Table.Briefing: China

Scholz-Reise: Markus Kerber kritisiert CEOs + China unterstützt Russlands Militär +

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Besuch von Olaf Scholz in Peking enthält das gesamte deutsche China-Dilemma in einer Kanzlerreise. Die Wirtschaftsbosse sind dabei, weil sie mehr investieren und die Produktion vor Ort ausweiten wollen. Sein erster Termin am Sonntag galt dementsprechend gleich der Werbung für deutsche Umwelttechnik, schreibt Christiane Kühl.

Zugleich will der Kanzler einen ausgeglichenen Handel anmahnen, also eine Verringerung der Produktionskapazitäten in China. Er kommt also als Bittsteller. Zugleich muss er Machthaber Xi Jinping wegen dessen Unterstützung für Russland ermahnen. Die USA haben dazu neue Informationen vorgelegt, die Michael Radunski zusammenfasst.

Wenn Xi seinen Gast auf die Widersprüche hinweist und ihn damit auflaufen lässt, wäre das nur verständlich. Will der Kanzler jetzt mehr Produktion in China oder weniger? Wenn Scholz Chinas Kooperation in der Russland-Frage haben will – was kann er dafür anbieten, woran Xi Interesse hätte? Es ist längst klar, dass China unsere Vorstellungen von einer wertebasierten Weltordnung nicht teilt.

Auf diese unklaren Zielvorstellungen der Kanzlerreise weist im Interview mit Table.Briefings eine Persönlichkeit hin, die die Hintergründe kennt: Markus Kerber war bis 2017 Geschäftsführer des BDI und danach Staatssekretär im Innenministerium. Er hatte bereits 2015 darauf hingewiesen, dass China sich verändert und der deutschen Industrie künftig Probleme bereiten könnte.

Doch die Dax-Kapitäne hörten nicht auf ihn und warfen ihm vor, bloß die Stimmung zu verderben. “Man wollte es nicht wahrhaben”, sagt Kerber. “Leider ist es genau so gekommen.”

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Interview

Ex-BDI-Chef Markus Kerber: “Die Stoßrichtung dieser Kanzler-Reise nach China scheint mir nicht klar definiert zu sein”

Markus Kerber war Hauptgeschäftsführer des BDI und Staatssekretär im Innenministerium.

Der Andrang der deutschen Unternehmer bei dieser Kanzler-Reise nach China war so groß wie nie. Der BDI ist aber nun schon zum zweiten Mal in Folge nicht dabei. Wie beurteilen Sie das als ehemaliger Geschäftsführer des wichtigen deutschen Industrieverbands? 

Zur derzeitigen Einladungspolitik des Kanzleramts kann ich nur wenig sagen. Auf früheren Reisen war der BDI-Präsident zumindest immer dabei. Die jetzigen Gründe können ganz banal sein, wenn etwa in der Wirtschaftsdelegation genügend Präsidiumsmitglieder dabei sind und man sich intern geeinigt hat, dass das ausreicht. Ganz generell scheint mir die Stoßrichtung dieser Kanzler-Reise nach China – und die damit zusammenhängenden Interessen der deutschen Industrie – aber nicht ganz klar definiert zu sein. 

War das in Ihrer Zeit als BDI-Geschäftsführer anders?

Wir Wirtschaftsvertreter hatten uns vor solchen Reisen immer mit dem Kanzleramt abgestimmt. Eine einheitliche Agenda durchzuhalten, gelang uns zwar nicht immer, weil Frau Merkel situationsbezogen auch mal gegenüber dem chinesischen Premier Positionen vertrat, die nicht nur wirtschaftlicher Art waren. Also Menschenrechte, persönliche Freiheiten, Commitment zu globalen Regeln – das hat nicht jedem Teilnehmer der Delegation geschmeckt. Aber in den wirtschaftlichen Fragen haben wir darauf geachtet, dass wir einheitlich auftraten. 

Auch bei seiner kurzen Reise Ende 2022 hatte Scholz den BDI nicht mitgenommen, angeblich wollte die chinesische Seite das nicht. Es war das erste Mal, dass ein BDI-Vertreter trotz ausdrücklichem Wunsch bei einer Kanzler-Reise nach China nicht dabei war. Was haben Sie davon mitbekommen? 

Die genauen Hintergründe kenne ich nicht. Aber sollte es so gewesen sein, dass die Volksrepublik China darauf gedrungen hat, den BDI nicht dabei zu haben, wäre das meines Erachtens ein schwerer strategischer Fehler der chinesischen Seite. Der BDI als größter europäischer Industrieverband bestimmt die grundlegenden Richtlinien der Wirtschafts- und Industriepolitik nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Nun hat der BDI eine Repräsentanz in Peking. Und zu der gibt es meines Wissens weiter direkten Kontakt zur chinesischen Führung.

Ein möglicher Ablehungsgrund könnte gewesen sein, dass der BDI mit zwei Strategiepapieren in den Jahren zuvor gegenüber China zunehmend kritisch geworden ist. Eins dieser Papiere geht auf Sie zurück.

Ja, wir haben 2015 erstmals damit begonnen, die sich verhärtenden Entwicklungen in China zu thematisieren. Deutsche, die in China lebten, spürten ganz deutlich, dass sich das Klima änderte. Und auch ich war in der Zeit regelmäßig dort und merkte: Die Atmosphäre in Gesprächen mit Ministerien war viel aggressiver. Es gab eindeutig die Attitüde des “Make China Great Again” – und die anderen müssen nach unserer Pfeife tanzen. Zugleich gab es Bestrebungen, nicht nur NGOs und Stiftungen, sondern auch Verbände wie den BDI der rigorosen Kontrolle der Staatssicherheit zu unterstellen. Teile der deutschen Industrie fanden nicht gut, dass wir all das thematisierten. Auf Grundlage des Wissens, das wir in China zusammengetragen haben, waren wir aber zu dem Ergebnis gekommen: Wenn Xi seine Politik fortsetzt, wird es zu handfesten Konflikten zwischen den Interessen der deutschen Industrie und China kommen. Nachdem wir unser Papier veröffentlicht haben, lud mich der damalige chinesische Botschafter zum “Teetrinken” ein. 

Kenner wissen, dass es sich dabei nicht nur um nette Gespräche handelt. 

In der Tat. Aber ich habe ihm dann sehr geduldig erklärt, dass wir uns keineswegs in die chinesische Politik einmischen wollen. Wir müssen aber selbstverständlich unsere Rolle in Deutschland als unabhängiger Industrieverband gerecht werden und unsere Haltung zu China in Deutschland vertreten. Das war dann auch die Linie, die akzeptiert wurde. Wenn man auf Augenhöhe miteinander offen und ehrlich kommuniziert und trotzdem immer den Versuch unternimmt, den anderen sein Gesicht nicht verlieren zu lassen, kann man auch mit einem systemischen Rivalen wie China Gespräche führen. Das war meine Erfahrung. 

Einige deutsche Unternehmen waren dennoch nicht begeistert, dass der BDI diesen skeptischen Ton anschlug, wie Sie selbst gerade sagten.

Ja, aber wir sahen uns verpflichtet, unseren Mitgliedern eine Einschätzung über die sich verändernde Weltlage zu geben. Das Ganze begann im Frühjahr 2015 mit einem Executive Letter des damaligen BDI-Präsidenten Ulrich Grillo. In diesem Brief ging es darum, dass Deutschland zwar Gewinner der Globalisierung ist. Wir haben darin aber auch gewarnt, dass diese Gewinn- schnell in eine Verluststrategie umschlagen kann, wenn Dinge wie Multilateralismus oder die regelbasierte Ordnung der Globalisierung infrage gestellt werden. Das war primär eine Reaktion auf die Krim-Besetzung durch Russland ein Jahr zuvor – aber auch auf unsere Beobachtungen in China. Und der erstarkende Rechtspopulismus in den USA, der dann zwei Jahre später durch die Wahl Trumps bestätigt wurde, zeichnete sich ebenfalls ab. 

Und wie reagierten die Mitglieder?

Die Reaktion bei den Dax-Firmen war eindeutig: Was soll diese Kassandra-Haltung? Versaut uns hier bitte nicht die Stimmung. Man wollte es nicht wahrhaben. Leider ist es genau so gekommen. Russland als verlässlicher Lieferant unserer Energieversorgung, China als verlässlicher Handelspartner, der WTO-Regeln folgt, und die USA als Zahlmeister der NATO und größter Verteidiger einer regelbasierten Globalisierung – alle drei Annahmen sind zusammengebrochen. Die deutsche Wirtschaft ist meines Erachtens heute so exponiert wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht.

