Table.Briefing: China

Xceleration Days in Peking + BDI-Vertreterin Hörhager über Europas Selbstbewusstsein

Liebe Leserin, lieber Leser,

China ist das Fitnessstudio der Weltwirtschaft. Die Größe des Markts und die Härte des Wettbewerbs sind seit vielen Jahren ein Test für Unternehmen: Wer hier besteht, schafft es überall. Doch sind deutsche Firmen – angesichts einer zweiten Trump-Regierung und einer ungewissen deutschen Bundespolitik – reif für dieses Fitnessstudio? Diese und viele weitere Fragen hat meine Kollegin Julia Fiedler der BDI-Vertreterin in China, Elisa Hörhager, am Rande der Xceleration Days gestellt.

Die deutsche Außenhandelskammer organisiert das Community-Event bereits zum dritten Mal. Mehr als 1.000 deutsche und chinesische Wirtschaftsvertreter kommen in Peking zusammen, um Ideen über die zukünftige Wirtschaftszusammenarbeit auszutauschen. Heute berichten wir für Sie exklusiv von vor Ort. Dort werden zum einen die Gemeinsamkeiten beider Seiten betont. Zum anderen treffen die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands aufeinander, wie Julia Fiedler anhand von Reden der hochkarätigen Gäste aufzeigt.

Schließlich zeigt der “Blick aus China”, dass die dortige Jugend längst nicht so gehorsam ist, wie Peking es gerne hätte. Von Halloween-Kostümen, über Fahrradausflüge der Massen bis hin zu Reaktionen auf die Amokfahrt in Zhuhai: Es lassen sich einige Symptome einer in Unruhe brodelnden Gesellschaft feststellen.

Ich wünsche Ihnen einen informierten Start in den Tag!

Ihr
Manuel Liu
Bild von Manuel  Liu

Analyse

Xceleration Days: Wie De-Risking einen Schatten auf das Netzwerken wirft

Vize-Handelsminister Li Fei bei seiner Rede bei den 3. Xceleration Days der Außenhandelskammer in Peking.

Ob es Absicht war, dass bei den 3. Xceleration Days in Peking Ruhrgebietsflair aufkam? Die Außenhandelskammer lud mehr als 1.000 deutsche und chinesische Unternehmensvertreter in ein gigantisches ehemaliges Stahlwerk ein. Hochrangige Repräsentanten der chinesischen Politik hatte sie als Redner gewonnen und 15 Veranstaltungen in drei Tagen organisiert. Das Ziel: Netzwerken, Ideen sammeln, Zuversicht fördern.

Nur eine Woche nach der US-Wahl waren die ungewissen politischen Zeiten allerdings allgegenwärtig und damit auch die Herausforderungen in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit. Hong Simen, Vize-Bürgermeisterin der Hauptstadt, und Vize-Handelsminister Li Fei betonten, wie sehr das Handelsministerium bemüht sei, die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten zu stärken. Botschafterin Patricia Flor ihrerseits schlug dagegen kurz nach ihrer Begrüßung kritische Töne an.

Flor betonte die Notwendigkeit, die deutsche Industrie und Wirtschaft in China zu schützen, forderte besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und eine Erleichterung des grenzüberschreitenden Datentransfers. Auch auf chinesische Cyber-Operationen und Angriffe auf die kritische Infrastruktur in Deutschland wies Flor die Gastgeber hin. Die chinesischen Vertreter reagierten verstimmt. Anwesende des chinesischen Handelsministeriums verließen direkt nach der Rede den Saal.

Handelsministerium sucht nach mehr Kooperation

War das notwendig, mag sich der eine oder andere Gast gefragt haben. Probleme im Verhältnis mit der zweitgrößten Volkswirtschaft klar anzusprechen, ist in der China-Strategie der Bundesregierung verankert. Teilnehmer kritisierten allerdings, dass eine Wirtschaftsveranstaltung dadurch ihrer Ansicht nach unnötig politisiert wurde. Das Handelsministerium scheint sich derweil mehr Kooperationen mit europäischen Unternehmen zu wünschen. Im Gespräch mit mehreren Beteiligten war der Tenor, dass China gerade einen günstigen Moment sehe, Europa enger an sich zu binden, um die Ausschläge der wachsenden Spannungen mit den USA abzufedern.

Auf deutscher Seite sieht es derweil offenbar anders aus. Bei der Konferenz wurde gemunkelt, dass das Wirtschaftsministerium der Veranstaltung ablehnend gegenübergestanden habe. Auf eine entsprechende Anfrage von Table.Briefings unterstrich das Ministerium die Notwendigkeit des De-Riskings, betonte aber, dass diese Art der Diversifizierung nicht automatisch auch ein Decoupling bedeute. Die China-Strategie der Bundesregierung ziele nicht darauf ab, eine künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit deutscher und chinesischer Firmen auszuschließen, so das Ministerium.

Chinesische Partner setzen Diversifizierung in Gang

Im Spannungsfeld der geopolitischen Lage sind Lieferkettenrisiken inzwischen auf beiden Seiten ein relevantes Thema. Während viele deutsche Unternehmen auf eine “In China für China”-Strategie setzen, um internationale Erschütterungen abzufedern, entsteht bei ihren chinesischen Partnern zunehmend Unsicherheit. Sie setzen deshalb ihrerseits einen Diversifizierungsprozess in Gang.

Das De-risking findet auch bei unseren chinesischen Kunden statt“, sagt Gang Yang, Präsident der Trumpf Group China im Gespräch mit Table.Briefings. “Sehr treue Kunden, bei denen wir früher der einzige Hochtechnologie-Lieferant im Haus waren, qualifizieren plötzlich auch lokale Lieferanten mit einer höheren Risikobereitschaft.” Zum Teil steckten die Unternehmen viel Aufwand in die Qualifizierung lokaler Unternehmen, so Gang, und nähmen dafür sogar auch Ineffizienzen in Kauf. “Chinesische Unternehmen sind sehr besorgt, dass plötzlich aufgrund einer Sanktion oder eines anderen den Handel einschränkenden Mechanismus nicht mehr geliefert werden kann.”

Verdrängungswettbewerb um Marktanteile

Für die meisten ist das Wettbewerbsumfeld in China härter geworden. “Immer mehr Unternehmen berichten, dass ihre wichtigsten Wettbewerber technologisch inzwischen auf dem gleichen Stand wie sie sind. Das war früher ein sehr kleiner Prozentsatz und der steigt jedes Jahr weiter an”, bestätigt Clas Neumann, Vorsitzender der deutschen Handelskammer in Ostchina.

So auch in der Chemieindustrie. André Rittermeier ist Head of Group Innovation & Sustainability APAC bei Covestro, einem weltweit führenden Hersteller von hochwertigen Polymermaterialien, der auch in China vertreten ist. Rittermeier ist seit sechs Jahren in China und beobachtet, dass lokale Firmen nicht nur in den Bereichen, die ein geringeres Know-how erfordern, stärker geworden sind, sondern mittlerweile auch in hoch spezialisierten Industrien.
 
Innovation werde damit immer wichtiger. “Mit den irre schnellen Innovationszyklen in China muss man regelmäßig neue Produkte auf den Markt bringen, um vorne mit dabei zu sein. Covestro ist im hochwertigen Segment vertreten und muss sich daher noch mehr vom Markt unterscheiden.” Allerdings müsse man den Wettbewerbsdruck auch ins Verhältnis setzen. “Wer in China groß geworden ist, hat 30 Jahre lang in einem Umfeld mit sehr großem Wachstum gelebt. Es ging nur darum, den Markt zu füllen, für jeden war genug Platz. Jetzt, wo das Wachstum kleiner wird, fängt ein richtiger Wettbewerb an, also ein Verdrängungswettbewerb um Marktanteile. An diesen Wettbewerb sind wir in Deutschland aber gewöhnt.”

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Interview

Elisa Hörhager: “Jetzt ist die Zeit, selbstbewusst und geschlossen aufzutreten”

Elisa Hörhager vertritt den BDI in der Volksrepublik.

Wie bewerten Sie das chinesische Konjunkturpaket?

