Table.Briefing: China

Wuttke-Interview Teil 2 + Umbruch der PKW-Branche

  • Wuttke: China braucht unsere Expertise
  • Chinas Automarkt wird immer elektrischer
  • Deutschland weniger abhängig als gedacht
  • Patten gratuliert geflüchteten Hongkongern
  • Mars-Rover unplanmäßig im Ruhezustand
  • Tote im Gelben Fluss
  • Heads: Liu Hongqiao von der Klimadebatte geprägt
Liebe Leserin, lieber Leser,

Jörg Wuttke bedarf in China-Kreisen wahrlich keiner Einführung mehr. Dank seiner 35 Jahre in China bietet der Präsident der EU-Handelskammer spannende Einblicke in Chinas Wirtschaft und Politik. Im zweiten Teil des Interviews von Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee wagt Wuttke einen durchaus optimistischen Blick in die Zukunft.

Xi Jinping habe zwar ausschließlich loyale Ja-Sager befördert, dennoch finden europäische Unternehmen auch weiterhin Gehör. Im Hinblick auf den wahrscheinlichen neuen Premierminister Li Qiang sagt Wuttke: “Als Parteisekretär von Shanghai weiß er, wo die Gewerbesteuereinnahmen herkommen, und da stehen die Ausländer sehr weit vorne.

Beim europäischen Lieferkettengesetz empfiehlt Wuttke indes ein offensives Auftreten: “Wenn es kein Menschenrechtsproblem gibt – wo ist das Problem nachzuweisen, dass es kein Problem gibt?” Wuttke geht sogar so weit, dass er den Abschied von Unternehmen aus China für wahrscheinlich hält, sollte Peking keine unabhängigen Audits von Lieferketten zulassen.

Sollten Sie den ersten Teil des Interviews verpasst haben, Sie finde ihn hier.

In unserer Analyse zur Autokonjunktur im Jahr des Hasen wirft Christian Domke Seidel einen Blick auf die zunehmende Teilung des Marktes in ein Elektro- und ein Verbrennersegment. Denn nicht nur in Deutschland ist die Branche von entscheidender Bedeutung. In Festland-China ist jeder sechste Arbeitsplatz direkt von der Automobilindustrie abhängig. Damit steht und fällt der Wohlstand einzelner Regionen. Umso erfreulicher für die Beschäftigten: Der Verkauf boomt wieder. Allerdings nicht bei jeder Antriebsform.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Analyse

“Die Partei hat den Nimbus der Unfehlbarkeit verloren”

Jörg Wuttke im Interview zu Chinas Politik und Implikationen für die EU und europäische Unternehmen.
Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China.

Das zurückliegende Jahr des Tigers war ein schreckliches Jahr für die Wirtschaft in China. Wie geht es den EU-Unternehmen derzeit?  

2022 war tatsächlich unterirdisch. Die Entwicklung im Jahresverlauf war erschreckend und kam überraschend, weil wir 2021 ein sehr gutes Jahr hatten. Doch dann kam der Lockdown in Shanghai. Danach haben wir vor allem ums Überleben gekämpft. Logistik und Produktion wurden extrem behindert. Auch den Rest des Jahres schlug die Null-Toleranz-Politik immer wieder an unterschiedlichen Orten zu. Gegen Jahresende konnte man sich praktisch gar nicht mehr bewegen in China.  

Und dann folgte am 7. Dezember die plötzliche Öffnung

Es war fast eine Erleichterung, als die Maßnahmen aufgegeben wurden, und Omikron China übernommen hat. Die Öffnung hat zu Klarheit geführt und China macht nun gewaltige Schritte in Richtung Herdenimmunität. Wir können die Fabriken wieder ohne Closed-Loop fahren und ohne den Terror, dass die Mitarbeiter immer wieder in Quarantäne geschickt werden. Die Angst, in die Öffentlichkeit zu gehen, ist nun endlich weg.  

Xi Jinping persönlich hat so lange an Null-Covid festgehalten. Können solche einsamen Entscheidungen mit enormer Tragweite nicht wieder passieren? 

Es ist nicht auszuschließen, dass es wieder zu einer völlig ideologiegetriebenen Handlung kommt, die uns dann erneut einengt. Momentan sehe ich das aber nicht kommen. Die Partei hat gemerkt, dass sie den Nimbus der Unfehlbarkeit erst einmal verloren hat. Und ich hoffe, dass daraus sich auch wieder eine bessere Kommunikationsbereitschaft ergibt.  

In der Vergangenheit waren Sie als Vertreter der EU-Wirtschaft ein wichtiger Gesprächspartner für die Regierung, sie hatte Ihre Empfehlungen ernst genommen. Hat sich das jetzt durch den Politikstil Xis und in den Covid-Jahren verändert?  

Nein. Ich glaube sogar, dass die öffentliche Ansprache durch die Kammer noch mehr wahrgenommen wird. Wir wurden von hohen Stellen eingeladen, die negativen Auswirkungen der Null-Toleranz-Politik aufzuzeigen. Daraus schließe ich, dass diese Akteure gehofft hatten, unsere Botschaft über Bande zu spielen und möglichst wirksam anzubringen. Daraus lässt sich der Rückschluss ziehen, dass es offenbar auch weiter verschiedene Lager mit unterschiedlichen Ansichten in Partei und Regierung gibt. Gerade im Dezember gab es eine rege Kommunikation nicht nur mit uns von der EU-Handelskammer, sondern auch mit denen der Deutschen, Amerikaner und Japaner. 

Gibt es seit dem vergangenen Parteikongress mit der Bestimmung von nur noch loyalen Ja-Sagern im Ständigen Ausschuss des Politbüros überhaupt noch irgendeine Fraktion als alternativen Ansprechpartner? Persönlichkeiten wie Li Keqiang, Liu He oder Hu Chunhua sind demnächst weg. 

Unsere bekannten Ansprechpartner werden in der Tat ersetzt werden durch Leute, die wir noch nicht so gut kennen. Liu He war für uns immer eine Lichtfigur. Er hat sich im Jahr 2012 als Reformer positioniert, und wir kannten ihn als jemandem, der uns versteht. Wir hatten auch einen guten Draht zu Vizepremier Hu Chunhua, der sich auch immer wieder für unsere Belange eingesetzt hat. Diesen Politikern war bewusst, dass wir als europäische Wirtschaft Teil eines Ökosystems sind, mit einer Expertise, die China braucht.  

Wird der neuen Führung bewusst sein, wie wichtig ausländische Unternehmen für die eigene Entwicklung sind? 

Das wird sich zeigen. Der neue Premierminister – es wird wahrscheinlich Li Qiang werden – hat schon aufgrund seiner Shanghai-Erfahrung ein Gefühl dafür, wie wichtig ausländische Technologie ist. Als Parteisekretär von Shanghai weiß man eben, wo die Gewerbesteuereinnahmen herkommen, und da stehen die Ausländer sehr weit vorne. Ob er damit in der ideologischen Echokammer der Partei durchdringt, ist eine andere Frage.  

Umgekehrt sieht man in Europa die Partnerschaft mit China immer kritischer. Das kommende europäische Lieferkettengesetz wird voraussichtlich einen hohen Grad an Nachweispflichten für die Herkunft der Komponenten und Rohstoffe vorsehen. 

