Table.Briefing: China

Tabus für Ehelose + Wechat-Kanäle

  • Harte Realität für Mütter ohne Trauschein
  • Alternative Quellen zu chinesischen Medien
  • Dutzende Demonstranten weiterhin in Haft
  • Kritik an Besuch in Xinjiang
  • Abschiebeschutz für Hongkonger in den USA
  • Hongkonger Juristin erhält den Voltaire-Preis
  • Patten gratuliert geflüchteten Hongkongern
  • Covid-Welle auf neuem Höchststand
  • Tools: Mehr Schutz für Whistleblower
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Berichterstattung staatlicher chinesischer Medien über die deutsche Politik folgt zumeist der offiziellen politischen Agenda. Doch es gibt eine Fülle unabhängiger Informationsanbieter auf der Social-Media-Plattform Wechat, die zum Beispiel von Deutschland aus in chinesischer Sprache Nachrichten oder Alltagsgeschichten verbreiten. Renxiu Zhao hat diese Kanäle einmal unter die Lupe genommen und stellt exemplarisch drei von ihnen vor.

Deng Xiaopings Aussage – ihm sei die Fellfarbe einer Katze im Grunde egal, Hauptsache sie fange Mäuse – ist denn im Westen auch längst zum gerne genutzten Bonmot geworden. Fabian Peltsch zeigt in seiner heutigen Analyse allerdings, dass es mit Pekings Pragmatismus in der Gesellschaftspolitik nicht weit her ist: Es geht um das schwere Los von alleinerziehenden Müttern in China. Denn trotz immer weiter sinkender Geburtenraten und eines wachsenden demografischen Drucks hält die Regierung in Peking an ihrem patriarchalen Rollenverständnis fest – auf Kosten von unverheirateten Frauen und alleinerziehenden Müttern.

Ihre
Christiane Kühl
Bild von Christiane  Kühl

Analyse

Das harte Los unverheirateter Mütter

Unverheiratete Mütter in China werden wirtschaftlich und gesellschaftlich stigmatisiert.
Ehelose chinesische Mütter müssen viel Last alleine bewältigen. Staatliche Unterstützung bleibt ihnen meist vorenthalten.

Mitte November ging das Video einer Frau aus Dalian auf chinesischen Social-Media-Kanälen viral. Am Frühstückstisch erklärt die 36-Jährige, dass sie ein “qualitativ hochwertiges Single-Leben” einer Ehe “geringer Qualität” in jedem Fall vorziehen würde. “Ich denke, dass Frauen heutzutage nicht mehr in einer Zeit leben, in der sie von Männern in einer Ehe abhängig sein müssen.”

Die Popularität des an sich unspektakulären Videos zeigt, dass es in China noch immer ein gewagtes Statement ist, den Sinn der Ehe öffentlich infrage zu stellen. In China können Frauen Karriere machen – nirgendwo in Asien gibt es so viele Millionärinnen. Ohne Ehemann werden Frauen jedoch noch immer gesellschaftlich stigmatisiert und wirtschaftlich benachteiligt.

Mehr als 19 Millionen Alleinerziehende

Wie groß dieses Problem ist, zeigt ein Bericht eines regierungsnahen Forschungsinstituts aus dem Jahr 2019. Demnach wird die Zahl der alleinerziehenden Mütter in China auf mehr als 19 Millionen geschätzt, wobei Geschiedene und Witwen mit einberechnet wurden. Gleichzeitig hat sich die Scheidungsrate nach Angaben des Ministeriums für zivile Angelegenheiten zwischen 2009 und 2018 fast verdoppelt. Umfragen zeigen, dass chinesische Frauen vor allem in Städten immer später heiraten – wenn überhaupt.

Im Jahr 2020 heirateten laut Regierungsangaben nur 8,1 Millionen Paare, die niedrigste Zahl seit 2003. In Shanghai liegt das Durchschnittsalter, in dem Frauen zum ersten Mal heiraten, bei 29 Jahren, gegenüber 23 Jahren im Jahr 2005. Dadurch verschiebt sich auch die Kinderplanung nach hinten.

Staatliche Leistungen oft nur mit Heiratsurkunde

Besonders unverheiratete, alleinerziehende Mütter fallen durch das Raster patriarchaler Rollenbilder. Rechtlich befinden sie sich in China in einer Grauzone. Obwohl die offiziellen Richtlinien unverheirateten Frauen nicht ausdrücklich verbieten, Kinder zu bekommen, behandeln viele Provinzen und Gemeinden uneheliche Geburten noch immer als einen Verstoß gegen die Familienplanungspolitik.

Laut Definition der Nationalen Gesundheitskommission liegt die Familienplanung in der Verantwortung von “Ehemännern und Ehefrauen”. Staatliche Leistungen wie Erziehungsurlaub und medizinische Untersuchungen vor und nach der Geburt sind demnach oftmals Frauen mit einer gültigen Heiratsurkunde vorbehalten. Viele unverheiratete Mütter haben deshalb zum Beispiel Schwierigkeiten, eine Hukou-Registrierung für ihre Kinder zu erhalten, die beispielsweise für die Einschulung oder den Erhalt von Sozialleistungen nötig ist. Auch deswegen führen voreheliche Schwangerschaften in China noch oft zu “Blitzhochzeiten” oder Abtreibungen.

Anhui und Shanghai wagen Lockerungen

Ein Delegierter des Nationalen Volkskongresses von Guangdong erklärte noch im Februar, dass das Familienplanungsgesetz möglicherweise einige Klarstellungen benötigt, um den Bedürfnissen alleinstehender Mütter gerecht zu werden. Der Beamte räumte ein, dass sich die Frauen in einer rechtlichen Zwickmühle befänden. Das verwundert, denn der chinesische Staat hat sich aufgrund sinkender Geburtenraten vorgenommen, “die Geburtenpolitik zu optimieren und eine langfristig ausgewogene Bevölkerungsentwicklung zu fördern”.

Der Umgang mit alleinerziehenden Müttern liegt jedoch im Ermessen der Kommunalverwaltungen. In Shanghai und in der Provinz Guangdong wurden innerhalb der vergangenen zwei Jahre neue Regelungen eingeführt, die die Vorlage einer Heiratsurkunde für die Beantragung von Sozialleistungen nicht mehr notwendig machen. Auch die Gesundheitskommission der Provinz Anhui hat im September dieses Jahres einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der das Verbot für unverheiratete Frauen, eine Geburt zu registrieren, aufheben soll.

Tatsächlich ist die Umsetzung dieser Richtlinien noch immer von Widersprüchen und bürokratischen Hürden geprägt. Immer wieder werden unverheiratete Mütter von den lokalen Behörden abgewiesen. In anderen Fällen müssen sie Bearbeitungsgebühren bezahlen, die für Verheiratete nicht erhoben werden.

Einfrieren von Eizellen bleibt für Unverheiratete tabu

Alleine Kinder zu bekommen, etwa durch künstliche Befruchtung oder Leihmutterschaft, ist für unverheiratete Chinesinnen illegal. Das Einfrieren von Eizellen ist nur verheirateten Frauen gestattet, etwa bei Fruchtbarkeitsproblemen. Alleinstehende Männer können ihr Sperma dagegen ohne bürokratische Hürden einfrieren lassen. Die Gesundheitsbehörden verteidigen diese Politik damit, dass die Entnahme von Eizellen bei Frauen und die Geburt in höherem Alter gesundheitliche Risiken mit sich bringe.

Viele Chinesinnen reisen deshalb ins Ausland, um eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen, etwa in Thailand, den USA oder Dänemark. Auch die Ukraine war vor dem Krieg ein beliebtes Ziel. Als Reisebüros getarnte Agenturen bieten entsprechende Angebote an. Wer genug Geld mitbringt, kann auch ohne Ehemann Mutter werden. Bis solche Kinder gesellschaftlich akzeptiert werden, ist es jedoch noch ein weiter Weg.

