandsberichts (AR7) beschlossen. Weiter lesen Sie in dieser Ausgabe vom südlichen Teil des Amazonas-Regenwalds. Dort emittiert die “grüne Lunge” mehr CO₂, als sie absorbieren kann, wie immer mehr Studien belegen.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihr
Lukas Bayer
Bild von Lukas  Bayer

Analyse

China: Offene Fragen zur neuen Obergrenze für CO₂-Emissionen

Kohlelager in einem Kraftwerk in Wuhan
Ab 2030 will China seine CO₂-Emissionen besser kontrollieren. Kohlelager in einem Kraftwerk in Wuhan.

China will erstmals eine harte Emissionsobergrenze festlegen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu regulieren. Der Staatsrat hat dazu Ende letzter Woche ein “Arbeitsprogramm” vorgelegt. Die Emissionen sollen ab 2030 strikter kontrolliert werden. Die bisherige Methode, die Emissionen relativ zum Wirtschaftswachstum zu kontrollieren, soll durch eine “Kontrolle der absoluten Emissionen” abgelöst werden.

Laut der Analystin Yan Qin leitet der Staatsrat damit “eine neue Ära in der Klimapolitik” des Landes ein. Doch auch das höchste Verwaltungsorgan der Volksrepublik nennt noch keine Details zu den wichtigsten klimapolitischen Kennzahlen: wie weit die Emissionen noch steigen dürfen und wann genau sie ihren Höchstwert erreichen sollen. China nehme seine klimapolitischen Zusagen zwar ernst, befinde sich aber “noch immer in einem Modus, in dem es wenig verspricht”, so Yao Zhe von Greenpeace Ostasien. Trotzdem hat das neue Arbeitsprogramm nennenswerte Auswirkungen für Unternehmen und Chinas Provinzen.

Die Kontrolle der CO₂-Emissionen rückt stärker in den Fokus Pekings

Chinas neuer Plan zur Kontrolle der CO₂-Emissionen ist als schrittweise Weiterentwicklung der bisherigen Klimapolitik zu verstehen. Bisher wurde Chinas Klimapolitik vor allem durch zwei Zielmarken geleitet:

  • die Höhe der CO₂-Emissionen relativ zum Wirtschaftswachstum (“CO₂-Intensität”)
  • und die Höhe des Energieverbrauchs relativ zum Wirtschaftswachstum (“Energie-Intensität”).

Das bedeutet konkret: Um das gleiche Wirtschaftswachstum wie 2020 zu erwirtschaften, sollen im Jahr 2025 18 Prozent weniger CO₂-Emissionen verursacht und 13,5 Prozent weniger Energie verbraucht werden. Wächst die Wirtschaft jedoch schnell genug, dürfen die CO₂-Emissionen absolut auch weiter wachsen – was in den letzten Jahren der Fall war.

Das neue Arbeitsprogramm sieht vor:

  • Für den Zeitraum 2026 bis 2030 soll die CO₂-Intensität weiterhin die Klimapolitik leiten und durch einen Indikator zum absoluten CO₂-Ausstoß “ergänzt” werden. Wie diese ergänzende Rolle konkret aussehen soll, ist derzeit noch unklar. Schließlich widersprechen sich ein intensitätsbasierter Maßstab und eine absolute Emissionsreduktion bei starkem Wirtschaftswachstum.
  • Ab dem Jahr 2026 soll der zweite Intensitätsindikator – die Energie-Intensität – komplett wegfallen.
  • Ab 2030 will China seine Klimapolitik nur noch anhand der absoluten CO₂-Emissionen regulieren und damit eine Reduktion des CO₂-Ausstoßes einleiten.

Kritik: Keine Beschleunigung in der Klimapolitik

Yao Zhe von Greenpeace Ostasien kritisiert allerdings den wenig ambitionierten Zeitplan des neuen “Arbeitsprogramms”. “Der Zeitplan deutet darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger nach wie vor nur das Ziel verfolgen, den Höhepunkt der Emissionen bis 2030 zu erreichen, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass die Emissionen bereits viel früher ihren Höhepunkt erreichen werden.” Eine Ankündigung, “den Höchststand frühzeitig zu erreichen oder die Emissionen nach dem Peak schneller zu senken, würde Chinas Ruf in Sachen Klima verbessern”, so die Politik-Analystin von Greenpeace Ostasien.

Obwohl das Arbeitsprogramm im Titel eine Beschleunigung verspricht, “beschleunigt es den Prozess in keiner Weise im Vergleich zu früheren Plänen”, kritisiert auch Lauri Myllyvirta, Senior Fellow beim Thinktank Asia Society. Auch liefere der Plan “keine Klarheit darüber, ob und wann die Emissionsziele von den CO₂-Emissionen des Energiesektors auf z. B. CO₂-Emissionen aus der Zementherstellung und auf andere Treibhausgase ausgedehnt werden”.

Innerhalb Chinas gelte der Plan aber als Zeichen, dass die Klimapolitik “wieder ganz oben auf der Tagesordnung” stehe, so Myllyvirta zu Table.Briefings. Allerdings fehle “eine unmissverständliche Erklärung, dass das CO₂-Intensitätsziel für 2026 bis 2030 vollständig mit Chinas internationaler Verpflichtung zur Reduzierung der CO₂-Intensität im Rahmen des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen wird”. Da China schon heute bei der CO₂-Intensität weit hinter der eigenen Zielsetzung zurückbleibt, müsste für den Zeitraum bis 2030 ein umso ambitionierteres Ziel folgen, sagt Myllyvirta.

Neue Vorgaben für Unternehmen und Provinzen, kaum Fortschritt beim ETS

Laut Qi Qin vom Thinktank Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) weckt die Vorstellung des Arbeitsprogramms “die Erwartung, dass China die CO₂-Emissionen als einen entscheidenden Faktor für seine wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten fünf Jahren betrachten wird”. Obwohl noch einige Details ausgestaltet werden müssen, zeigt das Arbeitsprogramm schon einige Entwicklungen, auf die sich Chinas Provinzen, Unternehmen und Regulierer einstellen müssen:

  • Chinas nationaler Emissionshandel (ETS) wird voraussichtlich erst 2030 eine Emissionsobergrenze (“Emission Cap”) erhalten, wie Yan Qin zu Table.Briefings sagt. Bisher reguliert der ETS nur rund 2.200 Kraftwerke, soll aber bald auf andere Sektoren ausgeweitet werden. Allerdings wird er als relativ unwirksam kritisiert, auch weil es bisher keine feste Obergrenze der CO₂-Zertifikate gibt und die Kraftwerke somit zu wenig Anreize haben, ihre Emissionen zu senken. Die Ausweitung auf weitere Sektoren wird auch in dem Arbeitsprogramm genannt – allerdings ohne Zeitplan.
  • Unternehmen aus CO₂-intensiven Bereichen (Energiesektor, Stahl, Metalle, Baumaterialien, Chemie) sollen ihre CO₂-Emissionen besser erfassen und detaillierter darüber berichten. Wenn sie sich nicht an strikte CO₂-Grenzwerte halten, sollen neue Fabriken und Kapazitäten in diesen Industrien auch verboten werden dürfen. Für viele Industrien, darunter auch die E-Auto- und Solar-Branche, soll ein “Managementsystem für den CO₂-Fußabdruck ihrer Produkte” eingeführt werden.
  • Chinas Provinzregierungen sollen in naher Zukunft CO₂-Budgets aufstellen. Bis Ende 2025 soll ein CO₂-Budget-System getestet werden. Die Budgetierung gilt als wichtiger Schritt zum Aufbau eines landesweiten “Systems für Emissionsstatistiken und Buchführung” (Carbon Emissions Statistics and Accounting System). “Man kann nicht managen, was man nicht messen kann”, sagt Janz Chiang von Trivium China zu Table.Briefings. Deswegen sei der Aufbau eines Accounting Systems der wichtigste Bestandteil des neuen Arbeitsprogramms.
  • Die Abkehr des Energie-Intensitäts-Maßstabs könnte das “industrielle Wachstums in Provinzen mit reichlich und kostengünstigen erneuerbaren Energien ankurbeln”, sagt Cory Combs von der Beratungsfirma Trivium China zu Table.Briefings. Denn indem zukünftig nur noch auf die CO₂-Intensität und die absoluten Emissionen geachtet wird, können “Fertigung, Datenverarbeitung und andere energieintensive Tätigkeiten ohne proportionalen Emissionsanstieg ausgeweitet werden”, so Combs. “Je mehr saubere Energie die Provinzen haben, desto mehr Raum für industrielles Wachstum haben sie”, fasst Myllyvirta die Abkehr vom Energie-Intensitäts-Maßstab zusammen.

Das Arbeitsprogramm gibt den Weg für Chinas Klimapolitik vor und könnte das Thema wieder stärker auf die Agenda Pekings setzen. In den kommenden Monaten ist mit mehr Details zur Umsetzung zu rechnen, wie Analysten Table.Briefings bestätigen.

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Indien: So treibt die neue Regierung die Energiewende voran

Windfarm und Backstein-Produktion im indischen Bundesstaat Tamil Nadu.

Indiens neue Regierung treibt mit ihrem Haushaltsentwurf die Energiewende weiter voran. Ende Juli stimmte das Unterhaus dem Budgetvorschlag zu. Im Energiebereich stehen dort Erneuerbare und dezentrale Solarenergie im Mittelpunkt. Die Mittel für grüne Projekte und grünen Wasserstoff werden jeweils etwa um ein Drittel aufgestockt. Neben mehr Geld soll es auch einen neuen Ansatz zum Umgang mit der Klimakrise geben und das Ziel von Netto-Null soll auch andere Sektoren als nur den Energiesektor betreffen.

Indiens Finanzministerin Nirmala Sitharaman hat im Juli bei der Präsentation des Budgets 2024/25 gezeigt: Die Regierung der National Democratic Alliance (NDA) will auch mit einer reduzierten Mehrheit im Parlament nicht von ihrer Politik für Energiewende, Klimaschutz und Widerstandsfähigkeit gegen die Klimakrise abrücken. Der Gesamthaushalt beläuft sich auf etwa 48 Billionen Rupien, umgerechnet etwa 525 Milliarden Euro. Technisch sind davon nur etwa sechs Milliarden für Klima und Energiewende zu verbuchen, aber die indirekten Effekte durch Steuernachlässe, Subventionen oder die Mobilisierung von Privatkapital werden als wesentlich höher eingeschätzt.

