Table.Briefing: China

Urteil gegen Yang Hengjun ist Warnsignal + Provinzen erwarten geringeres Wachstum

Liebe Leserin, lieber Leser,

es war im Januar 2019, als Yang Hengjun mit Frau und Kind nach Guangzhou reiste. Seine Freunde warnten ihn, es nicht zu tun. Doch Yang war optimistisch: Er war doch längst australischer Staatsbürger. Klar, er hatte kritisch über Pekings Politik geschrieben. Aber seine Texte seien innerhalb Chinas doch gut von den Zensoren eingedämmt worden. Yang glaubte, er würde deswegen unter dem Radar laufen. Er hat sich getäuscht. Kurz nach seiner Ankunft verschwand er. Erst später wurde seine Festnahme bekannt.

Nun herrscht endgültig Klarheit: Yang Hengjun wurde zum Tode verurteilt. Marcel Grzanna schildert den gesamten Fall und zeigt, welches Signal Peking mit dem Urteil in die chinesische Diaspora weltweit senden will.

Ein gänzlich anderes Signal senden derzeit Chinas Provinzen aus. Chinas Wirtschaft schwächelt, eine Krise jagt die nächste – alle warten deshalb auf einen wirtschaftlichen Impuls aus Peking. Doch der scheint nicht zu kommen, wie Jörn Petring berichtet.

Seine Analyse lautet: Chinas Provinzen haben ihre Wachstumsziele für das laufende Jahr fast allesamt abgesenkt. Das deutet darauf hin, dass sie nicht mit einem großen Wachstumsimpuls aus Peking rechnen. Das Problem: Der Weg aus der Krise ist damit weiter unklar.  

Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf unseren heutigen Standpunkt hinweisen. Er bietet dieses Mal sehr persönliche und auch lehrreiche Einblicke. Eine junge Deutsch-Chinesin beschreibt ihr Leben zwischen negativen Stereotypen und den eigenen Bemühungen, allen Ansprüchen gerecht zu werden.  

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Analyse

Pekings Todesurteil gegen Australier Yang Hengjun sendet Warnsignal an alle Auslandschinesen

Australiens Regierungschef Anthony Albanese beim Staatbesuch im Januar in Peking an der Seite von Chinas Premierminister Li Qiang.
Australiens Regierungschef Anthony Albanese beim Staatbesuch im Januar in Peking an der Seite von Chinas Premierminister Li Qiang.

Eine ausländische Staatsbürgerschaft gilt unter vielen Chinesen als attraktive Option, um staatlichen Repressionen in der Volksrepublik zu entkommen. Ausreichenden Schutz vor den Übergriffen gewähren die neuen Papiere jedoch nur bedingt. Tragisches Beispiel ist der Publizist Yang Hengjun, den auch ein australischer Reisepass nicht vor einem harschen Gerichtsurteil bewahrt hat. Wie am Montag bekannt wurde, ist Yang wegen vermeintlicher Spionage zum Tode verurteilt worden.

Es gilt zwar als wahrscheinlich, dass die Strafe in den kommenden zwei Jahren in eine lebenslange Haft umgewandelt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass der Kritiker chinesischer Menschenrechtspolitik die Haft nie wieder lebend verlassen wird. Yangs körperlicher Zustand hat sich seit seiner Festnahme vor rund fünf Jahren dramatisch verschlechtert. Seine Familie teilte mit, dass der 58-Jährige gefoltert und über 300 Mal verhört worden sein soll. In diesen Verhören sollen die Ermittler Geständnisse erzwungen haben, die Yang nun schlimmstenfalls das Leben kosten.

Eingeschränkter Zugang zu Rechtsbeistand

Bis heute ist allerdings unklar, für wen Yang spioniert haben soll. Die Direktorin von Human Rights Watch Asia, Elaine Pearson, sagte der BBC, der Fall werfe eine Vielzahl von Bedenken hinsichtlich eines ordnungsgemäßen Verfahrens auf. Das Ergebnis sei “empörend”, erklärte sie. “Er hatte verzögerten und eingeschränkten Zugang zu einem Rechtsbeistand, einen Prozess hinter verschlossenen Türen – und Yang selbst hat Folter und erzwungene Geständnisse während seiner Verhöre angegeben.”

Immer wieder hat Australiens Regierung versucht, Details zu erfahren, was die Behörden dem Autor konkret vorwerfen. Bis zuletzt gab es darauf keine Antwort. Stattdessen bemühten die Sprecher des chinesischen Außenamtes die immer gleich lautende Formel, dass Yangs Anklage, Behandlung und Verfahren im Einklang mit dem Gesetz geschehen seien.

China droht mit absurden Anschuldigungen

Was Chinas Anschuldigungen zudem unglaubwürdig macht, ist Yangs Aktivismus als Demokratie-Verfechter. Als solcher stand Yang seit Jahren auf der schwarzen Liste der chinesischen Sicherheitsbehörden. Eine gute Tarnung für Spionagetätigkeiten ist das beileibe nicht. Im Gegenteil müssen Aktivisten jederzeit mit absurden Anschuldigungen rechnen und gehen deshalb nicht mehr Risiken ein, als sie das durch ihren Aktivismus ohnehin schon tun – auch wenn ausländische Staatsbürgerschaft ihnen vermeintliche Immunität gewähren.

“Das ist ein beunruhigendes Signal an die gesamte chinesische Diaspora der Welt”, sagte der in Australien lebende Künstler Badiucao dem Fernsehsender ProjectTV. Der Karikaturist, der in der Öffentlichkeit nur unter seinem Synonym bekannt ist, um seine Familie in China vor Repressionen durch den Staat zu schützen, forderte die australische Regierung, ihre Einladung zum Staatsbesuch für Chinas Präsident Xi Jinping auszusetzen. “Australien kann sich eine solche Behandlung seiner Staatsbürger nicht gefallen lassen“, sagte Badiucao.

“Peking tut, was ihm beliebt”

Schon in der Vergangenheit waren andere ausländische Kritiker des Regimes mit chinesischen Wurzeln in China verurteilt worden. Schlagzeilen machte vor allem der Fall des schwedischen Verlegers Gui Minhai, der bei einem Aufenthalt in Thailand nach China verschleppt worden war. Die offizielle chinesische Erzählung lautete, Gui habe sich freiwillig nach China abgesetzt, um sich den Behörden zu stellen, womit er auch auf konsularische Unterstützung von schwedischer Seite verzichtet hätte.

Michael Shoebridge von der Denkfabrik Strategic Analysis Australia sagte: “Die Tatsache, dass Yang Hengjun den Rest seines Lebens in einem grauenhaften Gefängnis verbringen muss, zeigt, wie wenig Mittel die australische Regierung zur Hand hat, und dass Peking tut, was ihm beliebt.”

Shoebridge hatte schon im November vergangenen Jahres prognostiziert, dass sein Land unter anderem mit auferlegtem Schweigen dafür zahlen müsse, dass Australiens Regierungschef Anthony Albanese im vergangenen Jahr zum Staatsbesuch nach China eingeladen worden war.

Kaum Handhabe für Canberra

Es war der erste Besuch eines australischen Premiers seit 2016. Danach hatten sich die Beziehungen beider Länder zusehends verschlechtert. Leidtragende waren vor allem australische Exporteure. Albanese konnte die Bilder aus Peking als vollen Erfolg seiner Außenpolitik darstellen. Danach, so Shoebridge, habe Australien immer weniger auf militärische Machtdemonstrationen aus Peking reagiert.

Nun bliebe Canberra in der Folge auch im Fall von Yang Hengjun keine Handhabe, als den chinesischen Botschafter zu einem Gespräch einzubestellen – ohne substanzielle Konsequenz für China. Dies sei das Ergebnis von Albaneses Strategie zur Gestaltung der Beziehungen zu China, beklagt Shoebridge. Bei dieser Strategie vertrete der Regierungschef den Grundsatz, “dass wir zusammenarbeiten, wo wir können, anderer Meinung sind, wo es nötig ist, aber in unserem nationalen Interesse handeln”.

