Tiktok sucht nach der Lösung für den Überlebenskampf in den USA. Die Unterhaltungsplattform des chinesischen Konzerns Bytedance steht in Washington in der Kritik. Und auch der Bundesstaat Montana hat ein Gesetz verabschiedet, das ein Verbot von Tiktok ermöglichen soll. Tiktok zieht nun mit einem neuartigen Kniff die Reißleine, wie Marcel Grzanna analysiert.
Im Rahmen des “Project Texas” wird Tiktok unter anderem Kernsegmente seiner Technologie an den US-Softwarehersteller Oracle abgeben. Es wäre ein rarer Kompromiss im derzeit rauen Klima zwischen den USA und China.
Der Menschenrechtsrat der Uno in Genf ist eine andere Arena, in der China mit dem Westen kollidiert. Das Gremium müsste eigentlich ein riesiger Fan von Sanktionen sein, sollte man meinen. Wie sonst soll die Weltgemeinschaft auf Staaten einwirken, die die Rechte ihrer Bürger verletzen?
Doch so ist es nicht. In dem Gremium in Genf hat sich eine Linie durchgesetzt, die Wirtschaftsstrafen ablehnt, wenn diese nicht von den gesamten Vereinten Nationen getragen werden. Diese seien nicht rechtmäßig.
Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man die Mehrheitsverhältnisse ansieht. Die asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten haben in dem Rat auf Betreiben Chinas gegen den Westen gestimmt. Sie wollen keine Bevormundung durch US-geführte Koalitionen, analysiert Frank Sieren.
Ein ganzes Berufsleben lang hat der frühere Cyber-Kriminalist Dirk Beerhenke auf diese Gelegenheit gewartet. Doch es dauerte bis zu seiner Pensionierung, ehe der Hauptkommissar a.D. mit seinem Anliegen unmittelbar bei der deutschen Politik Gehör fand. Vor wenigen Wochen war Beerhenke in die Kinderkommission des Familienausschusses im Deutschen Bundestag geladen. Das sechsköpfige Gremium vertritt die Interessen von Kindern und Jugendlichen im Parlament.
Beerhenke klärte die Parlamentarier über die digitalen Gefahren für Minderjährige auf. Explizit warnte er dabei vor der Nutzung der chinesischen Videoplattform Tiktok, ähnlich wie kürzlich auch Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). “Es gibt zwei Gründe für meine Sorge: die Datensicherheit und die Propaganda”, sagt der 62-Jährige im Gespräch mit Table.Media. “Wenn ich meine beruflichen Kenntnisse mit den politischen Hintergründen, die in China herrschen, kombiniere – dann komme ich zu dem Schluss, dass wir Tiktok nicht benutzen sollten.”
Der frühere Ermittler warnt: Persönliche und biometrische Daten, Bewegungsprofile und Stimmfarben fallen durch die Tiktok-Nutzung in die Hände einer autokratischen Regierung. US-Konzerne besäßen zwar ähnliche Datenschätze. Jedoch sei deren Verankerung in rechtsstaatlichen Demokratien ein Kontrollinstrument, das den simplen Zugriff auf diese Daten durch eine Regierung verhindere.
In den USA wird die Diskussion um Tiktok schon lange sehr intensiv geführt. Mitte April musste US-Geschäftsführer Shou Zi Chew vor dem US-Kongress Rede und Antwort stehen. Die Fragen betrafen Themen der nationalen Sicherheit und Tiktoks Verbindungen zu China. Für Klarheit konnte Shou, der aus Singapur stammt, dabei nicht sorgen. “Nichts, was Sie bisher gesagt haben, beruhigt mich”, sagte die US-Demokratin Lisa Rochester. “Offen gesagt, haben Ihre Aussagen mehr Fragen aufgeworfen.”
Der US-Bundesstaat Montana hat bereits ein Gesetz verabschiedet, das ein Verbot von Tiktok ermöglichen soll. Zwar ist nicht sicher, ob ein solches Verbot auch vor Gericht Bestand haben würde. Dennoch schwebt diese Möglichkeit nun seit Monaten über dem US-Ableger aus dem Hause Bytedance in Peking.
Tiktok setzte 2022 in den USA fast sechs Milliarden US-Dollar durch Werbung um, ist also für den Konzern lukrativ. Daher bietet Tiktok den US-Behörden umfangreiche Zugeständnisse an. Die Betreiber scheinen bereit zu sein, den Amerikanern die Kontrolle über Inhalte und Daten der Anwendung abzutreten. Tiktok, so heißt es, würde den Behörden die Zusammenstellung eines Management-Teams überlassen, Kernsegmente seiner Technologie an den US-Softwarehersteller Oracle abgeben und die Algorithmen zur unabhängigen Prüfung freigeben.
Dieser Plan wurde “Project Texas” getauft, weil Oracle dort seinen Firmensitz hat. Das berichtete das Onlineportal Cyberscoop. Die Idee für Project Texas hatte die Plattform selbst ins Spiel gebracht. Samm Sacks vom Paul Tsai China Center der Yale Law School sieht darin “ein ernsthaftes Bemühen, den Bedenken der US-Regierung Rechnung zu tragen.” “Die US-Regierung würde die ultimative Aufsicht und Kontrolle über die Einhaltung der Vereinbarungen bekommen”, sagte er dem Onlineportal.
Die US-Regierung befürchtet ideologische Einflüsse der chinesischen Regierung auf die rund 80 Millionen Nutzenden in den USA. Denn Tiktoks Algorithmus generiert Vorschläge von Inhalten für seine User nicht nur anhand eigener Vorlieben und die der jeweiligen Kontakte – sondern durchsucht stattdessen die gesamte Bibliothek der hochgeladenen Videos. Dadurch ist es möglich, den Nutzenden beliebige Inhalte vorzulegen. Chinesische Softpower eben. Die Steuerung kann aber auch in Zensur und geblockten Suchbegriffen münden.
Tiktok sieht sich zu Unrecht am Pranger. Und es muss sich nun auch noch gegen Vorwürfe eines Insiders wehren. Der frühere Chef der Ingenieursabteilung des US-Geschäfts wirft dem Mutterkonzern ByteDance vor, sich als “Propaganda-Werkzeug” der chinesischen Regierung angedient zu haben. Tiktok habe zum Beispiel “Hass gegen Japan” geschürt und Inhalte eingeschränkt, die pro-demokratische Demonstranten in Hongkong unterstützten. Der Ex-Mitarbeiter betonte zudem, dass chinesische Behörden Zugang zum gesamten Datenmaterial des Unternehmens aus den USA gehabt hätten.
Die Aussage befeuert die Sorge der US-Behörden, dass Tiktok der chinesischen Regierung einen gewaltigen Fundus an persönlichen Daten von US-Bürgern zur Verfügung stellt, mit denen ein akribisches Überwachungssystem gefüttert wird. China nutzt seine Technologie, um weltweit gegen Kritiker vorzugehen.
Bytedance hatte Anfang Dezember den Zugriff auf Daten von Nutzern aus dem Rest der Welt angekündigt. Tiktok verteidigte die Entscheidung als “nachgewiesene Notwendigkeit”, damit Angestellte in China ihren Job machen könnten. Die Weitergabe bewege sich beispielsweise im Einklang mit der europäischen Datenschutzverordnung.
Der Haken an der Sache: Chinesische Unternehmen in der Volksrepublik sind per Gesetz zur Zusammenarbeit mit den Behörden gezwungen. Wenn die Behörden Daten verlangen, muss sich ein Unternehmen beugen. “Da nutzt auch eine europäische Datenschutzverordnung nichts. Wir haben es mit einem autoritären Staat zu tun, den keine Gesetzeslage von einem Zugriff abhält”, sagt Cyber-Ermittler Beerhenke.
