„Dominanz, Abhängigkeit und Erpressung“: So beschrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Chinas Rohstoffpolitik auf dem G7-Gipfel. Tatsächlich kontrolliert China fast 90 Prozent der globalen Raffinierungskapazitäten für Seltene Erden, die essenziell für Rüstung, Raumfahrt, Mobilität und CleanTech sind – und es spielt seine Vormachtstellung aus. Entsprechend ist das Verhältnis zwischen Brüssel und Peking im Vorfeld des EU-China-Gipfels von Misstrauen geprägt.
Und es bleibt nicht bei Rohstoffen: Mit der Made in China 2025 Strategie hatte China seine Industriepolitik schon vor Jahren systematisch auf globale Technologieführerschaft ausgerichtet – mit massiven Subventionen, privilegiertem Zugang zu kritischen Rohstoffen und gezielter Exportförderung. Für Europa ist das ein enormes strategisches Risiko. Denn Peking erzeugt gezielt wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten. Zusammen mit Chinas Unterstützung für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine ist das ein toxischer Mix für Europa.
Fast drei Viertel aller neuen Wind- und Solarkraftprojekte entstehen derzeit in China. Gleichzeitig werden chinesische Turbinen auf dem Weltmarkt bis zu 45 Prozent günstiger angeboten als europäische Modelle. Damit bedroht das chinesische Geschäftsmodell standardbasierte marktorientierte europäische Akteure und gleichzeitig die Energiewende in Europa. Es stellt sich zudem die Erkenntnis ein, dass Peking in der Lage ist, die Windparks in Europa ferngesteuert außer Gefecht zu setzen.
Europas Abhängigkeit zeigt sich auch in der Batterieproduktion. Die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette von der Rohstoffförderung über die Veredelung bis hin zum fertigen Produkt gibt China eine nie dagewesene Vormachtstellung.
Europas Verwundbarkeit zeigt sich ganz besonders bei Permanentmagneten. Diese sind essenziell für Windkraftanlagen, E-Antriebe und Rüstungstechnik. China produziert gut 90 Prozent aller Permanentmagnete weltweit – zu Bedingungen, die europäischen Umwelt- und Arbeitsstandards diametral entgegenstehen, was den enormen Preisvorteil erklärt.
China nutzt kritische Rohstoffe zunehmend als strategisches Kontrollinstrument, das Lieferketten gezielt beeinträchtigt. Der dieses Jahr verabschiedete G7 Critical Minerals Action Plan ist eine wichtige Antwort darauf, um faire globale Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Ziel sind regelbasierte Märkte mit gemeinsamen Standards für Umweltschutz, Arbeitsrechte, Transparenz und Antikorruption – ein Gegengewicht zur chinesischen Dominanz, die auf mangelnder Regulierung fußt.
Auch auf EU-Ebene gibt es Lösungsansätze für den Umgang mit Chinas Dominanz auf Zukunftsmärkten. Diese beruhen auf Europas Stärken: Rechtsstaatlichkeit, Innovations-Ökosystemen und dem größten Binnenmarkt der Welt.
Zu einer strategischen europäischen Industriepolitik gehören - über klassische Handelsinstrumente hinaus - diese fünf Hebel:
Strikte Standards: Europa und die G7+ Partner sollten im Gegenzug zu Marktzugang globale Standards für Rohstoffe, Batterien und andere strategische Güter sowie „radikale“ Transparenz von Lieferketten konsequent einfordern und durchsetzen.
Marktzugang und Reziprozität: Kooperationen europäischer Unternehmen mit chinesischen Partnern werden Teil der Lösung sein, auch wenn Partnerschaften u.a. mit Korea und Japan in Bezug auf die Batterieproduktion privilegiert werden sollten. Chinesische Direktinvestitionen in der EU sollten daher an klare Bedingungen geknüpft sein: lokale Wertschöpfung, Technologietransfer, die Schaffung von Arbeitsplätzen. 51-Prozent-Klauseln für europäische Partner bei Schlüsseltechnologien sollten eingefordert werden.
EU-weiter Rahmen für FDI-Screenings: EU-weite Prüfungsverfahren für ausländische Direktinvestitionen sind notwendig. Allerdings hängt deren Durchschlagskraft von erfolgreicher diplomatischer, auch innereuropäischer Flankierung ab. Denn sie können von China auf bilateraler Basis mit Mitgliedstaaten wie Ungarn oder mit außereuropäischen Staaten umgangen werden.
Finanzierungsinstrumente: Allein politisch ist Europas wirtschaftliche Abhängigkeit von China nicht zu adressieren. Notwendig sind öffentliche Finanzierungsinstrumente, die private Investitionen in das „Onshoring“ von Wertschöpfungsketten von Schlüsseltechnologien in Europa absichern, aber auch direkte Subventionen.
Strategische Partnerschaften: Notwendig sind tragfähige Rohstoffallianzen im gegenseitigen Interesse mit gleichgesinnten, demokratischen Ländern wie Kanada und Australien sowie mit Partnern im Globalen Süden wie Chile. Die EU sollte darüber hinaus die geplanten Handelsabkommen mit Mercosur, Mexiko, Indien und Indonesien beschleunigen und gegenseitig vorteilhafte Vereinbarungen zum Handel mit Kritischen Rohstoffen treffen.
Ein vollständiges „Decoupling“ von China ist weder realistisch noch wünschenswert. Aber wirtschaftliche Offenheit ohne strategische Schutzmechanismen wäre fahrlässig. Im Vorfeld des EU-China Gipfels darf Europa nicht vergessen, dass der Zugang zum Europäischen Markt geopolitisches Kapital ist. Dieses gilt es klug zu nutzen. Der Schlüssel zur strategischen Souveränität Europas liegt nicht in Abschottung, sondern in Einheit und kluger Selbstbehauptung.
Dieser Beitrag entsteht im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global ChinaConversations“ des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, 17. Juli 2025 (11.00 Uhr MESZ), diskutieren Sabrina Schulz, Moritz Schularick und Heiwai Tang über das Thema: „Industriepolitische Maßnahmen: Funktioniert die chinesische Industriepolitik, und was sind die nationalen und internationalen Auswirkungen?“. China.Table ist Medienpartner.
Dr. Sabrina Schulz ist Deutschland-Direktorin der Europäischen Initiative für Energiesicherheit (EIES) und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sowie Adjunct Professorin an der Hertie School. Ihre berufliche Laufbahn im Klimabereich begann sie als Klimadiplomatin im britischen Außenministerium. Sie ist außerdem Gründungsdirektorin des Berliner Büros von E3G Third Generation Environmentalism, war Leiterin des Berliner Büros der KfW, arbeitete als Geschäftsführerin des Sustainable Development Solutions Network Germany und war Co-CEO eines Start-ups für ClimateTech und erneuerbare Energien.
Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute mehr denn je: kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.