Table.Briefing: Climate

10 Gründe für eine COP in Australien + USA vor wichtigem Klima-Urteil + Empfehlungen für “CO₂-Müllabfuhr”

Liebe Leserin, lieber Leser,

die letzte COP in Dubai und die kommende Klimakonferenz in Aserbaidschan haben viel Kritik hervorgerufen: Öl- und Gasstaaten seien kein geeigneter Gastgeber für das wichtigste Zusammentreffen der globalen Klimadiplomatie, lautet eine häufig geäußerte Meinung. Die COP31 im Jahr 2026 könnten Australien und einige Pazifikstaaten ausrichten. Bernhard Pötter erklärt, warum die Region ein Ideenlabor der Klimapolitik ist und welche Interessenkonflikte es zwischen den potenziellen Gastgebern gibt.

In den USA stehen schon dieses Jahr große Klimaentscheidungen an: Ein Wahlsieg Donald Trumps würde einen Rückschlag für den Klimaschutz bedeuten. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit ist eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die für den Mai oder Juni erwartet wird. Sie könnte die Befugnisse von Regierungsbehörden auch im Klimaschutz stark einschränken, wie Christoph Drösser schreibt. Es droht viel Unklarheit über die Ausgestaltung von Regulierungen. Behördliche Entscheidungen zum Umwelt- und Klimaschutz könnten viel einfacher vor Gericht angefochten werden, wenn der Supreme Court im Sinne der Kläger entscheidet.

Aufgrund des Feiertags am Donnerstag erscheint der nächste Climate.Table erst am Freitag.

Beste Grüße

Ihr
Nico Beckert
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Analyse

COP31: Zehn Gründe für Australien als Gastgeber

Anthony Albanese
Australiens Premierminister Anthony Albanese möchte die COP31 im Jahr 2026 nach Australien holen und die Klimakonferenz gemeinsam mit Pazifik-Staaten ausrichten.

Der Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Indopazifik hat die Aufmerksamkeit auch auf die Frage gelenkt, wo die UN-Klimakonferenz im Jahr 2026 stattfinden wird. Während sich die Klimadiplomaten dieses Jahr in Baku in Aserbaidschan zur COP29 und im nächsten Jahr im brasilianischen Belem zur COP30 treffen, steht der Gastgeber für die COP31 im Jahr 2026 noch nicht fest. Aus klimapolitischer Sicht gibt es aber viele Gründe für Australien als Austragungsort.

Die Entscheidung fällt in der UN-Gruppe “Westeuropa und andere Staaten“. Bisher haben nur zwei Staaten ihre Bereitschaft zur Ausrichtung der COP31 angekündigt: Australien und die Türkei. Für die Entscheidung braucht es einen Konsens in der Gruppe.

Deutschland zog sich zugunsten Australiens zurück

Ursprünglich hatte auch Deutschland überlegt, die COP31 zusammen mit Tschechien auszurichten. Dann aber zogen die Deutschen zugunsten der Bewerbung aus Canberra zurück. Dort plädiert die Labour-Regierung unter Premier Anthony Albanese für eine Konferenz gemeinsam mit den pazifischen Inselstaaten, wie Außenministerin Penny Wong sagt. Eine pazifische COP würde in einer Region stattfinden, deren Bedeutung als Hotspot und Ideenlabor der Klimapolitik oft vernachlässigt wird:

  • Die Inselstaaten des Pazifiks gehören laut IPCC zu den weltweit verwundbarsten Regionen im Klimawandel. Meeresspiegelanstieg, stärkere Stürme, Küstenerosion, Korallenbleichen, Bedrohung der Fischbestände, Dürren und Extremregen und Klima-Migration bedrohen die Stabilität der pazifischen Gemeinschaften.
  • Hier entstand das 1,5-Grad-Ziel von Paris. Denn bis zur und auf der COP21 arbeiteten die meisten Länder dafür, die 2-Grad-Grenze ins Pariser Abkommen zu schreiben. Erst der lautstarke Widerstand der Inselstaaten, unter ihnen viele aus dem Pazifik, führte kurz vor Ende der COP zur 1,5-Grad-Marke.

Pazifik-Staaten sind Geburtshelfer vieler COP-Durchbrüche

  • Hier entstand der Begriff “transition away from fossil fuels“, der im letzten Jahr auf der COP28 in Dubai für einen Durchbruch Richtung Ausstieg aus den fossilen Energien sorgte. Den Begriff “transition away”, also “Übergang weg von den Fossilen”, fanden die Pazifikstaaten beim Treffen der Regionalkonferenz Pacific Island Forum im November 2023 kurz vor Dubai. Er vereint die Interessen der Inselstaaten nach einem schnellen Fossil-Aus mit den Forderungen Australiens, dem drittgrößten Exporteur von Kohle weltweit.
  • Hier entstand die Idee für einen der potenziell folgenreichsten Klimaanträge an die UNO: Studenten der “University of the South Pacific” entwickelten 2019 die Idee, die UN-Generalversammlung solle den Internationalen Gerichtshof ICJ um eine Stellungnahme (“Advisory Opinion”) bitten, welche Pflichten Staaten zur Bekämpfung der Klimakrise hätten. Die Initiative wurde offiziell von Vanuatu aufgegriffen und wird jetzt von 120 Staaten unterstützt. Die Stellungnahme steht noch aus.
  • Hier wurde die erste Regelung zur Anerkennung und Aufnahme von Klimaflüchtlingen getroffen: Im November 2023 sicherte die australische Regierung Tuvalu zu, jedes Jahr 280 Einwohner des Inselstaats Bleiberecht in Australien zu gewähren, wenn das Meer die Inseln unbewohnbar macht.

Inselstaaten und Australien verfolgen unterschiedliche Ziele

  • Die Region ist geprägt von der Nachbarschaft und dem direkten Gegensatz zwischen den Forderungen der Inselstaaten nach einem “fossilfreien Pazifik” und Australiens Interesse an weiteren lukrativen Exporten von Kohle und Gas. Dass sich bei einer COP die Gastgeber bei einem so zentralen Thema konträr gegenüberstehen, brächte eine neue Dynamik in die Konferenz.
  • Australien geriete als künftiger COP-Ausrichter massiv unter Druck, seine Klimapolitik zu verändern. Bisher zahlt das Land nach einer Studie nur 16 Prozent seines fairen Anteils an internationaler Klimafinanzierung. Und statt eines Enddatums für die Produktion von Kohle und Gas genehmigt die Albanese-Regierung neue Projekte und vergibt etwa elf Milliarden australische Dollar an fossilen Subventionen.
  • Mit Fidschi besitzt die Region ein Land, das bereits Erfahrung mit der COP-Präsidentschaft gesammelt hat. Bei der COP23, die aus logistischen Gründen und mit praktischer und finanzieller Hilfe (110 Millionen Euro) von Deutschland in Bonn stattfand, sammelte das Land wichtige Erfahrungen.
  • Ein wichtiger Grund für Australien wäre auch, dass die COP31 nicht an die Türkei geht. Das Land hat wenig klimapolitische Erfahrung, setzt weiter auf Kohlestrom und hat in der Klimaszene einen schlechten Ruf: Wegen ihrer Wechsel zwischen den Kategorien der Klimarahmenkonvention (Annex I, Annex II, non-Annex I) hat die Türkei die Klimarahmenkonvention lange nicht ratifiziert – und viele Konferenzen danach in entscheidenden Momenten blockiert und verzögert. So war die Türkei nach Berichten von Verhandlern einer der letzten Bremser beim Pariser Abkommen, ehe ihre Einsprüche später mit viel Geld von der Weltbank aus dem Weg geräumt wurden.
  • Und niemand weiß, wie ernst es der türkischen Führung mit der COP-Bewerbung ist: Will das Land wirklich eine Klimakonferenz leiten – oder nur eine Einigung so lange blockieren, bis es sich die Zustimmung (wie beim Nato-Beitritt von Schweden) mit viel diplomatischem Aufwand und viel Geld abkaufen lässt?            
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Chevron-Doktrin: So wichtig wird das Urteil des Supreme Court fürs Klima

Exterior shot of the US Supreme Court Building on the opening day of its new term on September 2, 2023 in Washington D.C..
Washington: Wie entscheidet der Oberste Gerichtshof der USA?