Die Vermutung, dass man auf das Wahlergebnis in den USA reagieren würde, traf nicht zu. Die chinesische Regierung bleibt bei ihrem stark kontrollierten Narrativ von Kontinuität und Stabilität und zieht die Maßnahmen durch, wie sie vor Wochen verkündet wurden. Peking möchte nur schrittweise Justierungen vornehmen, die notwendig sind für den Übergang von einem infrastruktur- und immobiliengetriebenen Wachstum zu einem Wachstum, das von der Industrie getragen wird. Maßgeblich sind weiterhin die “neuen Produktivkräfte”, also schnelle wissenschaftliche und technologische Innovationen und die Modernisierung traditioneller Industrien.

Wie bewerten deutsche Unternehmen in China den Stimulus?

Die deutschen Unternehmen leiden schon seit längerem massiv unter dem Preiswettbewerb in China, etwa im Maschinenbau oder Automobilbereich. Viele Unternehmen hatten darauf gehofft, dass die Regierung den Binnenkonsum ankurbelt. Manche hatten sogar eine “chinesische Bazooka” erwartet, was die nun angekündigten Maßnahmen nicht sind. Im Gegenteil ist die Erwartung, dass der Konsum nicht nennenswert in die Höhe gehen wird.

Immobilienkrise lösen, Strukturreformen anpacken

Wie gehen die Firmen damit um?

Sie stellen sich weiterhin auf schwierige Jahre ein, wegen des Ausgangs der US-Wahl vor allem auch auf zunehmende Handelsspannungen zwischen den USA und China. Und trotzdem bleibt China ein wichtiger Markt, gerade auch für die Unternehmen, die in China investiert haben. In den nächsten Jahren müssen hier die Immobilienkrise gelöst und Strukturreformen angepackt werden. Wichtige Reformen sind im Dritten Plenum bereits angekündigt worden, unter anderem die Immobiliensteuer. Für die Konsumenten wird das schmerzhaft. Fest steht, dass China vor dringenden strukturellen Herausforderungen steht, welche eine Transformation der Wirtschaft notwendig machen.  

Wie hat sich das Geschäftsumfeld in China entwickelt?

Der Wettbewerb wird härter. Produkte der chinesischen Wettbewerber sind teilweise viel günstiger, aber qualitativ ausreichend. Das ist nicht neu, aber es ist ein Trend, der sich immer stärker abzeichnet. Dadurch werden Unternehmen künftig immer häufiger überlegen, zu lokalisieren und In China for China zu produzieren, also Produkte speziell für den chinesischen Markt zu günstigeren Preisen herzustellen, die sich qualitativ von den deutschen unterscheiden. Hier spielt das Thema Subventionen eine zentrale Rolle und die Frage nach den Rahmenbedingungen für ausländische Firmen. Gerade für fairen Wettbewerb und gleichberechtigten Marktzugang muss die chinesische Regierung noch viel tun.

Wie sichern wir strategisch unsere Spitzenpositionen?

Welche Bedeutung hat In China for China für deutsche Unternehmen?  

China ist aufgrund der Größe des Marktes und der Härte des Wettbewerbs das Fitnesszentrum für deutsche Unternehmen. Wer hier besteht, kann überall anders bestehen. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: China ist ein Gewächshaus. Hier entstehen Innovationen und hier besteht in bestimmten Bereichen so viel technologischer Vorsprung, den wir für uns in Deutschland nutzen können, zum Beispiel im Bereich autonomes Fahren oder der Entwicklung der Elektromobilität. 

Sind deutsche Unternehmen alle reif fürs Fitnessstudio? 

Das ist die Kernfrage. Ich höre von chinesischen Unternehmen, die bei deutschen Zulieferern einkaufen, dass der deutsche Qualitätsvorsprung schon noch bedeutsam für sie sei. Solche chinesischen Unternehmen können ihren Kunden überzeugend erklären, weshalb ihr Endprodukt teurer ist, aber auch länger hält. Made in Germany hat nach wie vor Gewicht in China. Die Frage ist nur, wie lange noch. Wir stehen im Wettbewerb mit Chinas staatlich geprägtem Wirtschaftssystem. Wie und in welchen Bereichen sichern wir strategisch unsere Spitzenpositionen? Defensivinstrumente zum Schutz vor Marktverzerrung sind sicher ein Teil der Lösung. Aber um chinesischen Kosten- oder Technologievorteilen zu begegnen und Anreize für den Produktionsstandort Europa zu setzen, müssen wir unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern.  

Handelspolitische Instrumente einsetzen und Anreize schaffen

Wie soll das funktionieren?

Schlüssel dafür ist, die Stärke des europäischen Markts voll auszunutzen. Dazu gehört es, handelspolitische Instrumente einzusetzen und auch Anreize für gewünschte chinesische Investitionen in der EU zu schaffen. Durch die Antisubventionszölle auf E-Autos aus China sitzen beide Seiten wieder am Verhandlungstisch. China hört angesichts des US-Wahlausgangs sogar noch aufmerksamer zu. Jetzt ist die Zeit, selbstbewusst und geschlossen aufzutreten und unsere europäischen Interessen ebenso strategisch wie die Chinesen zu verfolgen. Dann besteht die Chance, wichtige Forderungen für faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber China durchzusetzen.

Elisa Hörhager hat in Peking, Berlin und Brüssel für das Auswärtige Amt zu Wirtschafts- und China-Themen gearbeitet. Seit dem 1. August 2024 leitet sie die Vertretung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) in Peking.

  • Autonomes Fahren
  • BDI
  • Industrie
  • Konjunktur
  • Transformation
  • Wirtschaftswachstum
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Termine

18.11.2024, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time)
SOAS China Institute, Webinar: The Chinese Cultural Revolution discourse in Ming Pao Mehr

18.11.2024, 11:30 Uhr
Harvard Fairbank Center, Vorlesung vor Ort: 冷战史研究与档案的开放和利用 Mehr

18.11.2024, 18:00 Uhr (01:00 Uhr Beijing time)
Harvard Fairbank Center, Webinar: Daniel Kritenbrink, “America’s Future in East Asia” Mehr

20.11.2024, 09:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
Dezan Shira & Associates Webinar: Cost Control Series: Reshape Your Business Cost Structure for Greater Efficiency in China Mehr

21.11.2024, 09:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
Acclime Consulting, Webinar: Expanding Your Business in China vs. ASEAN: Balancing Opportunities and Risks Mehr

News

VDMA-Umfrage: Wie sich die Auftragslage der deutschen Maschinenbauer entwickelt

Die deutschen Maschinenbauer in China blicken einer Umfrage des Branchenverbandes VDMA zufolge kritisch auf die Geschäftsentwicklung vor Ort. 44 Prozent der befragten 218 Unternehmen bewerten die aktuelle Lage als schlecht, teilte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) am Donnerstag mit. Ebenfalls 44 Prozent bezeichneten die Entwicklung demnach als zufriedenstellend und zwölf Prozent als gut. Die Auftragslage hat sich der aktuellen Umfrage zufolge allerdings im Vergleich zu einer Erhebung im Frühjahr verbessert: 62 Prozent der Befragten berichten derzeit von einem normalen Auftragsbestand. Zuvor seien es 39 Prozent gewesen. 

Insgesamt rechneten die Unternehmen im Schnitt 2024 mit einem Umsatzwachstum von 1,5 Prozent – was allerdings immer noch eine Verbesserung gegenüber den null Prozent des Vorjahres ist. “Die Stimmung unter den deutschen Maschinenbauern in China ist das dritte Jahr in Folge angespannt. 2022 belasteten die Covid-Beschränkungen die Branche schwer, 2023 folgten die Nachwirkungen der Pandemie, das schwache Verbrauchervertrauen und der schwächelnde Immobiliensektor”, erklärt Claudia Barkowsky, VDMA-Geschäftsführerin in China. 

Die eher gemischten Ergebnisse spiegeln sich auch in der Kapazitätsauslastung wider: Zehn Prozent der Befragten arbeiten der Umfrage zufolge über ihrer normalen Kapazität, 43 Prozent auf Normalniveau. Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 47 Prozent, berichten von einer Unterauslastung ihrer Kapazitäten. “Der erhöhte Auftragsbestand hängt möglicherweise mit den kürzlich angekündigten Konjunkturmaßnahmen der chinesischen Regierung zusammen. Dass die Kapazitätsauslastung dennoch auf niedrigem Niveau verharrt, könnte auf einen weiteren Lagerabbau oder Verzögerungen im Produktionsprozess hindeuten. Dies gibt uns jedoch Hoffnung, dass das letzte Jahresquartal an Dynamik gewinnen könnte”, so Barkowsky. ari

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  • Maschinenbau
  • VDMA

Flugzeugbau: Neuer Airbus-Konkurrent findet ersten Abnehmer

Der staatliche chinesische Flugzeughersteller Comac hat einen ersten Abnehmer für seinen Großraumjet C929 gefunden. Das Unternehmen gab bei der Luftfahrtmesse in Zhuhai eine entsprechende Einigung mit Air China bekannt. Allerdings teilte Comac weder Anzahl noch geplante Liefertermine mit. Der C929 soll als Konkurrent für den Airbus 350 und die Boeing 787 auf dem Weltmarkt platziert werden.

