Table.Briefing: Climate

Bali: 20 Milliarden für Kohle-Aus + Atomkraft kein Klimaschützer + Türkei gönnt sich mehr CO2

  • Indonesien: 20 Milliarden Dollar für Kohlenausstieg
  • Experte: Atomkraft spielt keine Rolle beim Klimaschutz
  • Studie: Fake News zum Klima erfolgreich
  • Studie: Unternehmen greenwashen Netto-Null-Ziele
  • Deutschland investiert 550 Millionen in grünen Wasserstoff
  • Neuer Klimaplan: Türkei erlaubt sich mehr Emissionen
  • Timmermans enttäuscht Hoffnung auf neues NDC
  • Arshak Makichyan: Russlands Krieg gehört auf die COP
  • Portrait: Siti Nurbaya Bakar – Energiewende-Ministerin in Indonesien
Liebe Leserin, lieber Leser,

raus aus der Kohle – das ist das Ziel eines 20-Milliarden-Deals, den Indonesien mit Partnerländern aus dem Globalen Norden abgeschlossen hat. Das Projekt konzentriert sich auf die Kohle, blendet aber die Waldzerstörung im Land aus, die viel größeren Klimaschaden anrichtet. Doch die Partnerschaft könnte erfolgreich die “Just Energy Transition Partnerships” (JETP) fortsetzen, die mit Südafrika begonnen wurden. Ob allerdings viele Länder aus dem Globalen Süden mitmachen, ist nicht sicher, berichtet Bernhard Pötter.

Wieder rein in die Kernkraft – das ist noch immer der Traum einiger Politiker und Lobbyisten in Deutschland. Ob Laufzeitverlängerung, Mini-AKWs oder gar Kernfusion – seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es in Deutschland einige teils absurde Vorschläge. Mycle Schneider erläutert im Interview, warum die Kernkraft weltweit keinen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten wird. Kurz: AKWs sind schlicht zu teuer, ihr Bau dauert zu lange und Mini-AKWs sind nur “Power-Point-Reaktoren”, so der Experte.

Auf der COP geht es langsam in die Vollen. Die Präsidentschaft hat am Dienstag einen ersten Entwurf für die Abschlusserklärung vorgestellt. Und manche Verhandler sagen, sie hätten noch nie so ein schlechtes Gefühl gehabt. Besonders interessant: Indiens Vorschlag zum Runterfahren aller fossilen Energieträger findet sich nicht in dem Entwurf. Betont wird die Dringlichkeit der Energiewende, trotz der derzeitigen Energiekrise. Derweil haben die G77 und China einen Vorschlag für einen Loss and Damage-Fonds gemacht, dessen Details allerdings erst 2023 geklärt werden sollen.

Wir bleiben dran und wünschen eine spannende Lektüre!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Indonesien: 20 Milliarden der G7 für Kohleausstieg

Indonesien will aus der Kohle aussteigen – die Exporte betrifft das nicht

Die internationale Energiewende hat ein neues Riesenprojekt: Mit Milliardenhilfen aus den G7-Staaten will Indonesien bis 2050 seinen Strom ohne Kohle erzeugen. Am Dienstag schloss der indonesische Präsident Joko Widodo mit Vertretern der “International Partners Group” (IPG) eine “Just Energy Transition Partnership” über 20 Milliarden Dollar. Mit ihr soll das Land aus der Kohle aus- und in Erneuerbare Energien einsteigen.

Die Einigung wurde auf dem G20-Gipfel in Bali verkündet. Sie ist Teil einer Strategie, eine gerechte Energiewende in entscheidenden Ländern des globalen Südens mit Kapital aus dem Norden zu finanzieren. Die IPG besteht aus USA, Kanada, Japan, Großbritannien, der EU, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Deutschland und Italien.

Emissions-Peak 2030, Netto Null 2050

Die Partnerschaft sieht vor, dass Indonesien unter anderem:

  • bis 2030 den Höchststand bei seinen CO2-Emissionen aus dem Stromsektor erreicht. Sie sollen dann bei 290 Millionen Tonnen CO2 liegen. Das wäre sieben Jahre früher als geplant und mit einem Peak deutlich unter den bisher geplanten 357 Millionen Tonnen
  • bis 2050 bei Netto-Null-Ausstoß im Stromsektor ist
  • den Gesamt-Energiebedarf bis 2030 zu 34 Prozent aus erneuerbaren Energien deckt, statt wie bisher geplant nur zu 16 Prozent
  • keine neuen Kohlekraftwerke baut

Dafür bekommt das Land über die nächsten “drei bis fünf Jahre” Finanzhilfen in Höhe von 20 Milliarden Dollar, jeweils die Hälfte aus öffentlichen und privaten Quellen. Das Kapital soll aus Krediten und Zuschüssen bestehen. Die IPG-Staaten teilen sich die Kosten. Der deutsche Anteil liege bei “unter einer Milliarde”, hieß es, genaue Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Für die IPG führen die USA und Japan die Verhandlungen mit Indonesien.

Die privaten Mittel sollen von Banken und Investoren aufgebracht werden. Zu dem Kreis gehören etwa die Deutsche Bank, Citi und Bank of America. Die Finanzinstitute sind in der “Glasgow Financial Alliance for Net Zero” (GFANZ) zusammengeschlossen, die sich auf der COP26 gründete.

Indonesiens wirklicher Klimakiller: Waldvernichtung

Für die deutsche Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan zeigt das Projekt, wie Deutschland helfe, “die globale Energiewende zu beschleunigen“. Wie genau Indonesien seinen Kohleausstieg organisiert, bleibt dem Land selbst überlassen. Die Bergbau-Industrie des Landes – Indonesien ist ein großer Kohle-Exporteur – ist von der JETP ebenso ausgenommen wie die größte Quelle von Treibhausgasen in Indonesien: die Waldvernichtung.

Ohnehin ist Indonesien ein Sonderfall: Neben den etwa 620 Millionen Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen verursacht das Land noch einmal knapp 950 Millionen Tonnen CO2-Emissionen durch Entwaldung. Die pro-Kopf-Emissionen aus fossilen Brennstoffen liegen bei etwa 2,2 Tonnen. Rechnet man die Entwaldung ein, sind es etwa 7,2 Tonnen.

Die JETP mit Indonesien folgt dem Beispiel von Südafrika. Mit diesem Land hatte die G7 auf dem Glasgow-Gipfel vereinbart, dass es für eine Hilfe von 8,5 Milliarden Dollar über drei bis fünf Jahre seinen Energiesektor dekarbonisiert. Inzwischen hat das Land einen Plan zum Umstieg erstellt – und auch eine vorläufige Rechnung: Die beläuft sich auf etwa 100 Milliarden Dollar (Climate.Table berichtete).

Energie-Partnerschaften mit Vietnam, Indien und Senegal auf Eis

Weitere JETP sind geplant, kommen aber derzeit nicht richtig voran:

  • Die IPG will Vietnam ein ähnliches Modell zum Kohleausstieg anbieten. Allerdings, heißt es aus G7-Kreisen, gebe es derzeit bei der Regierung noch keine klaren Pläne. Bis Ende des Jahres könnte es so weit sein, hoffen die Geberländer.
  • Auch Indien steht auf der JETP-Liste. Doch auch in Delhi ist die Regierung noch nicht entschieden, wie genau sie mit den Details umgehen will. Es heißt, Premier Modi sei dafür. Allerdings müssen die Staaten für das G7-Geld einen genauen Plan vorlegen, wie der Ausstieg aus der Kohle und der Einstieg in ein erneuerbares Energiesystem aussehen sollen. Das Problem: Anders als in Südafrika, wo der staatliche Energiekonzern Eskom praktisch pleite ist, das Staatsbudget belastet und häufige Blackouts produziert, sind die Kohle-Konzerne in Indien profitabel. An ihnen hängen weitere Jobs und andere Branchen wie die staatliche Eisenbahn. Die Hoffnung der G7: Im nächsten Jahr führt Indien die G20 an. Eine gute Gelegenheit für ein JETP, wie jetzt in Indonesien.
  • Auch der Senegal gehört zu den möglichen JETP-Kandidaten. Doch das Land ist derzeit weit entfernt von einem Fahrplan zu Netto-Null und Zugang zu JETP-Geldern, heißt es aus Verhandlerkreisen. Denn ursprünglich wollte der Senegal die Ausbeutung seiner Gasreserven in den Plan aufnehmen. Ein No-go für die Geberländer, auch wenn Bundeskanzler Scholz dafür deutsche Hilfe angekündigt hat.
  • Indonesien
  • JETP
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  • Kohleausstieg

“Es gibt keine Renaissance der Atomkraft”

Mycle Schneider – Herausgeber des World Nuclear Industry Status Report.

Herr Schneider, in der Klimadebatte hoffen manche Stimmen auf eine Renaissance der Atomkraft und damit auf CO2-armen Strom. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?

Das ist eine faktenfreie Debatte. Denn wenn man von Renaissance spricht, entsteht der Eindruck, es würden überall und zunehmend Atomkraftwerke gebaut. Dafür bräuchte es Indikatoren, die nach oben zeigen. Aber die meisten Indikatoren für die Entwicklung der Atomindustrie zeigen nach unten, das zeigt unser Bericht (World Nuclear Industry Status Report – Anm. der Red.) jedes Jahr wieder.

Es gibt also gar keine Renaissance der Atomkraft?

Der Ausbau der Atomkraft lässt sich so zusammenfassen: China baut zu Hause, Russland baut im Ausland. Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung fällt seit 25 Jahren und lag 2021 erstmals seit 40 Jahren wieder unter zehn Prozent. Vor 20 Jahren waren die meisten Meiler in Betrieb. Seitdem wurden 105 Atomkraftwerke geschlossen und nur 98 in Betrieb genommen, darunter 50 in China. Es gibt als de facto keine Renaissance der Atomkraft, sondern nur eine Renaissance der Rhetorik.

“Jedes achte AKW wird nicht fertig gebaut”

Die Atombehörde IAEA prognostiziert eine Verdopplung der Kapazität bis 2050. Liegt sie falsch?