Auf den ersten Blick ist es ein wenig bedeutsamer Streit, der vor dem Obersten Gerichtshof der USA verhandelt wird: Zwei Fischereibetriebe klagen dagegen, dass sie auf ihren Ausfahrten nicht nur einen Inspekteur der nationalen Aufsichtsbehörde mitnehmen müssen, der ihren Fang überwacht. Sie sollen dafür auch noch 700 US-Dollar pro Tag bezahlen. Diese Inspektionen sind gesetzlich vorgeschrieben, aber die Gebühr hat die Behörde selbst festgelegt. Und dazu, so die Kläger, habe sie kein Recht.

Aber die Verhandlung vor dem Supreme Court, der seine Entscheidung wohl vor Juni fällen wird, genießt eine große Aufmerksamkeit, weil sie Auswirkungen weit über die konkreten Fälle hinaus haben wird. Schlägt sich das Gericht auf die Seite der Kläger, dann hebt es damit eine Entscheidung auf, die es im Jahr 1984 gefällt hat: die sogenannte “Chevron Deference“. Damals ging es um die Auslegung eines Gesetzes über Schadstoffemissionen, und die Verfassungsrichter sagten: Wenn das Gesetz, das dem Handeln einer Behörde zugrunde liegt, unklar, mehrdeutig oder lückenhaft ist, dann sollen nicht Gerichte über die Interpretation entscheiden, sondern die Regierungsbehörden, die mit der Anwendung der Gesetze betraut sind – solange diese Interpretation “vernünftig” und “zulässig” ist. Diese Doktrin ist seit jeher vor allem großen Industriefirmen ein Dorn im Auge. Ohne Chevron wäre es leichter, jede behördliche Entscheidung, zum Beispiel über Emissions-Grenzwerte, vor Gericht anzufechten.

USA: Große Abneigung gegenüber Regierungsinstitutionen

Überall auf der Welt gibt es ein Dilemma zwischen der gesetzgeberischen Kompetenz der Parlamente und der komplexen Wirklichkeit. Kein Gesetz kann jeden möglichen Einzelfall vorhersehen, daher müssen Behörden es mit Inhalt füllen, indem sie Bestimmungen erlassen. Zumal sich die Wirklichkeit ständig ändert, neue Giftstoffe identifiziert werden oder Pandemien ausbrechen. Eine funktionierende Exekutive muss handeln können, ohne dass jedes Mal der Gesetzgeber erneut in Aktion treten muss.

Überall auf der Welt gibt es deshalb auch Vorbehalte gegen einen wachsenden bürokratischen Apparat, der seine eigenen Regeln schreibt und immer mehr Kompetenzen an sich reißt. In der Europäischen Union wird gern über den Brüsseler Amtsschimmel geklagt, der den Krümmungsgrad von Gurken oder die Zusammensetzung des Glühweins auf dem Weihnachtsmarkt regelt. Aber wohl nirgendwo ist die Abneigung gegen Regierungsinstitutionen so stark wie in den USA.

“Es geht um das Narrativ, dass die Regierungsbürokratie, der Deep State’, den Kleinen Mann unterdrückt”, sagt Jody Freeman, Professorin für Umweltrecht an der Harvard-Universität, im Interview mit Table.Briefings. Freeman war Beraterin für Energie- und Klimafragen unter Präsident Obama und gehört zu den angesehensten Umweltrechtsexperten der USA. “Das zweite Narrativ, das vor allem von einigen Supreme-Court-Richtern vorgebracht wird: Die Exekutive maßt sich zu viel Macht an, die eigentlich dem Kongress zukommt, und das Gericht soll die Balance wiederherstellen.” In Wirklichkeit gehe es aber weder um hehre Verfassungsprinzipien noch um die armen Fischer. Konservative Juristen würden diesen Fall mit viel Geld unterstützen, unter anderem von den berüchtigten Koch Industries, um die Legitimität der Regierungsinstitutionen infrage zu stellen und sie letztlich zu schwächen.

Keine Stabilität: Trump stieg aus dem Pariser Klimaabkommen aus, Biden wieder ein

Insbesondere das Argument, die Macht müsse von den Bürokraten hin zu den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern verschoben werden, fiel bei der ersten dreieinhalbstündigen Vorverhandlung im Supreme Court auf fruchtbaren Boden. Zumindest bei den konservativen Richtern, die dort eine Mehrheit von sechs zu drei haben. So wetterte der von Präsident Trump eingesetzte Richter Brett Kavanaugh nicht ausdrücklich gegen die Regierungsbehörden, sondern vor allem gegen das Phänomen, dass die Präsidenten zunehmend per Erlass regieren würden, ohne sich eine Kongressmehrheit für ihr Handeln suchen zu müssen. Präsident Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sein Nachfolger Biden tritt wieder bei. Auch ein großer Teil der Klimaschutzmaßnahmen der Biden-Regierung basiert auf präsidialen Erlassen. “Alle vier oder acht Jahre, wenn eine neue Regierung antritt, wird das System erschüttert”, sagte Kavanaugh, egal, ob es sich um Wettbewerbsrecht oder Umweltrecht handele. “Das ist keine Stabilität.”

Dem hält die Juristin Freeman entgegen, dass der Kongress durchaus die Freiheit habe, neue Gesetze zu beschließen und die Interpretationsfreiheit der Behörden zu beschränken. “Der Kongress hat viele Möglichkeiten, sich die Macht zurückzunehmen, wenn er das will.” Nur sei das US-Parlament ein völlig dysfunktionaler Gesetzgeber, der nicht einmal einen Haushalt beschließen könne. “Die Vorstellung, dass der Kongress Gesetze zum Umweltschutz, zur Regulierung von Lebens- und Arzneimitteln, zu Aktienmärkten und Verbraucherschutz regelmäßig aktualisieren kann, wenn ein neues Problem auftaucht – das ist ein Hirngespinst. So funktionieren eine moderne Wirtschaft und eine moderne Gesellschaft nicht.”

In diese Richtung argumentierte auch die liberale Verfassungsrichterin Elena Kagan in der Verhandlung. Sie brachte das Beispiel der Künstlichen Intelligenz – gerade auf dem Gebiet der Regulierung von Tech-Unternehmen tun sich die US-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier schwer. “Der Kongress kann bei diesem Thema kaum eine Woche in die Zukunft sehen, geschweige denn ein Jahr oder ein Jahrzehnt”, sagte sie. “Will der Kongress, dass dieses Gericht über die politikrelevanten Fragen der KI entscheidet?”

Chevron Deference wird vielleicht nicht komplett kassiert

Damit sprach Kagan eine wahrscheinliche Konsequenz der höchstrichterlichen Entscheidung an: Sollten die Richter die Chevron-Doktrin kippen, wird nicht etwa das Parlament eine Serie neuer Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze erlassen. Stattdessen werden viele Streitfälle zunächst vor lokalen Bundesrichtern, dann vor Appellationsgerichten und schließlich beim Supreme Court landen. Die nicht direkt legitimierten Richterinnen und Richter würden zu Entscheidern in politischen Fragen. “Das wird sehr chaotisch werden”, sagt Freeman, “aber unter dem Strich wird Regulierung erschwert und die Agenturen werden außer Gefecht gesetzt – und darum geht es ihnen.”