Seine Entwicklung war zuletzt mehrmals in Stocken geraten. Ursprünglich hatte Comac das Projekt gemeinsam mit russischen Partnern begonnen. Nach Moskaus Invasion der Ukraine wurde die Zusammenarbeit allerdings eingestampft, und China setzte die Entwicklung des Modells alleine fort. Noch ist das endgültige Design der C929 nicht abgeschlossen. Vor Ende des Jahrzehnts rechnen Experten nicht mit ihrem Jungfernflug.

Dutzende Bestellungen gingen bei Comac zudem für die C919 ein, das erste Passagierflugzeug, das komplett in der Volksrepublik entwickelt wurde. Hainan Airlines habe 60 Maschinen bestellt, hieß es. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen die Marke von 1.000 Bestellungen für die C919 geknackt. Das Mittelstreckenmodell ist das Pendant zum A320 und zur Boeing 737. grz/rtr

  • Airbus
  • Comac
  • Flugzeuge

Trump: Wovor Macron und Draghi warnen

Der französische Präsident Emmanuel Macron und der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi haben vor einem erneuten Handelskrieg zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA unter Donald Trump gewarnt. In einem Gespräch am Pariser Collège de France über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit am Mittwoch forderten sie von der EU, schnelle und kleinere Reformen voranzutreiben, anstatt auf Einstimmigkeit zu warten. Die Handelskammer zur EU der Volksrepublik, die sich selbst auf einen Zollkrieg mit den USA vorbereitet, teilte einen Medienbericht über die warnenden Worte auf X (früher Twitter).

“Wir treten ganz klar in eine Welt der Zollkriege ein”, sagte Macron laut Politico. Die EU müsse auf eigenen Füßen stehen, um nicht zum Kollateralschaden eines Handelskriegs zwischen den USA und China zu werden. Euractiv zitierte ihn wie folgt: “Wenn wir in den nächsten zwei Jahren keine konkreten Ergebnisse erzielen, werden die Länder auf eigene Faust auf die USA und China zugehen.” Das würde zu einer stärkeren Fragmentierung innerhalb der EU führen, heißt es in dem Medienbericht. Der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Draghi, bezeichnete den Wahlsieg Trumps als “Weckruf” und sagte, Europa müsse nun “intensiver arbeiten, als wir es vielleicht vorher geplant hatten”. mcl

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  • EU
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  • USA
  • Zoll

Zhuhai: Chinesische Gesellschaft nach Amokfahrt zwischen Trauer und Wut

Während Chinesinnen und Chinesen um die Opfer des schlimmsten Amokvorfalls der Volksrepublik seit Jahren trauern, sind die Behörden darum bemüht, die Reaktionen der Öffentlichkeit zu kontrollieren. Das berichteten mehrere Medien. Am Montagabend (Ortszeit) war ein 62-jähriger Mann mit seinem Auto in eine Menschenmenge in der südchinesischen Stadt Zhuhai gerast und tötete dabei Dutzende Menschen, 43 weitere wurden verletzt.

An dem Tatort in der Nähe eines Sportstadions legten Menschen in den Stunden und Tagen nach der Tat Kränze, Kerzen und Getränke nieder. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von Blumenhändlern, bei denen zahlreiche anonyme Lieferungen zum Tatort eingingen. Einige Kränze trugen handgeschriebene Notizen: “Gute Reise, Fremde”, stand auf einem und auf einem anderen: “Möge das Gute über das Böse triumphieren”. Laut Reuters, dpa und der BBC räumten Beamte immer wieder das provisorische Mahnmal.

Auch in den sozialen Medien dämmen die Behörden die Reaktionen ein. Wütende Internetnutzer kritisierten die Regierung dafür, dass sie die Zahl der Todesopfer erst knapp einen Tag später bekannt gegeben hatten. Einige Meinungsbeiträge wurden gelöscht, berichtet Reuters. Der BBC zufolge warfen einige Menschen den Staatsmedien außerdem vor, kaum über den Vorfall und stattdessen über eine hochkarätige Militärflugshow zu berichten, die zur gleichen Zeit in Zhuhai stattfand. Chinas staatlicher Fernsehsender CCTV erwähnte den Anschlag in seinen 30-minütigen Mittagsnachrichten nicht.

Andere Menschen diskutierten über das Phänomen der “Rache an der Gesellschaft”, bei dem Menschen persönliche Missstände zum Leid anderer ausleben. Nach Angaben der Polizei habe der Angreifer sich wegen seiner Scheidungsvereinbarung rächen wollen. In den letzten Monaten wurden ähnliche Gewalttaten verübt, wie eine Messerstecherei in einem Shanghaier Supermarkt und ein Messerangriff in einer Schule in Peking.

Der chinesische Zensurapparat versucht bei sämtlichen Themen, die eine große Aufmerksamkeit aus der Öffentlichkeit erfahren, die Debatte zu kontrollieren. Dies gilt insbesondere bei Fällen, in denen Behördenversagen vorgeworfen werden könnte. Die Polizei in Zhuhai korrigierte ihre ursprüngliche Meldung zur Gewalttat. Zunächst hieß es, der mutmaßliche Täter habe das Gerichtsurteil über seine Scheidungsvereinbarung in mehreren Instanzen angefochten, sei jedoch gescheitert. In der korrigierten Version fehlten diese Informationen. mcl

  • Medien
  • Zensur

Presseschau

Biden”s trip to Peru will include last meeting with China”s president ABC NEWS
Rubio pick signals a Trump China policy that could go beyond tariffs REUTERS
Trump set to deepen tech Cold War with China WASHINGTON POST
New proposed bill would end normal US-China trade relations SEMAFOR
Lateinamerika: Wo China einen Mega-Hafen baut, ist Europa nur nörgelnder Zaungast WELT
South China Sea: Philippines’ Marcos at odds with China on sovereign territory meaning ASIA
US accuses China of vast cyber-espionage campaigns against telecoms BUSINESS STANDARD
Nach US-Wahl: Neue Hürden für Chinas Autobauer in den USA AUTOMOBIL-INDUSTRIE
Die USA und China kämpfen nicht mehr nur um Chips, sondern um das Material, aus dem sie sind BUSINESS INSIDER
China’s luxury market loses shine as Bain study shows spending decline SCMP
Tesla in China: Auf einmal wirkt Tesla altmodisch und behäbig ZEIT
CATL und BYD dominieren weiter Chinas Batterie-Markt ELECTRIVE
China enthüllt Space Shuttle – Das Space Shuttle “Haolong” soll die Raumstation Tiangong künftig mit Frachtgütern versorgen FUTUREZONE
Geburtenrate in China: Ihr wollt es doch auch SÜDDEUTSCHE
U.S. Should Forge Treaty With China On Exploring Moon, Scholars Say FORBES

Standpunkt

Blick aus China: Über den Mangel an Gehorsamkeit der chinesischen Jugend

Zwei Ereignisse in der letzten Woche erschütterten das sorgsam gepflegte Image der chinesischen Regierung, stets die Kontrolle zu bewahren und die gesellschaftliche Ordnung in die gewünschten Bahnen lenken zu können.

Am Abend des 8. November fuhren Zehntausende Studenten in Zhengzhou, der Hauptstadt der zentralen Provinz Henan, mit Fahrrädern in die 50 Kilometer entfernte historische Stadt Kaifeng, um dort etwas zu tun, was sie als “unbezahlbar jugendlichen” Spaß bezeichneten. Am nächsten Tag griffen die Behörden zu einem umfassenden Konzept, an dem die Polizei, die Hochschulverwaltung und die Fahrradverleiher beteiligt waren, um weitere Vorfälle zu verhindern: Es wurden Verwarnungen ausgesprochen, Fahrradwege blockiert und Fahrräder abgesperrt. Trotzdem machten sich noch mehr Studenten zu Fuß auf den Weg. Das nächtliche Fahrradfieber griff auch auf andere Städte über, bevor es später in der Woche abklang.