Mit Project Texas könnten in den USA alle für die nationale Sicherheit relevanten Prozesse in die separate Unternehmenseinheit übertragen werden. Die neue Organisation würde eine Geschäftsführung erhalten, die von der Investitionsaufsicht CFIUS genehmigt werden müsste. Eine amerikanische Version der App würde also komplett von den chinesischen Eigentümern abgeschirmt werden.
Der UN-Menschenrechtsrat fordert in einer Resolution ein Ende von einseitigen Sanktionen, die unter anderem “nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, dem humanitären Völkerrecht” und der Charta der Vereinten Nationen stehen. In dem Text werden alle Staaten nachdrücklich aufgefordert, die “Annahme, Aufrechterhaltung oder Durchsetzung” solcher einseitigen Wirtschaftssanktionen einzustellen. 33 Staaten stimmten dafür, darunter auch China. 13 stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung Mexikos.
Damit hat der Westen unter Führung der USA in den Vereinten Nationen eine Niederlage einstecken müssen. Alle in dem Rat vertretenen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten stimmten der Resolution zu. Diese “einseitigen Zwangsmaßnahmen” verstießen gegen die UN-Charta und “Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten”, heißt es in dem Text.
Das Dokument fordert die Beendigung solcher Sanktionen. Es verurteilt sie als “Werkzeuge des Drucks”, die von “einigen Staaten” benutzt würden, um “die Souveränität anderer Staaten” einzuschränken, vor allem “gegen Entwicklungsländer, um ihre politischen, wirtschaftlichen und Sozialsysteme in eine bestimmte Richtung zu treiben”. Die UN-Resolutionen aus dem Menschenrechtsrat sind, wie in vielen anderen Staatenorganisationen und Parlamenten, für die Mitgliedsstaaten oder ausführenden Institutionen nicht bindend.
China ist eines der Länder, die diese Agenda schon seit Jahren befürworten und vorangetrieben hat. Schon vor knapp zehn Jahren, als der heutige Außenminister Qin Gang noch Sprecher des Außenministeriums war, hat er sich bereits im Namen der chinesischen Regierung gegen Sanktionen ausgesprochen. Lange war diese Position nicht mehrheitsfähig. Im Frühjahr hatte sich die Bewegung der von Indien, China und Brasilien angeführten “blockfreien Staaten” mit rund 120 Mitgliedern jedoch auf einen gemeinsamen Kurs einigen können.
Dies kann als diplomatischer Erfolg Pekings, aber auch Delhis gewertet werden. Eingereicht hatte die Resolution jedoch Aserbaidschan im Namen der “blockfreien Staaten”. Aserbaidschan, das zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus liegt, der sich zwischen Asien und Europa erstreckt, ist ein zentrales Land des China-Zentralasien-Westasien-Wirtschaftskorridors (CCAWEC). Dieser dient der Volksrepublik dazu, unter Umgehung von Russland Europa zu erreichen. Baku und das dortige Regime gelten nicht unbedingt als glühende Verfechter der Menschenrechte. Obwohl Aserbaidschan sehr schwierige, wechselvolle Beziehungen zu Russland hat, hat es sich nicht an den Sanktionen gegen das Land beteiligt.
Die drei Länder in Asien, die Sanktionen des Westens gegen Russland mittragen – also Japan, Singapur und mit Abstrichen Südkorea – stimmten ebenfalls für die Abschaffung von unilateralen Sanktionen. Wichtig dabei: Die Resolution spricht sich nicht grundsätzlich gegen Sanktionen aus, sondern nur gegen Strafmaßnahmen, die keine Mehrheit in der UN gefunden haben. Bei einem guten Dutzend Länder hat sich die UN auf Sanktionen einigen können: Dazu zählen unter anderem Iran, Sudan und Nordkorea.
Die USA, die Nato-Staaten sowie Georgien, Montenegro und die Ukraine lehnten die UN-Resolution ab. Die Abstimmungsresultate zeigen, dass der Graben zwischen dem etablierten Westen und den aufsteigenden Ländern immer größer wird. Die BRICS-Länder vertreten mehr Menschen und mehr globale Wirtschaftskraft als die G7.
Die US-Vertreterin im Menschenrechtsrat der UN, Michèle Taylor, meinte, der Resolutionstext stelle in unangemessener Weise die “Fähigkeit von Staaten infrage, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu bestimmen und legitime nationale Interessen zu schützen.” Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die zu Beginn der Sitzung des Menschenrechtsrates in Genf eine Rede hielt, hat sich bisher nicht zu dem Resolutionstext geäußert.
Bei ihrem Besuch in Peking hat Baerbock ihren Amtskollegen Qin Gang auf die Bedeutung des Rates hingewiesen: “Eine Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zur Umsetzung seiner Empfehlungen würden wir begrüßen, so wie es uns allen als Mitglieder der Vereinten Nationen Verpflichtung ist.” Baerbock betonte dies im Zusammenhang mit den Erkenntnissen des UN-Menschenrechtsrates zu Xinjiang. Wenn Baerbock so argumentiert, müsste sie sich nun eigentlich auch verpflichtet fühlen, den Inhalt der angenommenen Resolution zu Sanktionen umzusetzen.
Eine staatlich unterstützte chinesische Hackergruppe soll kritische US-Infrastruktur ausspioniert haben. Ziel der “Volt Typhoon” genannten Angreifer sollen laut westlichen Geheimdiensten und Microsoft unter anderem Telekommunikationsnetze und Verkehrsknotenpunkte gewesen sein. Der US-Softwarekonzern geht mit “mittlerer Wahrscheinlichkeit” davon aus, dass es sich bei den Angreifern um eine Gruppierung handelt, die als chinesisch und staatsnah betrachtet wird.
Der Angriff, an dessen Entdeckung laut National Security Agency die Partnerdienste des Five-Eyes-Verbundes aus UK, Neuseeland, Australien und Kanada und das FBI ebenfalls mitgewirkt haben, ist aus zwei Gründen ein besonderes Politikum: Laut New York Times wurden die Angriffe erstmals entdeckt, als die Diskussion über die im US-Luftraum abgeschossenen chinesischen Höhenballons begann. Zusätzliche politische Brisanz steckt darin, dass unter anderem die Marianen-Insel Guam im Zentrum der Angriffe gestanden haben soll. Guam ist der wichtigste US-Militärstützpunkt im nördlichen Pazifik und unter anderem Stationierungsort für Langstreckenbomber. Die würden im Eskalationsfall mit China eine wesentliche Rolle spielen. Eine Störung der Infrastruktur hätte potenziell massive Auswirkungen auf die US-Möglichkeiten in der Region.
In dem umfassenden Bericht zu dem Angriffsszenario, den Microsoft veröffentlicht hat, wird beschrieben, wie die Angreifer vorgingen. Eine besondere Rolle sollen dabei Endgeräte wie Router gespielt haben, die für die Heimanwendung oder kleine Büros gedacht sind. Dabei sollen ausgerechnet Sicherungssysteme das Einfallstor gewesen sein: Fortinets Fortiguard soll eigentlich den Internetverkehr von Erpressungssoftware-Angriffen rein halten. Doch genau über diese Lösung hätte sich Volt Typhoon Zugriff auf lokale Netze verschafft und diese über grundsätzlich zulässige Systembefehle ausgespäht, schreibt Microsoft. Insbesondere lokale Webbrowser-Anwendungen sollen die Hacker interessiert haben, also etwa Intranetanwendungen. Die NSA hat eine Empfehlung zum Umgang mit den Angriffen veröffentlicht.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sieht aufgrund der Vorfälle keinen erhöhten Handlungsbedarf in Deutschland. Aus Sicht der Bonner Behörde handele es sich bei dem beschriebenen Vorgehen nicht um einen neuartigen Angriffsvektor. “Von außen erreichbare, verwundbare Appliances, wie unter anderem Firewalls, sind immer häufiger Ziel von Cyber-Angriffen”, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Über die bereits vom BSI empfohlenen hinaus seien zusätzliche Maßnahmen nicht nötig.
Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums wies laut Reuters die Berichte als Desinformation durch die Nachrichtendienste der Five Eyes ab. Dass hierbei eine “bestimmte Firma” (Microsoft) involviert gewesen sei, zeige, dass die USA zusätzliche Kanäle jenseits der Nachrichtendienste für Desinformation nutzten. Die Sprecherin verwies auf einen Bericht über angebliche Angriffe der NSA auf chinesische Institutionen im vergangenen Jahr, die die USA erst einmal erklären sollten. Die NSA sei die größte Hackerorganisation der Welt. fst/rtr
Bei ihrer Rede auf dem Europäischen Gewerkschaftskongress in Berlin hat Ursula von der Leyen die chinesische Regierung kritisiert. Ohne das Land direkt zu erwähnen, sagte sie, es gebe eine Partei, welche die “totale Kontrolle” über Wirtschaft und Bevölkerung anstrebe.
Die Aussage fiel im Zusammenhang mit einem Vergleich: Während es in anderen Weltregionen nur um Profit gehe, habe man in der EU eine soziale Marktwirtschaft, bei der auch Arbeiterinnen und Arbeiter von unternehmerischen Erfolgen profitieren müssten. Zentral dafür ist aus Sicht der Kommissionspräsidentin das Prinzip der Sozialpartnerschaft, bei dem Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander verhandeln. red
Xie Feng, Chinas neuer Botschafter in Washington, hat am Dienstag offiziell seinen Posten angetreten. Er werde sich um eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und den USA bemühen, doch die Beziehungen stünden vor “ernsten Schwierigkeiten und Herausforderungen”, sagte Xie vor Reportern nach der Landung auf dem John F. Kennedy International Airport in New York City. “Ich bin hierhergekommen, um Chinas Interessen zu wahren. Das ist meine heilige Verantwortung”, sagte Xie.
Der 59-Jährige war zuletzt als stellvertretender Außenminister Chinas tätig und dabei auch mit den US-Beziehungen betraut. Bei früheren Treffen mit Vertretern der Biden-Regierung schlug er oftmals einen konfrontativen Ton an, etwa beim Empfang der stellvertretenden Außenministerin Wendy Sherman im Jahr 2021 in Tianjin, wo er eine lange Liste von Forderungen an die USA zur Verbesserung der Beziehungen aufstellte und Washington beschuldigte, in China einen “imaginären Feind” zu sehen.
Auch nach dem Abschuss des chinesischen Spionageballons im Februar erhob Xie schwere Vorwürfe in Richtung Washington. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten habe den “Bemühungen beider Seiten um eine Stabilisierung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen ernsten Schaden zugefügt“, erklärte er damals in einer Mitteilung. rtr/fpe
Hongkong erlebt einen drastischen Rücklauf bei der Bereitschaft zur Organspende. Ungewöhnlich viele registrierte Organspender der Stadt haben in den vergangenen Monaten die Löschung ihrer Daten aus dem Zentralregister beantragt. Die Zahl solcher Anträge belief sich seit Dezember auf knapp 6.000 und damit auf ein Vielfaches der sonst üblichen Abmeldungen.
Der Trend hatte bereits im Dezember vergangenen Jahres eingesetzt, nachdem die örtlichen Gesundheitsbehörden die Implementierung eines grenzübergreifenden Systems zum Tausch von Spenderorganen mit der Volksrepublik China angekündigt hatten. Diskutiert wird seitdem, inwieweit die Stadt Hongkong tatsächlich von einem Organtausch mit dem Festland profitieren würde.
Kritiker lehnen ein solches System ab, weil ihrer Meinung nach die Herkunft vieler Spenderorgane aus der Volksrepublik ethisch nicht einwandfrei sei. In China war es jahrzehntelang üblich, die Organe von hingerichteten Gefangenen ohne deren Einwilligung zu verwenden. Offiziell ist diese Praxis zwar verboten, allerdings weisen Menschenrechtsorganisationen auf einen blühenden Schwarzmarkt hin. grz
Der demografische Wandel zwingt Chinas Regierung zum Handeln. Sämtliche Provinzen wurden angewiesen, bis 2025 ein Altenpflegesystem einzurichten. Das berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Sonntag. Chinas Nationale Gesundheitskommission rechnet damit, dass die Zahl der über 60-Jährigen von derzeit 280 Millionen bis 2035 auf 400 Millionen steigen werde. Der Bedarf an Betten in Gemeinschaftseinrichtungen und Pflegeheimen werde von acht auf 40 Millionen ansteigen.
“Die Förderung des Aufbaus eines grundlegenden Altenpflegesystems ist eine wichtige Aufgabe”, heißt es in der Xinhua-Meldung. Damit wolle die Regierung aktiv auf die Alterung der Bevölkerung reagieren. Zuvor hatte man schon das Rentenalter angehoben.
Die vorgelegten Leitlinien verlangen von allen Provinzen, eine Liste von Grundversorgungsleistungen für ältere Menschen einzuführen, die auf Faktoren wie dem wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsniveau und der finanziellen Situation basieren. Dazu gehören materielle Unterstützung, Pflege und Betreuung. Auch sollen alle Provinzen Besuchs- und Betreuungsdienste für alleinlebende ältere Menschen und für Familien mit finanziellen Schwierigkeiten anbieten müssen.
Chinas Ein-Kind-Politik hat dazu geführt, dass von kleineren Familien zunehmend erwartet wird, die alternde Bevölkerung selbst zu versorgen. rad/rtr
Zwei Städte wollen eine Partnerschaft eingehen: Kiel und Qingdao. Das ist zunächst ein völlig normaler Vorgang. Es gibt tausende Partnerschaften deutscher Städte mit Kommunen im Ausland. Auch Partnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Städten gibt es mehr als einhundert. Nordrhein-Westfalen unterhält allein 15, Bayern zwölf, Niedersachsen acht. Die älteste deutsch-chinesische Partnerschaft zwischen Bremen und Dalian existiert seit 1985.
Bis in die 2010er-Jahre überwog bei den Europäern das Vertrauen, dass es so weitergehen würde mit der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik – trotz Tiananmen, Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger und Verstößen gegen das geistige Eigentum deutscher Unternehmen.
Man akzeptierte nolens volens, dass die chinesische Gesellschaft zentralistisch organisiert war und die Kommunistische Partei das Sagen hatte, nicht die Provinz, schon gar nicht die Kommune, auch wenn es dort Spielräume für Eigeninitiative gab. Eins war klar: Nicht der Bürgermeister entscheidet in China, sondern der Parteisekretär.
Die zahllosen zivilgesellschaftlichen Begegnungen zwischen Deutschland und China, zwischen Bildungsinstitutionen, Kulturschaffenden, Sportverbänden oder Kommunen waren Wetten auf die Zukunft. Ein friedlicher chinesischer Aufstieg würde mehr Chancen bieten als Risiken – so die verbreitete Hoffnung.
Diese Hoffnung ist für die meisten gestorben. Vertrauen ist in Misstrauen umgeschlagen. China ist zu einer Großmacht geworden. Und vor allem: Es tritt auf wie eine Großmacht. Das macht Angst.