Pläne: Taxonomie, Emissionshandel, Dekarbonisierung der Industrie

In ihrer Rede vor dem Parlament ergänzte die Finanzministerin bereits angekündigte Programme und Maßnahmen wie das Solarprogramm für Hausdächer. Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft soll mit Wirtschaftswachstum gekoppelt sein, Arbeitsplätze schaffen und die Nachhaltigkeit der Wirtschaft fördern. So will die Regierung:

  • ein politisches Dokument über Wege zur Energiewende mit einem Gleichgewicht von Beschäftigung, Wachstum und Nachhaltigkeit vorlegen;
  • eine Taxonomie für die Klimafinanzierung entwickeln;
  • Regeln für einen Kohlenstoffmarkt einführen;
  • die Mission für Produktion, Import und Recycling von kritischen Rohstoffen einleiten;
  • Forschung und Entwicklung für kleine und mittlere Kernreaktoren und neuere Atom-Technologie voranbringen;
  • Energieaudits und grünen Umbau der Energieversorgung für kleine Industriecluster bereitstellen;
  • einen Fahrplan für die Umstellung von schwer zu dekarbonisierender (“hard to abate”) Industrie auf Effizienz und Reduktionsziele erstellen;
  • die Forschung im Agrarbereich auf Steigerung der Produktivität und Entwicklung klimaresilienter Technoligen konzentrieren, und
  • Programme zur Eindämmung von Überschwemmungen in der Himalaya-Region auflegen.

Die Bewältigung des Klimawandels und die Förderung der Nachhaltigkeit sind für die Regierung damit Querschnittsthemen. “Diese Maßnahmen können ein starkes Fundament für ein nachhaltiges und wohlhabendes Indien legen, wobei die Energiewende der Dreh- und Angelpunkt ist, von dem aus die öffentliche Politik für eine umfassendere wirtschaftliche Transformation genutzt werden kann”, sagte Arunabha Ghosh, Geschäftsführer des in Neu-Delhi ansässigen Thinktanks Council on Energy, Environment and Water (CEEW) zu Table.Briefings.

Finanzmittel für Anpassung und Klimaschutz gesucht

Bereits in den letzten Jahren gab es Diskussionen und erste Regulierungen zur Entwicklung einer Taxonomie für die Klimafinanzierung und zur Schaffung eines Kohlenstoffmarktes. Beide Maßnahmen sind entscheidend, um Kapital für Anpassung und für die Eindämmung des Klimawandels zu mobilisieren. “Investoren und die Industrie haben eine Taxonomie und einen Übergangspfad als Richtschnur für die Finanzströme und die Neuausrichtung der Wirtschaftstätigkeit gefordert”, sagte Suranjali Tandon, Professorin am National Institute of Public Finance and Policy. “Der Vorschlag des Haushalts, die Klimafinanzierung zu definieren, ist ein positiver Schritt zur Mobilisierung von Kapital für die Nachhaltigkeit”, sagt auch Ghosh.

Die Ankündigung eines regulatorischen Rahmens für den Übergang von Energieeffizienz zu einem Emissionsmarkt bei Hard-to-abate-Industrien deutet auf einen Markt für die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten und Pläne für sektorale Emissionsreduktionen hin. Für Tandon sind die Ankündigung der Taxonomie und des Emissionsmarktes “ein bedeutender Fortschritt bei der Planung in Richtung Netto-Null im Jahr 2070″.

Strombedarf zementiert Abhängigkeit von der Kohle

Auch Neshwin Rodrigues, Analyst für Elektrizitätspolitik in Indien bei der britischen Denkfabrik Ember, lobt: “Der diesjährige Haushalt unterstreicht die Hinwendung zu einem ganzheitlicheren Weg der Energiewende, der Energiesicherheit, Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt”.

Ende Juni lag die Erzeugungskapazität aus erneuerbaren Energiequellen bei 195 Gigawatt, während die Fossilen einschließlich Kohle mit 243 Gigawatt insgesamt 55 Prozent der installierten Kapazität ausmachten. Das rasche Wachstum der erneuerbaren Energien und die Verbreitung von dezentraler Solarenergie auf Hausdächern wird nach den Planungen bis in die 2040er-Jahre anhalten. 76 Prozent der Stromerzeugung stammt allerdings aus fossilen Brennstoffen. Weil der Strombedarf jährlich um etwa acht Prozent wächst, bleibt die Abhängigkeit von der Kohle bestehen, auch wenn die Kraftwerke sauberer und effizienter werden. Dazu beitragen sollen auch Kraftwerke von insgesamt 800 MW, die mit der in Indien entwickelten “fortgeschrittenen ultra-superkritischen Technologie” die Emissionen reduzieren sollen.

Fokus: Agrarsektor in der Klimakrise

Eine klarere Vorstellung von der Rolle der Kohle und der Kernenergie wird sich aus dem Strategiepapier zur Energiewende ergeben. “Indien muss jetzt Wege finden, um die Abhängigkeit von der fossilen Energie zu verringern, und da die Batteriekosten in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter stark sinken werden, kann es einen schrittweisen Abbau dieser Abhängigkeit planen”, so Rodrigues von Ember.

Die Regierung nimmt auch den Agrarsektor in den Blick. Er stellt 14 Prozent der Wertschöpfung und 58 Prozent der Arbeitsplätze. Der Sektor bekommt die Klimaänderungen zu spüren und muss gleichzeitig die Ernteproduktivität für eine wachsende Bevölkerung steigern, das Einkommen der Landwirte erhöhen und seine Widerstandsfähigkeit verbessern. Nun soll die Agrarforschung mit Schwerpunkt auf Produktivität und Widerstandsfähigkeit untersucht werden, und 109 ertragreiche klimaresistente Sorten werden freigegeben.

Auch sollen die natürliche Landwirtschaft und die digitale öffentliche Infrastruktur ausgebaut werden, meint Anjal Prakash vom Bharti Institute of Public Policy am ISB in Hyderabad. “Der Auftrag zur Selbstversorgung, die Förderung der Garnelenproduktion und die Konzentration auf Gemüseproduktionscluster werden dazu führen, dass die Produktion von Nahrungsmitteln an den veränderten Konsum von frischen Waren und Proteinen angepasst wird. Dies sind wichtige Schritte auf dem Weg in eine grünere und klimaresilientere Zukunft.”

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Batterieverordnung: Wirtschaft fordert Habeck zum Handeln auf

Northvolt will in Heide eine Fabrik mit 60 GWh Leistung bauen.

Die deutsche Industrie startet einen Machtkampf darum, welche EU-Länder in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wirtschaftlich vom Green Deal profitieren werden. Der Streit entzündet sich an der europäischen Batterieverordnung – schließlich steckt in Batterien ein Großteil der künftigen Wertschöpfung für die Automobilwirtschaft und weitere bedeutende Industrien. Umstritten ist ein delegierter Rechtsakt zur Ermittlung des CO₂-Fußabdrucks von Batterien, den die Kommission vorschlägt. Parlament und Mitgliedstaaten können ihn nach der anstehenden Veröffentlichung stoppen.

In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der Table.Briefings vorliegt, warnen fünf Wirtschaftsverbände davor, dass die deutsche Industrie ihre weltweiten Lieferketten und Aktivitäten nicht mehr wirksam dekarbonisieren könne, “wenn die effizientesten Instrumente dazu nicht mehr anerkannt werden”.

Habeck soll auf höchster Ebene intervenieren

“Wir bitten Sie daher dringend, im Sinne der deutschen Industrie und des globalen Klimaschutzes auf höchster Ebene der EU-Kommission kurzfristig zu intervenieren“, heißt es in dem Brief an Habeck. Unterschrieben wurde er von Mitgliedern der Geschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), des Verbands der Automobilindustrie (VDA), des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).

Hintergrund ist offenkundig der immer noch hohe Anteil von Kohlestrom im deutschen Strommix. Andere Volkswirtschaften in der EU haben bereits einen deutlichen Vorsprung beim Umstieg auf erneuerbare Energien – oder halten weiter an der Atomkraft fest. So betrug die CO₂-Intensität des deutschen Stroms im vergangenen Jahr 381 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde. In Schweden und Frankreich waren es dagegen nur 41 bzw. 56 Gramm.

Spüren wird die Industrie Deutschlands Rückstand spätestens 2028. Dann müssen Elektrofahrzeugbatterien nach der neuen Batterieverordnung Höchstwerte für Kohlendioxid-Emissionen einhalten, die bei der Produktion entstehen. Die delegierte Verordnung, an der die Kommission arbeitet, soll die Methode für die Messung des CO₂-Fußabdrucks regeln. In ihrem Brief an Habeck kritisieren die Verbände den Entwurf: “In der vorgeschlagenen Methodik werden Stromabnahmeverträge (PPA) und Stromzertifikate für erneuerbare Energie (HKN) nicht mehr als zulässig anerkannt.”

Nach Darstellung der Verbände könnte der Batterie-Rechtsakt zur Blaupause für andere Industriegüter werden – mit massiven Folgen: “Dies ist eine denkbar schlechte Nachricht für den Klimaschutz und auch für die Reputation deutscher Unternehmen in Öffentlichkeit, bei Ratings und Investoren. Außerdem verringert es die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort.”

Die EU-Batterieverordnung ist im August 2023 in Kraft getreten und – nach einer sechsmonatigen Übergangsfrist – seit Februar in den EU-Mitgliedstaaten gültig. Sie ersetzt die vormalige Batterierichtlinie und soll eine Blaupause für weitere Produktregularien sein: Die Verordnung etabliert Standards für ein nachhaltigeres Design von Batterien, soll den Stoffkreislauf ankurbeln und die Batterie- und Recyclingindustrie stärken. Batterien sind das erste Produkt in der EU, für das ein verbindlicher CO₂-Fußabdruck gilt.

Nur nationaler Strommix soll zählen

Berücksichtigen wolle die Kommission in dem nachfolgenden Rechtsakt nach Darstellung der Verbände ausschließlich die CO₂-Intensität des nationalen Elektrizitätsnetzes eines Herstellungslandes – mit der Ausnahme von direkt an Fabriken angeschlossenen Erzeugungsanlagen erneuerbarer Energie, heißt es in dem Brief weiter. “Letzteres ist aufgrund von Standorteignung, Genehmigungsverfahren, Zuverlässigkeit der konstanten Stromversorgung und Platzbedarf für die meisten Standorte weltweit keine Option.”

Vom CO₂-Fußabdruck einer Batterie für E-Autos entfällt der größte Anteil auf die Zellproduktion. Die Lieferketten bei Batterien für E-Autos sind global, weltweit ist der Bau einer Vielzahl von Zellfabriken geplant. Deutschland ist ein wichtiger Markt für die Zellherstellung in Europa. Viele Zellfabriken sind in Planung oder werden gerade gebaut, oft in Kooperation oder auch in Regie der Hersteller von E-Autos. Laut Battery News mit Daten aus dem Mai ist in Deutschland bis 2030 der Aufbau von Kapazitäten in Höhe von 353 GWh geplant.

