Table.Briefing: China

Reaktion auf deutsche Durchfahrt in der Taiwanstraße + Xiangshan-Forum in Peking

Liebe Leserin, lieber Leser,

zum ersten Mal seit 22 Jahren haben am Freitag zwei deutsche Kriegsschiffe die Taiwanstraße durchquert – unter den wachsamen Augen der chinesischen Marine. China hatte im Vorfeld Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Seit Mitte 2022 versucht das Land aktiv, den Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer infrage zu stellen und die Meerenge als innerchinesisches “Binnenmeer” darzustellen. David Demes hat sich die Reaktionen in der Region angesehen: Taiwan wertet die Passage als Zeichen internationaler Solidarität, während China von einer Provokation spricht.

Um die internationale Sicherheit geht es auch in unserer zweiten Analyse: Am Wochenende veranstaltete Peking mit dem Xiangshan-Forum seine eigene Sicherheitskonferenz. Das diesjährige Motto lautete: “Förderung des Friedens für eine gemeinsame Zukunft” – und China nutzte die Gelegenheit, sich als neue globale Vermittlungsmacht in Szene zu setzen, wie Michael Radunski analysiert. Dabei hat Peking weniger den Westen, die USA oder Europa im Blick. China geht es vielmehr um Asien und die Länder, die unter dem Titel “Globaler Süden” zusammengefasst werden.

Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!

Ihre
Amelie Richter
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Analyse

Taiwanstraße: So reagieren Peking und Taipeh auf die deutschen Schiffe

Die deutsche Fregatte Baden-Württemberg Ende August im Hafen von Tokio.

Zum ersten Mal seit 22 Jahren haben am Freitag zwei deutsche Kriegsschiffe die Taiwanstraße durchquert. Die Fregatte “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff, die “Frankfurt am Main”, fuhren auf dem Weg von Südkorea zu den Philippinen durch die Meerenge zwischen der demokratischen Inselrepublik Taiwan und der chinesischen Provinz Fujian. Offiziell, weil es der kürzeste Weg sei, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag. “Es ist angesichts der Wetterlage der sicherste Weg, und es sind internationale Gewässer, also fahren wir durch”, so der Minister. Auch Kanzler Scholz gab sich demonstrativ gelassen. Zur Passage von Schiffen gebe es nicht viel zu sagen. “Das ist eine internationale Wasserstraße”, sagte er bei einer Pressekonferenz in Berlin.

China hatte im Vorfeld Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Seit Mitte 2022 versucht das Land aktiv, den Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer infrage zu stellen und die Meerenge als innerchinesisches “Binnenmeer” darzustellen. Vor allem die USA machen regelmäßig Fahrten durch die Straße von Taiwan. Einerseits, um die Freiheit der Schifffahrt zu verteidigen, aber auch um Chinas immer aggressiveres Auftreten gegenüber Taiwan in die Schranken zu weisen.

Für den Generalinspekteur der Bundeswehr stellt die Durchfahrt der deutschen Schiffe keine Provokation der Volksrepublik China dar. “Ich glaube nicht, dass wir die Provokation Chinas riskieren, sondern eher umgekehrt; dass mit der Wahrnehmung und den Punkten, die China hier mit hineinbringt, genau dieses internationale Recht infrage gestellt wird”, erklärte General Carsten Breuer. Neben den USA und Deutschland haben dieses Jahr auch schon Schiffe aus Kanada und den Niederlanden die Meerenge befahren.

Chinesische Botschaft legt Protest ein

Die Taiwanstraße ist als wichtige Handelsroute auch für Deutschland von großem Interesse. Trotzdem hatte die Regierung Merkel 2021 noch davor zurückgeschreckt, die Fregatte “Bayern” durch die umstrittene Meerenge zu schicken. Die deutsche Anfrage für einen Hafenaufenthalt in Shanghai, die allgemein als Ölzweig der Kanzlerin interpretiert worden war, wurde von der chinesischen Regierung damals abgelehnt. Und jetzt, da Deutschland das erste Mal seit 22 Jahren wieder eine Durchfahrt gewagt hat, fällt die Reaktion in China erwartungsgemäß negativ aus. Sowohl das Außenministerium, die chinesische Botschaft in Deutschland, als auch das Regionalkommando Ost der Volksbefreiungsarmee haben die deutsche Aktion offen kritisiert.

Angesprochen auf die Äußerung des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, dass es sich bei der Taiwanstraße um internationale Gewässer handele, sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, bei einer Pressekonferenz am Freitag, dass es bei der Taiwan-Frage nicht um die “Freiheit der Schifffahrt” gehe, sondern um “die chinesische Souveränität und territoriale Integrität”. Mao erklärte, dass die Volksrepublik zwar das Recht anderer Länder respektiere, die Taiwanstraße friedlich zu durchqueren, gleichzeitig lehne man “Provokationen und die Schädigung der Souveränität und Sicherheit Chinas unter dem Deckmantel der Freiheit der Schifffahrt entschieden ab”. Einen ähnlichen Wortlaut hatte das Außenministerium bereits am 9. September verwendet.

Auf ihrer Webseite ging die chinesische Botschaft in Berlin noch einen Schritt weiter: China fordere die deutsche Seite auf, das Ein-China-Prinzip “strikt einzuhalten”, um “eine Störung und Schädigung der gesunden und stabilen Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen zu vermeiden.” Man habe formal Protest bei der deutschen Seite eingelegt, so die Mitteilung.

“Begleitung” durch chinesische Marine und Luftwaffe

Am Samstagvormittag bestätigte das Regionalkommando Ost der Volksbefreiungsarmee, in deren Zuständigkeitsbereich Taiwan und die Taiwanstraße fallen, die Durchfahrt in einem Post auf dem Microblogging-Dienst Weibo. Der Sprecher des Regionalkommandos, Flottillenadmiral Li Xi, kritisierte den “öffentlichen Hype” um das Ereignis und warnte, dass das Verhalten der deutschen Seite das “Sicherheitsrisiko erhöht” und “falsche Signale gesendet” habe. Die Truppen im Einsatzgebiet seien jederzeit in höchster Alarmbereitschaft und würden “allen Drohungen und Provokationen entschlossen entgegentreten”. Li ließ außerdem wissen, dass das Regionalkommando Ost See- und Luftstreitkräfte angewiesen habe, den gesamten Verlauf der Durchfahrt zu verfolgen und zu überwachen.

In einem früheren Exklusivbericht der taiwanischen Nachrichtenseite RW News hatte es geheißen, die “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff, die “Frankfurt am Main”, seien im Westen und im Osten der Medianlinie der Taiwanstraße jeweils von einem Schiff der chinesischen Marine begleitet und so “in einen Zangengriff” genommen worden. Auf Anfrage wollte das taiwanische Verteidigungsministerium den RW News-Bericht gegenüber Table.Briefings weder bestätigen noch dementieren. Man äußere sich nicht zu einzelnen Medienberichten, so ein Pressesprecher. “Die Taiwanstraße ist eine wichtige internationale Schifffahrtsroute. Das Verteidigungsministerium respektiert die freie Durchfahrt von Kriegsschiffen aller Länder, sofern diese den internationalen rechtlichen Normen entsprechen”, hieß es in einer kurzen Mitteilung.

Der Co-Vorsitzende des Ausschusses für Verteidigung und Auswärtiges im taiwanischen Parlament, Wang Ting-yu (DPP), bestätigte im Gespräch mit Table.Briefings allerdings, dass die deutsche Fregatte und ihr Versorgungsschiff von chinesischen Schiffen begleitet worden seien. Allerdings seien sie nicht von beiden Seiten in die Zange genommen worden: “Stattdessen haben sie die deutschen Schiffe auf der chinesischen Seite der Medianlinie begleitet und von hinten überwacht”. Für ihn trage die Tatsache, dass Deutschland in diesen internationalen Gewässern die Freiheit der Schifffahrt ausübe, wesentlich zur Wahrung von Frieden und Stabilität in der Region bei, so Wang.

Laut dem täglichen Bericht des taiwanischen Verteidigungsministeriums wurden im Luftraum über der Medianlinie am Freitag außerdem fünf chinesische Kampfflugzeuge und Drohnen registriert.

Taiwans Außenministerium begrüßt Durchfahrt

Das Außenministerium in Taipeh zeigte sich ebenfalls erfreut über die Durchfahrt. In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Table.Briefings hieß es, man begrüße es, dass Deutschland “den rechtlichen Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer mit konkreten Maßnahmen verteidigt” und zugleich das Recht auf freie Schifffahrt sowie den Frieden und die Stabilität in der Region bewahre. Deutschland sei ein demokratischer Wertepartner und Taiwans größter Handelspartner in Europa, so das Außenministerium weiter. “Taiwan wird weiterhin mit Ländern weltweit zusammenarbeiten, um die Demokratie, Freiheit und den Wohlstand im Indopazifik zu fördern.”

Auch aus Taiwans Zivilgesellschaft gab es Zuspruch. Die Zivilschutzorganisation Kuma Academy arbeitet seit 2021 daran, Taiwans gesellschaftliche Resilienz zu stärken und die Bürger auf verschiedene Katastrophenfälle vorzubereiten. In einem langen Post auf Facebook stellt die Organisation die rhetorische Frage, ob das schlafende Deutschland denn nun endlich aufgewacht sei? “Um den Zugang zum chinesischen Markt für traditionelle Industrien wie die Chemie- und Automobilbranche zu sichern, hat Deutschland lange Zeit eine relativ nachgiebige und tolerante Haltung gegenüber China eingenommen”, heißt es in dem Statement. Nun beginne Berlin endlich damit, konkrete Maßnahmen gegen China zu ergreifen. Die Durchfahrt sei eine Erklärung, wie sie deutlicher nicht hätte ausfallen können, so das Team der Kuma Academy.