Ausdruck für die unsichere Rechtslage

Das Urteil gegen Yang Hengjun ist Ausdruck für die unsichere Rechtslage in der größten Diktatur der Welt. Im Mai 2021 war ihm unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gemacht worden. Über seinen Anwalt drang nach draußen, dass er das Gericht vergeblich gebeten hatte, seine geständigen Aussagen zu revidieren, weil sie unter Folter zustande gekommen waren. Weder seien Zeugen verhört worden, die Verteidigung zu Wort kommen lassen wollte, noch seien Beweise zu seinen Gunsten vom Gericht akzeptiert worden.

Yang hatte sich mit seinen Veröffentlichungen den Beinamen “Hausierer der Demokratie” erworben. Er kritisierte die Menschenrechtssituation in China, hielt sich mit Frontalangriffen auf die Regierung jedoch zurück. 2011 war er am Rande eines Besuchs seiner Familie bereits einmal für wenige Tage in China inhaftiert worden, kam aber kurzer Zeit wieder frei.

Publikationen wurden ihm zum Verhängnis

Vor seiner Reise 2019 hatten ihn Freunde gewarnt, in die Volksrepublik zurückzukehren. Er sei jedoch optimistisch gewesen, dass er unversehrt zurückkehren würde. Yang hatte argumentiert, seine Texte seien innerhalb Chinas gut von den Zensoren abgeschirmt. Er würde deswegen unter dem Radar laufen. Er und seine Frau wurden aber festgenommen. Während seine Frau nach kurzer Zeit das Land verlassen durfte, wurden Yang Hengjun seine Publikationen zum Verhängnis.

Erst vor wenigen Wochen war dagegen die australische Journalistin Cheng Lei nach drei Jahren Haft in China freigelassen worden. Auch ihr hatten die Behörden Spionage vorgeworfen und sie in einem nicht öffentlichen Prozess verurteilt. Im Zuge der australisch-chinesischen Annäherung im November kam sie jedoch frei und durfte ausreisen.

  • Justiz
  • Menschenrechte
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Hoffnung auf großes Konjunkturpaket aus Peking schwindet: Provinzen reduzieren Wachstumsziele  

Tibet setzt sich das höchste Wachstumsziel von Chinas Provinzen. Erreichen will man das auch mit Inlandstourismus, wie hier nach Lhasa.

Die neuen Wachstumsziele der chinesischen Provinzen deuten nicht darauf hin, dass Peking der Wirtschaft mit einem großen Konjunkturpaket unter die Arme greifen wird. Wie das Wirtschaftsmagazin Caixin berichtethat sich mehr als die Hälfte der Provinzen ein niedrigeres Wachstumsziel als 2023 gesetzt.

Für das gesamte Land wird das Ziel wie üblich erst zu Beginn des Volkskongresses am 5. März bekannt gegeben. Die Provinzen müssen ihre Planung jedoch schon vorher festlegen. Laut dem Caixin-Bericht sind sie in diesem Jahr besonders zurückhaltend, nachdem viele im Vorjahr zu optimistisch waren und ihre Ziele verfehlt hatten.

Viele Provinzen haben ihre Ziele verfehlt

Besonders schlecht schnitt Heilongjiang im Nordosten Chinas ab, das im vergangenen Jahr nur ein Wachstum von 2,6 Prozent erreichte, sich aber ein Ziel von rund sechs Prozent gesetzt hatte. Jiangxi erreichte ein Wachstum von 4,1 Prozent gegenüber einem Ziel von rund sieben Prozent. Auch Henan verfehlte sein Ziel deutlich um 1,9 Prozentpunkte. Selbst Shanghai, das bereits im Vorjahr hinter den selbst gesteckten Zielen zurückgeblieben war, wuchs mit fünf Prozent rund einen halben Prozentpunkt langsamer als erwartet. 

Die Mehrheit hat sich nun deutlich niedrigere Ziele gesetzt: 

  • Nur vier Provinzen haben ihr Ziel gegenüber dem Vorjahr erhöht
  •  Elf Provinzen haben sich ein ähnliches Wachstumsziel wie im Vorjahr gesetzt 
  • 16 Provinzen haben ihr Ziel deutlich gesenkt. 
  • Am unteren Ende der Erwartungen liegt Tianjin, das sich für dieses Jahr ein Ziel von 4,5 Prozent gesetzt hat. Dagegen wollen Hainan und Tibet mit rund acht Prozent besonders stark zulegen. 

Kein großes Wirtschaftspaket aus Peking

Zwar gibt es traditionell erhebliche Zweifel an der Verlässlichkeit der chinesischen Wachstumszahlen. Dennoch lassen die Angaben der Provinzen gewisse Rückschlüsse auf die Entwicklung in diesem Jahr zu.

Während in der Vergangenheit hohe Wachstumsziele oft als Vorboten umfangreicher staatlicher Interventionen und Anreize interpretiert werden konnten, deuten die aktuellen Ziele auf eine andere Strategie hin. Wirtschaftlich stärkere Regionen wie Peking und Zhejiang haben zwar ihre Ziele leicht nach oben verändert. Doch dabei scheint es sich eher um eine Feinabstimmung als den Auftakt zu einer großangelegten Stimulierung der Wirtschaft zu handeln. 

Provinzen sind geschwächt

Peking dürfte also trotz der Schwierigkeiten wie Immobilienflaute, Schuldenprobleme der Lokalregierungen und schwacher Nachfrage am bisherigen Kurs festhalten. Sektoren, die als neue Wachstumsmotoren der Wirtschaft identifiziert wurden, wie erneuerbare Energien und Zukunfts-Technologien im Allgemeinen, dürften zwar weiterhin stark gefördert werden. Eine Rettung der Wirtschaft mit der Gießkanne ist aber nicht zu erwarten. 

Selbst wenn sie wollten, seien vielen Lokalregierungen bei Konjunkturhilfen die Hände gebunden, meint Bruce Pang, Chefvolkswirt beim Makler Jones Lang Lasalle. Ihre Fähigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, sei geschwächt, weil sie wegen der Immobilienkrise deutlich weniger Einnahmen aus Grundstücksverkäufen erzielen könnten, so Pang gegenüber Reuters.

Wachstumsziel um fünf Prozent erwartet

Nach verfehlten Zielen im Vorjahr sei die Planung nun “zurückhaltender und realistischer“, sagte Wang Jun, Chefökonom bei Huatai Asset Management. Vor allem Provinzen mit einer hohen Schuldenlast hätten ihre Wachstumsziele gesenkt.

Mehrere regierungsnahe Ökonomen hatten zuletzt prognostiziert, dass im März wie im Vorjahr ein Wachstumsziel von rund fünf Prozent festlegen dürfte. In diese Richtung hatte sich beispielsweise Liu Yuanchun, Präsident der Shanghai University of Finance & Economics, geäußert. Der ehemalige Berater der People’s Bank of China, Yu Yongding, empfahl in einer Rede im Januar ein ähnliches Ziel.

  • Handel
  • Tibet
  • Wirtschaft

News

Steinmeier bricht zu strategischer Reise in die Mongolei auf

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist von Dienstag bis Donnerstag zum Staatsbesuch in die Mongolei. Offizieller Anlass ist das Jubiläum zu 50 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen der Mongolei und der Bundesrepublik. Fast auf den Tag genau, am 31.01.1974 vereinbarten Bonn und Ulaanbaatar die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

Doch Steinmeiers Reise besitzt auch einen starken geopolitischen Impuls. Durch seinen Besuch will das deutsche Staatsoberhaupt einerseits die Stellung der Mongolei zwischen seinen großen Nachbarstaaten China und Russland stärken. Andererseits will Steinmeier damit die deutschen Bemühungen um eine außenpolitische Diversifizierung unterstützen: Deutschland will Abhängigkeiten von China und Russland reduzieren. Es ist Steinmeiers sechste Reise nach Asien in seiner zweiten Amtszeit. rad 

  • Energie
  • Geopolitik
  • Handel
  • Russland

Zu wenig KI-Chips: Huawei drosselt Smartphone-Fertigung

Wegen der hohen Nachfrage nach Spezialchips für Künstliche Intelligenz (KI) und Fertigungsproblemen muss Huawei Insidern zufolge seine Smartphone-Produktion drosseln. Der Ertrag der Anlagen, in der diese Prozessoren gefertigt würden, sei zu gering, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Das Unternehmen wollte sich zu diesem Thema nicht äußern.