So hat Tesla am Standort Grünheide den Bau einer Fabrik mit einer Kapazität von 100 GWh angekündigt. Northvolt will in Heide eine Fabrik mit der Leistung von 60 GWh bauen. Die Befürchtung ist, dass der Rechtsakt für die Berechnung des CO₂-Fußabdrucks bereits getroffene Investitionsentscheidungen infrage stellt und künftige Ansiedlungen erschwert oder unmöglich macht.

Zusätzlichkeit des grünen Stroms ist entscheidend

Die von den Verbänden propagierten Instrumente haben allerdings ähnliche Probleme wie die von ihnen kritisierten – und noch weitere. Herkunftsnachweise (HKN) sind zwar ein etabliertes Instrument, um die Grünstromeigenschaft nachzuweisen. Die Industrie würde damit aber nach dem Prinzip “linke Tasche, rechte Tasche” wirtschaften. Was einzelne Unternehmen an grünem Strom einkaufen, würde anderen Stromverbrauchern fehlen – national oder gar europäisch betrachtet wäre es ein Nullsummenspiel. “Herkunftsnachweise sind nicht geeignet, um die Zusätzlichkeit von grünem Strom nachzuweisen”, sagt Mathilde Crêpy von der Brüsseler NGO Ecos.

Für die Elektrolyse von grünem Wasserstoff hat die Kommission deshalb bereits einen delegierten Rechtsakt verabschiedet, mit dem Erzeuger nachweisen sollen, dass der Strom aus zusätzlichen – also eigens für ihre Produktion neu gebauten – Strom- und Windparks kommt. Gegen die komplizierten Regeln war die Wirtschaft Sturm gelaufen.

BASF investiert bereits in PPAs

Wenn die Kommission nun auf den nationalen Strommix oder direkt angeschlossene Grünstromparks abstellt, vereinfacht sie den Nachweis eigentlich. Dahinter steckt aber offenkundig auch eine Disziplinarmaßnahme, damit jeder EU-Staat möglichst schnell erneuerbare Energien im eigenen Land ausbaut. Nach Ansicht der NGO T&E hat die Anrechnung des nationalen Strommixes außerdem den Vorteil, das die Methode international leicht vergleichbar und vor allem überprüfbar ist. “Gerade bei der Verwendung von Herkunftsnachweisen müsste man bei der weltweiten Durchsetzbarkeit dagegen ein großes Fragezeichen machen”, sagt Alex Keynes von T&E.

Aus Sicht des Binnenmarktes ist der zweite Vorschlag der Verbände zunächst einleuchtend. Die Unternehmen wollen zum Beispiel mit Offshore-Windparks langfristige Direktabnahmeverträge abschließen. Allerdings sind solche PPAs bislang vor allem eine Domäne für Großkonzerne – und vermeintlich eine Methode, um sich vor anderen Energieverbrauchern günstigen Ökostrom zu sichern. BASF hat bereits Verträge für Energieprojekte in mehreren EU-Ländern geschlossen.

Allerdings müssten auch die PPAs mit zusätzlichen Anlagen abgeschlossen werden. Nach Ansicht von Ecos und T&E sollten sie der gleichen strengen Methodik folgen wie im Rechtsakt für Wasserstoff – was sicher nicht im Sinne der Industrie wäre. Eine weitere Hürde für den PPA-Vorschlag der Verbände ist aber das bislang schwach ausgebaute europäische Stromnetz.

Globale Investitionen in Batterien gehen zurück

Denn ist die Batterie eines deutschen Herstellers wirklich grün, wenn der Strom aus seinem günstigen spanischen Windpark gar nicht in der deutschen Fabrik ankommt? Der stockende Netzausbau würde die Verfügbarkeit von günstigem grünem Strom also für viele Jahre einschränken.

Trösten können sich die deutschen Hersteller noch damit, dass die CO₂-Regeln aus der Batterieverordnung auch für importierte Batterien gelten werden. Noch ist der Strom etwa in China mit spezifischen Emissionen von 582 Gramm dreckiger als in Europa. Obwohl China sich bereits eine starke Position erarbeitet hat, konsolidiert sich der Batteriemarkt dort gerade.

Nach einer aktuellen Analyse von Rystad werden deshalb die globalen Investitionen in neue Batteriefertigungskapazitäten in diesem Jahr wohl zum ersten Mal seit 2020 sinken. Bis 2030 wird der weltweite Bedarf an Batterien laut Prognosen des Weltwirtschaftsforums aber um das 19-fache des Bedarfs im Jahr 2019 steigen. Der Großteil davon entfällt auf die Automobilindustrie.

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IPCC: Erste Details zum 7. Sachstandsbericht festgelegt

Der Weltklimarat IPCC hat bei seiner 61. Sitzung den Rahmen (“Scoping”) für wichtige Teile seines nächsten Sachstandsberichts (AR7) beschlossen: Bei einem einwöchigen Treffen in Sofia legten Ende vergangener Woche die 230 Delegierten aus 114 Staaten die Details für den Sonderbericht zu “Städten im Klimawandel” und zum “Methodenbericht über kurzlebige Treiber des Klimawandels” fest. Allerdings konnten sich die Delegierten bisher nicht auf einen Zeitpunkt einigen, wann der AR7 im Jahr 2028 veröffentlicht werden soll – also ob er noch rechtzeitig herauskommt, um das 2. Global Stocktake bei der COP32 mit Informationen zu versorgen. Das soll auf den nächsten Treffen passieren.

Der Sonderbericht zu Städten soll “Trends, Herausforderungen und Chancen” – sowohl die Risiken als auch Veränderungschancen – in urbanen Gebieten untersuchen. Er soll bis März 2027 klären, welche Lösungen aus Städten und Regionen kommen könnten.

Der Methodenbericht zu kurzlebigen Treibern des Klimawandels soll im Juli 2027 vorliegen. Er soll die Richtlinien festlegen, nach denen Elemente wie Stickoxide, Kohlenmonoxid oder Wasserstoff als direkte oder indirekte Treiber in den nationalen Inventarien dokumentiert werden. Vor allem die Erkenntnisse zu Wasserstoff könnten im globalen Wettrennen nach grünem Wasserstoff wichtig werden. Der Auswahlprozess für die Autorinnen und Autoren der beiden Berichte beginnt in dieser Woche.

NGO-Kritik an Scoping zu CCS-Methoden

Eine andere Frage des “Scopings” verursacht derzeit Unruhe unter vielen Klimaschutzgruppen. Für einen bereits beschlossenen Methodenbericht zu den umstrittenen Techniken von CCS, CCUS und CDR hatte das IPCC-Büro ebenfalls Vorbereitungen angekündigt und nach Autoren gesucht. In einem offenen Brief äußern nun etwa 80 Gruppen – darunter das Climate Action Network und die Deutsche Umwelthilfe – ihre Sorge, der Methodenbericht werde “dazu dienen, existierende Narrative zu verstärken, die die Notwendigkeit betreffen, sich auf massive Umfänge von CDR zu stützen, um durch die Klimakrise zu kommen”.

Die Gruppen, die CCS, CCUS und CDR kritisch sehen, fordern vom IPCC, der Bericht solle auch die Grenzen und Schwierigkeiten der Techniken problematisieren, neben technischer auch soziale und indigene Expertise zulassen und die planetaren Grenzen berücksichtigen.

Aus der Wissenschaft wurde wiederum darauf hingewiesen, dass diese Vorstellungen weit über einen “Scoping”-Bericht hinausgehen, der die Methoden festlegt, nach der bestimmte Rechnungen in die nationalen Inventare aufgenommen werden sollen. Es gehe nur darum, die bereits seit 2006 bestehenden Regeln zu überarbeiten. bpo

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Strommarkt: BMWK will Netzentgelte reformieren

Mit einer Änderung des EU-Rechts für Netzentgelte will das Bundeswirtschaftsministerium die Flexibilität im Stromsystem erhöhen. Das geht aus dem Optionspapier “Strommarktdesign der Zukunft” hervor, das das BMWK am Freitag vorgestellt hat. Im Kapitel zu nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen schreibt das Ministerium zum “Aktionsbereich neue Netzentgeltstruktur”: “EU-Rahmen für Netzentgelte reformieren und fit für Anforderungen des zukünftigen Stromsystems machen.”

Mit dem Papier konsultiert das Wirtschaftsministerium verschiedene Möglichkeiten für die zukünftige Vergütung erneuerbarer Energien, Kapazitätsmechanismen und eine Flexibilisierung des Strommarkts, um fluktuierende erneuerbare Energien besser ins Stromsystem zu integrieren. Neben diesen nationalen Reformen sammelt das BMWK aber auch bereits Vorschläge für eine Reform des europäischen Strommarkts. Die nun vorgeschlagene Reform der Netzentgelte bezieht sich offenbar auf Artikel 18 der EU-Strommarktverordnung.

Zu den europäischen Leitplanken zählen laut dem Papier, “dass Netzentgelte kostenorientiert sein müssen und diskriminierungsfrei zu erheben sind. Die Tarifierung muss zudem transparent sein und Anreize für eine effiziente Netznutzung schaffen. Mit Blick auf das klimaneutrale Stromsystem wird es in Europa darum gehen müssen, diese Prinzipien zu spezifizieren und den Rahmen gegebenenfalls auch auf flexibilitätsfördernde Regelungen umzustellen.” Außerdem solle die Komplexität der Regulierung reduziert werden. Seine Vorschläge will das BMWK in einer “Flexibilitäts-Agenda” zusammenfassen. ber

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Neue Infoseite: Wie helfen fleischarme Ernährung, CCS oder Kernkraft dem Klima?

Den aktuellen Forschungsstand zu Lösungen für die Klimakrise möglichst fundiert, kompakt und verständlich abbilden: Das ist das Ziel einer neuen Rubrik der Plattform klimafakten.de. Unter dem Titel “Was nützt?” versammelt die Redaktion dort Texte zu häufig debattierten politischen Instrumenten und Verhaltensweisen wie zum Beispiel CCS, einer fleischarmen Ernährung, der Kernfusion oder der Frage, ob der wachsende Bedarf an kritischen Rohstoffen und Energie für E-Autos, Wind- und Solaranlagen deren Vorteile für das Klima zunichtemache.

In vielen Bereichen habe die Wissenschaft “bereits ziemlich klare Antworten dazu erarbeitet, wie man Wirtschaft und Gesellschaft dekarbonisieren könnte”, schreibt die Redaktion dazu. Doch davon komme zu wenig in der Öffentlichkeit an. Zugleich habe sich die Art der Desinformation verändert. Die menschengemachte Erderhitzung werde kaum noch geleugnet. Massiv zugenommen hätten hingegen “Botschaften, die gezielt Zweifel an der Lösbarkeit der Klimakrise säen, Verantwortung ablenken oder die Wirksamkeit bestimmter Technologien bestreiten”. Dem will klimafakten.de mit einer besseren Kommunikation von gesicherten Forschungsergebnissen entgegenwirken.