In chinesischen sozialen Medien wird die deutsche Durchfahrt naturgemäß anders wahrgenommen. Jin Canrong, Professor für Internationale Beziehungen an der Renmin Universität in Peking, argumentierte auf seinem Weibo-Account, dass Deutschland die Passage nur auf Druck der USA durchgeführt habe. Die USA forderten, dass sich ihre Verbündeten auf ihre Seite stellten. Länder wie Großbritannien, Kanada, und Australien hätten dies bereits getan. “Auch Deutschland muss sich als führendes Land in Europa unter amerikanischem Druck positionieren und seine Loyalität gegenüber den USA zum Ausdruck bringen. Damit soll China signalisiert werden, dass der Westen zusammensteht”, so Jin, dem mehr als drei Millionen Nutzer auf Weibo folgen. “Militärisch gesehen hat diese Aktion für China keinerlei Bedeutung, aber politisch gesehen widert sie uns in der Tat an.”

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Xiangshan-Forum: Wie China sich als globaler Vermittler inszeniert

Chinas Verteidigungsminister Dong Jun auf dem Xiangshan-Forum in Peking.

Chinas politische Führung hat zu mehr Frieden in der Welt aufgerufen. In der Abschlussrede des Xiangshang-Forums kündigte der chinesische Vize-Außenminister Chen Xiaodong am Samstag in Peking an, dass China die Rolle als Vermittler und Friedensstifter einnehmen werde, um internationale Krisen politisch zu lösen und regionale Sicherheit und Stabilität zu fördern. Dafür stehe die von Präsident Xi Jinping im Jahr 2022 vorgeschlagene “Globale Sicherheitsinitiative”.

Konkreter wurde zuvor Chinas Verteidigungsminister Dong Jun. Er rief zu Verhandlungen auf, um die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen zu beenden. “Je früher wir uns zu Verhandlungen zusammensetzen, desto eher wird Frieden in den Brennpunkten herrschen”, sagte Dong.

Das 2006 gegründete Xiangshan-Forum ist Chinas größtes und wichtigstes sicherheitspolitisches Event. Das diesjährige Motto lautete: “Förderung des Friedens für eine gemeinsame Zukunft” – und China nutzte die Gelegenheit, sich als neue globale Vermittlungsmacht in Szene zu setzen. Dabei hat Peking weniger den Westen, die USA oder Europa im Blick. China geht es vielmehr um Asien und die Länder, die gerne unter dem unsäglichen Titel “Globaler Süden” zusammengefasst werden.

Dong preist China als Macht des Friedens

So forderte Verteidigungsminister Dong auf dem Xiangshan-Forum eine gerechtere Weltordnungspolitik. China und andere große Länder trügen die Verantwortung, für die nötige Sicherheit zu sorgen. Dabei ließ Dong keinen Zweifel aufkommen, wer dieser Aufgabe nachkomme – und wer nicht.

China versuche, seine Rolle als Friedensstifter zu stärken. Als neutraler Akteur versuche man im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Auch habe man Schritte unternommen, um rivalisierende palästinensische Fraktionen zu versöhnen. Im Gegensatz dazu würden andere große Mächte, schwächere Länder schikanieren. Namen nannte Dong nicht. Den Anwesenden in Peking war auch so klar, wer gemeint war: die USA.

Allerdings muss man festhalten, dass Dong auf dem Xiangshan-Forum einen überaus konzilianten Ton wählte. Weder kritisierte er die USA namentlich, noch reitete er verbale Attacken gegen Taiwan. Im Juli auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur warnte Chinas Verteidigungsminister noch: Jeder, der es wagt, Taiwan von China abzuspalten, wird in Selbstzerstörung enden.

Erfolge im Nahen Osten und Russland-Treue in der Ukraine

Und auch inhaltlich sollte man Dong einige Punkte zugestehen. In der Tat führte China im Juli in Peking Hamas und Fatah zusammen, im Jahr zuvor ermöglichte man gar eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien. Das sind große diplomatische Erfolge für China – in einer Krisenregion, in der die USA und Europa derzeit international enorm viel Reputation verlieren.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es mit Chinas vermeintlicher Neutralität im Ukraine-Krieg nicht weit her ist. Stichwort grenzenlose Freundschaft zu Russland. Und auch Pekings Versuche, ähnlich erfolgreich im Ukraine-Krieg zu vermitteln, sind bislang sehr überschaubar: ein loser 12-Punkte-Vorschlag und das Fernbleiben von der Friedenskonferenz in der Schweiz.

Chinas Gegenentwurf zum Shangri-La-Dialog

So genau wollte Dong dann wohl nicht ins Detail gehen. Den chinesischen Vertretern ging es auf der dreitägigen Veranstaltung um Größeres: China als Alternative zur vom Westen angeführten Weltordnung zu positionieren. Peking will sich als Vermittler und Friedensstifter positionieren, um so mehr Einfluss auf die Weltpolitik zu nehmen.

In diesem Bemühen ist auch das Xiangshang-Forum selbst zu sehen. Es ist Chinas Antwort auf den Shangri-La-Dialog, Asiens wichtigstes Sicherheitstreffen in Singapur. Während aus Pekinger Sicht der Shangri-La-Dialog von den Narrativen der USA und des Westens dominiert werde, biete das Xiangshan-Forum eine offene und integrative Plattform für den Dialog. Hintergrund: China wurde in Singapur zuletzt ziemlich deutlich für sein zunehmend aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer kritisiert, ebenso seine immer engeren Beziehungen zu Moskau – ungeachtet des russischen Angriffs auf die Ukraine. Auf dem Xiangshan-Forum von Donnerstag bis Samstag in Peking konnte sich China hingegen ungestört von solchen Zwischentönen als neue globale Vermittlungsmacht präsentieren.

China gibt dem Globalen Süden eine Stimme

Die chinesische Zeitung Global Times erwähnt noch ein anderes Ziel, das China mit dem Xiangshan-Forum verfolgt: In der Vergangenheit seien internationale Sicherheitsforen von westlichen Ländern dominiert und so die Anliegen von kleineren Ländern allzu leicht ignoriert worden. Im Gegensatz dazu lege China mit dem Xiangshan-Forum Wert darauf, jenen kleineren Nationen eine Plattform zu bieten, auf der sie einen gleichberechtigten Dialog führen und ihre Stimme zum Ausdruck bringen könnten.

Und hier schließt sich dann doch wieder der Kreis zu den USA. Jia Qingguo, Professor an der School of International Studies der Peking University, erklärte auf dem Podium, dass die wirtschaftliche Abkoppelung der USA von China nicht nur die globalen Lieferketten destabilisiere. Vielmehr würden so die Entwicklungskosten für die Länder des globalen Südens erhöht sowie das Risiko einer globalen Wirtschaftsrezession. Im Gegensatz dazu stünde Chinas konstruktive Rolle. Peking fördere etwa mit der Belt and Road Initiative (BRI) den gemeinsamen Aufbau der Infrastruktur und unterstütze in vielen Ländern die sozioökonomische Entwicklung.

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News

Nach langer Diskussion: Darum hebt Peking jetzt das Rentenalter an

China hat beschlossen, das Renteneintrittsalter zu reformieren. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Freitag. Auf Beschluss des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses soll das Rentenalter demnach für Männer von 60 auf 63 Jahre und für weibliche Büroangestellte von 55 auf 58 Jahre angehoben werden. Arbeiterinnen, die bisher mit 50 Jahren in den Ruhestand gehen konnten, müssen nun bis zum Alter von 55 Jahren arbeiten. Die Anhebung soll 2025 beginnen und 2040 abgeschlossen sein. Wer noch länger arbeiten wolle, dürfe das tun.

In China wird seit Jahren über eine Anhebung des Rentenalters diskutiert. Institutionen wie die Chinesische Akademie der Wissenschaften hatten wiederholt gewarnt, dass das Rentensystem bei der derzeitigen Entwicklung bis 2035 kein Geld mehr haben wird. Das bisherige Renteneintrittsalter wurde im Arbeitsgesetz von 1951 festgelegt, zu einer Zeit, als die Lebenswartung bei 43 Jahren lag. Aus Angst vor Unmut aus der Bevölkerung hatte Peking es lange vermieden, eine Reform auf den Weg zu bringen. Seit vielen Jahren liegt Chinas Renteneintrittsalter deutlich unter dem der meisten Industrieländer. In den Nachbarländern Japan und Südkorea geht man etwa frühestens mit 65 beziehungsweise 63 Jahren in Rente.

Laut Xinhua ist die “neue Lage der demografischen Entwicklung” Grund für die Entscheidung. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter – also der 16- bis 59-Jährigen – ist in etwas mehr als einem Jahrzehnt um 40 Millionen gesunken. Schon 2035 wird jeder dritte Chinese über 60 Jahre alt sein, darunter jeder Vierte über 65. fpe

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Visa-Vergabe: Was 300 deutsche Unternehmen vom Außenministerium fordern

300 deutsche Unternehmen in China haben in einem Brief an Außenministerin Annalena Baerbock die schleppende Visavergabe für chinesische Mitarbeiter beklagt. Für den Erfolg deutscher Firmen sei die Qualifizierung der chinesischen Mitarbeiter in Deutschland und die gemeinsame Projektentwicklung entscheidend, heißt es in dem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Brief der Außenhandelskammer Greater China und ihres Geschäftsführers für Shanghai, Maximilian Butek, der von den Firmen unterzeichnet wurde. “Deswegen sehen wir mit Sorge, dass nach wie vor Schwierigkeiten bestehen, chinesische Mitarbeiter deutscher Unternehmen rechtzeitig mit Visa für Deutschland zu versorgen.”

Die Beantragungszeiten seien zu lang, das Verfahren komplizierter als früher. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es in einer Reaktion am Samstag, dass man die nötigen Visumverfahren “so zügig wie möglich durchführen und bestehende Wartezeiten so rasch wie möglich abbauen” wolle.

Als Beispiel wird der Großraum Shanghai genannt, in dem zwei Drittel der deutschen Unternehmen sitzen. Dort soll die Bearbeitungszeit von Visa mittlerweile etwa drei Monate betragen. Das früher bestehende schlankere Visaverfahren sei abgeschafft worden und sollte wieder eingeführt werden, fordern die deutschen Firmen. Nun würden Termine zu unregelmäßigen Zeiten online eingestellt und seien innerhalb weniger Minuten vergeben. Die Website des Anbieters sei zudem schwer zugänglich und melde häufig Fehler bei der Terminvergabe. 

