Table.Briefing: China

Überwachung durch Bürolampe + Tor nach Afrika + Xi und der Mao-Anzug

  • Smart Lamp – Unnötige Kinderkontrolle oder Segen für Eltern?
  • Chinesische Militärpräsenz in Dschibuti
  • Termine der kommenden Woche
  • Didi hat Probleme mit US-Anlegern
  • Großbritannien prüft Übernahme von Chipfabrik
  • Grenzstadt macht die Schulen dicht
  • Automarkt schwächelt nach Erholung
  • Britische Abgeordnete wollen kein Sponsoring bei Winterspielen 2022
  • Johnny Erling plaudert aus dem Nähkästchen der Roten Hauptstadt
  • Personalien: Neuer Vize im Finanzministerium
Liebe Leserin, lieber Leser,

zu den Stärken der chinesischen Gesellschaft zählt manch Bewunderer die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder und Arbeitnehmer. Diesem Eifer hätten wir im Westen doch kaum noch etwas entgegenzusetzen, lautet ein gängiges Argument. Tatsächlich muss man den Hut ziehen, vor Grundschüler:innen, die am 9-9-6-Rhythmus nicht zugrunde gehen. Doch diese Ansicht verkennt eben auch, dass es eine große Errungenschaft der hiesigen Gesellschaft ist, dass unsere Kinder nicht mehr von morgens bis abends pauken müssen, um die Chance auf ein besseres Leben zu bekommen.

Wir sollten uns nicht daran orientieren, was in einem Land mit veralteten Lernkonzepten und überholten Bildungsstrategien an Energie nötig ist, um studieren zu dürfen. Wenn Überwachung von Kindern erforderlich ist, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren, ist genau das ein Zeichen für Fehlentwicklung, nicht das kindliche Bedürfnis nach Faulenzen und Spielen. Ning Wang hat für uns aufgeschrieben, wie der Technologiekonzern Bytedance diese Form der Überwachung fördert.

Außerdem stelle man sich vor, dass nur noch Berufe etwas wert wären, für die ein jahrelanges Studium benötigt wird. Wer würde dann Chinas Staatspräsidenten noch mit maßgeschneiderten Mao-Anzügen ausstatten können, so wie es die Schneiderei Hongdu (Rote Hauptstadt) tut, die unser Kolumnist Johnny Erling einst unter die Lupe genommen hat.

Und sonst? Augen auf in Ostafrika, mahnt das US-Militär. Chinas Militärpräsenz in Dschibuti soll nur der Anfang der gobalen Expansion sein.

In diesem Sinne viel Spaß mit dem heutigen China.Table

wünscht Ihnen

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Digitale Bildung: Schatten über der Lampe

Neue Technologie: Lernen mit der Dali-Lampe
Dali-Lampe mit eingebautem Touchscreen und zwei Kameras

Hausaufgaben führen in Chinas Familien regelmäßig zu Zwist und Tränen. Kinder und Eltern leiden gleichermaßen unter der hohen Belastung, für viele ist es ein regelrechter Albtraum. Besonders betroffen sind Familien der Mittelschicht, in denen oftmals beide Elternteile in Vollzeit beschäftigt sind. Neben der Zeit für ihre Berufe müssen Mütter und Väter nicht selten noch drei, manchmal vier Stunden am Tag dafür aufbringen, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu betreuen. Und auch für die Kinder selbst ist der Arbeitsaufwand beileibe kein Zuckerschlecken. Nach einem sehr langen Schultag fällt es ihnen schwer, noch mehr Motivation und Energie für Hausaufgaben oder Extrakurse aufzubringen.

Dieser Drill im noch immer veralteten Bildungssystem der Volksrepublik ist gang und gäbe, weil die schulische Leistung in der Regel die einzige Chance für sozialen Aufstieg bietet. Doch die Konkurrenz in einem Milliardenvolk ist riesig, weswegen Erfolg häufig mit strenger Leistungskontrolle verknüpft ist, selbst wenn das den Druck auf alle Beteiligten noch verstärkt. Eltern ist für die Ausbildung ihrer Kinder nichts zu teuer. Sie investieren Geld, Zeit und Energie, und ihnen sind nicht selten alle Mittel recht.

Die Entwickler der Dali Smart Lamp (大力智能台灯), oder auch: “Lampe der großen Kraft”, hatten genau diese Familien aus der Mittelschicht vor Augen, als sie die Zielgruppe für ihr neues Produkt definierten. Die Smart Lamp ähnelt einer Schreibtischlampe, kommt mit einem eingebauten Bildschirm in Smartphone-Größe sowie zwei integrierten Kameras, die vornehmlich der Überwachung dienen. Eltern können mithilfe der Kameras über riesige Entfernungen ihren Nachwuchs beim Lernen beobachten. Die Lampe, so verspricht es die Werbung, verbessert das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern: Familienfrieden für nur 799 Yuan, rund 100 Euro.

Eltern können fortan von ihrem Arbeitsplatz aus genau überprüfen, was ihre Kinder tun. Und für nur rund 40 Euro mehr gibt es eine speziell auf die Dali-Lampe ausgerichtete App des Herstellers Bytedance mit Warnfunktion, die den Eltern Nachrichten und sogar Fotos sendet, wenn deren Kinder nicht mehr aufmerksam sind, krumm sitzen oder gar nichts tun, statt zu lernen. Das klingt wie ein Schnäppchen. Doch es besteht die Gefahr, dass die Künstliche Intelligenz die Eltern-Kind-Beziehung auf Dauer belastet. Denn es drängt sich die Frage auf: Kann Empathie tatsächlich durch Technologie ersetzt werden?

10.000 Bestellungen in vier Monaten

Einen Teil der Antwort wird der Markt liefern. Seit Herbst vergangenen Jahres ist das Produkt erhältlich. Binnen der ersten vier Monate verzeichnete Bytedance 10.000 Bestellungen. Schon im Frühjahr hatte der Internetgigant Tencent angekündigt, eine ähnliche KI-betriebene Hausaufgabenlampe einführen zu wollen, die die gleichen Funktionen wie das Produkt von Bytedance anbietet. Noch sind die Lampen jedoch unprofitabel. Chen Lin, Chef der neu gegründeten Bildungstechnologie-Sparte von Bytedance, geht davon aus, dass es drei Jahre dauern wird, bis der Bereich schwarze Zahlen schreibt. Das hinderte ihn nicht daran, mehr Mitarbeiter einzustellen. Von den 100.000 Angestellten bei Bytedance arbeiten 10.000 bereits in der Bildungsabteilung, und die Zahl der Mitarbeiter soll noch in diesem Jahr wachsen (China.Table berichtete).

Die Ausgaben vieler Familien für Zusatzkosten rund um die Bildung des eigenen Kindes belaufen sich schnell auf mehrere Hundert Euro monatlich. Diese Zahlungsbereitschaft weckt Begehrlichkeiten bei den Technologie-Unternehmen. Und durch die Corona-Pandemie hat sich der Wettbewerb für Dienste im Bildungstechnologiesektor noch einmal verschärft. Im Jahr 2020 hat der Online-Bildungsmarkt in China die 40-Milliarden-Dollar-Marke überschritten und soll bis 2026 auf einen Wert von 100 Milliarden US-Dollar steigen. Bytedance will Richtung und Geschwindigkeit, mit der dieser Bereich wächst, mitbestimmen. Erst im vergangenen Juli hatte Chen Lin angekündigt, das Unternehmen werde einen “riesigen Betrag” in neue Bildungstechnologien investieren.

Bislang verdient der 2016 gegründete Technologiekonzern vor allem durch seine virale Kurzvideoplattform Douyin (das chinesische Pendant zu Tiktok) und die Nachrichten- und Informationsplattform Jinri Toutiao (Schlagzeilen des Tages) das meiste Geld. Der Vorstoß in den Technologiebildungsmarkt (Education-Tech) soll die nächste sprudelnde Einnahmequelle generieren. Die Dali Lampe soll einen großen Schritt in diese Richtung markieren. Schon länger entwickelt das Unternehmen Applikationen fürs E-Learning, die nun bei der Lampe zum Einsatz kommen. Sie helfen bei vergessenen englischen Vokabeln auf die Sprünge, oder sie zitieren klassische chinesische Gedichte, die im Chinesischunterricht immer wieder gern abgefragt werden.

Bytedance setzt auf schlechtes Gewissen der Eltern

Kunden locken soll allerdings nicht nur die Überwachungsfunktion des Produkts. Die “Lampe der großen Kraft” soll den Familien auch Zeit sparen. Vor allem beim Nachhilfeunterricht, der während der Pandemie häufig online stattgefunden hat. Bytedance bietet dafür eigene Apps an, über die Mathematik- oder Englischnachhilfe gebucht werden kann. Zusätzlich bietet Bytedance eine digitale Hausaufgaben-Betreuung zur Entlastung viel beschäftigter Eltern, die die Kosten dafür nicht scheuen.

Statt sich zu überlegen, wie Kinder künftig lernen sollten, setzt die Dali Lampe von Bytedance vor allem auf das schlechte Gewissen der Eltern, ihren Kindern nicht beim Lernen unterstützend zur Seite stehen zu können. Das hat nicht nur Folgen für die Eltern-Kind-Beziehung, die in Chinas Leistungsgesellschaft nicht besonders herzlich oder einfühlsam ist. Sie ist auch gravierend für die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder, die mit diesen Geräten lernen. Und sie lernen vor allem, dass sie nicht mehr eigenständig Probleme bewältigen müssen. Dabei hat das Bildungsministerium längst erkannt, dass die künftigen Generationen eigenständige Problemlösungen erlernen müssen, statt stur auswendig zu lernen. Denn die Fähigkeit, eigene Ideen entwickeln zu können, sind elementar wichtig für Chinas Ziel der Technologieführerschaft. 

Doch der Einzug der Dali Lampe in die Kinderzimmer der Nation bringt auch Datenschutz- und Sicherheitsprobleme mit sich. Im März häuften sich negative Bewertungen in sozialen Medien. Ein Nutzer sagte, die App erlaube Kindern, Videos von sich selbst im Internet zu posten. Ein anderer Nutzer bemängelte, dass Nutzerprofile und Videos anderer Kinder einsehbar seien, und die App Vorschläge bereitet, sich mit anderen Nutzern zu verbinden. Bytedance verteidigte die Praxis. Jedes Hochladen eines Videos erfordere die Zustimmung der Eltern. Und ohne deren Autorisierung könne auch niemand Drittes Livebilder der Kinder sehen.

