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Erscheinungsdatum: 26. Oktober 2025

Verpasste Chance für die Diplomatie: Warum der deutsche Außenminister hätte reisen müssen

Maximilian Mayer ist Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik an der Uni Bonn. (Lannert)

Die abgesagte China-Reise von Johann Wadephul steht sinnbildlich für die Orientierungslosigkeit der deutschen Chinapolitik. In einer Zeit globaler Machtverschiebungen verspielt Berlin wertvolle Chancen, Vertrauen aufzubauen und wirtschaftliche Interessen zu sichern.

Johann Wadephuls geplante China-Reise zu canceln, war mehr als nur ein diplomatisches Versäumnis – es ist ein Symbol für die Orientierungslosigkeit der deutschen Chinapolitik. In einer unsicheren Welt, die von Machtverschiebungen und geoökonomischen Konflikten geprägt ist, wäre dieser Besuch wichtig gewesen, um deutsche Interessen in China zu vertreten und verloren gegangenes Vertrauen zu erneuern. Seit der Corona-Pandemie haben sich die Beziehungen zwischen Deutschland und China verschlechtert, doch Berlin hat es vernachlässigt, die entstandenen beiderseitigen Irritationen durch Diplomatie zu klären. Statt auf die Intensivierung des Austausches zu setzen, dominierten Misstrauen und Kommunikationsignoranz, wodurch Deutschland außen- und wirtschaftspolitisch an Einfluss verliert.

Es wäre unklug, reflexhaft mit dem Finger auf die für Europa nachteilige Politik der Volksrepublik zu zeigen oder das Problem auf chinesische „Befindlichkeiten“ zu reduzieren. Denn es geht um die Wahrung deutscher Interessen trotz Gegenwinds. Deutsche Unternehmen leiden unter schwachem Wachstum, stagnierenden Exporten und geoökonomischer Dauerverunsicherung. Unabhängig von wachsenden Differenzen und hartem Wettbewerb bleibt China ein zentraler Partner – als Absatzmarkt, Innovationsstandort und Rohstofflieferant. Ein Bruch in der politischen Kommunikation mit Peking verstärkt sogar bestehende Vulnerabilitäten, da ein De-Risking bislang de facto nicht stattgefunden hat.

Zugleich unterschätzen viele deutsche Entscheidungsträger, wie sensibel Peking auf symbolische Gesten reagiert. Der Verzicht auf einen hochrangigen Antrittsbesuch – noch dazu durch einen Vertreter der Kanzler-Partei – wird in China als bewusste Brüskierung verstanden. Mit diesem Ansatz schwächt Berlin letztlich seine eigene Verhandlungsposition, ohne dadurch andere Vorteile zu erlangen. Denn wer nicht das Gespräch sucht, überlässt die Deutungshoheit anderen.

Stabile Beziehungen zu China schließen Kritik an Chinas Unterstützung für Russland, an aggressiver Rhetorik gegenüber Taiwan oder an unfairen Subventionspraktiken keineswegs aus. Doch Kritik entfaltet nur Wirkung, wenn sie in einem Rahmen gegenseitigen Respekts und beständiger Kommunikation erfolgt. Diplomatie mit China lebt nicht zuletzt auch vom nicht-öffentlichen Gespräch – und wer nicht reist, sendet das Signal, dass ihm der persönliche Dialog nicht mehr wichtig ist.

Hinzu kommen die brüchigen Beziehungen mit den USA unter der zweiten Trump Administration sowie die Abwehr von Russlands Imperialismus. Als Mittelmacht kann sich Deutschland in dieser Gemengelage keine weitere Konfrontation mit einer Großmacht leisten, zumal die Handelsdisruptionen vor allem von den Maßnahmen Trumps ausgehen. Deshalb ist es wichtiger denn je, multidirektionale Brücken nach Asien zu bauen.

Während Japan und Indien als strategische Partner im Fokus stehen, sollte China jedoch nicht die kalte Schulter gezeigt werden. Die Kunst des strategischen Absicherns („Hedging“) könnten deutsche Diplomaten gerade von Tokio und Neu-Delhi lernen. Ohne dieses flexible Mindset droht Deutschland, sich sowohl wirtschaftlich als auch politisch in Sackgassen zu manövrieren.

Die Absage zeigt, dass die deutsche Chinapolitik strategisch unstimmig ist. Wenn trotz monatelanger Vorbereitungen keine Kontakte auf höchster Ebene zustande kommen, liegt die Ursache nicht nur bei Berlin, doch der Schaden bleibt. Die Atmosphäre zu verbessern, wäre essenziell gewesen, um Beziehungen zu stabilisieren und kritische Punkte ansprechen zu können. Wadephuls Fall verdeutlicht, dass Berlin meist reaktiv statt strategisch handelt.

Die plötzliche Absage ohne Plan B oder C stellt die Professionalität der Diplomatie infrage. Jetzt wäre ein direktes Telefongespräch zwischen Merz und Xi nötig, um Vertrauen zu stärken, deutsche Interessen zu vertreten und wirtschaftliche Anliegen einzubringen. Nur „strategische Empathie“ (wie in Marina Rudyaks „Dialog mit dem Drachen“ beschrieben) und die globalpolitische Klugheit, das große Ganze im Auge zu behalten, sichern Deutschlands Rolle und europäische Autonomie.

Maximilian Mayer ist Juniorprofessor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik an der Universität Bonn. Zuvor war er Assistenzprofessor an der University of Nottingham Ningbo China, Senior Researcher an der TU München und Forschungsprofessor an der Tongji University Shanghai. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschafts- und Technologiepolitik, Chinas Außen- und Energiepolitik sowie globale Umwelt- und Klimapolitik.

Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.

Letzte Aktualisierung: 27. Oktober 2025

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