  • Frauen
  • Gesellschaft
  • Gesundheit

“Ein anderes Deutschland”: Wechat als alternative Informationsquelle

Die chinesischen Staatsmedien sind selektiv, was die Auswahl an Nachrichten über Deutschland betrifft. Die Berichterstattung über Reizthemen wie die Flüchtlingskrise oder die Energiewende folgt nicht selten einer Agenda, die die offizielle Politik in China rechtfertigen soll. Eigene Recherchen sind für Chinesen aufgrund der Sprachbarrieren und Internetsperren nicht einfach. Große deutsche Nachrichtenportale wie Welt oder Spiegel sind in der Volksrepublik gesperrt. Abhilfe schaffen Wechat-Kanäle, die sich auf Deutschland spezialisiert haben: “Wechat public accounts”. In China haben sie die traditionellen Nachrichten als erste Anlaufstelle zur Informationsbeschaffung mittlerweile abgelöst.

Ein öffentliches Wechat-Konto ist oftmals eine Mischung aus Nachrichtenportal und Blogseite. Technisch gesehen kann jeder so ein Konto einrichten, nachdem er die Genehmigung des sogenannten “Wechat Media and Content Teams” erhalten hat. Zu den großen Kanälen, die sich mit Deutschland beschäftigen, zählen die “Chinesische Handelszeitung” 德欧华商, WegZuDe 留德圈 oder Deutschlandreport 道德经. Sie beschränken sich jedoch in der Regel auf neutrale Nachrichten mit wenig Diskussionen in den Kommentarspalten oder folgen dem Tonfall der Staatsmedien.

Doch es gibt ein paar Kanäle, die mit einem persönlichen Ansatz arbeiten oder versuchen, einen differenzierten Blick auf Deutschland und die chinesische Berichterstattung zu werfen

《新华二代在德国》- Xinhua II in Deutschland

WeChat-Kanäle über Deutschland: Xinhua 2

Gegründet wurde der Kanal von einem Chinesen, der in Deutschland lebt und fließend Deutsch spricht. Xinhua II – dessen Name an die staatliche chinesische Nachrichtenagentur angelehnt ist – will ein “anderes Deutschland” zeigen, zu dem Leser, die die Landessprache nicht beherrschen, sonst keinen Zugang hätten. Die meisten Inhalte des Kanals sind Blog-Einträge des Administrators selbst; hinzu kommen Übersetzungen aus deutschen Medien. Eine der Kolumnen heißt “辟谣”, zu Deutsch “entlarvt”. Dort vergleicht der Account in China kursierende Nachrichten über Deutschland mit der Berichterstattung vor Ort.

Ein viel kommentierter Artikel auf Xinhua II war die schriftliche Widerlegung eines chinesischen Bloggers namens “CaptainWuya”. Nach dem knappen Wiedereinzug der Linkspartei, bezeichnet als “Nachfolgepartei der ehemaligen ostdeutschen Regierungspartei”, in den Bundestag 2021 war “CaptainWuya” zu dem Schluss gekommen, dass “die Ostdeutschen die Kommunistische Partei vermissen”. In seinem rund 100.000 Mal angeklickten Essay auf Wechat erklärte er, dass das ostdeutsche Volk sich vor dem Mauerfall nicht gegen die Regierung gewendet habe. Das sei “Gehirnwäsche durch die westlichen Medien”. Xinhua II widerlegte in der “Entlarvt”-Kolumne das Argument anhand des Wahlergebnisses für die Linkspartei, die 2021 große Verluste hinnehmen musste. Tatsächlich kam sie nur dank einiger Direktmandate überhaupt ins Parlament. Auch historische Ereignisse wie den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR führte der Kanal ins Feld.

Außerdem nimmt Xinhua II ab und zu staatliche chinesische Berichte auseinander – was dem Macher immer wieder negative Kommentare einbringt. Insgesamt erscheinen die User auf Xinhua II jedoch reflektierter als auf vergleichbaren Kanälen. Da die Anzahl der Follower von öffentlichen Wechat-Konten in der Regel nicht offengelegt wird, kann die Reichweite nur anhand der Views einzelner Artikel geschätzt werden. Innerhalb einer Woche nach ihrer Veröffentlichung werden die Texte auf Xinhua II im Schnitt etwa 10.000 Mal angeklickt, woraus sich eine wahrscheinliche Followerzahl von 150.000 und 200.000 ergibt.

《潜伏的木马君 – Lauerndes Schaukelpferd “Muma”

WeChat-Kanäle über Deutschland: Muma

Im Gegensatz zum vorangegangenen Kanal bietet “Muma” einen intimeren Blick auf deutsch-chinesische Beziehungen. Geführt wird der vor allem bei Frauen beliebte Account von einer chinesischen Ingenieurin mit dem Spitznamen Muma, die mit einem deutschen Manager in leitender Position verheiratet ist. Das Paar hat einen vierjährigen Sohn.

Mit humorvollen Anekdoten aus dem Alltag versucht der Kanal den Lesern ein Verständnis für deutsche Werte zu vermitteln. So vergleicht er die Erziehungsmethoden beider Länder und beleuchtet gesellschaftliche Entwicklungen. Im Juni schrieb Muma, ausgehend von Daten des Statistischen Bundesamts, einen Artikel mit dem Titel “Warum Deutsche nicht heiraten wollen”. “Viele Deutsche halten die ‘Ehe’ nicht für notwendig”, erklärt sie ihren Leser:innen. In den Kommentarspalten stößt dieser Trend durchaus auf Zustimmung. Eine Nutzerin aus Ningxia erklärt, dass viele chinesische Männer im Grunde nichts zur Ehe beitragen würden, keine Hausarbeit erledigen, sich nicht um die Kinder kümmern.

Eine beliebte Serie von Muma, der geschätzt 400.000 bis 500.000 Menschen folgen, widmet sich den vielen Hobbys ihres Ehemanns. Mal trainiert dieser in einem Vorort von München Überlebenstechniken für die Wildnis, mal fertigt er mithilfe von Youtube-Videos einen Dolchholster aus Leder an. Nachdem die Familie in diesem Jahr von Deutschland nach Nanjing gezogen ist, gründete er dort einen E-Bike-Club mit anderen deutschen Männern aus der Nachbarschaft. Eine Leserin kommentiert augenzwinkernd: “Männer mittleren Alters haben ständig neue Hobbys, weil sie eine tolerante, großzügige und finanzstarke Frau hinter sich haben. Er hatte wirklich Glück, Muma heiraten zu dürfen.”

Es gibt jedoch auch andere Kanäle, die über aktuelle und politische Themen berichten, und dabei durchaus sehr kritisch auftreten.

《德国生活》- Leben in Deutschland

WeChat-Kanäle über Deutschland: Leben in Deutschland

Ein Beispiel dafür ist der Kanal “Leben in Deutschland”, der sich an Auslandschinesen in Deutschland richtet. Der Kanal ging aus der “Chinesischen Allgemeinen Zeitung Deutschland” hervor, die zum Beispiel in asiatischen Supermärkten ausliegt. Jeden Tag veröffentlicht “Leben in Deutschland” drei Beiträge, die aktuelle Themen aufgreifen oder praktische Tipps für den Alltag geben. Auf der Webseite heißt es, man wolle die Menschen beider Länder einander näherbringen. Doch der Tonfall der Texte auf dem Wechat-Account ist polarisierend und sehr kritisch gegenüber der deutschen Politik. Der Kanal postet Artikel aus den deutschen Medien, die er zuweilen mit einem sarkastischen Unterton im Zusammenhang mit der Bundesregierung und der Energiekrise anreichert.