Präsident Xi Jinping hat seit seinem Amtsantritt eine stärker ideologisch und nationalistisch geprägte Politik entwickelt. Stabilität nach innen hat absoluten Vorrang, was zu noch mehr Repression geführt hat gegen Andersdenkende. Das macht auch den Spielraum zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit immer schwieriger.
Die chinesische Außenpolitik ist selbstbewusster, manche würden sagen, aggressiver geworden. Sie dient vor allem zwei Zielen: der nationalen Sicherheit und dem fortgesetzten Wachstum der chinesischen Wirtschaft.
Wirtschaftswachstum bleibt der Schlüssel für die Stabilität der chinesischen Gesellschaft. Denn eins hat sich nicht verändert: Die Chinesen akzeptieren ihre Führung, solange sie am Ende des Jahres mehr Geld im Portemonnaie haben als im Jahr zuvor. Doch dieser Gesellschaftsvertrag beginnt zu bröckeln. Die Führung weiß das und reagiert nervös. Strategien wie die neue Seidenstraße verfolgen vor allem das Ziel, durch Sicherung von Energien, Rohstoffen und neuen Absatzmärkten Wohlstand in China zu schaffen.
Aber sie dient natürlich auch dem Interesse Pekings, den Einfluss Chinas auszubauen. Das ist nicht illegitim, aber China geht dabei mit harten Bandagen vor. Das schafft Angst vor Abhängigkeiten. Gleichzeitig hat die nationale Sicherheit enorm an Bedeutung gewonnen.
Peking hat militärisch im letzten Jahrzehnt stark aufgerüstet, vor allem bei Luftwaffe und Marine. Die chinesischen Militärausgaben lagen 2022 bei 200 Milliarden Euro – deutlich unter dem Verteidigungshaushalt der USA von 700 Milliarden Euro, aber man muss davon ausgehen, dass weitere Positionen im chinesischen Haushalt versteckt sind.
Grund für die steigende Aufrüstung ist auch, aber nicht nur Taiwan. Die meisten Chinesen sehen die Insel als Teil der Volksrepublik, es ist vitales chinesisches Interesse – wie Tibet und Hongkong. Die Aufrüstung dient aber auch dem generellen Interesse Chinas, seine wachsende geopolitische Bedeutung im Pazifik zu projizieren.
China ist zu einer geopolitischen und geoökonomischen Macht geworden, zum einzigen wirklichen Gegenspieler der USA. In Washington gilt China inzwischen parteiübergreifend als größte Gefahr für die amerikanische Vorherrschaft, vor allem im Pazifik. Seit Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen und China diese Aggression nicht verurteilt, sondern sich eher prorussisch positioniert hat, läuten im Westen die Alarmglocken. Die jüngste Drohung Xi Jinpings, China werde die Wiedervereinigung mit Taiwan notfalls gewaltsam herbeiführen, hat reflexartig zu Parallelen zwischen Ukraine und Taiwan geführt. Das prägt den Diskurs über den richtigen Umgang mit China.
Europa folgt den USA, wenn auch behutsamer mit seiner Triade Partner-Wettbewerber-systemischer Rivale. Ursula von der Leyen hat Europas veränderte China-Strategie auf die Kurzformel gebracht: Wir wollen kein “De-coupling, wohl aber ein De-risking”, einen Abbau von Risiken, vor allem in sensitiven Bereichen. Es ist wachsender Konsens, dass ein Abkoppeln angesichts der enormen wirtschaftlichen Verflechtungen unsinnig, wenn nicht unmöglich wäre.
Was bedeutet all das jetzt für Kiel und seine Partnerschaft mit Qingdao?
Qingdao, damals Kiautschou, gehörte von 1898 bis 1919 als deutsche Kolonie zum deutschen Reich. Bis heute prägen zahlreiche “deutsche” Gebäude die mittlerweile moderne Millionenstadt: der Bahnhof, eine protestantische Kirche, vor allem aber die Tsingtao-Brauerei, wo bis heute Bier nach deutscher Brauart produziert wird.
Der malerische Hafen war 2008 Austragungsort der olympischen Segelwettbewerbe. Ich hatte die Ehre, die Athleten in der alten Residenz des Gouverneurs zu empfangen, als erster deutscher Vertreter seit Jahrzehnten. Olympiaerfahrene Kieler waren damals wichtige Berater bei der Planung der Regatten.
Im Jahr 2013 wurde in Qingdao das Projekt eines deutsch-chinesischen Ökoparks initiiert, der sechs Jahre später als deutsch-chinesische Eco-City zertifiziert wurde. Man könnte sagen, Qingdao ist aus vielen Gründen die “deutscheste” aller chinesischen Städte. Das qualifiziert sie ohne Zweifel als Partnerstadt.
Aber da ist auch eine andere Dimension der schönen Hafenstadt. Sie ist Stützpunkt der chinesischen U-Bootflotte und Zentrum der chinesischen Unterwasser-Seekriegsführung. Die Marine-U-Boot-Akademie zählt zu den wichtigsten Ausbildungseinrichtungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA), die Ocean University of Qingdao ist ein Spitzeninstitut der zivilen Unterwasserforschung. Sie kooperiert bereits seit langem mit dem Helmholtz Center for Ocean Research Kiel, Geomar.
Es ist nachvollziehbar, dass die Sorge artikuliert wird, Qingdao strebe die Städtepartnerschaft mit Kiel nicht aus dem hehren Ziel der Völkerverständigung an, sondern um militärisch relevante Informationen zu sammeln. Schließlich ist Kiel auf deutscher Seite ebenfalls Zentrum der U-Boot-Flotte, des U-Boot-Baus und der Untermeeresforschung.
Man könnte also leicht zu dem Schluss kommen, dass die geplante Städtepartnerschaft als trojanisches Pferd für chinesische Spionage missbraucht werden könnte. Doch ist das ein zwingender Grund, die Städtepartnerschaft abzulehnen? Ich meine: nein.
Wichtig ist es, an diese Entscheidung nüchtern und im Bewusstsein potenzieller Risiken heranzugehen. Die naive Vorstellung, es handele sich hier nur um einen zivilgesellschaftlichen Austausch, wäre absurd. In China ist alles dem Einparteienstaat untergeordnet.
Die Chinesen haben schon jetzt andere, wahrscheinlich bessere Möglichkeiten für Spionage und Geheimdienstaktivitäten. Sie brauchen dafür keine Städtepartnerschaft.
Demgegenüber ist gerade in Zeiten größer werdender Sprachlosigkeit zwischen unseren Gesellschaften zivilgesellschaftlicher Austausch wichtiger denn je. Gerade auch auf kommunaler Ebene. Die deutsche Demokratie braucht sich nicht vor systemischer Rivalität zu fürchten. Im Gegenteil. Wir können unser Modell durchaus selbstbewusst präsentieren.
Es obliegt den Organisatoren in Kiel, die “terms of reference” der Städtepartnerschaft zu formulieren. Der Schwerpunkt der Partnerschaft sollte wie auch sonst auf Sport- und Schüleraustausch, Kulturveranstaltungen und Bürgerbegegnungen liegen. Der Besuch militärischer Einrichtungen gehört sicher nicht dazu. Das wäre völlig unüblich. Qingdao würde das auf der anderen Seite niemals tun.
Kiel sollte sich China-Kenner ins Team holen, um die Partnerschaft mit Qingdao zu dem zu machen, was sie sein sollte: ein Rahmen zur Vertrauensbildung – bei aller gebotenen Vorsicht.
Michael Schaefer gilt als einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Vier Jahre lang vertrat er Deutschland in Genf in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Von 2002 bis 2007 war er politischer Direktor im Auswärtigen Amt. Von 2007 bis 2013 hat er Deutschland als Botschafter in Peking vertreten.