Als Wirtschaft müssen wir darauf achten, dass in keiner Weise Menschenrechte verletzt werden. Und wir sollten unser Möglichstes tun, um Lieferketten auch in brisanten Bereichen wie zum Beispiel im Textilsektor in China untersuchen zu lassen. Da gibt es grundsätzlich keine Ablehnung. Nur, wie weit können wir das jetzt in der Praxis umsetzen? Wie tief wird man in die Kette von Zulieferern und von deren Zulieferern hineinreichen? Und habe ich als europäisches Unternehmen überhaupt die Möglichkeit, dort Kontrollen anzustellen? Deswegen reden wir auch mit der chinesischen Regierung, um dort für glaubwürdige Audits zu sorgen. Diese müssten von unabhängigen Firmen in China durchgeführt werden, die entsprechend Einblick erhalten. Nur dann können wir weiter Jobs in China schaffen.  

Und wenn China die unabhängigen Audits nicht zulässt? 

Wenn wir das nicht machen können, müssen die betreffenden Unternehmen und Branchen sich aus China zurückziehen.  

Die chinesische Seite könnte auch sagen: Wenn ihr mit so komischen Gesetzen kommt, ist das euer Problem. 

Das dürfte eigentlich nicht der Fall sein, denn die chinesische Seite sagt ja selbst, dass es keine Zwangsarbeit gibt. Von daher sollte man das leicht überprüfen können. Das sage ich unseren chinesischen Gesprächspartnern auch immer: Wenn es kein Menschenrechtsproblem gibt – wo ist das Problem nachzuweisen, dass es kein Problem gibt? 

Wir Journalisten würden auch gern mal nachsehen, was da so passiert. 

In der Tat muss China uns helfen, eine Werkzeugkiste zu füllen, mit der wir unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen können. Zugleich muss man beim Lieferkettengesetz darauf achten, dass man das jetzt nicht zu kompliziert macht. Das kann nämlich dazu führen, dass vielleicht nur noch die Großen in China aktiv sein können, weil die Kleinen dann gar nicht mehr die Möglichkeiten zur Einhaltung der Vorgaben haben.  

Textil ist eine Sache, weil es viele Alternativen gibt. Komplizierter sieht es bei deutschen Solarimporten aus China aus. Wenn die Importeure nachweisen müssen, dass kein Silizium aus Xinjiang in den Panels ist, bekommt die deutsche Energiewende ein Problem. 

Die Frage sollte sein: Wurde das Silizium unter normalen Umständen gefördert oder unter menschenunwürdigen Verhältnissen? Die Firmen müssen dann offenlegen, wer die Zulieferer in China sind, wer die Rohstoffe fördert und wie sie gefördert werden. So wird Transparenz in den Prozess kommen. Da bin ich mir sicher.  

Transparenz ist derzeit leider keine chinesische Stärke. 

Umso mehr müssen wir darauf pochen. Wir müssen uns ja nicht kleiner machen als wir sind. 

Jörg Wuttke lebt seit nunmehr 35 Jahren in China und kennt sowohl die Wirtschaft als auch das politische System wie kaum ein anderer. Er war dreimal Präsident der EU-Handelskammer. Bei den nächsten Wahlen im Mai wird er nicht noch mal für dieses Amt kandidieren.

Den ersten Teil des Interviews findet die hier.

  • Autoindustrie

Das Ende des Verbrenners naht

Chinas NEV Markt boomt.
Der Autoabsatz in China boomt – aber nur im E-Auto-Segment.

Der Automarkt in China hat sich erholt. Was die Stückzahlen angeht, sind Coronakrise, Lockdowns und Chipmangel längst vergessen. Im Jahr 2022 betrug der Pkw-Absatz 23,6 Millionen Stück, teilte der Herstellerverband CAAM (China Association of Automobile Manufacturers) mit. Für dieses Jahr erwartet er eine Steigerung um drei Prozent auf 24,3 Millionen. Zum Vergleich: Mit 24,7 Millionen verkauften Pkw war 2017 das Rekordjahr in der Volksrepublik.

Doch die guten Zahlen haben einen Haken. Es ist ein Markt mit zwei Geschwindigkeiten. Während New Energy Vehicles (NEV) boomen, betteln Hersteller konventioneller Autos um Staatshilfen. Gleichzeitig sind hochpreisige Modelle aktuell nicht gefragt.

Der Markt für Verbrenner schrumpft

Genau genommen gibt es zwei chinesische Automärkte. Auf dem einen werden Pkw mit Benzinmotor verkauft. Davon wurden im abgelaufenen Jahr 16,7 Millionen abgesetzt. Der zweite ist der NEV-Markt. Also Fahrzeuge mit Hybrid- oder reinem Batterieantrieb. Davon wurden 2022 insgesamt 6,9 Millionen Stück neu angemeldet – doppelt so viele wie im Vorjahr. Neben Fortschritten in der Batterietechnik, steigendem Angebot und sinkenden Preisen dürften die staatlichen Kaufprämien ein wichtiger Grund dafür gewesen sein. Diese sind mit Beginn 2023 jedoch ausgelaufen. 

Dennoch erwartet die China Passenger Car Association (CPCA), dass der Markt für NEV im Jahr 2023 um rund 30 Prozent auf etwa 8,4 Millionen Fahrzeuge wachsen wird. Eine Einschätzung, die von allen Marktbeobachtern geteilt wird. Stimmen beide Prognosen – das Wachstum des Gesamtmarktes auf 24,7 Millionen und die Steigerung der NEV um 30 Prozent – schrumpft der Markt für Fahrzeuge mit Verbrenner auf 16,3 Millionen Stück. 

Es gibt jedoch unterschiedliche Berechnungen. Zhong Yongwei ist Vorsitzender der China EV 100, einer staatlich unterstützten Interessengruppe von NEV-Herstellern. Zhong geht davon aus, dass im Jahr 2023 insgesamt zehn Millionen NEV verkauft werden. Während das Wachstum in diesem Sektor ausgemachte Sache zu sein scheint, hält aber beispielsweise die Ratingagentur Fitch die drei Prozent Wachstum für den Gesamtmarkt für überzogen. Fitch glaubt nicht daran, dass Chinas Gesamtmarkt für PKW im kommenden Jahr wachsen wird. Würden diese beiden Szenarien eintreten (stagnierender Gesamtmarkt, aber knapp zehn Millionen abgesetzte NEV), würde das einen Einbruch des Marktes für klassische Verbrenner auf 14,3 Millionen bedeuten.

Wirtschaftliche Zwänge erhöhen Druck 

Eine herausfordernde Gesamtwirtschaft könnte die Aussichten auf dem chinesischen Automarkt weiter eintrüben. Im Jahr 2022 wuchs die Wirtschaft Chinas erstmals seit vierzig Jahren langsamer als die Weltwirtschaft. Das hat Folgen für den Automarkt: Schon im Dezember 2022 brach der Absatz von Diesel- und Benzinfahrzeugen beispielsweise um 25,3 Prozent ein. “Die Hersteller von Premium-Elektrofahrzeugen haben Schwierigkeiten, ihre Wachstumsdynamik in diesem Jahr aufrechtzuerhalten, da chinesische Autofahrer keine teuren Fahrzeuge kaufen wollen”, analysierte Eric Ha in der Zeitung South China Morning Post. Er ist Senior Manager beim Beratungsunternehmen Suolei. 