Besonders auffällig an dem Account ist die überdurchschnittlich aktive Kommentarspalte mit überwiegend regierungskritischen Posts. In einer Mehrheit der Kommentare werden Unzufriedenheit und Ironie der betreffenden Nutzer gegenüber den derzeitigen Regierungsparteien, insbesondere den Grünen, deutlich: So beschreibt jemand Annalena Baerbock als “Außenministerin, die redet, ohne nachzudenken, und deren Politik nur aus Parolen besteht.” Etwa jeder zehnte Kommentar ätzt in auffälligem Tonfall, während der überwiegende Teil argumentativ kritisch ist.

Wer den Kanal betreibt, ist indes undurchsichtig: Zu dem Verlag, dessen Name übersetzt etwa Evolution Media Consulting (维进化媒体咨询有限公司) bedeutet, finden sich im Netz keinerlei Informationen. Ob die Fülle an negativen Kommentaren also Zufall ist oder gewünscht, lässt sich daher nicht sagen. Doch klar ist, der Kanal wird gelesen: Gemessen an der Anzahl der Artikelaufrufe hat dieses Konto schätzungsweise zwischen 300.000 und 400.000 Follower.

Neben den Deutschlandthemen gibt es auch Diskussionen mit China-Bezug. So gibt ein Nutzer zu bedenken, dass die höheren Energiekosten in Deutschland nichts im Vergleich zu den Flugticket-Preisen zurück nach China seien: “Wie kommt es, dass wir in China keine Mainstream-Medien haben, die Menschen interviewen, die von den himmelhohen Flugpreisen betroffen sind – und den Ursachen auf den Grund gehen?” Renxiu Zhao. Mitarbeit: Fabian Peltsch

  • Deutschland
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  • Technologie
  • WeChat

News

Dutzende noch immer inhaftiert

Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) sind landesweit noch immer Dutzende Demonstranten in Haft, nachdem sie im November gegen die strikte Null-Covid-Politik und für politische Freiheiten demonstriert hatten. Einige von ihnen seien ohne Kontakt zu Angehörigen und würden an unbekannten Orten festgehalten, teilte die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation mit. 

HRW forderte die Führung in Peking auf, alle Inhaftierten sofort freizulassen und die gegen sie erhobenen Vorwürfe fallen zu lassen. Wer als junger Mensch in China wage, sich für Freiheit und Menschenrechte einzusetzen, zahle einen hohen Preis, erklärte die Organisation. In einem vor ihrer Festnahme aufgenommenen Video, das im Internet zirkuliert, bittet etwa die 36-jährige Redakteurin Cao Zhixin: “Lasst uns nicht von dieser Welt verschwinden. Lasst nicht zu, dass wir weggebracht oder willkürlich für ein Verbrechen verurteilt werden.” flee

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Proteste
  • Zivilgesellschaft

Muslime kritisieren Xinjiang-Delegation

Der bekannte bosnische Imam Mustafa Cerić steht wegen eines Besuchs mit weiteren Vertretern des Weltrates der muslimischen Gemeinschaften (TWMCC) in Xinjiang in der Kritik. Uiguren-Aktivisten und muslimische Vereinigungen warfen dem TWMCC und Cerić vor, mit der Reise das Vorgehen der chinesischen Regierung in der Region zu akzeptieren. Anfang Januar hatte eine Delegation von mehr als 30 muslimischen Persönlichkeiten und Scheichs aus 14 Ländern an dem von der chinesischen Regierung organisierten Besuch in Xinjiang teilgenommen, wie unter anderem Radio Free Europe berichtete.

Cerić war lange das geistige Oberhaupt der bosnischen Muslime und ist in der Balkan-Region und auch in anderen Teilen Europas eine wichtige Stimme für die Gläubigen. Die islamische Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina distanzierte sich nach dem Besuch von Cerić.

Es ist empörend, dass der TWMCC an diesem Propaganda-Besuch teilgenommen hat und sich nun die Darstellung der chinesischen Regierung zu eigen macht”, sagte der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa. Er verrate “Millionen muslimischen Brüder und Schwestern, die unter der chinesischen Regierung litten.” Zu den Stationen der Delegationsreise gehörte auch der Besuch in einem Museum für den Kampf gegen Terrorismus und Extremismus. Delegationsleiter und TWMCC-Vorsitzender Ali Al Nuaimi lobte “die Bemühungen der chinesischen Behörden im Kampf gegen den Terror in Xinjiang”. Der Besuch wurde von chinesischen Staatsmedien begleitet. ari

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  • Uiguren
  • Xinjiang
  • Zivilgesellschaft

USA verlängern Abschiebe-Schutz für Hongkonger

Die US-Regierung hat den Abschiebe-Schutz für Hongkonger um zwei Jahre verlängert. Die Verlängerung des Programms mit dem Namen “Deferred Enforced Departure” (DED) bedeutet, dass Hongkonger, die andernfalls wegen Überschreitung ihres Visums abgeschoben würden, nun bis Januar 2025 in den USA bleiben können.

Das DED-Programm wäre in zwei Wochen ausgelaufen. “Mit dieser Aktion demonstrieren wir erneut die starke Unterstützung von Präsident Biden für die Menschen in Hongkong angesichts der zunehmenden Repression durch die VR China”, teilte der Nationale Sicherheitsrat einem Politico-Bericht zufolge mit. Die Regierung von Präsident Joe Biden erließ erstmals im August 2021 einen Abschiebungsaufschub. Rund 3.860 Hongkonger, die sich in den USA aufhielten, erhielten damals die Berechtigung, 18 Monate lang in den USA zu leben und zu arbeiten. Angesichts der sonst sehr strengen Visa- und Greencard-Regeln in den Vereinigten Staaten stellte das eine massive Erleichterung für die Geflüchteten aus Hongkong dar. ari

  • Hongkong
  • USA

Hongkonger Juristin geehrt

Die aus Hongkong stammende Juristin und Autorin Amy Lai hat den “Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz” der Universität Potsdam verliehen bekommen. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde Lai am Mittwochabend während des Neujahrsempfangs der Universität verliehen.

Lai habe sich nach Einschätzung der Jury in besonderer Weise für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt eingesetzt, hieß es in der Mitteilung. Als 2014 in Hongkong die Regenschirm-Revolution gegen die verschärfte Repression durch die chinesische Regierung begann, habe sich Amy Lai journalistisch für den Erhalt der Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt engagiert und diese in diversen Lokalzeitungen kundgetan, erklärte Jurymitglied Iwan Michelangelo D’Aprile. Einige dieser Zeitungen haben die Behörden inzwischen verboten. flee

  • Hongkong
  • Menschenrechte

Patten prophezeit Ende der Diktatur

Archivbild: Chris Patten erhält 1997 die eingeholte britische Nationalflagge anlässlich der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China.

Hongkongs letzter Gouverneur, Chris Patten, hat den Bewohnern der Stadt in einer Neujahrsansprache Mut für die Zukunft gemacht. Der Politiker prophezeite in seiner Videobotschaft das Ende der autoritären Herrschaft der Kommunistischen Partei. “Früher oder später verschwinden alle Diktaturen im Rückspiegel der Geschichte. Die Werte, für die Hongkong steht, überleben jede Diktatur, einschließlich der in Peking“, sagte Patten.