Wenn die Chevron-Doktrin fällt, dann haben die insgesamt 850 Bundesrichter im ganzen Land das Sagen in Streitfällen etwa zum Umweltrecht – und je nach deren politischer Ausrichtung werden die Urteile sehr unterschiedlich ausfallen. Die oberste Umweltbehörde EPA ist zuständig für die Umsetzung und Konkretisierung von mehr als 40 wichtigen Gesetzen, vom Clean Water Act bis zum Atomic Energy Act. Manche Expertinnen und Experten befürchten, dass große Firmen sogar alte Verfahren wieder aufrollen könnten, um industriefreundlichere Urteile zu bekommen. Und auch der Inflation Reduction Act (IRA) könnte verwässert werden: Denn ob seine Umsetzung wirkliche Effekte hat, hängt von den Details der Ausführungsbestimmungen ab.

Allerdings wird das Verfahren kein einfacher Durchmarsch der Kläger werden. Zwei der sechs konservativen Richterinnen und Richter sind noch nicht davon überzeugt, das Präzedenzurteil von 1984 zu revidieren – so wie es das aktuelle Gericht bei den jüngsten Entscheidungen über Abtreibung und Affirmative Action getan hat. “Wie sehr stellt sich diese Frage tatsächlich vor Ort?”, fragte der vorsitzende Richter John Roberts. Und Amy Coney Barrett, eine ebenfalls von Trump eingesetzte Richterin, befürchtet eine Flut von Gerichtsverfahren, falls auch Entscheidungen aus der Vergangenheit wieder aufgerollt werden sollten.

Statt Demut: Wirft der Supreme Court alle Bescheidenheit über Bord?

Manche Experten halten es für vorstellbar, dass das oberste Gericht die Chevron Deference nicht komplett kassiert, sondern strengere Vorgaben für die Richter macht, die Entscheidungen an die Behörden delegieren. Schon jetzt müssen die Gerichte vor einem solchen Beschluss prüfen, ob das Gesetz tatsächlich einen Interpretationsspielraum bietet und ob die Auslegung der Behörden nachvollziehbar ist. Wie eine solche schwächere Form von Chevron aussehen könnte, ist noch unklar.

Die ursprüngliche Chevron-Doktrin von 1984 sei auch keine wirkliche rechtliche Regel, sagt Freeman, sondern eher Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung. “Die sagt den Behörden im Prinzip: Wir respektieren euch und überlassen euch die tagtäglichen Entscheidungen. Das setzt einen Ton der Demut für die unteren Gerichte. Jetzt ist der Supreme Court bereit, jegliche Bescheidenheit über Bord zu werfen und zu sagen: Alle Rechtsfragen sind unsere Sache.”

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News

CO₂-Entnahmen: Wie die Staaten eine “CO₂-Müllabfuhr” aufbauen könnten

Die staatlichen Zusagen und Pläne zur Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre (Carbon Dioxid Removal, CDR) reichen nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Das geht aus einer neuen Nature-Studie hervor. Nur wenn die Staaten ihre Emissionen stark reduzierten, könnten die bisherigen CDR-Pläne ausreichend sein.

Laut der Studie würden die staatlichen CDR-Pläne bei einer vollständigen Umsetzung zu einer zusätzlichen CO₂-Entnahme von 0,5 Gigatonnen CO₂ im Jahr 2030 und zu einer zusätzlichen CO₂-Entnahme von 1,9 Gigatonnen im Jahr 2050 führen – jeweils im Vergleich zum Jahr 2020. Allerdings müssten im Jahr 2050 schon 5,1 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten. Es besteht also eine Lücke von mindestens 3,2 Gigatonnen.

“Planetarische Müllabfuhr” als zentrale Aufgabe der Politik

Die CO₂-Entnahme werde “als planetarische Müllabfuhr schon in Kürze ganz neue Anforderungen an die Politik stellen, sie wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts womöglich zur zentralen Säule des Klimaschutzes“, sagt der MCC-Experte William Lamb, der die Forschungsgruppe leitete.

In einem Policy Brief empfehlen die Forscher:

  • die Emissionen schneller zu verringern, um die Abhängigkeit von einer späteren CO₂-Entnahme zu verringern;
  • politische Anreize zu schaffen, um die “CO₂-Entnahme an Land, die Aufforstung und das Waldmanagement zu verbessern, während Ökosysteme geschützt werden” sollten;
  • Pläne zu entwickeln, um zukünftige Risiken der CO₂-Entnahme, wie Waldbrände, zu vermindern,
  • und neue CO₂-Entnahme-Technologien schneller weiterzuentwickeln und die Nachfrage nach diesen Technologien zu stärken. nib
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Jennifer Morgan: Diese Klimathemen verhandelt die Staatssekretärin auf ihrer Afrikareise

Die Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, ist zu einer mehrtägigen Reise nach Nigeria, Äthiopien und Kenia aufgebrochen. Im Rahmen ihres Besuchs ist unter anderem die Eröffnung eines Wasserstoffdiplomatiebüros in Kenia geplant. Ziel des Büros soll es sein, Know-how mit dem Land zu teilen und die Vernetzung von Wasserstoffexperten aus beiden Ländern zu fördern. Deutschland hat bereits ähnliche Büros in Nigeria und Saudi-Arabien eingerichtet. “Kenia bietet ideale Voraussetzungen für den Kraftstoff der Zukunft“, sagte Morgan vor ihrer Abreise am Montag.

Bei ihren Gesprächen in den drei Ländern stünde zudem der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Rahmen der Initiative “Accelerated Partnership for Renewables in Africa” im Fokus. Diese hatte Kenias Präsident William Ruto ins Leben gerufen. “Der afrikanische Kontinent ist ein Energiewendekontinent. Das riesige Erneuerbaren-Potenzial bietet Chancen für die Menschen vor Ort und für die Zusammenarbeit mit uns in Europa”, sagte Morgan weiter.

Neben Energie werde es auch um die Folgen des Klimawandels gehen. Mit der Afrikanischen Union will sich Morgan über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Sicherheit unterhalten. In Nigeria verschärfe sich durch den Klimawandel längst der Konflikt um knappe Ressourcen. dre

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Klimasicherheit: Warum Baerbock auf Fidschi ihre Unterstützung anbietet

Es war der erste Besuch einer deutschen Außenministerin auf Fidschi. Annalena Baerbock beendete dort am Dienstag ihre einwöchige Indopazifik-Reise, nachdem sie zuvor Australien und Neuseeland besucht hatte. Den pazifischen Inselstaaten sicherte sie weitere Unterstützung im Kampf gegen die Klimakrise zu und beteuerte, diese “ins Zentrum unserer verstärkten bilateralen Zusammenarbeit” stellen zu wollen.

Unterstützen wolle man etwa bei der Behebung von Klimaschäden. Baerbock kündigte aber auch wirtschaftliche Hilfen und Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien an. Denn, so die Außenministerin: “In dieser Region ist die Klimakrise längst keine abstrakte Bedrohung mehr, sondern die größte Sicherheitsbedrohung unserer Zeit.

Allgemein spielten Sicherheitsfragen auf der Indopazifik-Reise eine große Rolle. In Neuseeland sprach Baerbock etwa von “Klimasicherheit” und bezog sich – wie auch auf Fidschi – auf Klimaschäden und überlappende Sicherheitsrisiken, beispielsweise für Wirtschaft und Gesellschaft. Neben Extremwetterereignissen haben die Küstenregionen Fidschis etwa auch mit dem steigenden Meeresspiegel zu kämpfen. Sechs Dörfer mussten dort bereits aufgegeben werden; 42 gelten als stark gefährdet.

Charme-Offensive mit Kalkül

Als erfahrene Klimapolitikerin will Baerbock den Kampf gegen die Erderhitzung viel stärker durch “soft power” in die offizielle deutsche Diplomatie einbeziehen. Das hielt sie Ende 2023 zur COP28 in der “Klimaaußenpolitikstrategie” der Bundesregierung fest. Bereits im Sommer 2022 hatte sie auch den Pazifikstaat Palau besucht. Deutschland unterstützt zudem die Bewerbung von Australien und seinen Nachbarn um die COP31 im Jahr 2026. Fidschi selbst war schon 2017 Gastgeber der COP. Diese wurde allerdings in Bonn ausgetragen, weil Fidschi das Treffen tausender Delegierter allein nicht hätte bewältigen können. Deutschland unterstützte damals logistisch und finanziell mit 110 Millionen Euro.