Bei einem anderen Vorfall in den Abendstunden des 11. November raste ein 62-jähriger Mann in ein Stadion in Zhuhai, Guangdong, in dem Tausende von Menschen abendliche Sportübungen abhielten, und tötete dabei mindestens 35 Menschen und verletzte 43 weitere. Dieser Vorfall, der sich am Vorabend der alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in China ereignete, war die jüngste Episode einer Reihe von tödlichen Angriffen auf öffentlichen Plätzen, die sich dieses Jahr im ganzen Land ereigneten und bei denen auch mehrere Ausländer getötet oder verletzt wurden.

Die Reaktion der Regierung sagt viel

In einem Land mit schwerer Polizeipräsenz und einem Regime, das paranoid vor jeglicher Unruhe und Instabilität ist, war dies ein schwerer Schlag.

Die örtliche Polizeibehörde brachte den Angriff in Zhuhai umgehend mit dem Zorn des Mannes über seine Scheidung in Verbindung. Am 12. November rief Präsident Xi Jinping zu Maßnahmen auf, um “extreme Fälle zu verhindern”, indem “die Ursachen von Risiken überprüft und Streitigkeiten und Konflikte gelöst werden”. Bereits am nächsten Tag wurden einige Kommunalverwaltungen angewiesen, in ihrem Bezirk Erhebungen über Menschen in finanziellen Schwierigkeiten oder mit psychischen Problemen durchzuführen.

Ursachen lassen sich nicht beseitigen

Chinesische Behörden behaupten oft, China sei eines der sichersten Länder der Welt und habe eine niedrige Kriminalitätsrate. Doch trotz der strengen Informationszensur gab es immer wieder Nachrichten über tödliche, willkürliche Angriffe auf öffentlichen Plätzen, von denen die überwiegende Mehrheit von verzweifelten Männern begangen worden sein soll, die über Ungerechtigkeiten erzürnt waren. Eine kurze Recherche im Internet ergab, dass es in diesem Jahr bereits 17 solcher Fälle in ganz China gegeben hat.

Die Forderung von Xi, die Ursachen sozialer Risiken zu prüfen, ist nicht neu. Die Behörden kannten schon immer die potenziellen Risiken. Das von der Partei vollständig kontrollierte Justizsystem ist jedoch ebenso korrupt wie die anderen Bereiche der Regierung. Hinzu kommt, dass die Sozialleistungen für die arme Bevölkerung bei Weitem nicht zum Überleben ausreichen. Die üblichen Maßnahmen der Regierung zur Überwachung und Kontrolle derer, die sie als “gefährliche Personen” ansieht, führen nur zu mehr Missständen und möglicherweise zu mehr Gewalt. Es ist ein Problem ohne Lösung.

Das erdrückende Leben von Chinas Jugend

Seit einigen Jahren sorgt sich die Regierung nun um die Jugend als Unruheherd. Chinas Schüler und junge Menschen führen in der Regel ein recht hartes Leben. In einer nach wie vor recht paternalistischen Gesellschaft werden sie von Eltern, Schulen und anderen offiziellen Institutionen manipuliert und es ist ihnen kaum gestattet einen freien Willen zu haben. Schon in der Grundschule müssen sie Berge von Hausaufgaben erledigen, die sie bis in die späten Abendstunden wach halten. In vielen Gymnasien haben die Schüler gerade einmal zwei Tage im Monat frei.

Von der Grundschule über die Oberstufe bis hin zur Universität müssen sie zermürbende Prüfungen ablegen und gegeneinander konkurrieren. Seit etwa fünf Jahren reicht ein Bachelor-Abschluss nicht mehr aus, um einen anständigen Job zu bekommen, was bedeutet, dass sich Hochschulabsolventen um ein postgraduales Studium bemühen müssen. Sobald sie ihr Masterstudium abgeschlossen haben, nehmen die meisten von ihnen auch an den Prüfungen für den öffentlichen Dienst teil, da die Jobs bei der Regierung als die besten gelten. Auch nachdem sie ihren ersten Job gefunden haben, führen die jungen Menschen immer noch ein hartes Leben: Überstunden sind normal und die Bezahlung ist niedrig. Immerhin sind Studenten frei von den täglichen Einmischungen der Eltern, haben zumindest etwas Freizeit und können einige kleine Entscheidungen über ihr eigenes Leben treffen.

Die chinesische Jugend nach der Studentenbewegung von 1989

Der rebellische Geist der chinesischen Jugend zeigte sich am deutlichsten 1989, als massive Studentendemonstrationen in Peking und anderen Großstädten das Land erschütterten und schließlich das blutige Tian’anmen-Massaker auslösten. Danach wurde es still. So still, dass Kritiker beklagten, den Behörden sei es gelungen, die Jugend durch Regierungspropaganda einer Gehirnwäsche unterzogen zu haben, deren Energie von akademischem Wettbewerb, Prüfungen und Karrieren aufgezehrt werde.

Diese Auffassung erwies sich jedoch als falsch, als Schüler in zahlreichen Städten gegen Ende der Corona-Pandemie gegen die drakonischen Lockdock-Maßnahmen demonstrierten. Auch Schüler an Oberschulen in verschiedenen Städten des Landes protestierten offen gegen die ihnen geraubten Ferien.

Auch im letzten Jahr gerieten große Ansammlungen junger Menschen ins Visier der Behörden, als sie große Halloween-Straßenpartys im Zentrum von Shanghai feierten. Viele Kostüme stellten kaum versteckte politische Botschaften zur Schau – etwas, mit dem die Behörden nicht gerechnet hatten. Auf das diesjährige Halloween war die Regierung jedoch vorbereitet und sperrte Orte ab, an dem sich Halloween Partygänger treffen könnten. Aber die jungen Leute fanden andere Orte, an denen sie feiern konnten, auch wenn die politischen Aussagen diesmal deutlich dezenter waren.

Die Jugend lässt sich nicht unterkriegen

Die nächtlichen Fahrradausflüge begannen auch als harmloser Freizeitspaß ohne jegliche politische Konnotation. Ihren Anfang nahmen sie im letzten Juni, als vier Studentinnen von Zhengzhou nach Kaifeng radelten, um dort die berühmten gedämpften Teigtaschen, im Westen als Bao bekannt, zu probieren, und Videos von ihrem Ausflug in den sozialen Medien zu posten. Andere folgten ihrem Beispiel, was letzte Woche in einem massiven öffentlichen Aufmarsch gipfelte, bei dem die Teilnehmerinnen auf natürliche Weise zusammenkamen.

Wie erwartet zeigte die Reaktion der Behörden, wie sehr sie große Ansammlungen junger Menschen fürchten. Schnell bezichtigten einige Schulen, dass sie von “ausländischen und feindlichen Kräften” angestiftet worden seien. Tatsächlich waren die Radfahrer aber nur zum Vergnügen unterwegs. Trotzdem ist ihr Streben, sich in großen Gruppen zu treffen und abseits des offiziell genehmigten Systems Spaß zu haben, lobenswert. Schließlich sind sie noch echte junge Menschen, mit einem Herz in der Brust.

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Personalien

Kevin Liu ist seit November Head of Logistics APAC bei Henkel. Liu arbeitet seit vier Jahren für den Düsseldorfer Konsumgüter-Konzern in Shanghai. Zuletzt war er dort Manager PMO APAC und Program Manager des Management Trainee Programs “CHAiNGERS” APAC. 