Der 78-Jährige richtete seine Grüße auch explizit an Hongkonger, die in jüngster Vergangenheit ins politische Exil geflüchtet waren. Patten lobte den gesellschaftlichen Beitrag, den sich in ihren neuen Wahlwohnorten leisten würden. Er sei traurig, dass sie die Stadt “wegen der umfangreichen Angriffe auf die Hongkonger Freiheit, die Peking unternimmt” verlassen mussten. grz

  • Chinesisch Neujahr
  • Hongkong
  • Zivilgesellschaft

Modellierer: Covid-Wellen überlagern sich derzeit

Die Seuchenexperten des Londoner Forschungsinstituts Airfinity haben ihre Prognose für den Verlauf der Covid-Ausbreitung in China angepasst. Statt zweier abgegrenzter Wellen erwarten die Modellierer jetzt ein langgezogenes Gebirge mit mehreren Gipfeln. Ab dem 27. Januar, also Freitag, fällt die Fallzahl demnach jedoch wieder. Sie bleibt dann wegen der erworbenen Immunität in der Bevölkerung auf absehbare Zeit niedrig. Die erste Runde der Durchseuchung wäre demnach bis zum Wochenende geschafft.

China Covid-Wellen: Vorhersagen zeigen, dass die Wellen sich überlappen.
Airfinity hat seine Prognose angepasst.

Der Spitzenwert der Neuansteckungen wird Airfinity zufolge bei 4,8 Millionen Infektionen pro Tag liegen. Der Druck auf die Krankenhäuser bleibt in den kommenden Wochen hoch, weil die schweren Verläufe sich zum Teil lange hinziehen. Die Zahl der Toten dürfte den Berechnungen zufolge am Donnerstag mit 36.000 Gestorbenen an einem Tag den Höchststand erreichen. Seit Anfang Dezember sind diesen Schätzungen zufolge etwa 848.000 Menschen mit oder an Covid gestorben.

Verlässliche Zahlen gibt es keine. Chinas Führung hat seit der abrupten Öffnung am 7. Dezember das flächendeckende Testen weitgehend eingestellt. Stattdessen werden niedrige Zahlen bekannt geben, die jedoch unrealistisch sind. Chinesische Experten geben zu, dass die Ausbreitung des Virus sich durch die Mitte Januar begonnene Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest, “stärker als erwartet beschleunigt” hat. Nach Schätzungen des führenden Epidemiologen Wu Zunyou vom nationalen Gesundheitsamt (CDC) dürften sich bis zu 80 Prozent aller Chinesen mit dem Virus angesteckt haben. Das wären mehr als eine Milliarde Menschen. flee

  • Coronavirus
  • Gesellschaft
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Tools

Zunehmende Bedeutung von Whistleblowing in China

Von Sebastian Wiendieck

Whistleblower- bzw. Hinweisgebersysteme sind heute elementare Bestandteile eines Compliance Managements. Whistleblowing nimmt auch in China seit längerem einen besonderen Stellenwert ein. Hierzu beigetragen haben sicherlich drei Jahre der Trennung zwischen ausländischen Mutterhäusern und ihren chinesischen Tochtergesellschaften aufgrund der restriktiven Covid-Maßnahmen in China, die erst vor kurzem aufgehoben wurden.

Gesetzliche Regelung von Hinweisgebersystemen

China sieht bei privaten Unternehmen grundsätzlich keine gesetzliche Pflicht zur Errichtung eines allgemeinen Whistleblower-Systems vor. Mittlerweile gibt es aber zahlreiche gesetzliche und administrative Regelungen, die die Rechte von Whistleblowern festschreiben oder die Einrichtung entsprechender Systeme fordern.

Bereits im September 2019 hatte der Staatsrat Richtlinien veröffentlicht, in denen sowohl die Zentral- als auch die Provinzregierungen aufgefordert werden, Systeme zum Schutz von Hinweisgebern einzurichten. Parallel wurden eine Reihe von Verordnungen erlassen, die finanzielle Anreize für Whistleblower schaffen. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die im Dezember 2021 in Kraft getretenen Interim Measures for Rewarding Whistleblowing of Major Violations in the Field of Market Regulation des chinesischen Finanzministeriums und der staatlichen Verwaltung für Marktregulierung. Danach kann ein Hinweisgeber unter bestimmten Voraussetzungen eine Belohnung von bis zu einer Million RMB erhalten.

Das chinesische Zivilgesetzbuch sieht vor, dass Unternehmen interne Regelungen zum Schutz vor sexueller Belästigung erlassen und umsetzen müssen. Diese Pflichten werden durch das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene novellierte Gesetz über den Schutz der Rechte und Interessen von Frauen konkretisiert. Hiernach sind Arbeitgeber verpflichtet, ein internes Beschwerdesystem mit Benennung eines zuständigen Ansprechpartners einzurichten.

Schutz von Hinweisgebern

Handlungsbedarf besteht zudem vor dem Hintergrund des auf der EU-Hinweisgeber-Richtlinie basierenden Entwurfs für ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), welches voraussichtlich im 2. Quartal 2023 in Kraft treten wird. Unternehmen mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten sind danach u.a. verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten. Das HinSchG wird die gesamte Unternehmensgruppe und somit auch chinesische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen betreffen. Das gilt auch für das bereits zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz, welches ebenfalls die Einführung eines Beschwerdeverfahrens für Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferkette vorsieht.

Auch in China gibt es inzwischen Mechanismen zum Schutz von Hinweisgebern. Ein Arbeitgeber, der Repressalien gegen einen Whistleblower ergreift, kann verwaltungs- und strafrechtlich belangt werden. Der Whistleblower hat unter Umständen auch Anspruch auf Wiedereinstellung (mit Lohnnachzahlung) oder auf eine Entschädigung. Alle eingereichten Informationen müssen zudem vertraulich behandelt werden. Auf der anderen Seite wird verlangt, dass Hinweisgeber keine Tatsachen erfinden, verdrehen oder falsche An-schuldigungen erheben dürfen.

Was Unternehmen tun sollten

Hinweisgebersysteme bringen Chancen (v.a. frühzeitiges Erkennen, Vermeiden und Beheben von Verstößen; Pluspunkt bei behördlichen Ermittlungen; Stärkung der internen Compliance-Kultur) als auch Risiken (insbes. Kosten; Missbrauchsrisiko; Schaffung einer “Kultur des Misstrauens” im Unternehmen) mit sich.

Vor dem Hintergrund zunehmender Regulierung und Bedeutung von Whistleblower-Systemen sind Unternehmen in China jedoch gehalten, interne Hinweisgebersysteme einzurichten. Beschwerdestellen können dabei, soweit nicht gesetzlich anders vorgesehen, auch bei einem Dritten, wie einem Branchenverband, Rechtsanwalt oder zentral bei der Konzernmutter eingerichtet werden. Folgende Maßnahmen werden bei der Einrichtung eines Hinweisgebersystems empfohlen:

  • Einrichtung spezieller Meldekanäle sowie die entsprechenden Zuständigkeiten (zum Beispiel durch die Einrichtung spezieller E-Mail-Adressen oder Telefonnummern)
  • Erstellen und Kommunikation von unternehmensinternen Whistleblower-Richtlinien, die dem Hinweisgeber helfen, seine Hinweise an das Unternehmen zu adressieren und ihm den vertraulichen und anonymen Umgang mit seiner Beschwerde gewährleisten
  • Festlegen eines Abhilfesystems, das auch Antwortfristen definiert, um rechtzeitige Folgemaßnahmen oder die weitere Kommunikation mit den Hinweisgebern zu erleichtern
  • Durchführen regelmäßiger Schulungen zum internen Hinweisgebersystem, um das Bewusstsein der Mitarbeiter zu schärfen
  • Regelmäßige sowie anlassbezogene Prüfung des Meldeverfahrens
  • Regelmäßiger (meist jährlich) Bericht über getroffene Maßnahmen; Aufbewahrung und Zugänglichkeit des Berichts gemäß gesetzlichen Vorgaben)
  • Besonders wichtig ist schließlich die Beachtung von datenschutzrechtlichen Besonderheiten. Hier spielen die EU-DSGVO als auch das chinesische Datensicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz von persönlichen Informationen eine besondere Rolle. Insbesondere bei der grenzüberschreitenden Übertragung von personenbezogenen Informationen bestehen aus chinesischer Sicht erhebliche Einschränkungen.