Wie erklären Sie sich diese ablehnende Haltung der Firmen?

Ich führe die Skepsis in der deutschen Wirtschaft maßgeblich darauf zurück, dass wir es nach 1990 mit einer Generation von Unternehmensführungen und Managern zu tun haben, die völlig apolitisch ist. Die haben, wenn überhaupt, nur noch ein geopolitisches Buch gelesen, und das war “Das Ende der Geschichte” von Francis Fukuyama. Und dann ist es wahrscheinlich nicht richtig verstanden worden. Fukuyama hat nicht gesagt: Das Spiel ist zu Ende, und der Westen hat für immer gewonnen. Sondern er sprach von einer Tendenz und von einer Hoffnung. Aber diese Hoffnung hat man in weiten Kreisen der deutschen Industrie für bare Münze genommen. Mit einer gewissen Überheblichkeit und Unkenntnis der Geschichte haben sie gedacht: Wir müssen uns um politische Risiken nicht mehr kümmern. Jetzt holt uns diese Kurzsichtigkeit ein. 

Wie meinen Sie das?

Mich hat in der Auseinandersetzung mit China erstaunt, wie viele Wirtschaftsführer mit großer Exposition in der Volksrepublik immer nur vom sich gerade toll entwickelnden Entwicklungsland China sprachen – so als ob es ein chinesisches Imperium vor 1949 nie gegeben hätte. Dabei ist China ein Akteur, der seit Tausenden von Jahren die Weltgeschichte immer beeinflusst hat. Darum verstehe ich, warum es eine chinesische Führung heute sehr leicht hat, das Narrativ zu verbreiten: Der Westen ist arrogant, er versteht uns nicht und die müssen uns erst einmal respektieren lernen. Dafür zahlen wir jetzt einen hohen Preis.

Mit diesem Papier waren Sie praktisch der Urheber der Debatte um eine neue China-Strategie, die die Bundesregierung im vergangenen Sommer schließlich verabschiedet hat. Hätten Sie das damals geahnt, was Sie damit anstoßen würden?

Wir waren damals nicht die einzigen, die die aufkommenden Risiken im deutsch-chinesischen Verhältnis gesehen haben und davor warnten. Es war ein Zusammenspiel aus dem damaligen deutschen Botschafter, unserer BDI-Repräsentantin in Peking und dem EU-Handelskammerpräsidenten. Als 2019 das zweite Papier des BDI erschien, war allen Unternehmen, die in China tätig sind, bereits klar, dass die Stimmung sich gedreht hat. 

Nicht zuletzt seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Deutschen alarmiert, was Abhängigkeiten von autoritären Staaten anbelangt – offenbar aber nicht die großen Dax-Unternehmen. BASF und VW investieren eher noch mehr in China. 

Wieviel Risiko es eingeht, muss jedes Unternehmen selbst entscheiden. Wenn man mich fragt, würde ich derzeit die China-Geschäfte zumindest nicht ausweiten. China steht mit seiner demographischen Entwicklung vor gigantischen Problemen. Das Wachstum, das wir bislang gewohnt waren, wird es so nicht mehr geben. China als junger, dynamischer Wachstumsmarkt wird zunehmend von Überalterung und Wachstumsschwäche geprägt sein. Zugleich verstehe ich aber, dass sich deutsche Unternehmen nicht einfach von heute auf morgen aus dem chinesischen Markt zurückziehen und auf andere Märkte ausweichen können. Und was sich technologisch in China abspielt, wird auch künftig für uns relevant sein. Da müssen wir mithalten können. De-Risking halte ich für eine Floskel. 

Was schlagen Sie vor?

Ich bin ein operativ denkender Mensch. Ich hätte mir gewünscht, dass in der China-Strategie ganz praktische Dinge drin sind, wie zum Beispiel die Verstärkung der China-Forschung an unseren Universitäten. Wir bilden zu wenig Sinologen und Sinologinnen aus. Wir müssten all diese deutschen Studiengänge vernetzen, uns sehr viel stärker kümmern um Kontakte mit und zu chinesischen Universitäten. Die deutschen Unternehmen beschäftigen in China Hunderttausende von Mitarbeitern. Wir müssten viel stärker Erkenntnisse aus dem Alltagsleben dieser chinesischen Belegschaften ziehen, um unseren Wissenspool und damit unsere Optionen zur zukünftigen Haltung gegenüber China zu maximieren. Nicht Abschottung muss jetzt unsere Devise sein, sondern die Vertiefung unserer Kapillare in die chinesische Gesellschaft hinein. 

Markus Kerber war von 2011 bis 2017 Hauptgeschäftsführer des BDI, zuvor Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium und zwischen 2018 bis 2021 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Kerber hat die Debatte um eine neue China-Strategie losgetreten.

  • BDI
  • China-Strategie
  • Deutschland
  • EU-Handelskammer
  • Geopolitik
  • Handel
  • Technologie
Translation missing.

Analyse

Wie China Russlands Kriegsmaschinerie unterstützt

Verstehen sich bestens: Wladimir Putin und Xi Jinping beim Belt-and-Road-Forum im Oktober in Peking.

Die USA haben China öffentlich beschuldigt, Russlands Kriegsmaschinerie zu unterstützen. Ranghohe US-Beamte sagten am Freitag, China habe über zwei Jahre hinweg seine Hilfen für Russland aufgebaut in Bereichen, die gezielt auch das russische Militär und damit den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützten. Die chinesischen Lieferungen seien der Schlüsselfaktor bei der Wiederbelebung des russischen Militärs, das seit Beginn der Invasion in der Ukraine “ansonsten erhebliche Rückschläge” erlitten hätte. “Ohne den Beitrag der Volksrepublik China hätte Russland Schwierigkeiten, seine Kriegsanstrengungen aufrechtzuerhalten.” 

Die chinesische Botschaft in den USA erklärte der Nachrichtenagentur Reuters, China habe keiner Partei Waffen zur Verfügung gestellt und fügte hinzu, dass sie “kein Produzent der Ukraine-Krise oder eine in sie verwickelte Partei” sei.

Scholz muss klare Worte in China finden

Inhalt und Timing sind zwei entscheidende Faktoren in der internationalen Außenpolitik. Und beides haben die USA mit der jüngsten Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen gezielt genutzt.

  • Inhaltlich: Es ist auffällig, wie detailliert die US-Informationen sind. Neben gelieferten Gütern werden expliziert auch chinesische Firmen benannt, die kriegswichtige Produkte nach Russland exportiert haben sollen.
  • Timing: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz weilt von Sonntag bis Dienstag in China. Scholz steht im Ruf, eher moderate Töne gegenüber der chinesischen Führung anzuschlagen. Das wird nach diesen Enthüllungen beim Thema China-Russland kaum mehr möglich sein.

China liefert Chips, Motoren und Werkzeuge

US-Erkenntnissen zufolge umfassen die chinesischen Lieferungen:

  • Halbleiter,
  • Marschflugkörper- und Drohnenmotoren,
  • Satellitenaufklärung
  • sowie Maschinenwerkzeugen für ballistische Raketen.

Die amerikanischen Erkenntnisse zeigten US-Beamten zufolge, dass in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres “mehr als 70 Prozent der russischen Importe von Werkzeugmaschinen aus China stammten”. Nur so habe Moskau seine Produktion von ballistischen Raketen steigern können. Insgesamt sollen 2023 rund 90 Prozent der russischen Mikroelektronik-Importe, die zur Herstellung von Raketen, Panzern und Flugzeugen verwendet werden, ebenfalls aus China

Die Beamten fügten hinzu, dass China Russland auch bei der Verbesserung seiner Satelliten und anderen weltraumgestützten Fähigkeiten helfe, um seinen Krieg in der Ukraine voranzutreiben. Zudem stelle Peking ebenfalls auch Satellitenbilder zur Verfügung.

Chinesische Firmen im Fokus

Damit nicht genug. Die US-Beamten benannten ganz konkret mehrere chinesische Firmen, die für den Export verantwortlich sein sollen. Darunter:

  • Wuhan Global Sensor Technology,
  • Wuhan Tongsheng Technology und Hikvision,
  • iRay Technology,
  • North China Research Institute of Electro-Optics,
  • oder auch die Dalian Machine Tool Group.

“Diese Lieferungen helfen Russland wirklich dabei, seine Kriegsmaschinerie neu aufzubauen und zu verbessern, um die Ukraine zu zerstören”, urteilt Alexander Gabuev im Gespräch mit Table.Briefings. Der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center sagt: “Es handelt sich hierbei nicht um normalen Handel zu zivilen Zwecken, wie den Kauf von russischem Öl, der zähneknirschend hingenommen wird. Hier geht es um militärwichtige Unterstützung.”