Von der Klima-Charmeoffensive im Pazifik könnte Deutschland wiederum selbst profitieren: Bei den UN-Klimaverhandlungen hat jedes Land eine Stimme – große Industrieländer genauso wie kleine Inselstaaten. Diese könnten im Gegenzug etwaige Vorschläge und Interessen Deutschlands unterstützen. dpa/lb

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CO₂-Kompensation: Wie Shell Millionen “Phantom”-Zertifikate verkauft hat

Shell hat im Zusammenhang mit CO₂-Entnahme-Projekten Millionen Kompensationszertifikate verkauft, für die keine CO₂-Abscheidung (CCS) stattfand. Als Teil eines Subventionsprogramms hat die Regionalregierung in Alberta dem Ölunternehmen zwischen 2015 und 2021 erlaubt, Zertifikate für doppelt so viele Emissionen zu registrieren, wie tatsächlich durch das Entnahmeprojekt Quest bei Edmonton in Alberta verhindert wurden. Das berichtete die Financial Times. Demnach wurden die Subventionen anschließend verringert und sind 2022 ausgelaufen.

Insgesamt soll Shell damit nach Provinzregistern von Alberta 5,7 Millionen Kompensationszertifikate, die jeweils einer Tonne CO₂ entsprechen, ohne reale Einsparungen verkauft haben. Zu den größten Käufern gehörten Unternehmen der Ölsandindustrie wie Chevron, ConocoPhillips und Imperial Oil. Greenpeace Kanada kritisierte, dass diese “Phantom-Credits” den Klimawandel verschlimmern würden. Die Vorgänge bringen nun erneut Zweifel an der CCS-Technologie sowie am Handel mit Kompensationszertifikaten auf. Die CCS-Anlage Quest steht wiederholt in der Kritik, beispielsweise gibt es den Vorwurf, dass sie mehr CO₂ ausstoße, als sie abscheide und speichere. kul

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Studie: So verletzt klimaschädliche Werbung den Medienstaatsvertrag

In jedem dritten TV-Werbespot und in jeder siebten Werbung auf Youtube werde für Produkte geworben, die dem Klima schaden. Besonders betroffen seien beworbene Süßwaren (86 Prozent schaden dem Klima), Autos (78 Prozent) und Drogerieartikel (72 Prozent). Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie der Otto-Brenner-Stiftung, in der zudem gewarnt wird: Derartige Werbepraktiken würden gegen Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags verstoßen. Dieser untersagt Verhaltensweisen, die “in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden”.

Für die Studie wurden knapp 10.000 Werbespots auf ARD, ZDF, RTL, Sat.1, Pro7 sowie auf Youtube analysiert. Zudem wurde der CO₂-Fußabdruck der beworbenen Produkte berechnet. Analysiert wurden auch unterschiedliche Strategien, mit denen der Klimaschaden verschleiert werde: So warben etwa 21 Prozent der klimaschädlichen Werbespots mit Bildern von Naturlandschaften und Wildtieren. “Damit wird die Botschaft vermittelt, man tue etwas Gutes für die Umwelt, wenn man diese Produkte kauft”, erklärt Autorin Alexandra Hilpert. Doch das sei “irreführendes Greenwashing”.

Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags biete allerdings “juristischen Auslegungsspielraum”, heißt es in der Analyse. Wann Verhaltensweisen “in hohem Maß den Schutz der Umwelt gefährden”, sei bislang nicht präzisiert worden. In einem einschlägigen Kommentar zum Rundfunkrecht werde aber von einer “eher geringen praktischen Bedeutung” des Paragrafen ausgegangen. Auch deshalb sei die Medienpolitik gefordert: Die Studienautoren empfehlen etwa verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte oder ein dynamisches Preis- oder Umlagesystem für Werbung – und ein Werbeverbot für besonders klimaschädliche Produkte oder Produktgruppen. lb

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Heads

Anna Cavazzini – “den EU Green Deal ambitioniert umsetzen”

Porträtfoto von Anna Cavazzini.
Anna Cavazzini (Grüne/EFA) ist Vorsitzende des Binnenmarktausschusses und Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation im EU-Parlament.

Die Angriffe auf Politiker und Wahlkampfhelfer in Dresden haben Anna Cavazzini geschockt. “Ich bin zutiefst entsetzt über diese niederträchtigen Angriffe. Diese Gewalt sind Angriffe auf uns alle und unsere Demokratie”, sagt die grüne Europa-Politikerin, deren Wahlkreise Sachsen und Sachsen-Anhalt sind. “Wir lassen uns nicht einschüchtern oder verdrängen. Wer Mitglieder von Parteien angreift, zerstört damit die Demokratie. Das dürfen wir niemals dulden.”

Cavazzini wurde 2019 in das EU-Parlament gewählt, 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und für Verbraucherschutz zuständig ist. Dass sie bei den Europawahlen im Juni wiedergewählt wird, ist so gut wie sicher: Sie kandidiert auf dem 3. Listenplatz von Bündnis 90/Die Grünen. Die zentrale Forderung der Grünen im Wahlkampf wird die ambitionierte Umsetzung des Green Deal sein. Doch der Konsens über das Projekt bröckelt: “Es kann sehr gut sein, dass der Green Deal jetzt beerdigt wird“, befürchtet Cavazzini. Nachdem die EVP das Projekt in den ersten zwei oder drei Jahren mitgetragen und lediglich über Nuancen gestritten habe, sei sie zum Ende des Mandats in den “Anti-Green-Deal-Chor” von Mitte-rechts eingestiegen.

Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.

Schattenberichterstatterin für das EU-Lieferkettengesetz

In der endenden Legislaturperiode hat Cavazzini als Ausschussvorsitzende und Schattenberichterstatterin diverse Gesetze mitverhandelt: etwa das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD), das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit sowie die Recht auf Reparatur-Richtlinie. Besonders im Bereich der Kreislaufwirtschaft habe die EU in den vergangenen fünf Jahren Meilensteine erreicht, sagt die 41-Jährige. Dazu gehörten auch das einheitliche Ladekabel, die Ökodesign-Verordnung und die Verpackungsverordnung.

Trotzdem spricht sie sich gegen den von den Konservativen und Liberalen geforderten “Regulierungsstopp” aus. “Wir als EU sind weiterhin nicht auf dem 1,5 Grad-Pfad und weiterhin einer der weltweit größten Produzenten von Elektroschrott“, erklärt sie. Deshalb gelte es in der kommenden Legislatur, Lücken ausfindig zu machen. Die sieht sie vor allem bei den Importen: “Die Marktüberwachung und der Zoll kommen nicht hinterher zu überwachen, dass Produkte, die nicht unseren Standards entsprechen, nicht hier auf dem EU-Binnenmarkt landen.”

Die Europäische Zollreform soll diese Schlupflöcher schließen, indem die Zollbehörden gestärkt werden. Das Vorhaben konnte leider nicht mehr vor den Wahlen abgeschlossen werden, sagt Cavazzini. Im Gegensatz zum Parlament habe der Rat sein Verhandlungsmandat noch nicht angenommen.

“In Zukunft noch mehr mit Partnerländern sprechen”

Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zog Cavazzini im vergangenen Jahr im Gespräch mit Table.Briefings Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.

Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini in diesem Mandat mehrmals nach Südamerika. Sie besuchte unter anderem indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Präsident Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” 

Das EU-Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten, das bis Ende des Jahres von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, steht allerdings zurzeit in der Kritik. Mehrere Mitgliedstaaten hatten zuletzt eine Verschiebung der Frist gefordert. Die Kommission hänge bei der Implementierung hinterher, erklärt Cavazzini, unter anderem habe sie noch kein Länder-Benchmarking veröffentlicht. Eine solche Anfangsphase sei jedoch leider normal. Das Argument von Drittländern, die EU wolle mit dem Gesetz ihren eigenen Markt schützen, weise sie komplett zurück: “Es geht hier um Verantwortung für unsere Lieferketten.” Die Debatte zeige aber: Die EU müsse in Zukunft während der Gesetzgebung noch mehr mit ihren Partnerländern sprechen. “Wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen.”