Die Texte in der neuen Rubrik stützen sich auf möglichst verlässliche wissenschaftliche Quellen. An erster Stelle werden IPCC-Berichte ausgewertet, dann folgen Metastudien und die Syntheseberichte großer Forschungsverbünde wie etwa Ariadne. “Unsere Hoffnung ist: Wenn faktische Fragen bei kontrovers diskutierten Klimaschutzoptionen geklärt sind, […] können gesellschaftliche und politische Debatten fokussierter und konstruktiver geführt werden”, schreibt die Redaktion. Bislang sind bei “Was nützt?” sieben Texte online. In den kommenden drei Jahren soll monatlich ein Artikel hinzukommen, etwa über das Tempolimit, Direct Air Capture (DAC) und Moorschutz. Finanziell gefördert wird das neue Angebot durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung. ae

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Energieberatungen: Deshalb senkt das BMWK jetzt die Förderungen

Zum 7. August senkt das BMWK die Fördersätze von Energieberatungsprogrammen in Wohngebäuden von bisher 80 Prozent auf 50 Prozent des förderfähigen Beratungshonorars. Zudem soll der maximale Zuschuss pro Beratung um 50 Prozent verringert werden, teilte das Ministerium am Montag mit. Für Ein- und Zweifamilienhäuser liegt er damit künftig bei maximal 650 Euro. Grund für die Reduzierung ist die hohe Nachfrage: In Wohngebäuden gab es in der ersten Jahreshälfte 2024 mit 80.000 Anträgen einen neuen Höchststand für Energieberatungen; 2019 hatte es nur rund 10.000 Anträge gegeben.

Die Kürzungen gelten demnach für die Förderprogramme Energieberatung für Wohngebäude (EBW) und Nichtwohngebäude, Anlagen und Systeme (EBN). Sie zielen auf Energieeffizienz und die Abkehr von fossilen Brennstoffen bei der energetischen Sanierung von Gebäuden ab. Unverändert bleibe dem BMWK zufolge hingegen der Bonus für einen individuellen Sanierungsfahrplan (iSFP-Bonus) und die höheren förderfähigen Ausgaben für Effizienzmaßnahmen in der Bundesförderung für effiziente Gebäude-Einzelmaßnahmen – also etwa die Gebäudehülle oder Fenster. lb

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Neue Studie: So stark erhöhen Waldschäden den CO₂-Ausstoß im südlichen Amazonas

Der südliche Amazonas-Regenwald stößt durch Waldschädigungen mittlerweile deutlich mehr CO₂ aus, als er aufnimmt. Das zeigt eine Auswertung von detaillierten Luftaufnahmen im Fachmagazin PNAS in den brasilianischen Bundesstaaten Rondônia, Mato Grosso und Pará zwischen 2016 und 2018. Insgesamt entdeckte das Team rund um Ovidiu Csillik vom California Institute of Technology Waldschäden auf 21,6 Prozent der untersuchten Fläche, die 544.300 Quadratkilometer einnimmt (8,2 Prozent des Amazonas-Gebiets). Davon entfielen:

  • 0,7 Prozent auf Holzfällung,
  • 0,7 Prozent auf Kultivierungen für die Landwirtschaft,
  • 2,8 Prozent auf Feuer, die großteils von Menschen entzündet wurden,
  • 14,7 Prozent auf kleinere natürliche und menschengemachte Störungen – darunter 2,7 Prozent auf Sturmschäden.

Waldwachstum reicht nicht zum Ausgleich

Auf 62,1 Prozent der Fläche zeigte sich hingegen keine Änderung zwischen den beiden Aufnahmen, die im Abstand von einem bis eineinhalb Jahren mit dem Flugzeug durchgeführt wurden. Auf 16,3 Prozent der Fläche stellten die Forschenden darüber hinaus ein deutlich erkennbares Waldwachstum fest.

Dieses Waldwachstum bindet zwar 44,1 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich, reicht jedoch nicht, um die 134,6 Millionen Tonnen CO₂ der geschädigten Flächen auszugleichen. Das ergibt auf der untersuchten Fläche zwischen 2016 und 2018 in der Bilanz Emissionen von jährlich 90,5 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Nicht berücksichtigt wurde dabei die Kohlenstoffbilanz des Bodens. Allerdings belegen weitere Studien – etwa 2021 in Nature mit Berücksichtigung des Bodens -, dass Teile des Amazonas-Regenwalds zunehmend CO₂ emittieren. Immer öfter wird auch vor einem nahenden Kipppunkt gewarnt, zuletzt etwa in einer Nature-Studie im Februar dieses Jahres. dpa/lb

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Standpunkt

Wer Dekarbonisierung will, muss Netzdienlichkeit und Versorgungssicherheit mitdenken

Andreas Reichel ist CEO und Arbeitsdirektor der STEAG und Iqony

Aktuell plant die Bundesregierung nach den von ihr selbst verlautbarten Aussagen fünf Gigawatt (GW) perspektivisch wasserstofffähige Kraftwerke und fünf GW Gaskraftwerke, für die keine zeitlichen Vorgaben zur Umstellung auf Wasserstoff fixiert sind, auszuschreiben. Weitere zwei Gigawatt Kraftwerksleistung sollen durch Modernisierung bzw. Umrüstung im bestehenden Kraftwerkspark hinzukommen und 500 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung stehen für ein Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerk bereit, das per Definition sofort und vollständig mit Wasserstoff betrieben werden kann. Ergänzend will die Bundesregierung auch 500 MW Leistung Strom-Langzeitspeicher ausloben.

So weit die Rahmenbedingungen. Zu begrüßen ist die klare Festlegung des Bundeswirtschaftsministeriums, die entsprechenden Ausschreibungen aller Säulen jetzt schnell auf den Weg zu bringen. Nur wenn dies tatsächlich geschieht, lässt sich der ursprüngliche Zeitplan, die neuen Kraftwerke bis Anfang des kommenden Jahrzehnts in Betrieb zu nehmen, noch einhalten.

Doch neben der Geschwindigkeit kommt es für die Unternehmen, die über eine Teilnahme an den Ausschreibungen nachdenken, auch auf deren konkrete inhaltliche Ausgestaltung an. Dabei geben die bisher bekanntgewordenen Informationen zu den zu erwartenden Rahmenbedingungen durchaus Grund für Optimismus: So soll neben dem Hauptanliegen, Fortschritte bei der Dekarbonisierung zu erzielen, auch der Aspekt der Versorgungssicherheit und damit konkret verbunden auch das Kriterium der Netzdienlichkeit in Form von Redispatch-Kosteneinsparungen und Netzstabilität berücksichtigt werden.

Die Festlegung, dass sämtliche der Kraftwerke – egal, im Rahmen welcher der oben beschriebenen Säulen sie gebaut werden, – “überwiegend im netztechnischen Süden” (der übrigens ziemlich weit in den Norden Deutschlands reicht), entstehen sollen, macht deutlich: Berlin hat verstanden, dass Dekarbonisierung und nachhaltige Versorgungssicherheit nur Hand in Hand gelingen und nicht unabhängig betrachtet werden können.

Warum das so ist, lässt sich anhand eines Beispiels aus dem eigenen Haus gut illustrieren: Die Steag-Gruppe plant an drei ihrer Standorte im Saarland und in NRW den Bau genau solcher neuer Kraftwerke, die erst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden können. An diesen Standorten gibt es heute Anlagen, die mit Steinkohle befeuert werden und durchweg durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) als systemrelevant eingestuft sind. Dass diese Bestandsanlagen, wenn sie nicht durch Neubauten ersetzt oder umgerüstet werden, die Funktion der “Stromnetz-Feuerwehr” bis über das Jahr 2030 hinaus noch mit Steinkohle werden erfüllen müssen, war bisher nur ein Expertenthema.

Als Unternehmen sind wir schon seit Jahren gewillt, diese Anlagen endgültig stillzulegen, doch die Erfordernisse von Versorgungssicherheit und Netzstabilität machen uns hier einen Strich durch die Rechnung: Ohne neue Kraftwerksleistung an gleicher Stelle besteht weder regulatorisch noch physikalisch eine realistische Chance, aus der Systemrelevanz entlassen werden zu können – die Anlagen müssten folglich bis auf Weiteres in Betriebsbereitschaft gehalten werden. Das wiederum stellt uns angesichts des Alters der Anlagen vor immer größere technische und die Netzbetreiber sowie letztlich die Privatkundinnen und -kunden vor immer größere finanzielle Herausforderungen.

Wenn aber stetig alternde Steinkohleanlagen mangels Alternative auf unabsehbare Zeit für einige Hundert Betriebsstunden pro Jahr einspringen müssen, dann mag man mit Blick auf das damit verbundene Verbot einer Marktteilnahme von einem teilweisen Kohleausstieg sprechen. Mit Blick auf die Klimabilanz kann man das aber gewiss nicht. Die Aufgaben der Altanlagen auf die Kraftwerke der nächsten Generation zu übertragen – inklusive des qualifizierten Bedienpersonals – macht also in jeder Hinsicht Sinn.

Ähnliches ließe sich mit Blick auf die auszuschreibenden zwei Gigawatt umzurüstender Kraftwerksleistung sagen: Hier wäre es sehr sinnvoll, jene “jungen” Steinkohlekraftwerke im Sinne des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) mit in den Blick zu nehmen, für die das besagte Gesetz ohnehin eine Einzelfalllösung für eine Stilllegung gegen Entschädigung in Aussicht gestellt hat. Und mit Blick auf die CO2-Bilanz würde die Umrüstung dieser Anlagen auf Erdgas und perspektivisch Wasserstoff einen echten Quantensprung bedeuten.

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf der internationalen Klimabühne hat sich in der vergangenen Woche einiges abgespielt: In China etwa hat der Staatsrat ein “Arbeitsprogramm” vorgelegt, das erstmals harte Obergrenzen für CO₂-Emissionen festlegt. Experten sprechen von einer “neuen Ära in der Klimapolitik”; diese sei nun wieder ganz oben auf Chinas Agenda. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen – allen voran über den genauen Grenzwert und den Zeitpunkt dafür, wie Nico Beckert berichtet.