Austausch wichtig für das Gesamtgeschäft

“Der Erfolg in China ist in hohem Maße ausschlaggebend für den Gesamterfolg der Unternehmen”, wird in dem Brief betont. Das betreffe nicht nur den Geschäftserfolg, sondern auch das Vorantreiben von Innovationen. “Insbesondere in diesem Jahr zeigen unsere Umfragen, dass deutsche Unternehmen in China unter einem besonderen Wettbewerbsdruck mit lokalen Unternehmen stehen.” Um dem Wettbewerb standzuhalten, seien noch schnellere Anpassungen der Produkte und Geschäftsmodelle an den chinesischen Markt nötig. Deshalb brauche man einen intensiven Austausch zwischen den Stammhäusern in Deutschland und ihren Niederlassungen in China.

Im Auswärtigen Amt betonte man auf Nachfrage, dass man die große Bedeutung eines möglichst reibungslosen Reiseverkehrs sehe, insbesondere für die deutsche Wirtschaft. Die Wartezeiten könnten stark schwanken. An den Auslandsvertretungen in China seien die Wartezeiten für Geschäftsreisende, die ein Schengen-Visum beantragen, im vergangenen Jahr sehr unterschiedlich, hätten aber insgesamt reduziert werden können.

Beim Generalkonsulat in Shanghai gebe es tatsächlich deutlich mehr Nachfrage. “Das Auswärtige Amt hat angesichts dieser Entwicklung organisatorische Maßnahmen ergriffen und die Terminbuchung auf eine Terminwarteliste umgestellt”, hieß es im Außenministerium. Um die Wartezeiten so gering wie möglich zu halten, sei die Auslandsvertretung personell unterstützt und Verfahrensabläufe analysiert und effizienter gestaltet worden. rtr

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EU-Zusatzzölle auf E-Autos: Was diese Woche wichtig wird

Für die Verhandlungen zwischen Brüssel und Peking über die EU-Zusatzzölle auf chinesische E-Autos beginnt eine entscheidende Woche. Kurz vor dem Besuch von Chinas Handelsminister Wang Wentao in Europa hat die Europäische Kommission ein Angebot chinesischer Hersteller von Elektrofahrzeugen zur Schließung der Preislücke zwischen ihnen und EU-Konkurrenten formell abgelehnt. Das Angebot habe nicht die Anforderungen erfüllt, die Subventionen zu beseitigen. Unklar sei auch, ob die Preisverpflichtungen wirksam überwacht werden könnten, teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit. 

Die chinesische Handelskammer in Brüssel warnte indes erneut vor einem Handelskrieg und kritisierte die Entscheidung der EU-Kommission in einem Statement. Das Angebot der chinesischen Seite sei erst am letzten möglichen Tag der Verhandlungsphase eingereicht worden, hieß es aus EU-Kreisen. So sei wertvolle Zeit verloren gegangen, um über das Angebot zu verhandeln, sagte ein EU-Beamter Table.Briefings. Die öffentliche Empörung der chinesischen Seite komme “Krokodilstränen” gleich. 

Chinas Handelsminister Wang Wentao wird am kommenden Donnerstag EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis treffen. Zuvor reist Wang nach Italien – vermutlich auch, um dort dafür zu werben, gegen die EU-Zusatzzölle zu stimmen. Eine endgültige Entscheidung zu den Zöllen soll Ende des Monats stattfinden.

Vergangene Woche hatte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez für Aufruhr in Brüssel gesorgt. Sánchez hatte bei seinem Besuch in Peking gesagt, die EU-Zölle sollten noch einmal überdacht werden. Später ruderte die spanische Regierung verbal zurück und betonte, dass eine Entscheidung dazu in Madrid noch nicht gefallen sei. Deutschland hat sich bisher relativ klar gegen die Zusatzzölle ausgesprochen. Bei der Abstimmung über die vorläufigen Zölle hatte sich Deutschland enthalten. ari

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E-Commerce: Das wollen die USA gegen chinesische Billig-Sendungen unternehmen

Die USA wollen gegen Billig-Sendungen von Temu und Shein vorgehen. Die Biden-Regierung kündigte Schritte an, um den “Übergebrauch und Missbrauch” einer seit langem bestehenden Handelsregel einzudämmen, die Sendungen mit geringem Wert erlaubt, ohne Zahlung von Einfuhrzöllen und Bearbeitungsgebühren in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Das berichteten US-Medien unter Berufung auf das Weiße Haus.

Zu den Schritten gehört nun auch ein neuer Regelvorschlag, der Überseesendungen von Produkten von der besonderen Zollbefreiung ausschließen würde. Die als De-minimis-Schlupfloch bekannte Regel erlaubt es Paketen mit einem Wert von weniger als 800 US-Dollar, mit relativ geringer Kontrolle in die USA zu gelangen. In den Jahren ist die Zahl der De-minimis-Sendungen laut dem Weißen Haus explosionsartig gestiegen.

Offiziellen Angaben zufolge ist die deutliche Zunahme der De-minimis-Lieferungen größtenteils auf chinesische Online-Einzelhandelsriesen wie Shein und Temu zurückzuführen. Diese nutzen demnach die Ausnahmeregelung, um Kleidung und preiswerte Haushaltswaren im Wert von mehreren Millionen Dollar aus China direkt an US-amerikanische Kunden zu versenden. Der Wert der Sendungen liegt in der Regel weit unter 800 US-Dollar. Die Biden-Regierung forderte den Berichten zufolge den Kongress außerdem auf, die Gesetze zur Überarbeitung der De-minimis-Regeln zu verabschieden.

Auch in der EU ist das Problem der günstigen E-Commerce-Sendungen aus China bekannt – die EU-Kommission hatte bereits im vergangenen Jahr die Abschaffung der 150-Euro-Freigrenze ins Spiel gebracht. Bisher hat sich in der Sache allerdings nicht viel getan. Kritiker befürchten Bürokratie-Chaos und haben Sorgen, dass der Zoll personell der Anzahl der anfallenden Überprüfungen nicht gewachsen ist. ari

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Presseschau

Schiffe durchqueren Taiwanstraße – China: Deutschland erhöht “Sicherheitsrisiko” ZDF
Provokation Chinas: Zeitenwende-Bekenntnis im gefährlichsten Gewässer der Welt WELT
Unternehmen klagen über schleppende Visavergabe für chinesische Mitarbeiter MANAGER MAGAZIN
China hebt nach Jahrzehnten das Rentenalter an FAZ
Ab Monatsende: Hohe US-Zölle auf chinesische Waren TAGESSCHAU
Chinas Industrieproduktion verzeichnet langsamstes Wachstum seit März CASH
Huawei stiehlt Apple die Show: Das spektakuläre Comeback von Huawei FAZ
Chinas Chipindustrie holt auf: SMEE meldet Patent für EUV-Technologie an TELEPOLIS
USA: Europa soll nicht mit chinesischen Seekabelfirmen arbeiten GOLEM
Wegen Evergrande-Pleite: China verhängt Geschäftsverbot und Millionenstrafe gegen PwC MANAGER MAGAZIN
China macht Ernst mit der Bekämpfung der Korruption bei Bankern SRF
Chinas Verteidigungsminister: “Verhandlungen” einziger Ausweg aus Ukraine-Krieg DEUTSCHLANDFUNK
China und Iran helfen Putin: Moskau erhöht den Druck, Kiew wartet ZDF
Japan und Europa: Militärische Kooperation wegen China FAZ
China wappnet sich für Taifun “Bebinca”: Flugverkehr in Shanghai eingestellt STERN

Standpunkt

Jugendarbeitslosigkeit in China: Neue Metrik, gleiches Schlamassel

Von Nicole Goldin
Nicole Goldin ist Non-Resident Senior Fellow am GeoEconomics Center des Atlantic Council.

Nach sechsmonatiger Unterbrechung hat das Nationale Statistikamt Chinas (NBS) wieder offizielle Zahlen zur Jugendbeschäftigung für Dezember 2023 veröffentlicht: 14,9 Prozent. Die Regierung hatte die Veröffentlichung der Quote im Juni 2023 ausgesetzt, nachdem sie kontinuierlich auf ein Rekordhoch von mehr als 21 Prozent gestiegen war – in ländlichen Regionen sogar auf 40 Prozent und unter Berücksichtigung von Teilzeitarbeit und Unterbeschäftigung sogar auf 50 Prozent. Inzwischen wurde die Berechnungsmethode jedoch überarbeitet, um Studenten auszuschließen. Die niedrigeren Zahlen, die sich daraus ergeben, sind allerdings immer noch etwa dreimal so hoch wie die Gesamtarbeitslosenquote in China (5,1 Prozent) und zeigen die Problematik, mit der junge Menschen dort konfrontiert sind. Zum Vergleich: der OECD-Durchschnitt liegt bei 10,5 Prozent.

Einige der Faktoren in China ähneln der Jugendarbeitslosigkeit, die sich überall auf der Welt beobachten lässt, wie etwa die unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen im Privatsektor und die Diskrepanz zwischen den Qualifikationen der Arbeitnehmer und den angebotenen Arbeitsplätzen. Auch in China steigt die Zahl der neuen Hochschulabsolventen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, auf fast zwölf Millionen im Jahr 2024. Die Zahl der Arbeitsplätze ist nicht ausreichend, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, zumal der gesetzliche Druck das Wachstum in gerade den Branchen hemmt, die am ehesten junge Menschen beschäftigen, wie etwa die Technologiebranche.