Tiktok sucht nach der Lösung für den Überlebenskampf in den USA. Die Unterhaltungsplattform des chinesischen Konzerns Bytedance steht in Washington in der Kritik. Und auch der Bundesstaat Montana hat ein Gesetz verabschiedet, das ein Verbot von Tiktok ermöglichen soll. Tiktok zieht nun mit einem neuartigen Kniff die Reißleine, wie Marcel Grzanna analysiert.
Im Rahmen des “Project Texas” wird Tiktok unter anderem Kernsegmente seiner Technologie an den US-Softwarehersteller Oracle abgeben. Es wäre ein rarer Kompromiss im derzeit rauen Klima zwischen den USA und China.
Der Menschenrechtsrat der Uno in Genf ist eine andere Arena, in der China mit dem Westen kollidiert. Das Gremium müsste eigentlich ein riesiger Fan von Sanktionen sein, sollte man meinen. Wie sonst soll die Weltgemeinschaft auf Staaten einwirken, die die Rechte ihrer Bürger verletzen?
Doch so ist es nicht. In dem Gremium in Genf hat sich eine Linie durchgesetzt, die Wirtschaftsstrafen ablehnt, wenn diese nicht von den gesamten Vereinten Nationen getragen werden. Diese seien nicht rechtmäßig.
Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man die Mehrheitsverhältnisse ansieht. Die asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten haben in dem Rat auf Betreiben Chinas gegen den Westen gestimmt. Sie wollen keine Bevormundung durch US-geführte Koalitionen, analysiert Frank Sieren.
Ein ganzes Berufsleben lang hat der frühere Cyber-Kriminalist Dirk Beerhenke auf diese Gelegenheit gewartet. Doch es dauerte bis zu seiner Pensionierung, ehe der Hauptkommissar a.D. mit seinem Anliegen unmittelbar bei der deutschen Politik Gehör fand. Vor wenigen Wochen war Beerhenke in die Kinderkommission des Familienausschusses im Deutschen Bundestag geladen. Das sechsköpfige Gremium vertritt die Interessen von Kindern und Jugendlichen im Parlament.
Beerhenke klärte die Parlamentarier über die digitalen Gefahren für Minderjährige auf. Explizit warnte er dabei vor der Nutzung der chinesischen Videoplattform Tiktok, ähnlich wie kürzlich auch Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). “Es gibt zwei Gründe für meine Sorge: die Datensicherheit und die Propaganda”, sagt der 62-Jährige im Gespräch mit Table.Media. “Wenn ich meine beruflichen Kenntnisse mit den politischen Hintergründen, die in China herrschen, kombiniere – dann komme ich zu dem Schluss, dass wir Tiktok nicht benutzen sollten.”
Der frühere Ermittler warnt: Persönliche und biometrische Daten, Bewegungsprofile und Stimmfarben fallen durch die Tiktok-Nutzung in die Hände einer autokratischen Regierung. US-Konzerne besäßen zwar ähnliche Datenschätze. Jedoch sei deren Verankerung in rechtsstaatlichen Demokratien ein Kontrollinstrument, das den simplen Zugriff auf diese Daten durch eine Regierung verhindere.
In den USA wird die Diskussion um Tiktok schon lange sehr intensiv geführt. Mitte April musste US-Geschäftsführer Shou Zi Chew vor dem US-Kongress Rede und Antwort stehen. Die Fragen betrafen Themen der nationalen Sicherheit und Tiktoks Verbindungen zu China. Für Klarheit konnte Shou, der aus Singapur stammt, dabei nicht sorgen. “Nichts, was Sie bisher gesagt haben, beruhigt mich”, sagte die US-Demokratin Lisa Rochester. “Offen gesagt, haben Ihre Aussagen mehr Fragen aufgeworfen.”
Der US-Bundesstaat Montana hat bereits ein Gesetz verabschiedet, das ein Verbot von Tiktok ermöglichen soll. Zwar ist nicht sicher, ob ein solches Verbot auch vor Gericht Bestand haben würde. Dennoch schwebt diese Möglichkeit nun seit Monaten über dem US-Ableger aus dem Hause Bytedance in Peking.
Tiktok setzte 2022 in den USA fast sechs Milliarden US-Dollar durch Werbung um, ist also für den Konzern lukrativ. Daher bietet Tiktok den US-Behörden umfangreiche Zugeständnisse an. Die Betreiber scheinen bereit zu sein, den Amerikanern die Kontrolle über Inhalte und Daten der Anwendung abzutreten. Tiktok, so heißt es, würde den Behörden die Zusammenstellung eines Management-Teams überlassen, Kernsegmente seiner Technologie an den US-Softwarehersteller Oracle abgeben und die Algorithmen zur unabhängigen Prüfung freigeben.
Dieser Plan wurde “Project Texas” getauft, weil Oracle dort seinen Firmensitz hat. Das berichtete das Onlineportal Cyberscoop. Die Idee für Project Texas hatte die Plattform selbst ins Spiel gebracht. Samm Sacks vom Paul Tsai China Center der Yale Law School sieht darin “ein ernsthaftes Bemühen, den Bedenken der US-Regierung Rechnung zu tragen.” “Die US-Regierung würde die ultimative Aufsicht und Kontrolle über die Einhaltung der Vereinbarungen bekommen”, sagte er dem Onlineportal.
Die US-Regierung befürchtet ideologische Einflüsse der chinesischen Regierung auf die rund 80 Millionen Nutzenden in den USA. Denn Tiktoks Algorithmus generiert Vorschläge von Inhalten für seine User nicht nur anhand eigener Vorlieben und die der jeweiligen Kontakte – sondern durchsucht stattdessen die gesamte Bibliothek der hochgeladenen Videos. Dadurch ist es möglich, den Nutzenden beliebige Inhalte vorzulegen. Chinesische Softpower eben. Die Steuerung kann aber auch in Zensur und geblockten Suchbegriffen münden.
Tiktok sieht sich zu Unrecht am Pranger. Und es muss sich nun auch noch gegen Vorwürfe eines Insiders wehren. Der frühere Chef der Ingenieursabteilung des US-Geschäfts wirft dem Mutterkonzern ByteDance vor, sich als “Propaganda-Werkzeug” der chinesischen Regierung angedient zu haben. Tiktok habe zum Beispiel “Hass gegen Japan” geschürt und Inhalte eingeschränkt, die pro-demokratische Demonstranten in Hongkong unterstützten. Der Ex-Mitarbeiter betonte zudem, dass chinesische Behörden Zugang zum gesamten Datenmaterial des Unternehmens aus den USA gehabt hätten.
Die Aussage befeuert die Sorge der US-Behörden, dass Tiktok der chinesischen Regierung einen gewaltigen Fundus an persönlichen Daten von US-Bürgern zur Verfügung stellt, mit denen ein akribisches Überwachungssystem gefüttert wird. China nutzt seine Technologie, um weltweit gegen Kritiker vorzugehen.
Bytedance hatte Anfang Dezember den Zugriff auf Daten von Nutzern aus dem Rest der Welt angekündigt. Tiktok verteidigte die Entscheidung als “nachgewiesene Notwendigkeit”, damit Angestellte in China ihren Job machen könnten. Die Weitergabe bewege sich beispielsweise im Einklang mit der europäischen Datenschutzverordnung.
Der Haken an der Sache: Chinesische Unternehmen in der Volksrepublik sind per Gesetz zur Zusammenarbeit mit den Behörden gezwungen. Wenn die Behörden Daten verlangen, muss sich ein Unternehmen beugen. “Da nutzt auch eine europäische Datenschutzverordnung nichts. Wir haben es mit einem autoritären Staat zu tun, den keine Gesetzeslage von einem Zugriff abhält”, sagt Cyber-Ermittler Beerhenke.