Hinzu kommt, dass erste Provinzen angekündigt haben, den Verkauf von klassischen Verbrenner-Fahrzeugen zu verbieten. In der Inselprovinz Hainan im Süden mit 9,3 Millionen Einwohnern dürfen ab 2030 keine entsprechenden Autos mehr verkauft werden. Die Insel dürfte nur die erste Provinz mit einem entsprechenden Verbot sein. Und auch Hybrid-Fahrzeuge geraten unter Druck. So haben deren Kunden seit Jahresbeginn in Shanghai kein Anrecht mehr auf ein kostenloses Nummernschild. 

Provinzen fördern Kauf von Autos weiter

Dass der Druck wächst, weiß auch Zhu Huarong, der Vorsitzende des Staatskonzerns Chongqing Changan Automobile. Er schlug auf dem World New Energy Vehicle Congress vor, dass die Kommunistische Partei gemeinsam mit der Industrie ein Datum für das landesweite Aus des Verbrenners erarbeiten sollte. Gleichzeitig forderte er Maßnahmen, die Autohersteller bei der Umstellung auf die Produktion von Elektrofahrzeugen unterstützen sollen. 

Bei der Förderung der Automobilindustrie spielen die Provinzen eine entscheidende Rolle. In Festland-China ist jeder sechste Arbeitsplatz direkt von der Automobilindustrie abhängig. Damit steht und fällt der Wohlstand einzelner Regionen. Entsprechend sind die Lokalregierungen darauf bedacht, die Produktionen vor Ort am Laufen zu halten.

So sind zwar die landesweiten Kaufprämien für NEV zu Jahresanfang ausgelaufen, einzelne Provinzen haben aber eigene Prämien eingeführt: Wer beispielsweise im Mai und Juni in Guangdong ein NEV kauft, bekommt umgerechnet 1.370 Euro. Halb so viel gibt es auch immer noch für die Käufer klassischer Verbrenner

  • Autoindustrie
  • CAAM

News

Deutschland doch nicht so abhängig von China

Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zeigt, dass Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China meist überschätzt wird. “Insgesamt ist China als Lieferant und Abnehmer von Vorleistungen für die deutsche Industrie im Durchschnitt zwar bedeutsam, aber nicht in einem überragenden Ausmaß”, schreiben die Wissenschaftler in der noch unveröffentlichten Studie. Die Zeitung “Handelsblatt” berichtete zuerst darüber.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Deutschland ist insgesamt gar nicht so abhängig von China, wie oftmals gedacht.
  • Es gibt es Ausnahmen, wie die Elektroindustrie, die deutlich stärker als andere deutsche Industriezweige von Importen aus China abhängig sind.
  • Auch beim Export von Vorleistungen ist Deutschland nicht übermäßig auf China als Abnehmer angewiesen.
  • Der Maschinenbau ist mit 90.000 Jobs am abhängigsten vom Export in die Volksrepublik.

In der Studie wurden zwei Aspekte untersucht: Erstens die Abhängigkeit der deutschen Industrie von chinesischen Vorleistungen im Vergleich zu entsprechenden Lieferungen aus dem übrigen Ausland. Zweitens inwieweit das verarbeitende Gewerbe als Absatzmarkt für seine Vorleistungen auf China angewiesen ist. rad

  • Deutschland
  • Handel
  • Institut der deutschen Wirtschaft

Patten prophezeit Ende der Diktatur

Archivbild: Chris Patten erhält 1997 die eingeholte britische Nationalflagge anlässlich der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China.

Hongkongs letzter Gouverneur, Chris Patten, hat den Bewohnern der Stadt in einer Neujahrsansprache Mut für die Zukunft gemacht. Der Politiker prophezeite in seiner Videobotschaft das Ende der autoritären Herrschaft der Kommunistischen Partei. “Früher oder später verschwinden alle Diktaturen im Rückspiegel der Geschichte. Die Werte, für die Hongkong steht, überleben jede Diktatur, einschließlich der in Peking“, sagte Patten.

Der 78-Jährige richtete seine Grüße auch explizit an Hongkonger, die in jüngster Vergangenheit ins politische Exil geflüchtet waren. Patten lobte den gesellschaftlichen Beitrag, den sich in ihren neuen Wahlwohnorten leisten würden. Er sei traurig, dass sie die Stadt “wegen der umfangreichen Angriffe auf die Hongkonger Freiheit, die Peking unternimmt” verlassen mussten. grz

  • Chinesisch Neujahr
  • Hongkong
  • Zivilgesellschaft

Zhurong kämpft ums Überleben

Bild aus besseren Tagen: Zhurong auf dem Mars im Jahr 2021.

Der Mars-Rover Zhurong bereitet der chinesischen Weltraumbehörde Sorgen. Das Fahrzeug ist entgegen der Planung noch immer nicht aus seinem verordneten Winterschlaf aufgewacht. Schon vor einem Monat hätte Zhurong den Betrieb wieder aufnehmen sollen, hat aber bislang kein Signal zurück an die Erde gesendet.

Der rollende Forschungs-Roboter hätte sich Ende vergangenen Jahres aus eigener Kraft reaktivieren sollen, nachdem er schon im Mai für die Dauer des Mars-Winters abgeschaltet worden war. Der Plan der Ingenieure hatte vorgesehen, dass die wieder zunehmende Sonneneinstrahlung die Solarmodule des Rovers bis dahin ausreichend aufgeladen habe.

Sein Schweigen könnte die Folge verstaubter Solarmodule sein, die nicht mehr genug Energie produzieren können. Die Amerikaner machten bei früheren Missionen ähnliche Erfahrungen. Eine verzögerte Wiederauferstehung des Rovers ist dennoch nicht ausgeschlossen. Möglicherweise benötigen die Module nur mehr Zeit als geplant.

Zhurong war im Mai 2021 auf dem Nachbarplanenten der Erde gelandet. Seitdem hat das Gefährt rund zwei Kilometer Distanz zurückgelegt und zahlreiche wissenschaftliche Experimente durchgeführt. Unter anderem fand der Roboter Spuren von einstigen Wasserstellen. Während seines ersten Mars-Winters blieb das Fahrzeug aktiv. Erst mit zunehmender Verstaubung der Solarmodule entschlossen sich die Wissenschaftler für eine Ruhephase. grz

  • Raumfahrt

Unglück am Sanmenxia-Stausee

Zwei Tote und sieben Vermisste lautet die tragische Bilanz eines Badeunglücks im Gelben Fluss. Am Neujahrstag waren zahlreiche Menschen unterhalb des Sanmenxia-Stausees im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Shanxi und Henan von einem rasch steigende Wasserpegel überrascht worden. Binnen weniger Minuten sei der Pegelstand um knapp zwei Meter in die Höhe geschnellt. Acht Menschen konnten Berichten zufolge aus dem Wasser gerettet werden.

Die Suche nach den Vermissten wurde am Montag fortgesetzt. Weshalb das Wasser so schnell stieg, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Schleusen des Dammes sollen nicht geöffnet worden seien, berichteten chinesische Medien. Vielmehr sollen Sicherheitszäune abgerissen worden sein, die den Zugang zu einem beliebten Strandabschnitt hätten verhindern sollen. Die zuständigen Behörden haben eine Untersuchung des Unglücks eingeleitet.