Die öffentliche Anschuldigung der chinesischen Führung dürfte auch einen inneramerikanischen Hintergrund haben: In den USA gibt es heftigen Streit um weitere Hilfsgelder an die Ukraine. Zudem droht eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump. Und so scheint es, als wäre nun eine der wichtigsten Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine, China davon zu überzeugen, Russland nicht mehr zu militärisch unterstützen. Ohne internationale Hilfe – durch eine möglichst große internationale Gruppe – wird das nicht gelingen. Olaf Scholz hat jedenfalls schon am morgigen Dienstag einen Termin mit Xi Jinping.  

  • Geopolitik
  • Handel
  • Militär
  • Russland
  • Technologie
  • USA

Deutsche Zukunftstechnologie: Scholz wirbt in China für Wasserstoffantriebe von Bosch

Kanzler Scholz besuchte am ersten Tag seiner China-Reise eine Fabrik für Wasserstoffantriebe von Bosch in Chongqing.

Während des Fluges von Berlin nach Chongqing erfährt Bundeskanzler Scholz von den Angriffen Irans auf Israel. Seinen Plan für den Besuch in der Yangtse-Metropole setzt er aber trotzdem nach einem kurzen Kommentar zur Lage fort. Erster Programmpunkt der dreitägigen China-Reise des Kanzlers ist Bosch Hydrogen Powertrain Systems (Chongqing), ein Joint Venture des Autozulieferers, das Wasserstoffantriebe für Nutzfahrzeuge produziert. Details von dem Besuch gab es zunächst nicht. Doch die Visite des Bosch-Werks ist sorgfältig gewählt, denn dieses ist ein Beispiel für die Chancen, die sich deutschen Firmen im Cleantech-Bereich in der Volksrepublik immer noch bieten, vor allem dann, wenn sie über neueste Technologien verfügen. Zugleich demonstriert man so den Gastgebern, was Deutschland noch an Zukunftstechnologie zu bieten hat.

Bosch hatte erst im Juli 2023 die Serienproduktion seines Brennstoffzellen-Antriebssystems in Stuttgart-Feuerbach gestartet und praktisch parallel dazu die Produktion in Chongqing hochgefahren. Dort kommen die nötigen Komponenten – Brennstoffzellen-Stack, Luftkompressor mit Leistungselektronik sowie ein Steuergerät mit Sensoren – aus einem Werk im ostchinesischen Wuxi. “Bosch ist das erste Unternehmen, das solche Systeme in China und in Deutschland fertigt”, sagte Stefan Hartung, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH damals.

China bei Elektrolyse für Wasserstoff bereits führend

Die Wasserstoff-Industrie ist weltweit erst im Entstehen – und ihr Erfolg sowohl für die Schwerindustrie als auch in Teilen des Transportsektors, vom Flugzeug bis zum Lastwagen, entscheidend für das Gelingen der Energiewende. Das weiß auch China, das mit wachsendem Tempo in den Sektor einsteigt.

Während ausländische Firmen wie Bosch bei der Anwendung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie durchaus aktiv sind – und teilweise auch Zugang zu projektbezogenen lokalen Fördermitteln haben – liegt die Herstellung des benötigten Wasserstoffs selbst in Chinas Hand. Die Schlüsseltechnologie der künftigen Wasserstoffwirtschaft ist die Elektrolyse, die mittels Strom Wasser aufspaltet in die Einzelteile Wasserstoff und Sauerstoff. Und die Elektrolyse ist nach den Erneuerbaren Energien und Elektroautos ein weiterer Cleantech-Sektor, in dem China den Westen gerade überholt.

China hat nach einem Weißbuch des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) bei der Elektrolyse “bereits die weltweite Marktführerschaft übernommen”. Mit 610 Megawatt (MW) befinde sich mehr als die Hälfte der global installierten Kapazität in der Volksrepublik. “Mit dem zügigen Ausbau der Produktionskapazitäten schaffen sich die chinesischen Hersteller Kostenvorteile für den dynamisch wachsenden Markt”, so die VDE-Studie.

Denn wer zuerst groß wird, kann zuerst die Stückkosten senken – und hat damit Vorteile gegenüber der langsameren Konkurrenz. Von heute rund einem Gigawatt (GW) wird sich die weltweite Elektrolysekapazität laut VDE bereits bis 2030 um das 300-Fache erhöhen auf dann 305 GW. Die Internationale Energie-Agentur IEA erwartet bis 2050 gar 3.500 GW.

Grüner Wasserstoff für die Energiewende

Das ist ein rasantes Wachstum, doch für die Energiewende muss der für die Elektrolyse benötigte Strom mittelfristig aus erneuerbaren Energien gewonnen werden – erst dann bekommt man den sogenannten Grünen Wasserstoff, der das eigentliche Ziel ist. Für die Übergangszeit aber wird weltweit der allergrößte Teil des Wasserstoffs noch mit Kohlestrom oder Strom aus Erdgas hergestellt – auch in China. Das Fraunhofer ISI erwartet in einer aktuellen Studie, dass die Volksrepublik aber ebenso wie die USA – und im Gegensatz zu dem auch künftig auf Importe angewiesene Deutschland – in der Lage sein wird, seinen eigenen Bedarf an Gerünem Wasserstoff selbst zu decken. Das verdankt es dem rasanten Ausbau gewaltiger Erneuerbaren-Kapazitäten.

Seit 2019 besteht eine Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und China, bei der auch Grüner Wasserstoff laut dem federführenden Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Teil des bilateralen Dialogs ist. Der Schwerpunkt liege dabei “auf dem Austausch zu regulatorischen Rahmenbedingungen und Standards”. Deutschland hat sich mit seiner Nationalen Wasserstoffstrategie bereits ehrgeizige Ziele gesetzt, darunter die Marktführerschaft in dem neuen Markt.

In China aber sind die Regeln erst im Aufbau. Im März 2022 hatte Peking einen langfristigen Plan für den Aufbau einer Wasserstoffindustrie bis 2035 erlassen. Im August 2023 hatte China die erste landesweite Verordnung für den Aufbau einer Wasserstoff-Industrie erlassen, darunter Standards für Produktion, Speicherung, Transport und Anwendung von Wasserstoff.

China will Wasserstoffsektor aufbauen – und dann dekarbonisieren

Die Ambitionen zur Dekarbonisierung der Elektrolyse – also den Wasserstoff grün zu machen – sind auf der nationalen Ebene Chinas nach Ansicht von Experten bisher geringer als in den Industrienationen. Pläne einzelner Regionen sind da teilweise deutlich ehrgeiziger. Regionale Entwicklungsschwerpunkte zur Erzeugung Grünen Wasserstoffs aus Wind- und Solarenergie sind einer Studie der bundeseigenen Germany Trade & Invest (GTAI) zufolge Xinjiang, die Inneren Mongolei und Chinas Nordosten (Dongbei). Es handelt sich um Regionen, in denen bereits riesige Wind- und Solarparks vorhanden sind. Führend ist die Innere Mongolei, die bis 2025 jährlich 480.000 Tonnen Grünen Wasserstoff produzieren will.

Für die Zentralregierung stehe eine nachhaltige Wasserstoff-Produktion dagegen vorerst nicht im Vordergrund, ergab eine Studie am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum in Potsdam. “Wenig entwickelt sind auch Chinas Ambitionen zur Förderung von Wasserstoffspeicherung und -transport”, heißt es darin. Der Schwerpunkt liege zurzeit “auf der Förderung von Innovationen und dem Erwerb von technologischem Know-how.” Wie auch in anderen Cleantech-Sektoren geht es Peking offenbar kurzfristig vorrangig darum, einen erfolgreichen Wirtschaftszweig aufzubauen – der später dann auch gut fürs Klima ist. Das bietet zumindest punktuell Chancen für Firmen wie Bosch bei der Anwendung.

Photovoltaik und Wasserstoff sind oft in einer Hand

Die kostspielige Wasserstoff-Produktion liegt allerdings vielfach in den Händen der großen Staatskonzerne. Wind- und Solarparks werden laut GTAI häufig von Chinas staatlich kontrollierten Energieriesen betrieben, die teilweise nun auch zu den führenden Herstellern von Elektrolyseuren geworden sind.