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Dessert

Chinesischer Pragmatismus ist Zutat des Erfolgsrezeptes der zweitgrößten Volkswirtschaft. Um erfolgreich zu sein, muss man sich hier und da den widrigen Umständen einfach anpassen, anstatt mit ihnen zu hadern. Paketdienste in der Volksrepublik sind ein gutes Beispiel dafür. Logistische Feinarbeit findet häufig auf offener Straße statt. Wer benötigt schon immer neue Verteilerzentren, nur weil ein paar Millionen Pakete im Jahr zusätzlich ausgeliefert werden müssen. Langfristig mag das keine optimale Lösung sein. Aber für den Augenblick geht es. Anderen Volkswirtschaften würde man manches Mal etwas von diesem chinesischen Pragmatismus wünschen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
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    China ist das Fitnessstudio der Weltwirtschaft. Die Größe des Markts und die Härte des Wettbewerbs sind seit vielen Jahren ein Test für Unternehmen: Wer hier besteht, schafft es überall. Doch sind deutsche Firmen – angesichts einer zweiten Trump-Regierung und einer ungewissen deutschen Bundespolitik – reif für dieses Fitnessstudio? Diese und viele weitere Fragen hat meine Kollegin Julia Fiedler der BDI-Vertreterin in China, Elisa Hörhager, am Rande der Xceleration Days gestellt.

    Die deutsche Außenhandelskammer organisiert das Community-Event bereits zum dritten Mal. Mehr als 1.000 deutsche und chinesische Wirtschaftsvertreter kommen in Peking zusammen, um Ideen über die zukünftige Wirtschaftszusammenarbeit auszutauschen. Heute berichten wir für Sie exklusiv von vor Ort. Dort werden zum einen die Gemeinsamkeiten beider Seiten betont. Zum anderen treffen die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands aufeinander, wie Julia Fiedler anhand von Reden der hochkarätigen Gäste aufzeigt.

    Schließlich zeigt der “Blick aus China”, dass die dortige Jugend längst nicht so gehorsam ist, wie Peking es gerne hätte. Von Halloween-Kostümen, über Fahrradausflüge der Massen bis hin zu Reaktionen auf die Amokfahrt in Zhuhai: Es lassen sich einige Symptome einer in Unruhe brodelnden Gesellschaft feststellen.

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    Ihr
    Manuel Liu
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    Analyse

    Xceleration Days: Wie De-Risking einen Schatten auf das Netzwerken wirft

    Vize-Handelsminister Li Fei bei seiner Rede bei den 3. Xceleration Days der Außenhandelskammer in Peking.

    Ob es Absicht war, dass bei den 3. Xceleration Days in Peking Ruhrgebietsflair aufkam? Die Außenhandelskammer lud mehr als 1.000 deutsche und chinesische Unternehmensvertreter in ein gigantisches ehemaliges Stahlwerk ein. Hochrangige Repräsentanten der chinesischen Politik hatte sie als Redner gewonnen und 15 Veranstaltungen in drei Tagen organisiert. Das Ziel: Netzwerken, Ideen sammeln, Zuversicht fördern.

    Nur eine Woche nach der US-Wahl waren die ungewissen politischen Zeiten allerdings allgegenwärtig und damit auch die Herausforderungen in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit. Hong Simen, Vize-Bürgermeisterin der Hauptstadt, und Vize-Handelsminister Li Fei betonten, wie sehr das Handelsministerium bemüht sei, die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten zu stärken. Botschafterin Patricia Flor ihrerseits schlug dagegen kurz nach ihrer Begrüßung kritische Töne an.

    Flor betonte die Notwendigkeit, die deutsche Industrie und Wirtschaft in China zu schützen, forderte besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und eine Erleichterung des grenzüberschreitenden Datentransfers. Auch auf chinesische Cyber-Operationen und Angriffe auf die kritische Infrastruktur in Deutschland wies Flor die Gastgeber hin. Die chinesischen Vertreter reagierten verstimmt. Anwesende des chinesischen Handelsministeriums verließen direkt nach der Rede den Saal.

    Handelsministerium sucht nach mehr Kooperation

    War das notwendig, mag sich der eine oder andere Gast gefragt haben. Probleme im Verhältnis mit der zweitgrößten Volkswirtschaft klar anzusprechen, ist in der China-Strategie der Bundesregierung verankert. Teilnehmer kritisierten allerdings, dass eine Wirtschaftsveranstaltung dadurch ihrer Ansicht nach unnötig politisiert wurde. Das Handelsministerium scheint sich derweil mehr Kooperationen mit europäischen Unternehmen zu wünschen. Im Gespräch mit mehreren Beteiligten war der Tenor, dass China gerade einen günstigen Moment sehe, Europa enger an sich zu binden, um die Ausschläge der wachsenden Spannungen mit den USA abzufedern.

    Auf deutscher Seite sieht es derweil offenbar anders aus. Bei der Konferenz wurde gemunkelt, dass das Wirtschaftsministerium der Veranstaltung ablehnend gegenübergestanden habe. Auf eine entsprechende Anfrage von Table.Briefings unterstrich das Ministerium die Notwendigkeit des De-Riskings, betonte aber, dass diese Art der Diversifizierung nicht automatisch auch ein Decoupling bedeute. Die China-Strategie der Bundesregierung ziele nicht darauf ab, eine künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit deutscher und chinesischer Firmen auszuschließen, so das Ministerium.

    Chinesische Partner setzen Diversifizierung in Gang

    Im Spannungsfeld der geopolitischen Lage sind Lieferkettenrisiken inzwischen auf beiden Seiten ein relevantes Thema. Während viele deutsche Unternehmen auf eine “In China für China”-Strategie setzen, um internationale Erschütterungen abzufedern, entsteht bei ihren chinesischen Partnern zunehmend Unsicherheit. Sie setzen deshalb ihrerseits einen Diversifizierungsprozess in Gang.

    Das De-risking findet auch bei unseren chinesischen Kunden statt“, sagt Gang Yang, Präsident der Trumpf Group China im Gespräch mit Table.Briefings. “Sehr treue Kunden, bei denen wir früher der einzige Hochtechnologie-Lieferant im Haus waren, qualifizieren plötzlich auch lokale Lieferanten mit einer höheren Risikobereitschaft.” Zum Teil steckten die Unternehmen viel Aufwand in die Qualifizierung lokaler Unternehmen, so Gang, und nähmen dafür sogar auch Ineffizienzen in Kauf. “Chinesische Unternehmen sind sehr besorgt, dass plötzlich aufgrund einer Sanktion oder eines anderen den Handel einschränkenden Mechanismus nicht mehr geliefert werden kann.”

    Verdrängungswettbewerb um Marktanteile

    Für die meisten ist das Wettbewerbsumfeld in China härter geworden. “Immer mehr Unternehmen berichten, dass ihre wichtigsten Wettbewerber technologisch inzwischen auf dem gleichen Stand wie sie sind. Das war früher ein sehr kleiner Prozentsatz und der steigt jedes Jahr weiter an”, bestätigt Clas Neumann, Vorsitzender der deutschen Handelskammer in Ostchina.

    So auch in der Chemieindustrie. André Rittermeier ist Head of Group Innovation & Sustainability APAC bei Covestro, einem weltweit führenden Hersteller von hochwertigen Polymermaterialien, der auch in China vertreten ist. Rittermeier ist seit sechs Jahren in China und beobachtet, dass lokale Firmen nicht nur in den Bereichen, die ein geringeres Know-how erfordern, stärker geworden sind, sondern mittlerweile auch in hoch spezialisierten Industrien.
     
    Innovation werde damit immer wichtiger. “Mit den irre schnellen Innovationszyklen in China muss man regelmäßig neue Produkte auf den Markt bringen, um vorne mit dabei zu sein. Covestro ist im hochwertigen Segment vertreten und muss sich daher noch mehr vom Markt unterscheiden.” Allerdings müsse man den Wettbewerbsdruck auch ins Verhältnis setzen. “Wer in China groß geworden ist, hat 30 Jahre lang in einem Umfeld mit sehr großem Wachstum gelebt. Es ging nur darum, den Markt zu füllen, für jeden war genug Platz. Jetzt, wo das Wachstum kleiner wird, fängt ein richtiger Wettbewerb an, also ein Verdrängungswettbewerb um Marktanteile. An diesen Wettbewerb sind wir in Deutschland aber gewöhnt.”

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    Interview

    Elisa Hörhager: “Jetzt ist die Zeit, selbstbewusst und geschlossen aufzutreten”

    Elisa Hörhager vertritt den BDI in der Volksrepublik.

    Wie bewerten Sie das chinesische Konjunkturpaket?

    Die Vermutung, dass man auf das Wahlergebnis in den USA reagieren würde, traf nicht zu. Die chinesische Regierung bleibt bei ihrem stark kontrollierten Narrativ von Kontinuität und Stabilität und zieht die Maßnahmen durch, wie sie vor Wochen verkündet wurden. Peking möchte nur schrittweise Justierungen vornehmen, die notwendig sind für den Übergang von einem infrastruktur- und immobiliengetriebenen Wachstum zu einem Wachstum, das von der Industrie getragen wird. Maßgeblich sind weiterhin die “neuen Produktivkräfte”, also schnelle wissenschaftliche und technologische Innovationen und die Modernisierung traditioneller Industrien.

    Wie bewerten deutsche Unternehmen in China den Stimulus?

    Die deutschen Unternehmen leiden schon seit längerem massiv unter dem Preiswettbewerb in China, etwa im Maschinenbau oder Automobilbereich. Viele Unternehmen hatten darauf gehofft, dass die Regierung den Binnenkonsum ankurbelt. Manche hatten sogar eine “chinesische Bazooka” erwartet, was die nun angekündigten Maßnahmen nicht sind. Im Gegenteil ist die Erwartung, dass der Konsum nicht nennenswert in die Höhe gehen wird.

    Immobilienkrise lösen, Strukturreformen anpacken

    Wie gehen die Firmen damit um?

    Sie stellen sich weiterhin auf schwierige Jahre ein, wegen des Ausgangs der US-Wahl vor allem auch auf zunehmende Handelsspannungen zwischen den USA und China. Und trotzdem bleibt China ein wichtiger Markt, gerade auch für die Unternehmen, die in China investiert haben. In den nächsten Jahren müssen hier die Immobilienkrise gelöst und Strukturreformen angepackt werden. Wichtige Reformen sind im Dritten Plenum bereits angekündigt worden, unter anderem die Immobiliensteuer. Für die Konsumenten wird das schmerzhaft. Fest steht, dass China vor dringenden strukturellen Herausforderungen steht, welche eine Transformation der Wirtschaft notwendig machen.  

    Wie hat sich das Geschäftsumfeld in China entwickelt?

    Der Wettbewerb wird härter. Produkte der chinesischen Wettbewerber sind teilweise viel günstiger, aber qualitativ ausreichend. Das ist nicht neu, aber es ist ein Trend, der sich immer stärker abzeichnet. Dadurch werden Unternehmen künftig immer häufiger überlegen, zu lokalisieren und In China for China zu produzieren, also Produkte speziell für den chinesischen Markt zu günstigeren Preisen herzustellen, die sich qualitativ von den deutschen unterscheiden. Hier spielt das Thema Subventionen eine zentrale Rolle und die Frage nach den Rahmenbedingungen für ausländische Firmen. Gerade für fairen Wettbewerb und gleichberechtigten Marktzugang muss die chinesische Regierung noch viel tun.

    Wie sichern wir strategisch unsere Spitzenpositionen?

    Welche Bedeutung hat In China for China für deutsche Unternehmen?  

    China ist aufgrund der Größe des Marktes und der Härte des Wettbewerbs das Fitnesszentrum für deutsche Unternehmen. Wer hier besteht, kann überall anders bestehen. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: China ist ein Gewächshaus. Hier entstehen Innovationen und hier besteht in bestimmten Bereichen so viel technologischer Vorsprung, den wir für uns in Deutschland nutzen können, zum Beispiel im Bereich autonomes Fahren oder der Entwicklung der Elektromobilität. 

    Sind deutsche Unternehmen alle reif fürs Fitnessstudio? 

    Das ist die Kernfrage. Ich höre von chinesischen Unternehmen, die bei deutschen Zulieferern einkaufen, dass der deutsche Qualitätsvorsprung schon noch bedeutsam für sie sei. Solche chinesischen Unternehmen können ihren Kunden überzeugend erklären, weshalb ihr Endprodukt teurer ist, aber auch länger hält. Made in Germany hat nach wie vor Gewicht in China. Die Frage ist nur, wie lange noch. Wir stehen im Wettbewerb mit Chinas staatlich geprägtem Wirtschaftssystem. Wie und in welchen Bereichen sichern wir strategisch unsere Spitzenpositionen? Defensivinstrumente zum Schutz vor Marktverzerrung sind sicher ein Teil der Lösung. Aber um chinesischen Kosten- oder Technologievorteilen zu begegnen und Anreize für den Produktionsstandort Europa zu setzen, müssen wir unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern.  

    Handelspolitische Instrumente einsetzen und Anreize schaffen

    Wie soll das funktionieren?

    Schlüssel dafür ist, die Stärke des europäischen Markts voll auszunutzen. Dazu gehört es, handelspolitische Instrumente einzusetzen und auch Anreize für gewünschte chinesische Investitionen in der EU zu schaffen. Durch die Antisubventionszölle auf E-Autos aus China sitzen beide Seiten wieder am Verhandlungstisch. China hört angesichts des US-Wahlausgangs sogar noch aufmerksamer zu. Jetzt ist die Zeit, selbstbewusst und geschlossen aufzutreten und unsere europäischen Interessen ebenso strategisch wie die Chinesen zu verfolgen. Dann besteht die Chance, wichtige Forderungen für faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber China durchzusetzen.

    Elisa Hörhager hat in Peking, Berlin und Brüssel für das Auswärtige Amt zu Wirtschafts- und China-Themen gearbeitet. Seit dem 1. August 2024 leitet sie die Vertretung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) in Peking.

    • Autonomes Fahren
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    Termine

    18.11.2024, 14:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time)
    SOAS China Institute, Webinar: The Chinese Cultural Revolution discourse in Ming Pao Mehr

    18.11.2024, 11:30 Uhr
    Harvard Fairbank Center, Vorlesung vor Ort: 冷战史研究与档案的开放和利用 Mehr

    18.11.2024, 18:00 Uhr (01:00 Uhr Beijing time)
    Harvard Fairbank Center, Webinar: Daniel Kritenbrink, “America’s Future in East Asia” Mehr

    20.11.2024, 09:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
    Dezan Shira & Associates Webinar: Cost Control Series: Reshape Your Business Cost Structure for Greater Efficiency in China Mehr

    21.11.2024, 09:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
    Acclime Consulting, Webinar: Expanding Your Business in China vs. ASEAN: Balancing Opportunities and Risks Mehr

    News

    VDMA-Umfrage: Wie sich die Auftragslage der deutschen Maschinenbauer entwickelt

    Die deutschen Maschinenbauer in China blicken einer Umfrage des Branchenverbandes VDMA zufolge kritisch auf die Geschäftsentwicklung vor Ort. 44 Prozent der befragten 218 Unternehmen bewerten die aktuelle Lage als schlecht, teilte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) am Donnerstag mit. Ebenfalls 44 Prozent bezeichneten die Entwicklung demnach als zufriedenstellend und zwölf Prozent als gut. Die Auftragslage hat sich der aktuellen Umfrage zufolge allerdings im Vergleich zu einer Erhebung im Frühjahr verbessert: 62 Prozent der Befragten berichten derzeit von einem normalen Auftragsbestand. Zuvor seien es 39 Prozent gewesen. 

    Insgesamt rechneten die Unternehmen im Schnitt 2024 mit einem Umsatzwachstum von 1,5 Prozent – was allerdings immer noch eine Verbesserung gegenüber den null Prozent des Vorjahres ist. “Die Stimmung unter den deutschen Maschinenbauern in China ist das dritte Jahr in Folge angespannt. 2022 belasteten die Covid-Beschränkungen die Branche schwer, 2023 folgten die Nachwirkungen der Pandemie, das schwache Verbrauchervertrauen und der schwächelnde Immobiliensektor”, erklärt Claudia Barkowsky, VDMA-Geschäftsführerin in China. 

    Die eher gemischten Ergebnisse spiegeln sich auch in der Kapazitätsauslastung wider: Zehn Prozent der Befragten arbeiten der Umfrage zufolge über ihrer normalen Kapazität, 43 Prozent auf Normalniveau. Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 47 Prozent, berichten von einer Unterauslastung ihrer Kapazitäten. “Der erhöhte Auftragsbestand hängt möglicherweise mit den kürzlich angekündigten Konjunkturmaßnahmen der chinesischen Regierung zusammen. Dass die Kapazitätsauslastung dennoch auf niedrigem Niveau verharrt, könnte auf einen weiteren Lagerabbau oder Verzögerungen im Produktionsprozess hindeuten. Dies gibt uns jedoch Hoffnung, dass das letzte Jahresquartal an Dynamik gewinnen könnte”, so Barkowsky. ari

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    Flugzeugbau: Neuer Airbus-Konkurrent findet ersten Abnehmer

    Der staatliche chinesische Flugzeughersteller Comac hat einen ersten Abnehmer für seinen Großraumjet C929 gefunden. Das Unternehmen gab bei der Luftfahrtmesse in Zhuhai eine entsprechende Einigung mit Air China bekannt. Allerdings teilte Comac weder Anzahl noch geplante Liefertermine mit. Der C929 soll als Konkurrent für den Airbus 350 und die Boeing 787 auf dem Weltmarkt platziert werden.