Die Sanmenxia-Talsperre wurde 1960 fertiggestellt. Ihr Bau sollte Überschwemmungen des Gelben Flusses verhindern, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass Zuflüsse regelmäßig über die Ufer treten. grz

  • Chinesisch Neujahr
  • Gesellschaft
  • Henan
  • Shanxi

Presseschau

South Africa defends planned military drills with Russia and China REUTERS
Machtdemonstration: Russische Hyperschallrakete bei Übung mit China KRONE
Russland versucht Gas-Exporte nach China unter eigene Kontrolle zu bringen HANDELSBLATT
Für Waffenproduktion: EU importiert mehr Seltene Erden aus China über Russland BERLINER-ZEITUNG
Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft von China? HANDELSBLATT
Deutsche Elektroindustrie weiter stark auf China angewiesen OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
U.S. Weapons Industry Unprepared for a China Conflict, Report Says WSJ
Bonnie Glaser, China-Expertin und Regierungsberaterin aus Washington: “Xi kann beeinflusst werden, bevor er einen Krieg lostritt” BAZONLINE
Taiwan president tells pope war with China not an option REUTERS
Taiwan: Lai Ching-te, der mögliche künftige Präsident SUEDDEUTSCHE
Kevin McCarthy to make Taiwan visit in challenge to China: report NYPOST
Yellen pushes for China to address Zambia’s big debt burden APNEWS
26 Millionen Fahrten am Neujahrsabend dokumentiert FAZ
Eight in 10 people in China caught Covid since early December, say officials THEGUARDIAN
China: Erholung wohl erst in Q2 AKTIENCHECK
China tightens grip as dominant LNG buyer with long-term deals ASIA
Wie Firmen ihr Chinageschäft managen, wenn keiner mehr nach China will WIWO
EU verlängert Antidumpingzölle auf Aluminiumräder aus China REIFENPRESSE
China erreicht neuen Wetterrekord: Temperatur von mehr als minus 50 Grad T-ONLINE
Nach Sandstürmen: Chinas erster Mars-Rover meldet sich nicht mehr SPIEGEL
China wants more babies. Women want the right to choose WASHINGTONPOST
China-Hoffnungen treiben Brent-Ölpreis an BOERSEN-ZEITUNG
Corona in China: Dämonische Grüße SUEDDEUTSCHE
Wuhan, three years after Covid confinement: ‘It’s like my life has been locked down’ ELPAIS

Heads

Liu Hongqiao – Entschüsselung der Klimafrage

Liu Hongqiao untersucht Chinas Rolle in Klima- und Umweltfragen.
Liu Hongqiao untersucht Chinas Rolle in Klima- und Umweltfragen.

Klimasünder oder Musterschüler? So einfach sei die Frage nicht zu beantworten, sagt Liu Hongqiao. “China verändert den Kurs, das ist ein positiver Trend”, erklärt die Politkberaterin in Klimafragen. Wichtig ist für sie die Bedeutung dieser Transformation: “Wenn China bis 2060 klimaneutral wird, könnte es 0,2-0,3 Grad der globalen Erwärmung verhindern.” Die Volksrepublik vollziehe diesen Übergang innerhalb von nur 60 Jahren. “Das ist ein sehr enger Zeitplan”, sagt Liu. Vermutlich aber nicht eng genug, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, prognostiziert sie.

Wenn jedes Land pro Kopf so viel emittieren würde wie China, würde sich der Planet deutlich schneller erhitzen als geplant. Größter Knackpunkt ist Chinas Energie- und Industriesektor, der immer noch stark auf Kohle setzt. “Das ist das Resultat von 50 Jahren Business as usual”, erklärt Liu. 

Klimawandel beschleunigt die Wüstenbildung in Nordchina 

Sie spielt damit auf die Zeit an, in der Wirtschaftswachstum ganz oben auf der Prioritätenliste in China stand. Liu selbst studierte ab 2007 Kommunikationswissenschaft in Peking und erinnert sich an ihren ökologischen Erweckungsmoment: Sie schaute aus ihrem Studentenwohnheim nach Norden auf eine in Gelb getauchte Stadt. Peking wurde von einem riesigen Sandsturm eingehüllt. Ein Problem, das auf die zunehmende Wüstenbildung in Nordchina zurückzuführen ist, die durch den Klimawandel noch verschärft wird. 

Die Relevanz des Themas nahm in China schnell zu. Sandstürme, Luftverschmutzung oder schlechte Wasserqualität beeinflussten den Alltag der Menschen, und zunehmend wurde darüber gesprochen. Auch, weil die Welt vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking immer wieder kritisch nachfragte. Die gesellschaftlichen Debatten motivierten Liu zu recherchieren – zunächst als investigative Journalistin bei Southern Metropolis Daily, später bei Caixin und China Water Risk. 

Stärkere Zensur und Druck auf Zivilgesellschaft

Liu erinnert sich daran, dass damals vor allem der Umweltjournalismus noch vergleichsweise große Freiheiten genoss. Wissenschaftler erhoben Daten, NGOs vernetzten Akteure, und Journalisten berichteten. Dies sei möglich gewesen, weil nicht alle Regierungsorgane und Beamte die gleichen Interessen verfolgten, erklärt Liu. “Damit hat sich für uns ein Fenster geöffnet, indem wir eine Geschichte erzählen konnten, um etwas zu verändern.”  

Doch damit ging es bald zu Ende, erzählt Liu, die für Ihre Arbeit viele Preise einheimste und große Aufmerksamkeit genoss. Die Zensur wurde stärker und zivilgesellschaftliche Gruppen unter Druck gesetzt. Für Journalisten wurde der Verlust an beruflicher Freiheit auch eine wirtschaftliche Existenzfrage.  

Die Komplexität der Zusammenhänge entschlüsseln

Heute fehle es an wichtigen Ressourcen, um Chinas ökologische Transformation verstehen zu können, glaubt Liu. Was verloren gehe, sind Geschichten über normale Menschen. “Daten analysieren und mit Politikern reden ist nicht genug!” Denn Liu will eigentlich wissen, was mit den Menschen passiert, die im Kohleabbau arbeiten und bald ihren Job verlieren werden. Oder mit denen, die unter der Luftverschmutzung leiden.

Diese Fragen kann Liu heute nur noch mittelbar beantworten. Die in Jiangxi geborene Journalistin ging 2017 für ein Masterstudium nach Paris und blieb dort. Mit ihrem Newsletter Shuang Tan fokussiert sie sich jetzt auf Chinas Klimapolitik. Sie appelliert an westliche Medien, ihre Berichterstattung zur zentralen Rolle Chinas im Kampf gegen den Klimawandel hochzufahren, um die Komplexität der Zusammenhänge zu entschlüsseln. Das nicht zu tun, könnte sich die Welt nicht leisten. “Denn wir brauchen China im Kampf gegen den Klimawandel.” Jonathan Kaspar Lehrer

  • Klima
  • Klimaschutz
  • Zivilgesellschaft

Personalien

Liu Weiliang wurde Vorsitzender der Zhenro Properties Group. Das gab das Unternehmen an der Hongkonger Börse bekannt. Der 38 Jahre alte Liu ist seit 2016 in dem Immobilienkonzern tätig und folgt an der Unternehmensspitze auf Firmengründer Huang Xianzhi.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Die gestiegene Relevanz Chinas in der Welt wurde am Wochenende deutlich. In vielen Städten der Welt gab es offizielle Feiern zum Beginn des neuen Jahres im Mondkalender, wie hier vor dem Mailänder Triumphbogen.