    Indien hat unterdessen sein Budget für 2024/25 vorgestellt. Aus diesem lässt sich ablesen, dass die neue Regierung trotz reduzierter Mehrheit im Parlament nicht von ihrer Klimapolitik abrückt. Warum indirekt deutlich mehr Geld dem Klimaschutz zugewiesen wird als aus den Budgetzahlen ersichtlich, hat Urmi Goswami analysiert – und ebenso, welche weiteren Pläne Indiens Klimapolitik verfolgt.

    Neuigkeiten gibt es auch von der Plenarsitzung des IPCC: In Sofia wurde vergangene Woche der Rahmen für wichtige Teile des nächsten Sachstandsberichts (AR7) beschlossen. Weiter lesen Sie in dieser Ausgabe vom südlichen Teil des Amazonas-Regenwalds. Dort emittiert die “grüne Lunge” mehr CO₂, als sie absorbieren kann, wie immer mehr Studien belegen.

    Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihr
    Lukas Bayer
    Bild von Lukas  Bayer

    Analyse

    China: Offene Fragen zur neuen Obergrenze für CO₂-Emissionen

    Kohlelager in einem Kraftwerk in Wuhan
    Ab 2030 will China seine CO₂-Emissionen besser kontrollieren. Kohlelager in einem Kraftwerk in Wuhan.

    China will erstmals eine harte Emissionsobergrenze festlegen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu regulieren. Der Staatsrat hat dazu Ende letzter Woche ein “Arbeitsprogramm” vorgelegt. Die Emissionen sollen ab 2030 strikter kontrolliert werden. Die bisherige Methode, die Emissionen relativ zum Wirtschaftswachstum zu kontrollieren, soll durch eine “Kontrolle der absoluten Emissionen” abgelöst werden.

    Laut der Analystin Yan Qin leitet der Staatsrat damit “eine neue Ära in der Klimapolitik” des Landes ein. Doch auch das höchste Verwaltungsorgan der Volksrepublik nennt noch keine Details zu den wichtigsten klimapolitischen Kennzahlen: wie weit die Emissionen noch steigen dürfen und wann genau sie ihren Höchstwert erreichen sollen. China nehme seine klimapolitischen Zusagen zwar ernst, befinde sich aber “noch immer in einem Modus, in dem es wenig verspricht”, so Yao Zhe von Greenpeace Ostasien. Trotzdem hat das neue Arbeitsprogramm nennenswerte Auswirkungen für Unternehmen und Chinas Provinzen.

    Die Kontrolle der CO₂-Emissionen rückt stärker in den Fokus Pekings

    Chinas neuer Plan zur Kontrolle der CO₂-Emissionen ist als schrittweise Weiterentwicklung der bisherigen Klimapolitik zu verstehen. Bisher wurde Chinas Klimapolitik vor allem durch zwei Zielmarken geleitet:

    • die Höhe der CO₂-Emissionen relativ zum Wirtschaftswachstum (“CO₂-Intensität”)
    • und die Höhe des Energieverbrauchs relativ zum Wirtschaftswachstum (“Energie-Intensität”).

    Das bedeutet konkret: Um das gleiche Wirtschaftswachstum wie 2020 zu erwirtschaften, sollen im Jahr 2025 18 Prozent weniger CO₂-Emissionen verursacht und 13,5 Prozent weniger Energie verbraucht werden. Wächst die Wirtschaft jedoch schnell genug, dürfen die CO₂-Emissionen absolut auch weiter wachsen – was in den letzten Jahren der Fall war.

    Das neue Arbeitsprogramm sieht vor:

    • Für den Zeitraum 2026 bis 2030 soll die CO₂-Intensität weiterhin die Klimapolitik leiten und durch einen Indikator zum absoluten CO₂-Ausstoß “ergänzt” werden. Wie diese ergänzende Rolle konkret aussehen soll, ist derzeit noch unklar. Schließlich widersprechen sich ein intensitätsbasierter Maßstab und eine absolute Emissionsreduktion bei starkem Wirtschaftswachstum.
    • Ab dem Jahr 2026 soll der zweite Intensitätsindikator – die Energie-Intensität – komplett wegfallen.
    • Ab 2030 will China seine Klimapolitik nur noch anhand der absoluten CO₂-Emissionen regulieren und damit eine Reduktion des CO₂-Ausstoßes einleiten.

    Kritik: Keine Beschleunigung in der Klimapolitik

    Yao Zhe von Greenpeace Ostasien kritisiert allerdings den wenig ambitionierten Zeitplan des neuen “Arbeitsprogramms”. “Der Zeitplan deutet darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger nach wie vor nur das Ziel verfolgen, den Höhepunkt der Emissionen bis 2030 zu erreichen, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass die Emissionen bereits viel früher ihren Höhepunkt erreichen werden.” Eine Ankündigung, “den Höchststand frühzeitig zu erreichen oder die Emissionen nach dem Peak schneller zu senken, würde Chinas Ruf in Sachen Klima verbessern”, so die Politik-Analystin von Greenpeace Ostasien.

    Obwohl das Arbeitsprogramm im Titel eine Beschleunigung verspricht, “beschleunigt es den Prozess in keiner Weise im Vergleich zu früheren Plänen”, kritisiert auch Lauri Myllyvirta, Senior Fellow beim Thinktank Asia Society. Auch liefere der Plan “keine Klarheit darüber, ob und wann die Emissionsziele von den CO₂-Emissionen des Energiesektors auf z. B. CO₂-Emissionen aus der Zementherstellung und auf andere Treibhausgase ausgedehnt werden”.

    Innerhalb Chinas gelte der Plan aber als Zeichen, dass die Klimapolitik “wieder ganz oben auf der Tagesordnung” stehe, so Myllyvirta zu Table.Briefings. Allerdings fehle “eine unmissverständliche Erklärung, dass das CO₂-Intensitätsziel für 2026 bis 2030 vollständig mit Chinas internationaler Verpflichtung zur Reduzierung der CO₂-Intensität im Rahmen des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen wird”. Da China schon heute bei der CO₂-Intensität weit hinter der eigenen Zielsetzung zurückbleibt, müsste für den Zeitraum bis 2030 ein umso ambitionierteres Ziel folgen, sagt Myllyvirta.

    Neue Vorgaben für Unternehmen und Provinzen, kaum Fortschritt beim ETS

    Laut Qi Qin vom Thinktank Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) weckt die Vorstellung des Arbeitsprogramms “die Erwartung, dass China die CO₂-Emissionen als einen entscheidenden Faktor für seine wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten fünf Jahren betrachten wird”. Obwohl noch einige Details ausgestaltet werden müssen, zeigt das Arbeitsprogramm schon einige Entwicklungen, auf die sich Chinas Provinzen, Unternehmen und Regulierer einstellen müssen:

    • Chinas nationaler Emissionshandel (ETS) wird voraussichtlich erst 2030 eine Emissionsobergrenze (“Emission Cap”) erhalten, wie Yan Qin zu Table.Briefings sagt. Bisher reguliert der ETS nur rund 2.200 Kraftwerke, soll aber bald auf andere Sektoren ausgeweitet werden. Allerdings wird er als relativ unwirksam kritisiert, auch weil es bisher keine feste Obergrenze der CO₂-Zertifikate gibt und die Kraftwerke somit zu wenig Anreize haben, ihre Emissionen zu senken. Die Ausweitung auf weitere Sektoren wird auch in dem Arbeitsprogramm genannt – allerdings ohne Zeitplan.
    • Unternehmen aus CO₂-intensiven Bereichen (Energiesektor, Stahl, Metalle, Baumaterialien, Chemie) sollen ihre CO₂-Emissionen besser erfassen und detaillierter darüber berichten. Wenn sie sich nicht an strikte CO₂-Grenzwerte halten, sollen neue Fabriken und Kapazitäten in diesen Industrien auch verboten werden dürfen. Für viele Industrien, darunter auch die E-Auto- und Solar-Branche, soll ein “Managementsystem für den CO₂-Fußabdruck ihrer Produkte” eingeführt werden.
    • Chinas Provinzregierungen sollen in naher Zukunft CO₂-Budgets aufstellen. Bis Ende 2025 soll ein CO₂-Budget-System getestet werden. Die Budgetierung gilt als wichtiger Schritt zum Aufbau eines landesweiten “Systems für Emissionsstatistiken und Buchführung” (Carbon Emissions Statistics and Accounting System). “Man kann nicht managen, was man nicht messen kann”, sagt Janz Chiang von Trivium China zu Table.Briefings. Deswegen sei der Aufbau eines Accounting Systems der wichtigste Bestandteil des neuen Arbeitsprogramms.
    • Die Abkehr des Energie-Intensitäts-Maßstabs könnte das “industrielle Wachstums in Provinzen mit reichlich und kostengünstigen erneuerbaren Energien ankurbeln”, sagt Cory Combs von der Beratungsfirma Trivium China zu Table.Briefings. Denn indem zukünftig nur noch auf die CO₂-Intensität und die absoluten Emissionen geachtet wird, können “Fertigung, Datenverarbeitung und andere energieintensive Tätigkeiten ohne proportionalen Emissionsanstieg ausgeweitet werden”, so Combs. “Je mehr saubere Energie die Provinzen haben, desto mehr Raum für industrielles Wachstum haben sie”, fasst Myllyvirta die Abkehr vom Energie-Intensitäts-Maßstab zusammen.

    Das Arbeitsprogramm gibt den Weg für Chinas Klimapolitik vor und könnte das Thema wieder stärker auf die Agenda Pekings setzen. In den kommenden Monaten ist mit mehr Details zur Umsetzung zu rechnen, wie Analysten Table.Briefings bestätigen.

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    Indien: So treibt die neue Regierung die Energiewende voran

    Windfarm und Backstein-Produktion im indischen Bundesstaat Tamil Nadu.

    Indiens neue Regierung treibt mit ihrem Haushaltsentwurf die Energiewende weiter voran. Ende Juli stimmte das Unterhaus dem Budgetvorschlag zu. Im Energiebereich stehen dort Erneuerbare und dezentrale Solarenergie im Mittelpunkt. Die Mittel für grüne Projekte und grünen Wasserstoff werden jeweils etwa um ein Drittel aufgestockt. Neben mehr Geld soll es auch einen neuen Ansatz zum Umgang mit der Klimakrise geben und das Ziel von Netto-Null soll auch andere Sektoren als nur den Energiesektor betreffen.

    Indiens Finanzministerin Nirmala Sitharaman hat im Juli bei der Präsentation des Budgets 2024/25 gezeigt: Die Regierung der National Democratic Alliance (NDA) will auch mit einer reduzierten Mehrheit im Parlament nicht von ihrer Politik für Energiewende, Klimaschutz und Widerstandsfähigkeit gegen die Klimakrise abrücken. Der Gesamthaushalt beläuft sich auf etwa 48 Billionen Rupien, umgerechnet etwa 525 Milliarden Euro. Technisch sind davon nur etwa sechs Milliarden für Klima und Energiewende zu verbuchen, aber die indirekten Effekte durch Steuernachlässe, Subventionen oder die Mobilisierung von Privatkapital werden als wesentlich höher eingeschätzt.