Wegen der US-Exportbeschränkungen für Hochtechnologie pumpen chinesische Firmen verstärkt Geld in die Entwicklung eigener Halbleiter. Huawei will mit “Ascend AI” dem Weltmarktführer bei KI-Spezialchips, Nvidia, Marktanteile abjagen. Parallel dazu stellte der Konzern vor einigen Monaten sein neues Smartphone “Mate 60” vor, in dem der selbst hergestellte Chip “Kirin” verbaut ist. Experten zufolge ist Huaweis Topmodell den iPhones von Apple technisch ebenbürtig.

Die Folge des China-Engpasses: Im Internet beschweren sich Interessenten über monatelange Wartezeiten bis zur Auslieferung eines “Mate 60”. In Geschäften und Online-Shops sind keine Geräte vorrätig.

Huawei gibt bislang wenig Informationen zum technologischen Stand der Chip-Fertigung oder zu Produktionszielen preis. Der KI-Prozessor “Ascend 910B” gilt als der leistungsstärkste Nicht-Nvidia-Chip, der in China erhältlich ist. Analysten vermuten, dass Huawei und der Auftragsfertiger SMIC ältere Maschinen zur Halbleiter-Produktion modifiziert haben könnten, um leistungsfähigere Prozessoren herzustellen. Dies macht die Fertigung aufwändiger und produziert vermutlich mehr Ausschuss.

Wegen des US-Embargos haben chinesische Firmen keinen Zugriff auf die neueste Generation von Chip-Lithografiemaschinen, die vom niederländischen Weltmarktführer ASML stammen. flee/rtr

  • Digitalisierung
  • Geopolitik
  • Technologie

Aufsichtsbehörde genehmigt Joint Venture von Mercedes-Benz und BMW

Chinas staatliche Marktregulierungsbehörde hat dem Joint Venture von den Autobauern Mercedes-Benz und BMW zugestimmt. Die Unternehmen hatten schon im November vergangenen Jahres angekündigt, in China im Jahr 2024 ein gemeinsames Netz an Schnellladestationen für Elektroautos aufbauen zu wollen.

Bis Ende 2026 sind nach Angaben der Unternehmen landesweit mindestens 1.000 öffentliche Stationen mit etwa 7.000 Ladepunkten geplant, die allen Fahrzeugmarken zur Verfügung stehen werden. flee/rtr

  • Autoindustrie
  • Handel

EU-Kommission will Solarbranche nicht helfen

Die EU-Kommission hat dem Hilferuf der europäischen Solarbranche gegen Preisdruck aus China zunächst eine Absage erteilt. Die EU müsse für den grünen Wandel weiterhin Zugriff auf erschwingliche Solarmodule haben, erklärte Finanzkommissarin Mairead McGuinness am Montag im Plenum des Europaparlaments in Straßburg “Jede mögliche Maßnahme muss gegen die Ziele abgewogen werden, die wir uns bei der Energiewende gesetzt haben”, sagte McGuinness.

Die Versorgung des EU-Marktes sei stark von Importen abhängig, räumte die EU-Kommissarin ein. Es werde vor allem aus China importiert. Der Preisverfall sei “eine Chance für Bürger und Solarmodul-Installateure”, und eine “Herausforderung für EU-Solarmodul-Hersteller”, sagte McGuinness. Gegen unfaire Handelspraktiken wie Dumping verfüge die EU über Instrumente.

Warnung vor Chinas Dominanz

Die EU-Parlamentarier reagierten unzufrieden auf die Rede der EU-Kommissarin und warnten vor einer chinesischen Dominanz in der Solarbranche. Einige der EU-Abgeordneten wie Engin Eroglu (Freie Wähler) warfen der Kommission vor, das Problem zu unterschätzen. Grünen-Europapolitikerin Henrike Hahn forderte, dass sich die EU-Kommission an die Seite europäischer Firmen stellen müsse.

Europäische Hersteller von Solarmodulen hatten die EU vergangene Woche zu Sofortmaßnahmen aufgefordert, damit lokale Firmen nicht unter dem Preisdruck chinesischer Importe schließen müssen. “In den nächsten vier bis acht Wochen werden die wichtigsten EU-Hersteller von PV-Modulen und ihre europäischen Zulieferer ihre Produktionslinien stilllegen, wenn nicht umgehend substanzielle Notfallmaßnahmen ergriffen werden”, heißt es in dem Schreiben des Branchenverbandes European Solar Manufacturing Council (ESMC) an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ohne schnelle Hilfe laufe die EU Gefahr, in kürzester Zeit mehr als die Hälfte ihrer Produktionskapazitäten für Photovoltaikmodule zu verlieren

Die europäische Solarindustrie ist seit dem Sommer durch einen Preissturz stark unter Druck geraten, ausgelöst vor allem durch eine Flut günstiger Solarmodule aus Chinaari

  • Erneuerbare Energien
  • EU

Presseschau

Wie China und Russland den Westen im Handel mit Afrika ausstechen TELEPOLIS
Industriepolitische Weichenstellung: Mit “grünem Zwilling” schützt die EU ihre Wirtschaft vor USA und China FOCUS
With the US looking elsewhere, Uzbekistan and China quietly cement a regional alliance THE HILL
Donald Trump macht unheilvolle Ankündigung: Nach seinem Wahlsieg wird er Handelskrieg mit China führen FR
Chinas erstaunliche E-Auto-Erfolge in Südamerika WELT
China vermeldet Geschwindigkeitsrekord bei Hyperloop-Zug FUTUREZONE
Milliarden-Zwangsverkäufe an Chinas Börsen erwartet N-TV
China’s Moms and Dads Aren’t Buying Stocks. They Can’t Afford More Losses BARRONS
Investors dig into India’s stock market as China flounders, discount risks REUTERS
China targets margin loans, short selling to help stabilise stocks CHANNEL NEWS ASIA
China Tightens Some Trading Restrictions for Domestic and Offshore Investors BLOOMBERG
‘All is not well’ in China’s economy, Rhodium Group report warns, slamming Beijing’s lack of structural reform SCMP
China ‘Targets’ India In Its Latest Military Venture; Works On ‘007 Drones’ To Fight Indian Army At LAC EURASIAN TIMES
Todesstrafe für Australier in China: Außenministerin Penny Wong ist entsetzt TAZ

Standpunkt

Als Deutsch-Chinesin will ich kein Doppelleben mehr führen

Von Ziyi Huang
Ziyi Huang kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Noch immer fühlt sie sich oft zwischen den Stühlen.

Es wurde schon früh zu meiner Aufgabe, zwischen zwei Welten zu übersetzen. Ich kam mit zehn Jahren aus Shanghai nach Berlin. Seit damals war dieser Auftrag da: Du musst beide Sprachen sprechen, beide Kulturen verstehen. Du wirst ein Mittler zwischen den Welten sein. Das war das Ideal. Es passte auch in den Zeitgeist der 1980er- und 1990er-Jahre in China. Man wollte “raus in die Welt”, sich zeigen, sich präsentieren. Die Menschen da draußen sollten China verstehen, nach dem Motto: Zou Xiang Guo Ji – “etwas auf die internationale Bühne bringen”. Umgekehrt bedeutete das aber auch: Nur was international anerkannt wird, hatte in China einen Wert.