Korrektur

In dem Text “China baut Afrikas ersten Weltraum-Flughafen” in China.Table Nummer 506 hieß es, dass Dschibutis internationale Kreditkosten auf 266 Milliarden US-Dollar steigen könnten. Gemeint waren 266 Millionen US-Dollar.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Wuttke: China braucht unsere Expertise
    • Chinas Automarkt wird immer elektrischer
    • Deutschland weniger abhängig als gedacht
    • Patten gratuliert geflüchteten Hongkongern
    • Mars-Rover unplanmäßig im Ruhezustand
    • Tote im Gelben Fluss
    • Heads: Liu Hongqiao von der Klimadebatte geprägt
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Jörg Wuttke bedarf in China-Kreisen wahrlich keiner Einführung mehr. Dank seiner 35 Jahre in China bietet der Präsident der EU-Handelskammer spannende Einblicke in Chinas Wirtschaft und Politik. Im zweiten Teil des Interviews von Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee wagt Wuttke einen durchaus optimistischen Blick in die Zukunft.

    Xi Jinping habe zwar ausschließlich loyale Ja-Sager befördert, dennoch finden europäische Unternehmen auch weiterhin Gehör. Im Hinblick auf den wahrscheinlichen neuen Premierminister Li Qiang sagt Wuttke: “Als Parteisekretär von Shanghai weiß er, wo die Gewerbesteuereinnahmen herkommen, und da stehen die Ausländer sehr weit vorne.

    Beim europäischen Lieferkettengesetz empfiehlt Wuttke indes ein offensives Auftreten: “Wenn es kein Menschenrechtsproblem gibt – wo ist das Problem nachzuweisen, dass es kein Problem gibt?” Wuttke geht sogar so weit, dass er den Abschied von Unternehmen aus China für wahrscheinlich hält, sollte Peking keine unabhängigen Audits von Lieferketten zulassen.

    Sollten Sie den ersten Teil des Interviews verpasst haben, Sie finde ihn hier.

    In unserer Analyse zur Autokonjunktur im Jahr des Hasen wirft Christian Domke Seidel einen Blick auf die zunehmende Teilung des Marktes in ein Elektro- und ein Verbrennersegment. Denn nicht nur in Deutschland ist die Branche von entscheidender Bedeutung. In Festland-China ist jeder sechste Arbeitsplatz direkt von der Automobilindustrie abhängig. Damit steht und fällt der Wohlstand einzelner Regionen. Umso erfreulicher für die Beschäftigten: Der Verkauf boomt wieder. Allerdings nicht bei jeder Antriebsform.

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    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Analyse

    “Die Partei hat den Nimbus der Unfehlbarkeit verloren”

    Jörg Wuttke im Interview zu Chinas Politik und Implikationen für die EU und europäische Unternehmen.
    Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China.

    Das zurückliegende Jahr des Tigers war ein schreckliches Jahr für die Wirtschaft in China. Wie geht es den EU-Unternehmen derzeit?  

    2022 war tatsächlich unterirdisch. Die Entwicklung im Jahresverlauf war erschreckend und kam überraschend, weil wir 2021 ein sehr gutes Jahr hatten. Doch dann kam der Lockdown in Shanghai. Danach haben wir vor allem ums Überleben gekämpft. Logistik und Produktion wurden extrem behindert. Auch den Rest des Jahres schlug die Null-Toleranz-Politik immer wieder an unterschiedlichen Orten zu. Gegen Jahresende konnte man sich praktisch gar nicht mehr bewegen in China.  

    Und dann folgte am 7. Dezember die plötzliche Öffnung

    Es war fast eine Erleichterung, als die Maßnahmen aufgegeben wurden, und Omikron China übernommen hat. Die Öffnung hat zu Klarheit geführt und China macht nun gewaltige Schritte in Richtung Herdenimmunität. Wir können die Fabriken wieder ohne Closed-Loop fahren und ohne den Terror, dass die Mitarbeiter immer wieder in Quarantäne geschickt werden. Die Angst, in die Öffentlichkeit zu gehen, ist nun endlich weg.  

    Xi Jinping persönlich hat so lange an Null-Covid festgehalten. Können solche einsamen Entscheidungen mit enormer Tragweite nicht wieder passieren? 

    Es ist nicht auszuschließen, dass es wieder zu einer völlig ideologiegetriebenen Handlung kommt, die uns dann erneut einengt. Momentan sehe ich das aber nicht kommen. Die Partei hat gemerkt, dass sie den Nimbus der Unfehlbarkeit erst einmal verloren hat. Und ich hoffe, dass daraus sich auch wieder eine bessere Kommunikationsbereitschaft ergibt.  

    In der Vergangenheit waren Sie als Vertreter der EU-Wirtschaft ein wichtiger Gesprächspartner für die Regierung, sie hatte Ihre Empfehlungen ernst genommen. Hat sich das jetzt durch den Politikstil Xis und in den Covid-Jahren verändert?  

    Nein. Ich glaube sogar, dass die öffentliche Ansprache durch die Kammer noch mehr wahrgenommen wird. Wir wurden von hohen Stellen eingeladen, die negativen Auswirkungen der Null-Toleranz-Politik aufzuzeigen. Daraus schließe ich, dass diese Akteure gehofft hatten, unsere Botschaft über Bande zu spielen und möglichst wirksam anzubringen. Daraus lässt sich der Rückschluss ziehen, dass es offenbar auch weiter verschiedene Lager mit unterschiedlichen Ansichten in Partei und Regierung gibt. Gerade im Dezember gab es eine rege Kommunikation nicht nur mit uns von der EU-Handelskammer, sondern auch mit denen der Deutschen, Amerikaner und Japaner. 

    Gibt es seit dem vergangenen Parteikongress mit der Bestimmung von nur noch loyalen Ja-Sagern im Ständigen Ausschuss des Politbüros überhaupt noch irgendeine Fraktion als alternativen Ansprechpartner? Persönlichkeiten wie Li Keqiang, Liu He oder Hu Chunhua sind demnächst weg. 

    Unsere bekannten Ansprechpartner werden in der Tat ersetzt werden durch Leute, die wir noch nicht so gut kennen. Liu He war für uns immer eine Lichtfigur. Er hat sich im Jahr 2012 als Reformer positioniert, und wir kannten ihn als jemandem, der uns versteht. Wir hatten auch einen guten Draht zu Vizepremier Hu Chunhua, der sich auch immer wieder für unsere Belange eingesetzt hat. Diesen Politikern war bewusst, dass wir als europäische Wirtschaft Teil eines Ökosystems sind, mit einer Expertise, die China braucht.  

    Wird der neuen Führung bewusst sein, wie wichtig ausländische Unternehmen für die eigene Entwicklung sind? 

    Das wird sich zeigen. Der neue Premierminister – es wird wahrscheinlich Li Qiang werden – hat schon aufgrund seiner Shanghai-Erfahrung ein Gefühl dafür, wie wichtig ausländische Technologie ist. Als Parteisekretär von Shanghai weiß man eben, wo die Gewerbesteuereinnahmen herkommen, und da stehen die Ausländer sehr weit vorne. Ob er damit in der ideologischen Echokammer der Partei durchdringt, ist eine andere Frage.  

    Umgekehrt sieht man in Europa die Partnerschaft mit China immer kritischer. Das kommende europäische Lieferkettengesetz wird voraussichtlich einen hohen Grad an Nachweispflichten für die Herkunft der Komponenten und Rohstoffe vorsehen. 