Besonders junge Frauen stehen unter Druck

Der Jugendarbeitsmarkt in China weist jedoch auch einige Besonderheiten auf. Die kulturellen Anforderungen an junge chinesische Arbeitnehmer sind hoch – von ihnen wird üblicherweise erwartet, dass sie “9-9-6” arbeiten – von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, sechs Tage die Woche. Das daraus resultierende Burnout ist eine der Hauptursachen für die anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Der allgemeine wirtschaftliche Abschwung und insbesondere der Zusammenbruch des Immobilien- und Wohnungsmarktes haben zu einem Einstellungsstopp geführt, wobei Arbeitsplätze, die für Berufsanfänger am besten geeignet wären, weiterhin am stärksten betroffen sind. Unterdessen entscheiden sich junge Menschen in China angesichts der zermürbenden Arbeitszeiten bei geringer Bezahlung dafür, “flach zu liegen”, also nicht zu arbeiten oder sich an wirtschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen, oder “professionelle Kinder” zu werden, die von ihren Eltern oder Großeltern dafür bezahlt werden, bei ihnen zu leben und für sie zu sorgen.

Gleichzeitig stehen junge chinesische Frauen angesichts höherer Sterbezahlen und geringerer Geburtenraten -selbst nach dem Ende der Ein-Kind-Politik vor fast einem Jahrzehnt, die zum Teil dazu beitragen sollte, die Alterung der Bevölkerung abzumildern – unter noch größeren Einschränkungen, wenn es darum geht, einen Arbeitsplatz zu finden oder zu behalten. Arbeitgeber stellen sie nur ungern ein und die Gesellschaft ermutigen sie stattdessen, zu Hause zu bleiben und Kinder zu bekommen, anstelle ins Berufsleben einzusteigen.

Chinas Jugendarbeitslosigkeit hat weltweite Auswirkungen

Da die Regierung das Ausmaß und den Schaden der Krise anfangs nicht erkannt hat, reagierte sie nur langsam. Die Durchsetzung von Arbeitsgesetzen und finanzielle Anreize für die Beschäftigung junger Menschen sowie Bemühungen zur Erleichterung des Übergangs von der Schule in den Beruf – insbesondere von der Universität – können helfen. Doch makroökonomische Risiken sowie längerfristige strukturelle oder gesellschaftliche Herausforderungen – darunter die Bedeutung von Bildung, die rasche Urbanisierung und die emotionale psychische Gesundheit – erfordern mit Blick auf die Jugend ebenfalls besondere Beachtung.

Die Folgen dieser Situation sind gravierend, da sie nicht nur die Produktivität und das Wachstum in China bremst, sondern angesichts der überragenden Rolle Chinas in der Weltwirtschaft auch Auswirkungen auf die Jugendarbeitsmärkte weltweit haben kann. Dies gilt vor allem für Länder in Afrika und Lateinamerika, in denen chinesische Entwicklungshilfe, Investitionen und Handel entscheidend für die eigene Dynamik und die Schaffung von Arbeitsplätzen angesichts hoher Verschuldung sind.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Atlantic Council

Nicole Goldin ist Non-Resident Senior Fellow am GeoEconomics Center des Atlantic Council.

Dieser Beitrag ist Teil der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag (19.09.2024, 15.00-16.00 Uhr, MESZ) sprechen Nicole Goldin, Non-Resident Senior Fellow im GeoEconomics Center des Atlantic Council, und Maximilian Butek, Delegationsleiter der Deutschen Industrie- und Handelskammer Shanghai, über das Thema: “Wie wirkt sich die Jugendarbeitslosigkeit in China auf die Entwicklung des Landes und der Welt aus?“. China.Table ist Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

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  • Gesellschaft

Personalie

Byford Tsang ist seit September beim Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR). Er wird dort die Forschung zu China, Klima und Greentech verstärken. Zuvor arbeitete Tsang bei der Klima-Denkfabrik E3G und anderen Forschungseinrichtungen. 

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Zur Sprache

Laufbeinburschen

跑腿 – pǎotuǐ – Laufbeinburschen

Sie haben eigentlich schon die Beine hochgelegt und doch noch spontan Lust auf ein Brathähnchen von Ihrem Lieblingsbrutzler am anderen Ende der Stadt? Sie haben keinen Bock, sich in der Warteschlange des Szene-Barbecues die Beine in den Bauch zu stehen, brauchen aber natürlich trotzdem eine Platznummer? Sie sind zu erledigt, um sich noch mal die Beine zu vertreten, aber der Vierbeiner müsste noch mal raus um den Block? Keine Bange! Im Service-Schlaraffenland China lassen sich für all diese Fläz-Szenarien Beine borgen, oder besser gesagt “Laufbeine” – sogenannte 跑腿 pǎotuǐ (von 跑 pǎo “laufen, rennen” und 腿 tuǐ “Bein, Beine”). 

Eigentlich heißt 跑腿 pǎotuǐ “kleine Besorgungen erledigen”. Mittlerweile ist der Trendbegriff aber auch ein Synonym für “Laufbursche” bzw. “Laufmädchen”. In Chinas stressgeplagten Metropolen mit ihrer zunehmend zahlungskräftigen (und -willigen) Mittelschicht hat sich um die Idee der geborgten Beine eine eigene Servicesparte entsponnen. Und die ist längst zum Selbstläufer geworden. 

Applikationen, über die man die kleine Beinfreiheit in Form von Botenläufen und Hilfsdiensten buchen kann, sind in Chinas App-Stores der Renner. Zu den bekanntesten Anbietern gehören Dada-Express 达达快送 dádá kuàisòng – hier wirbt man mit dem breitbeinigen Versprechen der “Sekundenlieferung” (秒送 miǎosòng) – und die Beinlauf-Applikation UU-paotui (UU跑腿 UU pǎotuǐ). Auch der Delivery-Riese Meituan (美团 měituán) mischt mit seinem Dienst Meituan Paotui (美团跑腿 měituán pǎotuǐ) dick im Bein-Business mit. Außerdem reißen sich innerstädtische Blitz-Kurierdienste wie 闪送 shǎnsòng und 顺丰同城急送 shùnfēng tóngchéng jísòng – der Eilexpressservice des Paketlieferanten Shunfeng – für die lauffaule Kundschaft ein Bein aus.

Wer holt mein Haustier vom Flughafen ab?

Welch kuriose Service-Anfragen die Kunden an das bezahlte Fußvolk herantragen, darüber geben Blogs und Posts der Paotui-Community Aufschluss. Die Bedürfnispalette ist so bunt wie die bequemen Pantoffeln und Pyjamas der Auftraggeberinnen und Auftraggeber. Sie reicht vom spätabendlichen Kauf von Mitternachtssnacks und Schnapsnachschub über Katzenfütterungen und Gassi-Gehen bis hin zum Abholen von Haustieren am Flughafen und das Ziehen von Behandlungsnummern im Krankenhaus. Haustürschlüssel im Büro vergessen? Leicht gelöst: Der Kollege lässt ein Paotui lossprinten. Wegen Migräne keine Muße, die eigene Karosse durch die Rushhour-Lawine nach Hause zu manövrieren? Auch hier übernimmt in China gerne ein Paotui das Steuer.

Die flinken Beine kommen auf Anfrage sogar direkt nach Hause, helfen beim Aufblasen von Luftballons für Kindergeburtstage oder Valentinsüberraschungen, flicken Fashion und nähen Knöpfe wieder an und machen nach Kochschlachten am heimischen Herd sogar den Abwasch. Kurzum: Die Faulpelzwirtschaft floriert, natürlich gegen das nötige Kleingeld.

In einem Feld können uns die Laufbeine allerdings nicht die letzten Meter auf der Zielgeraden abnehmen – nämlich beim Vokabellernen. Hier müssen wir Chinesischlerner schon selbst Gehirnschmalz aufwenden und Eselsbrücken bauen, damit mühsam antrainierte neue Wörter tatsächlich im Langzeitgedächtnis Fuß fassen und nicht gleich wieder Beine bekommen. Gut, dass es im Mandarin noch mehr anschauliches Sprachmaterial rund ums Bein gibt, das gut mentale Fußspuren ins Gedächtnis drückt. 

So etwa die Essstäbchen-Beine (筷子腿 kuàizituǐ) – so nennt man auf Chinesisch spindeldürre Beinchen (bei uns umgangssprachlich auch “Stelzen” genannt). Wer dagegen von Mutter Natur mit beneidenswert langen Legs gesegnet ist, den adelt der Internetslang als 大长腿 dàchángtuǐ (“großes Langbein”). Weniger wünschenswert sind dagegen Beine in Form des Schriftzeichens 八 (“acht”), auf Chinesisch 八字腿bāzìtuǐ. Solche八-Beine sind Chinas Sprachpendant zu unseren X-Beinen. Hauptsache man hat überhaupt Beine, möchten Sie jetzt vielleicht sagen, egal in welche Richtung diese sich auch wölben. Weit gefehlt! Sprachlich belehrt uns hier das Chinesische eines Besseren. Denn “ein Bein haben” (有一腿 yǒu yī tuǐ) ist im Mandarin ein umgangssprachliches Codewort für “einen Seitensprung / eine Affäre haben”.

Wer sich nach einer solch miesen Masche emotional auf die Füße getreten fühlt, der empfindet den Partner / die Partnerin vielleicht nur noch als bremsenden Klotz am Bein – auf Chinesisch heißt das 拖后腿 tuōhòutuǐ (“jemanden ausbremsen, jemandem ein Klotz am Bein sein” – wörtlich: “am Hinterbein ziehen”). Klötze am Bein haben manchmal auch reiche und einflussreiche Personen. Dann nämlich, wenn sich jemand bei ihnen anbiedert, um Vorteile zu erheischen. Auch hier hat das Mandarin natürlich das passende Bein-Bild parat: 抱大腿 bào dàtuǐ “einen Oberschenkel umarmen” heißt dies nämlich im Umgangssprech.

Sie sehen: Es gibt jede Menge Metaphern, die uns im Lerntrott auf Trab bringen und für Zerstreuung sorgen. Jetzt müssen Sie sich nur noch daranmachen, das Wortmaterial in der Gegend oberhalb und hinter dem Nasenbein zu speichern. Vielleicht macht Ihnen dieser Text in Sachen Lernmotivation ja aber gleich ein paar Beine.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zum ersten Mal seit 22 Jahren haben am Freitag zwei deutsche Kriegsschiffe die Taiwanstraße durchquert – unter den wachsamen Augen der chinesischen Marine. China hatte im Vorfeld Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Seit Mitte 2022 versucht das Land aktiv, den Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer infrage zu stellen und die Meerenge als innerchinesisches “Binnenmeer” darzustellen. David Demes hat sich die Reaktionen in der Region angesehen: Taiwan wertet die Passage als Zeichen internationaler Solidarität, während China von einer Provokation spricht.