Ein Beispiel dafür ist der Staatskonzern Sinopec, der im Sommer 2023 die nach eigenen Angaben weltgrößte Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Xinjiang in Betrieb nahm. Das Xinjiang Kuqa Green Hydrogen Pilot Project nutze eigene Fotovoltaikanlagen von der Größe von 900 Fußballfeldern, um mit Solarenergie durch Elektrolyse von Wasser 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu erzeugen, teilte Sinopec mit. Sinopec, eigentlich ein Ölkonzern, will die Anlage nach Berichten von Fachmedien nutzen, um den erzeugten Wasserstoff an eine nahe gelegene Raffinerie des Tochterunternehmens Sinopec Tahe Petrochemical zu liefern und das dort bislang genutzte Erdgas ersetzen.

  • Deutschland
  • Elektrolyseure
  • Energiewende
  • Grüner Wasserstoff
  • GTAI
  • Mongolei
  • Technologie
  • Wasserstoff
Translation missing.

News

Nahost-Eskalation überschattet China-Besuch

Eigentlich wollte Bundeskanzler Olaf Scholz sich ganz seinem Leib- und Magenthema widmen, nämlich der Städteplanung. Auch deshalb reiste er in die Jangtse-Metropole Chongqing, wo gut 22 Millionen Menschen an steil aufsteigenden Flussufern leben. Doch nachdem ihm auf dem Flug die Nachricht vom iranischen Luftangriff auf Israel erreicht hatte, war klar, dass das Thema alle anderen Programmpunkte überschatten werde.

Nach der Landung in Chongqing verurteilte Scholz die Angriffe “mit aller Schärfe”. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte laut dpa im Namen des Kanzlers: “Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand. In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels.” Am Abend nahm Scholz von Chongqing aus über eine gesicherte Leitung an einer G7-Schalte teil.

Schon vor dem Abflug hatte es in Regierungskreisen in Berlin geheißen, man werde auch China ermahnen, seinen Einfluss auf die Regierung Teheran geltend zu machen. Das Thema dürfte nach den Drohnen- und Raketenangriffen nun noch dringlicher sein.

Scholz in China: Gespräche über den Nahost-Krieg

Pekings Reaktion fiel bisher sehr viel zurückhaltender aus. Die chinesische Führung sprach lediglich von “tiefer Besorgnis” und forderte alle Parteien auf, Ruhe und Zurückhaltung zu üben. Eine weitere Eskalation müsse verhindert werden, sagte ein Außenamtssprecher. Zudem rufe China die internationale Gemeinschaft, “insbesondere Länder mit Einfluss, dazu auf, eine konstruktive Rolle für den Frieden und die Stabilität der Region zu spielen”. Welche Rolle China einnehmen werde, sagte er nicht.

Diesbezüglich wachsen auch in der Heimat die Erwartungen an den Kanzler. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann, appelliert an Scholz, China dazu aufzufordern, zur Entspannung der Lage in Nahost beizutragen. “Da der Kanzler schon in Peking weilt, sollte er vor Ort deutlich daran erinnern, dass Israel unser Freund ist und Deutschland an der Seite Israels steht”, sagte die FDP-Politikerin der “Rheinischen Post”. 

Den China-Besuch abzubrechen, kam für Scholz nicht infrage. Gestrichen wurden lediglich eine Bootsfahrt auf dem Jangtse-Fluss und ein Stadtrundgang – also alles, was nach Tourismus aussieht. Die inhaltlichen Gespräche mit der chinesischen Führung stehen am Dienstag auf dem Programm. Spätestens beim Treffen mit Präsident Xi Jinping soll die Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten auch offizieller Programmpunkt der China-Reise sein. rtr/flee

  • Geopolitik
  • Iran
  • Israel
  • Nahost
  • Olaf Scholz

USA lösen China als wichtigsten Absatzmarkt Taiwans ab

Die USA haben die Volksrepublik als wichtigsten Absatzmarkt Taiwans abgelöst. Grund dafür ist die hohe Nachfrage nach Mikrochips und Technologien aus dem Bereich Künstliche Intelligenz, teilte das Finanzministerium in Taipeh am Freitag laut der Nachrichtenagentur AFP mit. Eine “Umorganisation der Lieferketten für Elektronik und die Informations- und Kommunikationstechnologie” sowie der Boom in der KI-Industrie hätten zu dieser Verschiebung beigetragen.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang war China der größte Exportmarkt für Taiwan. Die Daten von Dezember zeigen, dass Taiwan Güter im Umfang von 8,49 Milliarden Dollar in die USA exportierte, während die Ausfuhren nach Festlandchina einen Umfang von 8,28 Milliarden Dollar hatten. Dieser Trend habe bis März angehalten.

Die Peking-kritische taiwanische Regierung unter Präsidentin Tsai Ing-wen bemüht sich seit Beginn ihrer Amtszeit 2016 um engere wirtschaftliche Beziehungen mit den USA und Ländern Südostasiens, während sie versucht, Taiwans wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Im Mai tritt sie ab. Ihr Nachfolger will diese Politik aber fortsetzen. flee

  • Chips
  • Handel
  • Taiwan
  • Technologie
  • USA

Peking will ausländische Chips im Telekomnetz ausmustern

China will einem Medienbericht zufolge Prozessoren aus ausländischer Produktion von seinem Telekommunikations-Netzwerk verbannen. Die Behörden hätten die größten heimischen Anbieter zu Jahresbeginn angewiesen, nicht-chinesische Prozessoren, die für ihre Netzwerke von zentraler Bedeutung sind, bis 2027 auszumustern, berichtete das “Wall Street Journal”.

Dieser Schritt würde unter anderem die US-Chip-Giganten Intel und Advanced Micro Devices (AMD) treffen. Im vorbörslichen Handel ließen die Aktien der beiden Konzerne leicht nach. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China versucht Peking verstärkt, westliche Technologien durch eigene Alternativen zu ersetzen. rtr

  • Chips
  • Handelskrieg
  • Technologie
  • USA

Presseschau

Irans Angriff auf Israel überschattet Scholz-Besuch in China HANDELSBLATT
Spionage in China: Scholz in Peking – Kanzler ergreift drastische Maßnahmen MORGENPOST
Olaf Scholz in China: Was sich die deutsche Wirtschaft sich davon erhofft T-ONLINE
Deutsche Industrie will keine Strafzölle auf China-E-Autos GOLEM
US blacklists 4 Chinese tech companies for helping China’s military BUSINESS STANDARD
Europe trails China and US after ‘monumental’ energy mistakes, IEA chief says FT
Bis 2027: China will Intel und AMD aus Kommunikationsnetzen verbannen​ HEISE
“Dürfen nicht naiv sein”: Stark-Watzinger mahnt zur Vorsicht bei Kooperation mit China RND
USA drängen China, Unterstützung für Russlands Rüstungsindustrie einzustellen TELEPOLIS
China reaffirms ties with North Korea in high-level meeting THE GUARDIAN
China coastguard blocks Philippines vessels as maritime tension grows FT
Scholz heads to China as Ukraine war, Taiwan tensions loom large YAHOO
China: Parteipropaganda per künstlicher Intelligenz TAGESSCHAU
“Chinas nützliche Idioten”: Warum Alice Weidel und Sahra Wagenknecht in Peking gefeiert werden HANDELSBLATT

Personalien

Zhao Wang wird mit Wirkung vom 9. April Co-Chief Operating Officer beim Luft-Taxihersteller EHang. Wang wird für den Geschäftsbetrieb verantwortlich sein, mit Schwerpunkt auf Geschäftsentwicklung, Produktvertrieb, Marketing und kommerziellen Aktivitäten für UAM-Dienste. Zuvor arbeitete Wang für die Antaeus Group, eine chinesische Unternehmensgruppe mit branchenübergreifenden Dienstleistungen in den Bereichen Resort, Film und Kunst. 

Achim Stadtmüller hat im April den Posten des Purchasing Manager bei Baosteel Europe übernommen. Baosteel ist das zweitgrößte staatliche Eisen- und Stahlkonglomerat der Volksrepublik mit Hauptsitz in Shanghai. Stadtmüller hat Sinologie und China Studies an der Goethe-Universität Frankfurt und der Shanghaier Fudan-Universität studiert.  

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Die Elsternbrücke 2 (鹊桥二号) ist abgeladen. Dieser Relais-Satellit der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas war am 20. März zusammen mit den Technologieerprobungssatelliten Tiandu 1 und Tiandu 2 mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 8 auf den Weg zum Mond gebracht worden. Die Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte nun ein Foto davon.

Mit dem Satelliten soll die Kommunikation mit den auf der Mondrückseite operierenden Komponenten der Internationalen Mondforschungsstation ermöglicht werden. Elsternbrücke 2 ist der zweite Satellit der Elsternbrücke-Konstellation (鹊桥通导遥综合星座).