    Pläne: Taxonomie, Emissionshandel, Dekarbonisierung der Industrie

    In ihrer Rede vor dem Parlament ergänzte die Finanzministerin bereits angekündigte Programme und Maßnahmen wie das Solarprogramm für Hausdächer. Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft soll mit Wirtschaftswachstum gekoppelt sein, Arbeitsplätze schaffen und die Nachhaltigkeit der Wirtschaft fördern. So will die Regierung:

    • ein politisches Dokument über Wege zur Energiewende mit einem Gleichgewicht von Beschäftigung, Wachstum und Nachhaltigkeit vorlegen;
    • eine Taxonomie für die Klimafinanzierung entwickeln;
    • Regeln für einen Kohlenstoffmarkt einführen;
    • die Mission für Produktion, Import und Recycling von kritischen Rohstoffen einleiten;
    • Forschung und Entwicklung für kleine und mittlere Kernreaktoren und neuere Atom-Technologie voranbringen;
    • Energieaudits und grünen Umbau der Energieversorgung für kleine Industriecluster bereitstellen;
    • einen Fahrplan für die Umstellung von schwer zu dekarbonisierender (“hard to abate”) Industrie auf Effizienz und Reduktionsziele erstellen;
    • die Forschung im Agrarbereich auf Steigerung der Produktivität und Entwicklung klimaresilienter Technoligen konzentrieren, und
    • Programme zur Eindämmung von Überschwemmungen in der Himalaya-Region auflegen.

    Die Bewältigung des Klimawandels und die Förderung der Nachhaltigkeit sind für die Regierung damit Querschnittsthemen. “Diese Maßnahmen können ein starkes Fundament für ein nachhaltiges und wohlhabendes Indien legen, wobei die Energiewende der Dreh- und Angelpunkt ist, von dem aus die öffentliche Politik für eine umfassendere wirtschaftliche Transformation genutzt werden kann”, sagte Arunabha Ghosh, Geschäftsführer des in Neu-Delhi ansässigen Thinktanks Council on Energy, Environment and Water (CEEW) zu Table.Briefings.

    Finanzmittel für Anpassung und Klimaschutz gesucht

    Bereits in den letzten Jahren gab es Diskussionen und erste Regulierungen zur Entwicklung einer Taxonomie für die Klimafinanzierung und zur Schaffung eines Kohlenstoffmarktes. Beide Maßnahmen sind entscheidend, um Kapital für Anpassung und für die Eindämmung des Klimawandels zu mobilisieren. “Investoren und die Industrie haben eine Taxonomie und einen Übergangspfad als Richtschnur für die Finanzströme und die Neuausrichtung der Wirtschaftstätigkeit gefordert”, sagte Suranjali Tandon, Professorin am National Institute of Public Finance and Policy. “Der Vorschlag des Haushalts, die Klimafinanzierung zu definieren, ist ein positiver Schritt zur Mobilisierung von Kapital für die Nachhaltigkeit”, sagt auch Ghosh.

    Die Ankündigung eines regulatorischen Rahmens für den Übergang von Energieeffizienz zu einem Emissionsmarkt bei Hard-to-abate-Industrien deutet auf einen Markt für die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten und Pläne für sektorale Emissionsreduktionen hin. Für Tandon sind die Ankündigung der Taxonomie und des Emissionsmarktes “ein bedeutender Fortschritt bei der Planung in Richtung Netto-Null im Jahr 2070″.

    Strombedarf zementiert Abhängigkeit von der Kohle

    Auch Neshwin Rodrigues, Analyst für Elektrizitätspolitik in Indien bei der britischen Denkfabrik Ember, lobt: “Der diesjährige Haushalt unterstreicht die Hinwendung zu einem ganzheitlicheren Weg der Energiewende, der Energiesicherheit, Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt”.

    Ende Juni lag die Erzeugungskapazität aus erneuerbaren Energiequellen bei 195 Gigawatt, während die Fossilen einschließlich Kohle mit 243 Gigawatt insgesamt 55 Prozent der installierten Kapazität ausmachten. Das rasche Wachstum der erneuerbaren Energien und die Verbreitung von dezentraler Solarenergie auf Hausdächern wird nach den Planungen bis in die 2040er-Jahre anhalten. 76 Prozent der Stromerzeugung stammt allerdings aus fossilen Brennstoffen. Weil der Strombedarf jährlich um etwa acht Prozent wächst, bleibt die Abhängigkeit von der Kohle bestehen, auch wenn die Kraftwerke sauberer und effizienter werden. Dazu beitragen sollen auch Kraftwerke von insgesamt 800 MW, die mit der in Indien entwickelten “fortgeschrittenen ultra-superkritischen Technologie” die Emissionen reduzieren sollen.

    Fokus: Agrarsektor in der Klimakrise

    Eine klarere Vorstellung von der Rolle der Kohle und der Kernenergie wird sich aus dem Strategiepapier zur Energiewende ergeben. “Indien muss jetzt Wege finden, um die Abhängigkeit von der fossilen Energie zu verringern, und da die Batteriekosten in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter stark sinken werden, kann es einen schrittweisen Abbau dieser Abhängigkeit planen”, so Rodrigues von Ember.

    Die Regierung nimmt auch den Agrarsektor in den Blick. Er stellt 14 Prozent der Wertschöpfung und 58 Prozent der Arbeitsplätze. Der Sektor bekommt die Klimaänderungen zu spüren und muss gleichzeitig die Ernteproduktivität für eine wachsende Bevölkerung steigern, das Einkommen der Landwirte erhöhen und seine Widerstandsfähigkeit verbessern. Nun soll die Agrarforschung mit Schwerpunkt auf Produktivität und Widerstandsfähigkeit untersucht werden, und 109 ertragreiche klimaresistente Sorten werden freigegeben.

    Auch sollen die natürliche Landwirtschaft und die digitale öffentliche Infrastruktur ausgebaut werden, meint Anjal Prakash vom Bharti Institute of Public Policy am ISB in Hyderabad. “Der Auftrag zur Selbstversorgung, die Förderung der Garnelenproduktion und die Konzentration auf Gemüseproduktionscluster werden dazu führen, dass die Produktion von Nahrungsmitteln an den veränderten Konsum von frischen Waren und Proteinen angepasst wird. Dies sind wichtige Schritte auf dem Weg in eine grünere und klimaresilientere Zukunft.”

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    Batterieverordnung: Wirtschaft fordert Habeck zum Handeln auf

    Northvolt will in Heide eine Fabrik mit 60 GWh Leistung bauen.

    Die deutsche Industrie startet einen Machtkampf darum, welche EU-Länder in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wirtschaftlich vom Green Deal profitieren werden. Der Streit entzündet sich an der europäischen Batterieverordnung – schließlich steckt in Batterien ein Großteil der künftigen Wertschöpfung für die Automobilwirtschaft und weitere bedeutende Industrien. Umstritten ist ein delegierter Rechtsakt zur Ermittlung des CO₂-Fußabdrucks von Batterien, den die Kommission vorschlägt. Parlament und Mitgliedstaaten können ihn nach der anstehenden Veröffentlichung stoppen.

    In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der Table.Briefings vorliegt, warnen fünf Wirtschaftsverbände davor, dass die deutsche Industrie ihre weltweiten Lieferketten und Aktivitäten nicht mehr wirksam dekarbonisieren könne, “wenn die effizientesten Instrumente dazu nicht mehr anerkannt werden”.

    Habeck soll auf höchster Ebene intervenieren

    “Wir bitten Sie daher dringend, im Sinne der deutschen Industrie und des globalen Klimaschutzes auf höchster Ebene der EU-Kommission kurzfristig zu intervenieren“, heißt es in dem Brief an Habeck. Unterschrieben wurde er von Mitgliedern der Geschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), des Verbands der Automobilindustrie (VDA), des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).

    Hintergrund ist offenkundig der immer noch hohe Anteil von Kohlestrom im deutschen Strommix. Andere Volkswirtschaften in der EU haben bereits einen deutlichen Vorsprung beim Umstieg auf erneuerbare Energien – oder halten weiter an der Atomkraft fest. So betrug die CO₂-Intensität des deutschen Stroms im vergangenen Jahr 381 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde. In Schweden und Frankreich waren es dagegen nur 41 bzw. 56 Gramm.

    Spüren wird die Industrie Deutschlands Rückstand spätestens 2028. Dann müssen Elektrofahrzeugbatterien nach der neuen Batterieverordnung Höchstwerte für Kohlendioxid-Emissionen einhalten, die bei der Produktion entstehen. Die delegierte Verordnung, an der die Kommission arbeitet, soll die Methode für die Messung des CO₂-Fußabdrucks regeln. In ihrem Brief an Habeck kritisieren die Verbände den Entwurf: “In der vorgeschlagenen Methodik werden Stromabnahmeverträge (PPA) und Stromzertifikate für erneuerbare Energie (HKN) nicht mehr als zulässig anerkannt.”

    Nach Darstellung der Verbände könnte der Batterie-Rechtsakt zur Blaupause für andere Industriegüter werden – mit massiven Folgen: “Dies ist eine denkbar schlechte Nachricht für den Klimaschutz und auch für die Reputation deutscher Unternehmen in Öffentlichkeit, bei Ratings und Investoren. Außerdem verringert es die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort.”

    Die EU-Batterieverordnung ist im August 2023 in Kraft getreten und – nach einer sechsmonatigen Übergangsfrist – seit Februar in den EU-Mitgliedstaaten gültig. Sie ersetzt die vormalige Batterierichtlinie und soll eine Blaupause für weitere Produktregularien sein: Die Verordnung etabliert Standards für ein nachhaltigeres Design von Batterien, soll den Stoffkreislauf ankurbeln und die Batterie- und Recyclingindustrie stärken. Batterien sind das erste Produkt in der EU, für das ein verbindlicher CO₂-Fußabdruck gilt.

    Nur nationaler Strommix soll zählen

    Berücksichtigen wolle die Kommission in dem nachfolgenden Rechtsakt nach Darstellung der Verbände ausschließlich die CO₂-Intensität des nationalen Elektrizitätsnetzes eines Herstellungslandes – mit der Ausnahme von direkt an Fabriken angeschlossenen Erzeugungsanlagen erneuerbarer Energie, heißt es in dem Brief weiter. “Letzteres ist aufgrund von Standorteignung, Genehmigungsverfahren, Zuverlässigkeit der konstanten Stromversorgung und Platzbedarf für die meisten Standorte weltweit keine Option.”