Sebastian Wiendieck ist Partner und Leiter des Rechtsbereichs von Rödl & Partner in China.

  • Unternehmen

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Hongkonger Juristin erhält den Voltaire-Preis
    • Patten gratuliert geflüchteten Hongkongern
    • Covid-Welle auf neuem Höchststand
    • Tools: Mehr Schutz für Whistleblower
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Berichterstattung staatlicher chinesischer Medien über die deutsche Politik folgt zumeist der offiziellen politischen Agenda. Doch es gibt eine Fülle unabhängiger Informationsanbieter auf der Social-Media-Plattform Wechat, die zum Beispiel von Deutschland aus in chinesischer Sprache Nachrichten oder Alltagsgeschichten verbreiten. Renxiu Zhao hat diese Kanäle einmal unter die Lupe genommen und stellt exemplarisch drei von ihnen vor.

    Deng Xiaopings Aussage – ihm sei die Fellfarbe einer Katze im Grunde egal, Hauptsache sie fange Mäuse – ist denn im Westen auch längst zum gerne genutzten Bonmot geworden. Fabian Peltsch zeigt in seiner heutigen Analyse allerdings, dass es mit Pekings Pragmatismus in der Gesellschaftspolitik nicht weit her ist: Es geht um das schwere Los von alleinerziehenden Müttern in China. Denn trotz immer weiter sinkender Geburtenraten und eines wachsenden demografischen Drucks hält die Regierung in Peking an ihrem patriarchalen Rollenverständnis fest – auf Kosten von unverheirateten Frauen und alleinerziehenden Müttern.

    Ihre
    Christiane Kühl
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    Analyse

    Das harte Los unverheirateter Mütter

    Unverheiratete Mütter in China werden wirtschaftlich und gesellschaftlich stigmatisiert.
    Ehelose chinesische Mütter müssen viel Last alleine bewältigen. Staatliche Unterstützung bleibt ihnen meist vorenthalten.

    Mitte November ging das Video einer Frau aus Dalian auf chinesischen Social-Media-Kanälen viral. Am Frühstückstisch erklärt die 36-Jährige, dass sie ein “qualitativ hochwertiges Single-Leben” einer Ehe “geringer Qualität” in jedem Fall vorziehen würde. “Ich denke, dass Frauen heutzutage nicht mehr in einer Zeit leben, in der sie von Männern in einer Ehe abhängig sein müssen.”

    Die Popularität des an sich unspektakulären Videos zeigt, dass es in China noch immer ein gewagtes Statement ist, den Sinn der Ehe öffentlich infrage zu stellen. In China können Frauen Karriere machen – nirgendwo in Asien gibt es so viele Millionärinnen. Ohne Ehemann werden Frauen jedoch noch immer gesellschaftlich stigmatisiert und wirtschaftlich benachteiligt.

    Mehr als 19 Millionen Alleinerziehende

    Wie groß dieses Problem ist, zeigt ein Bericht eines regierungsnahen Forschungsinstituts aus dem Jahr 2019. Demnach wird die Zahl der alleinerziehenden Mütter in China auf mehr als 19 Millionen geschätzt, wobei Geschiedene und Witwen mit einberechnet wurden. Gleichzeitig hat sich die Scheidungsrate nach Angaben des Ministeriums für zivile Angelegenheiten zwischen 2009 und 2018 fast verdoppelt. Umfragen zeigen, dass chinesische Frauen vor allem in Städten immer später heiraten – wenn überhaupt.

    Im Jahr 2020 heirateten laut Regierungsangaben nur 8,1 Millionen Paare, die niedrigste Zahl seit 2003. In Shanghai liegt das Durchschnittsalter, in dem Frauen zum ersten Mal heiraten, bei 29 Jahren, gegenüber 23 Jahren im Jahr 2005. Dadurch verschiebt sich auch die Kinderplanung nach hinten.

    Staatliche Leistungen oft nur mit Heiratsurkunde

    Besonders unverheiratete, alleinerziehende Mütter fallen durch das Raster patriarchaler Rollenbilder. Rechtlich befinden sie sich in China in einer Grauzone. Obwohl die offiziellen Richtlinien unverheirateten Frauen nicht ausdrücklich verbieten, Kinder zu bekommen, behandeln viele Provinzen und Gemeinden uneheliche Geburten noch immer als einen Verstoß gegen die Familienplanungspolitik.

    Laut Definition der Nationalen Gesundheitskommission liegt die Familienplanung in der Verantwortung von “Ehemännern und Ehefrauen”. Staatliche Leistungen wie Erziehungsurlaub und medizinische Untersuchungen vor und nach der Geburt sind demnach oftmals Frauen mit einer gültigen Heiratsurkunde vorbehalten. Viele unverheiratete Mütter haben deshalb zum Beispiel Schwierigkeiten, eine Hukou-Registrierung für ihre Kinder zu erhalten, die beispielsweise für die Einschulung oder den Erhalt von Sozialleistungen nötig ist. Auch deswegen führen voreheliche Schwangerschaften in China noch oft zu “Blitzhochzeiten” oder Abtreibungen.

    Anhui und Shanghai wagen Lockerungen

    Ein Delegierter des Nationalen Volkskongresses von Guangdong erklärte noch im Februar, dass das Familienplanungsgesetz möglicherweise einige Klarstellungen benötigt, um den Bedürfnissen alleinstehender Mütter gerecht zu werden. Der Beamte räumte ein, dass sich die Frauen in einer rechtlichen Zwickmühle befänden. Das verwundert, denn der chinesische Staat hat sich aufgrund sinkender Geburtenraten vorgenommen, “die Geburtenpolitik zu optimieren und eine langfristig ausgewogene Bevölkerungsentwicklung zu fördern”.

    Der Umgang mit alleinerziehenden Müttern liegt jedoch im Ermessen der Kommunalverwaltungen. In Shanghai und in der Provinz Guangdong wurden innerhalb der vergangenen zwei Jahre neue Regelungen eingeführt, die die Vorlage einer Heiratsurkunde für die Beantragung von Sozialleistungen nicht mehr notwendig machen. Auch die Gesundheitskommission der Provinz Anhui hat im September dieses Jahres einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der das Verbot für unverheiratete Frauen, eine Geburt zu registrieren, aufheben soll.

    Tatsächlich ist die Umsetzung dieser Richtlinien noch immer von Widersprüchen und bürokratischen Hürden geprägt. Immer wieder werden unverheiratete Mütter von den lokalen Behörden abgewiesen. In anderen Fällen müssen sie Bearbeitungsgebühren bezahlen, die für Verheiratete nicht erhoben werden.

    Einfrieren von Eizellen bleibt für Unverheiratete tabu

    Alleine Kinder zu bekommen, etwa durch künstliche Befruchtung oder Leihmutterschaft, ist für unverheiratete Chinesinnen illegal. Das Einfrieren von Eizellen ist nur verheirateten Frauen gestattet, etwa bei Fruchtbarkeitsproblemen. Alleinstehende Männer können ihr Sperma dagegen ohne bürokratische Hürden einfrieren lassen. Die Gesundheitsbehörden verteidigen diese Politik damit, dass die Entnahme von Eizellen bei Frauen und die Geburt in höherem Alter gesundheitliche Risiken mit sich bringe.

    Viele Chinesinnen reisen deshalb ins Ausland, um eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen, etwa in Thailand, den USA oder Dänemark. Auch die Ukraine war vor dem Krieg ein beliebtes Ziel. Als Reisebüros getarnte Agenturen bieten entsprechende Angebote an. Wer genug Geld mitbringt, kann auch ohne Ehemann Mutter werden. Bis solche Kinder gesellschaftlich akzeptiert werden, ist es jedoch noch ein weiter Weg.