    Um die internationale Sicherheit geht es auch in unserer zweiten Analyse: Am Wochenende veranstaltete Peking mit dem Xiangshan-Forum seine eigene Sicherheitskonferenz. Das diesjährige Motto lautete: “Förderung des Friedens für eine gemeinsame Zukunft” – und China nutzte die Gelegenheit, sich als neue globale Vermittlungsmacht in Szene zu setzen, wie Michael Radunski analysiert. Dabei hat Peking weniger den Westen, die USA oder Europa im Blick. China geht es vielmehr um Asien und die Länder, die unter dem Titel “Globaler Süden” zusammengefasst werden.

    Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Analyse

    Taiwanstraße: So reagieren Peking und Taipeh auf die deutschen Schiffe

    Die deutsche Fregatte Baden-Württemberg Ende August im Hafen von Tokio.

    Zum ersten Mal seit 22 Jahren haben am Freitag zwei deutsche Kriegsschiffe die Taiwanstraße durchquert. Die Fregatte “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff, die “Frankfurt am Main”, fuhren auf dem Weg von Südkorea zu den Philippinen durch die Meerenge zwischen der demokratischen Inselrepublik Taiwan und der chinesischen Provinz Fujian. Offiziell, weil es der kürzeste Weg sei, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag. “Es ist angesichts der Wetterlage der sicherste Weg, und es sind internationale Gewässer, also fahren wir durch”, so der Minister. Auch Kanzler Scholz gab sich demonstrativ gelassen. Zur Passage von Schiffen gebe es nicht viel zu sagen. “Das ist eine internationale Wasserstraße”, sagte er bei einer Pressekonferenz in Berlin.

    China hatte im Vorfeld Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Seit Mitte 2022 versucht das Land aktiv, den Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer infrage zu stellen und die Meerenge als innerchinesisches “Binnenmeer” darzustellen. Vor allem die USA machen regelmäßig Fahrten durch die Straße von Taiwan. Einerseits, um die Freiheit der Schifffahrt zu verteidigen, aber auch um Chinas immer aggressiveres Auftreten gegenüber Taiwan in die Schranken zu weisen.

    Für den Generalinspekteur der Bundeswehr stellt die Durchfahrt der deutschen Schiffe keine Provokation der Volksrepublik China dar. “Ich glaube nicht, dass wir die Provokation Chinas riskieren, sondern eher umgekehrt; dass mit der Wahrnehmung und den Punkten, die China hier mit hineinbringt, genau dieses internationale Recht infrage gestellt wird”, erklärte General Carsten Breuer. Neben den USA und Deutschland haben dieses Jahr auch schon Schiffe aus Kanada und den Niederlanden die Meerenge befahren.

    Chinesische Botschaft legt Protest ein

    Die Taiwanstraße ist als wichtige Handelsroute auch für Deutschland von großem Interesse. Trotzdem hatte die Regierung Merkel 2021 noch davor zurückgeschreckt, die Fregatte “Bayern” durch die umstrittene Meerenge zu schicken. Die deutsche Anfrage für einen Hafenaufenthalt in Shanghai, die allgemein als Ölzweig der Kanzlerin interpretiert worden war, wurde von der chinesischen Regierung damals abgelehnt. Und jetzt, da Deutschland das erste Mal seit 22 Jahren wieder eine Durchfahrt gewagt hat, fällt die Reaktion in China erwartungsgemäß negativ aus. Sowohl das Außenministerium, die chinesische Botschaft in Deutschland, als auch das Regionalkommando Ost der Volksbefreiungsarmee haben die deutsche Aktion offen kritisiert.

    Angesprochen auf die Äußerung des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, dass es sich bei der Taiwanstraße um internationale Gewässer handele, sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, bei einer Pressekonferenz am Freitag, dass es bei der Taiwan-Frage nicht um die “Freiheit der Schifffahrt” gehe, sondern um “die chinesische Souveränität und territoriale Integrität”. Mao erklärte, dass die Volksrepublik zwar das Recht anderer Länder respektiere, die Taiwanstraße friedlich zu durchqueren, gleichzeitig lehne man “Provokationen und die Schädigung der Souveränität und Sicherheit Chinas unter dem Deckmantel der Freiheit der Schifffahrt entschieden ab”. Einen ähnlichen Wortlaut hatte das Außenministerium bereits am 9. September verwendet.

    Auf ihrer Webseite ging die chinesische Botschaft in Berlin noch einen Schritt weiter: China fordere die deutsche Seite auf, das Ein-China-Prinzip “strikt einzuhalten”, um “eine Störung und Schädigung der gesunden und stabilen Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen zu vermeiden.” Man habe formal Protest bei der deutschen Seite eingelegt, so die Mitteilung.

    “Begleitung” durch chinesische Marine und Luftwaffe

    Am Samstagvormittag bestätigte das Regionalkommando Ost der Volksbefreiungsarmee, in deren Zuständigkeitsbereich Taiwan und die Taiwanstraße fallen, die Durchfahrt in einem Post auf dem Microblogging-Dienst Weibo. Der Sprecher des Regionalkommandos, Flottillenadmiral Li Xi, kritisierte den “öffentlichen Hype” um das Ereignis und warnte, dass das Verhalten der deutschen Seite das “Sicherheitsrisiko erhöht” und “falsche Signale gesendet” habe. Die Truppen im Einsatzgebiet seien jederzeit in höchster Alarmbereitschaft und würden “allen Drohungen und Provokationen entschlossen entgegentreten”. Li ließ außerdem wissen, dass das Regionalkommando Ost See- und Luftstreitkräfte angewiesen habe, den gesamten Verlauf der Durchfahrt zu verfolgen und zu überwachen.

    In einem früheren Exklusivbericht der taiwanischen Nachrichtenseite RW News hatte es geheißen, die “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff, die “Frankfurt am Main”, seien im Westen und im Osten der Medianlinie der Taiwanstraße jeweils von einem Schiff der chinesischen Marine begleitet und so “in einen Zangengriff” genommen worden. Auf Anfrage wollte das taiwanische Verteidigungsministerium den RW News-Bericht gegenüber Table.Briefings weder bestätigen noch dementieren. Man äußere sich nicht zu einzelnen Medienberichten, so ein Pressesprecher. “Die Taiwanstraße ist eine wichtige internationale Schifffahrtsroute. Das Verteidigungsministerium respektiert die freie Durchfahrt von Kriegsschiffen aller Länder, sofern diese den internationalen rechtlichen Normen entsprechen”, hieß es in einer kurzen Mitteilung.

    Der Co-Vorsitzende des Ausschusses für Verteidigung und Auswärtiges im taiwanischen Parlament, Wang Ting-yu (DPP), bestätigte im Gespräch mit Table.Briefings allerdings, dass die deutsche Fregatte und ihr Versorgungsschiff von chinesischen Schiffen begleitet worden seien. Allerdings seien sie nicht von beiden Seiten in die Zange genommen worden: “Stattdessen haben sie die deutschen Schiffe auf der chinesischen Seite der Medianlinie begleitet und von hinten überwacht”. Für ihn trage die Tatsache, dass Deutschland in diesen internationalen Gewässern die Freiheit der Schifffahrt ausübe, wesentlich zur Wahrung von Frieden und Stabilität in der Region bei, so Wang.

    Laut dem täglichen Bericht des taiwanischen Verteidigungsministeriums wurden im Luftraum über der Medianlinie am Freitag außerdem fünf chinesische Kampfflugzeuge und Drohnen registriert.

    Taiwans Außenministerium begrüßt Durchfahrt

    Das Außenministerium in Taipeh zeigte sich ebenfalls erfreut über die Durchfahrt. In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Table.Briefings hieß es, man begrüße es, dass Deutschland “den rechtlichen Status der Taiwanstraße als internationales Gewässer mit konkreten Maßnahmen verteidigt” und zugleich das Recht auf freie Schifffahrt sowie den Frieden und die Stabilität in der Region bewahre. Deutschland sei ein demokratischer Wertepartner und Taiwans größter Handelspartner in Europa, so das Außenministerium weiter. “Taiwan wird weiterhin mit Ländern weltweit zusammenarbeiten, um die Demokratie, Freiheit und den Wohlstand im Indopazifik zu fördern.”

    Auch aus Taiwans Zivilgesellschaft gab es Zuspruch. Die Zivilschutzorganisation Kuma Academy arbeitet seit 2021 daran, Taiwans gesellschaftliche Resilienz zu stärken und die Bürger auf verschiedene Katastrophenfälle vorzubereiten. In einem langen Post auf Facebook stellt die Organisation die rhetorische Frage, ob das schlafende Deutschland denn nun endlich aufgewacht sei? “Um den Zugang zum chinesischen Markt für traditionelle Industrien wie die Chemie- und Automobilbranche zu sichern, hat Deutschland lange Zeit eine relativ nachgiebige und tolerante Haltung gegenüber China eingenommen”, heißt es in dem Statement. Nun beginne Berlin endlich damit, konkrete Maßnahmen gegen China zu ergreifen. Die Durchfahrt sei eine Erklärung, wie sie deutlicher nicht hätte ausfallen können, so das Team der Kuma Academy.

    In chinesischen sozialen Medien wird die deutsche Durchfahrt naturgemäß anders wahrgenommen. Jin Canrong, Professor für Internationale Beziehungen an der Renmin Universität in Peking, argumentierte auf seinem Weibo-Account, dass Deutschland die Passage nur auf Druck der USA durchgeführt habe. Die USA forderten, dass sich ihre Verbündeten auf ihre Seite stellten. Länder wie Großbritannien, Kanada, und Australien hätten dies bereits getan. “Auch Deutschland muss sich als führendes Land in Europa unter amerikanischem Druck positionieren und seine Loyalität gegenüber den USA zum Ausdruck bringen. Damit soll China signalisiert werden, dass der Westen zusammensteht”, so Jin, dem mehr als drei Millionen Nutzer auf Weibo folgen. “Militärisch gesehen hat diese Aktion für China keinerlei Bedeutung, aber politisch gesehen widert sie uns in der Tat an.”