In den Sommerferien war ich noch oft in China und dort fragte man mich: Wie ist es denn so in Deutschland? Ohne dass man es mir sagen musste, merkte sogar ich, dass ich mich veränderte, anders sprach und begann mich zu bestimmten Dingen anders zu äußern. Mein Vater, der in China geblieben war, war davon irritiert und nannte mich lange – auch noch heute – seine Liuxuesheng – “seine Auslandsstudentin”. Er sagte damals aber auch: Wo der Boden fruchtbarer ist, soll man die Pflanze hinbringen.

China – der gesamte Osten – war in meiner Kindheit in Deutschland gefühlt noch sehr fremd und fern. In der Grundschule im Berliner Stadtteil Wedding gab es viele Kinder mit Migrationshintergrund. Deshalb hatten die Lehrer wohl auch nie Probleme damit, sich meinen Namen zu merken. Einmal sagte ein Mitschüler, ein Junge aus Jugoslawien zu mir: Ah, du kommst aus China, das ist ja ein total reiches Land! Woraufhin die Lehrerin fragte: Wie kommst du denn darauf, dass China ein reiches Land ist? Und er antwortete: Na, überall steht “Made in China” drauf. Das ist mir im Gedächtnis geblieben. So konnte man meine Herkunft also auch sehen: Positiv.

In China wurde mir “westliches Denken” vorgeworfen

Das Bedürfnis, als Deutsche und als Chinesin gesehen zu werden, kam erst später. In der Oberstufe fragte mich mein Erdkundelehrer oft nach China. Da nahmen wir gerade den Bau des Drei-Schluchten-Damms und seine negativen Auswirkungen durch. Da waren dann immer wieder Menschenrechte das Thema. Oder Pressefreiheit. Oder Chinas Wirtschaftswachstum. Das hat dazu geführt, dass ich mich selbst immer mehr zu diesen Themen bilden musste, um etwas antworten zu können. Ich hatte das Gefühl, ich müsste die Vorzeige-Chinesin sein. In jeder Lebenssituation wollte ich dem vorherrschenden negativen Bild der Chinesen, mit dem man mich konfrontierte, entgegenwirken.

Ich habe mich damals auch mehr mit Auslandsstudenten aus China unterhalten. Die habe ich oft herausgefordert. Wenn sie etwa sagten, die Ein-Kind-Politik habe dazu geführt, dass Frauen einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft haben, habe ich ihnen die negativen Nebeneffekte aufgezeigt. Das war die Perspektive, die ich gewohnt war: Dinge zu hinterfragen und nach Erklärungen zu suchen. Diesen Satz bekam ich oft von den chinesischen Studierenden zu hören: China ist eben ein Land, das Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Den habe ich zeitweilig übernommen – in meinen Unterhaltungen mit Deutschen über China. Ich denke, viele Sinologen kennen diese Phrase.

Ob ich mich als Deutsch-Chinesin empfinde, entscheidet sich heute von Fall zu Fall. Gerade in Partnerschaften war es oft schwer. Da hatte ich oft den Druck, mich erklären zu müssen. Obwohl es um Personen ging, von denen ich mir gewünscht hätte, dass ich mich nicht erklären muss, sondern einfach so gesehen und respektiert werden würde, wie ich bin. Ein Partner suchte bestimmte Verhaltensweisen auf meine Herkunft zurückzuführen. So etwas habe ich andersrum nie gemacht: Einem Partner erklärt, du handelst so und so, weil du Deutsch bist. Umgekehrt wurde mir in meiner Familie in China “westliches Denken” vorgeworfen, vor allem auch in partnerschaftlichen Dingen: Dass ich Ich-bezogen sei. Zu individualistisch.

Ich fühle mich oft, als käme ich nie irgendwo an

Auch für Menschen aus China scheint es einfacher zu sein, Anteile von mir, die sie befremdlich finden, als “Deutsch” abzustempeln. Mittlerweile erlauben es sich manche Menschen aus meinem Umfeld in China sogar zu behaupten, dass es ein Fehler gewesen sei, dass ich nach Deutschland ausgewandert bin. Sie sagen, dass China auch ein gutes Land sei, wo man gut aufwachsen kann. Wenn ich heute meine alte Heimat Shanghai besuche, fühlt es sich gut an, Freunde und Familie wiederzusehen. Ich habe auch in Erwägung gezogen, China nochmal eine Chance zu geben und dort zu leben. Es gibt aber viele Dinge, die mich an der chinesischen Gesellschaft stören. Ich fühle mich dort nicht frei als Person. Manche chinesische Freunde sagen, ich sei zu anspruchsvoll und zu sensibel, zum Beispiel wenn ich mich über die vielen kommunistischen Parolen aufrege. Das müsse man nicht so ernst nehmen. Aber ich will meine Empfindsamkeit für so etwa gar nicht verlieren. Die ist ein Teil von mir, den ich mag.

Ich fühle mich oft, als wäre ich ständig auf einer Reise, als käme ich nie irgendwo an. Dabei bin ich seit meinem 10. Lebensjahr nicht wirklich aus Berlin weggezogen. Integration ist ein schwieriges Wort. Leute, die aggressiv Integration fordern, aber auch solche, die mir Komplimente machen, indem sie sagen, Du bist aber gut integriert, müssen verstehen, dass die meisten Menschen ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Dass sie nicht aus Abenteuerlust ins Exil gegangen sind. Man wird nicht freiwillig zum Bürger und zur Bürgerin zweiter Klasse. Man setzt sich nicht freiwillig Alltagsrassismus aus. Die Notwendigkeit, warum meine Mutter mit mir China verlassen wollte, habe ich erst später verstanden. Man will eben das Beste für sich und seine Kinder.

Kein Doppelleben mehr

Das sollten Menschen im Hinterkopf haben, wenn sie Sätze fragen wie “Wo kommst du eigentlich her?” Denn diese Frage lässt vieles hochkommen: Zum einen: Warum interessiert dich das? Was würde das über mich aussagen, wenn ich antworte, dass ich aus China komme? Auf welcher Ebene möchte sich der Mensch durch diese Frage mit mir verbinden? Mit welcher Assoziation mit China werde ich konfrontiert und was macht das dann aus mir in der Wahrnehmung der fragenden Person? Geht es um das China des Poeten Li Bai oder um das von Mao oder um sonst ein anderes?

Heute denke ich: Ich will kein Doppelleben mehr führen. Ich habe doch keinen Bildungsauftrag. Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich habe Gründe dafür, dass ich so bin wie ich bin. Aber diese Gründe liegen darin, dass ich mir bestimmte Dinge genau angeschaut habe, und nicht daran, ob etwas typisch Chinesisch oder typisch Deutsch ist. Menschen, die emphatisch sind – und Empathie ist eine grundlegende menschliche Eigenschaft – sollten das verstehen können. Aufgezeichnet von Fabian Peltsch

Ziyi Huang geboren im Jahr des Hasen, lebt in Berlin seit 1997.

  • Ein-Kind-Politik
  • Gesellschaft

Personalien

Liu Weibing wechselt aus dem Präsidentenamt von Xiaomi China zur Leitung der gesamten Mobilsparte und übernimmt damit auch die Präsentationen bei großen Smartphone-Neueinführungen. Er tritt als Leiter der Marke Redmi zurück und übergibt den Posten an Wang Teng Thomas. Xiaomis CEO Lei Jun will mit der Umstrukturierung der Führungsriege den Schwerpunkt des Unternehmens weiter auf die Stärkung des Geschäfts mit Elektrofahrzeugen verschieben.

Vishal Sharma, bisher CEO Greater China des Logistikunternehmens DB Schenker, wird zum CEO für die Asien-Pazifik-Region befördert. Er folgt Niklas Wilmking nach. Sharma führt das China-Geschäft seit 2021. Zuvor hatte Sharma verschiedene Managementpositionen im Logistiksektor inne, darunter bei Maersk oder Damco in Indien.