Touchscreen beeinflusst Lernen

Bedenken äußern auch Pädagogen, die davor warnen, Kindern der Zielgruppe zwischen vier und zwölf Jahren einen interaktiven Touchscreen vorzulegen, der sie regelrecht dazu verleitet, bei schwierigen Aufgaben die Antworten über die angebotenen Apps zu suchen. Britische und schwedische Forscher fanden heraus, dass “Vielnutzer” von Touchscreen-Geräten leichter ablenkbar waren.

Eine weitere offene Flanke des Produkts bleibt der Schutz der Privatsphäre der Familien. Dalis Einzug in die Kinderzimmer birgt ähnliche Gefahren wie der Einsatz von Sprachassistenten wie Alexa. Das Gesetz bietet trotz bestehender Regulierungen in der Praxis kaum Schutz. Bereits seit 2019 gilt, dass die Datenerfassung von Kindern unter 14 Jahren einzuschränken sei. Wie so oft sind die Interpretationsspielräume aber so groß, dass Bytedance etwa bei der Produktbeschreibung gar nicht erst auf die Gefahren für Privatsphäre oder gar Details der Datenerfassung zu sprechen kommt.

Bytedance-Gründer Zhang Yiming, der vor gut einem Monat seinen Rückzug als Geschäftsführer angekündigt hatte (China.Table berichtete), sagte zuletzt, dass sich der Konzern beim Thema Bildung erst am “Anfang einer langen Reise” befinde. Ende Juni erst spendete der Milliardär 77 Millionen US-Dollar seines Privatvermögens für einen Bildungsfonds in seiner Heimatstadt in Südchina. Ob es sich dabei um eine Charmeoffensive gegenüber Peking handelt oder mehr Einfluss auf Provinzebene mit den Bildungsinstitutionen – beides wird von Bytedance wohlbedacht sein.

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Von Dschibuti in die Welt

Als General Stephen Townsend vor wenigen Wochen im amerikanischen Senat über die neusten Erkenntnisse der US-Streitkräfte berichtet, will er keine Zweifel aufkommen lassen. China baue am Horn von Afrika eine Plattform auf, mit der es nachhaltigen Einfluss auf den gesamten Kontinent und die umliegenden Gewässer ausüben kann. Chinas Aktivitäten in Dschibuti würden die bedeutendste Gefahr darstellen, die momentan von der Volksrepublik ausgeht, warnte der oberste Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afrika Mitte April in Washington.

Seit August 2017 unterhält China in Dschibuti einen Militärstützpunkt. Es ist die bislang einzige Basis im Ausland. Doch schon damals zeugte die Wahl des Ortes von Pekings großen Ambitionen und strategischer Weitsicht: Der kleine Staat am Horn von Afrika liegt an der Meerenge zwischen Indischem Ozean und Rotem Meer, einer Hauptroute des Welthandels. Für die Sicherung der Handelswege – vor allem des unverzichtbaren Nachschubs an Öl für Chinas Wirtschaft – ist Dschibuti wohl eines der wichtigsten Länder der Welt. Zudem markiert es das westliche Ende des Indo-Pazifik.

All das haben auch andere Staaten erkannt: Die USA, Japan und Frankreich unterhalten allesamt bereits seit Jahren eigene Militärstützpunkte in Dschibuti. Mit dem Bau eines eigenen Stützpunkts signalisierte China, dass es nun auch offiziell in den Wettstreit um geostrategischen Einfluss eintritt. “In Dschibuti zeigt China ganz offen, dass auf wirtschaftliche und diplomatische Einflussnahme Pekings militärische Macht folgt”, urteilt Hal Brands von der Johns-Hopkins-Universität.

Peking: Lediglich Logistik-Knotenpunkt

Allerdings war man anfangs in Peking sehr darum bemüht, den militärischen Aspekt der eigenen Basis zu marginalisieren. Das Verteidigungsministerium ließ mitteilen, dass so vor allem Chinas Beteiligung an Begleit- und Friedensmissionen sowie an humanitären Rettungseinsätzen garantiert werden solle. Durch die Basis wolle man lediglich seine “internationalen Verpflichtungen erfüllen und Frieden und Stabilität garantieren”, hieß es aus Peking. Der Marineexperte Li Jie betonte in der Zeitung “Global Times” den Unterschied zu Einrichtungen westlicher Staaten: “Es wird kein Militärstützpunkt im Stile der Amerikaner, den diese als Brückenkopf für militärische Abschreckung und zur Intervention in anderen Ländern nutzen.” Und aus Sicht des Außenministeriums diene die Basis ohnehin nur als schlichter Logistik-Knotenpunkt für chinesische Schiffe.

Diese Zurückhaltung hat längst ein Ende. China hat seinen Stützpunkt am Horn von Afrika seither systematisch ausgebaut. Zuletzt wurde eine 340 Meter lange Landebrücke fertiggestellt – groß genug, sodass dort nun selbst Chinas neue Flugzeugträger, Atom-U-Boote oder andere große Kriegsschiffe andocken können. US-General Townsend zufolge handelt es sich längst nicht mehr nur um einen kleinen Nachschubhafen, in dem die Volksbefreiungsarmee einen Zwischenstopp einlege, um zu tanken und ihre Lebensmittelvorräte an Bord aufzufüllen. “Es ist ein Hafen, in dem sie Munition nachladen und ihre Kriegsschiffe reparieren.” Und das nur wenige Kilometer vom US-Camp Lemonnier entfernt.

Dabei umfasst Chinas Stützpunkt lediglich einen halben Quadratkilometer Fläche – Camp Lemonnier der US-amerikanischen Streitkräfte ist viermal so groß. Doch Chinas Stützpunkt ist schwer geschützt, er hat 23.000 Quadratmeter unterirdische Einrichtungen und bietet Platz für rund 2.000 Soldaten:innen. Es gibt einen Tower, eine Start- und Landebahn, ein Krankenhaus – und seit neustem eine Landebrücke, die weit ins Meer hinausragt. “Diese Basis ist der militärische Unterbau für Pekings Ambitionen, zum Patron von Staaten in Afrika und im Nahen Osten zu werden”, analysiert Timothy Heath von der militärnahen US-Denkfabrik Rand Kooperation. Der Stützpunkt in Dschibuti diene quasi als Brückenkopf.

Dschibuti ist Chinas Tor nach Afrika

Und in der Tat verfolgt China im Osten des Kontinents nicht nur militärische Interessen, auch wirtschaftliche – und auch dafür ist der Ort prädestiniert: Neben seiner geostrategisch günstigen Lage ist es das stabilste und sicherste Land der Region. Es verfügt über eine grundlegende Infrastruktur, auf der die Chinesen aufbauen können, und bietet Möglichkeiten zur Expansion – in Dschibuti und anderen Teilen Afrikas.

Allein in Dschibuti hat China durch Investitionen und Kredite zwischen 2012 und 2020 rund 14 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, darunter Projekte wie die 3,5 Milliarden US-Dollar teure Freihandelszone, die wohl größte in ganz Afrika. Sie schuf in ihrer ersten Phase rund 200.000 neue Jobs und erzielte zwischen 2018 und 2020 ein Handelsvolumen von mehr als sieben Milliarden US-Dollar. Peking hat Anteile am Hauptstadt-Hafen gekauft und will dessen Kapazitäten ausbauen. Im Rahmen eines Vier-Milliarden-Dollar-Projekts zur Erdgasgewinnung im Nachbarland Äthiopien baut China die Bohranlage sowie die entsprechende Rohrleitung und eine Eisenbahnlinie, um den Rohstoff zu exportieren. Und der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei will ein Unterseeglasfaserkabel bis nach Pakistan verlegen.

Darüber hinaus dient Dschibuti als Chinas Tor nach Afrika. Chinesische Kredite und Investitionen erstrecken sich über den gesamten Kontinent: von Häfen und Eisenbahnstrecken über Überlandstraßen bis hin zu Gas- und Ölleitungen. Huawei ist in vielen afrikanischen Staaten dabei, das jeweilige 5G-Netzwerk aufzubauen. Während das Engagement der US-Amerikaner seit den Terroranschlägen vom 11. September vor allem Anti-Terror-Maßnahmen umfasst, richten die Chinesen ihren Fokus und ihre Rhetorik auf den Ausbau von Infrastruktur und Wachstum. So ist es nicht verwunderlich, dass Peking schon 2009 Washington als Afrikas führenden Handelspartner abgelöst hat – und sich seither nicht mehr von dieser Spitzenposition hat verdrängen lassen.

Afrika ist für China sowohl riesiger Markt, auf dem es eigene Produkte absetzt und Rohstoffe einkauft, als auch eine entscheidende Region im Ringen um geostrategischen Einfluss sowie eine wichtige diplomatische Stütze in internationalen Organisationen. “Die Chinesen haben Ausdauer. Sie wollen von hier aus die internationale Ordnung zu ihren Gunsten verändern“, warnt US-General Townsend. Der Ansatz ist immer der gleiche: Erst wirtschaftliche Abhängigkeit erzeugen, und diese dann in politische Unterstützung umwandeln. In internationalen Organisationen schafft sich China so unter den afrikanischen Staaten eine breite Front an Befürwortern seiner Politik.

All das wirkt. Die US-amerikanische Warnung vor einer chinesischen Schuldenfalle wies Dschibutis Finanzminister unlängst schroff zurück: “Wir sind alt genug, um zu wissen, was wir für unser Land tun müssen.”

Hal Brands von der Hopkins-Universität weist dem Land denn auch eine herausragende Rolle im globalen Wettstreit zwischen den USA und China zu – und der Westen gebe in diesem Wettstreit derzeit keine gute Figur ab. Die US-Strategie wirke wie ein Relikt der Vergangenheit, in der es vor allem um den Kampf gegen den Terror ging. Chinas Strategie hingegen sei auf zukünftige Generationen ausgerichtet, die nach Jobs und Wohlstand streben.

Auf Wirtschaft folgt das Militär

Und in Dschibuti könne man den nächsten Schritt in der chinesischen Einflussnahme beobachten: Auf Chinas wachsende wirtschaftliche und diplomatische Macht folgt die militärische Komponente. Entsprechend sind immer mehr Beobachter sicher, dass Dschibuti nicht der einzige chinesische Militärstützpunkt im Ausland bleiben wird.