Wir sind keine Hellseher und machen keine Vorhersagen. Wir schauen, was empirisch belegbar ist. Und die Daten sagen: Allein, um den jetzigen Stand an installierter Kapazität zu halten, müsste sich die Neubaurate verdoppeln. Und das gilt auch nur, wenn alle Projekte ans Netz gehen, aber bisher wurde jedes achte AKW nicht fertig gebaut. Und dann müsste man davon ausgehen, dass alle Kraftwerke bis ans Ende ihrer Genehmigungszeiten laufen, aber die meisten werden aus Sicherheits- oder Kostengründen viel früher abgeschaltet.

Also ist eine Verdopplung der Neubaurate unrealistisch?

Aus den gegenwärtigen Trends ist schlicht nicht ablesbar, dass eine solche Verdoppelung der Kapazität möglich wäre. Man muss auch sagen: Die Industrie hat in der Vergangenheit viel angekündigt, das sich dann nicht realisiert hat. Der weltweit größte AKW-Betreiber, der französische Stromkonzern EDF, hat 2008 ein Szenario vorgestellt, das bis 2020 weltweit einen Nettozubau von 110 Gigawatt Atomkapazität vorhersagte. Was ist real passiert? 2020 war weniger Kapazität in Betrieb als 2008.

“Man bräuchte Jahrzehnte für nennenswerten Klimaeffekt”

Trotzdem setzen manche Klimaexperten auf die Atomtechnik.

Wir reden ja von Klimanotstand, da ist der Zeitdruck schon im Begriff enthalten. Also müssen wir bestrebt sein, für jeden investierten Euro und jeden Dollar so viel Treibhausgasemissionen, so schnell wie möglich zu vermeiden. Selbst wenn man die im Vergleich zu erneuerbaren Energien vielfachen Kosten für die Atomtechnik tragen wollte, dann führt der Zeitfaktor das als Klimastrategie ad absurdum. Man bräuchte Jahrzehnte, um AKW-Parks zu bauen, die einen nennenswerten Effekt auf die CO₂-Emissionen haben könnten.

Aber auch der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass sich die Kapazität der Atomkraft bis 2050 verdoppelt. Liegen die Experten falsch?

Der IPCC macht keine Vorhersagen, sondern erstellt Szenarien. Der Unterschied ist entscheidend. Kristallkugelaussagen sind irreführend. Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute und morgen tun. Szenarien versuchen darzustellen, welche unterschiedlichen Ergebnisse wir mit unterschiedlichen Handlungsoptionen erreichen können. Unter 23 Aktionen zur Emissionsminderung, die der IPCC anhand eines Kriterienkatalogs bewertet hat, kommt das Atom am schlechtesten weg. In der Hälfte der insgesamt 90 IPCC-Szenarien, die das 1,5 °C-Ziel einhalten, sinkt der Anteil der Atomkraft am Energiemix, bei manchen geht sogar die Anzahl der AKWs zurück. Die am besten benoteten Aktionen bleiben Investitionen in Energiesuffizienz, Effizienz und Erneuerbare.

Kleine Reaktoren – Konzeptstudien helfen nicht gegen Klimawandel

Trotzdem setzen viele ihre Hoffnung auf kleinere Einheiten: Small Modular Reactors (SMRs). Wären sie eine Lösung?

Das sind bisher überwiegend Konzeptstudien, Power-Point-Reaktoren. Davon gibt es sehr viele auf dem Papier, aber außer jeweils zwei Anlagen in Russland und China wurde bisher nichts gebaut. In den westlichen Industrieländern gibt es keine Prototypen, keine Baugenehmigung und nur eine allgemeine, vorläufige Design-Zertifizierung in den USA. Und dieses Modell wird immer größer – was kein Zufall ist, denn das Streben nach dem Skaleneffekt für die Verbesserung der fraglichen Wirtschaftlichkeit durchläuft die ganze Geschichte der Atomkraft. Es ist kurios, wie die SMRs kommuniziert werden: Sie seien billiger, weil kleiner. Natürlich sind die Investitionen niedriger, weil sie auch weniger Leistung bieten, aber pro Megawatt sind sie viel teurer als die großen Meiler, eben weil sie den Skaleneffekt verlieren.

Warum wird dann die Atomkraft immer wieder ins Spiel gebracht?

Die Länder stehen unter großem Druck, eine Klimastrategie zu entwickeln. Und wenn eine Regierung wie etwa in Großbritannien nie einen Plan B jenseits der Atomkraft entwickelt hat, ist das sehr schwierig. Doch Regierungen bauen keine AKWs. Deshalb werden aus privatwirtschaftlichen Interessen auch dort Erneuerbare, etwa Offshore-Wind viel schneller ausgebaut, als das bei den Atomprojekten überhaupt möglich ist. In der Zwischenzeit macht Schottland es vor und ist schon bei nahezu 100 Prozent Erneuerbaren im Strommix.

Frage der Atom-Sicherheit wird ausgeklammert

Wundert es Sie, dass bei diesen Debatten die Frage der nuklearen Sicherheit ausgeklammert wird?

Es gab einen Generationsbruch in der Technikkultur. Das Bewusstsein für die komplexen Probleme der Atomkraft ist bei der jüngeren Generation verschwunden. Eine Handvoll sehr effizienter Atompropagandisten tut das ihre, um Verwirrung zu stiften. Vor allem aber geht es wohl darum, was der Physiker M.V. Ramana mit seinem Buchtitel zum indischen Atomprogramm “The Power of Promise” meinte: Die Macht des Versprechens ist sehr verführerisch. Atom löst die Klimakrise und alle anderen Energieprobleme nebenbei- das klingt doch toll.

Mycle Schneider ist internationaler Energie- und Atompolitikanalyst und lebt vorwiegend in Paris. Er ist Koordinator und Herausgeber des jährlichen, renommierten World Nuclear Industry Status Report (WNISR). Für seine Arbeit wurde er 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

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  • Nobelpreis
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News

Studie: Falschinformationen über Klimawandel weit verbreitet

Falschinformationen über den Klimawandel sind weltweit weit verbreitet und “schwächen das öffentliche Mandat für Klimaverhandlungen“. Das geht aus einer neuen Studie der Organisationen Climate Action Against Disinformation und Conscious Advertising Network hervor. Zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den wissenschaftlichen Fakten bestehe demnach eine “große Kluft”. Selbst bei so grundlegenden Fragen, wie ob der Klimawandel existiert und hauptsächlich von Menschen verursacht wird, bestehen große Wissenslücken in der Öffentlichkeit.

Die Studie basiert auf Umfragen, die in Australien, Brasilien, Indien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA durchgeführt wurden. Sie kommt zu dem Ergebnis:

  • Zwischen sechs und 23 Prozent der Bevölkerung der behandelten Länder, glaubt nicht an den Klimawandel oder sind sich nicht sicher, ob der Klimawandel stattfindet.
  • 34 Prozent der Australier, 40 Prozent der Brasilianer, 25 Prozent der Deutschen, 57 Prozent der Inder, 39 Prozent der US-Bürger und 14 Prozent der Briten glauben, dass Gas eine klimafreundliche Energiequelle ist.
  • Ein Viertel oder mehr der Befragten in jedem der sechs Ländern glauben, dass ihr Land es sich “nicht leisten kann, das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen”.
  • 28 Prozent der befragten Deutschen glauben, dass Klimaschutzmaßnahmen sie negativ beeinflussen, beispielsweise durch Änderungen ihres Lebensstils oder steigende Preise.

Die beiden Organisationen haben einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die COP27-Delegierten auffordern, einen Aktionsplan gegen Klima-Desinformation zu entwickeln. nib

  • Desinformation
  • Fossile Brennstoffe
  • Klimawandel

Studie: Unternehmen halten sich nicht an Greenwashing-Regeln

Viele Unternehmen halten sich nicht an Mindeststandards, um Greenwashing zu vermeiden. Die Hälfte der Unternehmen, die sich Netto-Null-Ziele gesetzt haben, haben noch keine “soliden Pläne” zur Erreichung dieses Ziels veröffentlicht. Und drei von fünf der größten börsennotierten Unternehmen weltweit haben noch gar kein Netto-Null-Ziel festgelegt. Das zeigen neue Zahlen des Net Zero Trackers, die am Dienstag auf der COP27 vorgestellt wurden.

Die Erhebung zeigt:

  • Netto-Null-Verpflichtungen haben 799 der 2000 untersuchten, börsennotierten Unternehmen, 241 von 1.177 untersuchten Städten und 116 von 713 untersuchten Regionen veröffentlicht.
  • nur etwa die Hälfte der Unternehmen mit Netto-Null-Ziel haben sich auch Zwischenziele gesetzt.
  • Nur eine Minderheit der Unternehmen bezieht den gesamten Umfang ihrer Emissionen (Scope 1-3) in ihre Netto-Null-Ziele ein.
  • Ein Großteil der Unternehmen, Städte und Regionen haben nicht erläutert, ob sie CO₂-Kompensationen nutzen wollen. Nur ein Prozent der Unternehmen und Regionen und zwei Prozent der Städte haben die Nutzung von CO₂-Kompensationen ausgeschlossen.
  • Die Hälfte aller Städte mit Netto-Null-Zielen veröffentlichen keine Informationen über ihre CO₂-Emissionen und den Fortschritt bezüglich des Netto-Null-Ziels. Über 75 Prozent der Unternehmen veröffentlichen Berichte darüber.

Der Großteil der Netto-Null-Verpflichtungen von Unternehmen, Städten und Regionen erfüllt dementsprechend kaum die Mindestanforderungen, um Greenwashing zu vermeiden. Während der ersten COP-Woche hatte ein UN-Expertengremium zu Greenwashing Mindeststandards (Climate.Table berichtete) veröffentlicht, um Greenwashing zu vermeiden. Darunter fallen beispielsweise der vorsichtige Umgang mit CO₂-Kompensationen, das Setzen von Zwischenzielen, die sofortige Reduktion von CO₂-Emissionen und die Veröffentlichung von Informationen. nib

  • CO2-Kompensationen
  • Greenwashing
  • Net Zero Tracker
  • Wirtschaft

Deutschland gibt 550 Millionen Euro für grünen Wasserstoff

Grüner Wasserstoff gilt als eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien für die globale Klimawende – Deutschland will nun den Aufbau einer weltweiten grünen Wasserstoffwirtschaft mit zwei Fördertöpfen im Umfang von insgesamt 550 Millionen Euro vorantreiben. Bundesentwicklungs- und Bundeswirtschaftsministerium stellten die Initiative auf der COP27 vor.

  • Ein “Power-to-X-Entwicklungsfonds” mit 250 Millionen Euro soll Investitionen in die Produktion und den Einsatz von grünem Wasserstoff in Entwicklungs- und Schwellenländern fördern. Das Geld für den Fonds wird vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) bereitgestellt.
  • Ein “PtX-Wachstumsfonds” in Höhe von 300 Millionen Euro soll den globalen Markthochlauf und den Bau von Infrastruktur für grünen Wasserstoff insgesamt beschleunigen. Er wird vom Wirtschaftsministerium (BMWK) verantwortet.

Mindestens 2,5 Milliarden Euro sollen mobilisiert werden

Durch die staatlichen Mittel sollen private Investitionen in einer wesentlich größeren Höhe ermöglicht werden – unter anderem, weil Investoren staatlich unterstützte Projekte als sicherer einstufen. Insgesamt hofft man, so am Ende insgesamt 2,5 bis fünf Milliarden Euro für eine globale grüne Wasserstoffwirtschaft zu mobilisieren. Die beiden Fonds werden von der KfW verwaltet; die ersten Projekte sollen im kommenden Jahr an den Start gehen.

“Viele Entwicklungsländer haben Wind, haben Sonne, und damit beste Bedingungen für die (Wasserstoff-)Produktion”, sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze. Dennoch bestehe die Gefahr, “dass sie von Wertschöpfungsketten in der Zukunft ausgeschlossen werden”. Bislang gebe es Förderprogramme vor allem in den reichen Ländern. “Das ist etwas, was wir verändern wollen.”

Zuschüsse für Wind und Solar, Elektrolyse und Düngemittelersatz

Aus dem Entwicklungsfonds sollen Zuschüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff finanziert werden, beispielsweise für Investitionen in:

  • die Produktion von erneuerbarer Energie durch Wind- und Solarparks
  • die Wasserstoffherstellung in Elektrolyseanlagen
  • moderne Speicher für grünen Wasserstoff
  • eine Transportinfrastruktur
  • bis hin zum Einsatz von Folgeprodukten in den Partnerländern.

Besonders nachgefragt sei derzeit die Produktion von Düngemitteln aus grünem Ammoniak oder der Einsatz von Wasserstoff in der Industrie, um Erdgas zu ersetzen, sagte Schulze.

Hohes Interesse unter deutschen Unternehmen

Es gebe bei deutschen und europäischen Unternehmen ein “hohes Interesse, in den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu investieren”, sagte Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMWK. Nordafrika und der Nahe Osten böten dafür “ideale Bedingungen”. Der Wachstumsfonds sei für deutsche Unternehmen gedacht, “die sich im Ausland mit Partnern zusammen engagieren. Wir können diese Dinge zusammenbringen, und wir machen sie finanzierbar.” ae

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Neues NDC der Türkei: 34 Prozent mehr Emissionen

Das neue Klimaziel der Türkei für 2030 sieht einen Anstieg der Emissionen um rund 34 Prozent im Vergleich zu 2020 vor. Zwar gab der türkische Umweltminister Murat Kurum am Dienstag auf der COP27 an, das Ziel von bisher minus 21 Prozent auf minus 41 Prozent anzuheben. Allerdings ist die Grundlage dieser Berechnung keine absolute Zahl, sondern das sogenannte Business-as-usual-Niveau (BAU) – eine Berechnung ohne Maßnahmen zur Emissionsminderung.

2020 beliefen sich die Emissionen der Türkei auf 523,9 MtCO₂e (Millionen Tonnen CO2-Äquivalent). Das türkische Umweltministerium prognostiziert bis 2030 einen Anstieg bei einem BAU-Szenario auf 1.175 MtCO₂e. Laut seiner heutigen Ankündigung einer Reihe von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung soll dieser Wert auf 700 MtCO2e sinken. Der Emissionspeak der Türkei soll sogar erst 2038 erreicht werden.

Auf der COP26 im vergangenen Jahr in Glasgow hatten sich alle Länder darauf geeinigt, stärkere Klimaziele festzulegen. Aus Sicht von Cansu Ilhan, Türkei-Expertin beim Climate Action Network Europe (CAN Europe), ist das neue NDC der Türkei nicht mit den Entscheidungen aus Glasgow vereinbar. luk

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Timmermans: “Kein neues Klimaziel”

Die EU wird ihr Klimaziel (NDC) zwar aktualisieren, aber vorerst nicht offiziell erhöhen. Das kündigte der Exekutivpräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Dienstag in Sharm el-Sheikh an. Schon jetzt sei die EU bereit, ihre Emissionen um 57 Prozent zu reduzieren, sagte er im Plenarsaal auf der COP27. Das aktuelle Klimaziel von “mindestens” 55 Prozent weniger CO2-Emissionen im Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 würde damit übererfüllt werden.

Das resultiert jedoch offenbar nicht in einer Erhöhung des offiziellen, bei der UN hinterlegten NDCs. “Wir erhöhen unser Ziel nicht”, sagte Timmermans später in einer Pressekonferenz. Die 57 Prozent spiegelten kein neues Ziel wider, daraus ergebe sich kein neues Ambitionsniveau. “Es ist lediglich die Übersetzung in Zahlen von dem, worauf wir uns geeinigt haben”, so Timmermans. Gemeint ist die Trilog-Einigung von vergangener Woche über ambitioniertere natürliche Treibhausgas-Senkleistung im LULUCF-Sektor.

Auch neues Ziel “nicht 1,5-Grad-konform”

Der Unterschied zwischen “Aktualisierung” des NDCs und “Erhöhung” ist an dieser Stelle entscheidend (Climate.Table berichtete). Eine Erhöhung würde die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordern. Die Gespräche darüber sollen stattfinden, wenn das Fit-for-55-Paket ausverhandelt ist. Eine Aktualisierung würde sich nur im Anhang des NDCs auswirken, in dem erklärt wird, wie die EU ihr Klimaziel erreichen möchte. Die Übererfüllung des 55-Prozent-Ziels könnte dort einfließen.

Timmermans betonte zudem in Sharm el-Sheikh, die EU sei mit ihrem Ziel auf 1,5-Grad-Kurs. Allerdings ist das heftig umstritten, trotz möglicher NDC-Erhöhung. Laut dem Climate Action Network Europe (CAN Europe) sollte der Beitrag bei mindestens 65 Prozent Emissionssenkung liegen. Nicht utopisch, schreibt CAN Europe, und kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel. luk

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Standpunkt

Russlands Krieg gehört auf die Klima-Agenda

Von Arshak Makichyan
“Wir haben ihn nicht gewählt. Ihr entscheidet Euch, ihn zu bezahlen”: Arshak Makichyan protestiert in Berlin.

Die durch Russlands Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise und geopolitische Faktoren erschweren den Kampf gegen die Klimakrise. In ihren Eröffnungserklärungen auf der COP27 verurteilten die Staats- und Regierungschefs zwar Putins Vorgehen und drängten auf ein stärkeres Engagement im Klimaschutz und für saubere Energien. Aber für mich gibt es keinen Zweifel: Putins Abwesenheit vom Gipfel stellt ein erhebliches Hindernis für die Verhandlungen dar. Zugleich verschärft Russlands Krieg mit jedem Tag, den er andauert, die Klimakrise.

Russland sagt, es sei engagiert, aber wofür?

Angesichts der weltweiten Sanktionen weigerte sich Putin, an den Gesprächen auf der COP27 teilzunehmen. Er überließ es dem russischen Klimabeauftragten Ruslan Edelgeriev, zu versichern, dass das Land seinen Klimaverpflichtungen treu bleibe. Aber wenn russische Politiker sagen, dass sie den Verpflichtungen des Landes nachkommen werden, ist unklar, von welchen Verpflichtungen sie sprechen.

Trotz all der Jahre, in denen Russland an Klimaverhandlungen teilgenommen hat, gibt es im Land immer noch keine Klimapolitik. Die offizielle russische Klimastrategie besagt sogar, dass die russischen Emissionen steigen werden. Stattdessen werden sie sehr wahrscheinlich sinken – doch das ist eine direkte Folge der Wirtschaftskrise in Russland und damit eine Folge des Krieges. Mit den Klimaverpflichtungen des Landes hat es nichts zu tun, sondern mit den Folgen der Krise für die russische fossile Energieindustrie.

Wohlverhalten gegen Brennstoffkauf

Gleichzeitig geht es den riesigen Wäldern Russlands immer schlechter. Seit dem Beginn von Putins Krieg werden die Waldbrände immer heftiger, und es wird nur noch schlimmer werden. Es ist eine große Bedrohung für die Russinnen und Russen und die Menschen überall, wenn die Wälder des größten Landes der Welt brennen.

Die offizielle russische Delegation wird bei den Gesprächen jedoch weder darüber noch über eines der vielen Probleme sprechen, die die Menschen zu Hause betreffen. Stattdessen wird sie unverhohlen mit Russlands “angemessenem” Verhalten feilschen und hoffen, dass die Welt weiterhin Diktaturen für fossile Brennstoffe bezahlt. Doch das würde in naher Zukunft zu einer weiteren Katastrophe führen. Die Klimakrise würde Tausende von Menschen töten und Millionen obdachlos machen.

Warum wird der Krieg nicht thematisiert?

Greenpeace Russland ist regelmäßig davon bedroht, verboten zu werden oder von den Behörden als ausländischer Agent eingestuft zu werden. Verfolgt werden die Aktivisten vor allem wegen ihrer Kampagnen gegen Gesetze, die das Ökosystem des Baikalsees bedrohen.

Formal stehen solche lokal definierten Themen auf der COP27 nicht zur Debatte, und sicherlich werden die Leben dieser Aktivisten nicht gezählt. Doch die Bedeutung dieses Ökosystems für die Welt ist unbestreitbar. Etwa 20 Prozent des weltweiten Süßwassers sind durch Korruption und den Missbrauch der Natur im Baikalsee bedroht. In Verbindung mit den klimabedingten Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung der Hälfte der Weltbevölkerung stellt sich die Frage, warum nicht nur dies, sondern sogar der Krieg bei diesen Verhandlungen nicht thematisiert wird.

Botschaften von Aktivisten werden nicht berücksichtigt

Der Krieg ist der Elefant im Raum dieser Konferenz. Zwar wurde er in den Eröffnungsvorträgen etwas hervorgehoben. Aber selbst die unübersehbare Tatsache, dass Putins Krieg aus meiner Sicht alle Verhandlungsfortschritte um Jahrzehnte zurückgeworfen hat, wird nicht offiziell diskutiert. Es gibt eine lange Geschichte, in der die Botschaften von Aktivisten wie mir, unsere Arbeit und die Bedrohungen, denen wir begegnen, nicht berücksichtigt wurden, insbesondere in Krisenjahren wie diesem. Aber es ist schwierig, die enorme Gefahr zu ignorieren, die darin besteht, die unmissverständliche Realität jetzt nicht anzugehen.

Die Welt hat nicht gehandelt, als Russland Tschetschenien und Georgien angriff, die Krim besetzte und Syrien bombardierte – dieser Krieg in der Ukraine darf nicht ein weiteres Mal zum Anlass genommen werden, die Augen zu verschließen.

Der Krieg hat alle Fortschritte zunichtegemacht

Die aktuelle Situation macht deutlich: Autoritäre Regime wie Russland können die ganze Welt erpressen, indem sie Gespräche blockieren und schweigen, um ihre Macht zu schützen und Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren. Nicht nur die Klimapolitik ist davon zunehmend betroffen, sondern auch alles andere – egal, ob in den autoritären Ländern selbst oder durch die Kriege, die sie gegen ihre Nachbarn führen.

In Demokratien kann die Zivilgesellschaft die Position eines Landes beeinflussen und dafür sorgen, dass die Klimapolitik an die veränderte Situation angepasst wird. Zwar passiert das in Russland derzeit. Allerdings nicht wegen der Treibhausgasemissionen, sondern wegen der riesigen Menge an Petrodollars, mit denen das Regime in Russland bislang finanziert wird, und weil die bisherigen Käuferländer jetzt die Notwendigkeit spüren, sich von Putins fossiler Erpressung zu lösen.

In Ländern mit autoritären Regimen ist die Sache viel komplizierter als in Demokratien. Mein Klimaaktivismus beispielsweise hat dazu geführt, dass mir meine einzige Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Aktivisten jeder Art dürfen in Russland nicht mehr protestieren. Der Krieg hat alle Fortschritte zunichtegemacht, die wir im Laufe der Jahre gemacht haben. Jetzt wird die Umweltpolitik in Russland auf Arbeitseinsätze reduziert, bei denen die Leute Müll aufsammeln, wo und wann es ihnen aufgetragen wird.

Verhandelt Russland auf der COP27 für das Klima oder für seinen Krieg?

Die Tatsache, dass die internationalen Gespräche auf der COP27 nicht in der Lage sind, Russlands Kriegstreiberei direkt zu konfrontieren, bedeutet letztlich, dass Ruslan Edelgiriev, Berater des Präsidenten in Klimafragen, für die Aufhebung der Sanktionen in Bereichen der Klimapolitik eintreten kann.

Diese Linie hat er in zahlreichen Reden vertreten. Es ist jedoch offensichtlich, dass er beispielsweise nicht den klimarelevanten Bereich der erneuerbaren Energien meint. Solar- und Windenergie erzeugen derzeit weniger als ein Prozent des Stroms in Russland, und ein weiterer Ausbau ist nicht geplant. Stattdessen meint er etwas anderes, indem er zum Beispiel andeutet, dass Russland die Kohlenstoffneutralität früher als bis zum Jahr 2060 erreichen könnte, wenn die Sanktionen gelockert würden.

Ohne Greta Thunberg nie von der Klimakrise erfahren

Seit mehr als 20 Jahren ist die russische Politik und das russische Handeln in der Klimakrise trotz aller COPs völlig unzureichend. Ich selbst hätte ohne den Klimastreik von Greta Thunberg weder von der Klimakrise noch von der Existenz von Klimaverhandlungen erfahren.

In Russland beschäftigt sich niemand ernsthaft mit diesem Thema. Das von Putin kontrollierte Staatsfernsehen verbreitet Weltverschwörungstheorien und führt das russische Volk in die Irre. Und deshalb ist es nur logisch, dass Ruslan Edelgiriev die Klimakrise nicht ernst nimmt, obwohl sie Millionen von Menschen in Russland bedroht. Auf der COP25 vor drei Jahren in Madrid sagte er mir, dass Aktivisten nichts anderes täten als zu schreien. Jetzt dürfen wir nicht einmal das.

Dennoch meint Edelgiriev es mit einigen Dingen ernst, zum Beispiel mit der Aufhebung der Sanktionen, der Rückbesinnung auf Russlands enorme Gewinne aus fossilen Brennstoffen und der Förderung der Kernkraft, um wieder mehr Einfluss auf die Energiesysteme anderer Länder zu gewinnen. In Russland wurde die Ausarbeitung eines Plans zur Umsetzung der langfristigen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung auf das Jahr 2023 verschoben, während die weltweiten Verhandlungen auf der COP27 weitergehen. Mit anderen Worten: Klimamaßnahmen in Russland werden morgen und nur morgen kommen – aber morgen kommt nie.

“Ich bitte die internationale Gemeinschaft um Hoffnung.”

Vor drei Jahren schien es mir, dass Russland nicht aufgeben würde, dass wir auf die Straße gehen würden, bis sich wirklich etwas ändert. Nach allem, was mir und meinem Land seitdem widerfahren ist, kann ich dieses Vertrauen nicht mehr haben. Deshalb bitte ich die internationale Gemeinschaft um Hoffnung.

Für den Krieg wie auch für die Klimakrise gibt es keine einfachen Lösungen, und wir haben schwierige Jahre vor uns. Aber je länger wir echte und direkte Maßnahmen hinauszögern, desto höher sind die Kosten. Lassen Sie uns nicht noch mehr vom Fortschritt der Welt wegen Leuten wie Putin aufs Spiel setzen.

Arshak Makichyan ist ein bekannter Klimaaktivist aus Russland. Er streikte in Moskau von 2019 an jeden Freitag allein für das Klima und organisierte die russische Fridays-for-Future Bewegung. Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, protestierte er vom ersten Tag an gegen den Krieg. Um einer Inhaftierung zu entgehen, reiste er im März nach Berlin, wo er derzeit lebt. Wegen seines Engagements wurde ihm vor Kurzem die russische Staatsbürgerschaft – seine einzige – entzogen.

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Heads

Siti Nurbaya Bakar – Kohleausstieg mit Milliarden aus dem Norden

Siti Nurbaya Bakar – Indonesiens Umweltministerin

Der Auftakt für die COP27 ging schon mal schief: Als sich Ende August die Umweltminister der G20-Gruppe in Bali trafen, endete die Sitzung mit einem kleinen Eklat: Die Politiker waren nicht in der Lage, sich auf eine Abschlusserklärung zu einigen, die knapp drei Monate vor der Klimakonferenz Schwung bringen sollte. Streit über den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch über Klimafragen, hatte die Gruppe gesprengt. Und die Gastgeberin, Indonesiens Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar, hatte der Dynamik nichts entgegenzusetzen. Teilnehmer zeigten sich enttäuscht – auch von einer schwachen Verhandlungsführung der Ministerin.

Bei der COP ist Indonesien mit seiner Ministerin wieder im Fokus. Denn sie tritt dort als Vertreterin der G20 auf – und hat etwas vorzuzeigen. Denn wieder in Bali haben sich die Chefs der G20-Staaten getroffen – und diesmal hat es mit einem Durchbruch geklappt: Mit der “Partnerschaft zur gerechten Energiewende” (JETP) wird sich Indonesien von der Kohle in der Stromerzeugung verabschieden. Dazu bekommt es 20 Milliarden Dollar Hilfe aus den Industriestaaten (siehe heutige Analyse).

Indonesien hat neues NDC vorgelegt

Diesen Erfolg kann Bakar auch für sich verbuchen. Die 66-Jährige sitzt für die NasDem Partei in der Regierung des indonesischen Präsidenten Joko Widodo (auch Jokowi genannt). Sie wurde 2014 zum ersten Mal ins Parlament gewählt und übernahm im selben Jahr das Umweltministerium. Bakar hat Agrarwissenschaften an der Universität von Bogor studiert, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Sie verantwortet die Umweltpolitik in Indonesien, das dieses Jahr als eins von nur 21 Ländern sein Klimaziel (NDC) angehoben hat. “Unser erweitertes NDC ist ehrgeiziger, beschleunigt (unsere Entwicklung) Richtung Netto-Null-Emissionen bis 2050 und ist stärker auf 1,5 °C ausgerichtet”, sagte Bakar Ende September.

Die Verbesserungen sind allerdings relativ klein: Ohne finanzielle Unterstützung durch die Industriestaaten sollen die Emissionen laut neuem NDC bis zum Jahr 2030 um 32 statt um 29 Prozent im Vergleich zum Weiter-so-Szenario der Emissionen sinken. Nun, mit dem JETP, will Indonesien die Emissionen bis 2030 um 35 Prozent senken und mit dem Kohleausstieg bis 2050 auf null bei den Emissionen aus der Energieversorgung sein.

Klimaschutz mit blauem Kohlenstoff

Für Bakar sind die neuen Klimaziele allerdings nur ein Zwischenschritt zu einer grundsätzlicheren Überarbeitung der Ziele, die bis 2024 erfolgen soll: “Wir werden 2024 unser zweites NDC vorlegen und darin einen Kohleausstieg vorsehen” kündigte Bakar an. Dieser Plan wurde nun vorgezogen.

Als G20-Vorsitzende bei den Umweltministern hat Bakar die “G20-Partnerschaft für ozeanbasierte Klimamaßnahmen” vorangetrieben. Diese Maßnahmen werden auch als “blauer Kohlenstoff” bezeichnet und das Thema soll in Sharm el-Scheikh bei einem Workshop weiter vertieft werden. Bakar erhofft sich zudem, dass ein besseres Management der riesigen Meeresgebiete Indonesiens einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten kann: “Die blauen Kohlenstoffressourcen werden zu einem der wirksamsten Instrumente Indonesiens in seinem zweiten NDC werden”, sagte Bakar. Christian Mihatsch

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

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    • Indonesien: 20 Milliarden Dollar für Kohlenausstieg
    • Experte: Atomkraft spielt keine Rolle beim Klimaschutz
    • Studie: Fake News zum Klima erfolgreich
    • Studie: Unternehmen greenwashen Netto-Null-Ziele
    • Deutschland investiert 550 Millionen in grünen Wasserstoff
    • Neuer Klimaplan: Türkei erlaubt sich mehr Emissionen
    • Timmermans enttäuscht Hoffnung auf neues NDC
    • Arshak Makichyan: Russlands Krieg gehört auf die COP
    • Portrait: Siti Nurbaya Bakar – Energiewende-Ministerin in Indonesien
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    raus aus der Kohle – das ist das Ziel eines 20-Milliarden-Deals, den Indonesien mit Partnerländern aus dem Globalen Norden abgeschlossen hat. Das Projekt konzentriert sich auf die Kohle, blendet aber die Waldzerstörung im Land aus, die viel größeren Klimaschaden anrichtet. Doch die Partnerschaft könnte erfolgreich die “Just Energy Transition Partnerships” (JETP) fortsetzen, die mit Südafrika begonnen wurden. Ob allerdings viele Länder aus dem Globalen Süden mitmachen, ist nicht sicher, berichtet Bernhard Pötter.

    Wieder rein in die Kernkraft – das ist noch immer der Traum einiger Politiker und Lobbyisten in Deutschland. Ob Laufzeitverlängerung, Mini-AKWs oder gar Kernfusion – seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es in Deutschland einige teils absurde Vorschläge. Mycle Schneider erläutert im Interview, warum die Kernkraft weltweit keinen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten wird. Kurz: AKWs sind schlicht zu teuer, ihr Bau dauert zu lange und Mini-AKWs sind nur “Power-Point-Reaktoren”, so der Experte.

    Auf der COP geht es langsam in die Vollen. Die Präsidentschaft hat am Dienstag einen ersten Entwurf für die Abschlusserklärung vorgestellt. Und manche Verhandler sagen, sie hätten noch nie so ein schlechtes Gefühl gehabt. Besonders interessant: Indiens Vorschlag zum Runterfahren aller fossilen Energieträger findet sich nicht in dem Entwurf. Betont wird die Dringlichkeit der Energiewende, trotz der derzeitigen Energiekrise. Derweil haben die G77 und China einen Vorschlag für einen Loss and Damage-Fonds gemacht, dessen Details allerdings erst 2023 geklärt werden sollen.

    Wir bleiben dran und wünschen eine spannende Lektüre!

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Indonesien: 20 Milliarden der G7 für Kohleausstieg

    Indonesien will aus der Kohle aussteigen – die Exporte betrifft das nicht

    Die internationale Energiewende hat ein neues Riesenprojekt: Mit Milliardenhilfen aus den G7-Staaten will Indonesien bis 2050 seinen Strom ohne Kohle erzeugen. Am Dienstag schloss der indonesische Präsident Joko Widodo mit Vertretern der “International Partners Group” (IPG) eine “Just Energy Transition Partnership” über 20 Milliarden Dollar. Mit ihr soll das Land aus der Kohle aus- und in Erneuerbare Energien einsteigen.

    Die Einigung wurde auf dem G20-Gipfel in Bali verkündet. Sie ist Teil einer Strategie, eine gerechte Energiewende in entscheidenden Ländern des globalen Südens mit Kapital aus dem Norden zu finanzieren. Die IPG besteht aus USA, Kanada, Japan, Großbritannien, der EU, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Deutschland und Italien.

    Emissions-Peak 2030, Netto Null 2050

    Die Partnerschaft sieht vor, dass Indonesien unter anderem:

    • bis 2030 den Höchststand bei seinen CO2-Emissionen aus dem Stromsektor erreicht. Sie sollen dann bei 290 Millionen Tonnen CO2 liegen. Das wäre sieben Jahre früher als geplant und mit einem Peak deutlich unter den bisher geplanten 357 Millionen Tonnen
    • bis 2050 bei Netto-Null-Ausstoß im Stromsektor ist
    • den Gesamt-Energiebedarf bis 2030 zu 34 Prozent aus erneuerbaren Energien deckt, statt wie bisher geplant nur zu 16 Prozent
    • keine neuen Kohlekraftwerke baut

    Dafür bekommt das Land über die nächsten “drei bis fünf Jahre” Finanzhilfen in Höhe von 20 Milliarden Dollar, jeweils die Hälfte aus öffentlichen und privaten Quellen. Das Kapital soll aus Krediten und Zuschüssen bestehen. Die IPG-Staaten teilen sich die Kosten. Der deutsche Anteil liege bei “unter einer Milliarde”, hieß es, genaue Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Für die IPG führen die USA und Japan die Verhandlungen mit Indonesien.

    Die privaten Mittel sollen von Banken und Investoren aufgebracht werden. Zu dem Kreis gehören etwa die Deutsche Bank, Citi und Bank of America. Die Finanzinstitute sind in der “Glasgow Financial Alliance for Net Zero” (GFANZ) zusammengeschlossen, die sich auf der COP26 gründete.

    Indonesiens wirklicher Klimakiller: Waldvernichtung

    Für die deutsche Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan zeigt das Projekt, wie Deutschland helfe, “die globale Energiewende zu beschleunigen“. Wie genau Indonesien seinen Kohleausstieg organisiert, bleibt dem Land selbst überlassen. Die Bergbau-Industrie des Landes – Indonesien ist ein großer Kohle-Exporteur – ist von der JETP ebenso ausgenommen wie die größte Quelle von Treibhausgasen in Indonesien: die Waldvernichtung.

    Ohnehin ist Indonesien ein Sonderfall: Neben den etwa 620 Millionen Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen verursacht das Land noch einmal knapp 950 Millionen Tonnen CO2-Emissionen durch Entwaldung. Die pro-Kopf-Emissionen aus fossilen Brennstoffen liegen bei etwa 2,2 Tonnen. Rechnet man die Entwaldung ein, sind es etwa 7,2 Tonnen.

    Die JETP mit Indonesien folgt dem Beispiel von Südafrika. Mit diesem Land hatte die G7 auf dem Glasgow-Gipfel vereinbart, dass es für eine Hilfe von 8,5 Milliarden Dollar über drei bis fünf Jahre seinen Energiesektor dekarbonisiert. Inzwischen hat das Land einen Plan zum Umstieg erstellt – und auch eine vorläufige Rechnung: Die beläuft sich auf etwa 100 Milliarden Dollar (Climate.Table berichtete).

    Energie-Partnerschaften mit Vietnam, Indien und Senegal auf Eis

    Weitere JETP sind geplant, kommen aber derzeit nicht richtig voran:

    • Die IPG will Vietnam ein ähnliches Modell zum Kohleausstieg anbieten. Allerdings, heißt es aus G7-Kreisen, gebe es derzeit bei der Regierung noch keine klaren Pläne. Bis Ende des Jahres könnte es so weit sein, hoffen die Geberländer.
    • Auch Indien steht auf der JETP-Liste. Doch auch in Delhi ist die Regierung noch nicht entschieden, wie genau sie mit den Details umgehen will. Es heißt, Premier Modi sei dafür. Allerdings müssen die Staaten für das G7-Geld einen genauen Plan vorlegen, wie der Ausstieg aus der Kohle und der Einstieg in ein erneuerbares Energiesystem aussehen sollen. Das Problem: Anders als in Südafrika, wo der staatliche Energiekonzern Eskom praktisch pleite ist, das Staatsbudget belastet und häufige Blackouts produziert, sind die Kohle-Konzerne in Indien profitabel. An ihnen hängen weitere Jobs und andere Branchen wie die staatliche Eisenbahn. Die Hoffnung der G7: Im nächsten Jahr führt Indien die G20 an. Eine gute Gelegenheit für ein JETP, wie jetzt in Indonesien.
    • Auch der Senegal gehört zu den möglichen JETP-Kandidaten. Doch das Land ist derzeit weit entfernt von einem Fahrplan zu Netto-Null und Zugang zu JETP-Geldern, heißt es aus Verhandlerkreisen. Denn ursprünglich wollte der Senegal die Ausbeutung seiner Gasreserven in den Plan aufnehmen. Ein No-go für die Geberländer, auch wenn Bundeskanzler Scholz dafür deutsche Hilfe angekündigt hat.
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    “Es gibt keine Renaissance der Atomkraft”

    Mycle Schneider – Herausgeber des World Nuclear Industry Status Report.

    Herr Schneider, in der Klimadebatte hoffen manche Stimmen auf eine Renaissance der Atomkraft und damit auf CO2-armen Strom. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?

    Das ist eine faktenfreie Debatte. Denn wenn man von Renaissance spricht, entsteht der Eindruck, es würden überall und zunehmend Atomkraftwerke gebaut. Dafür bräuchte es Indikatoren, die nach oben zeigen. Aber die meisten Indikatoren für die Entwicklung der Atomindustrie zeigen nach unten, das zeigt unser Bericht (World Nuclear Industry Status Report – Anm. der Red.) jedes Jahr wieder.

    Es gibt also gar keine Renaissance der Atomkraft?

    Der Ausbau der Atomkraft lässt sich so zusammenfassen: China baut zu Hause, Russland baut im Ausland. Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung fällt seit 25 Jahren und lag 2021 erstmals seit 40 Jahren wieder unter zehn Prozent. Vor 20 Jahren waren die meisten Meiler in Betrieb. Seitdem wurden 105 Atomkraftwerke geschlossen und nur 98 in Betrieb genommen, darunter 50 in China. Es gibt als de facto keine Renaissance der Atomkraft, sondern nur eine Renaissance der Rhetorik.

    “Jedes achte AKW wird nicht fertig gebaut”

    Die Atombehörde IAEA prognostiziert eine Verdopplung der Kapazität bis 2050. Liegt sie falsch?

    Wir sind keine Hellseher und machen keine Vorhersagen. Wir schauen, was empirisch belegbar ist. Und die Daten sagen: Allein, um den jetzigen Stand an installierter Kapazität zu halten, müsste sich die Neubaurate verdoppeln. Und das gilt auch nur, wenn alle Projekte ans Netz gehen, aber bisher wurde jedes achte AKW nicht fertig gebaut. Und dann müsste man davon ausgehen, dass alle Kraftwerke bis ans Ende ihrer Genehmigungszeiten laufen, aber die meisten werden aus Sicherheits- oder Kostengründen viel früher abgeschaltet.

    Also ist eine Verdopplung der Neubaurate unrealistisch?

    Aus den gegenwärtigen Trends ist schlicht nicht ablesbar, dass eine solche Verdoppelung der Kapazität möglich wäre. Man muss auch sagen: Die Industrie hat in der Vergangenheit viel angekündigt, das sich dann nicht realisiert hat. Der weltweit größte AKW-Betreiber, der französische Stromkonzern EDF, hat 2008 ein Szenario vorgestellt, das bis 2020 weltweit einen Nettozubau von 110 Gigawatt Atomkapazität vorhersagte. Was ist real passiert? 2020 war weniger Kapazität in Betrieb als 2008.

    “Man bräuchte Jahrzehnte für nennenswerten Klimaeffekt”

    Trotzdem setzen manche Klimaexperten auf die Atomtechnik.

    Wir reden ja von Klimanotstand, da ist der Zeitdruck schon im Begriff enthalten. Also müssen wir bestrebt sein, für jeden investierten Euro und jeden Dollar so viel Treibhausgasemissionen, so schnell wie möglich zu vermeiden. Selbst wenn man die im Vergleich zu erneuerbaren Energien vielfachen Kosten für die Atomtechnik tragen wollte, dann führt der Zeitfaktor das als Klimastrategie ad absurdum. Man bräuchte Jahrzehnte, um AKW-Parks zu bauen, die einen nennenswerten Effekt auf die CO₂-Emissionen haben könnten.

    Aber auch der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass sich die Kapazität der Atomkraft bis 2050 verdoppelt. Liegen die Experten falsch?

    Der IPCC macht keine Vorhersagen, sondern erstellt Szenarien. Der Unterschied ist entscheidend. Kristallkugelaussagen sind irreführend. Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute und morgen tun. Szenarien versuchen darzustellen, welche unterschiedlichen Ergebnisse wir mit unterschiedlichen Handlungsoptionen erreichen können. Unter 23 Aktionen zur Emissionsminderung, die der IPCC anhand eines Kriterienkatalogs bewertet hat, kommt das Atom am schlechtesten weg. In der Hälfte der insgesamt 90 IPCC-Szenarien, die das 1,5 °C-Ziel einhalten, sinkt der Anteil der Atomkraft am Energiemix, bei manchen geht sogar die Anzahl der AKWs zurück. Die am besten benoteten Aktionen bleiben Investitionen in Energiesuffizienz, Effizienz und Erneuerbare.

    Kleine Reaktoren – Konzeptstudien helfen nicht gegen Klimawandel

    Trotzdem setzen viele ihre Hoffnung auf kleinere Einheiten: Small Modular Reactors (SMRs). Wären sie eine Lösung?

    Das sind bisher überwiegend Konzeptstudien, Power-Point-Reaktoren. Davon gibt es sehr viele auf dem Papier, aber außer jeweils zwei Anlagen in Russland und China wurde bisher nichts gebaut. In den westlichen Industrieländern gibt es keine Prototypen, keine Baugenehmigung und nur eine allgemeine, vorläufige Design-Zertifizierung in den USA. Und dieses Modell wird immer größer – was kein Zufall ist, denn das Streben nach dem Skaleneffekt für die Verbesserung der fraglichen Wirtschaftlichkeit durchläuft die ganze Geschichte der Atomkraft. Es ist kurios, wie die SMRs kommuniziert werden: Sie seien billiger, weil kleiner. Natürlich sind die Investitionen niedriger, weil sie auch weniger Leistung bieten, aber pro Megawatt sind sie viel teurer als die großen Meiler, eben weil sie den Skaleneffekt verlieren.

    Warum wird dann die Atomkraft immer wieder ins Spiel gebracht?

    Die Länder stehen unter großem Druck, eine Klimastrategie zu entwickeln. Und wenn eine Regierung wie etwa in Großbritannien nie einen Plan B jenseits der Atomkraft entwickelt hat, ist das sehr schwierig. Doch Regierungen bauen keine AKWs. Deshalb werden aus privatwirtschaftlichen Interessen auch dort Erneuerbare, etwa Offshore-Wind viel schneller ausgebaut, als das bei den Atomprojekten überhaupt möglich ist. In der Zwischenzeit macht Schottland es vor und ist schon bei nahezu 100 Prozent Erneuerbaren im Strommix.

    Frage der Atom-Sicherheit wird ausgeklammert

    Wundert es Sie, dass bei diesen Debatten die Frage der nuklearen Sicherheit ausgeklammert wird?

    Es gab einen Generationsbruch in der Technikkultur. Das Bewusstsein für die komplexen Probleme der Atomkraft ist bei der jüngeren Generation verschwunden. Eine Handvoll sehr effizienter Atompropagandisten tut das ihre, um Verwirrung zu stiften. Vor allem aber geht es wohl darum, was der Physiker M.V. Ramana mit seinem Buchtitel zum indischen Atomprogramm “The Power of Promise” meinte: Die Macht des Versprechens ist sehr verführerisch. Atom löst die Klimakrise und alle anderen Energieprobleme nebenbei- das klingt doch toll.

    Mycle Schneider ist internationaler Energie- und Atompolitikanalyst und lebt vorwiegend in Paris. Er ist Koordinator und Herausgeber des jährlichen, renommierten World Nuclear Industry Status Report (WNISR). Für seine Arbeit wurde er 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

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    News

    Studie: Falschinformationen über Klimawandel weit verbreitet

    Falschinformationen über den Klimawandel sind weltweit weit verbreitet und “schwächen das öffentliche Mandat für Klimaverhandlungen“. Das geht aus einer neuen Studie der Organisationen Climate Action Against Disinformation und Conscious Advertising Network hervor. Zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den wissenschaftlichen Fakten bestehe demnach eine “große Kluft”. Selbst bei so grundlegenden Fragen, wie ob der Klimawandel existiert und hauptsächlich von Menschen verursacht wird, bestehen große Wissenslücken in der Öffentlichkeit.

    Die Studie basiert auf Umfragen, die in Australien, Brasilien, Indien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA durchgeführt wurden. Sie kommt zu dem Ergebnis:

    • Zwischen sechs und 23 Prozent der Bevölkerung der behandelten Länder, glaubt nicht an den Klimawandel oder sind sich nicht sicher, ob der Klimawandel stattfindet.
    • 34 Prozent der Australier, 40 Prozent der Brasilianer, 25 Prozent der Deutschen, 57 Prozent der Inder, 39 Prozent der US-Bürger und 14 Prozent der Briten glauben, dass Gas eine klimafreundliche Energiequelle ist.
    • Ein Viertel oder mehr der Befragten in jedem der sechs Ländern glauben, dass ihr Land es sich “nicht leisten kann, das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen”.
    • 28 Prozent der befragten Deutschen glauben, dass Klimaschutzmaßnahmen sie negativ beeinflussen, beispielsweise durch Änderungen ihres Lebensstils oder steigende Preise.

    Die beiden Organisationen haben einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die COP27-Delegierten auffordern, einen Aktionsplan gegen Klima-Desinformation zu entwickeln. nib

    • Desinformation
    • Fossile Brennstoffe
    • Klimawandel

    Studie: Unternehmen halten sich nicht an Greenwashing-Regeln

    Viele Unternehmen halten sich nicht an Mindeststandards, um Greenwashing zu vermeiden. Die Hälfte der Unternehmen, die sich Netto-Null-Ziele gesetzt haben, haben noch keine “soliden Pläne” zur Erreichung dieses Ziels veröffentlicht. Und drei von fünf der größten börsennotierten Unternehmen weltweit haben noch gar kein Netto-Null-Ziel festgelegt. Das zeigen neue Zahlen des Net Zero Trackers, die am Dienstag auf der COP27 vorgestellt wurden.

    Die Erhebung zeigt:

    • Netto-Null-Verpflichtungen haben 799 der 2000 untersuchten, börsennotierten Unternehmen, 241 von 1.177 untersuchten Städten und 116 von 713 untersuchten Regionen veröffentlicht.
    • nur etwa die Hälfte der Unternehmen mit Netto-Null-Ziel haben sich auch Zwischenziele gesetzt.
    • Nur eine Minderheit der Unternehmen bezieht den gesamten Umfang ihrer Emissionen (Scope 1-3) in ihre Netto-Null-Ziele ein.
    • Ein Großteil der Unternehmen, Städte und Regionen haben nicht erläutert, ob sie CO₂-Kompensationen nutzen wollen. Nur ein Prozent der Unternehmen und Regionen und zwei Prozent der Städte haben die Nutzung von CO₂-Kompensationen ausgeschlossen.
    • Die Hälfte aller Städte mit Netto-Null-Zielen veröffentlichen keine Informationen über ihre CO₂-Emissionen und den Fortschritt bezüglich des Netto-Null-Ziels. Über 75 Prozent der Unternehmen veröffentlichen Berichte darüber.

    Der Großteil der Netto-Null-Verpflichtungen von Unternehmen, Städten und Regionen erfüllt dementsprechend kaum die Mindestanforderungen, um Greenwashing zu vermeiden. Während der ersten COP-Woche hatte ein UN-Expertengremium zu Greenwashing Mindeststandards (Climate.Table berichtete) veröffentlicht, um Greenwashing zu vermeiden. Darunter fallen beispielsweise der vorsichtige Umgang mit CO₂-Kompensationen, das Setzen von Zwischenzielen, die sofortige Reduktion von CO₂-Emissionen und die Veröffentlichung von Informationen. nib

    • CO2-Kompensationen
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    • Net Zero Tracker
    • Wirtschaft

    Deutschland gibt 550 Millionen Euro für grünen Wasserstoff

    Grüner Wasserstoff gilt als eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien für die globale Klimawende – Deutschland will nun den Aufbau einer weltweiten grünen Wasserstoffwirtschaft mit zwei Fördertöpfen im Umfang von insgesamt 550 Millionen Euro vorantreiben. Bundesentwicklungs- und Bundeswirtschaftsministerium stellten die Initiative auf der COP27 vor.

    • Ein “Power-to-X-Entwicklungsfonds” mit 250 Millionen Euro soll Investitionen in die Produktion und den Einsatz von grünem Wasserstoff in Entwicklungs- und Schwellenländern fördern. Das Geld für den Fonds wird vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) bereitgestellt.
    • Ein “PtX-Wachstumsfonds” in Höhe von 300 Millionen Euro soll den globalen Markthochlauf und den Bau von Infrastruktur für grünen Wasserstoff insgesamt beschleunigen. Er wird vom Wirtschaftsministerium (BMWK) verantwortet.

    Mindestens 2,5 Milliarden Euro sollen mobilisiert werden

    Durch die staatlichen Mittel sollen private Investitionen in einer wesentlich größeren Höhe ermöglicht werden – unter anderem, weil Investoren staatlich unterstützte Projekte als sicherer einstufen. Insgesamt hofft man, so am Ende insgesamt 2,5 bis fünf Milliarden Euro für eine globale grüne Wasserstoffwirtschaft zu mobilisieren. Die beiden Fonds werden von der KfW verwaltet; die ersten Projekte sollen im kommenden Jahr an den Start gehen.

    “Viele Entwicklungsländer haben Wind, haben Sonne, und damit beste Bedingungen für die (Wasserstoff-)Produktion”, sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze. Dennoch bestehe die Gefahr, “dass sie von Wertschöpfungsketten in der Zukunft ausgeschlossen werden”. Bislang gebe es Förderprogramme vor allem in den reichen Ländern. “Das ist etwas, was wir verändern wollen.”

    Zuschüsse für Wind und Solar, Elektrolyse und Düngemittelersatz

    Aus dem Entwicklungsfonds sollen Zuschüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff finanziert werden, beispielsweise für Investitionen in:

    • die Produktion von erneuerbarer Energie durch Wind- und Solarparks
    • die Wasserstoffherstellung in Elektrolyseanlagen
    • moderne Speicher für grünen Wasserstoff
    • eine Transportinfrastruktur
    • bis hin zum Einsatz von Folgeprodukten in den Partnerländern.

    Besonders nachgefragt sei derzeit die Produktion von Düngemitteln aus grünem Ammoniak oder der Einsatz von Wasserstoff in der Industrie, um Erdgas zu ersetzen, sagte Schulze.

    Hohes Interesse unter deutschen Unternehmen

    Es gebe bei deutschen und europäischen Unternehmen ein “hohes Interesse, in den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu investieren”, sagte Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMWK. Nordafrika und der Nahe Osten böten dafür “ideale Bedingungen”. Der Wachstumsfonds sei für deutsche Unternehmen gedacht, “die sich im Ausland mit Partnern zusammen engagieren. Wir können diese Dinge zusammenbringen, und wir machen sie finanzierbar.” ae

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    Neues NDC der Türkei: 34 Prozent mehr Emissionen

    Das neue Klimaziel der Türkei für 2030 sieht einen Anstieg der Emissionen um rund 34 Prozent im Vergleich zu 2020 vor. Zwar gab der türkische Umweltminister Murat Kurum am Dienstag auf der COP27 an, das Ziel von bisher minus 21 Prozent auf minus 41 Prozent anzuheben. Allerdings ist die Grundlage dieser Berechnung keine absolute Zahl, sondern das sogenannte Business-as-usual-Niveau (BAU) – eine Berechnung ohne Maßnahmen zur Emissionsminderung.

    2020 beliefen sich die Emissionen der Türkei auf 523,9 MtCO₂e (Millionen Tonnen CO2-Äquivalent). Das türkische Umweltministerium prognostiziert bis 2030 einen Anstieg bei einem BAU-Szenario auf 1.175 MtCO₂e. Laut seiner heutigen Ankündigung einer Reihe von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung soll dieser Wert auf 700 MtCO2e sinken. Der Emissionspeak der Türkei soll sogar erst 2038 erreicht werden.

    Auf der COP26 im vergangenen Jahr in Glasgow hatten sich alle Länder darauf geeinigt, stärkere Klimaziele festzulegen. Aus Sicht von Cansu Ilhan, Türkei-Expertin beim Climate Action Network Europe (CAN Europe), ist das neue NDC der Türkei nicht mit den Entscheidungen aus Glasgow vereinbar. luk

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    Timmermans: “Kein neues Klimaziel”

    Die EU wird ihr Klimaziel (NDC) zwar aktualisieren, aber vorerst nicht offiziell erhöhen. Das kündigte der Exekutivpräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Dienstag in Sharm el-Sheikh an. Schon jetzt sei die EU bereit, ihre Emissionen um 57 Prozent zu reduzieren, sagte er im Plenarsaal auf der COP27. Das aktuelle Klimaziel von “mindestens” 55 Prozent weniger CO2-Emissionen im Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 würde damit übererfüllt werden.

    Das resultiert jedoch offenbar nicht in einer Erhöhung des offiziellen, bei der UN hinterlegten NDCs. “Wir erhöhen unser Ziel nicht”, sagte Timmermans später in einer Pressekonferenz. Die 57 Prozent spiegelten kein neues Ziel wider, daraus ergebe sich kein neues Ambitionsniveau. “Es ist lediglich die Übersetzung in Zahlen von dem, worauf wir uns geeinigt haben”, so Timmermans. Gemeint ist die Trilog-Einigung von vergangener Woche über ambitioniertere natürliche Treibhausgas-Senkleistung im LULUCF-Sektor.

    Auch neues Ziel “nicht 1,5-Grad-konform”

    Der Unterschied zwischen “Aktualisierung” des NDCs und “Erhöhung” ist an dieser Stelle entscheidend (Climate.Table berichtete). Eine Erhöhung würde die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordern. Die Gespräche darüber sollen stattfinden, wenn das Fit-for-55-Paket ausverhandelt ist. Eine Aktualisierung würde sich nur im Anhang des NDCs auswirken, in dem erklärt wird, wie die EU ihr Klimaziel erreichen möchte. Die Übererfüllung des 55-Prozent-Ziels könnte dort einfließen.

    Timmermans betonte zudem in Sharm el-Sheikh, die EU sei mit ihrem Ziel auf 1,5-Grad-Kurs. Allerdings ist das heftig umstritten, trotz möglicher NDC-Erhöhung. Laut dem Climate Action Network Europe (CAN Europe) sollte der Beitrag bei mindestens 65 Prozent Emissionssenkung liegen. Nicht utopisch, schreibt CAN Europe, und kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel. luk

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    Standpunkt

    Russlands Krieg gehört auf die Klima-Agenda

    Von Arshak Makichyan
    “Wir haben ihn nicht gewählt. Ihr entscheidet Euch, ihn zu bezahlen”: Arshak Makichyan protestiert in Berlin.

    Die durch Russlands Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise und geopolitische Faktoren erschweren den Kampf gegen die Klimakrise. In ihren Eröffnungserklärungen auf der COP27 verurteilten die Staats- und Regierungschefs zwar Putins Vorgehen und drängten auf ein stärkeres Engagement im Klimaschutz und für saubere Energien. Aber für mich gibt es keinen Zweifel: Putins Abwesenheit vom Gipfel stellt ein erhebliches Hindernis für die Verhandlungen dar. Zugleich verschärft Russlands Krieg mit jedem Tag, den er andauert, die Klimakrise.

    Russland sagt, es sei engagiert, aber wofür?

    Angesichts der weltweiten Sanktionen weigerte sich Putin, an den Gesprächen auf der COP27 teilzunehmen. Er überließ es dem russischen Klimabeauftragten Ruslan Edelgeriev, zu versichern, dass das Land seinen Klimaverpflichtungen treu bleibe. Aber wenn russische Politiker sagen, dass sie den Verpflichtungen des Landes nachkommen werden, ist unklar, von welchen Verpflichtungen sie sprechen.

    Trotz all der Jahre, in denen Russland an Klimaverhandlungen teilgenommen hat, gibt es im Land immer noch keine Klimapolitik. Die offizielle russische Klimastrategie besagt sogar, dass die russischen Emissionen steigen werden. Stattdessen werden sie sehr wahrscheinlich sinken – doch das ist eine direkte Folge der Wirtschaftskrise in Russland und damit eine Folge des Krieges. Mit den Klimaverpflichtungen des Landes hat es nichts zu tun, sondern mit den Folgen der Krise für die russische fossile Energieindustrie.

    Wohlverhalten gegen Brennstoffkauf

    Gleichzeitig geht es den riesigen Wäldern Russlands immer schlechter. Seit dem Beginn von Putins Krieg werden die Waldbrände immer heftiger, und es wird nur noch schlimmer werden. Es ist eine große Bedrohung für die Russinnen und Russen und die Menschen überall, wenn die Wälder des größten Landes der Welt brennen.

    Die offizielle russische Delegation wird bei den Gesprächen jedoch weder darüber noch über eines der vielen Probleme sprechen, die die Menschen zu Hause betreffen. Stattdessen wird sie unverhohlen mit Russlands “angemessenem” Verhalten feilschen und hoffen, dass die Welt weiterhin Diktaturen für fossile Brennstoffe bezahlt. Doch das würde in naher Zukunft zu einer weiteren Katastrophe führen. Die Klimakrise würde Tausende von Menschen töten und Millionen obdachlos machen.

    Warum wird der Krieg nicht thematisiert?

    Greenpeace Russland ist regelmäßig davon bedroht, verboten zu werden oder von den Behörden als ausländischer Agent eingestuft zu werden. Verfolgt werden die Aktivisten vor allem wegen ihrer Kampagnen gegen Gesetze, die das Ökosystem des Baikalsees bedrohen.

    Formal stehen solche lokal definierten Themen auf der COP27 nicht zur Debatte, und sicherlich werden die Leben dieser Aktivisten nicht gezählt. Doch die Bedeutung dieses Ökosystems für die Welt ist unbestreitbar. Etwa 20 Prozent des weltweiten Süßwassers sind durch Korruption und den Missbrauch der Natur im Baikalsee bedroht. In Verbindung mit den klimabedingten Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung der Hälfte der Weltbevölkerung stellt sich die Frage, warum nicht nur dies, sondern sogar der Krieg bei diesen Verhandlungen nicht thematisiert wird.

    Botschaften von Aktivisten werden nicht berücksichtigt

    Der Krieg ist der Elefant im Raum dieser Konferenz. Zwar wurde er in den Eröffnungsvorträgen etwas hervorgehoben. Aber selbst die unübersehbare Tatsache, dass Putins Krieg aus meiner Sicht alle Verhandlungsfortschritte um Jahrzehnte zurückgeworfen hat, wird nicht offiziell diskutiert. Es gibt eine lange Geschichte, in der die Botschaften von Aktivisten wie mir, unsere Arbeit und die Bedrohungen, denen wir begegnen, nicht berücksichtigt wurden, insbesondere in Krisenjahren wie diesem. Aber es ist schwierig, die enorme Gefahr zu ignorieren, die darin besteht, die unmissverständliche Realität jetzt nicht anzugehen.

    Die Welt hat nicht gehandelt, als Russland Tschetschenien und Georgien angriff, die Krim besetzte und Syrien bombardierte – dieser Krieg in der Ukraine darf nicht ein weiteres Mal zum Anlass genommen werden, die Augen zu verschließen.

    Der Krieg hat alle Fortschritte zunichtegemacht

    Die aktuelle Situation macht deutlich: Autoritäre Regime wie Russland können die ganze Welt erpressen, indem sie Gespräche blockieren und schweigen, um ihre Macht zu schützen und Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren. Nicht nur die Klimapolitik ist davon zunehmend betroffen, sondern auch alles andere – egal, ob in den autoritären Ländern selbst oder durch die Kriege, die sie gegen ihre Nachbarn führen.

    In Demokratien kann die Zivilgesellschaft die Position eines Landes beeinflussen und dafür sorgen, dass die Klimapolitik an die veränderte Situation angepasst wird. Zwar passiert das in Russland derzeit. Allerdings nicht wegen der Treibhausgasemissionen, sondern wegen der riesigen Menge an Petrodollars, mit denen das Regime in Russland bislang finanziert wird, und weil die bisherigen Käuferländer jetzt die Notwendigkeit spüren, sich von Putins fossiler Erpressung zu lösen.

    In Ländern mit autoritären Regimen ist die Sache viel komplizierter als in Demokratien. Mein Klimaaktivismus beispielsweise hat dazu geführt, dass mir meine einzige Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Aktivisten jeder Art dürfen in Russland nicht mehr protestieren. Der Krieg hat alle Fortschritte zunichtegemacht, die wir im Laufe der Jahre gemacht haben. Jetzt wird die Umweltpolitik in Russland auf Arbeitseinsätze reduziert, bei denen die Leute Müll aufsammeln, wo und wann es ihnen aufgetragen wird.

    Verhandelt Russland auf der COP27 für das Klima oder für seinen Krieg?

    Die Tatsache, dass die internationalen Gespräche auf der COP27 nicht in der Lage sind, Russlands Kriegstreiberei direkt zu konfrontieren, bedeutet letztlich, dass Ruslan Edelgiriev, Berater des Präsidenten in Klimafragen, für die Aufhebung der Sanktionen in Bereichen der Klimapolitik eintreten kann.

    Diese Linie hat er in zahlreichen Reden vertreten. Es ist jedoch offensichtlich, dass er beispielsweise nicht den klimarelevanten Bereich der erneuerbaren Energien meint. Solar- und Windenergie erzeugen derzeit weniger als ein Prozent des Stroms in Russland, und ein weiterer Ausbau ist nicht geplant. Stattdessen meint er etwas anderes, indem er zum Beispiel andeutet, dass Russland die Kohlenstoffneutralität früher als bis zum Jahr 2060 erreichen könnte, wenn die Sanktionen gelockert würden.

    Ohne Greta Thunberg nie von der Klimakrise erfahren

    Seit mehr als 20 Jahren ist die russische Politik und das russische Handeln in der Klimakrise trotz aller COPs völlig unzureichend. Ich selbst hätte ohne den Klimastreik von Greta Thunberg weder von der Klimakrise noch von der Existenz von Klimaverhandlungen erfahren.

    In Russland beschäftigt sich niemand ernsthaft mit diesem Thema. Das von Putin kontrollierte Staatsfernsehen verbreitet Weltverschwörungstheorien und führt das russische Volk in die Irre. Und deshalb ist es nur logisch, dass Ruslan Edelgiriev die Klimakrise nicht ernst nimmt, obwohl sie Millionen von Menschen in Russland bedroht. Auf der COP25 vor drei Jahren in Madrid sagte er mir, dass Aktivisten nichts anderes täten als zu schreien. Jetzt dürfen wir nicht einmal das.

    Dennoch meint Edelgiriev es mit einigen Dingen ernst, zum Beispiel mit der Aufhebung der Sanktionen, der Rückbesinnung auf Russlands enorme Gewinne aus fossilen Brennstoffen und der Förderung der Kernkraft, um wieder mehr Einfluss auf die Energiesysteme anderer Länder zu gewinnen. In Russland wurde die Ausarbeitung eines Plans zur Umsetzung der langfristigen Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung auf das Jahr 2023 verschoben, während die weltweiten Verhandlungen auf der COP27 weitergehen. Mit anderen Worten: Klimamaßnahmen in Russland werden morgen und nur morgen kommen – aber morgen kommt nie.

    “Ich bitte die internationale Gemeinschaft um Hoffnung.”

    Vor drei Jahren schien es mir, dass Russland nicht aufgeben würde, dass wir auf die Straße gehen würden, bis sich wirklich etwas ändert. Nach allem, was mir und meinem Land seitdem widerfahren ist, kann ich dieses Vertrauen nicht mehr haben. Deshalb bitte ich die internationale Gemeinschaft um Hoffnung.

    Für den Krieg wie auch für die Klimakrise gibt es keine einfachen Lösungen, und wir haben schwierige Jahre vor uns. Aber je länger wir echte und direkte Maßnahmen hinauszögern, desto höher sind die Kosten. Lassen Sie uns nicht noch mehr vom Fortschritt der Welt wegen Leuten wie Putin aufs Spiel setzen.

    Arshak Makichyan ist ein bekannter Klimaaktivist aus Russland. Er streikte in Moskau von 2019 an jeden Freitag allein für das Klima und organisierte die russische Fridays-for-Future Bewegung. Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, protestierte er vom ersten Tag an gegen den Krieg. Um einer Inhaftierung zu entgehen, reiste er im März nach Berlin, wo er derzeit lebt. Wegen seines Engagements wurde ihm vor Kurzem die russische Staatsbürgerschaft – seine einzige – entzogen.

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    Siti Nurbaya Bakar – Kohleausstieg mit Milliarden aus dem Norden

    Siti Nurbaya Bakar – Indonesiens Umweltministerin

    Der Auftakt für die COP27 ging schon mal schief: Als sich Ende August die Umweltminister der G20-Gruppe in Bali trafen, endete die Sitzung mit einem kleinen Eklat: Die Politiker waren nicht in der Lage, sich auf eine Abschlusserklärung zu einigen, die knapp drei Monate vor der Klimakonferenz Schwung bringen sollte. Streit über den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch über Klimafragen, hatte die Gruppe gesprengt. Und die Gastgeberin, Indonesiens Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar, hatte der Dynamik nichts entgegenzusetzen. Teilnehmer zeigten sich enttäuscht – auch von einer schwachen Verhandlungsführung der Ministerin.

    Bei der COP ist Indonesien mit seiner Ministerin wieder im Fokus. Denn sie tritt dort als Vertreterin der G20 auf – und hat etwas vorzuzeigen. Denn wieder in Bali haben sich die Chefs der G20-Staaten getroffen – und diesmal hat es mit einem Durchbruch geklappt: Mit der “Partnerschaft zur gerechten Energiewende” (JETP) wird sich Indonesien von der Kohle in der Stromerzeugung verabschieden. Dazu bekommt es 20 Milliarden Dollar Hilfe aus den Industriestaaten (siehe heutige Analyse).

    Indonesien hat neues NDC vorgelegt

    Diesen Erfolg kann Bakar auch für sich verbuchen. Die 66-Jährige sitzt für die NasDem Partei in der Regierung des indonesischen Präsidenten Joko Widodo (auch Jokowi genannt). Sie wurde 2014 zum ersten Mal ins Parlament gewählt und übernahm im selben Jahr das Umweltministerium. Bakar hat Agrarwissenschaften an der Universität von Bogor studiert, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    Sie verantwortet die Umweltpolitik in Indonesien, das dieses Jahr als eins von nur 21 Ländern sein Klimaziel (NDC) angehoben hat. “Unser erweitertes NDC ist ehrgeiziger, beschleunigt (unsere Entwicklung) Richtung Netto-Null-Emissionen bis 2050 und ist stärker auf 1,5 °C ausgerichtet”, sagte Bakar Ende September.

    Die Verbesserungen sind allerdings relativ klein: Ohne finanzielle Unterstützung durch die Industriestaaten sollen die Emissionen laut neuem NDC bis zum Jahr 2030 um 32 statt um 29 Prozent im Vergleich zum Weiter-so-Szenario der Emissionen sinken. Nun, mit dem JETP, will Indonesien die Emissionen bis 2030 um 35 Prozent senken und mit dem Kohleausstieg bis 2050 auf null bei den Emissionen aus der Energieversorgung sein.

    Klimaschutz mit blauem Kohlenstoff

    Für Bakar sind die neuen Klimaziele allerdings nur ein Zwischenschritt zu einer grundsätzlicheren Überarbeitung der Ziele, die bis 2024 erfolgen soll: “Wir werden 2024 unser zweites NDC vorlegen und darin einen Kohleausstieg vorsehen” kündigte Bakar an. Dieser Plan wurde nun vorgezogen.

    Als G20-Vorsitzende bei den Umweltministern hat Bakar die “G20-Partnerschaft für ozeanbasierte Klimamaßnahmen” vorangetrieben. Diese Maßnahmen werden auch als “blauer Kohlenstoff” bezeichnet und das Thema soll in Sharm el-Scheikh bei einem Workshop weiter vertieft werden. Bakar erhofft sich zudem, dass ein besseres Management der riesigen Meeresgebiete Indonesiens einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten kann: “Die blauen Kohlenstoffressourcen werden zu einem der wirksamsten Instrumente Indonesiens in seinem zweiten NDC werden”, sagte Bakar. Christian Mihatsch

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    Climate.Table Redaktion

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