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Besuch von Olaf Scholz in Peking enthält das gesamte deutsche China-Dilemma in einer Kanzlerreise. Die Wirtschaftsbosse sind dabei, weil sie mehr investieren und die Produktion vor Ort ausweiten wollen. Sein erster Termin am Sonntag galt dementsprechend gleich der Werbung für deutsche Umwelttechnik, schreibt Christiane Kühl.

    Zugleich will der Kanzler einen ausgeglichenen Handel anmahnen, also eine Verringerung der Produktionskapazitäten in China. Er kommt also als Bittsteller. Zugleich muss er Machthaber Xi Jinping wegen dessen Unterstützung für Russland ermahnen. Die USA haben dazu neue Informationen vorgelegt, die Michael Radunski zusammenfasst.

    Wenn Xi seinen Gast auf die Widersprüche hinweist und ihn damit auflaufen lässt, wäre das nur verständlich. Will der Kanzler jetzt mehr Produktion in China oder weniger? Wenn Scholz Chinas Kooperation in der Russland-Frage haben will – was kann er dafür anbieten, woran Xi Interesse hätte? Es ist längst klar, dass China unsere Vorstellungen von einer wertebasierten Weltordnung nicht teilt.

    Auf diese unklaren Zielvorstellungen der Kanzlerreise weist im Interview mit Table.Briefings eine Persönlichkeit hin, die die Hintergründe kennt: Markus Kerber war bis 2017 Geschäftsführer des BDI und danach Staatssekretär im Innenministerium. Er hatte bereits 2015 darauf hingewiesen, dass China sich verändert und der deutschen Industrie künftig Probleme bereiten könnte.

    Doch die Dax-Kapitäne hörten nicht auf ihn und warfen ihm vor, bloß die Stimmung zu verderben. “Man wollte es nicht wahrhaben”, sagt Kerber. “Leider ist es genau so gekommen.”

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Interview

    Ex-BDI-Chef Markus Kerber: “Die Stoßrichtung dieser Kanzler-Reise nach China scheint mir nicht klar definiert zu sein”

    Markus Kerber war Hauptgeschäftsführer des BDI und Staatssekretär im Innenministerium.

    Der Andrang der deutschen Unternehmer bei dieser Kanzler-Reise nach China war so groß wie nie. Der BDI ist aber nun schon zum zweiten Mal in Folge nicht dabei. Wie beurteilen Sie das als ehemaliger Geschäftsführer des wichtigen deutschen Industrieverbands? 

    Zur derzeitigen Einladungspolitik des Kanzleramts kann ich nur wenig sagen. Auf früheren Reisen war der BDI-Präsident zumindest immer dabei. Die jetzigen Gründe können ganz banal sein, wenn etwa in der Wirtschaftsdelegation genügend Präsidiumsmitglieder dabei sind und man sich intern geeinigt hat, dass das ausreicht. Ganz generell scheint mir die Stoßrichtung dieser Kanzler-Reise nach China – und die damit zusammenhängenden Interessen der deutschen Industrie – aber nicht ganz klar definiert zu sein. 

    War das in Ihrer Zeit als BDI-Geschäftsführer anders?

    Wir Wirtschaftsvertreter hatten uns vor solchen Reisen immer mit dem Kanzleramt abgestimmt. Eine einheitliche Agenda durchzuhalten, gelang uns zwar nicht immer, weil Frau Merkel situationsbezogen auch mal gegenüber dem chinesischen Premier Positionen vertrat, die nicht nur wirtschaftlicher Art waren. Also Menschenrechte, persönliche Freiheiten, Commitment zu globalen Regeln – das hat nicht jedem Teilnehmer der Delegation geschmeckt. Aber in den wirtschaftlichen Fragen haben wir darauf geachtet, dass wir einheitlich auftraten. 

    Auch bei seiner kurzen Reise Ende 2022 hatte Scholz den BDI nicht mitgenommen, angeblich wollte die chinesische Seite das nicht. Es war das erste Mal, dass ein BDI-Vertreter trotz ausdrücklichem Wunsch bei einer Kanzler-Reise nach China nicht dabei war. Was haben Sie davon mitbekommen? 

    Die genauen Hintergründe kenne ich nicht. Aber sollte es so gewesen sein, dass die Volksrepublik China darauf gedrungen hat, den BDI nicht dabei zu haben, wäre das meines Erachtens ein schwerer strategischer Fehler der chinesischen Seite. Der BDI als größter europäischer Industrieverband bestimmt die grundlegenden Richtlinien der Wirtschafts- und Industriepolitik nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Nun hat der BDI eine Repräsentanz in Peking. Und zu der gibt es meines Wissens weiter direkten Kontakt zur chinesischen Führung.

    Ein möglicher Ablehungsgrund könnte gewesen sein, dass der BDI mit zwei Strategiepapieren in den Jahren zuvor gegenüber China zunehmend kritisch geworden ist. Eins dieser Papiere geht auf Sie zurück.

    Ja, wir haben 2015 erstmals damit begonnen, die sich verhärtenden Entwicklungen in China zu thematisieren. Deutsche, die in China lebten, spürten ganz deutlich, dass sich das Klima änderte. Und auch ich war in der Zeit regelmäßig dort und merkte: Die Atmosphäre in Gesprächen mit Ministerien war viel aggressiver. Es gab eindeutig die Attitüde des “Make China Great Again” – und die anderen müssen nach unserer Pfeife tanzen. Zugleich gab es Bestrebungen, nicht nur NGOs und Stiftungen, sondern auch Verbände wie den BDI der rigorosen Kontrolle der Staatssicherheit zu unterstellen. Teile der deutschen Industrie fanden nicht gut, dass wir all das thematisierten. Auf Grundlage des Wissens, das wir in China zusammengetragen haben, waren wir aber zu dem Ergebnis gekommen: Wenn Xi seine Politik fortsetzt, wird es zu handfesten Konflikten zwischen den Interessen der deutschen Industrie und China kommen. Nachdem wir unser Papier veröffentlicht haben, lud mich der damalige chinesische Botschafter zum “Teetrinken” ein. 

    Kenner wissen, dass es sich dabei nicht nur um nette Gespräche handelt. 

    In der Tat. Aber ich habe ihm dann sehr geduldig erklärt, dass wir uns keineswegs in die chinesische Politik einmischen wollen. Wir müssen aber selbstverständlich unsere Rolle in Deutschland als unabhängiger Industrieverband gerecht werden und unsere Haltung zu China in Deutschland vertreten. Das war dann auch die Linie, die akzeptiert wurde. Wenn man auf Augenhöhe miteinander offen und ehrlich kommuniziert und trotzdem immer den Versuch unternimmt, den anderen sein Gesicht nicht verlieren zu lassen, kann man auch mit einem systemischen Rivalen wie China Gespräche führen. Das war meine Erfahrung. 

    Einige deutsche Unternehmen waren dennoch nicht begeistert, dass der BDI diesen skeptischen Ton anschlug, wie Sie selbst gerade sagten.

    Ja, aber wir sahen uns verpflichtet, unseren Mitgliedern eine Einschätzung über die sich verändernde Weltlage zu geben. Das Ganze begann im Frühjahr 2015 mit einem Executive Letter des damaligen BDI-Präsidenten Ulrich Grillo. In diesem Brief ging es darum, dass Deutschland zwar Gewinner der Globalisierung ist. Wir haben darin aber auch gewarnt, dass diese Gewinn- schnell in eine Verluststrategie umschlagen kann, wenn Dinge wie Multilateralismus oder die regelbasierte Ordnung der Globalisierung infrage gestellt werden. Das war primär eine Reaktion auf die Krim-Besetzung durch Russland ein Jahr zuvor – aber auch auf unsere Beobachtungen in China. Und der erstarkende Rechtspopulismus in den USA, der dann zwei Jahre später durch die Wahl Trumps bestätigt wurde, zeichnete sich ebenfalls ab. 

    Und wie reagierten die Mitglieder?

    Die Reaktion bei den Dax-Firmen war eindeutig: Was soll diese Kassandra-Haltung? Versaut uns hier bitte nicht die Stimmung. Man wollte es nicht wahrhaben. Leider ist es genau so gekommen. Russland als verlässlicher Lieferant unserer Energieversorgung, China als verlässlicher Handelspartner, der WTO-Regeln folgt, und die USA als Zahlmeister der NATO und größter Verteidiger einer regelbasierten Globalisierung – alle drei Annahmen sind zusammengebrochen. Die deutsche Wirtschaft ist meines Erachtens heute so exponiert wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht.

    Wie erklären Sie sich diese ablehnende Haltung der Firmen?