Beim Bouldern über Europa diskutieren

Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist sie dafür weit nach oben geklettert. In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.”

In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld

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Climate.Table Redaktion

CLIMATE.TABLE REDAKTION

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    In den USA stehen schon dieses Jahr große Klimaentscheidungen an: Ein Wahlsieg Donald Trumps würde einen Rückschlag für den Klimaschutz bedeuten. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit ist eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die für den Mai oder Juni erwartet wird. Sie könnte die Befugnisse von Regierungsbehörden auch im Klimaschutz stark einschränken, wie Christoph Drösser schreibt. Es droht viel Unklarheit über die Ausgestaltung von Regulierungen. Behördliche Entscheidungen zum Umwelt- und Klimaschutz könnten viel einfacher vor Gericht angefochten werden, wenn der Supreme Court im Sinne der Kläger entscheidet.

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    Anthony Albanese
    Australiens Premierminister Anthony Albanese möchte die COP31 im Jahr 2026 nach Australien holen und die Klimakonferenz gemeinsam mit Pazifik-Staaten ausrichten.

    Der Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Indopazifik hat die Aufmerksamkeit auch auf die Frage gelenkt, wo die UN-Klimakonferenz im Jahr 2026 stattfinden wird. Während sich die Klimadiplomaten dieses Jahr in Baku in Aserbaidschan zur COP29 und im nächsten Jahr im brasilianischen Belem zur COP30 treffen, steht der Gastgeber für die COP31 im Jahr 2026 noch nicht fest. Aus klimapolitischer Sicht gibt es aber viele Gründe für Australien als Austragungsort.

    Die Entscheidung fällt in der UN-Gruppe “Westeuropa und andere Staaten“. Bisher haben nur zwei Staaten ihre Bereitschaft zur Ausrichtung der COP31 angekündigt: Australien und die Türkei. Für die Entscheidung braucht es einen Konsens in der Gruppe.

    Deutschland zog sich zugunsten Australiens zurück

    Ursprünglich hatte auch Deutschland überlegt, die COP31 zusammen mit Tschechien auszurichten. Dann aber zogen die Deutschen zugunsten der Bewerbung aus Canberra zurück. Dort plädiert die Labour-Regierung unter Premier Anthony Albanese für eine Konferenz gemeinsam mit den pazifischen Inselstaaten, wie Außenministerin Penny Wong sagt. Eine pazifische COP würde in einer Region stattfinden, deren Bedeutung als Hotspot und Ideenlabor der Klimapolitik oft vernachlässigt wird:

    • Die Inselstaaten des Pazifiks gehören laut IPCC zu den weltweit verwundbarsten Regionen im Klimawandel. Meeresspiegelanstieg, stärkere Stürme, Küstenerosion, Korallenbleichen, Bedrohung der Fischbestände, Dürren und Extremregen und Klima-Migration bedrohen die Stabilität der pazifischen Gemeinschaften.
    • Hier entstand das 1,5-Grad-Ziel von Paris. Denn bis zur und auf der COP21 arbeiteten die meisten Länder dafür, die 2-Grad-Grenze ins Pariser Abkommen zu schreiben. Erst der lautstarke Widerstand der Inselstaaten, unter ihnen viele aus dem Pazifik, führte kurz vor Ende der COP zur 1,5-Grad-Marke.

    Pazifik-Staaten sind Geburtshelfer vieler COP-Durchbrüche

    • Hier entstand der Begriff “transition away from fossil fuels“, der im letzten Jahr auf der COP28 in Dubai für einen Durchbruch Richtung Ausstieg aus den fossilen Energien sorgte. Den Begriff “transition away”, also “Übergang weg von den Fossilen”, fanden die Pazifikstaaten beim Treffen der Regionalkonferenz Pacific Island Forum im November 2023 kurz vor Dubai. Er vereint die Interessen der Inselstaaten nach einem schnellen Fossil-Aus mit den Forderungen Australiens, dem drittgrößten Exporteur von Kohle weltweit.
    • Hier entstand die Idee für einen der potenziell folgenreichsten Klimaanträge an die UNO: Studenten der “University of the South Pacific” entwickelten 2019 die Idee, die UN-Generalversammlung solle den Internationalen Gerichtshof ICJ um eine Stellungnahme (“Advisory Opinion”) bitten, welche Pflichten Staaten zur Bekämpfung der Klimakrise hätten. Die Initiative wurde offiziell von Vanuatu aufgegriffen und wird jetzt von 120 Staaten unterstützt. Die Stellungnahme steht noch aus.
    • Hier wurde die erste Regelung zur Anerkennung und Aufnahme von Klimaflüchtlingen getroffen: Im November 2023 sicherte die australische Regierung Tuvalu zu, jedes Jahr 280 Einwohner des Inselstaats Bleiberecht in Australien zu gewähren, wenn das Meer die Inseln unbewohnbar macht.

    Inselstaaten und Australien verfolgen unterschiedliche Ziele

    • Die Region ist geprägt von der Nachbarschaft und dem direkten Gegensatz zwischen den Forderungen der Inselstaaten nach einem “fossilfreien Pazifik” und Australiens Interesse an weiteren lukrativen Exporten von Kohle und Gas. Dass sich bei einer COP die Gastgeber bei einem so zentralen Thema konträr gegenüberstehen, brächte eine neue Dynamik in die Konferenz.
    • Australien geriete als künftiger COP-Ausrichter massiv unter Druck, seine Klimapolitik zu verändern. Bisher zahlt das Land nach einer Studie nur 16 Prozent seines fairen Anteils an internationaler Klimafinanzierung. Und statt eines Enddatums für die Produktion von Kohle und Gas genehmigt die Albanese-Regierung neue Projekte und vergibt etwa elf Milliarden australische Dollar an fossilen Subventionen.
    • Mit Fidschi besitzt die Region ein Land, das bereits Erfahrung mit der COP-Präsidentschaft gesammelt hat. Bei der COP23, die aus logistischen Gründen und mit praktischer und finanzieller Hilfe (110 Millionen Euro) von Deutschland in Bonn stattfand, sammelte das Land wichtige Erfahrungen.
    • Ein wichtiger Grund für Australien wäre auch, dass die COP31 nicht an die Türkei geht. Das Land hat wenig klimapolitische Erfahrung, setzt weiter auf Kohlestrom und hat in der Klimaszene einen schlechten Ruf: Wegen ihrer Wechsel zwischen den Kategorien der Klimarahmenkonvention (Annex I, Annex II, non-Annex I) hat die Türkei die Klimarahmenkonvention lange nicht ratifiziert – und viele Konferenzen danach in entscheidenden Momenten blockiert und verzögert. So war die Türkei nach Berichten von Verhandlern einer der letzten Bremser beim Pariser Abkommen, ehe ihre Einsprüche später mit viel Geld von der Weltbank aus dem Weg geräumt wurden.
    • Und niemand weiß, wie ernst es der türkischen Führung mit der COP-Bewerbung ist: Will das Land wirklich eine Klimakonferenz leiten – oder nur eine Einigung so lange blockieren, bis es sich die Zustimmung (wie beim Nato-Beitritt von Schweden) mit viel diplomatischem Aufwand und viel Geld abkaufen lässt?            
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    Chevron-Doktrin: So wichtig wird das Urteil des Supreme Court fürs Klima

    Exterior shot of the US Supreme Court Building on the opening day of its new term on September 2, 2023 in Washington D.C..
    Washington: Wie entscheidet der Oberste Gerichtshof der USA?