    • Frauen
    • Gesellschaft
    • Gesundheit

    “Ein anderes Deutschland”: Wechat als alternative Informationsquelle

    Die chinesischen Staatsmedien sind selektiv, was die Auswahl an Nachrichten über Deutschland betrifft. Die Berichterstattung über Reizthemen wie die Flüchtlingskrise oder die Energiewende folgt nicht selten einer Agenda, die die offizielle Politik in China rechtfertigen soll. Eigene Recherchen sind für Chinesen aufgrund der Sprachbarrieren und Internetsperren nicht einfach. Große deutsche Nachrichtenportale wie Welt oder Spiegel sind in der Volksrepublik gesperrt. Abhilfe schaffen Wechat-Kanäle, die sich auf Deutschland spezialisiert haben: “Wechat public accounts”. In China haben sie die traditionellen Nachrichten als erste Anlaufstelle zur Informationsbeschaffung mittlerweile abgelöst.

    Ein öffentliches Wechat-Konto ist oftmals eine Mischung aus Nachrichtenportal und Blogseite. Technisch gesehen kann jeder so ein Konto einrichten, nachdem er die Genehmigung des sogenannten “Wechat Media and Content Teams” erhalten hat. Zu den großen Kanälen, die sich mit Deutschland beschäftigen, zählen die “Chinesische Handelszeitung” 德欧华商, WegZuDe 留德圈 oder Deutschlandreport 道德经. Sie beschränken sich jedoch in der Regel auf neutrale Nachrichten mit wenig Diskussionen in den Kommentarspalten oder folgen dem Tonfall der Staatsmedien.

    Doch es gibt ein paar Kanäle, die mit einem persönlichen Ansatz arbeiten oder versuchen, einen differenzierten Blick auf Deutschland und die chinesische Berichterstattung zu werfen

    《新华二代在德国》- Xinhua II in Deutschland

    WeChat-Kanäle über Deutschland: Xinhua 2

    Gegründet wurde der Kanal von einem Chinesen, der in Deutschland lebt und fließend Deutsch spricht. Xinhua II – dessen Name an die staatliche chinesische Nachrichtenagentur angelehnt ist – will ein “anderes Deutschland” zeigen, zu dem Leser, die die Landessprache nicht beherrschen, sonst keinen Zugang hätten. Die meisten Inhalte des Kanals sind Blog-Einträge des Administrators selbst; hinzu kommen Übersetzungen aus deutschen Medien. Eine der Kolumnen heißt “辟谣”, zu Deutsch “entlarvt”. Dort vergleicht der Account in China kursierende Nachrichten über Deutschland mit der Berichterstattung vor Ort.

    Ein viel kommentierter Artikel auf Xinhua II war die schriftliche Widerlegung eines chinesischen Bloggers namens “CaptainWuya”. Nach dem knappen Wiedereinzug der Linkspartei, bezeichnet als “Nachfolgepartei der ehemaligen ostdeutschen Regierungspartei”, in den Bundestag 2021 war “CaptainWuya” zu dem Schluss gekommen, dass “die Ostdeutschen die Kommunistische Partei vermissen”. In seinem rund 100.000 Mal angeklickten Essay auf Wechat erklärte er, dass das ostdeutsche Volk sich vor dem Mauerfall nicht gegen die Regierung gewendet habe. Das sei “Gehirnwäsche durch die westlichen Medien”. Xinhua II widerlegte in der “Entlarvt”-Kolumne das Argument anhand des Wahlergebnisses für die Linkspartei, die 2021 große Verluste hinnehmen musste. Tatsächlich kam sie nur dank einiger Direktmandate überhaupt ins Parlament. Auch historische Ereignisse wie den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR führte der Kanal ins Feld.

    Außerdem nimmt Xinhua II ab und zu staatliche chinesische Berichte auseinander – was dem Macher immer wieder negative Kommentare einbringt. Insgesamt erscheinen die User auf Xinhua II jedoch reflektierter als auf vergleichbaren Kanälen. Da die Anzahl der Follower von öffentlichen Wechat-Konten in der Regel nicht offengelegt wird, kann die Reichweite nur anhand der Views einzelner Artikel geschätzt werden. Innerhalb einer Woche nach ihrer Veröffentlichung werden die Texte auf Xinhua II im Schnitt etwa 10.000 Mal angeklickt, woraus sich eine wahrscheinliche Followerzahl von 150.000 und 200.000 ergibt.

    《潜伏的木马君 – Lauerndes Schaukelpferd “Muma”

    WeChat-Kanäle über Deutschland: Muma

    Im Gegensatz zum vorangegangenen Kanal bietet “Muma” einen intimeren Blick auf deutsch-chinesische Beziehungen. Geführt wird der vor allem bei Frauen beliebte Account von einer chinesischen Ingenieurin mit dem Spitznamen Muma, die mit einem deutschen Manager in leitender Position verheiratet ist. Das Paar hat einen vierjährigen Sohn.

    Mit humorvollen Anekdoten aus dem Alltag versucht der Kanal den Lesern ein Verständnis für deutsche Werte zu vermitteln. So vergleicht er die Erziehungsmethoden beider Länder und beleuchtet gesellschaftliche Entwicklungen. Im Juni schrieb Muma, ausgehend von Daten des Statistischen Bundesamts, einen Artikel mit dem Titel “Warum Deutsche nicht heiraten wollen”. “Viele Deutsche halten die ‘Ehe’ nicht für notwendig”, erklärt sie ihren Leser:innen. In den Kommentarspalten stößt dieser Trend durchaus auf Zustimmung. Eine Nutzerin aus Ningxia erklärt, dass viele chinesische Männer im Grunde nichts zur Ehe beitragen würden, keine Hausarbeit erledigen, sich nicht um die Kinder kümmern.

    Eine beliebte Serie von Muma, der geschätzt 400.000 bis 500.000 Menschen folgen, widmet sich den vielen Hobbys ihres Ehemanns. Mal trainiert dieser in einem Vorort von München Überlebenstechniken für die Wildnis, mal fertigt er mithilfe von Youtube-Videos einen Dolchholster aus Leder an. Nachdem die Familie in diesem Jahr von Deutschland nach Nanjing gezogen ist, gründete er dort einen E-Bike-Club mit anderen deutschen Männern aus der Nachbarschaft. Eine Leserin kommentiert augenzwinkernd: “Männer mittleren Alters haben ständig neue Hobbys, weil sie eine tolerante, großzügige und finanzstarke Frau hinter sich haben. Er hatte wirklich Glück, Muma heiraten zu dürfen.”

    Es gibt jedoch auch andere Kanäle, die über aktuelle und politische Themen berichten, und dabei durchaus sehr kritisch auftreten.

    《德国生活》- Leben in Deutschland

    WeChat-Kanäle über Deutschland: Leben in Deutschland

    Ein Beispiel dafür ist der Kanal “Leben in Deutschland”, der sich an Auslandschinesen in Deutschland richtet. Der Kanal ging aus der “Chinesischen Allgemeinen Zeitung Deutschland” hervor, die zum Beispiel in asiatischen Supermärkten ausliegt. Jeden Tag veröffentlicht “Leben in Deutschland” drei Beiträge, die aktuelle Themen aufgreifen oder praktische Tipps für den Alltag geben. Auf der Webseite heißt es, man wolle die Menschen beider Länder einander näherbringen. Doch der Tonfall der Texte auf dem Wechat-Account ist polarisierend und sehr kritisch gegenüber der deutschen Politik. Der Kanal postet Artikel aus den deutschen Medien, die er zuweilen mit einem sarkastischen Unterton im Zusammenhang mit der Bundesregierung und der Energiekrise anreichert.