    Vom CO₂-Fußabdruck einer Batterie für E-Autos entfällt der größte Anteil auf die Zellproduktion. Die Lieferketten bei Batterien für E-Autos sind global, weltweit ist der Bau einer Vielzahl von Zellfabriken geplant. Deutschland ist ein wichtiger Markt für die Zellherstellung in Europa. Viele Zellfabriken sind in Planung oder werden gerade gebaut, oft in Kooperation oder auch in Regie der Hersteller von E-Autos. Laut Battery News mit Daten aus dem Mai ist in Deutschland bis 2030 der Aufbau von Kapazitäten in Höhe von 353 GWh geplant.

    So hat Tesla am Standort Grünheide den Bau einer Fabrik mit einer Kapazität von 100 GWh angekündigt. Northvolt will in Heide eine Fabrik mit der Leistung von 60 GWh bauen. Die Befürchtung ist, dass der Rechtsakt für die Berechnung des CO₂-Fußabdrucks bereits getroffene Investitionsentscheidungen infrage stellt und künftige Ansiedlungen erschwert oder unmöglich macht.

    Zusätzlichkeit des grünen Stroms ist entscheidend

    Die von den Verbänden propagierten Instrumente haben allerdings ähnliche Probleme wie die von ihnen kritisierten – und noch weitere. Herkunftsnachweise (HKN) sind zwar ein etabliertes Instrument, um die Grünstromeigenschaft nachzuweisen. Die Industrie würde damit aber nach dem Prinzip “linke Tasche, rechte Tasche” wirtschaften. Was einzelne Unternehmen an grünem Strom einkaufen, würde anderen Stromverbrauchern fehlen – national oder gar europäisch betrachtet wäre es ein Nullsummenspiel. “Herkunftsnachweise sind nicht geeignet, um die Zusätzlichkeit von grünem Strom nachzuweisen”, sagt Mathilde Crêpy von der Brüsseler NGO Ecos.

    Für die Elektrolyse von grünem Wasserstoff hat die Kommission deshalb bereits einen delegierten Rechtsakt verabschiedet, mit dem Erzeuger nachweisen sollen, dass der Strom aus zusätzlichen – also eigens für ihre Produktion neu gebauten – Strom- und Windparks kommt. Gegen die komplizierten Regeln war die Wirtschaft Sturm gelaufen.

    BASF investiert bereits in PPAs

    Wenn die Kommission nun auf den nationalen Strommix oder direkt angeschlossene Grünstromparks abstellt, vereinfacht sie den Nachweis eigentlich. Dahinter steckt aber offenkundig auch eine Disziplinarmaßnahme, damit jeder EU-Staat möglichst schnell erneuerbare Energien im eigenen Land ausbaut. Nach Ansicht der NGO T&E hat die Anrechnung des nationalen Strommixes außerdem den Vorteil, das die Methode international leicht vergleichbar und vor allem überprüfbar ist. “Gerade bei der Verwendung von Herkunftsnachweisen müsste man bei der weltweiten Durchsetzbarkeit dagegen ein großes Fragezeichen machen”, sagt Alex Keynes von T&E.

    Aus Sicht des Binnenmarktes ist der zweite Vorschlag der Verbände zunächst einleuchtend. Die Unternehmen wollen zum Beispiel mit Offshore-Windparks langfristige Direktabnahmeverträge abschließen. Allerdings sind solche PPAs bislang vor allem eine Domäne für Großkonzerne – und vermeintlich eine Methode, um sich vor anderen Energieverbrauchern günstigen Ökostrom zu sichern. BASF hat bereits Verträge für Energieprojekte in mehreren EU-Ländern geschlossen.

    Allerdings müssten auch die PPAs mit zusätzlichen Anlagen abgeschlossen werden. Nach Ansicht von Ecos und T&E sollten sie der gleichen strengen Methodik folgen wie im Rechtsakt für Wasserstoff – was sicher nicht im Sinne der Industrie wäre. Eine weitere Hürde für den PPA-Vorschlag der Verbände ist aber das bislang schwach ausgebaute europäische Stromnetz.

    Globale Investitionen in Batterien gehen zurück

    Denn ist die Batterie eines deutschen Herstellers wirklich grün, wenn der Strom aus seinem günstigen spanischen Windpark gar nicht in der deutschen Fabrik ankommt? Der stockende Netzausbau würde die Verfügbarkeit von günstigem grünem Strom also für viele Jahre einschränken.

    Trösten können sich die deutschen Hersteller noch damit, dass die CO₂-Regeln aus der Batterieverordnung auch für importierte Batterien gelten werden. Noch ist der Strom etwa in China mit spezifischen Emissionen von 582 Gramm dreckiger als in Europa. Obwohl China sich bereits eine starke Position erarbeitet hat, konsolidiert sich der Batteriemarkt dort gerade.

    Nach einer aktuellen Analyse von Rystad werden deshalb die globalen Investitionen in neue Batteriefertigungskapazitäten in diesem Jahr wohl zum ersten Mal seit 2020 sinken. Bis 2030 wird der weltweite Bedarf an Batterien laut Prognosen des Weltwirtschaftsforums aber um das 19-fache des Bedarfs im Jahr 2019 steigen. Der Großteil davon entfällt auf die Automobilindustrie.

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    News

    IPCC: Erste Details zum 7. Sachstandsbericht festgelegt

    Der Weltklimarat IPCC hat bei seiner 61. Sitzung den Rahmen (“Scoping”) für wichtige Teile seines nächsten Sachstandsberichts (AR7) beschlossen: Bei einem einwöchigen Treffen in Sofia legten Ende vergangener Woche die 230 Delegierten aus 114 Staaten die Details für den Sonderbericht zu “Städten im Klimawandel” und zum “Methodenbericht über kurzlebige Treiber des Klimawandels” fest. Allerdings konnten sich die Delegierten bisher nicht auf einen Zeitpunkt einigen, wann der AR7 im Jahr 2028 veröffentlicht werden soll – also ob er noch rechtzeitig herauskommt, um das 2. Global Stocktake bei der COP32 mit Informationen zu versorgen. Das soll auf den nächsten Treffen passieren.

    Der Sonderbericht zu Städten soll “Trends, Herausforderungen und Chancen” – sowohl die Risiken als auch Veränderungschancen – in urbanen Gebieten untersuchen. Er soll bis März 2027 klären, welche Lösungen aus Städten und Regionen kommen könnten.

    Der Methodenbericht zu kurzlebigen Treibern des Klimawandels soll im Juli 2027 vorliegen. Er soll die Richtlinien festlegen, nach denen Elemente wie Stickoxide, Kohlenmonoxid oder Wasserstoff als direkte oder indirekte Treiber in den nationalen Inventarien dokumentiert werden. Vor allem die Erkenntnisse zu Wasserstoff könnten im globalen Wettrennen nach grünem Wasserstoff wichtig werden. Der Auswahlprozess für die Autorinnen und Autoren der beiden Berichte beginnt in dieser Woche.

    NGO-Kritik an Scoping zu CCS-Methoden

    Eine andere Frage des “Scopings” verursacht derzeit Unruhe unter vielen Klimaschutzgruppen. Für einen bereits beschlossenen Methodenbericht zu den umstrittenen Techniken von CCS, CCUS und CDR hatte das IPCC-Büro ebenfalls Vorbereitungen angekündigt und nach Autoren gesucht. In einem offenen Brief äußern nun etwa 80 Gruppen – darunter das Climate Action Network und die Deutsche Umwelthilfe – ihre Sorge, der Methodenbericht werde “dazu dienen, existierende Narrative zu verstärken, die die Notwendigkeit betreffen, sich auf massive Umfänge von CDR zu stützen, um durch die Klimakrise zu kommen”.

    Die Gruppen, die CCS, CCUS und CDR kritisch sehen, fordern vom IPCC, der Bericht solle auch die Grenzen und Schwierigkeiten der Techniken problematisieren, neben technischer auch soziale und indigene Expertise zulassen und die planetaren Grenzen berücksichtigen.

    Aus der Wissenschaft wurde wiederum darauf hingewiesen, dass diese Vorstellungen weit über einen “Scoping”-Bericht hinausgehen, der die Methoden festlegt, nach der bestimmte Rechnungen in die nationalen Inventare aufgenommen werden sollen. Es gehe nur darum, die bereits seit 2006 bestehenden Regeln zu überarbeiten. bpo

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    Strommarkt: BMWK will Netzentgelte reformieren

    Mit einer Änderung des EU-Rechts für Netzentgelte will das Bundeswirtschaftsministerium die Flexibilität im Stromsystem erhöhen. Das geht aus dem Optionspapier “Strommarktdesign der Zukunft” hervor, das das BMWK am Freitag vorgestellt hat. Im Kapitel zu nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen schreibt das Ministerium zum “Aktionsbereich neue Netzentgeltstruktur”: “EU-Rahmen für Netzentgelte reformieren und fit für Anforderungen des zukünftigen Stromsystems machen.”

    Mit dem Papier konsultiert das Wirtschaftsministerium verschiedene Möglichkeiten für die zukünftige Vergütung erneuerbarer Energien, Kapazitätsmechanismen und eine Flexibilisierung des Strommarkts, um fluktuierende erneuerbare Energien besser ins Stromsystem zu integrieren. Neben diesen nationalen Reformen sammelt das BMWK aber auch bereits Vorschläge für eine Reform des europäischen Strommarkts. Die nun vorgeschlagene Reform der Netzentgelte bezieht sich offenbar auf Artikel 18 der EU-Strommarktverordnung.

    Zu den europäischen Leitplanken zählen laut dem Papier, “dass Netzentgelte kostenorientiert sein müssen und diskriminierungsfrei zu erheben sind. Die Tarifierung muss zudem transparent sein und Anreize für eine effiziente Netznutzung schaffen. Mit Blick auf das klimaneutrale Stromsystem wird es in Europa darum gehen müssen, diese Prinzipien zu spezifizieren und den Rahmen gegebenenfalls auch auf flexibilitätsfördernde Regelungen umzustellen.” Außerdem solle die Komplexität der Regulierung reduziert werden. Seine Vorschläge will das BMWK in einer “Flexibilitäts-Agenda” zusammenfassen. ber

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    Neue Infoseite: Wie helfen fleischarme Ernährung, CCS oder Kernkraft dem Klima?

    Den aktuellen Forschungsstand zu Lösungen für die Klimakrise möglichst fundiert, kompakt und verständlich abbilden: Das ist das Ziel einer neuen Rubrik der Plattform klimafakten.de. Unter dem Titel “Was nützt?” versammelt die Redaktion dort Texte zu häufig debattierten politischen Instrumenten und Verhaltensweisen wie zum Beispiel CCS, einer fleischarmen Ernährung, der Kernfusion oder der Frage, ob der wachsende Bedarf an kritischen Rohstoffen und Energie für E-Autos, Wind- und Solaranlagen deren Vorteile für das Klima zunichtemache.