    Auf den ersten Blick ist es ein wenig bedeutsamer Streit, der vor dem Obersten Gerichtshof der USA verhandelt wird: Zwei Fischereibetriebe klagen dagegen, dass sie auf ihren Ausfahrten nicht nur einen Inspekteur der nationalen Aufsichtsbehörde mitnehmen müssen, der ihren Fang überwacht. Sie sollen dafür auch noch 700 US-Dollar pro Tag bezahlen. Diese Inspektionen sind gesetzlich vorgeschrieben, aber die Gebühr hat die Behörde selbst festgelegt. Und dazu, so die Kläger, habe sie kein Recht.

    Aber die Verhandlung vor dem Supreme Court, der seine Entscheidung wohl vor Juni fällen wird, genießt eine große Aufmerksamkeit, weil sie Auswirkungen weit über die konkreten Fälle hinaus haben wird. Schlägt sich das Gericht auf die Seite der Kläger, dann hebt es damit eine Entscheidung auf, die es im Jahr 1984 gefällt hat: die sogenannte “Chevron Deference“. Damals ging es um die Auslegung eines Gesetzes über Schadstoffemissionen, und die Verfassungsrichter sagten: Wenn das Gesetz, das dem Handeln einer Behörde zugrunde liegt, unklar, mehrdeutig oder lückenhaft ist, dann sollen nicht Gerichte über die Interpretation entscheiden, sondern die Regierungsbehörden, die mit der Anwendung der Gesetze betraut sind – solange diese Interpretation “vernünftig” und “zulässig” ist. Diese Doktrin ist seit jeher vor allem großen Industriefirmen ein Dorn im Auge. Ohne Chevron wäre es leichter, jede behördliche Entscheidung, zum Beispiel über Emissions-Grenzwerte, vor Gericht anzufechten.

    USA: Große Abneigung gegenüber Regierungsinstitutionen

    Überall auf der Welt gibt es ein Dilemma zwischen der gesetzgeberischen Kompetenz der Parlamente und der komplexen Wirklichkeit. Kein Gesetz kann jeden möglichen Einzelfall vorhersehen, daher müssen Behörden es mit Inhalt füllen, indem sie Bestimmungen erlassen. Zumal sich die Wirklichkeit ständig ändert, neue Giftstoffe identifiziert werden oder Pandemien ausbrechen. Eine funktionierende Exekutive muss handeln können, ohne dass jedes Mal der Gesetzgeber erneut in Aktion treten muss.

    Überall auf der Welt gibt es deshalb auch Vorbehalte gegen einen wachsenden bürokratischen Apparat, der seine eigenen Regeln schreibt und immer mehr Kompetenzen an sich reißt. In der Europäischen Union wird gern über den Brüsseler Amtsschimmel geklagt, der den Krümmungsgrad von Gurken oder die Zusammensetzung des Glühweins auf dem Weihnachtsmarkt regelt. Aber wohl nirgendwo ist die Abneigung gegen Regierungsinstitutionen so stark wie in den USA.

    “Es geht um das Narrativ, dass die Regierungsbürokratie, der Deep State’, den Kleinen Mann unterdrückt”, sagt Jody Freeman, Professorin für Umweltrecht an der Harvard-Universität, im Interview mit Table.Briefings. Freeman war Beraterin für Energie- und Klimafragen unter Präsident Obama und gehört zu den angesehensten Umweltrechtsexperten der USA. “Das zweite Narrativ, das vor allem von einigen Supreme-Court-Richtern vorgebracht wird: Die Exekutive maßt sich zu viel Macht an, die eigentlich dem Kongress zukommt, und das Gericht soll die Balance wiederherstellen.” In Wirklichkeit gehe es aber weder um hehre Verfassungsprinzipien noch um die armen Fischer. Konservative Juristen würden diesen Fall mit viel Geld unterstützen, unter anderem von den berüchtigten Koch Industries, um die Legitimität der Regierungsinstitutionen infrage zu stellen und sie letztlich zu schwächen.

    Keine Stabilität: Trump stieg aus dem Pariser Klimaabkommen aus, Biden wieder ein

    Insbesondere das Argument, die Macht müsse von den Bürokraten hin zu den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern verschoben werden, fiel bei der ersten dreieinhalbstündigen Vorverhandlung im Supreme Court auf fruchtbaren Boden. Zumindest bei den konservativen Richtern, die dort eine Mehrheit von sechs zu drei haben. So wetterte der von Präsident Trump eingesetzte Richter Brett Kavanaugh nicht ausdrücklich gegen die Regierungsbehörden, sondern vor allem gegen das Phänomen, dass die Präsidenten zunehmend per Erlass regieren würden, ohne sich eine Kongressmehrheit für ihr Handeln suchen zu müssen. Präsident Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sein Nachfolger Biden tritt wieder bei. Auch ein großer Teil der Klimaschutzmaßnahmen der Biden-Regierung basiert auf präsidialen Erlassen. “Alle vier oder acht Jahre, wenn eine neue Regierung antritt, wird das System erschüttert”, sagte Kavanaugh, egal, ob es sich um Wettbewerbsrecht oder Umweltrecht handele. “Das ist keine Stabilität.”

    Dem hält die Juristin Freeman entgegen, dass der Kongress durchaus die Freiheit habe, neue Gesetze zu beschließen und die Interpretationsfreiheit der Behörden zu beschränken. “Der Kongress hat viele Möglichkeiten, sich die Macht zurückzunehmen, wenn er das will.” Nur sei das US-Parlament ein völlig dysfunktionaler Gesetzgeber, der nicht einmal einen Haushalt beschließen könne. “Die Vorstellung, dass der Kongress Gesetze zum Umweltschutz, zur Regulierung von Lebens- und Arzneimitteln, zu Aktienmärkten und Verbraucherschutz regelmäßig aktualisieren kann, wenn ein neues Problem auftaucht – das ist ein Hirngespinst. So funktionieren eine moderne Wirtschaft und eine moderne Gesellschaft nicht.”

    In diese Richtung argumentierte auch die liberale Verfassungsrichterin Elena Kagan in der Verhandlung. Sie brachte das Beispiel der Künstlichen Intelligenz – gerade auf dem Gebiet der Regulierung von Tech-Unternehmen tun sich die US-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier schwer. “Der Kongress kann bei diesem Thema kaum eine Woche in die Zukunft sehen, geschweige denn ein Jahr oder ein Jahrzehnt”, sagte sie. “Will der Kongress, dass dieses Gericht über die politikrelevanten Fragen der KI entscheidet?”

    Chevron Deference wird vielleicht nicht komplett kassiert

    Damit sprach Kagan eine wahrscheinliche Konsequenz der höchstrichterlichen Entscheidung an: Sollten die Richter die Chevron-Doktrin kippen, wird nicht etwa das Parlament eine Serie neuer Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze erlassen. Stattdessen werden viele Streitfälle zunächst vor lokalen Bundesrichtern, dann vor Appellationsgerichten und schließlich beim Supreme Court landen. Die nicht direkt legitimierten Richterinnen und Richter würden zu Entscheidern in politischen Fragen. “Das wird sehr chaotisch werden”, sagt Freeman, “aber unter dem Strich wird Regulierung erschwert und die Agenturen werden außer Gefecht gesetzt – und darum geht es ihnen.”

    Wenn die Chevron-Doktrin fällt, dann haben die insgesamt 850 Bundesrichter im ganzen Land das Sagen in Streitfällen etwa zum Umweltrecht – und je nach deren politischer Ausrichtung werden die Urteile sehr unterschiedlich ausfallen. Die oberste Umweltbehörde EPA ist zuständig für die Umsetzung und Konkretisierung von mehr als 40 wichtigen Gesetzen, vom Clean Water Act bis zum Atomic Energy Act. Manche Expertinnen und Experten befürchten, dass große Firmen sogar alte Verfahren wieder aufrollen könnten, um industriefreundlichere Urteile zu bekommen. Und auch der Inflation Reduction Act (IRA) könnte verwässert werden: Denn ob seine Umsetzung wirkliche Effekte hat, hängt von den Details der Ausführungsbestimmungen ab.