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Dessert

Countdown zum Jahr des Drachen: Vor der Ahnenhalle der Familie Zhou im Dorf Fengjiangzhou in der ostchinesischen Provinz Zhejiang wird ein Drache für den Laternentanz gesegnet. Am Samstag beginnt dann offiziell das Jahr des Holz-Drachen. Er löst den Wasser-Hasen ab.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es war im Januar 2019, als Yang Hengjun mit Frau und Kind nach Guangzhou reiste. Seine Freunde warnten ihn, es nicht zu tun. Doch Yang war optimistisch: Er war doch längst australischer Staatsbürger. Klar, er hatte kritisch über Pekings Politik geschrieben. Aber seine Texte seien innerhalb Chinas doch gut von den Zensoren eingedämmt worden. Yang glaubte, er würde deswegen unter dem Radar laufen. Er hat sich getäuscht. Kurz nach seiner Ankunft verschwand er. Erst später wurde seine Festnahme bekannt.

    Nun herrscht endgültig Klarheit: Yang Hengjun wurde zum Tode verurteilt. Marcel Grzanna schildert den gesamten Fall und zeigt, welches Signal Peking mit dem Urteil in die chinesische Diaspora weltweit senden will.

    Ein gänzlich anderes Signal senden derzeit Chinas Provinzen aus. Chinas Wirtschaft schwächelt, eine Krise jagt die nächste – alle warten deshalb auf einen wirtschaftlichen Impuls aus Peking. Doch der scheint nicht zu kommen, wie Jörn Petring berichtet.

    Seine Analyse lautet: Chinas Provinzen haben ihre Wachstumsziele für das laufende Jahr fast allesamt abgesenkt. Das deutet darauf hin, dass sie nicht mit einem großen Wachstumsimpuls aus Peking rechnen. Das Problem: Der Weg aus der Krise ist damit weiter unklar.  

    Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf unseren heutigen Standpunkt hinweisen. Er bietet dieses Mal sehr persönliche und auch lehrreiche Einblicke. Eine junge Deutsch-Chinesin beschreibt ihr Leben zwischen negativen Stereotypen und den eigenen Bemühungen, allen Ansprüchen gerecht zu werden.  

    Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Analyse

    Pekings Todesurteil gegen Australier Yang Hengjun sendet Warnsignal an alle Auslandschinesen

    Australiens Regierungschef Anthony Albanese beim Staatbesuch im Januar in Peking an der Seite von Chinas Premierminister Li Qiang.
    Australiens Regierungschef Anthony Albanese beim Staatbesuch im Januar in Peking an der Seite von Chinas Premierminister Li Qiang.

    Eine ausländische Staatsbürgerschaft gilt unter vielen Chinesen als attraktive Option, um staatlichen Repressionen in der Volksrepublik zu entkommen. Ausreichenden Schutz vor den Übergriffen gewähren die neuen Papiere jedoch nur bedingt. Tragisches Beispiel ist der Publizist Yang Hengjun, den auch ein australischer Reisepass nicht vor einem harschen Gerichtsurteil bewahrt hat. Wie am Montag bekannt wurde, ist Yang wegen vermeintlicher Spionage zum Tode verurteilt worden.

    Es gilt zwar als wahrscheinlich, dass die Strafe in den kommenden zwei Jahren in eine lebenslange Haft umgewandelt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass der Kritiker chinesischer Menschenrechtspolitik die Haft nie wieder lebend verlassen wird. Yangs körperlicher Zustand hat sich seit seiner Festnahme vor rund fünf Jahren dramatisch verschlechtert. Seine Familie teilte mit, dass der 58-Jährige gefoltert und über 300 Mal verhört worden sein soll. In diesen Verhören sollen die Ermittler Geständnisse erzwungen haben, die Yang nun schlimmstenfalls das Leben kosten.

    Eingeschränkter Zugang zu Rechtsbeistand

    Bis heute ist allerdings unklar, für wen Yang spioniert haben soll. Die Direktorin von Human Rights Watch Asia, Elaine Pearson, sagte der BBC, der Fall werfe eine Vielzahl von Bedenken hinsichtlich eines ordnungsgemäßen Verfahrens auf. Das Ergebnis sei “empörend”, erklärte sie. “Er hatte verzögerten und eingeschränkten Zugang zu einem Rechtsbeistand, einen Prozess hinter verschlossenen Türen – und Yang selbst hat Folter und erzwungene Geständnisse während seiner Verhöre angegeben.”

    Immer wieder hat Australiens Regierung versucht, Details zu erfahren, was die Behörden dem Autor konkret vorwerfen. Bis zuletzt gab es darauf keine Antwort. Stattdessen bemühten die Sprecher des chinesischen Außenamtes die immer gleich lautende Formel, dass Yangs Anklage, Behandlung und Verfahren im Einklang mit dem Gesetz geschehen seien.

    China droht mit absurden Anschuldigungen

    Was Chinas Anschuldigungen zudem unglaubwürdig macht, ist Yangs Aktivismus als Demokratie-Verfechter. Als solcher stand Yang seit Jahren auf der schwarzen Liste der chinesischen Sicherheitsbehörden. Eine gute Tarnung für Spionagetätigkeiten ist das beileibe nicht. Im Gegenteil müssen Aktivisten jederzeit mit absurden Anschuldigungen rechnen und gehen deshalb nicht mehr Risiken ein, als sie das durch ihren Aktivismus ohnehin schon tun – auch wenn ausländische Staatsbürgerschaft ihnen vermeintliche Immunität gewähren.

    “Das ist ein beunruhigendes Signal an die gesamte chinesische Diaspora der Welt”, sagte der in Australien lebende Künstler Badiucao dem Fernsehsender ProjectTV. Der Karikaturist, der in der Öffentlichkeit nur unter seinem Synonym bekannt ist, um seine Familie in China vor Repressionen durch den Staat zu schützen, forderte die australische Regierung, ihre Einladung zum Staatsbesuch für Chinas Präsident Xi Jinping auszusetzen. “Australien kann sich eine solche Behandlung seiner Staatsbürger nicht gefallen lassen“, sagte Badiucao.

    “Peking tut, was ihm beliebt”

    Schon in der Vergangenheit waren andere ausländische Kritiker des Regimes mit chinesischen Wurzeln in China verurteilt worden. Schlagzeilen machte vor allem der Fall des schwedischen Verlegers Gui Minhai, der bei einem Aufenthalt in Thailand nach China verschleppt worden war. Die offizielle chinesische Erzählung lautete, Gui habe sich freiwillig nach China abgesetzt, um sich den Behörden zu stellen, womit er auch auf konsularische Unterstützung von schwedischer Seite verzichtet hätte.

    Michael Shoebridge von der Denkfabrik Strategic Analysis Australia sagte: “Die Tatsache, dass Yang Hengjun den Rest seines Lebens in einem grauenhaften Gefängnis verbringen muss, zeigt, wie wenig Mittel die australische Regierung zur Hand hat, und dass Peking tut, was ihm beliebt.”

    Shoebridge hatte schon im November vergangenen Jahres prognostiziert, dass sein Land unter anderem mit auferlegtem Schweigen dafür zahlen müsse, dass Australiens Regierungschef Anthony Albanese im vergangenen Jahr zum Staatsbesuch nach China eingeladen worden war.

    Kaum Handhabe für Canberra

    Es war der erste Besuch eines australischen Premiers seit 2016. Danach hatten sich die Beziehungen beider Länder zusehends verschlechtert. Leidtragende waren vor allem australische Exporteure. Albanese konnte die Bilder aus Peking als vollen Erfolg seiner Außenpolitik darstellen. Danach, so Shoebridge, habe Australien immer weniger auf militärische Machtdemonstrationen aus Peking reagiert.

    Nun bliebe Canberra in der Folge auch im Fall von Yang Hengjun keine Handhabe, als den chinesischen Botschafter zu einem Gespräch einzubestellen – ohne substanzielle Konsequenz für China. Dies sei das Ergebnis von Albaneses Strategie zur Gestaltung der Beziehungen zu China, beklagt Shoebridge. Bei dieser Strategie vertrete der Regierungschef den Grundsatz, “dass wir zusammenarbeiten, wo wir können, anderer Meinung sind, wo es nötig ist, aber in unserem nationalen Interesse handeln”.