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    Xiangshan-Forum: Wie China sich als globaler Vermittler inszeniert

    Chinas Verteidigungsminister Dong Jun auf dem Xiangshan-Forum in Peking.

    Chinas politische Führung hat zu mehr Frieden in der Welt aufgerufen. In der Abschlussrede des Xiangshang-Forums kündigte der chinesische Vize-Außenminister Chen Xiaodong am Samstag in Peking an, dass China die Rolle als Vermittler und Friedensstifter einnehmen werde, um internationale Krisen politisch zu lösen und regionale Sicherheit und Stabilität zu fördern. Dafür stehe die von Präsident Xi Jinping im Jahr 2022 vorgeschlagene “Globale Sicherheitsinitiative”.

    Konkreter wurde zuvor Chinas Verteidigungsminister Dong Jun. Er rief zu Verhandlungen auf, um die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen zu beenden. “Je früher wir uns zu Verhandlungen zusammensetzen, desto eher wird Frieden in den Brennpunkten herrschen”, sagte Dong.

    Das 2006 gegründete Xiangshan-Forum ist Chinas größtes und wichtigstes sicherheitspolitisches Event. Das diesjährige Motto lautete: “Förderung des Friedens für eine gemeinsame Zukunft” – und China nutzte die Gelegenheit, sich als neue globale Vermittlungsmacht in Szene zu setzen. Dabei hat Peking weniger den Westen, die USA oder Europa im Blick. China geht es vielmehr um Asien und die Länder, die gerne unter dem unsäglichen Titel “Globaler Süden” zusammengefasst werden.

    Dong preist China als Macht des Friedens

    So forderte Verteidigungsminister Dong auf dem Xiangshan-Forum eine gerechtere Weltordnungspolitik. China und andere große Länder trügen die Verantwortung, für die nötige Sicherheit zu sorgen. Dabei ließ Dong keinen Zweifel aufkommen, wer dieser Aufgabe nachkomme – und wer nicht.

    China versuche, seine Rolle als Friedensstifter zu stärken. Als neutraler Akteur versuche man im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Auch habe man Schritte unternommen, um rivalisierende palästinensische Fraktionen zu versöhnen. Im Gegensatz dazu würden andere große Mächte, schwächere Länder schikanieren. Namen nannte Dong nicht. Den Anwesenden in Peking war auch so klar, wer gemeint war: die USA.

    Allerdings muss man festhalten, dass Dong auf dem Xiangshan-Forum einen überaus konzilianten Ton wählte. Weder kritisierte er die USA namentlich, noch reitete er verbale Attacken gegen Taiwan. Im Juli auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur warnte Chinas Verteidigungsminister noch: Jeder, der es wagt, Taiwan von China abzuspalten, wird in Selbstzerstörung enden.

    Erfolge im Nahen Osten und Russland-Treue in der Ukraine

    Und auch inhaltlich sollte man Dong einige Punkte zugestehen. In der Tat führte China im Juli in Peking Hamas und Fatah zusammen, im Jahr zuvor ermöglichte man gar eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien. Das sind große diplomatische Erfolge für China – in einer Krisenregion, in der die USA und Europa derzeit international enorm viel Reputation verlieren.

    Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es mit Chinas vermeintlicher Neutralität im Ukraine-Krieg nicht weit her ist. Stichwort grenzenlose Freundschaft zu Russland. Und auch Pekings Versuche, ähnlich erfolgreich im Ukraine-Krieg zu vermitteln, sind bislang sehr überschaubar: ein loser 12-Punkte-Vorschlag und das Fernbleiben von der Friedenskonferenz in der Schweiz.

    Chinas Gegenentwurf zum Shangri-La-Dialog

    So genau wollte Dong dann wohl nicht ins Detail gehen. Den chinesischen Vertretern ging es auf der dreitägigen Veranstaltung um Größeres: China als Alternative zur vom Westen angeführten Weltordnung zu positionieren. Peking will sich als Vermittler und Friedensstifter positionieren, um so mehr Einfluss auf die Weltpolitik zu nehmen.

    In diesem Bemühen ist auch das Xiangshang-Forum selbst zu sehen. Es ist Chinas Antwort auf den Shangri-La-Dialog, Asiens wichtigstes Sicherheitstreffen in Singapur. Während aus Pekinger Sicht der Shangri-La-Dialog von den Narrativen der USA und des Westens dominiert werde, biete das Xiangshan-Forum eine offene und integrative Plattform für den Dialog. Hintergrund: China wurde in Singapur zuletzt ziemlich deutlich für sein zunehmend aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer kritisiert, ebenso seine immer engeren Beziehungen zu Moskau – ungeachtet des russischen Angriffs auf die Ukraine. Auf dem Xiangshan-Forum von Donnerstag bis Samstag in Peking konnte sich China hingegen ungestört von solchen Zwischentönen als neue globale Vermittlungsmacht präsentieren.

    China gibt dem Globalen Süden eine Stimme

    Die chinesische Zeitung Global Times erwähnt noch ein anderes Ziel, das China mit dem Xiangshan-Forum verfolgt: In der Vergangenheit seien internationale Sicherheitsforen von westlichen Ländern dominiert und so die Anliegen von kleineren Ländern allzu leicht ignoriert worden. Im Gegensatz dazu lege China mit dem Xiangshan-Forum Wert darauf, jenen kleineren Nationen eine Plattform zu bieten, auf der sie einen gleichberechtigten Dialog führen und ihre Stimme zum Ausdruck bringen könnten.

    Und hier schließt sich dann doch wieder der Kreis zu den USA. Jia Qingguo, Professor an der School of International Studies der Peking University, erklärte auf dem Podium, dass die wirtschaftliche Abkoppelung der USA von China nicht nur die globalen Lieferketten destabilisiere. Vielmehr würden so die Entwicklungskosten für die Länder des globalen Südens erhöht sowie das Risiko einer globalen Wirtschaftsrezession. Im Gegensatz dazu stünde Chinas konstruktive Rolle. Peking fördere etwa mit der Belt and Road Initiative (BRI) den gemeinsamen Aufbau der Infrastruktur und unterstütze in vielen Ländern die sozioökonomische Entwicklung.

    • Globaler Süden
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    News

    Nach langer Diskussion: Darum hebt Peking jetzt das Rentenalter an

    China hat beschlossen, das Renteneintrittsalter zu reformieren. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Freitag. Auf Beschluss des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses soll das Rentenalter demnach für Männer von 60 auf 63 Jahre und für weibliche Büroangestellte von 55 auf 58 Jahre angehoben werden. Arbeiterinnen, die bisher mit 50 Jahren in den Ruhestand gehen konnten, müssen nun bis zum Alter von 55 Jahren arbeiten. Die Anhebung soll 2025 beginnen und 2040 abgeschlossen sein. Wer noch länger arbeiten wolle, dürfe das tun.

    In China wird seit Jahren über eine Anhebung des Rentenalters diskutiert. Institutionen wie die Chinesische Akademie der Wissenschaften hatten wiederholt gewarnt, dass das Rentensystem bei der derzeitigen Entwicklung bis 2035 kein Geld mehr haben wird. Das bisherige Renteneintrittsalter wurde im Arbeitsgesetz von 1951 festgelegt, zu einer Zeit, als die Lebenswartung bei 43 Jahren lag. Aus Angst vor Unmut aus der Bevölkerung hatte Peking es lange vermieden, eine Reform auf den Weg zu bringen. Seit vielen Jahren liegt Chinas Renteneintrittsalter deutlich unter dem der meisten Industrieländer. In den Nachbarländern Japan und Südkorea geht man etwa frühestens mit 65 beziehungsweise 63 Jahren in Rente.

    Laut Xinhua ist die “neue Lage der demografischen Entwicklung” Grund für die Entscheidung. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter – also der 16- bis 59-Jährigen – ist in etwas mehr als einem Jahrzehnt um 40 Millionen gesunken. Schon 2035 wird jeder dritte Chinese über 60 Jahre alt sein, darunter jeder Vierte über 65. fpe

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    Visa-Vergabe: Was 300 deutsche Unternehmen vom Außenministerium fordern

    300 deutsche Unternehmen in China haben in einem Brief an Außenministerin Annalena Baerbock die schleppende Visavergabe für chinesische Mitarbeiter beklagt. Für den Erfolg deutscher Firmen sei die Qualifizierung der chinesischen Mitarbeiter in Deutschland und die gemeinsame Projektentwicklung entscheidend, heißt es in dem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Brief der Außenhandelskammer Greater China und ihres Geschäftsführers für Shanghai, Maximilian Butek, der von den Firmen unterzeichnet wurde. “Deswegen sehen wir mit Sorge, dass nach wie vor Schwierigkeiten bestehen, chinesische Mitarbeiter deutscher Unternehmen rechtzeitig mit Visa für Deutschland zu versorgen.”

    Die Beantragungszeiten seien zu lang, das Verfahren komplizierter als früher. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es in einer Reaktion am Samstag, dass man die nötigen Visumverfahren “so zügig wie möglich durchführen und bestehende Wartezeiten so rasch wie möglich abbauen” wolle.

    Als Beispiel wird der Großraum Shanghai genannt, in dem zwei Drittel der deutschen Unternehmen sitzen. Dort soll die Bearbeitungszeit von Visa mittlerweile etwa drei Monate betragen. Das früher bestehende schlankere Visaverfahren sei abgeschafft worden und sollte wieder eingeführt werden, fordern die deutschen Firmen. Nun würden Termine zu unregelmäßigen Zeiten online eingestellt und seien innerhalb weniger Minuten vergeben. Die Website des Anbieters sei zudem schwer zugänglich und melde häufig Fehler bei der Terminvergabe. 