    Als Wirtschaft müssen wir darauf achten, dass in keiner Weise Menschenrechte verletzt werden. Und wir sollten unser Möglichstes tun, um Lieferketten auch in brisanten Bereichen wie zum Beispiel im Textilsektor in China untersuchen zu lassen. Da gibt es grundsätzlich keine Ablehnung. Nur, wie weit können wir das jetzt in der Praxis umsetzen? Wie tief wird man in die Kette von Zulieferern und von deren Zulieferern hineinreichen? Und habe ich als europäisches Unternehmen überhaupt die Möglichkeit, dort Kontrollen anzustellen? Deswegen reden wir auch mit der chinesischen Regierung, um dort für glaubwürdige Audits zu sorgen. Diese müssten von unabhängigen Firmen in China durchgeführt werden, die entsprechend Einblick erhalten. Nur dann können wir weiter Jobs in China schaffen.  

    Und wenn China die unabhängigen Audits nicht zulässt? 

    Wenn wir das nicht machen können, müssen die betreffenden Unternehmen und Branchen sich aus China zurückziehen.  

    Die chinesische Seite könnte auch sagen: Wenn ihr mit so komischen Gesetzen kommt, ist das euer Problem. 

    Das dürfte eigentlich nicht der Fall sein, denn die chinesische Seite sagt ja selbst, dass es keine Zwangsarbeit gibt. Von daher sollte man das leicht überprüfen können. Das sage ich unseren chinesischen Gesprächspartnern auch immer: Wenn es kein Menschenrechtsproblem gibt – wo ist das Problem nachzuweisen, dass es kein Problem gibt? 

    Wir Journalisten würden auch gern mal nachsehen, was da so passiert. 

    In der Tat muss China uns helfen, eine Werkzeugkiste zu füllen, mit der wir unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen können. Zugleich muss man beim Lieferkettengesetz darauf achten, dass man das jetzt nicht zu kompliziert macht. Das kann nämlich dazu führen, dass vielleicht nur noch die Großen in China aktiv sein können, weil die Kleinen dann gar nicht mehr die Möglichkeiten zur Einhaltung der Vorgaben haben.  

    Textil ist eine Sache, weil es viele Alternativen gibt. Komplizierter sieht es bei deutschen Solarimporten aus China aus. Wenn die Importeure nachweisen müssen, dass kein Silizium aus Xinjiang in den Panels ist, bekommt die deutsche Energiewende ein Problem. 

    Die Frage sollte sein: Wurde das Silizium unter normalen Umständen gefördert oder unter menschenunwürdigen Verhältnissen? Die Firmen müssen dann offenlegen, wer die Zulieferer in China sind, wer die Rohstoffe fördert und wie sie gefördert werden. So wird Transparenz in den Prozess kommen. Da bin ich mir sicher.  

    Transparenz ist derzeit leider keine chinesische Stärke. 

    Umso mehr müssen wir darauf pochen. Wir müssen uns ja nicht kleiner machen als wir sind. 

    Jörg Wuttke lebt seit nunmehr 35 Jahren in China und kennt sowohl die Wirtschaft als auch das politische System wie kaum ein anderer. Er war dreimal Präsident der EU-Handelskammer. Bei den nächsten Wahlen im Mai wird er nicht noch mal für dieses Amt kandidieren.

    Den ersten Teil des Interviews findet die hier.

    • Autoindustrie

    Das Ende des Verbrenners naht

    Chinas NEV Markt boomt.
    Der Autoabsatz in China boomt – aber nur im E-Auto-Segment.

    Der Automarkt in China hat sich erholt. Was die Stückzahlen angeht, sind Coronakrise, Lockdowns und Chipmangel längst vergessen. Im Jahr 2022 betrug der Pkw-Absatz 23,6 Millionen Stück, teilte der Herstellerverband CAAM (China Association of Automobile Manufacturers) mit. Für dieses Jahr erwartet er eine Steigerung um drei Prozent auf 24,3 Millionen. Zum Vergleich: Mit 24,7 Millionen verkauften Pkw war 2017 das Rekordjahr in der Volksrepublik.

    Doch die guten Zahlen haben einen Haken. Es ist ein Markt mit zwei Geschwindigkeiten. Während New Energy Vehicles (NEV) boomen, betteln Hersteller konventioneller Autos um Staatshilfen. Gleichzeitig sind hochpreisige Modelle aktuell nicht gefragt.

    Der Markt für Verbrenner schrumpft

    Genau genommen gibt es zwei chinesische Automärkte. Auf dem einen werden Pkw mit Benzinmotor verkauft. Davon wurden im abgelaufenen Jahr 16,7 Millionen abgesetzt. Der zweite ist der NEV-Markt. Also Fahrzeuge mit Hybrid- oder reinem Batterieantrieb. Davon wurden 2022 insgesamt 6,9 Millionen Stück neu angemeldet – doppelt so viele wie im Vorjahr. Neben Fortschritten in der Batterietechnik, steigendem Angebot und sinkenden Preisen dürften die staatlichen Kaufprämien ein wichtiger Grund dafür gewesen sein. Diese sind mit Beginn 2023 jedoch ausgelaufen. 

    Dennoch erwartet die China Passenger Car Association (CPCA), dass der Markt für NEV im Jahr 2023 um rund 30 Prozent auf etwa 8,4 Millionen Fahrzeuge wachsen wird. Eine Einschätzung, die von allen Marktbeobachtern geteilt wird. Stimmen beide Prognosen – das Wachstum des Gesamtmarktes auf 24,7 Millionen und die Steigerung der NEV um 30 Prozent – schrumpft der Markt für Fahrzeuge mit Verbrenner auf 16,3 Millionen Stück. 

    Es gibt jedoch unterschiedliche Berechnungen. Zhong Yongwei ist Vorsitzender der China EV 100, einer staatlich unterstützten Interessengruppe von NEV-Herstellern. Zhong geht davon aus, dass im Jahr 2023 insgesamt zehn Millionen NEV verkauft werden. Während das Wachstum in diesem Sektor ausgemachte Sache zu sein scheint, hält aber beispielsweise die Ratingagentur Fitch die drei Prozent Wachstum für den Gesamtmarkt für überzogen. Fitch glaubt nicht daran, dass Chinas Gesamtmarkt für PKW im kommenden Jahr wachsen wird. Würden diese beiden Szenarien eintreten (stagnierender Gesamtmarkt, aber knapp zehn Millionen abgesetzte NEV), würde das einen Einbruch des Marktes für klassische Verbrenner auf 14,3 Millionen bedeuten.

    Wirtschaftliche Zwänge erhöhen Druck 

    Eine herausfordernde Gesamtwirtschaft könnte die Aussichten auf dem chinesischen Automarkt weiter eintrüben. Im Jahr 2022 wuchs die Wirtschaft Chinas erstmals seit vierzig Jahren langsamer als die Weltwirtschaft. Das hat Folgen für den Automarkt: Schon im Dezember 2022 brach der Absatz von Diesel- und Benzinfahrzeugen beispielsweise um 25,3 Prozent ein. “Die Hersteller von Premium-Elektrofahrzeugen haben Schwierigkeiten, ihre Wachstumsdynamik in diesem Jahr aufrechtzuerhalten, da chinesische Autofahrer keine teuren Fahrzeuge kaufen wollen”, analysierte Eric Ha in der Zeitung South China Morning Post. Er ist Senior Manager beim Beratungsunternehmen Suolei. 