    Ausdruck für die unsichere Rechtslage

    Das Urteil gegen Yang Hengjun ist Ausdruck für die unsichere Rechtslage in der größten Diktatur der Welt. Im Mai 2021 war ihm unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gemacht worden. Über seinen Anwalt drang nach draußen, dass er das Gericht vergeblich gebeten hatte, seine geständigen Aussagen zu revidieren, weil sie unter Folter zustande gekommen waren. Weder seien Zeugen verhört worden, die Verteidigung zu Wort kommen lassen wollte, noch seien Beweise zu seinen Gunsten vom Gericht akzeptiert worden.

    Yang hatte sich mit seinen Veröffentlichungen den Beinamen “Hausierer der Demokratie” erworben. Er kritisierte die Menschenrechtssituation in China, hielt sich mit Frontalangriffen auf die Regierung jedoch zurück. 2011 war er am Rande eines Besuchs seiner Familie bereits einmal für wenige Tage in China inhaftiert worden, kam aber kurzer Zeit wieder frei.

    Publikationen wurden ihm zum Verhängnis

    Vor seiner Reise 2019 hatten ihn Freunde gewarnt, in die Volksrepublik zurückzukehren. Er sei jedoch optimistisch gewesen, dass er unversehrt zurückkehren würde. Yang hatte argumentiert, seine Texte seien innerhalb Chinas gut von den Zensoren abgeschirmt. Er würde deswegen unter dem Radar laufen. Er und seine Frau wurden aber festgenommen. Während seine Frau nach kurzer Zeit das Land verlassen durfte, wurden Yang Hengjun seine Publikationen zum Verhängnis.

    Erst vor wenigen Wochen war dagegen die australische Journalistin Cheng Lei nach drei Jahren Haft in China freigelassen worden. Auch ihr hatten die Behörden Spionage vorgeworfen und sie in einem nicht öffentlichen Prozess verurteilt. Im Zuge der australisch-chinesischen Annäherung im November kam sie jedoch frei und durfte ausreisen.

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    Hoffnung auf großes Konjunkturpaket aus Peking schwindet: Provinzen reduzieren Wachstumsziele  

    Tibet setzt sich das höchste Wachstumsziel von Chinas Provinzen. Erreichen will man das auch mit Inlandstourismus, wie hier nach Lhasa.

    Die neuen Wachstumsziele der chinesischen Provinzen deuten nicht darauf hin, dass Peking der Wirtschaft mit einem großen Konjunkturpaket unter die Arme greifen wird. Wie das Wirtschaftsmagazin Caixin berichtethat sich mehr als die Hälfte der Provinzen ein niedrigeres Wachstumsziel als 2023 gesetzt.

    Für das gesamte Land wird das Ziel wie üblich erst zu Beginn des Volkskongresses am 5. März bekannt gegeben. Die Provinzen müssen ihre Planung jedoch schon vorher festlegen. Laut dem Caixin-Bericht sind sie in diesem Jahr besonders zurückhaltend, nachdem viele im Vorjahr zu optimistisch waren und ihre Ziele verfehlt hatten.

    Viele Provinzen haben ihre Ziele verfehlt

    Besonders schlecht schnitt Heilongjiang im Nordosten Chinas ab, das im vergangenen Jahr nur ein Wachstum von 2,6 Prozent erreichte, sich aber ein Ziel von rund sechs Prozent gesetzt hatte. Jiangxi erreichte ein Wachstum von 4,1 Prozent gegenüber einem Ziel von rund sieben Prozent. Auch Henan verfehlte sein Ziel deutlich um 1,9 Prozentpunkte. Selbst Shanghai, das bereits im Vorjahr hinter den selbst gesteckten Zielen zurückgeblieben war, wuchs mit fünf Prozent rund einen halben Prozentpunkt langsamer als erwartet. 

    Die Mehrheit hat sich nun deutlich niedrigere Ziele gesetzt: 

    • Nur vier Provinzen haben ihr Ziel gegenüber dem Vorjahr erhöht
    •  Elf Provinzen haben sich ein ähnliches Wachstumsziel wie im Vorjahr gesetzt 
    • 16 Provinzen haben ihr Ziel deutlich gesenkt. 
    • Am unteren Ende der Erwartungen liegt Tianjin, das sich für dieses Jahr ein Ziel von 4,5 Prozent gesetzt hat. Dagegen wollen Hainan und Tibet mit rund acht Prozent besonders stark zulegen. 

    Kein großes Wirtschaftspaket aus Peking

    Zwar gibt es traditionell erhebliche Zweifel an der Verlässlichkeit der chinesischen Wachstumszahlen. Dennoch lassen die Angaben der Provinzen gewisse Rückschlüsse auf die Entwicklung in diesem Jahr zu.

    Während in der Vergangenheit hohe Wachstumsziele oft als Vorboten umfangreicher staatlicher Interventionen und Anreize interpretiert werden konnten, deuten die aktuellen Ziele auf eine andere Strategie hin. Wirtschaftlich stärkere Regionen wie Peking und Zhejiang haben zwar ihre Ziele leicht nach oben verändert. Doch dabei scheint es sich eher um eine Feinabstimmung als den Auftakt zu einer großangelegten Stimulierung der Wirtschaft zu handeln. 

    Provinzen sind geschwächt

    Peking dürfte also trotz der Schwierigkeiten wie Immobilienflaute, Schuldenprobleme der Lokalregierungen und schwacher Nachfrage am bisherigen Kurs festhalten. Sektoren, die als neue Wachstumsmotoren der Wirtschaft identifiziert wurden, wie erneuerbare Energien und Zukunfts-Technologien im Allgemeinen, dürften zwar weiterhin stark gefördert werden. Eine Rettung der Wirtschaft mit der Gießkanne ist aber nicht zu erwarten. 

    Selbst wenn sie wollten, seien vielen Lokalregierungen bei Konjunkturhilfen die Hände gebunden, meint Bruce Pang, Chefvolkswirt beim Makler Jones Lang Lasalle. Ihre Fähigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, sei geschwächt, weil sie wegen der Immobilienkrise deutlich weniger Einnahmen aus Grundstücksverkäufen erzielen könnten, so Pang gegenüber Reuters.

    Wachstumsziel um fünf Prozent erwartet

    Nach verfehlten Zielen im Vorjahr sei die Planung nun “zurückhaltender und realistischer“, sagte Wang Jun, Chefökonom bei Huatai Asset Management. Vor allem Provinzen mit einer hohen Schuldenlast hätten ihre Wachstumsziele gesenkt.

    Mehrere regierungsnahe Ökonomen hatten zuletzt prognostiziert, dass im März wie im Vorjahr ein Wachstumsziel von rund fünf Prozent festlegen dürfte. In diese Richtung hatte sich beispielsweise Liu Yuanchun, Präsident der Shanghai University of Finance & Economics, geäußert. Der ehemalige Berater der People’s Bank of China, Yu Yongding, empfahl in einer Rede im Januar ein ähnliches Ziel.

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    News

    Steinmeier bricht zu strategischer Reise in die Mongolei auf

    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist von Dienstag bis Donnerstag zum Staatsbesuch in die Mongolei. Offizieller Anlass ist das Jubiläum zu 50 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen der Mongolei und der Bundesrepublik. Fast auf den Tag genau, am 31.01.1974 vereinbarten Bonn und Ulaanbaatar die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

    Doch Steinmeiers Reise besitzt auch einen starken geopolitischen Impuls. Durch seinen Besuch will das deutsche Staatsoberhaupt einerseits die Stellung der Mongolei zwischen seinen großen Nachbarstaaten China und Russland stärken. Andererseits will Steinmeier damit die deutschen Bemühungen um eine außenpolitische Diversifizierung unterstützen: Deutschland will Abhängigkeiten von China und Russland reduzieren. Es ist Steinmeiers sechste Reise nach Asien in seiner zweiten Amtszeit. rad 

    • Energie
    • Geopolitik
    • Handel
    • Russland

    Zu wenig KI-Chips: Huawei drosselt Smartphone-Fertigung

    Wegen der hohen Nachfrage nach Spezialchips für Künstliche Intelligenz (KI) und Fertigungsproblemen muss Huawei Insidern zufolge seine Smartphone-Produktion drosseln. Der Ertrag der Anlagen, in der diese Prozessoren gefertigt würden, sei zu gering, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Das Unternehmen wollte sich zu diesem Thema nicht äußern.

    Wegen der US-Exportbeschränkungen für Hochtechnologie pumpen chinesische Firmen verstärkt Geld in die Entwicklung eigener Halbleiter. Huawei will mit “Ascend AI” dem Weltmarktführer bei KI-Spezialchips, Nvidia, Marktanteile abjagen. Parallel dazu stellte der Konzern vor einigen Monaten sein neues Smartphone “Mate 60” vor, in dem der selbst hergestellte Chip “Kirin” verbaut ist. Experten zufolge ist Huaweis Topmodell den iPhones von Apple technisch ebenbürtig.

    Die Folge des China-Engpasses: Im Internet beschweren sich Interessenten über monatelange Wartezeiten bis zur Auslieferung eines “Mate 60”. In Geschäften und Online-Shops sind keine Geräte vorrätig.

    Huawei gibt bislang wenig Informationen zum technologischen Stand der Chip-Fertigung oder zu Produktionszielen preis. Der KI-Prozessor “Ascend 910B” gilt als der leistungsstärkste Nicht-Nvidia-Chip, der in China erhältlich ist. Analysten vermuten, dass Huawei und der Auftragsfertiger SMIC ältere Maschinen zur Halbleiter-Produktion modifiziert haben könnten, um leistungsfähigere Prozessoren herzustellen. Dies macht die Fertigung aufwändiger und produziert vermutlich mehr Ausschuss.

    Wegen des US-Embargos haben chinesische Firmen keinen Zugriff auf die neueste Generation von Chip-Lithografiemaschinen, die vom niederländischen Weltmarktführer ASML stammen. flee/rtr

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    Aufsichtsbehörde genehmigt Joint Venture von Mercedes-Benz und BMW

    Chinas staatliche Marktregulierungsbehörde hat dem Joint Venture von den Autobauern Mercedes-Benz und BMW zugestimmt. Die Unternehmen hatten schon im November vergangenen Jahres angekündigt, in China im Jahr 2024 ein gemeinsames Netz an Schnellladestationen für Elektroautos aufbauen zu wollen.

    Bis Ende 2026 sind nach Angaben der Unternehmen landesweit mindestens 1.000 öffentliche Stationen mit etwa 7.000 Ladepunkten geplant, die allen Fahrzeugmarken zur Verfügung stehen werden. flee/rtr

    • Autoindustrie
    • Handel

    EU-Kommission will Solarbranche nicht helfen

    Die EU-Kommission hat dem Hilferuf der europäischen Solarbranche gegen Preisdruck aus China zunächst eine Absage erteilt. Die EU müsse für den grünen Wandel weiterhin Zugriff auf erschwingliche Solarmodule haben, erklärte Finanzkommissarin Mairead McGuinness am Montag im Plenum des Europaparlaments in Straßburg “Jede mögliche Maßnahme muss gegen die Ziele abgewogen werden, die wir uns bei der Energiewende gesetzt haben”, sagte McGuinness.

    Die Versorgung des EU-Marktes sei stark von Importen abhängig, räumte die EU-Kommissarin ein. Es werde vor allem aus China importiert. Der Preisverfall sei “eine Chance für Bürger und Solarmodul-Installateure”, und eine “Herausforderung für EU-Solarmodul-Hersteller”, sagte McGuinness. Gegen unfaire Handelspraktiken wie Dumping verfüge die EU über Instrumente.

    Warnung vor Chinas Dominanz

    Die EU-Parlamentarier reagierten unzufrieden auf die Rede der EU-Kommissarin und warnten vor einer chinesischen Dominanz in der Solarbranche. Einige der EU-Abgeordneten wie Engin Eroglu (Freie Wähler) warfen der Kommission vor, das Problem zu unterschätzen. Grünen-Europapolitikerin Henrike Hahn forderte, dass sich die EU-Kommission an die Seite europäischer Firmen stellen müsse.

    Europäische Hersteller von Solarmodulen hatten die EU vergangene Woche zu Sofortmaßnahmen aufgefordert, damit lokale Firmen nicht unter dem Preisdruck chinesischer Importe schließen müssen. “In den nächsten vier bis acht Wochen werden die wichtigsten EU-Hersteller von PV-Modulen und ihre europäischen Zulieferer ihre Produktionslinien stilllegen, wenn nicht umgehend substanzielle Notfallmaßnahmen ergriffen werden”, heißt es in dem Schreiben des Branchenverbandes European Solar Manufacturing Council (ESMC) an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ohne schnelle Hilfe laufe die EU Gefahr, in kürzester Zeit mehr als die Hälfte ihrer Produktionskapazitäten für Photovoltaikmodule zu verlieren

    Die europäische Solarindustrie ist seit dem Sommer durch einen Preissturz stark unter Druck geraten, ausgelöst vor allem durch eine Flut günstiger Solarmodule aus Chinaari

    • Erneuerbare Energien
    • EU

    Presseschau

    Wie China und Russland den Westen im Handel mit Afrika ausstechen TELEPOLIS
    Industriepolitische Weichenstellung: Mit “grünem Zwilling” schützt die EU ihre Wirtschaft vor USA und China FOCUS
    With the US looking elsewhere, Uzbekistan and China quietly cement a regional alliance THE HILL
    Donald Trump macht unheilvolle Ankündigung: Nach seinem Wahlsieg wird er Handelskrieg mit China führen FR
    Chinas erstaunliche E-Auto-Erfolge in Südamerika WELT
    China vermeldet Geschwindigkeitsrekord bei Hyperloop-Zug FUTUREZONE
    Milliarden-Zwangsverkäufe an Chinas Börsen erwartet N-TV
    China’s Moms and Dads Aren’t Buying Stocks. They Can’t Afford More Losses BARRONS
    Investors dig into India’s stock market as China flounders, discount risks REUTERS
    China targets margin loans, short selling to help stabilise stocks CHANNEL NEWS ASIA
    China Tightens Some Trading Restrictions for Domestic and Offshore Investors BLOOMBERG
    ‘All is not well’ in China’s economy, Rhodium Group report warns, slamming Beijing’s lack of structural reform SCMP
    China ‘Targets’ India In Its Latest Military Venture; Works On ‘007 Drones’ To Fight Indian Army At LAC EURASIAN TIMES
    Todesstrafe für Australier in China: Außenministerin Penny Wong ist entsetzt TAZ

    Standpunkt

    Als Deutsch-Chinesin will ich kein Doppelleben mehr führen

    Von Ziyi Huang
    Ziyi Huang kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Noch immer fühlt sie sich oft zwischen den Stühlen.

    Es wurde schon früh zu meiner Aufgabe, zwischen zwei Welten zu übersetzen. Ich kam mit zehn Jahren aus Shanghai nach Berlin. Seit damals war dieser Auftrag da: Du musst beide Sprachen sprechen, beide Kulturen verstehen. Du wirst ein Mittler zwischen den Welten sein. Das war das Ideal. Es passte auch in den Zeitgeist der 1980er- und 1990er-Jahre in China. Man wollte “raus in die Welt”, sich zeigen, sich präsentieren. Die Menschen da draußen sollten China verstehen, nach dem Motto: Zou Xiang Guo Ji – “etwas auf die internationale Bühne bringen”. Umgekehrt bedeutete das aber auch: Nur was international anerkannt wird, hatte in China einen Wert.

    In den Sommerferien war ich noch oft in China und dort fragte man mich: Wie ist es denn so in Deutschland? Ohne dass man es mir sagen musste, merkte sogar ich, dass ich mich veränderte, anders sprach und begann mich zu bestimmten Dingen anders zu äußern. Mein Vater, der in China geblieben war, war davon irritiert und nannte mich lange – auch noch heute – seine Liuxuesheng – “seine Auslandsstudentin”. Er sagte damals aber auch: Wo der Boden fruchtbarer ist, soll man die Pflanze hinbringen.

    China – der gesamte Osten – war in meiner Kindheit in Deutschland gefühlt noch sehr fremd und fern. In der Grundschule im Berliner Stadtteil Wedding gab es viele Kinder mit Migrationshintergrund. Deshalb hatten die Lehrer wohl auch nie Probleme damit, sich meinen Namen zu merken. Einmal sagte ein Mitschüler, ein Junge aus Jugoslawien zu mir: Ah, du kommst aus China, das ist ja ein total reiches Land! Woraufhin die Lehrerin fragte: Wie kommst du denn darauf, dass China ein reiches Land ist? Und er antwortete: Na, überall steht “Made in China” drauf. Das ist mir im Gedächtnis geblieben. So konnte man meine Herkunft also auch sehen: Positiv.

    In China wurde mir “westliches Denken” vorgeworfen

    Das Bedürfnis, als Deutsche und als Chinesin gesehen zu werden, kam erst später. In der Oberstufe fragte mich mein Erdkundelehrer oft nach China. Da nahmen wir gerade den Bau des Drei-Schluchten-Damms und seine negativen Auswirkungen durch. Da waren dann immer wieder Menschenrechte das Thema. Oder Pressefreiheit. Oder Chinas Wirtschaftswachstum. Das hat dazu geführt, dass ich mich selbst immer mehr zu diesen Themen bilden musste, um etwas antworten zu können. Ich hatte das Gefühl, ich müsste die Vorzeige-Chinesin sein. In jeder Lebenssituation wollte ich dem vorherrschenden negativen Bild der Chinesen, mit dem man mich konfrontierte, entgegenwirken.

    Ich habe mich damals auch mehr mit Auslandsstudenten aus China unterhalten. Die habe ich oft herausgefordert. Wenn sie etwa sagten, die Ein-Kind-Politik habe dazu geführt, dass Frauen einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft haben, habe ich ihnen die negativen Nebeneffekte aufgezeigt. Das war die Perspektive, die ich gewohnt war: Dinge zu hinterfragen und nach Erklärungen zu suchen. Diesen Satz bekam ich oft von den chinesischen Studierenden zu hören: China ist eben ein Land, das Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Den habe ich zeitweilig übernommen – in meinen Unterhaltungen mit Deutschen über China. Ich denke, viele Sinologen kennen diese Phrase.

    Ob ich mich als Deutsch-Chinesin empfinde, entscheidet sich heute von Fall zu Fall. Gerade in Partnerschaften war es oft schwer. Da hatte ich oft den Druck, mich erklären zu müssen. Obwohl es um Personen ging, von denen ich mir gewünscht hätte, dass ich mich nicht erklären muss, sondern einfach so gesehen und respektiert werden würde, wie ich bin. Ein Partner suchte bestimmte Verhaltensweisen auf meine Herkunft zurückzuführen. So etwas habe ich andersrum nie gemacht: Einem Partner erklärt, du handelst so und so, weil du Deutsch bist. Umgekehrt wurde mir in meiner Familie in China “westliches Denken” vorgeworfen, vor allem auch in partnerschaftlichen Dingen: Dass ich Ich-bezogen sei. Zu individualistisch.

    Ich fühle mich oft, als käme ich nie irgendwo an

    Auch für Menschen aus China scheint es einfacher zu sein, Anteile von mir, die sie befremdlich finden, als “Deutsch” abzustempeln. Mittlerweile erlauben es sich manche Menschen aus meinem Umfeld in China sogar zu behaupten, dass es ein Fehler gewesen sei, dass ich nach Deutschland ausgewandert bin. Sie sagen, dass China auch ein gutes Land sei, wo man gut aufwachsen kann. Wenn ich heute meine alte Heimat Shanghai besuche, fühlt es sich gut an, Freunde und Familie wiederzusehen. Ich habe auch in Erwägung gezogen, China nochmal eine Chance zu geben und dort zu leben. Es gibt aber viele Dinge, die mich an der chinesischen Gesellschaft stören. Ich fühle mich dort nicht frei als Person. Manche chinesische Freunde sagen, ich sei zu anspruchsvoll und zu sensibel, zum Beispiel wenn ich mich über die vielen kommunistischen Parolen aufrege. Das müsse man nicht so ernst nehmen. Aber ich will meine Empfindsamkeit für so etwa gar nicht verlieren. Die ist ein Teil von mir, den ich mag.

    Ich fühle mich oft, als wäre ich ständig auf einer Reise, als käme ich nie irgendwo an. Dabei bin ich seit meinem 10. Lebensjahr nicht wirklich aus Berlin weggezogen. Integration ist ein schwieriges Wort. Leute, die aggressiv Integration fordern, aber auch solche, die mir Komplimente machen, indem sie sagen, Du bist aber gut integriert, müssen verstehen, dass die meisten Menschen ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Dass sie nicht aus Abenteuerlust ins Exil gegangen sind. Man wird nicht freiwillig zum Bürger und zur Bürgerin zweiter Klasse. Man setzt sich nicht freiwillig Alltagsrassismus aus. Die Notwendigkeit, warum meine Mutter mit mir China verlassen wollte, habe ich erst später verstanden. Man will eben das Beste für sich und seine Kinder.

    Kein Doppelleben mehr

    Das sollten Menschen im Hinterkopf haben, wenn sie Sätze fragen wie “Wo kommst du eigentlich her?” Denn diese Frage lässt vieles hochkommen: Zum einen: Warum interessiert dich das? Was würde das über mich aussagen, wenn ich antworte, dass ich aus China komme? Auf welcher Ebene möchte sich der Mensch durch diese Frage mit mir verbinden? Mit welcher Assoziation mit China werde ich konfrontiert und was macht das dann aus mir in der Wahrnehmung der fragenden Person? Geht es um das China des Poeten Li Bai oder um das von Mao oder um sonst ein anderes?

    Heute denke ich: Ich will kein Doppelleben mehr führen. Ich habe doch keinen Bildungsauftrag. Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich habe Gründe dafür, dass ich so bin wie ich bin. Aber diese Gründe liegen darin, dass ich mir bestimmte Dinge genau angeschaut habe, und nicht daran, ob etwas typisch Chinesisch oder typisch Deutsch ist. Menschen, die emphatisch sind – und Empathie ist eine grundlegende menschliche Eigenschaft – sollten das verstehen können. Aufgezeichnet von Fabian Peltsch

    Ziyi Huang geboren im Jahr des Hasen, lebt in Berlin seit 1997.

    • Ein-Kind-Politik
    • Gesellschaft

    Personalien

    Liu Weibing wechselt aus dem Präsidentenamt von Xiaomi China zur Leitung der gesamten Mobilsparte und übernimmt damit auch die Präsentationen bei großen Smartphone-Neueinführungen. Er tritt als Leiter der Marke Redmi zurück und übergibt den Posten an Wang Teng Thomas. Xiaomis CEO Lei Jun will mit der Umstrukturierung der Führungsriege den Schwerpunkt des Unternehmens weiter auf die Stärkung des Geschäfts mit Elektrofahrzeugen verschieben.

    Vishal Sharma, bisher CEO Greater China des Logistikunternehmens DB Schenker, wird zum CEO für die Asien-Pazifik-Region befördert. Er folgt Niklas Wilmking nach. Sharma führt das China-Geschäft seit 2021. Zuvor hatte Sharma verschiedene Managementpositionen im Logistiksektor inne, darunter bei Maersk oder Damco in Indien.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Countdown zum Jahr des Drachen: Vor der Ahnenhalle der Familie Zhou im Dorf Fengjiangzhou in der ostchinesischen Provinz Zhejiang wird ein Drache für den Laternentanz gesegnet. Am Samstag beginnt dann offiziell das Jahr des Holz-Drachen. Er löst den Wasser-Hasen ab.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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