Im aktuellen Jahresbericht des US-Verteidigungsministeriums heißt es denn auch: “Über den derzeitigen Stützpunkt in Dschibuti hinaus prüft und plant die Volksrepublik sehr wahrscheinlich bereits weitere militärische Stützpunkte im Ausland für ihre Luft-, See- und Bodenstreitkräfte.” Als mögliche Optionen genannt werden unter anderem Myanmar, Sri Lanka oder auch Tansania.

Schon 2016 forderte der renommierte chinesische Wissenschaftler Yan Xuetong von der Volksrepublik eine forschere Außenpolitik. Ein wichtiger Bestandteil sollten Militärstützpunkte im Ausland sein. “Schon aus seinem eigenen Interesse heraus sollte China Militärstützpunkte aufbauen in Ländern, die es als Verbündete betrachtet”, sagte Yan.

Auch Timothy Heath gesteht den Chinesen eine gewisse Notwendigkeit zu. “Fehlende Basen sind für China ein großes Problem, weil man sehr abhängig ist von Märkten, Energie und natürlichen Ressourcen, die allesamt weit entfernt sind wie der Nahe Osten, Afrika oder Lateinamerika.” Zusammen mit den Projekten der Neuen Seidenstraße bilde das ein fragiles Gebilde, das bei Problemen verheerende Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft haben könnte. Es müssten allerdings nicht zwangsläufig immer Militärstützpunkte sein. “Sie werden auch militärischen Einfluss gewinnen durch Dual-use-Einrichtungen entlang des Indischen Ozeans, durch Partnerschaften mit Streitkräften anderer Länder oder durch das Anstellen chinesischer Sicherheitsfirmen für die unzähligen Infrastrukturprojekte entlang der Neuen Seidenstraße.”

Eines ist für Heath jedenfalls klar. Der Westen sollte ganz genau auf Chinas Engagement am Horn schauen. “Was die Volksbefreiungsarmee in Dschibuti tut, verrät uns viel darüber, wie China seine Streitkräfte und seine militärische Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent bis weit in den Nahen Osten ausbauen wird.”

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  • Schulden

Termine

12.07.2021, 08:00-09:00 Uhr Beijing Time (02:00-03:00 Uhr CEST)
Webinar, Swineit: What is happening with pig production in China? Mehr

13.07.2021, 08:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing Time)
Webinar, CNBW: Zum Anti-Foreign Sanctions Law in China Mehr

13.07.2021, 11:30 Uhr (17:30 Uhr Beijing Time)
Webinar, Cooperation Network Berlin & China (CN-BC): “Digitalization and Innovators in China” with Prof. Dr. Zheng Han Anmeldung

13.07.2021, 10:30 Uhr (16:30 Uhr Beijing Time)
Webinar, Dezan Shira: China’s Greater Bay Area: Exploring Key Sectors for Direct Investment and M&A Mehr

13.07.2021, 10:00-11:30 Uhr (16:00-17:30 Uhr Beijing Time)
Webinar, EU SME Centre: Vorstellung Report “The E-Commerce Ecosystem in China: A Checklist for European SMEs” Mehr

14.07.2021, 8:30-9:30 Uhr
Webinar, Chinaforum Bayern: “Hongkong oder Singapur – Hauptsache Asien!” Mehr

14.07.2021, 10:00-11:30 Uhr
Webinar, IHK Frankfurt am Main: Der chinesische Markt: Ab jetzt nur noch mit lokaler Präsenz? Mehr

14.07.2021, 18:00-19:00 Uhr
Vortrag, Konfuzius Institut Heidelberg: ChinaCool-Online: Vegan in China Mehr

15.07.2021, 10:00-11:00 Uhr (16:00-17:00 Uhr Beijing Time)
Webinar, EU SME Centre: Get ready for the show | Info session: Participation to trade fairs in China Mehr

15.07.2021, 18:00-19:00 Uhr
Vortrag, Konfuzius Institut Heidelberg: Sinology goes public: Ein weinender Halbdrache. Vom “Dazwischen-Schreiben” der Autorin Luo Lingyuan Mehr

16.07.2021, 10:00-11:00 Uhr (16:00-17:00 Uhr Beijing Time)
Training webinar, Nordic China Business Hub AS: Importing from China: The Do’s and Don’ts Mehr

News

US-Anleger verklagen Didi wegen Kurssturz

Nach dem Angriff der Regulierer in China wird Didi Chuxing nun in den USA von verärgerten Investoren heimgesucht. Gleich zwei Gruppen verklagen den Fahrdienst in New York und Los Angeles. Dutzende von Anwaltskanzleien wollen an dem potenziellen Geschäft mit Entschädigungen für vermeintlichen Börsenbetrug teilhaben. Didi war Anfang Juli in New York an die Börse gegangen. Nur wenige Tage später hatte die chinesische Internetaufsicht erhebliche Änderungen der Datenschutz-Praktiken des Unternehmens verlangt und den Download der App unterbunden, bis die Probleme behoben sind. Daraufhin waren die anfänglichen Kursgewinne kollabiert (China.Table berichtete). Die Aktie verlor ein Viertel ihres Wertes. Die Investoren sehen sich nun von den Versprechungen des Unternehmens getäuscht.

Die Erfolgsaussichten der Klagen sind jedoch bestenfalls gemischt. Das Unternehmen hatte von Anfang an auf regulatorische Unsicherheiten hingewiesen. Die Hinweise bezogen sich zwar auf andere Untersuchung wegen Monopolbildung und der arbeitsrechtlichen Behandlung der Fahrer:innen. Trotzdem fanden sich deutliche Hinweise über weiteres Eingreifen der Behörden. fin

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Briten untersuchen Übernahme von Chipfabrik

Großbritannien wird die Übernahme einer der größten Chipfabriken des Landes durch Nexperia aus Sicherheitsgründen untersuchen, wie Bloomberg berichtet. Nexperia, eine Tochterfirma des chinesischen Unternehmens Wingtech Technology, hatte die in Wales ansässige Halbleiterfabrik Newport Wafer Fab am Montag erworben. Newport stellt demzufolge hauptsächlich Chips für die Autoindustrie her, aber auch solche für 5G- und Gesichtserkennungs-Anwendungen.

Großbritanniens nationaler Sicherheitsberater Stephen Lovegrove wird untersuchen, ob es bei den von Newport hergestellten Chips “Sicherheitsimplikationen gibt“, sagte Premierminister Boris Johnson nach Angaben Bloombergs dem britischen Parlament.

Iain Duncan Smith, ehemals Vorsitzender der Konservativen Partei, sagte demzufolge, der Verkauf der Chipfabrik sei eine “Investitionskatastrophe“. Schon in den letzten Jahren wurden Halbleiterfabriken an japanische und chinesische Investoren verkauft. Seit diesem Jahr gibt es ein Gesetz, dass es der Regierung erlaubt, bei Übernahmen einzugreifen, wenn sie die nationale Sicherheit bedrohen. nib

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Corona provoziert Lockdown in Ruili

Die Behörden der Stadt Ruili in der südwestchinesischen Provinz Yunnan haben den 270.000 Einwohnern wegen eines neuen Corona-Ausbruchs einen strengen Lockdown verordnet. Das Stadtgebiet ist am Mittwoch abgeriegelt und alle Einwohner dazu aufgefordert worden, sich in häusliche Quarantäne zu begeben, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Der Schulunterricht ist bis auf Weiteres ausgesetzt, und Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Geöffnet bleiben nur noch medizinische Einrichtungen und einige Lebensmittelmärkte. In Ruili, das im Grenzgebiet zu Myanmar liegt, wurden am Dienstag 15 lokal übertragene Fälle bestätigt. grz

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Erholung des Automarkts stockt

Die Erholung auf Chinas Automarkt kommt ins Stocken. Im Juni wurden in der Volksrepublik 1,6 Millionen Pkw, SUV und Minivans an Endkunden verkauft – 5,3 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, wie Wall Street Journal unter Berufung auf den Branchenverband China Passenger Car Association (PCA) am Donnerstag berichtete. Schon im Mai hatte es demnach laut Daten des Verbands nur noch ein kleines Plus bei den Verkäufen gegeben. Vorläufige Daten des Herstellerverbands China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) aus der vergangenen Woche hatten für Juni bereits einen Rückgang angedeutet. Der Herstellerverband bezieht auch Nutzfahrzeuge ein und misst den Absatz der Hersteller an die Händler. Insgesamt sank der Absatz im Juni den Eckdaten zufolge um 16,3 Prozent auf 1,93 Millionen Fahrzeuge. ari

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Britische Abgeordnete fordern: Nur Athleten zu Olympia

Britische Abgeordnete haben die Regierung ihres Landes aufgefordert, die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking nicht zu besuchen. London solle zudem weitere Regierungen anregen, den Spielen fernzubleiben, hieß es in einem am Donnerstag veröffentlichten Report des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des britischen Parlaments. “Die Regierung sollte vorschlagen, dass die British Olympic Association nicht an der Eröffnungs- oder Abschlusszeremonie teilnimmt, außer einem Vertreter, der die Flagge trägt”, schrieben die Parlamentarier weiter. Auch Fans und Touristen sollen demnach ermutigt werden, den Spielen fernzubleiben. Britische Unternehmen sollten “nachdrücklich” davon abgehalten werden, bei den Olympischen Spielen als Sponsor aufzutreten oder zu werben. Zu diesem Punkt wird das britische Parlament in der kommenden Woche auch eine eigene Debatte abhalten. Der Bericht der britischen Parlamentarier befasst sich mit der Lage der Uiguren.