    Austausch wichtig für das Gesamtgeschäft

    “Der Erfolg in China ist in hohem Maße ausschlaggebend für den Gesamterfolg der Unternehmen”, wird in dem Brief betont. Das betreffe nicht nur den Geschäftserfolg, sondern auch das Vorantreiben von Innovationen. “Insbesondere in diesem Jahr zeigen unsere Umfragen, dass deutsche Unternehmen in China unter einem besonderen Wettbewerbsdruck mit lokalen Unternehmen stehen.” Um dem Wettbewerb standzuhalten, seien noch schnellere Anpassungen der Produkte und Geschäftsmodelle an den chinesischen Markt nötig. Deshalb brauche man einen intensiven Austausch zwischen den Stammhäusern in Deutschland und ihren Niederlassungen in China.

    Im Auswärtigen Amt betonte man auf Nachfrage, dass man die große Bedeutung eines möglichst reibungslosen Reiseverkehrs sehe, insbesondere für die deutsche Wirtschaft. Die Wartezeiten könnten stark schwanken. An den Auslandsvertretungen in China seien die Wartezeiten für Geschäftsreisende, die ein Schengen-Visum beantragen, im vergangenen Jahr sehr unterschiedlich, hätten aber insgesamt reduziert werden können.

    Beim Generalkonsulat in Shanghai gebe es tatsächlich deutlich mehr Nachfrage. “Das Auswärtige Amt hat angesichts dieser Entwicklung organisatorische Maßnahmen ergriffen und die Terminbuchung auf eine Terminwarteliste umgestellt”, hieß es im Außenministerium. Um die Wartezeiten so gering wie möglich zu halten, sei die Auslandsvertretung personell unterstützt und Verfahrensabläufe analysiert und effizienter gestaltet worden. rtr

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    • Handel
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    EU-Zusatzzölle auf E-Autos: Was diese Woche wichtig wird

    Für die Verhandlungen zwischen Brüssel und Peking über die EU-Zusatzzölle auf chinesische E-Autos beginnt eine entscheidende Woche. Kurz vor dem Besuch von Chinas Handelsminister Wang Wentao in Europa hat die Europäische Kommission ein Angebot chinesischer Hersteller von Elektrofahrzeugen zur Schließung der Preislücke zwischen ihnen und EU-Konkurrenten formell abgelehnt. Das Angebot habe nicht die Anforderungen erfüllt, die Subventionen zu beseitigen. Unklar sei auch, ob die Preisverpflichtungen wirksam überwacht werden könnten, teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit. 

    Die chinesische Handelskammer in Brüssel warnte indes erneut vor einem Handelskrieg und kritisierte die Entscheidung der EU-Kommission in einem Statement. Das Angebot der chinesischen Seite sei erst am letzten möglichen Tag der Verhandlungsphase eingereicht worden, hieß es aus EU-Kreisen. So sei wertvolle Zeit verloren gegangen, um über das Angebot zu verhandeln, sagte ein EU-Beamter Table.Briefings. Die öffentliche Empörung der chinesischen Seite komme “Krokodilstränen” gleich. 

    Chinas Handelsminister Wang Wentao wird am kommenden Donnerstag EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis treffen. Zuvor reist Wang nach Italien – vermutlich auch, um dort dafür zu werben, gegen die EU-Zusatzzölle zu stimmen. Eine endgültige Entscheidung zu den Zöllen soll Ende des Monats stattfinden.

    Vergangene Woche hatte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez für Aufruhr in Brüssel gesorgt. Sánchez hatte bei seinem Besuch in Peking gesagt, die EU-Zölle sollten noch einmal überdacht werden. Später ruderte die spanische Regierung verbal zurück und betonte, dass eine Entscheidung dazu in Madrid noch nicht gefallen sei. Deutschland hat sich bisher relativ klar gegen die Zusatzzölle ausgesprochen. Bei der Abstimmung über die vorläufigen Zölle hatte sich Deutschland enthalten. ari

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    E-Commerce: Das wollen die USA gegen chinesische Billig-Sendungen unternehmen

    Die USA wollen gegen Billig-Sendungen von Temu und Shein vorgehen. Die Biden-Regierung kündigte Schritte an, um den “Übergebrauch und Missbrauch” einer seit langem bestehenden Handelsregel einzudämmen, die Sendungen mit geringem Wert erlaubt, ohne Zahlung von Einfuhrzöllen und Bearbeitungsgebühren in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Das berichteten US-Medien unter Berufung auf das Weiße Haus.

    Zu den Schritten gehört nun auch ein neuer Regelvorschlag, der Überseesendungen von Produkten von der besonderen Zollbefreiung ausschließen würde. Die als De-minimis-Schlupfloch bekannte Regel erlaubt es Paketen mit einem Wert von weniger als 800 US-Dollar, mit relativ geringer Kontrolle in die USA zu gelangen. In den Jahren ist die Zahl der De-minimis-Sendungen laut dem Weißen Haus explosionsartig gestiegen.

    Offiziellen Angaben zufolge ist die deutliche Zunahme der De-minimis-Lieferungen größtenteils auf chinesische Online-Einzelhandelsriesen wie Shein und Temu zurückzuführen. Diese nutzen demnach die Ausnahmeregelung, um Kleidung und preiswerte Haushaltswaren im Wert von mehreren Millionen Dollar aus China direkt an US-amerikanische Kunden zu versenden. Der Wert der Sendungen liegt in der Regel weit unter 800 US-Dollar. Die Biden-Regierung forderte den Berichten zufolge den Kongress außerdem auf, die Gesetze zur Überarbeitung der De-minimis-Regeln zu verabschieden.

    Auch in der EU ist das Problem der günstigen E-Commerce-Sendungen aus China bekannt – die EU-Kommission hatte bereits im vergangenen Jahr die Abschaffung der 150-Euro-Freigrenze ins Spiel gebracht. Bisher hat sich in der Sache allerdings nicht viel getan. Kritiker befürchten Bürokratie-Chaos und haben Sorgen, dass der Zoll personell der Anzahl der anfallenden Überprüfungen nicht gewachsen ist. ari

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    Presseschau

    Schiffe durchqueren Taiwanstraße – China: Deutschland erhöht “Sicherheitsrisiko” ZDF
    Provokation Chinas: Zeitenwende-Bekenntnis im gefährlichsten Gewässer der Welt WELT
    Unternehmen klagen über schleppende Visavergabe für chinesische Mitarbeiter MANAGER MAGAZIN
    China hebt nach Jahrzehnten das Rentenalter an FAZ
    Ab Monatsende: Hohe US-Zölle auf chinesische Waren TAGESSCHAU
    Chinas Industrieproduktion verzeichnet langsamstes Wachstum seit März CASH
    Huawei stiehlt Apple die Show: Das spektakuläre Comeback von Huawei FAZ
    Chinas Chipindustrie holt auf: SMEE meldet Patent für EUV-Technologie an TELEPOLIS
    USA: Europa soll nicht mit chinesischen Seekabelfirmen arbeiten GOLEM
    Wegen Evergrande-Pleite: China verhängt Geschäftsverbot und Millionenstrafe gegen PwC MANAGER MAGAZIN
    China macht Ernst mit der Bekämpfung der Korruption bei Bankern SRF
    Chinas Verteidigungsminister: “Verhandlungen” einziger Ausweg aus Ukraine-Krieg DEUTSCHLANDFUNK
    China und Iran helfen Putin: Moskau erhöht den Druck, Kiew wartet ZDF
    Japan und Europa: Militärische Kooperation wegen China FAZ
    China wappnet sich für Taifun “Bebinca”: Flugverkehr in Shanghai eingestellt STERN

    Standpunkt

    Jugendarbeitslosigkeit in China: Neue Metrik, gleiches Schlamassel

    Von Nicole Goldin
    Nicole Goldin ist Non-Resident Senior Fellow am GeoEconomics Center des Atlantic Council.

    Nach sechsmonatiger Unterbrechung hat das Nationale Statistikamt Chinas (NBS) wieder offizielle Zahlen zur Jugendbeschäftigung für Dezember 2023 veröffentlicht: 14,9 Prozent. Die Regierung hatte die Veröffentlichung der Quote im Juni 2023 ausgesetzt, nachdem sie kontinuierlich auf ein Rekordhoch von mehr als 21 Prozent gestiegen war – in ländlichen Regionen sogar auf 40 Prozent und unter Berücksichtigung von Teilzeitarbeit und Unterbeschäftigung sogar auf 50 Prozent. Inzwischen wurde die Berechnungsmethode jedoch überarbeitet, um Studenten auszuschließen. Die niedrigeren Zahlen, die sich daraus ergeben, sind allerdings immer noch etwa dreimal so hoch wie die Gesamtarbeitslosenquote in China (5,1 Prozent) und zeigen die Problematik, mit der junge Menschen dort konfrontiert sind. Zum Vergleich: der OECD-Durchschnitt liegt bei 10,5 Prozent.

    Einige der Faktoren in China ähneln der Jugendarbeitslosigkeit, die sich überall auf der Welt beobachten lässt, wie etwa die unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen im Privatsektor und die Diskrepanz zwischen den Qualifikationen der Arbeitnehmer und den angebotenen Arbeitsplätzen. Auch in China steigt die Zahl der neuen Hochschulabsolventen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, auf fast zwölf Millionen im Jahr 2024. Die Zahl der Arbeitsplätze ist nicht ausreichend, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, zumal der gesetzliche Druck das Wachstum in gerade den Branchen hemmt, die am ehesten junge Menschen beschäftigen, wie etwa die Technologiebranche.

    Besonders junge Frauen stehen unter Druck

    Der Jugendarbeitsmarkt in China weist jedoch auch einige Besonderheiten auf. Die kulturellen Anforderungen an junge chinesische Arbeitnehmer sind hoch – von ihnen wird üblicherweise erwartet, dass sie “9-9-6” arbeiten – von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, sechs Tage die Woche. Das daraus resultierende Burnout ist eine der Hauptursachen für die anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit.