    Ich führe die Skepsis in der deutschen Wirtschaft maßgeblich darauf zurück, dass wir es nach 1990 mit einer Generation von Unternehmensführungen und Managern zu tun haben, die völlig apolitisch ist. Die haben, wenn überhaupt, nur noch ein geopolitisches Buch gelesen, und das war “Das Ende der Geschichte” von Francis Fukuyama. Und dann ist es wahrscheinlich nicht richtig verstanden worden. Fukuyama hat nicht gesagt: Das Spiel ist zu Ende, und der Westen hat für immer gewonnen. Sondern er sprach von einer Tendenz und von einer Hoffnung. Aber diese Hoffnung hat man in weiten Kreisen der deutschen Industrie für bare Münze genommen. Mit einer gewissen Überheblichkeit und Unkenntnis der Geschichte haben sie gedacht: Wir müssen uns um politische Risiken nicht mehr kümmern. Jetzt holt uns diese Kurzsichtigkeit ein. 

    Wie meinen Sie das?

    Mich hat in der Auseinandersetzung mit China erstaunt, wie viele Wirtschaftsführer mit großer Exposition in der Volksrepublik immer nur vom sich gerade toll entwickelnden Entwicklungsland China sprachen – so als ob es ein chinesisches Imperium vor 1949 nie gegeben hätte. Dabei ist China ein Akteur, der seit Tausenden von Jahren die Weltgeschichte immer beeinflusst hat. Darum verstehe ich, warum es eine chinesische Führung heute sehr leicht hat, das Narrativ zu verbreiten: Der Westen ist arrogant, er versteht uns nicht und die müssen uns erst einmal respektieren lernen. Dafür zahlen wir jetzt einen hohen Preis.

    Mit diesem Papier waren Sie praktisch der Urheber der Debatte um eine neue China-Strategie, die die Bundesregierung im vergangenen Sommer schließlich verabschiedet hat. Hätten Sie das damals geahnt, was Sie damit anstoßen würden?

    Wir waren damals nicht die einzigen, die die aufkommenden Risiken im deutsch-chinesischen Verhältnis gesehen haben und davor warnten. Es war ein Zusammenspiel aus dem damaligen deutschen Botschafter, unserer BDI-Repräsentantin in Peking und dem EU-Handelskammerpräsidenten. Als 2019 das zweite Papier des BDI erschien, war allen Unternehmen, die in China tätig sind, bereits klar, dass die Stimmung sich gedreht hat. 

    Nicht zuletzt seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Deutschen alarmiert, was Abhängigkeiten von autoritären Staaten anbelangt – offenbar aber nicht die großen Dax-Unternehmen. BASF und VW investieren eher noch mehr in China. 

    Wieviel Risiko es eingeht, muss jedes Unternehmen selbst entscheiden. Wenn man mich fragt, würde ich derzeit die China-Geschäfte zumindest nicht ausweiten. China steht mit seiner demographischen Entwicklung vor gigantischen Problemen. Das Wachstum, das wir bislang gewohnt waren, wird es so nicht mehr geben. China als junger, dynamischer Wachstumsmarkt wird zunehmend von Überalterung und Wachstumsschwäche geprägt sein. Zugleich verstehe ich aber, dass sich deutsche Unternehmen nicht einfach von heute auf morgen aus dem chinesischen Markt zurückziehen und auf andere Märkte ausweichen können. Und was sich technologisch in China abspielt, wird auch künftig für uns relevant sein. Da müssen wir mithalten können. De-Risking halte ich für eine Floskel. 

    Was schlagen Sie vor?

    Ich bin ein operativ denkender Mensch. Ich hätte mir gewünscht, dass in der China-Strategie ganz praktische Dinge drin sind, wie zum Beispiel die Verstärkung der China-Forschung an unseren Universitäten. Wir bilden zu wenig Sinologen und Sinologinnen aus. Wir müssten all diese deutschen Studiengänge vernetzen, uns sehr viel stärker kümmern um Kontakte mit und zu chinesischen Universitäten. Die deutschen Unternehmen beschäftigen in China Hunderttausende von Mitarbeitern. Wir müssten viel stärker Erkenntnisse aus dem Alltagsleben dieser chinesischen Belegschaften ziehen, um unseren Wissenspool und damit unsere Optionen zur zukünftigen Haltung gegenüber China zu maximieren. Nicht Abschottung muss jetzt unsere Devise sein, sondern die Vertiefung unserer Kapillare in die chinesische Gesellschaft hinein. 

    Markus Kerber war von 2011 bis 2017 Hauptgeschäftsführer des BDI, zuvor Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium und zwischen 2018 bis 2021 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Kerber hat die Debatte um eine neue China-Strategie losgetreten.

    • BDI
    • China-Strategie
    • Deutschland
    • EU-Handelskammer
    • Geopolitik
    • Handel
    • Technologie
    Translation missing.

    Analyse

    Wie China Russlands Kriegsmaschinerie unterstützt

    Verstehen sich bestens: Wladimir Putin und Xi Jinping beim Belt-and-Road-Forum im Oktober in Peking.

    Die USA haben China öffentlich beschuldigt, Russlands Kriegsmaschinerie zu unterstützen. Ranghohe US-Beamte sagten am Freitag, China habe über zwei Jahre hinweg seine Hilfen für Russland aufgebaut in Bereichen, die gezielt auch das russische Militär und damit den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützten. Die chinesischen Lieferungen seien der Schlüsselfaktor bei der Wiederbelebung des russischen Militärs, das seit Beginn der Invasion in der Ukraine “ansonsten erhebliche Rückschläge” erlitten hätte. “Ohne den Beitrag der Volksrepublik China hätte Russland Schwierigkeiten, seine Kriegsanstrengungen aufrechtzuerhalten.” 

    Die chinesische Botschaft in den USA erklärte der Nachrichtenagentur Reuters, China habe keiner Partei Waffen zur Verfügung gestellt und fügte hinzu, dass sie “kein Produzent der Ukraine-Krise oder eine in sie verwickelte Partei” sei.

    Scholz muss klare Worte in China finden

    Inhalt und Timing sind zwei entscheidende Faktoren in der internationalen Außenpolitik. Und beides haben die USA mit der jüngsten Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen gezielt genutzt.

    • Inhaltlich: Es ist auffällig, wie detailliert die US-Informationen sind. Neben gelieferten Gütern werden expliziert auch chinesische Firmen benannt, die kriegswichtige Produkte nach Russland exportiert haben sollen.
    • Timing: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz weilt von Sonntag bis Dienstag in China. Scholz steht im Ruf, eher moderate Töne gegenüber der chinesischen Führung anzuschlagen. Das wird nach diesen Enthüllungen beim Thema China-Russland kaum mehr möglich sein.

    China liefert Chips, Motoren und Werkzeuge

    US-Erkenntnissen zufolge umfassen die chinesischen Lieferungen:

    • Halbleiter,
    • Marschflugkörper- und Drohnenmotoren,
    • Satellitenaufklärung
    • sowie Maschinenwerkzeugen für ballistische Raketen.

    Die amerikanischen Erkenntnisse zeigten US-Beamten zufolge, dass in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres “mehr als 70 Prozent der russischen Importe von Werkzeugmaschinen aus China stammten”. Nur so habe Moskau seine Produktion von ballistischen Raketen steigern können. Insgesamt sollen 2023 rund 90 Prozent der russischen Mikroelektronik-Importe, die zur Herstellung von Raketen, Panzern und Flugzeugen verwendet werden, ebenfalls aus China

    Die Beamten fügten hinzu, dass China Russland auch bei der Verbesserung seiner Satelliten und anderen weltraumgestützten Fähigkeiten helfe, um seinen Krieg in der Ukraine voranzutreiben. Zudem stelle Peking ebenfalls auch Satellitenbilder zur Verfügung.

    Chinesische Firmen im Fokus

    Damit nicht genug. Die US-Beamten benannten ganz konkret mehrere chinesische Firmen, die für den Export verantwortlich sein sollen. Darunter:

    • Wuhan Global Sensor Technology,
    • Wuhan Tongsheng Technology und Hikvision,
    • iRay Technology,
    • North China Research Institute of Electro-Optics,
    • oder auch die Dalian Machine Tool Group.

    “Diese Lieferungen helfen Russland wirklich dabei, seine Kriegsmaschinerie neu aufzubauen und zu verbessern, um die Ukraine zu zerstören”, urteilt Alexander Gabuev im Gespräch mit Table.Briefings. Der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center sagt: “Es handelt sich hierbei nicht um normalen Handel zu zivilen Zwecken, wie den Kauf von russischem Öl, der zähneknirschend hingenommen wird. Hier geht es um militärwichtige Unterstützung.”