    Hinzu kommt, dass erste Provinzen angekündigt haben, den Verkauf von klassischen Verbrenner-Fahrzeugen zu verbieten. In der Inselprovinz Hainan im Süden mit 9,3 Millionen Einwohnern dürfen ab 2030 keine entsprechenden Autos mehr verkauft werden. Die Insel dürfte nur die erste Provinz mit einem entsprechenden Verbot sein. Und auch Hybrid-Fahrzeuge geraten unter Druck. So haben deren Kunden seit Jahresbeginn in Shanghai kein Anrecht mehr auf ein kostenloses Nummernschild. 

    Provinzen fördern Kauf von Autos weiter

    Dass der Druck wächst, weiß auch Zhu Huarong, der Vorsitzende des Staatskonzerns Chongqing Changan Automobile. Er schlug auf dem World New Energy Vehicle Congress vor, dass die Kommunistische Partei gemeinsam mit der Industrie ein Datum für das landesweite Aus des Verbrenners erarbeiten sollte. Gleichzeitig forderte er Maßnahmen, die Autohersteller bei der Umstellung auf die Produktion von Elektrofahrzeugen unterstützen sollen. 

    Bei der Förderung der Automobilindustrie spielen die Provinzen eine entscheidende Rolle. In Festland-China ist jeder sechste Arbeitsplatz direkt von der Automobilindustrie abhängig. Damit steht und fällt der Wohlstand einzelner Regionen. Entsprechend sind die Lokalregierungen darauf bedacht, die Produktionen vor Ort am Laufen zu halten.

    So sind zwar die landesweiten Kaufprämien für NEV zu Jahresanfang ausgelaufen, einzelne Provinzen haben aber eigene Prämien eingeführt: Wer beispielsweise im Mai und Juni in Guangdong ein NEV kauft, bekommt umgerechnet 1.370 Euro. Halb so viel gibt es auch immer noch für die Käufer klassischer Verbrenner

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    News

    Deutschland doch nicht so abhängig von China

    Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zeigt, dass Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China meist überschätzt wird. “Insgesamt ist China als Lieferant und Abnehmer von Vorleistungen für die deutsche Industrie im Durchschnitt zwar bedeutsam, aber nicht in einem überragenden Ausmaß”, schreiben die Wissenschaftler in der noch unveröffentlichten Studie. Die Zeitung “Handelsblatt” berichtete zuerst darüber.

    Die wichtigsten Ergebnisse:

    • Deutschland ist insgesamt gar nicht so abhängig von China, wie oftmals gedacht.
    • Es gibt es Ausnahmen, wie die Elektroindustrie, die deutlich stärker als andere deutsche Industriezweige von Importen aus China abhängig sind.
    • Auch beim Export von Vorleistungen ist Deutschland nicht übermäßig auf China als Abnehmer angewiesen.
    • Der Maschinenbau ist mit 90.000 Jobs am abhängigsten vom Export in die Volksrepublik.

    In der Studie wurden zwei Aspekte untersucht: Erstens die Abhängigkeit der deutschen Industrie von chinesischen Vorleistungen im Vergleich zu entsprechenden Lieferungen aus dem übrigen Ausland. Zweitens inwieweit das verarbeitende Gewerbe als Absatzmarkt für seine Vorleistungen auf China angewiesen ist. rad

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    Patten prophezeit Ende der Diktatur

    Archivbild: Chris Patten erhält 1997 die eingeholte britische Nationalflagge anlässlich der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China.

    Hongkongs letzter Gouverneur, Chris Patten, hat den Bewohnern der Stadt in einer Neujahrsansprache Mut für die Zukunft gemacht. Der Politiker prophezeite in seiner Videobotschaft das Ende der autoritären Herrschaft der Kommunistischen Partei. “Früher oder später verschwinden alle Diktaturen im Rückspiegel der Geschichte. Die Werte, für die Hongkong steht, überleben jede Diktatur, einschließlich der in Peking“, sagte Patten.

    Der 78-Jährige richtete seine Grüße auch explizit an Hongkonger, die in jüngster Vergangenheit ins politische Exil geflüchtet waren. Patten lobte den gesellschaftlichen Beitrag, den sich in ihren neuen Wahlwohnorten leisten würden. Er sei traurig, dass sie die Stadt “wegen der umfangreichen Angriffe auf die Hongkonger Freiheit, die Peking unternimmt” verlassen mussten. grz

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    Zhurong kämpft ums Überleben

    Bild aus besseren Tagen: Zhurong auf dem Mars im Jahr 2021.

    Der Mars-Rover Zhurong bereitet der chinesischen Weltraumbehörde Sorgen. Das Fahrzeug ist entgegen der Planung noch immer nicht aus seinem verordneten Winterschlaf aufgewacht. Schon vor einem Monat hätte Zhurong den Betrieb wieder aufnehmen sollen, hat aber bislang kein Signal zurück an die Erde gesendet.

    Der rollende Forschungs-Roboter hätte sich Ende vergangenen Jahres aus eigener Kraft reaktivieren sollen, nachdem er schon im Mai für die Dauer des Mars-Winters abgeschaltet worden war. Der Plan der Ingenieure hatte vorgesehen, dass die wieder zunehmende Sonneneinstrahlung die Solarmodule des Rovers bis dahin ausreichend aufgeladen habe.

    Sein Schweigen könnte die Folge verstaubter Solarmodule sein, die nicht mehr genug Energie produzieren können. Die Amerikaner machten bei früheren Missionen ähnliche Erfahrungen. Eine verzögerte Wiederauferstehung des Rovers ist dennoch nicht ausgeschlossen. Möglicherweise benötigen die Module nur mehr Zeit als geplant.

    Zhurong war im Mai 2021 auf dem Nachbarplanenten der Erde gelandet. Seitdem hat das Gefährt rund zwei Kilometer Distanz zurückgelegt und zahlreiche wissenschaftliche Experimente durchgeführt. Unter anderem fand der Roboter Spuren von einstigen Wasserstellen. Während seines ersten Mars-Winters blieb das Fahrzeug aktiv. Erst mit zunehmender Verstaubung der Solarmodule entschlossen sich die Wissenschaftler für eine Ruhephase. grz

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    Unglück am Sanmenxia-Stausee

    Zwei Tote und sieben Vermisste lautet die tragische Bilanz eines Badeunglücks im Gelben Fluss. Am Neujahrstag waren zahlreiche Menschen unterhalb des Sanmenxia-Stausees im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Shanxi und Henan von einem rasch steigende Wasserpegel überrascht worden. Binnen weniger Minuten sei der Pegelstand um knapp zwei Meter in die Höhe geschnellt. Acht Menschen konnten Berichten zufolge aus dem Wasser gerettet werden.

    Die Suche nach den Vermissten wurde am Montag fortgesetzt. Weshalb das Wasser so schnell stieg, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Schleusen des Dammes sollen nicht geöffnet worden seien, berichteten chinesische Medien. Vielmehr sollen Sicherheitszäune abgerissen worden sein, die den Zugang zu einem beliebten Strandabschnitt hätten verhindern sollen. Die zuständigen Behörden haben eine Untersuchung des Unglücks eingeleitet.