Mit Project Texas könnten in den USA alle für die nationale Sicherheit relevanten Prozesse in die separate Unternehmenseinheit übertragen werden. Die neue Organisation würde eine Geschäftsführung erhalten, die von der Investitionsaufsicht CFIUS genehmigt werden müsste. Eine amerikanische Version der App würde also komplett von den chinesischen Eigentümern abgeschirmt werden.
Der UN-Menschenrechtsrat fordert in einer Resolution ein Ende von einseitigen Sanktionen, die unter anderem “nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, dem humanitären Völkerrecht” und der Charta der Vereinten Nationen stehen. In dem Text werden alle Staaten nachdrücklich aufgefordert, die “Annahme, Aufrechterhaltung oder Durchsetzung” solcher einseitigen Wirtschaftssanktionen einzustellen. 33 Staaten stimmten dafür, darunter auch China. 13 stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung Mexikos.
Damit hat der Westen unter Führung der USA in den Vereinten Nationen eine Niederlage einstecken müssen. Alle in dem Rat vertretenen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten stimmten der Resolution zu. Diese “einseitigen Zwangsmaßnahmen” verstießen gegen die UN-Charta und “Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten”, heißt es in dem Text.
Das Dokument fordert die Beendigung solcher Sanktionen. Es verurteilt sie als “Werkzeuge des Drucks”, die von “einigen Staaten” benutzt würden, um “die Souveränität anderer Staaten” einzuschränken, vor allem “gegen Entwicklungsländer, um ihre politischen, wirtschaftlichen und Sozialsysteme in eine bestimmte Richtung zu treiben”. Die UN-Resolutionen aus dem Menschenrechtsrat sind, wie in vielen anderen Staatenorganisationen und Parlamenten, für die Mitgliedsstaaten oder ausführenden Institutionen nicht bindend.
China ist eines der Länder, die diese Agenda schon seit Jahren befürworten und vorangetrieben hat. Schon vor knapp zehn Jahren, als der heutige Außenminister Qin Gang noch Sprecher des Außenministeriums war, hat er sich bereits im Namen der chinesischen Regierung gegen Sanktionen ausgesprochen. Lange war diese Position nicht mehrheitsfähig. Im Frühjahr hatte sich die Bewegung der von Indien, China und Brasilien angeführten “blockfreien Staaten” mit rund 120 Mitgliedern jedoch auf einen gemeinsamen Kurs einigen können.
Dies kann als diplomatischer Erfolg Pekings, aber auch Delhis gewertet werden. Eingereicht hatte die Resolution jedoch Aserbaidschan im Namen der “blockfreien Staaten”. Aserbaidschan, das zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus liegt, der sich zwischen Asien und Europa erstreckt, ist ein zentrales Land des China-Zentralasien-Westasien-Wirtschaftskorridors (CCAWEC). Dieser dient der Volksrepublik dazu, unter Umgehung von Russland Europa zu erreichen. Baku und das dortige Regime gelten nicht unbedingt als glühende Verfechter der Menschenrechte. Obwohl Aserbaidschan sehr schwierige, wechselvolle Beziehungen zu Russland hat, hat es sich nicht an den Sanktionen gegen das Land beteiligt.
Die drei Länder in Asien, die Sanktionen des Westens gegen Russland mittragen – also Japan, Singapur und mit Abstrichen Südkorea – stimmten ebenfalls für die Abschaffung von unilateralen Sanktionen. Wichtig dabei: Die Resolution spricht sich nicht grundsätzlich gegen Sanktionen aus, sondern nur gegen Strafmaßnahmen, die keine Mehrheit in der UN gefunden haben. Bei einem guten Dutzend Länder hat sich die UN auf Sanktionen einigen können: Dazu zählen unter anderem Iran, Sudan und Nordkorea.
Die USA, die Nato-Staaten sowie Georgien, Montenegro und die Ukraine lehnten die UN-Resolution ab. Die Abstimmungsresultate zeigen, dass der Graben zwischen dem etablierten Westen und den aufsteigenden Ländern immer größer wird. Die BRICS-Länder vertreten mehr Menschen und mehr globale Wirtschaftskraft als die G7.
Die US-Vertreterin im Menschenrechtsrat der UN, Michèle Taylor, meinte, der Resolutionstext stelle in unangemessener Weise die “Fähigkeit von Staaten infrage, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu bestimmen und legitime nationale Interessen zu schützen.” Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die zu Beginn der Sitzung des Menschenrechtsrates in Genf eine Rede hielt, hat sich bisher nicht zu dem Resolutionstext geäußert.
Bei ihrem Besuch in Peking hat Baerbock ihren Amtskollegen Qin Gang auf die Bedeutung des Rates hingewiesen: “Eine Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zur Umsetzung seiner Empfehlungen würden wir begrüßen, so wie es uns allen als Mitglieder der Vereinten Nationen Verpflichtung ist.” Baerbock betonte dies im Zusammenhang mit den Erkenntnissen des UN-Menschenrechtsrates zu Xinjiang. Wenn Baerbock so argumentiert, müsste sie sich nun eigentlich auch verpflichtet fühlen, den Inhalt der angenommenen Resolution zu Sanktionen umzusetzen.
Eine staatlich unterstützte chinesische Hackergruppe soll kritische US-Infrastruktur ausspioniert haben. Ziel der “Volt Typhoon” genannten Angreifer sollen laut westlichen Geheimdiensten und Microsoft unter anderem Telekommunikationsnetze und Verkehrsknotenpunkte gewesen sein. Der US-Softwarekonzern geht mit “mittlerer Wahrscheinlichkeit” davon aus, dass es sich bei den Angreifern um eine Gruppierung handelt, die als chinesisch und staatsnah betrachtet wird.
Der Angriff, an dessen Entdeckung laut National Security Agency die Partnerdienste des Five-Eyes-Verbundes aus UK, Neuseeland, Australien und Kanada und das FBI ebenfalls mitgewirkt haben, ist aus zwei Gründen ein besonderes Politikum: Laut New York Times wurden die Angriffe erstmals entdeckt, als die Diskussion über die im US-Luftraum abgeschossenen chinesischen Höhenballons begann. Zusätzliche politische Brisanz steckt darin, dass unter anderem die Marianen-Insel Guam im Zentrum der Angriffe gestanden haben soll. Guam ist der wichtigste US-Militärstützpunkt im nördlichen Pazifik und unter anderem Stationierungsort für Langstreckenbomber. Die würden im Eskalationsfall mit China eine wesentliche Rolle spielen. Eine Störung der Infrastruktur hätte potenziell massive Auswirkungen auf die US-Möglichkeiten in der Region.
In dem umfassenden Bericht zu dem Angriffsszenario, den Microsoft veröffentlicht hat, wird beschrieben, wie die Angreifer vorgingen. Eine besondere Rolle sollen dabei Endgeräte wie Router gespielt haben, die für die Heimanwendung oder kleine Büros gedacht sind. Dabei sollen ausgerechnet Sicherungssysteme das Einfallstor gewesen sein: Fortinets Fortiguard soll eigentlich den Internetverkehr von Erpressungssoftware-Angriffen rein halten. Doch genau über diese Lösung hätte sich Volt Typhoon Zugriff auf lokale Netze verschafft und diese über grundsätzlich zulässige Systembefehle ausgespäht, schreibt Microsoft. Insbesondere lokale Webbrowser-Anwendungen sollen die Hacker interessiert haben, also etwa Intranetanwendungen. Die NSA hat eine Empfehlung zum Umgang mit den Angriffen veröffentlicht.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sieht aufgrund der Vorfälle keinen erhöhten Handlungsbedarf in Deutschland. Aus Sicht der Bonner Behörde handele es sich bei dem beschriebenen Vorgehen nicht um einen neuartigen Angriffsvektor. “Von außen erreichbare, verwundbare Appliances, wie unter anderem Firewalls, sind immer häufiger Ziel von Cyber-Angriffen”, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Über die bereits vom BSI empfohlenen hinaus seien zusätzliche Maßnahmen nicht nötig.
Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums wies laut Reuters die Berichte als Desinformation durch die Nachrichtendienste der Five Eyes ab. Dass hierbei eine “bestimmte Firma” (Microsoft) involviert gewesen sei, zeige, dass die USA zusätzliche Kanäle jenseits der Nachrichtendienste für Desinformation nutzten. Die Sprecherin verwies auf einen Bericht über angebliche Angriffe der NSA auf chinesische Institutionen im vergangenen Jahr, die die USA erst einmal erklären sollten. Die NSA sei die größte Hackerorganisation der Welt. fst/rtr
Bei ihrer Rede auf dem Europäischen Gewerkschaftskongress in Berlin hat Ursula von der Leyen die chinesische Regierung kritisiert. Ohne das Land direkt zu erwähnen, sagte sie, es gebe eine Partei, welche die “totale Kontrolle” über Wirtschaft und Bevölkerung anstrebe.
Die Aussage fiel im Zusammenhang mit einem Vergleich: Während es in anderen Weltregionen nur um Profit gehe, habe man in der EU eine soziale Marktwirtschaft, bei der auch Arbeiterinnen und Arbeiter von unternehmerischen Erfolgen profitieren müssten. Zentral dafür ist aus Sicht der Kommissionspräsidentin das Prinzip der Sozialpartnerschaft, bei dem Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander verhandeln. red
Xie Feng, Chinas neuer Botschafter in Washington, hat am Dienstag offiziell seinen Posten angetreten. Er werde sich um eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und den USA bemühen, doch die Beziehungen stünden vor “ernsten Schwierigkeiten und Herausforderungen”, sagte Xie vor Reportern nach der Landung auf dem John F. Kennedy International Airport in New York City. “Ich bin hierhergekommen, um Chinas Interessen zu wahren. Das ist meine heilige Verantwortung”, sagte Xie.
Der 59-Jährige war zuletzt als stellvertretender Außenminister Chinas tätig und dabei auch mit den US-Beziehungen betraut. Bei früheren Treffen mit Vertretern der Biden-Regierung schlug er oftmals einen konfrontativen Ton an, etwa beim Empfang der stellvertretenden Außenministerin Wendy Sherman im Jahr 2021 in Tianjin, wo er eine lange Liste von Forderungen an die USA zur Verbesserung der Beziehungen aufstellte und Washington beschuldigte, in China einen “imaginären Feind” zu sehen.
Auch nach dem Abschuss des chinesischen Spionageballons im Februar erhob Xie schwere Vorwürfe in Richtung Washington. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten habe den “Bemühungen beider Seiten um eine Stabilisierung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen ernsten Schaden zugefügt“, erklärte er damals in einer Mitteilung. rtr/fpe
Hongkong erlebt einen drastischen Rücklauf bei der Bereitschaft zur Organspende. Ungewöhnlich viele registrierte Organspender der Stadt haben in den vergangenen Monaten die Löschung ihrer Daten aus dem Zentralregister beantragt. Die Zahl solcher Anträge belief sich seit Dezember auf knapp 6.000 und damit auf ein Vielfaches der sonst üblichen Abmeldungen.
Der Trend hatte bereits im Dezember vergangenen Jahres eingesetzt, nachdem die örtlichen Gesundheitsbehörden die Implementierung eines grenzübergreifenden Systems zum Tausch von Spenderorganen mit der Volksrepublik China angekündigt hatten. Diskutiert wird seitdem, inwieweit die Stadt Hongkong tatsächlich von einem Organtausch mit dem Festland profitieren würde.
Kritiker lehnen ein solches System ab, weil ihrer Meinung nach die Herkunft vieler Spenderorgane aus der Volksrepublik ethisch nicht einwandfrei sei. In China war es jahrzehntelang üblich, die Organe von hingerichteten Gefangenen ohne deren Einwilligung zu verwenden. Offiziell ist diese Praxis zwar verboten, allerdings weisen Menschenrechtsorganisationen auf einen blühenden Schwarzmarkt hin. grz
Der demografische Wandel zwingt Chinas Regierung zum Handeln. Sämtliche Provinzen wurden angewiesen, bis 2025 ein Altenpflegesystem einzurichten. Das berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Sonntag. Chinas Nationale Gesundheitskommission rechnet damit, dass die Zahl der über 60-Jährigen von derzeit 280 Millionen bis 2035 auf 400 Millionen steigen werde. Der Bedarf an Betten in Gemeinschaftseinrichtungen und Pflegeheimen werde von acht auf 40 Millionen ansteigen.
“Die Förderung des Aufbaus eines grundlegenden Altenpflegesystems ist eine wichtige Aufgabe”, heißt es in der Xinhua-Meldung. Damit wolle die Regierung aktiv auf die Alterung der Bevölkerung reagieren. Zuvor hatte man schon das Rentenalter angehoben.
Die vorgelegten Leitlinien verlangen von allen Provinzen, eine Liste von Grundversorgungsleistungen für ältere Menschen einzuführen, die auf Faktoren wie dem wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsniveau und der finanziellen Situation basieren. Dazu gehören materielle Unterstützung, Pflege und Betreuung. Auch sollen alle Provinzen Besuchs- und Betreuungsdienste für alleinlebende ältere Menschen und für Familien mit finanziellen Schwierigkeiten anbieten müssen.
Chinas Ein-Kind-Politik hat dazu geführt, dass von kleineren Familien zunehmend erwartet wird, die alternde Bevölkerung selbst zu versorgen. rad/rtr
Zwei Städte wollen eine Partnerschaft eingehen: Kiel und Qingdao. Das ist zunächst ein völlig normaler Vorgang. Es gibt tausende Partnerschaften deutscher Städte mit Kommunen im Ausland. Auch Partnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Städten gibt es mehr als einhundert. Nordrhein-Westfalen unterhält allein 15, Bayern zwölf, Niedersachsen acht. Die älteste deutsch-chinesische Partnerschaft zwischen Bremen und Dalian existiert seit 1985.
Bis in die 2010er-Jahre überwog bei den Europäern das Vertrauen, dass es so weitergehen würde mit der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik – trotz Tiananmen, Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger und Verstößen gegen das geistige Eigentum deutscher Unternehmen.
Man akzeptierte nolens volens, dass die chinesische Gesellschaft zentralistisch organisiert war und die Kommunistische Partei das Sagen hatte, nicht die Provinz, schon gar nicht die Kommune, auch wenn es dort Spielräume für Eigeninitiative gab. Eins war klar: Nicht der Bürgermeister entscheidet in China, sondern der Parteisekretär.
Die zahllosen zivilgesellschaftlichen Begegnungen zwischen Deutschland und China, zwischen Bildungsinstitutionen, Kulturschaffenden, Sportverbänden oder Kommunen waren Wetten auf die Zukunft. Ein friedlicher chinesischer Aufstieg würde mehr Chancen bieten als Risiken – so die verbreitete Hoffnung.
Diese Hoffnung ist für die meisten gestorben. Vertrauen ist in Misstrauen umgeschlagen. China ist zu einer Großmacht geworden. Und vor allem: Es tritt auf wie eine Großmacht. Das macht Angst.