    Seine Entwicklung war zuletzt mehrmals in Stocken geraten. Ursprünglich hatte Comac das Projekt gemeinsam mit russischen Partnern begonnen. Nach Moskaus Invasion der Ukraine wurde die Zusammenarbeit allerdings eingestampft, und China setzte die Entwicklung des Modells alleine fort. Noch ist das endgültige Design der C929 nicht abgeschlossen. Vor Ende des Jahrzehnts rechnen Experten nicht mit ihrem Jungfernflug.

    Dutzende Bestellungen gingen bei Comac zudem für die C919 ein, das erste Passagierflugzeug, das komplett in der Volksrepublik entwickelt wurde. Hainan Airlines habe 60 Maschinen bestellt, hieß es. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen die Marke von 1.000 Bestellungen für die C919 geknackt. Das Mittelstreckenmodell ist das Pendant zum A320 und zur Boeing 737. grz/rtr

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    Trump: Wovor Macron und Draghi warnen

    Der französische Präsident Emmanuel Macron und der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi haben vor einem erneuten Handelskrieg zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA unter Donald Trump gewarnt. In einem Gespräch am Pariser Collège de France über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit am Mittwoch forderten sie von der EU, schnelle und kleinere Reformen voranzutreiben, anstatt auf Einstimmigkeit zu warten. Die Handelskammer zur EU der Volksrepublik, die sich selbst auf einen Zollkrieg mit den USA vorbereitet, teilte einen Medienbericht über die warnenden Worte auf X (früher Twitter).

    “Wir treten ganz klar in eine Welt der Zollkriege ein”, sagte Macron laut Politico. Die EU müsse auf eigenen Füßen stehen, um nicht zum Kollateralschaden eines Handelskriegs zwischen den USA und China zu werden. Euractiv zitierte ihn wie folgt: “Wenn wir in den nächsten zwei Jahren keine konkreten Ergebnisse erzielen, werden die Länder auf eigene Faust auf die USA und China zugehen.” Das würde zu einer stärkeren Fragmentierung innerhalb der EU führen, heißt es in dem Medienbericht. Der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Draghi, bezeichnete den Wahlsieg Trumps als “Weckruf” und sagte, Europa müsse nun “intensiver arbeiten, als wir es vielleicht vorher geplant hatten”. mcl

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    Zhuhai: Chinesische Gesellschaft nach Amokfahrt zwischen Trauer und Wut

    Während Chinesinnen und Chinesen um die Opfer des schlimmsten Amokvorfalls der Volksrepublik seit Jahren trauern, sind die Behörden darum bemüht, die Reaktionen der Öffentlichkeit zu kontrollieren. Das berichteten mehrere Medien. Am Montagabend (Ortszeit) war ein 62-jähriger Mann mit seinem Auto in eine Menschenmenge in der südchinesischen Stadt Zhuhai gerast und tötete dabei Dutzende Menschen, 43 weitere wurden verletzt.

    An dem Tatort in der Nähe eines Sportstadions legten Menschen in den Stunden und Tagen nach der Tat Kränze, Kerzen und Getränke nieder. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von Blumenhändlern, bei denen zahlreiche anonyme Lieferungen zum Tatort eingingen. Einige Kränze trugen handgeschriebene Notizen: “Gute Reise, Fremde”, stand auf einem und auf einem anderen: “Möge das Gute über das Böse triumphieren”. Laut Reuters, dpa und der BBC räumten Beamte immer wieder das provisorische Mahnmal.

    Auch in den sozialen Medien dämmen die Behörden die Reaktionen ein. Wütende Internetnutzer kritisierten die Regierung dafür, dass sie die Zahl der Todesopfer erst knapp einen Tag später bekannt gegeben hatten. Einige Meinungsbeiträge wurden gelöscht, berichtet Reuters. Der BBC zufolge warfen einige Menschen den Staatsmedien außerdem vor, kaum über den Vorfall und stattdessen über eine hochkarätige Militärflugshow zu berichten, die zur gleichen Zeit in Zhuhai stattfand. Chinas staatlicher Fernsehsender CCTV erwähnte den Anschlag in seinen 30-minütigen Mittagsnachrichten nicht.

    Andere Menschen diskutierten über das Phänomen der “Rache an der Gesellschaft”, bei dem Menschen persönliche Missstände zum Leid anderer ausleben. Nach Angaben der Polizei habe der Angreifer sich wegen seiner Scheidungsvereinbarung rächen wollen. In den letzten Monaten wurden ähnliche Gewalttaten verübt, wie eine Messerstecherei in einem Shanghaier Supermarkt und ein Messerangriff in einer Schule in Peking.

    Der chinesische Zensurapparat versucht bei sämtlichen Themen, die eine große Aufmerksamkeit aus der Öffentlichkeit erfahren, die Debatte zu kontrollieren. Dies gilt insbesondere bei Fällen, in denen Behördenversagen vorgeworfen werden könnte. Die Polizei in Zhuhai korrigierte ihre ursprüngliche Meldung zur Gewalttat. Zunächst hieß es, der mutmaßliche Täter habe das Gerichtsurteil über seine Scheidungsvereinbarung in mehreren Instanzen angefochten, sei jedoch gescheitert. In der korrigierten Version fehlten diese Informationen. mcl

    • Medien
    • Zensur

    Presseschau

    Biden”s trip to Peru will include last meeting with China”s president ABC NEWS
    Rubio pick signals a Trump China policy that could go beyond tariffs REUTERS
    Trump set to deepen tech Cold War with China WASHINGTON POST
    New proposed bill would end normal US-China trade relations SEMAFOR
    Lateinamerika: Wo China einen Mega-Hafen baut, ist Europa nur nörgelnder Zaungast WELT
    South China Sea: Philippines’ Marcos at odds with China on sovereign territory meaning ASIA
    US accuses China of vast cyber-espionage campaigns against telecoms BUSINESS STANDARD
    Nach US-Wahl: Neue Hürden für Chinas Autobauer in den USA AUTOMOBIL-INDUSTRIE
    Die USA und China kämpfen nicht mehr nur um Chips, sondern um das Material, aus dem sie sind BUSINESS INSIDER
    China’s luxury market loses shine as Bain study shows spending decline SCMP
    Tesla in China: Auf einmal wirkt Tesla altmodisch und behäbig ZEIT
    CATL und BYD dominieren weiter Chinas Batterie-Markt ELECTRIVE
    China enthüllt Space Shuttle – Das Space Shuttle “Haolong” soll die Raumstation Tiangong künftig mit Frachtgütern versorgen FUTUREZONE
    Geburtenrate in China: Ihr wollt es doch auch SÜDDEUTSCHE
    U.S. Should Forge Treaty With China On Exploring Moon, Scholars Say FORBES

    Standpunkt

    Blick aus China: Über den Mangel an Gehorsamkeit der chinesischen Jugend

    Zwei Ereignisse in der letzten Woche erschütterten das sorgsam gepflegte Image der chinesischen Regierung, stets die Kontrolle zu bewahren und die gesellschaftliche Ordnung in die gewünschten Bahnen lenken zu können.

    Am Abend des 8. November fuhren Zehntausende Studenten in Zhengzhou, der Hauptstadt der zentralen Provinz Henan, mit Fahrrädern in die 50 Kilometer entfernte historische Stadt Kaifeng, um dort etwas zu tun, was sie als “unbezahlbar jugendlichen” Spaß bezeichneten. Am nächsten Tag griffen die Behörden zu einem umfassenden Konzept, an dem die Polizei, die Hochschulverwaltung und die Fahrradverleiher beteiligt waren, um weitere Vorfälle zu verhindern: Es wurden Verwarnungen ausgesprochen, Fahrradwege blockiert und Fahrräder abgesperrt. Trotzdem machten sich noch mehr Studenten zu Fuß auf den Weg. Das nächtliche Fahrradfieber griff auch auf andere Städte über, bevor es später in der Woche abklang.