    Die Sanmenxia-Talsperre wurde 1960 fertiggestellt. Ihr Bau sollte Überschwemmungen des Gelben Flusses verhindern, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass Zuflüsse regelmäßig über die Ufer treten. grz

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    Presseschau

    South Africa defends planned military drills with Russia and China REUTERS
    Machtdemonstration: Russische Hyperschallrakete bei Übung mit China KRONE
    Russland versucht Gas-Exporte nach China unter eigene Kontrolle zu bringen HANDELSBLATT
    Für Waffenproduktion: EU importiert mehr Seltene Erden aus China über Russland BERLINER-ZEITUNG
    Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft von China? HANDELSBLATT
    Deutsche Elektroindustrie weiter stark auf China angewiesen OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
    U.S. Weapons Industry Unprepared for a China Conflict, Report Says WSJ
    Bonnie Glaser, China-Expertin und Regierungsberaterin aus Washington: “Xi kann beeinflusst werden, bevor er einen Krieg lostritt” BAZONLINE
    Taiwan president tells pope war with China not an option REUTERS
    Taiwan: Lai Ching-te, der mögliche künftige Präsident SUEDDEUTSCHE
    Kevin McCarthy to make Taiwan visit in challenge to China: report NYPOST
    Yellen pushes for China to address Zambia’s big debt burden APNEWS
    26 Millionen Fahrten am Neujahrsabend dokumentiert FAZ
    Eight in 10 people in China caught Covid since early December, say officials THEGUARDIAN
    China: Erholung wohl erst in Q2 AKTIENCHECK
    China tightens grip as dominant LNG buyer with long-term deals ASIA
    Wie Firmen ihr Chinageschäft managen, wenn keiner mehr nach China will WIWO
    EU verlängert Antidumpingzölle auf Aluminiumräder aus China REIFENPRESSE
    China erreicht neuen Wetterrekord: Temperatur von mehr als minus 50 Grad T-ONLINE
    Nach Sandstürmen: Chinas erster Mars-Rover meldet sich nicht mehr SPIEGEL
    China wants more babies. Women want the right to choose WASHINGTONPOST
    China-Hoffnungen treiben Brent-Ölpreis an BOERSEN-ZEITUNG
    Corona in China: Dämonische Grüße SUEDDEUTSCHE
    Wuhan, three years after Covid confinement: ‘It’s like my life has been locked down’ ELPAIS

    Heads

    Liu Hongqiao – Entschüsselung der Klimafrage

    Liu Hongqiao untersucht Chinas Rolle in Klima- und Umweltfragen.
    Liu Hongqiao untersucht Chinas Rolle in Klima- und Umweltfragen.

    Klimasünder oder Musterschüler? So einfach sei die Frage nicht zu beantworten, sagt Liu Hongqiao. “China verändert den Kurs, das ist ein positiver Trend”, erklärt die Politkberaterin in Klimafragen. Wichtig ist für sie die Bedeutung dieser Transformation: “Wenn China bis 2060 klimaneutral wird, könnte es 0,2-0,3 Grad der globalen Erwärmung verhindern.” Die Volksrepublik vollziehe diesen Übergang innerhalb von nur 60 Jahren. “Das ist ein sehr enger Zeitplan”, sagt Liu. Vermutlich aber nicht eng genug, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, prognostiziert sie.

    Wenn jedes Land pro Kopf so viel emittieren würde wie China, würde sich der Planet deutlich schneller erhitzen als geplant. Größter Knackpunkt ist Chinas Energie- und Industriesektor, der immer noch stark auf Kohle setzt. “Das ist das Resultat von 50 Jahren Business as usual”, erklärt Liu. 

    Klimawandel beschleunigt die Wüstenbildung in Nordchina 

    Sie spielt damit auf die Zeit an, in der Wirtschaftswachstum ganz oben auf der Prioritätenliste in China stand. Liu selbst studierte ab 2007 Kommunikationswissenschaft in Peking und erinnert sich an ihren ökologischen Erweckungsmoment: Sie schaute aus ihrem Studentenwohnheim nach Norden auf eine in Gelb getauchte Stadt. Peking wurde von einem riesigen Sandsturm eingehüllt. Ein Problem, das auf die zunehmende Wüstenbildung in Nordchina zurückzuführen ist, die durch den Klimawandel noch verschärft wird. 

    Die Relevanz des Themas nahm in China schnell zu. Sandstürme, Luftverschmutzung oder schlechte Wasserqualität beeinflussten den Alltag der Menschen, und zunehmend wurde darüber gesprochen. Auch, weil die Welt vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking immer wieder kritisch nachfragte. Die gesellschaftlichen Debatten motivierten Liu zu recherchieren – zunächst als investigative Journalistin bei Southern Metropolis Daily, später bei Caixin und China Water Risk. 

    Stärkere Zensur und Druck auf Zivilgesellschaft

    Liu erinnert sich daran, dass damals vor allem der Umweltjournalismus noch vergleichsweise große Freiheiten genoss. Wissenschaftler erhoben Daten, NGOs vernetzten Akteure, und Journalisten berichteten. Dies sei möglich gewesen, weil nicht alle Regierungsorgane und Beamte die gleichen Interessen verfolgten, erklärt Liu. “Damit hat sich für uns ein Fenster geöffnet, indem wir eine Geschichte erzählen konnten, um etwas zu verändern.”  

    Doch damit ging es bald zu Ende, erzählt Liu, die für Ihre Arbeit viele Preise einheimste und große Aufmerksamkeit genoss. Die Zensur wurde stärker und zivilgesellschaftliche Gruppen unter Druck gesetzt. Für Journalisten wurde der Verlust an beruflicher Freiheit auch eine wirtschaftliche Existenzfrage.  

    Die Komplexität der Zusammenhänge entschlüsseln

    Heute fehle es an wichtigen Ressourcen, um Chinas ökologische Transformation verstehen zu können, glaubt Liu. Was verloren gehe, sind Geschichten über normale Menschen. “Daten analysieren und mit Politikern reden ist nicht genug!” Denn Liu will eigentlich wissen, was mit den Menschen passiert, die im Kohleabbau arbeiten und bald ihren Job verlieren werden. Oder mit denen, die unter der Luftverschmutzung leiden.

    Diese Fragen kann Liu heute nur noch mittelbar beantworten. Die in Jiangxi geborene Journalistin ging 2017 für ein Masterstudium nach Paris und blieb dort. Mit ihrem Newsletter Shuang Tan fokussiert sie sich jetzt auf Chinas Klimapolitik. Sie appelliert an westliche Medien, ihre Berichterstattung zur zentralen Rolle Chinas im Kampf gegen den Klimawandel hochzufahren, um die Komplexität der Zusammenhänge zu entschlüsseln. Das nicht zu tun, könnte sich die Welt nicht leisten. “Denn wir brauchen China im Kampf gegen den Klimawandel.” Jonathan Kaspar Lehrer

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    Personalien

    Liu Weiliang wurde Vorsitzender der Zhenro Properties Group. Das gab das Unternehmen an der Hongkonger Börse bekannt. Der 38 Jahre alte Liu ist seit 2016 in dem Immobilienkonzern tätig und folgt an der Unternehmensspitze auf Firmengründer Huang Xianzhi.

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    Dessert

    Die gestiegene Relevanz Chinas in der Welt wurde am Wochenende deutlich. In vielen Städten der Welt gab es offizielle Feiern zum Beginn des neuen Jahres im Mondkalender, wie hier vor dem Mailänder Triumphbogen.

    Korrektur

    In dem Text “China baut Afrikas ersten Weltraum-Flughafen” in China.Table Nummer 506 hieß es, dass Dschibutis internationale Kreditkosten auf 266 Milliarden US-Dollar steigen könnten. Gemeint waren 266 Millionen US-Dollar.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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