Auch das Europaparlament rief in einer Resolution zu einem diplomatischen Boykott der Winterspiele auf (China.Table berichtete). Der entsprechende Entschließungsantrag erhielt am Donnerstag bei der Abstimmung eine große Mehrheit. Ob Vertreter:innen als Gäste an der Veranstaltung in Peking teilnehmen, ist keine EU-Entscheidung, sondern obliegt den nationalen Regierungen. ari

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Presseschau

Australians fear attack from China almost as much as Taiwanese do, survey finds THE GUARDIAN
White House admits ‘honest mistake’ in including Taiwan flag in tweet and recommits to ‘one China’ policy INDEPENDENT
Boeing Max Edges Toward China Return as Test Flights Near BLOOMBERG (PAY)
Senators call on US securities regulator to investigate Didi IPO FT (PAY)
China to hold major military activity in Yellow Sea amid fall of rocket debris GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
KP deckelt Immobilienpreise: Shenzhen wird wieder zum Experimentierfeld FAZ (PAY)
Auf dem Weg nach China: Opel soll zur Elektro-Marke werden SUEDDEUTSCHE
Pläne zur Abwehr von Asteroidkollisionen: Chinas Idee zur Rettung der Erde SPIEGEL
Boeing: Comeback in China – Aktie legt deutlich zu DER AKTIONÄR
Corona- und China-Sorgen lassen Wall Street im Minus schließen: Größter Kursrutsch seit fast zwei Monaten HANDELSBLATT (PAY)

Kolumne

Die Schneider der Roten Hauptstadt

Von Johnny Erling
Ein Bild von Johnny Erling

“In China ist selbst die Kleidung politisch”, überschrieb ein Pekinger Monatsmagazin seine Titelgeschichte zur Mode in der Volksrepublik. Das traf vergangene Woche auch auf Parteichef Xi Jinping zu. Bei seiner Jubiläumsrede zur 100-jährigen Gründungsfeier der KP-China trug er die traditionelle Parteiuniform, die im Ausland Mao-Anzug genannt wird. Als Farbe wählte er ein helles Grau. 

Das Foto zeigt Mao mit grauem Anzug sowie Xi Jinping, der einen Anzug in den gleichen Farben trägt - es ist Parteijubiläum.
Dieses Foto einer japanischen Nachrichtenagentur zeigt den Blickwinkel, den Chinas Medien vermieden haben: Die beiden großen Vorsitzenden Xi und Mao im gleichen Anzug mit dem gleichen Farbton.

Xi stach durch sein Outfit aus der Gruppe ranghoher Funktionäre hervor, die ihn in westlichen Anzügen, weißen Hemden und roten Krawatten flankierten. TV-Kameras übertrugen seinen Auftritt vom Balkon des Tiananmen-Tores. Doch sie vermieden, das unter ihm am Tor hängende, sechs Meter große Porträt von Mao Zedong mit ins Bild zu bringen. Es zeigt den Diktator im hellgrauen Mao-Anzug. Die Gleichheit von Kleidung und Farbe erschien selbst den Propagandisten offenbar als zu dick aufgetragen.

“Grau war Maos Lieblingsfarbe”, verriet mir einst Gao Limin, Chef-Couturier des Pekinger Schneiderhauses Hongdu 红都, (Rote Hauptstadt), das unweit des Tiananmen-Platzes seinen Sitz hat. Die staatliche Manufaktur ist Hoflieferant für Chinas Führung. Gao hat sich auf die Herstellung von Mao-Anzügen spezialisiert. Er lernte beim legendären Meister Tian Atong (田阿桐), der seit 1956 alle Anzüge für Mao zuschnitt. “Der Vorsitzende trug sie zu allen Anlässen. Grau war die von ihm verlangte Farbe, ein helles Grau im Sommer und ein dunklerer Ton im Winter“, erinnert sich der frühere Protokollchef im chinesischen Außenministerium, Ma Baofeng

Xis Imitat fiel auf. Er setzte für seine Botschaft, ein zweiter Mao zu sein, “einen politischen Punkt”, kommentierte die Webseite “Duowei News”. Zugleich demonstrierte er, dass er sich von der westlichen Welt unterscheidet.  

Die Symbolik der Taschen und Knöpfe

Das hatte 100 Jahre vor ihm – aber nach innen gerichtet – schon der Gründer der ersten Republik Sun Yatsen (1866-1925, anderer Name: Zhongshan) vorgemacht. Der Mao-Anzug, der nur im Ausland so heißt, während er in China nach dem bürgerlichen Revolutionär Zhongshan-Kleidung (中山装) genannt wird, wurde von ihm mit entworfen.

Sun wollte, dass sich Chinas Männer und Frauen als äußerliches Zeichen für das Ende der feudalen kaiserlichen Herrschaft auch von ihren wallenden Gewändern, ihren Zöpfen und gebundenen Füßen befreiten. Nach seinen Ideen soll um 1912 der erste neue Ausgeh-Kittel entstanden sein, mit vier Außentaschen und einem modernen Stehkragen, der später umgestülpt wurde. Pate dafür haben Japans Kadettenkleidung und preußische Uniformen gestanden.  

Im Design verbergen sich symbolische Bedeutungen, so lautet bis heute die Mär. Schließlich sollte der neue Ausgeh-Kittel mit seinen Taschen und Knöpfen die Staatsangestellten schon beim Anziehen daran erinnern, für wen, wie und wozu sie der Republik dienten.  

Danach symbolisieren die drei Manschettenknöpfe Suns Programm der drei Volksprinzipien: Volkswohl, nationaler Volksstaat und die Volksherrschaft. Die vier Taschen auf der Jacke sollen an konfuzianische Staatstugenden erinnern. Die fünf zentrierten Knöpfe und die Innentasche stünden für Verfassungsrechte, Gewaltenteilung und Kontrolle gegen Machtmissbrauch.    

Im Jahr 1929 erhob Kuomintang-Präsident Tschiang Kai-schek den Anzug zur Amtstracht. Mao, der sich als Vollender von Suns Revolution sah, schlüpfte ebenfalls hinein, als er 1949 die Volksrepublik ausrief. Während der Anzug nach Vorstellung von Sun für Vielfalt und demokratische Selbstbestimmung stand, funktionierte ihn Mao zur Einheitskluft des chinesischen Kommunismus um, die bald “Renminfu” (Volkskleidung) genannt wurde.  

Proletarier-Jacke in Luxusversion

Zu besonderen Anlässen trägt seither auch Xi den Mao-Anzug. 2019 zog er ihn etwa zur Feier des 70. Gründungstags der Volksrepublik China an. Viel eleganter präsentierten sich der Präsident und seine Frau Peng Liyuan beim Staatsbankett als Gäste der niederländischen Königsfamilie 2014. Xi hatte sich dafür den Anzug taillieren, den Stehkragen umstülpen und nur drei, statt vier Taschen nähen lassen. Die Galakleidung erregte in China Aufsehen. 

Xi Jinping Kleidung zum Staatsbankett bei der niederländischen Königsfamilie 2014
Chinas Einheitstracht mal anders: Präsident Xi Jinping und seine Frau Peng Liyuan im maßgeschneiderten Mao-Anzug und bestickter chinesischer Abendrobe als Gäste beim Staatsbankett der niederländischen Königsfamilie 2014. Ausriss aus Beijing News vom 24. März 2014.

Etwa 20 Tage braucht Schneider Gao, um in rund 60 Arbeitsgängen einen Mao-Anzug herzustellen. Die vier Taschen vernähe er zuerst von innen und dann von außen. Das Futter des Anzugs sei am teuersten, weil sich für die Luxusausführung nur importiertes, feines Tuch von besonderer Elastizität eigne. Technisch am schwierigsten sei das Zuschneiden von Ärmel und Kragen. 

Unter Hofschneidern, die im Zentrum der Macht ein- und ausgehen, kursiert ein politischer Sprachwitz: “Lingxiu hen bu hao zuo.” (领袖很不好做) Wörtlich heißt das: “Es ist sehr schwierig, Kragen und Ärmel zu schneidern.” Gleich ausgesprochen, aber mit anderen Zeichen geschrieben, bedeutet der Spruch: “Ein Führer zu sein, ist sehr schwierig.”  

Für den früheren Parteichef Hu Jintao, der sich 2009 zum 60-jährigen Jahrestag der Volksrepublik einen besonderen Anzug bestellte, ließ sich Gao mehrere Innovationen einfallen. Er schnitt auf Taille, legte den Kragen enger und rundete die Jackentaschen ab. “Nach Hus Auftritt legte unser Haus eine Spezial-Sammleredition mit 100 Kopien in unterschiedlichen Größen auf.” Aus Seidenstoffen und mit Knöpfen aus Hetian-Jade waren die mehr als 2200 Euro teuren Anzüge rasch ausverkauft. 

Für die Manufaktur “Rote Hauptstadt” kam 2009 solche Werbung mehr als recht. Ihr Ruf verblasste, nachdem sich Chinas Modemarkt den ausländischen Meistern öffnete und boomte. Auf die Edelmarken Pierre Cardin und Yves Saint-Laurent folgten Hugo Boss, Ralph Lauren, Brioni und dann die Japaner. Heute, so meldete “China Daily” Ende Juni, mache Chinas Textil- und Schuhproduktion ein Viertel des Weltmarktes aus. Doch derzeit würden Chinas Verbraucher wieder zum Kauf einheimischer Marken zurückkehren. “Patriotismus spielt dafür eine wichtige Rolle”, behauptet “China Daily” und verweist als Grund auf die Boykotte westlicher Firmen von H&M bis Nike, die wegen des Vorwurfs der Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus Xinjiang beziehen.  

Dank Xi Jinpings demonstrativer Vorliebe für den Mao-Anzug und den Winkelzügen chinesischer Propaganda versucht Pekings Politik nun, im Modemarkt neuen Fuß zu fassen.   

  • 100 Jahre KP Chinas
  • KP Chinas
  • Mao Zedong
  • Xi Jinping

Personalien

Zhu Zhongming (朱忠明) ist zum Vizeminister im Finanzministerium in Peking ernannt worden. Zhu war zuvor Vizegouverneur der Provinz Hunan. Zhu ist seit Anfang Juli einer von fünf Vizeministern unter Finanzminister Liu Kun.

Kyle Sullivan ist seit Beginn der Woche Vice President für China Practice bei der Albright Stonebridge Group. Sullivan war zuvor an der Michael G. Foster School of Business der University of Washington tätig.