    Besonders auffällig an dem Account ist die überdurchschnittlich aktive Kommentarspalte mit überwiegend regierungskritischen Posts. In einer Mehrheit der Kommentare werden Unzufriedenheit und Ironie der betreffenden Nutzer gegenüber den derzeitigen Regierungsparteien, insbesondere den Grünen, deutlich: So beschreibt jemand Annalena Baerbock als “Außenministerin, die redet, ohne nachzudenken, und deren Politik nur aus Parolen besteht.” Etwa jeder zehnte Kommentar ätzt in auffälligem Tonfall, während der überwiegende Teil argumentativ kritisch ist.

    Wer den Kanal betreibt, ist indes undurchsichtig: Zu dem Verlag, dessen Name übersetzt etwa Evolution Media Consulting (维进化媒体咨询有限公司) bedeutet, finden sich im Netz keinerlei Informationen. Ob die Fülle an negativen Kommentaren also Zufall ist oder gewünscht, lässt sich daher nicht sagen. Doch klar ist, der Kanal wird gelesen: Gemessen an der Anzahl der Artikelaufrufe hat dieses Konto schätzungsweise zwischen 300.000 und 400.000 Follower.

    Neben den Deutschlandthemen gibt es auch Diskussionen mit China-Bezug. So gibt ein Nutzer zu bedenken, dass die höheren Energiekosten in Deutschland nichts im Vergleich zu den Flugticket-Preisen zurück nach China seien: “Wie kommt es, dass wir in China keine Mainstream-Medien haben, die Menschen interviewen, die von den himmelhohen Flugpreisen betroffen sind – und den Ursachen auf den Grund gehen?” Renxiu Zhao. Mitarbeit: Fabian Peltsch

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    Dutzende noch immer inhaftiert

    Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) sind landesweit noch immer Dutzende Demonstranten in Haft, nachdem sie im November gegen die strikte Null-Covid-Politik und für politische Freiheiten demonstriert hatten. Einige von ihnen seien ohne Kontakt zu Angehörigen und würden an unbekannten Orten festgehalten, teilte die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation mit. 

    HRW forderte die Führung in Peking auf, alle Inhaftierten sofort freizulassen und die gegen sie erhobenen Vorwürfe fallen zu lassen. Wer als junger Mensch in China wage, sich für Freiheit und Menschenrechte einzusetzen, zahle einen hohen Preis, erklärte die Organisation. In einem vor ihrer Festnahme aufgenommenen Video, das im Internet zirkuliert, bittet etwa die 36-jährige Redakteurin Cao Zhixin: “Lasst uns nicht von dieser Welt verschwinden. Lasst nicht zu, dass wir weggebracht oder willkürlich für ein Verbrechen verurteilt werden.” flee

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    Muslime kritisieren Xinjiang-Delegation

    Der bekannte bosnische Imam Mustafa Cerić steht wegen eines Besuchs mit weiteren Vertretern des Weltrates der muslimischen Gemeinschaften (TWMCC) in Xinjiang in der Kritik. Uiguren-Aktivisten und muslimische Vereinigungen warfen dem TWMCC und Cerić vor, mit der Reise das Vorgehen der chinesischen Regierung in der Region zu akzeptieren. Anfang Januar hatte eine Delegation von mehr als 30 muslimischen Persönlichkeiten und Scheichs aus 14 Ländern an dem von der chinesischen Regierung organisierten Besuch in Xinjiang teilgenommen, wie unter anderem Radio Free Europe berichtete.

    Cerić war lange das geistige Oberhaupt der bosnischen Muslime und ist in der Balkan-Region und auch in anderen Teilen Europas eine wichtige Stimme für die Gläubigen. Die islamische Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina distanzierte sich nach dem Besuch von Cerić.

    Es ist empörend, dass der TWMCC an diesem Propaganda-Besuch teilgenommen hat und sich nun die Darstellung der chinesischen Regierung zu eigen macht”, sagte der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa. Er verrate “Millionen muslimischen Brüder und Schwestern, die unter der chinesischen Regierung litten.” Zu den Stationen der Delegationsreise gehörte auch der Besuch in einem Museum für den Kampf gegen Terrorismus und Extremismus. Delegationsleiter und TWMCC-Vorsitzender Ali Al Nuaimi lobte “die Bemühungen der chinesischen Behörden im Kampf gegen den Terror in Xinjiang”. Der Besuch wurde von chinesischen Staatsmedien begleitet. ari

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    USA verlängern Abschiebe-Schutz für Hongkonger

    Die US-Regierung hat den Abschiebe-Schutz für Hongkonger um zwei Jahre verlängert. Die Verlängerung des Programms mit dem Namen “Deferred Enforced Departure” (DED) bedeutet, dass Hongkonger, die andernfalls wegen Überschreitung ihres Visums abgeschoben würden, nun bis Januar 2025 in den USA bleiben können.

    Das DED-Programm wäre in zwei Wochen ausgelaufen. “Mit dieser Aktion demonstrieren wir erneut die starke Unterstützung von Präsident Biden für die Menschen in Hongkong angesichts der zunehmenden Repression durch die VR China”, teilte der Nationale Sicherheitsrat einem Politico-Bericht zufolge mit. Die Regierung von Präsident Joe Biden erließ erstmals im August 2021 einen Abschiebungsaufschub. Rund 3.860 Hongkonger, die sich in den USA aufhielten, erhielten damals die Berechtigung, 18 Monate lang in den USA zu leben und zu arbeiten. Angesichts der sonst sehr strengen Visa- und Greencard-Regeln in den Vereinigten Staaten stellte das eine massive Erleichterung für die Geflüchteten aus Hongkong dar. ari

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    Hongkonger Juristin geehrt

    Die aus Hongkong stammende Juristin und Autorin Amy Lai hat den “Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz” der Universität Potsdam verliehen bekommen. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde Lai am Mittwochabend während des Neujahrsempfangs der Universität verliehen.

    Lai habe sich nach Einschätzung der Jury in besonderer Weise für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt eingesetzt, hieß es in der Mitteilung. Als 2014 in Hongkong die Regenschirm-Revolution gegen die verschärfte Repression durch die chinesische Regierung begann, habe sich Amy Lai journalistisch für den Erhalt der Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt engagiert und diese in diversen Lokalzeitungen kundgetan, erklärte Jurymitglied Iwan Michelangelo D’Aprile. Einige dieser Zeitungen haben die Behörden inzwischen verboten. flee

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    Patten prophezeit Ende der Diktatur

    Archivbild: Chris Patten erhält 1997 die eingeholte britische Nationalflagge anlässlich der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China.

    Hongkongs letzter Gouverneur, Chris Patten, hat den Bewohnern der Stadt in einer Neujahrsansprache Mut für die Zukunft gemacht. Der Politiker prophezeite in seiner Videobotschaft das Ende der autoritären Herrschaft der Kommunistischen Partei. “Früher oder später verschwinden alle Diktaturen im Rückspiegel der Geschichte. Die Werte, für die Hongkong steht, überleben jede Diktatur, einschließlich der in Peking“, sagte Patten.

    Der 78-Jährige richtete seine Grüße auch explizit an Hongkonger, die in jüngster Vergangenheit ins politische Exil geflüchtet waren. Patten lobte den gesellschaftlichen Beitrag, den sich in ihren neuen Wahlwohnorten leisten würden. Er sei traurig, dass sie die Stadt “wegen der umfangreichen Angriffe auf die Hongkonger Freiheit, die Peking unternimmt” verlassen mussten. grz

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    Modellierer: Covid-Wellen überlagern sich derzeit

    Die Seuchenexperten des Londoner Forschungsinstituts Airfinity haben ihre Prognose für den Verlauf der Covid-Ausbreitung in China angepasst. Statt zweier abgegrenzter Wellen erwarten die Modellierer jetzt ein langgezogenes Gebirge mit mehreren Gipfeln. Ab dem 27. Januar, also Freitag, fällt die Fallzahl demnach jedoch wieder. Sie bleibt dann wegen der erworbenen Immunität in der Bevölkerung auf absehbare Zeit niedrig. Die erste Runde der Durchseuchung wäre demnach bis zum Wochenende geschafft.