Präsident Xi Jinping hat seit seinem Amtsantritt eine stärker ideologisch und nationalistisch geprägte Politik entwickelt. Stabilität nach innen hat absoluten Vorrang, was zu noch mehr Repression geführt hat gegen Andersdenkende. Das macht auch den Spielraum zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit immer schwieriger.
Die chinesische Außenpolitik ist selbstbewusster, manche würden sagen, aggressiver geworden. Sie dient vor allem zwei Zielen: der nationalen Sicherheit und dem fortgesetzten Wachstum der chinesischen Wirtschaft.
Wirtschaftswachstum bleibt der Schlüssel für die Stabilität der chinesischen Gesellschaft. Denn eins hat sich nicht verändert: Die Chinesen akzeptieren ihre Führung, solange sie am Ende des Jahres mehr Geld im Portemonnaie haben als im Jahr zuvor. Doch dieser Gesellschaftsvertrag beginnt zu bröckeln. Die Führung weiß das und reagiert nervös. Strategien wie die neue Seidenstraße verfolgen vor allem das Ziel, durch Sicherung von Energien, Rohstoffen und neuen Absatzmärkten Wohlstand in China zu schaffen.
Aber sie dient natürlich auch dem Interesse Pekings, den Einfluss Chinas auszubauen. Das ist nicht illegitim, aber China geht dabei mit harten Bandagen vor. Das schafft Angst vor Abhängigkeiten. Gleichzeitig hat die nationale Sicherheit enorm an Bedeutung gewonnen.
Peking hat militärisch im letzten Jahrzehnt stark aufgerüstet, vor allem bei Luftwaffe und Marine. Die chinesischen Militärausgaben lagen 2022 bei 200 Milliarden Euro – deutlich unter dem Verteidigungshaushalt der USA von 700 Milliarden Euro, aber man muss davon ausgehen, dass weitere Positionen im chinesischen Haushalt versteckt sind.
Grund für die steigende Aufrüstung ist auch, aber nicht nur Taiwan. Die meisten Chinesen sehen die Insel als Teil der Volksrepublik, es ist vitales chinesisches Interesse – wie Tibet und Hongkong. Die Aufrüstung dient aber auch dem generellen Interesse Chinas, seine wachsende geopolitische Bedeutung im Pazifik zu projizieren.
China ist zu einer geopolitischen und geoökonomischen Macht geworden, zum einzigen wirklichen Gegenspieler der USA. In Washington gilt China inzwischen parteiübergreifend als größte Gefahr für die amerikanische Vorherrschaft, vor allem im Pazifik. Seit Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen und China diese Aggression nicht verurteilt, sondern sich eher prorussisch positioniert hat, läuten im Westen die Alarmglocken. Die jüngste Drohung Xi Jinpings, China werde die Wiedervereinigung mit Taiwan notfalls gewaltsam herbeiführen, hat reflexartig zu Parallelen zwischen Ukraine und Taiwan geführt. Das prägt den Diskurs über den richtigen Umgang mit China.
Europa folgt den USA, wenn auch behutsamer mit seiner Triade Partner-Wettbewerber-systemischer Rivale. Ursula von der Leyen hat Europas veränderte China-Strategie auf die Kurzformel gebracht: Wir wollen kein “De-coupling, wohl aber ein De-risking”, einen Abbau von Risiken, vor allem in sensitiven Bereichen. Es ist wachsender Konsens, dass ein Abkoppeln angesichts der enormen wirtschaftlichen Verflechtungen unsinnig, wenn nicht unmöglich wäre.
Was bedeutet all das jetzt für Kiel und seine Partnerschaft mit Qingdao?
Qingdao, damals Kiautschou, gehörte von 1898 bis 1919 als deutsche Kolonie zum deutschen Reich. Bis heute prägen zahlreiche “deutsche” Gebäude die mittlerweile moderne Millionenstadt: der Bahnhof, eine protestantische Kirche, vor allem aber die Tsingtao-Brauerei, wo bis heute Bier nach deutscher Brauart produziert wird.
Der malerische Hafen war 2008 Austragungsort der olympischen Segelwettbewerbe. Ich hatte die Ehre, die Athleten in der alten Residenz des Gouverneurs zu empfangen, als erster deutscher Vertreter seit Jahrzehnten. Olympiaerfahrene Kieler waren damals wichtige Berater bei der Planung der Regatten.
Im Jahr 2013 wurde in Qingdao das Projekt eines deutsch-chinesischen Ökoparks initiiert, der sechs Jahre später als deutsch-chinesische Eco-City zertifiziert wurde. Man könnte sagen, Qingdao ist aus vielen Gründen die “deutscheste” aller chinesischen Städte. Das qualifiziert sie ohne Zweifel als Partnerstadt.
Aber da ist auch eine andere Dimension der schönen Hafenstadt. Sie ist Stützpunkt der chinesischen U-Bootflotte und Zentrum der chinesischen Unterwasser-Seekriegsführung. Die Marine-U-Boot-Akademie zählt zu den wichtigsten Ausbildungseinrichtungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA), die Ocean University of Qingdao ist ein Spitzeninstitut der zivilen Unterwasserforschung. Sie kooperiert bereits seit langem mit dem Helmholtz Center for Ocean Research Kiel, Geomar.
Es ist nachvollziehbar, dass die Sorge artikuliert wird, Qingdao strebe die Städtepartnerschaft mit Kiel nicht aus dem hehren Ziel der Völkerverständigung an, sondern um militärisch relevante Informationen zu sammeln. Schließlich ist Kiel auf deutscher Seite ebenfalls Zentrum der U-Boot-Flotte, des U-Boot-Baus und der Untermeeresforschung.
Man könnte also leicht zu dem Schluss kommen, dass die geplante Städtepartnerschaft als trojanisches Pferd für chinesische Spionage missbraucht werden könnte. Doch ist das ein zwingender Grund, die Städtepartnerschaft abzulehnen? Ich meine: nein.
Wichtig ist es, an diese Entscheidung nüchtern und im Bewusstsein potenzieller Risiken heranzugehen. Die naive Vorstellung, es handele sich hier nur um einen zivilgesellschaftlichen Austausch, wäre absurd. In China ist alles dem Einparteienstaat untergeordnet.
Die Chinesen haben schon jetzt andere, wahrscheinlich bessere Möglichkeiten für Spionage und Geheimdienstaktivitäten. Sie brauchen dafür keine Städtepartnerschaft.
Demgegenüber ist gerade in Zeiten größer werdender Sprachlosigkeit zwischen unseren Gesellschaften zivilgesellschaftlicher Austausch wichtiger denn je. Gerade auch auf kommunaler Ebene. Die deutsche Demokratie braucht sich nicht vor systemischer Rivalität zu fürchten. Im Gegenteil. Wir können unser Modell durchaus selbstbewusst präsentieren.
Es obliegt den Organisatoren in Kiel, die “terms of reference” der Städtepartnerschaft zu formulieren. Der Schwerpunkt der Partnerschaft sollte wie auch sonst auf Sport- und Schüleraustausch, Kulturveranstaltungen und Bürgerbegegnungen liegen. Der Besuch militärischer Einrichtungen gehört sicher nicht dazu. Das wäre völlig unüblich. Qingdao würde das auf der anderen Seite niemals tun.
Kiel sollte sich China-Kenner ins Team holen, um die Partnerschaft mit Qingdao zu dem zu machen, was sie sein sollte: ein Rahmen zur Vertrauensbildung – bei aller gebotenen Vorsicht.
Michael Schaefer gilt als einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Vier Jahre lang vertrat er Deutschland in Genf in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Von 2002 bis 2007 war er politischer Direktor im Auswärtigen Amt. Von 2007 bis 2013 hat er Deutschland als Botschafter in Peking vertreten.