    Bei einem anderen Vorfall in den Abendstunden des 11. November raste ein 62-jähriger Mann in ein Stadion in Zhuhai, Guangdong, in dem Tausende von Menschen abendliche Sportübungen abhielten, und tötete dabei mindestens 35 Menschen und verletzte 43 weitere. Dieser Vorfall, der sich am Vorabend der alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in China ereignete, war die jüngste Episode einer Reihe von tödlichen Angriffen auf öffentlichen Plätzen, die sich dieses Jahr im ganzen Land ereigneten und bei denen auch mehrere Ausländer getötet oder verletzt wurden.

    Die Reaktion der Regierung sagt viel

    In einem Land mit schwerer Polizeipräsenz und einem Regime, das paranoid vor jeglicher Unruhe und Instabilität ist, war dies ein schwerer Schlag.

    Die örtliche Polizeibehörde brachte den Angriff in Zhuhai umgehend mit dem Zorn des Mannes über seine Scheidung in Verbindung. Am 12. November rief Präsident Xi Jinping zu Maßnahmen auf, um “extreme Fälle zu verhindern”, indem “die Ursachen von Risiken überprüft und Streitigkeiten und Konflikte gelöst werden”. Bereits am nächsten Tag wurden einige Kommunalverwaltungen angewiesen, in ihrem Bezirk Erhebungen über Menschen in finanziellen Schwierigkeiten oder mit psychischen Problemen durchzuführen.

    Ursachen lassen sich nicht beseitigen

    Chinesische Behörden behaupten oft, China sei eines der sichersten Länder der Welt und habe eine niedrige Kriminalitätsrate. Doch trotz der strengen Informationszensur gab es immer wieder Nachrichten über tödliche, willkürliche Angriffe auf öffentlichen Plätzen, von denen die überwiegende Mehrheit von verzweifelten Männern begangen worden sein soll, die über Ungerechtigkeiten erzürnt waren. Eine kurze Recherche im Internet ergab, dass es in diesem Jahr bereits 17 solcher Fälle in ganz China gegeben hat.

    Die Forderung von Xi, die Ursachen sozialer Risiken zu prüfen, ist nicht neu. Die Behörden kannten schon immer die potenziellen Risiken. Das von der Partei vollständig kontrollierte Justizsystem ist jedoch ebenso korrupt wie die anderen Bereiche der Regierung. Hinzu kommt, dass die Sozialleistungen für die arme Bevölkerung bei Weitem nicht zum Überleben ausreichen. Die üblichen Maßnahmen der Regierung zur Überwachung und Kontrolle derer, die sie als “gefährliche Personen” ansieht, führen nur zu mehr Missständen und möglicherweise zu mehr Gewalt. Es ist ein Problem ohne Lösung.

    Das erdrückende Leben von Chinas Jugend

    Seit einigen Jahren sorgt sich die Regierung nun um die Jugend als Unruheherd. Chinas Schüler und junge Menschen führen in der Regel ein recht hartes Leben. In einer nach wie vor recht paternalistischen Gesellschaft werden sie von Eltern, Schulen und anderen offiziellen Institutionen manipuliert und es ist ihnen kaum gestattet einen freien Willen zu haben. Schon in der Grundschule müssen sie Berge von Hausaufgaben erledigen, die sie bis in die späten Abendstunden wach halten. In vielen Gymnasien haben die Schüler gerade einmal zwei Tage im Monat frei.

    Von der Grundschule über die Oberstufe bis hin zur Universität müssen sie zermürbende Prüfungen ablegen und gegeneinander konkurrieren. Seit etwa fünf Jahren reicht ein Bachelor-Abschluss nicht mehr aus, um einen anständigen Job zu bekommen, was bedeutet, dass sich Hochschulabsolventen um ein postgraduales Studium bemühen müssen. Sobald sie ihr Masterstudium abgeschlossen haben, nehmen die meisten von ihnen auch an den Prüfungen für den öffentlichen Dienst teil, da die Jobs bei der Regierung als die besten gelten. Auch nachdem sie ihren ersten Job gefunden haben, führen die jungen Menschen immer noch ein hartes Leben: Überstunden sind normal und die Bezahlung ist niedrig. Immerhin sind Studenten frei von den täglichen Einmischungen der Eltern, haben zumindest etwas Freizeit und können einige kleine Entscheidungen über ihr eigenes Leben treffen.

    Die chinesische Jugend nach der Studentenbewegung von 1989

    Der rebellische Geist der chinesischen Jugend zeigte sich am deutlichsten 1989, als massive Studentendemonstrationen in Peking und anderen Großstädten das Land erschütterten und schließlich das blutige Tian’anmen-Massaker auslösten. Danach wurde es still. So still, dass Kritiker beklagten, den Behörden sei es gelungen, die Jugend durch Regierungspropaganda einer Gehirnwäsche unterzogen zu haben, deren Energie von akademischem Wettbewerb, Prüfungen und Karrieren aufgezehrt werde.

    Diese Auffassung erwies sich jedoch als falsch, als Schüler in zahlreichen Städten gegen Ende der Corona-Pandemie gegen die drakonischen Lockdock-Maßnahmen demonstrierten. Auch Schüler an Oberschulen in verschiedenen Städten des Landes protestierten offen gegen die ihnen geraubten Ferien.

    Auch im letzten Jahr gerieten große Ansammlungen junger Menschen ins Visier der Behörden, als sie große Halloween-Straßenpartys im Zentrum von Shanghai feierten. Viele Kostüme stellten kaum versteckte politische Botschaften zur Schau – etwas, mit dem die Behörden nicht gerechnet hatten. Auf das diesjährige Halloween war die Regierung jedoch vorbereitet und sperrte Orte ab, an dem sich Halloween Partygänger treffen könnten. Aber die jungen Leute fanden andere Orte, an denen sie feiern konnten, auch wenn die politischen Aussagen diesmal deutlich dezenter waren.

    Die Jugend lässt sich nicht unterkriegen

    Die nächtlichen Fahrradausflüge begannen auch als harmloser Freizeitspaß ohne jegliche politische Konnotation. Ihren Anfang nahmen sie im letzten Juni, als vier Studentinnen von Zhengzhou nach Kaifeng radelten, um dort die berühmten gedämpften Teigtaschen, im Westen als Bao bekannt, zu probieren, und Videos von ihrem Ausflug in den sozialen Medien zu posten. Andere folgten ihrem Beispiel, was letzte Woche in einem massiven öffentlichen Aufmarsch gipfelte, bei dem die Teilnehmerinnen auf natürliche Weise zusammenkamen.

    Wie erwartet zeigte die Reaktion der Behörden, wie sehr sie große Ansammlungen junger Menschen fürchten. Schnell bezichtigten einige Schulen, dass sie von “ausländischen und feindlichen Kräften” angestiftet worden seien. Tatsächlich waren die Radfahrer aber nur zum Vergnügen unterwegs. Trotzdem ist ihr Streben, sich in großen Gruppen zu treffen und abseits des offiziell genehmigten Systems Spaß zu haben, lobenswert. Schließlich sind sie noch echte junge Menschen, mit einem Herz in der Brust.

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    Personalien

    Kevin Liu ist seit November Head of Logistics APAC bei Henkel. Liu arbeitet seit vier Jahren für den Düsseldorfer Konsumgüter-Konzern in Shanghai. Zuletzt war er dort Manager PMO APAC und Program Manager des Management Trainee Programs “CHAiNGERS” APAC. 

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    Dessert

    Chinesischer Pragmatismus ist Zutat des Erfolgsrezeptes der zweitgrößten Volkswirtschaft. Um erfolgreich zu sein, muss man sich hier und da den widrigen Umständen einfach anpassen, anstatt mit ihnen zu hadern. Paketdienste in der Volksrepublik sind ein gutes Beispiel dafür. Logistische Feinarbeit findet häufig auf offener Straße statt. Wer benötigt schon immer neue Verteilerzentren, nur weil ein paar Millionen Pakete im Jahr zusätzlich ausgeliefert werden müssen. Langfristig mag das keine optimale Lösung sein. Aber für den Augenblick geht es. Anderen Volkswirtschaften würde man manches Mal etwas von diesem chinesischen Pragmatismus wünschen.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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