    China Covid-Wellen: Vorhersagen zeigen, dass die Wellen sich überlappen.
    Airfinity hat seine Prognose angepasst.

    Der Spitzenwert der Neuansteckungen wird Airfinity zufolge bei 4,8 Millionen Infektionen pro Tag liegen. Der Druck auf die Krankenhäuser bleibt in den kommenden Wochen hoch, weil die schweren Verläufe sich zum Teil lange hinziehen. Die Zahl der Toten dürfte den Berechnungen zufolge am Donnerstag mit 36.000 Gestorbenen an einem Tag den Höchststand erreichen. Seit Anfang Dezember sind diesen Schätzungen zufolge etwa 848.000 Menschen mit oder an Covid gestorben.

    Verlässliche Zahlen gibt es keine. Chinas Führung hat seit der abrupten Öffnung am 7. Dezember das flächendeckende Testen weitgehend eingestellt. Stattdessen werden niedrige Zahlen bekannt geben, die jedoch unrealistisch sind. Chinesische Experten geben zu, dass die Ausbreitung des Virus sich durch die Mitte Januar begonnene Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest, “stärker als erwartet beschleunigt” hat. Nach Schätzungen des führenden Epidemiologen Wu Zunyou vom nationalen Gesundheitsamt (CDC) dürften sich bis zu 80 Prozent aller Chinesen mit dem Virus angesteckt haben. Das wären mehr als eine Milliarde Menschen. flee

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    Zunehmende Bedeutung von Whistleblowing in China

    Von Sebastian Wiendieck

    Whistleblower- bzw. Hinweisgebersysteme sind heute elementare Bestandteile eines Compliance Managements. Whistleblowing nimmt auch in China seit längerem einen besonderen Stellenwert ein. Hierzu beigetragen haben sicherlich drei Jahre der Trennung zwischen ausländischen Mutterhäusern und ihren chinesischen Tochtergesellschaften aufgrund der restriktiven Covid-Maßnahmen in China, die erst vor kurzem aufgehoben wurden.

    Gesetzliche Regelung von Hinweisgebersystemen

    China sieht bei privaten Unternehmen grundsätzlich keine gesetzliche Pflicht zur Errichtung eines allgemeinen Whistleblower-Systems vor. Mittlerweile gibt es aber zahlreiche gesetzliche und administrative Regelungen, die die Rechte von Whistleblowern festschreiben oder die Einrichtung entsprechender Systeme fordern.

    Bereits im September 2019 hatte der Staatsrat Richtlinien veröffentlicht, in denen sowohl die Zentral- als auch die Provinzregierungen aufgefordert werden, Systeme zum Schutz von Hinweisgebern einzurichten. Parallel wurden eine Reihe von Verordnungen erlassen, die finanzielle Anreize für Whistleblower schaffen. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die im Dezember 2021 in Kraft getretenen Interim Measures for Rewarding Whistleblowing of Major Violations in the Field of Market Regulation des chinesischen Finanzministeriums und der staatlichen Verwaltung für Marktregulierung. Danach kann ein Hinweisgeber unter bestimmten Voraussetzungen eine Belohnung von bis zu einer Million RMB erhalten.

    Das chinesische Zivilgesetzbuch sieht vor, dass Unternehmen interne Regelungen zum Schutz vor sexueller Belästigung erlassen und umsetzen müssen. Diese Pflichten werden durch das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene novellierte Gesetz über den Schutz der Rechte und Interessen von Frauen konkretisiert. Hiernach sind Arbeitgeber verpflichtet, ein internes Beschwerdesystem mit Benennung eines zuständigen Ansprechpartners einzurichten.

    Schutz von Hinweisgebern

    Handlungsbedarf besteht zudem vor dem Hintergrund des auf der EU-Hinweisgeber-Richtlinie basierenden Entwurfs für ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), welches voraussichtlich im 2. Quartal 2023 in Kraft treten wird. Unternehmen mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten sind danach u.a. verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten. Das HinSchG wird die gesamte Unternehmensgruppe und somit auch chinesische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen betreffen. Das gilt auch für das bereits zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz, welches ebenfalls die Einführung eines Beschwerdeverfahrens für Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferkette vorsieht.

    Auch in China gibt es inzwischen Mechanismen zum Schutz von Hinweisgebern. Ein Arbeitgeber, der Repressalien gegen einen Whistleblower ergreift, kann verwaltungs- und strafrechtlich belangt werden. Der Whistleblower hat unter Umständen auch Anspruch auf Wiedereinstellung (mit Lohnnachzahlung) oder auf eine Entschädigung. Alle eingereichten Informationen müssen zudem vertraulich behandelt werden. Auf der anderen Seite wird verlangt, dass Hinweisgeber keine Tatsachen erfinden, verdrehen oder falsche An-schuldigungen erheben dürfen.

    Was Unternehmen tun sollten

    Hinweisgebersysteme bringen Chancen (v.a. frühzeitiges Erkennen, Vermeiden und Beheben von Verstößen; Pluspunkt bei behördlichen Ermittlungen; Stärkung der internen Compliance-Kultur) als auch Risiken (insbes. Kosten; Missbrauchsrisiko; Schaffung einer “Kultur des Misstrauens” im Unternehmen) mit sich.

    Vor dem Hintergrund zunehmender Regulierung und Bedeutung von Whistleblower-Systemen sind Unternehmen in China jedoch gehalten, interne Hinweisgebersysteme einzurichten. Beschwerdestellen können dabei, soweit nicht gesetzlich anders vorgesehen, auch bei einem Dritten, wie einem Branchenverband, Rechtsanwalt oder zentral bei der Konzernmutter eingerichtet werden. Folgende Maßnahmen werden bei der Einrichtung eines Hinweisgebersystems empfohlen:

    • Einrichtung spezieller Meldekanäle sowie die entsprechenden Zuständigkeiten (zum Beispiel durch die Einrichtung spezieller E-Mail-Adressen oder Telefonnummern)
    • Erstellen und Kommunikation von unternehmensinternen Whistleblower-Richtlinien, die dem Hinweisgeber helfen, seine Hinweise an das Unternehmen zu adressieren und ihm den vertraulichen und anonymen Umgang mit seiner Beschwerde gewährleisten
    • Festlegen eines Abhilfesystems, das auch Antwortfristen definiert, um rechtzeitige Folgemaßnahmen oder die weitere Kommunikation mit den Hinweisgebern zu erleichtern
    • Durchführen regelmäßiger Schulungen zum internen Hinweisgebersystem, um das Bewusstsein der Mitarbeiter zu schärfen
    • Regelmäßige sowie anlassbezogene Prüfung des Meldeverfahrens
    • Regelmäßiger (meist jährlich) Bericht über getroffene Maßnahmen; Aufbewahrung und Zugänglichkeit des Berichts gemäß gesetzlichen Vorgaben)
    • Besonders wichtig ist schließlich die Beachtung von datenschutzrechtlichen Besonderheiten. Hier spielen die EU-DSGVO als auch das chinesische Datensicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz von persönlichen Informationen eine besondere Rolle. Insbesondere bei der grenzüberschreitenden Übertragung von personenbezogenen Informationen bestehen aus chinesischer Sicht erhebliche Einschränkungen.

    Sebastian Wiendieck ist Partner und Leiter des Rechtsbereichs von Rödl & Partner in China.

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