    Die öffentliche Anschuldigung der chinesischen Führung dürfte auch einen inneramerikanischen Hintergrund haben: In den USA gibt es heftigen Streit um weitere Hilfsgelder an die Ukraine. Zudem droht eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump. Und so scheint es, als wäre nun eine der wichtigsten Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine, China davon zu überzeugen, Russland nicht mehr zu militärisch unterstützen. Ohne internationale Hilfe – durch eine möglichst große internationale Gruppe – wird das nicht gelingen. Olaf Scholz hat jedenfalls schon am morgigen Dienstag einen Termin mit Xi Jinping.  

    • Geopolitik
    • Handel
    • Militär
    • Russland
    • Technologie
    • USA

    Deutsche Zukunftstechnologie: Scholz wirbt in China für Wasserstoffantriebe von Bosch

    Kanzler Scholz besuchte am ersten Tag seiner China-Reise eine Fabrik für Wasserstoffantriebe von Bosch in Chongqing.

    Während des Fluges von Berlin nach Chongqing erfährt Bundeskanzler Scholz von den Angriffen Irans auf Israel. Seinen Plan für den Besuch in der Yangtse-Metropole setzt er aber trotzdem nach einem kurzen Kommentar zur Lage fort. Erster Programmpunkt der dreitägigen China-Reise des Kanzlers ist Bosch Hydrogen Powertrain Systems (Chongqing), ein Joint Venture des Autozulieferers, das Wasserstoffantriebe für Nutzfahrzeuge produziert. Details von dem Besuch gab es zunächst nicht. Doch die Visite des Bosch-Werks ist sorgfältig gewählt, denn dieses ist ein Beispiel für die Chancen, die sich deutschen Firmen im Cleantech-Bereich in der Volksrepublik immer noch bieten, vor allem dann, wenn sie über neueste Technologien verfügen. Zugleich demonstriert man so den Gastgebern, was Deutschland noch an Zukunftstechnologie zu bieten hat.

    Bosch hatte erst im Juli 2023 die Serienproduktion seines Brennstoffzellen-Antriebssystems in Stuttgart-Feuerbach gestartet und praktisch parallel dazu die Produktion in Chongqing hochgefahren. Dort kommen die nötigen Komponenten – Brennstoffzellen-Stack, Luftkompressor mit Leistungselektronik sowie ein Steuergerät mit Sensoren – aus einem Werk im ostchinesischen Wuxi. “Bosch ist das erste Unternehmen, das solche Systeme in China und in Deutschland fertigt”, sagte Stefan Hartung, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH damals.

    China bei Elektrolyse für Wasserstoff bereits führend

    Die Wasserstoff-Industrie ist weltweit erst im Entstehen – und ihr Erfolg sowohl für die Schwerindustrie als auch in Teilen des Transportsektors, vom Flugzeug bis zum Lastwagen, entscheidend für das Gelingen der Energiewende. Das weiß auch China, das mit wachsendem Tempo in den Sektor einsteigt.

    Während ausländische Firmen wie Bosch bei der Anwendung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie durchaus aktiv sind – und teilweise auch Zugang zu projektbezogenen lokalen Fördermitteln haben – liegt die Herstellung des benötigten Wasserstoffs selbst in Chinas Hand. Die Schlüsseltechnologie der künftigen Wasserstoffwirtschaft ist die Elektrolyse, die mittels Strom Wasser aufspaltet in die Einzelteile Wasserstoff und Sauerstoff. Und die Elektrolyse ist nach den Erneuerbaren Energien und Elektroautos ein weiterer Cleantech-Sektor, in dem China den Westen gerade überholt.

    China hat nach einem Weißbuch des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) bei der Elektrolyse “bereits die weltweite Marktführerschaft übernommen”. Mit 610 Megawatt (MW) befinde sich mehr als die Hälfte der global installierten Kapazität in der Volksrepublik. “Mit dem zügigen Ausbau der Produktionskapazitäten schaffen sich die chinesischen Hersteller Kostenvorteile für den dynamisch wachsenden Markt”, so die VDE-Studie.

    Denn wer zuerst groß wird, kann zuerst die Stückkosten senken – und hat damit Vorteile gegenüber der langsameren Konkurrenz. Von heute rund einem Gigawatt (GW) wird sich die weltweite Elektrolysekapazität laut VDE bereits bis 2030 um das 300-Fache erhöhen auf dann 305 GW. Die Internationale Energie-Agentur IEA erwartet bis 2050 gar 3.500 GW.

    Grüner Wasserstoff für die Energiewende

    Das ist ein rasantes Wachstum, doch für die Energiewende muss der für die Elektrolyse benötigte Strom mittelfristig aus erneuerbaren Energien gewonnen werden – erst dann bekommt man den sogenannten Grünen Wasserstoff, der das eigentliche Ziel ist. Für die Übergangszeit aber wird weltweit der allergrößte Teil des Wasserstoffs noch mit Kohlestrom oder Strom aus Erdgas hergestellt – auch in China. Das Fraunhofer ISI erwartet in einer aktuellen Studie, dass die Volksrepublik aber ebenso wie die USA – und im Gegensatz zu dem auch künftig auf Importe angewiesene Deutschland – in der Lage sein wird, seinen eigenen Bedarf an Gerünem Wasserstoff selbst zu decken. Das verdankt es dem rasanten Ausbau gewaltiger Erneuerbaren-Kapazitäten.

    Seit 2019 besteht eine Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und China, bei der auch Grüner Wasserstoff laut dem federführenden Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Teil des bilateralen Dialogs ist. Der Schwerpunkt liege dabei “auf dem Austausch zu regulatorischen Rahmenbedingungen und Standards”. Deutschland hat sich mit seiner Nationalen Wasserstoffstrategie bereits ehrgeizige Ziele gesetzt, darunter die Marktführerschaft in dem neuen Markt.

    In China aber sind die Regeln erst im Aufbau. Im März 2022 hatte Peking einen langfristigen Plan für den Aufbau einer Wasserstoffindustrie bis 2035 erlassen. Im August 2023 hatte China die erste landesweite Verordnung für den Aufbau einer Wasserstoff-Industrie erlassen, darunter Standards für Produktion, Speicherung, Transport und Anwendung von Wasserstoff.

    China will Wasserstoffsektor aufbauen – und dann dekarbonisieren

    Die Ambitionen zur Dekarbonisierung der Elektrolyse – also den Wasserstoff grün zu machen – sind auf der nationalen Ebene Chinas nach Ansicht von Experten bisher geringer als in den Industrienationen. Pläne einzelner Regionen sind da teilweise deutlich ehrgeiziger. Regionale Entwicklungsschwerpunkte zur Erzeugung Grünen Wasserstoffs aus Wind- und Solarenergie sind einer Studie der bundeseigenen Germany Trade & Invest (GTAI) zufolge Xinjiang, die Inneren Mongolei und Chinas Nordosten (Dongbei). Es handelt sich um Regionen, in denen bereits riesige Wind- und Solarparks vorhanden sind. Führend ist die Innere Mongolei, die bis 2025 jährlich 480.000 Tonnen Grünen Wasserstoff produzieren will.

    Für die Zentralregierung stehe eine nachhaltige Wasserstoff-Produktion dagegen vorerst nicht im Vordergrund, ergab eine Studie am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum in Potsdam. “Wenig entwickelt sind auch Chinas Ambitionen zur Förderung von Wasserstoffspeicherung und -transport”, heißt es darin. Der Schwerpunkt liege zurzeit “auf der Förderung von Innovationen und dem Erwerb von technologischem Know-how.” Wie auch in anderen Cleantech-Sektoren geht es Peking offenbar kurzfristig vorrangig darum, einen erfolgreichen Wirtschaftszweig aufzubauen – der später dann auch gut fürs Klima ist. Das bietet zumindest punktuell Chancen für Firmen wie Bosch bei der Anwendung.

    Photovoltaik und Wasserstoff sind oft in einer Hand

    Die kostspielige Wasserstoff-Produktion liegt allerdings vielfach in den Händen der großen Staatskonzerne. Wind- und Solarparks werden laut GTAI häufig von Chinas staatlich kontrollierten Energieriesen betrieben, die teilweise nun auch zu den führenden Herstellern von Elektrolyseuren geworden sind.