Dessert

Kleine Schritte für den Großen Panda: Die Zahl der in freier Wildbahn lebenden Riesenpandas in China hat nach Angaben staatlicher Stellen mehr als 1.800 Exemplare erreicht – der Status der Bären sei deshalb von “gefährdet” auf “bedroht” herabgestuft worden. Neben den wilden Riesenpandas seien auch die Lebensbedingungen für andere seltenen und vom Aussterben bedrohte Tierarten besser geworden, beispielsweise für die tibetische Antilope und den Davidshirsch, auch Milu genannt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:

    • Smart Lamp – Unnötige Kinderkontrolle oder Segen für Eltern?
    • Chinesische Militärpräsenz in Dschibuti
    • Termine der kommenden Woche
    • Didi hat Probleme mit US-Anlegern
    • Großbritannien prüft Übernahme von Chipfabrik
    • Grenzstadt macht die Schulen dicht
    • Automarkt schwächelt nach Erholung
    • Britische Abgeordnete wollen kein Sponsoring bei Winterspielen 2022
    • Johnny Erling plaudert aus dem Nähkästchen der Roten Hauptstadt
    • Personalien: Neuer Vize im Finanzministerium
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zu den Stärken der chinesischen Gesellschaft zählt manch Bewunderer die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder und Arbeitnehmer. Diesem Eifer hätten wir im Westen doch kaum noch etwas entgegenzusetzen, lautet ein gängiges Argument. Tatsächlich muss man den Hut ziehen, vor Grundschüler:innen, die am 9-9-6-Rhythmus nicht zugrunde gehen. Doch diese Ansicht verkennt eben auch, dass es eine große Errungenschaft der hiesigen Gesellschaft ist, dass unsere Kinder nicht mehr von morgens bis abends pauken müssen, um die Chance auf ein besseres Leben zu bekommen.

    Wir sollten uns nicht daran orientieren, was in einem Land mit veralteten Lernkonzepten und überholten Bildungsstrategien an Energie nötig ist, um studieren zu dürfen. Wenn Überwachung von Kindern erforderlich ist, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren, ist genau das ein Zeichen für Fehlentwicklung, nicht das kindliche Bedürfnis nach Faulenzen und Spielen. Ning Wang hat für uns aufgeschrieben, wie der Technologiekonzern Bytedance diese Form der Überwachung fördert.

    Außerdem stelle man sich vor, dass nur noch Berufe etwas wert wären, für die ein jahrelanges Studium benötigt wird. Wer würde dann Chinas Staatspräsidenten noch mit maßgeschneiderten Mao-Anzügen ausstatten können, so wie es die Schneiderei Hongdu (Rote Hauptstadt) tut, die unser Kolumnist Johnny Erling einst unter die Lupe genommen hat.

    Und sonst? Augen auf in Ostafrika, mahnt das US-Militär. Chinas Militärpräsenz in Dschibuti soll nur der Anfang der gobalen Expansion sein.

    In diesem Sinne viel Spaß mit dem heutigen China.Table

    wünscht Ihnen

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    Digitale Bildung: Schatten über der Lampe

    Neue Technologie: Lernen mit der Dali-Lampe
    Dali-Lampe mit eingebautem Touchscreen und zwei Kameras

    Hausaufgaben führen in Chinas Familien regelmäßig zu Zwist und Tränen. Kinder und Eltern leiden gleichermaßen unter der hohen Belastung, für viele ist es ein regelrechter Albtraum. Besonders betroffen sind Familien der Mittelschicht, in denen oftmals beide Elternteile in Vollzeit beschäftigt sind. Neben der Zeit für ihre Berufe müssen Mütter und Väter nicht selten noch drei, manchmal vier Stunden am Tag dafür aufbringen, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu betreuen. Und auch für die Kinder selbst ist der Arbeitsaufwand beileibe kein Zuckerschlecken. Nach einem sehr langen Schultag fällt es ihnen schwer, noch mehr Motivation und Energie für Hausaufgaben oder Extrakurse aufzubringen.

    Dieser Drill im noch immer veralteten Bildungssystem der Volksrepublik ist gang und gäbe, weil die schulische Leistung in der Regel die einzige Chance für sozialen Aufstieg bietet. Doch die Konkurrenz in einem Milliardenvolk ist riesig, weswegen Erfolg häufig mit strenger Leistungskontrolle verknüpft ist, selbst wenn das den Druck auf alle Beteiligten noch verstärkt. Eltern ist für die Ausbildung ihrer Kinder nichts zu teuer. Sie investieren Geld, Zeit und Energie, und ihnen sind nicht selten alle Mittel recht.

    Die Entwickler der Dali Smart Lamp (大力智能台灯), oder auch: “Lampe der großen Kraft”, hatten genau diese Familien aus der Mittelschicht vor Augen, als sie die Zielgruppe für ihr neues Produkt definierten. Die Smart Lamp ähnelt einer Schreibtischlampe, kommt mit einem eingebauten Bildschirm in Smartphone-Größe sowie zwei integrierten Kameras, die vornehmlich der Überwachung dienen. Eltern können mithilfe der Kameras über riesige Entfernungen ihren Nachwuchs beim Lernen beobachten. Die Lampe, so verspricht es die Werbung, verbessert das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern: Familienfrieden für nur 799 Yuan, rund 100 Euro.

    Eltern können fortan von ihrem Arbeitsplatz aus genau überprüfen, was ihre Kinder tun. Und für nur rund 40 Euro mehr gibt es eine speziell auf die Dali-Lampe ausgerichtete App des Herstellers Bytedance mit Warnfunktion, die den Eltern Nachrichten und sogar Fotos sendet, wenn deren Kinder nicht mehr aufmerksam sind, krumm sitzen oder gar nichts tun, statt zu lernen. Das klingt wie ein Schnäppchen. Doch es besteht die Gefahr, dass die Künstliche Intelligenz die Eltern-Kind-Beziehung auf Dauer belastet. Denn es drängt sich die Frage auf: Kann Empathie tatsächlich durch Technologie ersetzt werden?

    10.000 Bestellungen in vier Monaten

    Einen Teil der Antwort wird der Markt liefern. Seit Herbst vergangenen Jahres ist das Produkt erhältlich. Binnen der ersten vier Monate verzeichnete Bytedance 10.000 Bestellungen. Schon im Frühjahr hatte der Internetgigant Tencent angekündigt, eine ähnliche KI-betriebene Hausaufgabenlampe einführen zu wollen, die die gleichen Funktionen wie das Produkt von Bytedance anbietet. Noch sind die Lampen jedoch unprofitabel. Chen Lin, Chef der neu gegründeten Bildungstechnologie-Sparte von Bytedance, geht davon aus, dass es drei Jahre dauern wird, bis der Bereich schwarze Zahlen schreibt. Das hinderte ihn nicht daran, mehr Mitarbeiter einzustellen. Von den 100.000 Angestellten bei Bytedance arbeiten 10.000 bereits in der Bildungsabteilung, und die Zahl der Mitarbeiter soll noch in diesem Jahr wachsen (China.Table berichtete).

    Die Ausgaben vieler Familien für Zusatzkosten rund um die Bildung des eigenen Kindes belaufen sich schnell auf mehrere Hundert Euro monatlich. Diese Zahlungsbereitschaft weckt Begehrlichkeiten bei den Technologie-Unternehmen. Und durch die Corona-Pandemie hat sich der Wettbewerb für Dienste im Bildungstechnologiesektor noch einmal verschärft. Im Jahr 2020 hat der Online-Bildungsmarkt in China die 40-Milliarden-Dollar-Marke überschritten und soll bis 2026 auf einen Wert von 100 Milliarden US-Dollar steigen. Bytedance will Richtung und Geschwindigkeit, mit der dieser Bereich wächst, mitbestimmen. Erst im vergangenen Juli hatte Chen Lin angekündigt, das Unternehmen werde einen “riesigen Betrag” in neue Bildungstechnologien investieren.

    Bislang verdient der 2016 gegründete Technologiekonzern vor allem durch seine virale Kurzvideoplattform Douyin (das chinesische Pendant zu Tiktok) und die Nachrichten- und Informationsplattform Jinri Toutiao (Schlagzeilen des Tages) das meiste Geld. Der Vorstoß in den Technologiebildungsmarkt (Education-Tech) soll die nächste sprudelnde Einnahmequelle generieren. Die Dali Lampe soll einen großen Schritt in diese Richtung markieren. Schon länger entwickelt das Unternehmen Applikationen fürs E-Learning, die nun bei der Lampe zum Einsatz kommen. Sie helfen bei vergessenen englischen Vokabeln auf die Sprünge, oder sie zitieren klassische chinesische Gedichte, die im Chinesischunterricht immer wieder gern abgefragt werden.

    Bytedance setzt auf schlechtes Gewissen der Eltern

    Kunden locken soll allerdings nicht nur die Überwachungsfunktion des Produkts. Die “Lampe der großen Kraft” soll den Familien auch Zeit sparen. Vor allem beim Nachhilfeunterricht, der während der Pandemie häufig online stattgefunden hat. Bytedance bietet dafür eigene Apps an, über die Mathematik- oder Englischnachhilfe gebucht werden kann. Zusätzlich bietet Bytedance eine digitale Hausaufgaben-Betreuung zur Entlastung viel beschäftigter Eltern, die die Kosten dafür nicht scheuen.

    Statt sich zu überlegen, wie Kinder künftig lernen sollten, setzt die Dali Lampe von Bytedance vor allem auf das schlechte Gewissen der Eltern, ihren Kindern nicht beim Lernen unterstützend zur Seite stehen zu können. Das hat nicht nur Folgen für die Eltern-Kind-Beziehung, die in Chinas Leistungsgesellschaft nicht besonders herzlich oder einfühlsam ist. Sie ist auch gravierend für die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder, die mit diesen Geräten lernen. Und sie lernen vor allem, dass sie nicht mehr eigenständig Probleme bewältigen müssen. Dabei hat das Bildungsministerium längst erkannt, dass die künftigen Generationen eigenständige Problemlösungen erlernen müssen, statt stur auswendig zu lernen. Denn die Fähigkeit, eigene Ideen entwickeln zu können, sind elementar wichtig für Chinas Ziel der Technologieführerschaft. 

    Doch der Einzug der Dali Lampe in die Kinderzimmer der Nation bringt auch Datenschutz- und Sicherheitsprobleme mit sich. Im März häuften sich negative Bewertungen in sozialen Medien. Ein Nutzer sagte, die App erlaube Kindern, Videos von sich selbst im Internet zu posten. Ein anderer Nutzer bemängelte, dass Nutzerprofile und Videos anderer Kinder einsehbar seien, und die App Vorschläge bereitet, sich mit anderen Nutzern zu verbinden. Bytedance verteidigte die Praxis. Jedes Hochladen eines Videos erfordere die Zustimmung der Eltern. Und ohne deren Autorisierung könne auch niemand Drittes Livebilder der Kinder sehen.

    Touchscreen beeinflusst Lernen

    Bedenken äußern auch Pädagogen, die davor warnen, Kindern der Zielgruppe zwischen vier und zwölf Jahren einen interaktiven Touchscreen vorzulegen, der sie regelrecht dazu verleitet, bei schwierigen Aufgaben die Antworten über die angebotenen Apps zu suchen. Britische und schwedische Forscher fanden heraus, dass “Vielnutzer” von Touchscreen-Geräten leichter ablenkbar waren.

    Eine weitere offene Flanke des Produkts bleibt der Schutz der Privatsphäre der Familien. Dalis Einzug in die Kinderzimmer birgt ähnliche Gefahren wie der Einsatz von Sprachassistenten wie Alexa. Das Gesetz bietet trotz bestehender Regulierungen in der Praxis kaum Schutz. Bereits seit 2019 gilt, dass die Datenerfassung von Kindern unter 14 Jahren einzuschränken sei. Wie so oft sind die Interpretationsspielräume aber so groß, dass Bytedance etwa bei der Produktbeschreibung gar nicht erst auf die Gefahren für Privatsphäre oder gar Details der Datenerfassung zu sprechen kommt.

    Bytedance-Gründer Zhang Yiming, der vor gut einem Monat seinen Rückzug als Geschäftsführer angekündigt hatte (China.Table berichtete), sagte zuletzt, dass sich der Konzern beim Thema Bildung erst am “Anfang einer langen Reise” befinde. Ende Juni erst spendete der Milliardär 77 Millionen US-Dollar seines Privatvermögens für einen Bildungsfonds in seiner Heimatstadt in Südchina. Ob es sich dabei um eine Charmeoffensive gegenüber Peking handelt oder mehr Einfluss auf Provinzebene mit den Bildungsinstitutionen – beides wird von Bytedance wohlbedacht sein.

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    Von Dschibuti in die Welt

    Als General Stephen Townsend vor wenigen Wochen im amerikanischen Senat über die neusten Erkenntnisse der US-Streitkräfte berichtet, will er keine Zweifel aufkommen lassen. China baue am Horn von Afrika eine Plattform auf, mit der es nachhaltigen Einfluss auf den gesamten Kontinent und die umliegenden Gewässer ausüben kann. Chinas Aktivitäten in Dschibuti würden die bedeutendste Gefahr darstellen, die momentan von der Volksrepublik ausgeht, warnte der oberste Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afrika Mitte April in Washington.

    Seit August 2017 unterhält China in Dschibuti einen Militärstützpunkt. Es ist die bislang einzige Basis im Ausland. Doch schon damals zeugte die Wahl des Ortes von Pekings großen Ambitionen und strategischer Weitsicht: Der kleine Staat am Horn von Afrika liegt an der Meerenge zwischen Indischem Ozean und Rotem Meer, einer Hauptroute des Welthandels. Für die Sicherung der Handelswege – vor allem des unverzichtbaren Nachschubs an Öl für Chinas Wirtschaft – ist Dschibuti wohl eines der wichtigsten Länder der Welt. Zudem markiert es das westliche Ende des Indo-Pazifik.

    All das haben auch andere Staaten erkannt: Die USA, Japan und Frankreich unterhalten allesamt bereits seit Jahren eigene Militärstützpunkte in Dschibuti. Mit dem Bau eines eigenen Stützpunkts signalisierte China, dass es nun auch offiziell in den Wettstreit um geostrategischen Einfluss eintritt. “In Dschibuti zeigt China ganz offen, dass auf wirtschaftliche und diplomatische Einflussnahme Pekings militärische Macht folgt”, urteilt Hal Brands von der Johns-Hopkins-Universität.

    Peking: Lediglich Logistik-Knotenpunkt

    Allerdings war man anfangs in Peking sehr darum bemüht, den militärischen Aspekt der eigenen Basis zu marginalisieren. Das Verteidigungsministerium ließ mitteilen, dass so vor allem Chinas Beteiligung an Begleit- und Friedensmissionen sowie an humanitären Rettungseinsätzen garantiert werden solle. Durch die Basis wolle man lediglich seine “internationalen Verpflichtungen erfüllen und Frieden und Stabilität garantieren”, hieß es aus Peking. Der Marineexperte Li Jie betonte in der Zeitung “Global Times” den Unterschied zu Einrichtungen westlicher Staaten: “Es wird kein Militärstützpunkt im Stile der Amerikaner, den diese als Brückenkopf für militärische Abschreckung und zur Intervention in anderen Ländern nutzen.” Und aus Sicht des Außenministeriums diene die Basis ohnehin nur als schlichter Logistik-Knotenpunkt für chinesische Schiffe.

    Diese Zurückhaltung hat längst ein Ende. China hat seinen Stützpunkt am Horn von Afrika seither systematisch ausgebaut. Zuletzt wurde eine 340 Meter lange Landebrücke fertiggestellt – groß genug, sodass dort nun selbst Chinas neue Flugzeugträger, Atom-U-Boote oder andere große Kriegsschiffe andocken können. US-General Townsend zufolge handelt es sich längst nicht mehr nur um einen kleinen Nachschubhafen, in dem die Volksbefreiungsarmee einen Zwischenstopp einlege, um zu tanken und ihre Lebensmittelvorräte an Bord aufzufüllen. “Es ist ein Hafen, in dem sie Munition nachladen und ihre Kriegsschiffe reparieren.” Und das nur wenige Kilometer vom US-Camp Lemonnier entfernt.

    Dabei umfasst Chinas Stützpunkt lediglich einen halben Quadratkilometer Fläche – Camp Lemonnier der US-amerikanischen Streitkräfte ist viermal so groß. Doch Chinas Stützpunkt ist schwer geschützt, er hat 23.000 Quadratmeter unterirdische Einrichtungen und bietet Platz für rund 2.000 Soldaten:innen. Es gibt einen Tower, eine Start- und Landebahn, ein Krankenhaus – und seit neustem eine Landebrücke, die weit ins Meer hinausragt. “Diese Basis ist der militärische Unterbau für Pekings Ambitionen, zum Patron von Staaten in Afrika und im Nahen Osten zu werden”, analysiert Timothy Heath von der militärnahen US-Denkfabrik Rand Kooperation. Der Stützpunkt in Dschibuti diene quasi als Brückenkopf.

    Dschibuti ist Chinas Tor nach Afrika

    Und in der Tat verfolgt China im Osten des Kontinents nicht nur militärische Interessen, auch wirtschaftliche – und auch dafür ist der Ort prädestiniert: Neben seiner geostrategisch günstigen Lage ist es das stabilste und sicherste Land der Region. Es verfügt über eine grundlegende Infrastruktur, auf der die Chinesen aufbauen können, und bietet Möglichkeiten zur Expansion – in Dschibuti und anderen Teilen Afrikas.

    Allein in Dschibuti hat China durch Investitionen und Kredite zwischen 2012 und 2020 rund 14 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, darunter Projekte wie die 3,5 Milliarden US-Dollar teure Freihandelszone, die wohl größte in ganz Afrika. Sie schuf in ihrer ersten Phase rund 200.000 neue Jobs und erzielte zwischen 2018 und 2020 ein Handelsvolumen von mehr als sieben Milliarden US-Dollar. Peking hat Anteile am Hauptstadt-Hafen gekauft und will dessen Kapazitäten ausbauen. Im Rahmen eines Vier-Milliarden-Dollar-Projekts zur Erdgasgewinnung im Nachbarland Äthiopien baut China die Bohranlage sowie die entsprechende Rohrleitung und eine Eisenbahnlinie, um den Rohstoff zu exportieren. Und der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei will ein Unterseeglasfaserkabel bis nach Pakistan verlegen.

    Darüber hinaus dient Dschibuti als Chinas Tor nach Afrika. Chinesische Kredite und Investitionen erstrecken sich über den gesamten Kontinent: von Häfen und Eisenbahnstrecken über Überlandstraßen bis hin zu Gas- und Ölleitungen. Huawei ist in vielen afrikanischen Staaten dabei, das jeweilige 5G-Netzwerk aufzubauen. Während das Engagement der US-Amerikaner seit den Terroranschlägen vom 11. September vor allem Anti-Terror-Maßnahmen umfasst, richten die Chinesen ihren Fokus und ihre Rhetorik auf den Ausbau von Infrastruktur und Wachstum. So ist es nicht verwunderlich, dass Peking schon 2009 Washington als Afrikas führenden Handelspartner abgelöst hat – und sich seither nicht mehr von dieser Spitzenposition hat verdrängen lassen.

    Afrika ist für China sowohl riesiger Markt, auf dem es eigene Produkte absetzt und Rohstoffe einkauft, als auch eine entscheidende Region im Ringen um geostrategischen Einfluss sowie eine wichtige diplomatische Stütze in internationalen Organisationen. “Die Chinesen haben Ausdauer. Sie wollen von hier aus die internationale Ordnung zu ihren Gunsten verändern“, warnt US-General Townsend. Der Ansatz ist immer der gleiche: Erst wirtschaftliche Abhängigkeit erzeugen, und diese dann in politische Unterstützung umwandeln. In internationalen Organisationen schafft sich China so unter den afrikanischen Staaten eine breite Front an Befürwortern seiner Politik.

    All das wirkt. Die US-amerikanische Warnung vor einer chinesischen Schuldenfalle wies Dschibutis Finanzminister unlängst schroff zurück: “Wir sind alt genug, um zu wissen, was wir für unser Land tun müssen.”

    Hal Brands von der Hopkins-Universität weist dem Land denn auch eine herausragende Rolle im globalen Wettstreit zwischen den USA und China zu – und der Westen gebe in diesem Wettstreit derzeit keine gute Figur ab. Die US-Strategie wirke wie ein Relikt der Vergangenheit, in der es vor allem um den Kampf gegen den Terror ging. Chinas Strategie hingegen sei auf zukünftige Generationen ausgerichtet, die nach Jobs und Wohlstand streben.

    Auf Wirtschaft folgt das Militär

    Und in Dschibuti könne man den nächsten Schritt in der chinesischen Einflussnahme beobachten: Auf Chinas wachsende wirtschaftliche und diplomatische Macht folgt die militärische Komponente. Entsprechend sind immer mehr Beobachter sicher, dass Dschibuti nicht der einzige chinesische Militärstützpunkt im Ausland bleiben wird.

    Im aktuellen Jahresbericht des US-Verteidigungsministeriums heißt es denn auch: “Über den derzeitigen Stützpunkt in Dschibuti hinaus prüft und plant die Volksrepublik sehr wahrscheinlich bereits weitere militärische Stützpunkte im Ausland für ihre Luft-, See- und Bodenstreitkräfte.” Als mögliche Optionen genannt werden unter anderem Myanmar, Sri Lanka oder auch Tansania.

    Schon 2016 forderte der renommierte chinesische Wissenschaftler Yan Xuetong von der Volksrepublik eine forschere Außenpolitik. Ein wichtiger Bestandteil sollten Militärstützpunkte im Ausland sein. “Schon aus seinem eigenen Interesse heraus sollte China Militärstützpunkte aufbauen in Ländern, die es als Verbündete betrachtet”, sagte Yan.

    Auch Timothy Heath gesteht den Chinesen eine gewisse Notwendigkeit zu. “Fehlende Basen sind für China ein großes Problem, weil man sehr abhängig ist von Märkten, Energie und natürlichen Ressourcen, die allesamt weit entfernt sind wie der Nahe Osten, Afrika oder Lateinamerika.” Zusammen mit den Projekten der Neuen Seidenstraße bilde das ein fragiles Gebilde, das bei Problemen verheerende Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft haben könnte. Es müssten allerdings nicht zwangsläufig immer Militärstützpunkte sein. “Sie werden auch militärischen Einfluss gewinnen durch Dual-use-Einrichtungen entlang des Indischen Ozeans, durch Partnerschaften mit Streitkräften anderer Länder oder durch das Anstellen chinesischer Sicherheitsfirmen für die unzähligen Infrastrukturprojekte entlang der Neuen Seidenstraße.”

    Eines ist für Heath jedenfalls klar. Der Westen sollte ganz genau auf Chinas Engagement am Horn schauen. “Was die Volksbefreiungsarmee in Dschibuti tut, verrät uns viel darüber, wie China seine Streitkräfte und seine militärische Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent bis weit in den Nahen Osten ausbauen wird.”

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    • Geopolitik
    • Militär
    • Neue Seidenstraße
    • Schulden

    Termine

    12.07.2021, 08:00-09:00 Uhr Beijing Time (02:00-03:00 Uhr CEST)
    Webinar, Swineit: What is happening with pig production in China? Mehr

    13.07.2021, 08:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing Time)
    Webinar, CNBW: Zum Anti-Foreign Sanctions Law in China Mehr

    13.07.2021, 11:30 Uhr (17:30 Uhr Beijing Time)
    Webinar, Cooperation Network Berlin & China (CN-BC): “Digitalization and Innovators in China” with Prof. Dr. Zheng Han Anmeldung

    13.07.2021, 10:30 Uhr (16:30 Uhr Beijing Time)
    Webinar, Dezan Shira: China’s Greater Bay Area: Exploring Key Sectors for Direct Investment and M&A Mehr

    13.07.2021, 10:00-11:30 Uhr (16:00-17:30 Uhr Beijing Time)
    Webinar, EU SME Centre: Vorstellung Report “The E-Commerce Ecosystem in China: A Checklist for European SMEs” Mehr

    14.07.2021, 8:30-9:30 Uhr
    Webinar, Chinaforum Bayern: “Hongkong oder Singapur – Hauptsache Asien!” Mehr

    14.07.2021, 10:00-11:30 Uhr
    Webinar, IHK Frankfurt am Main: Der chinesische Markt: Ab jetzt nur noch mit lokaler Präsenz? Mehr

    14.07.2021, 18:00-19:00 Uhr
    Vortrag, Konfuzius Institut Heidelberg: ChinaCool-Online: Vegan in China Mehr

    15.07.2021, 10:00-11:00 Uhr (16:00-17:00 Uhr Beijing Time)
    Webinar, EU SME Centre: Get ready for the show | Info session: Participation to trade fairs in China Mehr

    15.07.2021, 18:00-19:00 Uhr
    Vortrag, Konfuzius Institut Heidelberg: Sinology goes public: Ein weinender Halbdrache. Vom “Dazwischen-Schreiben” der Autorin Luo Lingyuan Mehr

    16.07.2021, 10:00-11:00 Uhr (16:00-17:00 Uhr Beijing Time)
    Training webinar, Nordic China Business Hub AS: Importing from China: The Do’s and Don’ts Mehr

    News

    US-Anleger verklagen Didi wegen Kurssturz

    Nach dem Angriff der Regulierer in China wird Didi Chuxing nun in den USA von verärgerten Investoren heimgesucht. Gleich zwei Gruppen verklagen den Fahrdienst in New York und Los Angeles. Dutzende von Anwaltskanzleien wollen an dem potenziellen Geschäft mit Entschädigungen für vermeintlichen Börsenbetrug teilhaben. Didi war Anfang Juli in New York an die Börse gegangen. Nur wenige Tage später hatte die chinesische Internetaufsicht erhebliche Änderungen der Datenschutz-Praktiken des Unternehmens verlangt und den Download der App unterbunden, bis die Probleme behoben sind. Daraufhin waren die anfänglichen Kursgewinne kollabiert (China.Table berichtete). Die Aktie verlor ein Viertel ihres Wertes. Die Investoren sehen sich nun von den Versprechungen des Unternehmens getäuscht.

    Die Erfolgsaussichten der Klagen sind jedoch bestenfalls gemischt. Das Unternehmen hatte von Anfang an auf regulatorische Unsicherheiten hingewiesen. Die Hinweise bezogen sich zwar auf andere Untersuchung wegen Monopolbildung und der arbeitsrechtlichen Behandlung der Fahrer:innen. Trotzdem fanden sich deutliche Hinweise über weiteres Eingreifen der Behörden. fin

    • Börse
    • Didi
    • Technologie

    Briten untersuchen Übernahme von Chipfabrik

    Großbritannien wird die Übernahme einer der größten Chipfabriken des Landes durch Nexperia aus Sicherheitsgründen untersuchen, wie Bloomberg berichtet. Nexperia, eine Tochterfirma des chinesischen Unternehmens Wingtech Technology, hatte die in Wales ansässige Halbleiterfabrik Newport Wafer Fab am Montag erworben. Newport stellt demzufolge hauptsächlich Chips für die Autoindustrie her, aber auch solche für 5G- und Gesichtserkennungs-Anwendungen.

    Großbritanniens nationaler Sicherheitsberater Stephen Lovegrove wird untersuchen, ob es bei den von Newport hergestellten Chips “Sicherheitsimplikationen gibt“, sagte Premierminister Boris Johnson nach Angaben Bloombergs dem britischen Parlament.

    Iain Duncan Smith, ehemals Vorsitzender der Konservativen Partei, sagte demzufolge, der Verkauf der Chipfabrik sei eine “Investitionskatastrophe“. Schon in den letzten Jahren wurden Halbleiterfabriken an japanische und chinesische Investoren verkauft. Seit diesem Jahr gibt es ein Gesetz, dass es der Regierung erlaubt, bei Übernahmen einzugreifen, wenn sie die nationale Sicherheit bedrohen. nib

    • Chips
    • Halbleiter
    • Industrie
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    Corona provoziert Lockdown in Ruili

    Die Behörden der Stadt Ruili in der südwestchinesischen Provinz Yunnan haben den 270.000 Einwohnern wegen eines neuen Corona-Ausbruchs einen strengen Lockdown verordnet. Das Stadtgebiet ist am Mittwoch abgeriegelt und alle Einwohner dazu aufgefordert worden, sich in häusliche Quarantäne zu begeben, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Der Schulunterricht ist bis auf Weiteres ausgesetzt, und Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Geöffnet bleiben nur noch medizinische Einrichtungen und einige Lebensmittelmärkte. In Ruili, das im Grenzgebiet zu Myanmar liegt, wurden am Dienstag 15 lokal übertragene Fälle bestätigt. grz

    • Coronavirus
    • Gesundheit

    Erholung des Automarkts stockt

    Die Erholung auf Chinas Automarkt kommt ins Stocken. Im Juni wurden in der Volksrepublik 1,6 Millionen Pkw, SUV und Minivans an Endkunden verkauft – 5,3 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, wie Wall Street Journal unter Berufung auf den Branchenverband China Passenger Car Association (PCA) am Donnerstag berichtete. Schon im Mai hatte es demnach laut Daten des Verbands nur noch ein kleines Plus bei den Verkäufen gegeben. Vorläufige Daten des Herstellerverbands China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) aus der vergangenen Woche hatten für Juni bereits einen Rückgang angedeutet. Der Herstellerverband bezieht auch Nutzfahrzeuge ein und misst den Absatz der Hersteller an die Händler. Insgesamt sank der Absatz im Juni den Eckdaten zufolge um 16,3 Prozent auf 1,93 Millionen Fahrzeuge. ari

    • Autoindustrie
    • CAAM
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    Britische Abgeordnete fordern: Nur Athleten zu Olympia

    Britische Abgeordnete haben die Regierung ihres Landes aufgefordert, die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking nicht zu besuchen. London solle zudem weitere Regierungen anregen, den Spielen fernzubleiben, hieß es in einem am Donnerstag veröffentlichten Report des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des britischen Parlaments. “Die Regierung sollte vorschlagen, dass die British Olympic Association nicht an der Eröffnungs- oder Abschlusszeremonie teilnimmt, außer einem Vertreter, der die Flagge trägt”, schrieben die Parlamentarier weiter. Auch Fans und Touristen sollen demnach ermutigt werden, den Spielen fernzubleiben. Britische Unternehmen sollten “nachdrücklich” davon abgehalten werden, bei den Olympischen Spielen als Sponsor aufzutreten oder zu werben. Zu diesem Punkt wird das britische Parlament in der kommenden Woche auch eine eigene Debatte abhalten. Der Bericht der britischen Parlamentarier befasst sich mit der Lage der Uiguren.

    Auch das Europaparlament rief in einer Resolution zu einem diplomatischen Boykott der Winterspiele auf (China.Table berichtete). Der entsprechende Entschließungsantrag erhielt am Donnerstag bei der Abstimmung eine große Mehrheit. Ob Vertreter:innen als Gäste an der Veranstaltung in Peking teilnehmen, ist keine EU-Entscheidung, sondern obliegt den nationalen Regierungen. ari

    • Großbritannien
    • Olympia
    • Sport

    Presseschau

    Australians fear attack from China almost as much as Taiwanese do, survey finds THE GUARDIAN
    White House admits ‘honest mistake’ in including Taiwan flag in tweet and recommits to ‘one China’ policy INDEPENDENT
    Boeing Max Edges Toward China Return as Test Flights Near BLOOMBERG (PAY)
    Senators call on US securities regulator to investigate Didi IPO FT (PAY)
    China to hold major military activity in Yellow Sea amid fall of rocket debris GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    KP deckelt Immobilienpreise: Shenzhen wird wieder zum Experimentierfeld FAZ (PAY)
    Auf dem Weg nach China: Opel soll zur Elektro-Marke werden SUEDDEUTSCHE
    Pläne zur Abwehr von Asteroidkollisionen: Chinas Idee zur Rettung der Erde SPIEGEL
    Boeing: Comeback in China – Aktie legt deutlich zu DER AKTIONÄR
    Corona- und China-Sorgen lassen Wall Street im Minus schließen: Größter Kursrutsch seit fast zwei Monaten HANDELSBLATT (PAY)

    Kolumne

    Die Schneider der Roten Hauptstadt

    Von Johnny Erling
    Ein Bild von Johnny Erling

    “In China ist selbst die Kleidung politisch”, überschrieb ein Pekinger Monatsmagazin seine Titelgeschichte zur Mode in der Volksrepublik. Das traf vergangene Woche auch auf Parteichef Xi Jinping zu. Bei seiner Jubiläumsrede zur 100-jährigen Gründungsfeier der KP-China trug er die traditionelle Parteiuniform, die im Ausland Mao-Anzug genannt wird. Als Farbe wählte er ein helles Grau. 

    Das Foto zeigt Mao mit grauem Anzug sowie Xi Jinping, der einen Anzug in den gleichen Farben trägt - es ist Parteijubiläum.
    Dieses Foto einer japanischen Nachrichtenagentur zeigt den Blickwinkel, den Chinas Medien vermieden haben: Die beiden großen Vorsitzenden Xi und Mao im gleichen Anzug mit dem gleichen Farbton.

    Xi stach durch sein Outfit aus der Gruppe ranghoher Funktionäre hervor, die ihn in westlichen Anzügen, weißen Hemden und roten Krawatten flankierten. TV-Kameras übertrugen seinen Auftritt vom Balkon des Tiananmen-Tores. Doch sie vermieden, das unter ihm am Tor hängende, sechs Meter große Porträt von Mao Zedong mit ins Bild zu bringen. Es zeigt den Diktator im hellgrauen Mao-Anzug. Die Gleichheit von Kleidung und Farbe erschien selbst den Propagandisten offenbar als zu dick aufgetragen.

    “Grau war Maos Lieblingsfarbe”, verriet mir einst Gao Limin, Chef-Couturier des Pekinger Schneiderhauses Hongdu 红都, (Rote Hauptstadt), das unweit des Tiananmen-Platzes seinen Sitz hat. Die staatliche Manufaktur ist Hoflieferant für Chinas Führung. Gao hat sich auf die Herstellung von Mao-Anzügen spezialisiert. Er lernte beim legendären Meister Tian Atong (田阿桐), der seit 1956 alle Anzüge für Mao zuschnitt. “Der Vorsitzende trug sie zu allen Anlässen. Grau war die von ihm verlangte Farbe, ein helles Grau im Sommer und ein dunklerer Ton im Winter“, erinnert sich der frühere Protokollchef im chinesischen Außenministerium, Ma Baofeng

    Xis Imitat fiel auf. Er setzte für seine Botschaft, ein zweiter Mao zu sein, “einen politischen Punkt”, kommentierte die Webseite “Duowei News”. Zugleich demonstrierte er, dass er sich von der westlichen Welt unterscheidet.  

    Die Symbolik der Taschen und Knöpfe

    Das hatte 100 Jahre vor ihm – aber nach innen gerichtet – schon der Gründer der ersten Republik Sun Yatsen (1866-1925, anderer Name: Zhongshan) vorgemacht. Der Mao-Anzug, der nur im Ausland so heißt, während er in China nach dem bürgerlichen Revolutionär Zhongshan-Kleidung (中山装) genannt wird, wurde von ihm mit entworfen.

    Sun wollte, dass sich Chinas Männer und Frauen als äußerliches Zeichen für das Ende der feudalen kaiserlichen Herrschaft auch von ihren wallenden Gewändern, ihren Zöpfen und gebundenen Füßen befreiten. Nach seinen Ideen soll um 1912 der erste neue Ausgeh-Kittel entstanden sein, mit vier Außentaschen und einem modernen Stehkragen, der später umgestülpt wurde. Pate dafür haben Japans Kadettenkleidung und preußische Uniformen gestanden.  

    Im Design verbergen sich symbolische Bedeutungen, so lautet bis heute die Mär. Schließlich sollte der neue Ausgeh-Kittel mit seinen Taschen und Knöpfen die Staatsangestellten schon beim Anziehen daran erinnern, für wen, wie und wozu sie der Republik dienten.  

    Danach symbolisieren die drei Manschettenknöpfe Suns Programm der drei Volksprinzipien: Volkswohl, nationaler Volksstaat und die Volksherrschaft. Die vier Taschen auf der Jacke sollen an konfuzianische Staatstugenden erinnern. Die fünf zentrierten Knöpfe und die Innentasche stünden für Verfassungsrechte, Gewaltenteilung und Kontrolle gegen Machtmissbrauch.    

    Im Jahr 1929 erhob Kuomintang-Präsident Tschiang Kai-schek den Anzug zur Amtstracht. Mao, der sich als Vollender von Suns Revolution sah, schlüpfte ebenfalls hinein, als er 1949 die Volksrepublik ausrief. Während der Anzug nach Vorstellung von Sun für Vielfalt und demokratische Selbstbestimmung stand, funktionierte ihn Mao zur Einheitskluft des chinesischen Kommunismus um, die bald “Renminfu” (Volkskleidung) genannt wurde.  

    Proletarier-Jacke in Luxusversion

    Zu besonderen Anlässen trägt seither auch Xi den Mao-Anzug. 2019 zog er ihn etwa zur Feier des 70. Gründungstags der Volksrepublik China an. Viel eleganter präsentierten sich der Präsident und seine Frau Peng Liyuan beim Staatsbankett als Gäste der niederländischen Königsfamilie 2014. Xi hatte sich dafür den Anzug taillieren, den Stehkragen umstülpen und nur drei, statt vier Taschen nähen lassen. Die Galakleidung erregte in China Aufsehen. 

    Xi Jinping Kleidung zum Staatsbankett bei der niederländischen Königsfamilie 2014
    Chinas Einheitstracht mal anders: Präsident Xi Jinping und seine Frau Peng Liyuan im maßgeschneiderten Mao-Anzug und bestickter chinesischer Abendrobe als Gäste beim Staatsbankett der niederländischen Königsfamilie 2014. Ausriss aus Beijing News vom 24. März 2014.

    Etwa 20 Tage braucht Schneider Gao, um in rund 60 Arbeitsgängen einen Mao-Anzug herzustellen. Die vier Taschen vernähe er zuerst von innen und dann von außen. Das Futter des Anzugs sei am teuersten, weil sich für die Luxusausführung nur importiertes, feines Tuch von besonderer Elastizität eigne. Technisch am schwierigsten sei das Zuschneiden von Ärmel und Kragen. 

    Unter Hofschneidern, die im Zentrum der Macht ein- und ausgehen, kursiert ein politischer Sprachwitz: “Lingxiu hen bu hao zuo.” (领袖很不好做) Wörtlich heißt das: “Es ist sehr schwierig, Kragen und Ärmel zu schneidern.” Gleich ausgesprochen, aber mit anderen Zeichen geschrieben, bedeutet der Spruch: “Ein Führer zu sein, ist sehr schwierig.”  

    Für den früheren Parteichef Hu Jintao, der sich 2009 zum 60-jährigen Jahrestag der Volksrepublik einen besonderen Anzug bestellte, ließ sich Gao mehrere Innovationen einfallen. Er schnitt auf Taille, legte den Kragen enger und rundete die Jackentaschen ab. “Nach Hus Auftritt legte unser Haus eine Spezial-Sammleredition mit 100 Kopien in unterschiedlichen Größen auf.” Aus Seidenstoffen und mit Knöpfen aus Hetian-Jade waren die mehr als 2200 Euro teuren Anzüge rasch ausverkauft. 

    Für die Manufaktur “Rote Hauptstadt” kam 2009 solche Werbung mehr als recht. Ihr Ruf verblasste, nachdem sich Chinas Modemarkt den ausländischen Meistern öffnete und boomte. Auf die Edelmarken Pierre Cardin und Yves Saint-Laurent folgten Hugo Boss, Ralph Lauren, Brioni und dann die Japaner. Heute, so meldete “China Daily” Ende Juni, mache Chinas Textil- und Schuhproduktion ein Viertel des Weltmarktes aus. Doch derzeit würden Chinas Verbraucher wieder zum Kauf einheimischer Marken zurückkehren. “Patriotismus spielt dafür eine wichtige Rolle”, behauptet “China Daily” und verweist als Grund auf die Boykotte westlicher Firmen von H&M bis Nike, die wegen des Vorwurfs der Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus Xinjiang beziehen.  

    Dank Xi Jinpings demonstrativer Vorliebe für den Mao-Anzug und den Winkelzügen chinesischer Propaganda versucht Pekings Politik nun, im Modemarkt neuen Fuß zu fassen.   

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    Personalien

    Zhu Zhongming (朱忠明) ist zum Vizeminister im Finanzministerium in Peking ernannt worden. Zhu war zuvor Vizegouverneur der Provinz Hunan. Zhu ist seit Anfang Juli einer von fünf Vizeministern unter Finanzminister Liu Kun.

    Kyle Sullivan ist seit Beginn der Woche Vice President für China Practice bei der Albright Stonebridge Group. Sullivan war zuvor an der Michael G. Foster School of Business der University of Washington tätig.

    Dessert

    Kleine Schritte für den Großen Panda: Die Zahl der in freier Wildbahn lebenden Riesenpandas in China hat nach Angaben staatlicher Stellen mehr als 1.800 Exemplare erreicht – der Status der Bären sei deshalb von “gefährdet” auf “bedroht” herabgestuft worden. Neben den wilden Riesenpandas seien auch die Lebensbedingungen für andere seltenen und vom Aussterben bedrohte Tierarten besser geworden, beispielsweise für die tibetische Antilope und den Davidshirsch, auch Milu genannt.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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