    Der allgemeine wirtschaftliche Abschwung und insbesondere der Zusammenbruch des Immobilien- und Wohnungsmarktes haben zu einem Einstellungsstopp geführt, wobei Arbeitsplätze, die für Berufsanfänger am besten geeignet wären, weiterhin am stärksten betroffen sind. Unterdessen entscheiden sich junge Menschen in China angesichts der zermürbenden Arbeitszeiten bei geringer Bezahlung dafür, “flach zu liegen”, also nicht zu arbeiten oder sich an wirtschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen, oder “professionelle Kinder” zu werden, die von ihren Eltern oder Großeltern dafür bezahlt werden, bei ihnen zu leben und für sie zu sorgen.

    Gleichzeitig stehen junge chinesische Frauen angesichts höherer Sterbezahlen und geringerer Geburtenraten -selbst nach dem Ende der Ein-Kind-Politik vor fast einem Jahrzehnt, die zum Teil dazu beitragen sollte, die Alterung der Bevölkerung abzumildern – unter noch größeren Einschränkungen, wenn es darum geht, einen Arbeitsplatz zu finden oder zu behalten. Arbeitgeber stellen sie nur ungern ein und die Gesellschaft ermutigen sie stattdessen, zu Hause zu bleiben und Kinder zu bekommen, anstelle ins Berufsleben einzusteigen.

    Chinas Jugendarbeitslosigkeit hat weltweite Auswirkungen

    Da die Regierung das Ausmaß und den Schaden der Krise anfangs nicht erkannt hat, reagierte sie nur langsam. Die Durchsetzung von Arbeitsgesetzen und finanzielle Anreize für die Beschäftigung junger Menschen sowie Bemühungen zur Erleichterung des Übergangs von der Schule in den Beruf – insbesondere von der Universität – können helfen. Doch makroökonomische Risiken sowie längerfristige strukturelle oder gesellschaftliche Herausforderungen – darunter die Bedeutung von Bildung, die rasche Urbanisierung und die emotionale psychische Gesundheit – erfordern mit Blick auf die Jugend ebenfalls besondere Beachtung.

    Die Folgen dieser Situation sind gravierend, da sie nicht nur die Produktivität und das Wachstum in China bremst, sondern angesichts der überragenden Rolle Chinas in der Weltwirtschaft auch Auswirkungen auf die Jugendarbeitsmärkte weltweit haben kann. Dies gilt vor allem für Länder in Afrika und Lateinamerika, in denen chinesische Entwicklungshilfe, Investitionen und Handel entscheidend für die eigene Dynamik und die Schaffung von Arbeitsplätzen angesichts hoher Verschuldung sind.

    Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Atlantic Council

    Nicole Goldin ist Non-Resident Senior Fellow am GeoEconomics Center des Atlantic Council.

    Dieser Beitrag ist Teil der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag (19.09.2024, 15.00-16.00 Uhr, MESZ) sprechen Nicole Goldin, Non-Resident Senior Fellow im GeoEconomics Center des Atlantic Council, und Maximilian Butek, Delegationsleiter der Deutschen Industrie- und Handelskammer Shanghai, über das Thema: “Wie wirkt sich die Jugendarbeitslosigkeit in China auf die Entwicklung des Landes und der Welt aus?“. China.Table ist Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

    • Arbeitsmarkt
    • Ein-Kind-Politik
    • Gesellschaft

    Personalie

    Byford Tsang ist seit September beim Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR). Er wird dort die Forschung zu China, Klima und Greentech verstärken. Zuvor arbeitete Tsang bei der Klima-Denkfabrik E3G und anderen Forschungseinrichtungen. 

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    Zur Sprache

    Laufbeinburschen

    跑腿 – pǎotuǐ – Laufbeinburschen

    Sie haben eigentlich schon die Beine hochgelegt und doch noch spontan Lust auf ein Brathähnchen von Ihrem Lieblingsbrutzler am anderen Ende der Stadt? Sie haben keinen Bock, sich in der Warteschlange des Szene-Barbecues die Beine in den Bauch zu stehen, brauchen aber natürlich trotzdem eine Platznummer? Sie sind zu erledigt, um sich noch mal die Beine zu vertreten, aber der Vierbeiner müsste noch mal raus um den Block? Keine Bange! Im Service-Schlaraffenland China lassen sich für all diese Fläz-Szenarien Beine borgen, oder besser gesagt “Laufbeine” – sogenannte 跑腿 pǎotuǐ (von 跑 pǎo “laufen, rennen” und 腿 tuǐ “Bein, Beine”). 

    Eigentlich heißt 跑腿 pǎotuǐ “kleine Besorgungen erledigen”. Mittlerweile ist der Trendbegriff aber auch ein Synonym für “Laufbursche” bzw. “Laufmädchen”. In Chinas stressgeplagten Metropolen mit ihrer zunehmend zahlungskräftigen (und -willigen) Mittelschicht hat sich um die Idee der geborgten Beine eine eigene Servicesparte entsponnen. Und die ist längst zum Selbstläufer geworden. 

    Applikationen, über die man die kleine Beinfreiheit in Form von Botenläufen und Hilfsdiensten buchen kann, sind in Chinas App-Stores der Renner. Zu den bekanntesten Anbietern gehören Dada-Express 达达快送 dádá kuàisòng – hier wirbt man mit dem breitbeinigen Versprechen der “Sekundenlieferung” (秒送 miǎosòng) – und die Beinlauf-Applikation UU-paotui (UU跑腿 UU pǎotuǐ). Auch der Delivery-Riese Meituan (美团 měituán) mischt mit seinem Dienst Meituan Paotui (美团跑腿 měituán pǎotuǐ) dick im Bein-Business mit. Außerdem reißen sich innerstädtische Blitz-Kurierdienste wie 闪送 shǎnsòng und 顺丰同城急送 shùnfēng tóngchéng jísòng – der Eilexpressservice des Paketlieferanten Shunfeng – für die lauffaule Kundschaft ein Bein aus.

    Wer holt mein Haustier vom Flughafen ab?

    Welch kuriose Service-Anfragen die Kunden an das bezahlte Fußvolk herantragen, darüber geben Blogs und Posts der Paotui-Community Aufschluss. Die Bedürfnispalette ist so bunt wie die bequemen Pantoffeln und Pyjamas der Auftraggeberinnen und Auftraggeber. Sie reicht vom spätabendlichen Kauf von Mitternachtssnacks und Schnapsnachschub über Katzenfütterungen und Gassi-Gehen bis hin zum Abholen von Haustieren am Flughafen und das Ziehen von Behandlungsnummern im Krankenhaus. Haustürschlüssel im Büro vergessen? Leicht gelöst: Der Kollege lässt ein Paotui lossprinten. Wegen Migräne keine Muße, die eigene Karosse durch die Rushhour-Lawine nach Hause zu manövrieren? Auch hier übernimmt in China gerne ein Paotui das Steuer.

    Die flinken Beine kommen auf Anfrage sogar direkt nach Hause, helfen beim Aufblasen von Luftballons für Kindergeburtstage oder Valentinsüberraschungen, flicken Fashion und nähen Knöpfe wieder an und machen nach Kochschlachten am heimischen Herd sogar den Abwasch. Kurzum: Die Faulpelzwirtschaft floriert, natürlich gegen das nötige Kleingeld.

    In einem Feld können uns die Laufbeine allerdings nicht die letzten Meter auf der Zielgeraden abnehmen – nämlich beim Vokabellernen. Hier müssen wir Chinesischlerner schon selbst Gehirnschmalz aufwenden und Eselsbrücken bauen, damit mühsam antrainierte neue Wörter tatsächlich im Langzeitgedächtnis Fuß fassen und nicht gleich wieder Beine bekommen. Gut, dass es im Mandarin noch mehr anschauliches Sprachmaterial rund ums Bein gibt, das gut mentale Fußspuren ins Gedächtnis drückt. 

    So etwa die Essstäbchen-Beine (筷子腿 kuàizituǐ) – so nennt man auf Chinesisch spindeldürre Beinchen (bei uns umgangssprachlich auch “Stelzen” genannt). Wer dagegen von Mutter Natur mit beneidenswert langen Legs gesegnet ist, den adelt der Internetslang als 大长腿 dàchángtuǐ (“großes Langbein”). Weniger wünschenswert sind dagegen Beine in Form des Schriftzeichens 八 (“acht”), auf Chinesisch 八字腿bāzìtuǐ. Solche八-Beine sind Chinas Sprachpendant zu unseren X-Beinen. Hauptsache man hat überhaupt Beine, möchten Sie jetzt vielleicht sagen, egal in welche Richtung diese sich auch wölben. Weit gefehlt! Sprachlich belehrt uns hier das Chinesische eines Besseren. Denn “ein Bein haben” (有一腿 yǒu yī tuǐ) ist im Mandarin ein umgangssprachliches Codewort für “einen Seitensprung / eine Affäre haben”.

    Wer sich nach einer solch miesen Masche emotional auf die Füße getreten fühlt, der empfindet den Partner / die Partnerin vielleicht nur noch als bremsenden Klotz am Bein – auf Chinesisch heißt das 拖后腿 tuōhòutuǐ (“jemanden ausbremsen, jemandem ein Klotz am Bein sein” – wörtlich: “am Hinterbein ziehen”). Klötze am Bein haben manchmal auch reiche und einflussreiche Personen. Dann nämlich, wenn sich jemand bei ihnen anbiedert, um Vorteile zu erheischen. Auch hier hat das Mandarin natürlich das passende Bein-Bild parat: 抱大腿 bào dàtuǐ “einen Oberschenkel umarmen” heißt dies nämlich im Umgangssprech.

    Sie sehen: Es gibt jede Menge Metaphern, die uns im Lerntrott auf Trab bringen und für Zerstreuung sorgen. Jetzt müssen Sie sich nur noch daranmachen, das Wortmaterial in der Gegend oberhalb und hinter dem Nasenbein zu speichern. Vielleicht macht Ihnen dieser Text in Sachen Lernmotivation ja aber gleich ein paar Beine.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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