    Allerdings wird das Verfahren kein einfacher Durchmarsch der Kläger werden. Zwei der sechs konservativen Richterinnen und Richter sind noch nicht davon überzeugt, das Präzedenzurteil von 1984 zu revidieren – so wie es das aktuelle Gericht bei den jüngsten Entscheidungen über Abtreibung und Affirmative Action getan hat. “Wie sehr stellt sich diese Frage tatsächlich vor Ort?”, fragte der vorsitzende Richter John Roberts. Und Amy Coney Barrett, eine ebenfalls von Trump eingesetzte Richterin, befürchtet eine Flut von Gerichtsverfahren, falls auch Entscheidungen aus der Vergangenheit wieder aufgerollt werden sollten.

    Statt Demut: Wirft der Supreme Court alle Bescheidenheit über Bord?

    Manche Experten halten es für vorstellbar, dass das oberste Gericht die Chevron Deference nicht komplett kassiert, sondern strengere Vorgaben für die Richter macht, die Entscheidungen an die Behörden delegieren. Schon jetzt müssen die Gerichte vor einem solchen Beschluss prüfen, ob das Gesetz tatsächlich einen Interpretationsspielraum bietet und ob die Auslegung der Behörden nachvollziehbar ist. Wie eine solche schwächere Form von Chevron aussehen könnte, ist noch unklar.

    Die ursprüngliche Chevron-Doktrin von 1984 sei auch keine wirkliche rechtliche Regel, sagt Freeman, sondern eher Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung. “Die sagt den Behörden im Prinzip: Wir respektieren euch und überlassen euch die tagtäglichen Entscheidungen. Das setzt einen Ton der Demut für die unteren Gerichte. Jetzt ist der Supreme Court bereit, jegliche Bescheidenheit über Bord zu werfen und zu sagen: Alle Rechtsfragen sind unsere Sache.”

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    News

    CO₂-Entnahmen: Wie die Staaten eine “CO₂-Müllabfuhr” aufbauen könnten

    Die staatlichen Zusagen und Pläne zur Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre (Carbon Dioxid Removal, CDR) reichen nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Das geht aus einer neuen Nature-Studie hervor. Nur wenn die Staaten ihre Emissionen stark reduzierten, könnten die bisherigen CDR-Pläne ausreichend sein.

    Laut der Studie würden die staatlichen CDR-Pläne bei einer vollständigen Umsetzung zu einer zusätzlichen CO₂-Entnahme von 0,5 Gigatonnen CO₂ im Jahr 2030 und zu einer zusätzlichen CO₂-Entnahme von 1,9 Gigatonnen im Jahr 2050 führen – jeweils im Vergleich zum Jahr 2020. Allerdings müssten im Jahr 2050 schon 5,1 Gigatonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten. Es besteht also eine Lücke von mindestens 3,2 Gigatonnen.

    “Planetarische Müllabfuhr” als zentrale Aufgabe der Politik

    Die CO₂-Entnahme werde “als planetarische Müllabfuhr schon in Kürze ganz neue Anforderungen an die Politik stellen, sie wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts womöglich zur zentralen Säule des Klimaschutzes“, sagt der MCC-Experte William Lamb, der die Forschungsgruppe leitete.

    In einem Policy Brief empfehlen die Forscher:

    • die Emissionen schneller zu verringern, um die Abhängigkeit von einer späteren CO₂-Entnahme zu verringern;
    • politische Anreize zu schaffen, um die “CO₂-Entnahme an Land, die Aufforstung und das Waldmanagement zu verbessern, während Ökosysteme geschützt werden” sollten;
    • Pläne zu entwickeln, um zukünftige Risiken der CO₂-Entnahme, wie Waldbrände, zu vermindern,
    • und neue CO₂-Entnahme-Technologien schneller weiterzuentwickeln und die Nachfrage nach diesen Technologien zu stärken. nib
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    Jennifer Morgan: Diese Klimathemen verhandelt die Staatssekretärin auf ihrer Afrikareise

    Die Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, ist zu einer mehrtägigen Reise nach Nigeria, Äthiopien und Kenia aufgebrochen. Im Rahmen ihres Besuchs ist unter anderem die Eröffnung eines Wasserstoffdiplomatiebüros in Kenia geplant. Ziel des Büros soll es sein, Know-how mit dem Land zu teilen und die Vernetzung von Wasserstoffexperten aus beiden Ländern zu fördern. Deutschland hat bereits ähnliche Büros in Nigeria und Saudi-Arabien eingerichtet. “Kenia bietet ideale Voraussetzungen für den Kraftstoff der Zukunft“, sagte Morgan vor ihrer Abreise am Montag.

    Bei ihren Gesprächen in den drei Ländern stünde zudem der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Rahmen der Initiative “Accelerated Partnership for Renewables in Africa” im Fokus. Diese hatte Kenias Präsident William Ruto ins Leben gerufen. “Der afrikanische Kontinent ist ein Energiewendekontinent. Das riesige Erneuerbaren-Potenzial bietet Chancen für die Menschen vor Ort und für die Zusammenarbeit mit uns in Europa”, sagte Morgan weiter.

    Neben Energie werde es auch um die Folgen des Klimawandels gehen. Mit der Afrikanischen Union will sich Morgan über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Sicherheit unterhalten. In Nigeria verschärfe sich durch den Klimawandel längst der Konflikt um knappe Ressourcen. dre

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    Klimasicherheit: Warum Baerbock auf Fidschi ihre Unterstützung anbietet

    Es war der erste Besuch einer deutschen Außenministerin auf Fidschi. Annalena Baerbock beendete dort am Dienstag ihre einwöchige Indopazifik-Reise, nachdem sie zuvor Australien und Neuseeland besucht hatte. Den pazifischen Inselstaaten sicherte sie weitere Unterstützung im Kampf gegen die Klimakrise zu und beteuerte, diese “ins Zentrum unserer verstärkten bilateralen Zusammenarbeit” stellen zu wollen.

    Unterstützen wolle man etwa bei der Behebung von Klimaschäden. Baerbock kündigte aber auch wirtschaftliche Hilfen und Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien an. Denn, so die Außenministerin: “In dieser Region ist die Klimakrise längst keine abstrakte Bedrohung mehr, sondern die größte Sicherheitsbedrohung unserer Zeit.

    Allgemein spielten Sicherheitsfragen auf der Indopazifik-Reise eine große Rolle. In Neuseeland sprach Baerbock etwa von “Klimasicherheit” und bezog sich – wie auch auf Fidschi – auf Klimaschäden und überlappende Sicherheitsrisiken, beispielsweise für Wirtschaft und Gesellschaft. Neben Extremwetterereignissen haben die Küstenregionen Fidschis etwa auch mit dem steigenden Meeresspiegel zu kämpfen. Sechs Dörfer mussten dort bereits aufgegeben werden; 42 gelten als stark gefährdet.

    Charme-Offensive mit Kalkül

    Als erfahrene Klimapolitikerin will Baerbock den Kampf gegen die Erderhitzung viel stärker durch “soft power” in die offizielle deutsche Diplomatie einbeziehen. Das hielt sie Ende 2023 zur COP28 in der “Klimaaußenpolitikstrategie” der Bundesregierung fest. Bereits im Sommer 2022 hatte sie auch den Pazifikstaat Palau besucht. Deutschland unterstützt zudem die Bewerbung von Australien und seinen Nachbarn um die COP31 im Jahr 2026. Fidschi selbst war schon 2017 Gastgeber der COP. Diese wurde allerdings in Bonn ausgetragen, weil Fidschi das Treffen tausender Delegierter allein nicht hätte bewältigen können. Deutschland unterstützte damals logistisch und finanziell mit 110 Millionen Euro.

    Von der Klima-Charmeoffensive im Pazifik könnte Deutschland wiederum selbst profitieren: Bei den UN-Klimaverhandlungen hat jedes Land eine Stimme – große Industrieländer genauso wie kleine Inselstaaten. Diese könnten im Gegenzug etwaige Vorschläge und Interessen Deutschlands unterstützen. dpa/lb

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    CO₂-Kompensation: Wie Shell Millionen “Phantom”-Zertifikate verkauft hat

    Shell hat im Zusammenhang mit CO₂-Entnahme-Projekten Millionen Kompensationszertifikate verkauft, für die keine CO₂-Abscheidung (CCS) stattfand. Als Teil eines Subventionsprogramms hat die Regionalregierung in Alberta dem Ölunternehmen zwischen 2015 und 2021 erlaubt, Zertifikate für doppelt so viele Emissionen zu registrieren, wie tatsächlich durch das Entnahmeprojekt Quest bei Edmonton in Alberta verhindert wurden. Das berichtete die Financial Times. Demnach wurden die Subventionen anschließend verringert und sind 2022 ausgelaufen.

    Insgesamt soll Shell damit nach Provinzregistern von Alberta 5,7 Millionen Kompensationszertifikate, die jeweils einer Tonne CO₂ entsprechen, ohne reale Einsparungen verkauft haben. Zu den größten Käufern gehörten Unternehmen der Ölsandindustrie wie Chevron, ConocoPhillips und Imperial Oil. Greenpeace Kanada kritisierte, dass diese “Phantom-Credits” den Klimawandel verschlimmern würden. Die Vorgänge bringen nun erneut Zweifel an der CCS-Technologie sowie am Handel mit Kompensationszertifikaten auf. Die CCS-Anlage Quest steht wiederholt in der Kritik, beispielsweise gibt es den Vorwurf, dass sie mehr CO₂ ausstoße, als sie abscheide und speichere. kul

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    Studie: So verletzt klimaschädliche Werbung den Medienstaatsvertrag

    In jedem dritten TV-Werbespot und in jeder siebten Werbung auf Youtube werde für Produkte geworben, die dem Klima schaden. Besonders betroffen seien beworbene Süßwaren (86 Prozent schaden dem Klima), Autos (78 Prozent) und Drogerieartikel (72 Prozent). Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie der Otto-Brenner-Stiftung, in der zudem gewarnt wird: Derartige Werbepraktiken würden gegen Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags verstoßen. Dieser untersagt Verhaltensweisen, die “in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden”.

    Für die Studie wurden knapp 10.000 Werbespots auf ARD, ZDF, RTL, Sat.1, Pro7 sowie auf Youtube analysiert. Zudem wurde der CO₂-Fußabdruck der beworbenen Produkte berechnet. Analysiert wurden auch unterschiedliche Strategien, mit denen der Klimaschaden verschleiert werde: So warben etwa 21 Prozent der klimaschädlichen Werbespots mit Bildern von Naturlandschaften und Wildtieren. “Damit wird die Botschaft vermittelt, man tue etwas Gutes für die Umwelt, wenn man diese Produkte kauft”, erklärt Autorin Alexandra Hilpert. Doch das sei “irreführendes Greenwashing”.

    Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags biete allerdings “juristischen Auslegungsspielraum”, heißt es in der Analyse. Wann Verhaltensweisen “in hohem Maß den Schutz der Umwelt gefährden”, sei bislang nicht präzisiert worden. In einem einschlägigen Kommentar zum Rundfunkrecht werde aber von einer “eher geringen praktischen Bedeutung” des Paragrafen ausgegangen. Auch deshalb sei die Medienpolitik gefordert: Die Studienautoren empfehlen etwa verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte oder ein dynamisches Preis- oder Umlagesystem für Werbung – und ein Werbeverbot für besonders klimaschädliche Produkte oder Produktgruppen. lb

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    Anna Cavazzini – “den EU Green Deal ambitioniert umsetzen”

    Porträtfoto von Anna Cavazzini.
    Anna Cavazzini (Grüne/EFA) ist Vorsitzende des Binnenmarktausschusses und Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation im EU-Parlament.

    Die Angriffe auf Politiker und Wahlkampfhelfer in Dresden haben Anna Cavazzini geschockt. “Ich bin zutiefst entsetzt über diese niederträchtigen Angriffe. Diese Gewalt sind Angriffe auf uns alle und unsere Demokratie”, sagt die grüne Europa-Politikerin, deren Wahlkreise Sachsen und Sachsen-Anhalt sind. “Wir lassen uns nicht einschüchtern oder verdrängen. Wer Mitglieder von Parteien angreift, zerstört damit die Demokratie. Das dürfen wir niemals dulden.”

    Cavazzini wurde 2019 in das EU-Parlament gewählt, 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und für Verbraucherschutz zuständig ist. Dass sie bei den Europawahlen im Juni wiedergewählt wird, ist so gut wie sicher: Sie kandidiert auf dem 3. Listenplatz von Bündnis 90/Die Grünen. Die zentrale Forderung der Grünen im Wahlkampf wird die ambitionierte Umsetzung des Green Deal sein. Doch der Konsens über das Projekt bröckelt: “Es kann sehr gut sein, dass der Green Deal jetzt beerdigt wird“, befürchtet Cavazzini. Nachdem die EVP das Projekt in den ersten zwei oder drei Jahren mitgetragen und lediglich über Nuancen gestritten habe, sei sie zum Ende des Mandats in den “Anti-Green-Deal-Chor” von Mitte-rechts eingestiegen.

    Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.

    Schattenberichterstatterin für das EU-Lieferkettengesetz

    In der endenden Legislaturperiode hat Cavazzini als Ausschussvorsitzende und Schattenberichterstatterin diverse Gesetze mitverhandelt: etwa das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD), das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit sowie die Recht auf Reparatur-Richtlinie. Besonders im Bereich der Kreislaufwirtschaft habe die EU in den vergangenen fünf Jahren Meilensteine erreicht, sagt die 41-Jährige. Dazu gehörten auch das einheitliche Ladekabel, die Ökodesign-Verordnung und die Verpackungsverordnung.

    Trotzdem spricht sie sich gegen den von den Konservativen und Liberalen geforderten “Regulierungsstopp” aus. “Wir als EU sind weiterhin nicht auf dem 1,5 Grad-Pfad und weiterhin einer der weltweit größten Produzenten von Elektroschrott“, erklärt sie. Deshalb gelte es in der kommenden Legislatur, Lücken ausfindig zu machen. Die sieht sie vor allem bei den Importen: “Die Marktüberwachung und der Zoll kommen nicht hinterher zu überwachen, dass Produkte, die nicht unseren Standards entsprechen, nicht hier auf dem EU-Binnenmarkt landen.”

    Die Europäische Zollreform soll diese Schlupflöcher schließen, indem die Zollbehörden gestärkt werden. Das Vorhaben konnte leider nicht mehr vor den Wahlen abgeschlossen werden, sagt Cavazzini. Im Gegensatz zum Parlament habe der Rat sein Verhandlungsmandat noch nicht angenommen.

    “In Zukunft noch mehr mit Partnerländern sprechen”

    Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zog Cavazzini im vergangenen Jahr im Gespräch mit Table.Briefings Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.

    Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini in diesem Mandat mehrmals nach Südamerika. Sie besuchte unter anderem indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Präsident Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” 

    Das EU-Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten, das bis Ende des Jahres von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, steht allerdings zurzeit in der Kritik. Mehrere Mitgliedstaaten hatten zuletzt eine Verschiebung der Frist gefordert. Die Kommission hänge bei der Implementierung hinterher, erklärt Cavazzini, unter anderem habe sie noch kein Länder-Benchmarking veröffentlicht. Eine solche Anfangsphase sei jedoch leider normal. Das Argument von Drittländern, die EU wolle mit dem Gesetz ihren eigenen Markt schützen, weise sie komplett zurück: “Es geht hier um Verantwortung für unsere Lieferketten.” Die Debatte zeige aber: Die EU müsse in Zukunft während der Gesetzgebung noch mehr mit ihren Partnerländern sprechen. “Wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen.”

    Beim Bouldern über Europa diskutieren

    Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist sie dafür weit nach oben geklettert. In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.”

    In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld

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