    In vielen Bereichen habe die Wissenschaft “bereits ziemlich klare Antworten dazu erarbeitet, wie man Wirtschaft und Gesellschaft dekarbonisieren könnte”, schreibt die Redaktion dazu. Doch davon komme zu wenig in der Öffentlichkeit an. Zugleich habe sich die Art der Desinformation verändert. Die menschengemachte Erderhitzung werde kaum noch geleugnet. Massiv zugenommen hätten hingegen “Botschaften, die gezielt Zweifel an der Lösbarkeit der Klimakrise säen, Verantwortung ablenken oder die Wirksamkeit bestimmter Technologien bestreiten”. Dem will klimafakten.de mit einer besseren Kommunikation von gesicherten Forschungsergebnissen entgegenwirken.

    Die Texte in der neuen Rubrik stützen sich auf möglichst verlässliche wissenschaftliche Quellen. An erster Stelle werden IPCC-Berichte ausgewertet, dann folgen Metastudien und die Syntheseberichte großer Forschungsverbünde wie etwa Ariadne. “Unsere Hoffnung ist: Wenn faktische Fragen bei kontrovers diskutierten Klimaschutzoptionen geklärt sind, […] können gesellschaftliche und politische Debatten fokussierter und konstruktiver geführt werden”, schreibt die Redaktion. Bislang sind bei “Was nützt?” sieben Texte online. In den kommenden drei Jahren soll monatlich ein Artikel hinzukommen, etwa über das Tempolimit, Direct Air Capture (DAC) und Moorschutz. Finanziell gefördert wird das neue Angebot durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung. ae

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    Energieberatungen: Deshalb senkt das BMWK jetzt die Förderungen

    Zum 7. August senkt das BMWK die Fördersätze von Energieberatungsprogrammen in Wohngebäuden von bisher 80 Prozent auf 50 Prozent des förderfähigen Beratungshonorars. Zudem soll der maximale Zuschuss pro Beratung um 50 Prozent verringert werden, teilte das Ministerium am Montag mit. Für Ein- und Zweifamilienhäuser liegt er damit künftig bei maximal 650 Euro. Grund für die Reduzierung ist die hohe Nachfrage: In Wohngebäuden gab es in der ersten Jahreshälfte 2024 mit 80.000 Anträgen einen neuen Höchststand für Energieberatungen; 2019 hatte es nur rund 10.000 Anträge gegeben.

    Die Kürzungen gelten demnach für die Förderprogramme Energieberatung für Wohngebäude (EBW) und Nichtwohngebäude, Anlagen und Systeme (EBN). Sie zielen auf Energieeffizienz und die Abkehr von fossilen Brennstoffen bei der energetischen Sanierung von Gebäuden ab. Unverändert bleibe dem BMWK zufolge hingegen der Bonus für einen individuellen Sanierungsfahrplan (iSFP-Bonus) und die höheren förderfähigen Ausgaben für Effizienzmaßnahmen in der Bundesförderung für effiziente Gebäude-Einzelmaßnahmen – also etwa die Gebäudehülle oder Fenster. lb

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    Neue Studie: So stark erhöhen Waldschäden den CO₂-Ausstoß im südlichen Amazonas

    Der südliche Amazonas-Regenwald stößt durch Waldschädigungen mittlerweile deutlich mehr CO₂ aus, als er aufnimmt. Das zeigt eine Auswertung von detaillierten Luftaufnahmen im Fachmagazin PNAS in den brasilianischen Bundesstaaten Rondônia, Mato Grosso und Pará zwischen 2016 und 2018. Insgesamt entdeckte das Team rund um Ovidiu Csillik vom California Institute of Technology Waldschäden auf 21,6 Prozent der untersuchten Fläche, die 544.300 Quadratkilometer einnimmt (8,2 Prozent des Amazonas-Gebiets). Davon entfielen:

    • 0,7 Prozent auf Holzfällung,
    • 0,7 Prozent auf Kultivierungen für die Landwirtschaft,
    • 2,8 Prozent auf Feuer, die großteils von Menschen entzündet wurden,
    • 14,7 Prozent auf kleinere natürliche und menschengemachte Störungen – darunter 2,7 Prozent auf Sturmschäden.

    Waldwachstum reicht nicht zum Ausgleich

    Auf 62,1 Prozent der Fläche zeigte sich hingegen keine Änderung zwischen den beiden Aufnahmen, die im Abstand von einem bis eineinhalb Jahren mit dem Flugzeug durchgeführt wurden. Auf 16,3 Prozent der Fläche stellten die Forschenden darüber hinaus ein deutlich erkennbares Waldwachstum fest.

    Dieses Waldwachstum bindet zwar 44,1 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich, reicht jedoch nicht, um die 134,6 Millionen Tonnen CO₂ der geschädigten Flächen auszugleichen. Das ergibt auf der untersuchten Fläche zwischen 2016 und 2018 in der Bilanz Emissionen von jährlich 90,5 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Nicht berücksichtigt wurde dabei die Kohlenstoffbilanz des Bodens. Allerdings belegen weitere Studien – etwa 2021 in Nature mit Berücksichtigung des Bodens -, dass Teile des Amazonas-Regenwalds zunehmend CO₂ emittieren. Immer öfter wird auch vor einem nahenden Kipppunkt gewarnt, zuletzt etwa in einer Nature-Studie im Februar dieses Jahres. dpa/lb

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    Standpunkt

    Wer Dekarbonisierung will, muss Netzdienlichkeit und Versorgungssicherheit mitdenken

    Andreas Reichel ist CEO und Arbeitsdirektor der STEAG und Iqony

    Aktuell plant die Bundesregierung nach den von ihr selbst verlautbarten Aussagen fünf Gigawatt (GW) perspektivisch wasserstofffähige Kraftwerke und fünf GW Gaskraftwerke, für die keine zeitlichen Vorgaben zur Umstellung auf Wasserstoff fixiert sind, auszuschreiben. Weitere zwei Gigawatt Kraftwerksleistung sollen durch Modernisierung bzw. Umrüstung im bestehenden Kraftwerkspark hinzukommen und 500 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung stehen für ein Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerk bereit, das per Definition sofort und vollständig mit Wasserstoff betrieben werden kann. Ergänzend will die Bundesregierung auch 500 MW Leistung Strom-Langzeitspeicher ausloben.

    So weit die Rahmenbedingungen. Zu begrüßen ist die klare Festlegung des Bundeswirtschaftsministeriums, die entsprechenden Ausschreibungen aller Säulen jetzt schnell auf den Weg zu bringen. Nur wenn dies tatsächlich geschieht, lässt sich der ursprüngliche Zeitplan, die neuen Kraftwerke bis Anfang des kommenden Jahrzehnts in Betrieb zu nehmen, noch einhalten.

    Doch neben der Geschwindigkeit kommt es für die Unternehmen, die über eine Teilnahme an den Ausschreibungen nachdenken, auch auf deren konkrete inhaltliche Ausgestaltung an. Dabei geben die bisher bekanntgewordenen Informationen zu den zu erwartenden Rahmenbedingungen durchaus Grund für Optimismus: So soll neben dem Hauptanliegen, Fortschritte bei der Dekarbonisierung zu erzielen, auch der Aspekt der Versorgungssicherheit und damit konkret verbunden auch das Kriterium der Netzdienlichkeit in Form von Redispatch-Kosteneinsparungen und Netzstabilität berücksichtigt werden.

    Die Festlegung, dass sämtliche der Kraftwerke – egal, im Rahmen welcher der oben beschriebenen Säulen sie gebaut werden, – “überwiegend im netztechnischen Süden” (der übrigens ziemlich weit in den Norden Deutschlands reicht), entstehen sollen, macht deutlich: Berlin hat verstanden, dass Dekarbonisierung und nachhaltige Versorgungssicherheit nur Hand in Hand gelingen und nicht unabhängig betrachtet werden können.

    Warum das so ist, lässt sich anhand eines Beispiels aus dem eigenen Haus gut illustrieren: Die Steag-Gruppe plant an drei ihrer Standorte im Saarland und in NRW den Bau genau solcher neuer Kraftwerke, die erst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden können. An diesen Standorten gibt es heute Anlagen, die mit Steinkohle befeuert werden und durchweg durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) als systemrelevant eingestuft sind. Dass diese Bestandsanlagen, wenn sie nicht durch Neubauten ersetzt oder umgerüstet werden, die Funktion der “Stromnetz-Feuerwehr” bis über das Jahr 2030 hinaus noch mit Steinkohle werden erfüllen müssen, war bisher nur ein Expertenthema.

    Als Unternehmen sind wir schon seit Jahren gewillt, diese Anlagen endgültig stillzulegen, doch die Erfordernisse von Versorgungssicherheit und Netzstabilität machen uns hier einen Strich durch die Rechnung: Ohne neue Kraftwerksleistung an gleicher Stelle besteht weder regulatorisch noch physikalisch eine realistische Chance, aus der Systemrelevanz entlassen werden zu können – die Anlagen müssten folglich bis auf Weiteres in Betriebsbereitschaft gehalten werden. Das wiederum stellt uns angesichts des Alters der Anlagen vor immer größere technische und die Netzbetreiber sowie letztlich die Privatkundinnen und -kunden vor immer größere finanzielle Herausforderungen.

    Wenn aber stetig alternde Steinkohleanlagen mangels Alternative auf unabsehbare Zeit für einige Hundert Betriebsstunden pro Jahr einspringen müssen, dann mag man mit Blick auf das damit verbundene Verbot einer Marktteilnahme von einem teilweisen Kohleausstieg sprechen. Mit Blick auf die Klimabilanz kann man das aber gewiss nicht. Die Aufgaben der Altanlagen auf die Kraftwerke der nächsten Generation zu übertragen – inklusive des qualifizierten Bedienpersonals – macht also in jeder Hinsicht Sinn.

    Ähnliches ließe sich mit Blick auf die auszuschreibenden zwei Gigawatt umzurüstender Kraftwerksleistung sagen: Hier wäre es sehr sinnvoll, jene “jungen” Steinkohlekraftwerke im Sinne des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) mit in den Blick zu nehmen, für die das besagte Gesetz ohnehin eine Einzelfalllösung für eine Stilllegung gegen Entschädigung in Aussicht gestellt hat. Und mit Blick auf die CO2-Bilanz würde die Umrüstung dieser Anlagen auf Erdgas und perspektivisch Wasserstoff einen echten Quantensprung bedeuten.

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