    Ein Beispiel dafür ist der Staatskonzern Sinopec, der im Sommer 2023 die nach eigenen Angaben weltgrößte Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Xinjiang in Betrieb nahm. Das Xinjiang Kuqa Green Hydrogen Pilot Project nutze eigene Fotovoltaikanlagen von der Größe von 900 Fußballfeldern, um mit Solarenergie durch Elektrolyse von Wasser 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu erzeugen, teilte Sinopec mit. Sinopec, eigentlich ein Ölkonzern, will die Anlage nach Berichten von Fachmedien nutzen, um den erzeugten Wasserstoff an eine nahe gelegene Raffinerie des Tochterunternehmens Sinopec Tahe Petrochemical zu liefern und das dort bislang genutzte Erdgas ersetzen.

    • Deutschland
    • Elektrolyseure
    • Energiewende
    • Grüner Wasserstoff
    • GTAI
    • Mongolei
    • Technologie
    • Wasserstoff
    Translation missing.

    News

    Nahost-Eskalation überschattet China-Besuch

    Eigentlich wollte Bundeskanzler Olaf Scholz sich ganz seinem Leib- und Magenthema widmen, nämlich der Städteplanung. Auch deshalb reiste er in die Jangtse-Metropole Chongqing, wo gut 22 Millionen Menschen an steil aufsteigenden Flussufern leben. Doch nachdem ihm auf dem Flug die Nachricht vom iranischen Luftangriff auf Israel erreicht hatte, war klar, dass das Thema alle anderen Programmpunkte überschatten werde.

    Nach der Landung in Chongqing verurteilte Scholz die Angriffe “mit aller Schärfe”. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte laut dpa im Namen des Kanzlers: “Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand. In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels.” Am Abend nahm Scholz von Chongqing aus über eine gesicherte Leitung an einer G7-Schalte teil.

    Schon vor dem Abflug hatte es in Regierungskreisen in Berlin geheißen, man werde auch China ermahnen, seinen Einfluss auf die Regierung Teheran geltend zu machen. Das Thema dürfte nach den Drohnen- und Raketenangriffen nun noch dringlicher sein.

    Scholz in China: Gespräche über den Nahost-Krieg

    Pekings Reaktion fiel bisher sehr viel zurückhaltender aus. Die chinesische Führung sprach lediglich von “tiefer Besorgnis” und forderte alle Parteien auf, Ruhe und Zurückhaltung zu üben. Eine weitere Eskalation müsse verhindert werden, sagte ein Außenamtssprecher. Zudem rufe China die internationale Gemeinschaft, “insbesondere Länder mit Einfluss, dazu auf, eine konstruktive Rolle für den Frieden und die Stabilität der Region zu spielen”. Welche Rolle China einnehmen werde, sagte er nicht.

    Diesbezüglich wachsen auch in der Heimat die Erwartungen an den Kanzler. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann, appelliert an Scholz, China dazu aufzufordern, zur Entspannung der Lage in Nahost beizutragen. “Da der Kanzler schon in Peking weilt, sollte er vor Ort deutlich daran erinnern, dass Israel unser Freund ist und Deutschland an der Seite Israels steht”, sagte die FDP-Politikerin der “Rheinischen Post”. 

    Den China-Besuch abzubrechen, kam für Scholz nicht infrage. Gestrichen wurden lediglich eine Bootsfahrt auf dem Jangtse-Fluss und ein Stadtrundgang – also alles, was nach Tourismus aussieht. Die inhaltlichen Gespräche mit der chinesischen Führung stehen am Dienstag auf dem Programm. Spätestens beim Treffen mit Präsident Xi Jinping soll die Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten auch offizieller Programmpunkt der China-Reise sein. rtr/flee

    • Geopolitik
    • Iran
    • Israel
    • Nahost
    • Olaf Scholz

    USA lösen China als wichtigsten Absatzmarkt Taiwans ab

    Die USA haben die Volksrepublik als wichtigsten Absatzmarkt Taiwans abgelöst. Grund dafür ist die hohe Nachfrage nach Mikrochips und Technologien aus dem Bereich Künstliche Intelligenz, teilte das Finanzministerium in Taipeh am Freitag laut der Nachrichtenagentur AFP mit. Eine “Umorganisation der Lieferketten für Elektronik und die Informations- und Kommunikationstechnologie” sowie der Boom in der KI-Industrie hätten zu dieser Verschiebung beigetragen.

    Mehr als zwei Jahrzehnte lang war China der größte Exportmarkt für Taiwan. Die Daten von Dezember zeigen, dass Taiwan Güter im Umfang von 8,49 Milliarden Dollar in die USA exportierte, während die Ausfuhren nach Festlandchina einen Umfang von 8,28 Milliarden Dollar hatten. Dieser Trend habe bis März angehalten.

    Die Peking-kritische taiwanische Regierung unter Präsidentin Tsai Ing-wen bemüht sich seit Beginn ihrer Amtszeit 2016 um engere wirtschaftliche Beziehungen mit den USA und Ländern Südostasiens, während sie versucht, Taiwans wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Im Mai tritt sie ab. Ihr Nachfolger will diese Politik aber fortsetzen. flee

    • Chips
    • Handel
    • Taiwan
    • Technologie
    • USA

    Peking will ausländische Chips im Telekomnetz ausmustern

    China will einem Medienbericht zufolge Prozessoren aus ausländischer Produktion von seinem Telekommunikations-Netzwerk verbannen. Die Behörden hätten die größten heimischen Anbieter zu Jahresbeginn angewiesen, nicht-chinesische Prozessoren, die für ihre Netzwerke von zentraler Bedeutung sind, bis 2027 auszumustern, berichtete das “Wall Street Journal”.

    Dieser Schritt würde unter anderem die US-Chip-Giganten Intel und Advanced Micro Devices (AMD) treffen. Im vorbörslichen Handel ließen die Aktien der beiden Konzerne leicht nach. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China versucht Peking verstärkt, westliche Technologien durch eigene Alternativen zu ersetzen. rtr

    • Chips
    • Handelskrieg
    • Technologie
    • USA

    Presseschau

    Irans Angriff auf Israel überschattet Scholz-Besuch in China HANDELSBLATT
    Spionage in China: Scholz in Peking – Kanzler ergreift drastische Maßnahmen MORGENPOST
    Olaf Scholz in China: Was sich die deutsche Wirtschaft sich davon erhofft T-ONLINE
    Deutsche Industrie will keine Strafzölle auf China-E-Autos GOLEM
    US blacklists 4 Chinese tech companies for helping China’s military BUSINESS STANDARD
    Europe trails China and US after ‘monumental’ energy mistakes, IEA chief says FT
    Bis 2027: China will Intel und AMD aus Kommunikationsnetzen verbannen​ HEISE
    “Dürfen nicht naiv sein”: Stark-Watzinger mahnt zur Vorsicht bei Kooperation mit China RND
    USA drängen China, Unterstützung für Russlands Rüstungsindustrie einzustellen TELEPOLIS
    China reaffirms ties with North Korea in high-level meeting THE GUARDIAN
    China coastguard blocks Philippines vessels as maritime tension grows FT
    Scholz heads to China as Ukraine war, Taiwan tensions loom large YAHOO
    China: Parteipropaganda per künstlicher Intelligenz TAGESSCHAU
    “Chinas nützliche Idioten”: Warum Alice Weidel und Sahra Wagenknecht in Peking gefeiert werden HANDELSBLATT

    Personalien

    Zhao Wang wird mit Wirkung vom 9. April Co-Chief Operating Officer beim Luft-Taxihersteller EHang. Wang wird für den Geschäftsbetrieb verantwortlich sein, mit Schwerpunkt auf Geschäftsentwicklung, Produktvertrieb, Marketing und kommerziellen Aktivitäten für UAM-Dienste. Zuvor arbeitete Wang für die Antaeus Group, eine chinesische Unternehmensgruppe mit branchenübergreifenden Dienstleistungen in den Bereichen Resort, Film und Kunst. 

    Achim Stadtmüller hat im April den Posten des Purchasing Manager bei Baosteel Europe übernommen. Baosteel ist das zweitgrößte staatliche Eisen- und Stahlkonglomerat der Volksrepublik mit Hauptsitz in Shanghai. Stadtmüller hat Sinologie und China Studies an der Goethe-Universität Frankfurt und der Shanghaier Fudan-Universität studiert.  

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Die Elsternbrücke 2 (鹊桥二号) ist abgeladen. Dieser Relais-Satellit der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas war am 20. März zusammen mit den Technologieerprobungssatelliten Tiandu 1 und Tiandu 2 mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 8 auf den Weg zum Mond gebracht worden. Die Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte nun ein Foto davon.

    Mit dem Satelliten soll die Kommunikation mit den auf der Mondrückseite operierenden Komponenten der Internationalen Mondforschungsstation ermöglicht werden. Elsternbrücke 2 ist der zweite Satellit der Elsternbrücke-Konstellation (鹊桥通导遥综合星座).

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen