eigentlich liegt gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs vor. Bei seinem jüngsten Staatsbesuch in der Mongolei hätten also die Handschellen klicken müssen. Stattdessen rollte Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch in Ulaanbaatar einen roten Teppich für seinen mächtigen Nachbarn aus. Und der genoss es sichtlich, darüber zu schreiten. Ein Signal an die Welt, dass er nicht isoliert dasteht.
Doch abgesehen von dieser kleinen Genugtuung war der Besuch in der Mongolei kein Erfolg für Putin, wie Michael Radunski in seiner Analyse schreibt. Denn Putin war mit dem Ziel nach Ulaanbaatar gekommen, bei seinem Mammutprojekt “Power of Siberia 2”, einer Gaspipeline von Russland durch die Mongolei nach China, endlich die Zusage des kleinen Nachbarlandes zu erhalten. Doch die Mongolei will ihre Abhängigkeit von Russland nicht noch weiter vergrößern und ist zurückhaltend. Und auch China spielt nicht so mit wie erhofft: In Peking wünscht man sich von Russland knallharte Preisnachlässe beim Gas.
Die Ein-Kind-Politik war erfolgreich, allerdings mit einem Effekt, der Peking nicht gerade erfreuen dürfte. Ende des Jahrhunderts wird sich Chinas Bevölkerung Berechnungen zufolge halbiert haben. Was bereits in weiten Teilen verschwunden ist, ist die Großfamilie, einst wichtiger Kitt der Gesellschaft. Schon heute wissen Jugendliche nicht mehr, wie sie entfernte Verwandte bei Familientreffen korrekt ansprechen sollen, schreibt Johnny Erling in seiner Kolumne. Für jeden Verwandten gibt es im Chinesischen ein eigenes Wort: Entsprechende Apps helfen über die sprachlichen Feinheiten hinweg.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Der Besuch von Wladimir Putin in der Mongolei sorgte für große Aufregung. Vor allem in den westlichen Medien machte sich Ärger breit: “Ehrengarde statt Verhaftung” war da zu lesen. Denn gegen Russlands Präsident liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor – und der mongolische Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch hätte Putin eigentlich festnehmen lassen müssen.
All das ist richtig. Und doch übersieht man dabei, dass der Mongolei-Besuch für den russischen Präsidenten inhaltlich ein Misserfolg war. Putin wollte in Ulaanbaatar vor allem sein Riesenprojekt “Power of Siberia 2” vorantreiben, eine Gaspipeline von Russland über die Mongolei nach China. Doch damit scheiterte er auf ganzer Linie. Die Mongolei blickt zunehmend skeptisch auf die Gas-Pipeline. Und China fordert im Hintergrund knallharte Preis-Nachlässe.
In Ulaanbaatar warb Putin intensiv für die Pipeline: Bei der “Power of Siberia 2” gehe es keineswegs nur um den Transit russischen Gases durch die Mongolei. “Wir diskutieren auch über die mögliche Lieferung von Gas an mongolische Verbraucher”, sagte Putin laut Kremlangaben – und versprach, der russische Konzern Gazprom sei bereit, die notwendige Unterstützung zu leisten, um die mongolischen Verbraucher an das Gasversorgungssystem anzuschließen.
Für die Mongolei ist das sehr verlockend. Die Demokratie im Fernen Osten liegt geografisch eingepfercht zwischen den autokratischen Großmächten Russland und China. Ohne eigenen Meereszugang ist die Abhängigkeit fast erdrückend: 98 Prozent der Energie bezieht die Mongolei aus Russland, während 90 Prozent der mongolischen Exporte nach China gehen.
Und trotzdem ließ Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch seinen russischen Gast abblitzen. “Die Mongolei hat vermutlich erkannt, dass es sich um ein vergiftetes Geschenk aus Moskau handelt“, urteilt Viktor Frank im Gespräch mit Table.Briefings. Zu Beginn des Projekts sei man wesentlich positiver gestimmt gewesen. “Aber seit dem Ukrainekrieg ist die Stimmung umgeschlagen. Man will die Abhängigkeit von Russland nicht noch weiter vergrößern”, erklärt der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ulaanbaatar.
Dabei braucht Putin dringend einen Erfolg bei der “Power of Siberia 2”. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den westlichen Sanktionen hat vor allem Gazprom Probleme, sein Gas zu verkaufen. Das Gasunternehmen, das bislang zuverlässig Milliarden in die Kreml-Kassen spülte, schreibt plötzlich rote Zahlen – zum ersten Mal seit 1999. Das vergangene Jahr endete mit einem Rekordverlust von fast 6,4 Milliarden Euro.
Es braucht neue Abnehmer. Und Putin hat eigentlich einen Plan: Das Gas, das Gazprom früher lukrativ in Europa verkaufen konnte, soll in Zukunft nach China gehen – über die “Power of Siberia 2”. Die 2.600 Kilometer lange, rund 100 Milliarden Euro teure Pipeline soll pro Jahr 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas von der Jamal-Halbinsel im russischen Norden über die Mongolei nach China transportieren. Alles könnte perfekt passen: Chinas Energiehunger ist riesig. Zudem steht man derzeit in “grenzenloser Freundschaft” so eng gegen den Westen wie kaum zuvor in der Geschichte.
Doch während die Mongolei zunehmend skeptisch auf das Projekt blickt, setzt nun auch China jener Freundschaft Grenzen – wenn es ums Geld geht. Die Forderung aus Peking lautet: Für das Gas aus Russland will man lediglich den Preis bezahlen, den Gazprom auch auf dem heimischen Markt verlangt. Für russische Kunden ist der Brennstoff deutlich günstiger, weil er vom Staat massiv subventioniert wird.
Wie wenig freundschaftlich Pekings Forderungen sind, zeigt ein anderer Umstand: Schon jetzt zahlt China deutlich weniger für russisches Erdgas, als Gazprom früher von europäischen Kunden wie Deutschland verlangen konnte. Li Lifan, Russland- und Zentralasienexperte an der Shanghai Academy of Social Sciences, erklärt Chinas Position in der South China Morning Post wie folgt: “Die Mongolei hofft auf Investitionen aus China und Russland, aber Russland hat das Geld nicht und China hat es nicht eilig, die Pipeline zu bauen.” Auch Viktor Frank von der KAS in Ulaanbaatar ist überzeugt: “Der entscheidende Faktor ist China. Wenn Peking sein Okay gibt, wird die Pipeline gebaut.“
Die Mongolei hat jedenfalls schon Konsequenzen gezogen. Die Regierungskoalition hat die “Power of Siberia 2” aus ihrem Aktionsprogramm für die kommenden vier Jahre gestrichen. Und so verblasst Putins vermeintlicher diplomatischer Erfolg in Ulaanbaatar dann doch sehr schnell.
Und was wurde aus dem Haftbefehl? Es stimmt: Seit März 2023 liegt gegen Russlands Präsidenten ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor – und da die Mongolei das Römische Statut zum IStGH ratifiziert hat, hätte der mongolischen Staatschef eigentlich Putin festnehmen lassen müssen. Das geschah nicht – und Putin genoss es sichtlich, dem Westen in Ulaanbaatar zeigen zu können, dass er keineswegs so isoliert dasteht, wie man das gerne hätte. Doch viel mehr konnte er aus der Mongolei eben nicht mitnehmen.
16.09.2024, 15:00 Uhr (21:00 Uhr Beijing time)
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17.09.2024, 11:00 Uhr (17:00 Uhr Beijing time)
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18.09.2024, 08:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing time)
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18.09.2024, 19:00 Uhr
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20.09.24, 08:30 Uhr Bejing time
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Showdown bei den E-Auto-Zusatzzöllen: Chinas Handelsminister Wang Wentao wird in der kommenden Woche Brüssel besuchen. Wang werde am kommenden Donnerstag EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis treffen, um über die Zölle zu sprechen, teilte das chinesische Handelsministerium am Donnerstag mit.
Ob die Zusatzzölle auf chinesische E-Autos ab November für fünf Jahre gelten sollen, wird in den kommenden Wochen entschieden – indes wird die Kluft zwischen den EU-Staaten deutlicher. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach sich bei seinem Besuch in Peking diese Woche gegen die Zölle aus. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ verlauten, dass er sich ebenfalls in diese Richtung bewegen möchte.
Bei der bevorstehenden verbindlichen Abstimmung im EU-Rat müssten 15 der 27 Mitgliedsregierungen, die 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gegen die Zölle stimmen, damit sie nicht wie vorgesehen für fünf Jahre in Kraft treten. In einer vorläufigen Abstimmung im Juli hatte Spanien noch für die Zölle gestimmt – die spätere Androhung Pekings, Anti-Dumping-Zölle auf Schweinefleisch zu erheben, konnte bei Spanien, dem größten Produzenten der EU, aber offenbar Wirkung zeigen.
Deutschland enthielt sich, ebenso wie mehrere andere Mitgliedstaaten. Ob Spanien tatsächlich gegen die Zölle stimmt, muss man abwarten. Sollte dies aber der Fall sein, sei es immer noch ein weiter Weg, bis die Zölle gestoppt werden, lautet die Einschätzung im Rat. Mehrere bevölkerungsreiche Mitgliedstaaten müssten dafür in das Lager der Gegner von den Zöllen wechseln. ari/mgr
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages angekündigt, Betrugsfälle mit Klimazertifikaten in China rückabwickeln zu lassen. Wo es verwaltungsrechtlich möglich sei, müsse dabei der entstandene Klimaschaden kompensiert werden, erklärte Lemke nach einem Bericht des Agrar-Fachdienstes Agra bei einer Sondersitzung im Umweltausschuss des Bundestages am Mittwoch.
Laut eines Berichts des Umweltministeriums ist eine Rückabwicklung falscher Projekte zwar mit hohen rechtlichen Hürden verbunden, in einem Fall allerdings bereits erfolgt. Lemke sagte auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor dem Ausschuss aus. Unionsabgeordnete warfen Lemke dort vor, die Unregelmäßigkeiten nur schleppend aufzudecken.
Ihr Haus habe das betrugsanfällige System daher mit Wirkung zum 1. Juli beendet, sagte Lemke laut Agra. Neue Anträge können seitdem nicht gestellt werden. Am Freitag hatte das Umweltbundesamt (UBA) mitgeteilt, acht sogenannte Upstream-Emissions-Reduction-Projekte (UER) in China gestoppt zu haben. Beantragt hatten die beanstandeten Zertifikate demnach mehrere große, international aktive Firmen. Sie wollen sich damit CO₂-Minderungsmaßnahmen in China anrechnen lassen, um ihre eigenen CO₂-Quoten zu erfüllen. Das UBA ermittelt derzeit gegen weitere Projekte in China und weltweit. Laut Lemke laufen zudem Ermittlungen gegen mutmaßlich an der Zertifizierung der gestoppten Projekte beteiligte deutsche Firmen. ck
Das chinesische Handelsministerium hat die Automobilhersteller des Landes vor den Risiken autorelevanter Investitionen im Ausland gewarnt.Vertreter des Ministeriums hätten bei einem Branchentreffen Anfang Juli den lokalen Automobilherstellern unter Berufung auf eine Richtlinie der Zentralregierung von Investitionen in Indien, Russland und der Türkei “dringend abgeraten”, berichtet Reuters unter Berufung auf anonyme Quellen.Auch der Bau von Fabriken in Europa und Thailand sei als riskant eingestuft worden, wenn auch weniger dringlich.
Fabriken in Übersee sollten für die Endmontage von Fahrzeugen vor allem Komponenten nutzen, die aus China exportiert werden, hieß es. Damit sollen potenzielle Risiken aufgrund geopolitischer Probleme gemindert werden. Chinesische Autohersteller streben zunehmend eine Expansion im Ausland an, da sie mit einem sich verschärfenden Überkapazitätsproblem zu kämpfen haben.
In Russland hat die Präsenz chinesischer Automarken zugenommen, seit sich westliche Automobilhersteller aufgrund des Ukraine-Krieges zurückgezogen haben. Chery ist dort derzeit in Gesprächen mit russischen Herstellern über eine lokale Autoproduktion, wie die staatliche Nachrichtenagentur TASS im August unter Berufung auf Wladimir Schmakow, den Direktor der russischen Niederlassung von Chery, berichtet hat.
Auch mehrere europäische Länder, darunter Spanien und Italien, versuchen, Investitionen chinesischer Autobauer anzulocken. Doch dort bleiben die Unternehmen vorsichtig. Der Aufbau einer unabhängigen lokalen Produktion erfordert hohe Investitionen und ein tiefes Verständnis der lokalen Gesetze und Kultur. Volvo-Eigentümer Geely sondiert dennoch bereits Standorte für ein Werk in Europa, hat sich aber nach Angaben von Führungskräften aber noch nicht vollständig auf den Aufbau einer lokalen Produktion festgelegt.
Andere Unternehmen wie Leapmotor haben sich für eine Partnerschaft mit lokalen Firmen entschieden. Das Joint Venture von Leapmotor mit Stellantis hat in diesem Jahr die Produktion von Elektrofahrzeugen im polnischen Werk des französisch-italienischen Automobilherstellers aufgenommen. rtr
Lange Zeit war die Volksrepublik auf zwei Alleinstellungsmerkmale stolz: Sowohl die bevölkerungsreichste Nation der Erde zu sein als auch seit 1980 das erste Land mit einer Milliarde Einwohnern. Doch 2022 wurde China von Indien ein- und überholt. Dort leben heute nicht nur mehr Menschen, sondern auch jüngere – im Durchschnitt um zehn Jahre. Die Zukunft verheißt China, am Ende dieses Jahrhunderts kein Milliardenvolk mehr zu sein.
Touristen, die die Volksrepublik inzwischen wieder besuchen können, schwärmen nach ihrer Rückkehr von der vitalen Gesellschaft in einem modernen Staat, dem das 21. Jahrhundert gehört. Diese Kurzreisenden blenden dabei eine Wirklichkeit aus, die Peking selbst seine zweite “neue Norm” nennt: Eine anhaltende Wirtschafts- und Konsumflaute, die Zukunftsängste seiner Jugend und rapide Überalterung der Gesellschaft.
Verursacher sind nicht nur die von der Pandemie verschärften Wirtschaftsprobleme, sondern die Spätfolgen einer über Jahrzehnte erzwungenen Ein-Kind-Politik. Das äußerlich dynamische Reich der Mitte entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gigantisches Reich von Rentnern. Sein Zivilministerium enthüllte im September, dass Ende 2023 jeder fünfte Bürger das amtliche Pensionsalter Chinas überschritten hatte. In Zahlen: Rund 297 Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen waren da über 60 Jahre alt, darunter 215 Millionen über 65-Jährige.
Anteilsmäßig machen 60-Jährige weit über 21 Prozent der Bevölkerung aus und die 65-Jährigen über 15,4 Prozent. Damit ist der Volksrepublik ein weiterer, diesmal aber ungewollter, Quantensprung gelungen: Altersmäßig mit Industrieländen wie den USA, Europa, Japan oder Südkorea gleichzuziehen. Nach UN-Definition fällt China mit 15 Prozent über 65-Jährigen in die Kategorie einer “moderat gealterten Gesellschaft.” Während Europa Jahrzehnte und die USA 66 Jahre dafür brauchten, schaffte es die Volksrepublik in 25 Jahren.
Mit ihren unzureichenden Sozialsicherungssystemen und ihrem krassen Arm-Reich und Stadt-Land Gefälle ist sie nicht darauf vorbereitet. Sie müsste als erstes ihr Renteneintrittsalter erhöhen, das aktuell bei 60 Jahren für Männer und 50 oder 55 Jahren für Frauen liegt. Der Plan dazu wird beim nächsten Volkskongress auf die Tagesordnung kommen. China hatte das aktuelle Rentenalter im Arbeitsgesetz von 1951 festgelegt, zu einer Zeit, als die Lebenswartung bei 43 Jahren lag. Heute liegt die Lebenserwartung bei 78,6 Jahren, dank der während der Reformzeiten verbesserten Lebensverhältnisse, Fortschritte in der Ernährung und Medizin.
Dieser Erfolg hat eine Kehrseite: Chinas unterfinanzierte Pensionskassen werden 2035 leer sein, warnen seit 2019 immer wieder Pekinger Ökonomen. Ausgerechnet das Jahr 2035 hat Parteichef Xi Jinping zu seiner Zielmarke erhoben, um vor der Welt den Aufstieg seiner Volksrepublik zum allseits höchstentwickelten Industriestaat zu demonstrieren. Lange Jahre ignorierte Peking, wie die Alterspyramide in China so plötzlich kippte wie in sonst keinem anderen Land. Schon 2035 wird jeder dritte Chinese über 60 Jahre alt sein, darunter jeder Vierte über 65. An das Tabuthema, eine Einwanderung junger Fachkräfte und Nachwuchs aus dem Ausland staatlich zu fördern, traut sich die nationalistische Parteiführung noch nicht heran.
Unvorbereitet traf die Öffentlichkeit auch die jüngste Warnung der Vereinten Nationen. China müsste bis 2100 mit dem größten Rückgang der Bevölkerungszahl rechnen, den jemals ein Land in Friedenszeiten erlebte. Erste Zeichen, dass es ernst wird mit immer weniger Kindern, sind die derzeit Tausenden Schul- und Kindergartenschließungen. Die Ursachen sind hausgemacht. Ausschlaggebend war die über 35 Jahre lang erzwungene Geburtenplanung. Sie beschleunigte den Fall der Geburtenraten weit unter die für die Reproduktion der Nation notwendigen Höhe. Zugleich nahm die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter ab.
Das verblüffende Szenario ist Teil aktueller UN-Prognosen, wonach die Weltbevölkerung um 2080 ihren Höhepunkt erreicht – eine Aussicht, die auch hierzulande Sorgen vor einer “bevölkerungspolitischen Zeitenwende” auslösten. Der einflussreiche Publizist Gabor Steingart schrieb in seinem Infodienst “Pioneer”: “Wir sind konfrontiert, nicht mehr mit einer Bevölkerungsexplosion, sondern mit einer weltweiten Bevölkerungsimplosion.” Am Ende des 21. Jahrhunderts würden nach den Hochrechnungen der UN die 1,41 Milliarden Chinesen um mehr als 700 Millionen Menschen auf rund die Hälfte von heute geschrumpft sein.
Im Januar 2023 veröffentlichte das nationale Statistische Amt die erste Warnung: Für 2022 hatte es nur noch 1,412 Milliarden Menschen gezählt, eine Millionen Menschen weniger als 2021. Ein Jahr später waren es zwei Millionen Menschen weniger. Kein Wunder, denn die Zahl aller Geburten in China war inzwischen auf neun Millionen Babys gefallen, der niedrigste Stand seit 1949. Dazu passten die Meldungen über Rückgänge bei der Erwerbsbevölkerung zwischen 16 bis 59 Jahren, vor allem unter den Jungen.
Als Folge der Ein-Kind-Politik werden nun auch die “radikalen und historisch beispiellosen Veränderungen” in chinesischen Familien sichtbar, von der Ablösung der traditionellen Großfamilien durch hunderte Millionen Kleinfamilien, bis zur Auflösung der traditionellen Sippschaftsstrukturen, schrieben 2023 der US-Bevölkerungsforscher Nicholas Eberstadt und der Soziologe Ashton Verdery. Pekings Politiker achteten bei Volkszählungen nur auf Daten über Männer und Frauen, ignorierten aber den Wandel in den Familienverbänden und die “Verkümmerung” des Verwandtschaftsnetzwerks, das eine der Quellen chinesischer Stabilität ist.
Schon 2050 würden rund 18 Prozent der dann über 60 Jahre alten Männer und Frauen (alles Einzelkinder) keine lebenden Verwandten mehr haben und der Gesellschaft zur Last fallen. Inzwischen ist die erste systematische Studie der beiden Forscher über die “Revolution in den Familien” erschienen. Geschäftstüchtige Chinesen erkannten im Wandel der Familienstrukturen dagegen eine Marktlücke. Um das Jahr 2000, 20 Jahre nach Beginn der Ein-Kind-Politik, tauchten die ersten 亲戚计算器 auf, Verwandtschafts-Kalkulatoren, die bald auch als App und auf Handys geladen werden konnten und als “unbedingtes Muss” für junge Städter für ihre Neujahrsheimfahrten vermarktet wurden 中国亲戚关系图受网友追捧 被赞”回家过年必备.
Chinas Millionenheer an Einzelkindern, die nur mit Vater, Mutter und vier Großeltern aufwuchsen, verloren die Verbindungen zu ihrer Sippschaft, lernten nicht einmal, wie sie entfernte Verwandte traditionell richtig anzureden hatten, um sie nicht zu beleidigen. Im Chinesischen ist es mit Onkel, Tante, Nichte oder Neffe nicht getan. Anreden 称谓 unterscheiden sich in hunderten Varianten. Selbst für jüngere oder ältere Brüder und Schwestern gibt es unterschiedliche Namen.
Tabellen oder Apps lösten die Nöte der Einzelkinder, vor allem bei ländlichen Besuchen zum Frühlingsfest. Innerhalb einer Generation veränderte Pekings Ein-Kind- Politik die Gesellschaft radikaler als es Maos Kulturrevolution konnte. Wie es Pekings Führung gelang, ihre dirigistische Geburtenkontrolle mitten im Reformaufbruch nach 1980 durchzusetzen, ist ein noch unaufgearbeitetes und ungesühntes Kapitel der Parteigeschichte Chinas.
Bauernfamilien leisteten vereinzelt Widerstand. Im Volksmund wurden sie Geburtenguerillas 超生游击队genannt. Unangemeldet schwanger gewordene Frauen entkamen Zwangsabtreibungen durch die Flucht zu Verwandten in Nachbarprovinzen, um dort heimlich ihr Kind zu bekommen. In Pekinger Dörfern verrieten mir die Kose- und Rufnamen von Kindern wie Sanjian oder Wujian (3000 oder 5000), mit wie viel Geld ihre Eltern Bevölkerungsbeamte bestochen hatten, damit ihr Kind auf die Welt kommen konnte. In späteren Jahren trieben die Behörden als Strafe für Zweit- oder Drittgeburten extreme Bußgelder ein, oft in Höhe von Jahreseinkommen.
Weil Jungen als Stammhalter traditionell “wertvoller” als Mädchen waren, wurden diese vor der Geburt abgetrieben oder sogar als Neugeborene umgebracht. Verzerrte Relationen in Jahresstatistiken zur Bevölkerung von 118 Jungen- auf 100 Mädchengeburten verraten millionenfache Tragödien. Ab 2015 hob Peking die zu erfolgreich gewordene Ein-Kind-Politik schrittweise auf, erlaubte zuerst die Geburt von zwei und ab 2021 dann von drei Kindern. Offiziell behaupteten verantwortliche Familienplaner, mit ihrer Kontrolle Chinas Wohlstand erst ermöglicht zu haben. Rechnerisch seien in den 35 Jahren 400 Millionen Babys weniger geboren worden.
Die Partei will den Schwund an Neugeburten, fallendes Wachstum und Überalterung durch Roboterisierung und Automatisierung wettmachen, setzt auf Treiber wie neuartige Produktivkräfte, künstliche Intelligenz und Innovation, um weiter zur Weltmacht wachsen zu können.
Doch dafür wird gemeinhin eine junge Bevölkerung gebraucht. Wenn Chinas Kommunisten am 1. Oktober den 75. Jahrestag der sozialistischen Volksrepublik feiern, ist ihr Milliardenvolk auf dem Weg, sich auf den Stand der Anfangsjahre Chinas zu halbieren. Die Partei selbst aber wächst und wächst. Am 1. Oktober hat sie einen neuen Rekord zu vermelden, mit erstmals mehr als 100 Millionen Mitgliedern als größte KP der Welt.
Christian Röttinger ist seit August Project Lead Vehicle Data Collector bei Audi China. Der Diplom-Ingenieur im Feld der Elektro- und Informationstechnik war zuvor im Software Development Charging Systems für VW in Suzhou tätig.
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Besucher des Hunan Museum in Changsha bewundern ein Kleidungsstück aus den Han-Gräbern von Mawangdui. “Dünn wie der Flügel einer Zikade” sei das 48 Gramm schwere Textil, laut Museum das dünnste und leichteste vollständige Kleidungsstück, das jemals bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurde.
Die zwischen 1972 und 1974 freigelegten Grabanlagen von Mawangdui gehören mit Sicherheit zu den bedeutendsten archäologischen Funden Chinas im 20. Jahrhundert. Durch die tiefe Lage und den hermetischen Verschluss blieben nicht nur Kleidungsstücke, sondern ganze Menschenkörper erstaunlich gut erhalten. So fand man dort auch die in Seide gehüllte Mumie der Adeligen Xin Zhui, die um das Jahr 160 v. Chr. im Alter von etwa 50 Jahren an den Folgen von Übergewicht starb. Sie war so gut konserviert, dass die Haut noch elastisch war und Wissenschaftler Blut aus ihren Adern extrahieren konnten.
eigentlich liegt gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs vor. Bei seinem jüngsten Staatsbesuch in der Mongolei hätten also die Handschellen klicken müssen. Stattdessen rollte Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch in Ulaanbaatar einen roten Teppich für seinen mächtigen Nachbarn aus. Und der genoss es sichtlich, darüber zu schreiten. Ein Signal an die Welt, dass er nicht isoliert dasteht.
Doch abgesehen von dieser kleinen Genugtuung war der Besuch in der Mongolei kein Erfolg für Putin, wie Michael Radunski in seiner Analyse schreibt. Denn Putin war mit dem Ziel nach Ulaanbaatar gekommen, bei seinem Mammutprojekt “Power of Siberia 2”, einer Gaspipeline von Russland durch die Mongolei nach China, endlich die Zusage des kleinen Nachbarlandes zu erhalten. Doch die Mongolei will ihre Abhängigkeit von Russland nicht noch weiter vergrößern und ist zurückhaltend. Und auch China spielt nicht so mit wie erhofft: In Peking wünscht man sich von Russland knallharte Preisnachlässe beim Gas.
Die Ein-Kind-Politik war erfolgreich, allerdings mit einem Effekt, der Peking nicht gerade erfreuen dürfte. Ende des Jahrhunderts wird sich Chinas Bevölkerung Berechnungen zufolge halbiert haben. Was bereits in weiten Teilen verschwunden ist, ist die Großfamilie, einst wichtiger Kitt der Gesellschaft. Schon heute wissen Jugendliche nicht mehr, wie sie entfernte Verwandte bei Familientreffen korrekt ansprechen sollen, schreibt Johnny Erling in seiner Kolumne. Für jeden Verwandten gibt es im Chinesischen ein eigenes Wort: Entsprechende Apps helfen über die sprachlichen Feinheiten hinweg.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Der Besuch von Wladimir Putin in der Mongolei sorgte für große Aufregung. Vor allem in den westlichen Medien machte sich Ärger breit: “Ehrengarde statt Verhaftung” war da zu lesen. Denn gegen Russlands Präsident liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor – und der mongolische Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch hätte Putin eigentlich festnehmen lassen müssen.
All das ist richtig. Und doch übersieht man dabei, dass der Mongolei-Besuch für den russischen Präsidenten inhaltlich ein Misserfolg war. Putin wollte in Ulaanbaatar vor allem sein Riesenprojekt “Power of Siberia 2” vorantreiben, eine Gaspipeline von Russland über die Mongolei nach China. Doch damit scheiterte er auf ganzer Linie. Die Mongolei blickt zunehmend skeptisch auf die Gas-Pipeline. Und China fordert im Hintergrund knallharte Preis-Nachlässe.
In Ulaanbaatar warb Putin intensiv für die Pipeline: Bei der “Power of Siberia 2” gehe es keineswegs nur um den Transit russischen Gases durch die Mongolei. “Wir diskutieren auch über die mögliche Lieferung von Gas an mongolische Verbraucher”, sagte Putin laut Kremlangaben – und versprach, der russische Konzern Gazprom sei bereit, die notwendige Unterstützung zu leisten, um die mongolischen Verbraucher an das Gasversorgungssystem anzuschließen.
Für die Mongolei ist das sehr verlockend. Die Demokratie im Fernen Osten liegt geografisch eingepfercht zwischen den autokratischen Großmächten Russland und China. Ohne eigenen Meereszugang ist die Abhängigkeit fast erdrückend: 98 Prozent der Energie bezieht die Mongolei aus Russland, während 90 Prozent der mongolischen Exporte nach China gehen.
Und trotzdem ließ Staatschef Uchnaagiin Chüreslsüch seinen russischen Gast abblitzen. “Die Mongolei hat vermutlich erkannt, dass es sich um ein vergiftetes Geschenk aus Moskau handelt“, urteilt Viktor Frank im Gespräch mit Table.Briefings. Zu Beginn des Projekts sei man wesentlich positiver gestimmt gewesen. “Aber seit dem Ukrainekrieg ist die Stimmung umgeschlagen. Man will die Abhängigkeit von Russland nicht noch weiter vergrößern”, erklärt der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ulaanbaatar.
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Und was wurde aus dem Haftbefehl? Es stimmt: Seit März 2023 liegt gegen Russlands Präsidenten ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor – und da die Mongolei das Römische Statut zum IStGH ratifiziert hat, hätte der mongolischen Staatschef eigentlich Putin festnehmen lassen müssen. Das geschah nicht – und Putin genoss es sichtlich, dem Westen in Ulaanbaatar zeigen zu können, dass er keineswegs so isoliert dasteht, wie man das gerne hätte. Doch viel mehr konnte er aus der Mongolei eben nicht mitnehmen.
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Ob die Zusatzzölle auf chinesische E-Autos ab November für fünf Jahre gelten sollen, wird in den kommenden Wochen entschieden – indes wird die Kluft zwischen den EU-Staaten deutlicher. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach sich bei seinem Besuch in Peking diese Woche gegen die Zölle aus. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ verlauten, dass er sich ebenfalls in diese Richtung bewegen möchte.
Bei der bevorstehenden verbindlichen Abstimmung im EU-Rat müssten 15 der 27 Mitgliedsregierungen, die 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gegen die Zölle stimmen, damit sie nicht wie vorgesehen für fünf Jahre in Kraft treten. In einer vorläufigen Abstimmung im Juli hatte Spanien noch für die Zölle gestimmt – die spätere Androhung Pekings, Anti-Dumping-Zölle auf Schweinefleisch zu erheben, konnte bei Spanien, dem größten Produzenten der EU, aber offenbar Wirkung zeigen.
Deutschland enthielt sich, ebenso wie mehrere andere Mitgliedstaaten. Ob Spanien tatsächlich gegen die Zölle stimmt, muss man abwarten. Sollte dies aber der Fall sein, sei es immer noch ein weiter Weg, bis die Zölle gestoppt werden, lautet die Einschätzung im Rat. Mehrere bevölkerungsreiche Mitgliedstaaten müssten dafür in das Lager der Gegner von den Zöllen wechseln. ari/mgr
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages angekündigt, Betrugsfälle mit Klimazertifikaten in China rückabwickeln zu lassen. Wo es verwaltungsrechtlich möglich sei, müsse dabei der entstandene Klimaschaden kompensiert werden, erklärte Lemke nach einem Bericht des Agrar-Fachdienstes Agra bei einer Sondersitzung im Umweltausschuss des Bundestages am Mittwoch.
Laut eines Berichts des Umweltministeriums ist eine Rückabwicklung falscher Projekte zwar mit hohen rechtlichen Hürden verbunden, in einem Fall allerdings bereits erfolgt. Lemke sagte auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor dem Ausschuss aus. Unionsabgeordnete warfen Lemke dort vor, die Unregelmäßigkeiten nur schleppend aufzudecken.
Ihr Haus habe das betrugsanfällige System daher mit Wirkung zum 1. Juli beendet, sagte Lemke laut Agra. Neue Anträge können seitdem nicht gestellt werden. Am Freitag hatte das Umweltbundesamt (UBA) mitgeteilt, acht sogenannte Upstream-Emissions-Reduction-Projekte (UER) in China gestoppt zu haben. Beantragt hatten die beanstandeten Zertifikate demnach mehrere große, international aktive Firmen. Sie wollen sich damit CO₂-Minderungsmaßnahmen in China anrechnen lassen, um ihre eigenen CO₂-Quoten zu erfüllen. Das UBA ermittelt derzeit gegen weitere Projekte in China und weltweit. Laut Lemke laufen zudem Ermittlungen gegen mutmaßlich an der Zertifizierung der gestoppten Projekte beteiligte deutsche Firmen. ck
Das chinesische Handelsministerium hat die Automobilhersteller des Landes vor den Risiken autorelevanter Investitionen im Ausland gewarnt.Vertreter des Ministeriums hätten bei einem Branchentreffen Anfang Juli den lokalen Automobilherstellern unter Berufung auf eine Richtlinie der Zentralregierung von Investitionen in Indien, Russland und der Türkei “dringend abgeraten”, berichtet Reuters unter Berufung auf anonyme Quellen.Auch der Bau von Fabriken in Europa und Thailand sei als riskant eingestuft worden, wenn auch weniger dringlich.
Fabriken in Übersee sollten für die Endmontage von Fahrzeugen vor allem Komponenten nutzen, die aus China exportiert werden, hieß es. Damit sollen potenzielle Risiken aufgrund geopolitischer Probleme gemindert werden. Chinesische Autohersteller streben zunehmend eine Expansion im Ausland an, da sie mit einem sich verschärfenden Überkapazitätsproblem zu kämpfen haben.
In Russland hat die Präsenz chinesischer Automarken zugenommen, seit sich westliche Automobilhersteller aufgrund des Ukraine-Krieges zurückgezogen haben. Chery ist dort derzeit in Gesprächen mit russischen Herstellern über eine lokale Autoproduktion, wie die staatliche Nachrichtenagentur TASS im August unter Berufung auf Wladimir Schmakow, den Direktor der russischen Niederlassung von Chery, berichtet hat.
Auch mehrere europäische Länder, darunter Spanien und Italien, versuchen, Investitionen chinesischer Autobauer anzulocken. Doch dort bleiben die Unternehmen vorsichtig. Der Aufbau einer unabhängigen lokalen Produktion erfordert hohe Investitionen und ein tiefes Verständnis der lokalen Gesetze und Kultur. Volvo-Eigentümer Geely sondiert dennoch bereits Standorte für ein Werk in Europa, hat sich aber nach Angaben von Führungskräften aber noch nicht vollständig auf den Aufbau einer lokalen Produktion festgelegt.
Andere Unternehmen wie Leapmotor haben sich für eine Partnerschaft mit lokalen Firmen entschieden. Das Joint Venture von Leapmotor mit Stellantis hat in diesem Jahr die Produktion von Elektrofahrzeugen im polnischen Werk des französisch-italienischen Automobilherstellers aufgenommen. rtr
Lange Zeit war die Volksrepublik auf zwei Alleinstellungsmerkmale stolz: Sowohl die bevölkerungsreichste Nation der Erde zu sein als auch seit 1980 das erste Land mit einer Milliarde Einwohnern. Doch 2022 wurde China von Indien ein- und überholt. Dort leben heute nicht nur mehr Menschen, sondern auch jüngere – im Durchschnitt um zehn Jahre. Die Zukunft verheißt China, am Ende dieses Jahrhunderts kein Milliardenvolk mehr zu sein.
Touristen, die die Volksrepublik inzwischen wieder besuchen können, schwärmen nach ihrer Rückkehr von der vitalen Gesellschaft in einem modernen Staat, dem das 21. Jahrhundert gehört. Diese Kurzreisenden blenden dabei eine Wirklichkeit aus, die Peking selbst seine zweite “neue Norm” nennt: Eine anhaltende Wirtschafts- und Konsumflaute, die Zukunftsängste seiner Jugend und rapide Überalterung der Gesellschaft.
Verursacher sind nicht nur die von der Pandemie verschärften Wirtschaftsprobleme, sondern die Spätfolgen einer über Jahrzehnte erzwungenen Ein-Kind-Politik. Das äußerlich dynamische Reich der Mitte entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gigantisches Reich von Rentnern. Sein Zivilministerium enthüllte im September, dass Ende 2023 jeder fünfte Bürger das amtliche Pensionsalter Chinas überschritten hatte. In Zahlen: Rund 297 Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen waren da über 60 Jahre alt, darunter 215 Millionen über 65-Jährige.
Anteilsmäßig machen 60-Jährige weit über 21 Prozent der Bevölkerung aus und die 65-Jährigen über 15,4 Prozent. Damit ist der Volksrepublik ein weiterer, diesmal aber ungewollter, Quantensprung gelungen: Altersmäßig mit Industrieländen wie den USA, Europa, Japan oder Südkorea gleichzuziehen. Nach UN-Definition fällt China mit 15 Prozent über 65-Jährigen in die Kategorie einer “moderat gealterten Gesellschaft.” Während Europa Jahrzehnte und die USA 66 Jahre dafür brauchten, schaffte es die Volksrepublik in 25 Jahren.
Mit ihren unzureichenden Sozialsicherungssystemen und ihrem krassen Arm-Reich und Stadt-Land Gefälle ist sie nicht darauf vorbereitet. Sie müsste als erstes ihr Renteneintrittsalter erhöhen, das aktuell bei 60 Jahren für Männer und 50 oder 55 Jahren für Frauen liegt. Der Plan dazu wird beim nächsten Volkskongress auf die Tagesordnung kommen. China hatte das aktuelle Rentenalter im Arbeitsgesetz von 1951 festgelegt, zu einer Zeit, als die Lebenswartung bei 43 Jahren lag. Heute liegt die Lebenserwartung bei 78,6 Jahren, dank der während der Reformzeiten verbesserten Lebensverhältnisse, Fortschritte in der Ernährung und Medizin.
Dieser Erfolg hat eine Kehrseite: Chinas unterfinanzierte Pensionskassen werden 2035 leer sein, warnen seit 2019 immer wieder Pekinger Ökonomen. Ausgerechnet das Jahr 2035 hat Parteichef Xi Jinping zu seiner Zielmarke erhoben, um vor der Welt den Aufstieg seiner Volksrepublik zum allseits höchstentwickelten Industriestaat zu demonstrieren. Lange Jahre ignorierte Peking, wie die Alterspyramide in China so plötzlich kippte wie in sonst keinem anderen Land. Schon 2035 wird jeder dritte Chinese über 60 Jahre alt sein, darunter jeder Vierte über 65. An das Tabuthema, eine Einwanderung junger Fachkräfte und Nachwuchs aus dem Ausland staatlich zu fördern, traut sich die nationalistische Parteiführung noch nicht heran.
Unvorbereitet traf die Öffentlichkeit auch die jüngste Warnung der Vereinten Nationen. China müsste bis 2100 mit dem größten Rückgang der Bevölkerungszahl rechnen, den jemals ein Land in Friedenszeiten erlebte. Erste Zeichen, dass es ernst wird mit immer weniger Kindern, sind die derzeit Tausenden Schul- und Kindergartenschließungen. Die Ursachen sind hausgemacht. Ausschlaggebend war die über 35 Jahre lang erzwungene Geburtenplanung. Sie beschleunigte den Fall der Geburtenraten weit unter die für die Reproduktion der Nation notwendigen Höhe. Zugleich nahm die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter ab.
Das verblüffende Szenario ist Teil aktueller UN-Prognosen, wonach die Weltbevölkerung um 2080 ihren Höhepunkt erreicht – eine Aussicht, die auch hierzulande Sorgen vor einer “bevölkerungspolitischen Zeitenwende” auslösten. Der einflussreiche Publizist Gabor Steingart schrieb in seinem Infodienst “Pioneer”: “Wir sind konfrontiert, nicht mehr mit einer Bevölkerungsexplosion, sondern mit einer weltweiten Bevölkerungsimplosion.” Am Ende des 21. Jahrhunderts würden nach den Hochrechnungen der UN die 1,41 Milliarden Chinesen um mehr als 700 Millionen Menschen auf rund die Hälfte von heute geschrumpft sein.
Im Januar 2023 veröffentlichte das nationale Statistische Amt die erste Warnung: Für 2022 hatte es nur noch 1,412 Milliarden Menschen gezählt, eine Millionen Menschen weniger als 2021. Ein Jahr später waren es zwei Millionen Menschen weniger. Kein Wunder, denn die Zahl aller Geburten in China war inzwischen auf neun Millionen Babys gefallen, der niedrigste Stand seit 1949. Dazu passten die Meldungen über Rückgänge bei der Erwerbsbevölkerung zwischen 16 bis 59 Jahren, vor allem unter den Jungen.
Als Folge der Ein-Kind-Politik werden nun auch die “radikalen und historisch beispiellosen Veränderungen” in chinesischen Familien sichtbar, von der Ablösung der traditionellen Großfamilien durch hunderte Millionen Kleinfamilien, bis zur Auflösung der traditionellen Sippschaftsstrukturen, schrieben 2023 der US-Bevölkerungsforscher Nicholas Eberstadt und der Soziologe Ashton Verdery. Pekings Politiker achteten bei Volkszählungen nur auf Daten über Männer und Frauen, ignorierten aber den Wandel in den Familienverbänden und die “Verkümmerung” des Verwandtschaftsnetzwerks, das eine der Quellen chinesischer Stabilität ist.
Schon 2050 würden rund 18 Prozent der dann über 60 Jahre alten Männer und Frauen (alles Einzelkinder) keine lebenden Verwandten mehr haben und der Gesellschaft zur Last fallen. Inzwischen ist die erste systematische Studie der beiden Forscher über die “Revolution in den Familien” erschienen. Geschäftstüchtige Chinesen erkannten im Wandel der Familienstrukturen dagegen eine Marktlücke. Um das Jahr 2000, 20 Jahre nach Beginn der Ein-Kind-Politik, tauchten die ersten 亲戚计算器 auf, Verwandtschafts-Kalkulatoren, die bald auch als App und auf Handys geladen werden konnten und als “unbedingtes Muss” für junge Städter für ihre Neujahrsheimfahrten vermarktet wurden 中国亲戚关系图受网友追捧 被赞”回家过年必备.
Chinas Millionenheer an Einzelkindern, die nur mit Vater, Mutter und vier Großeltern aufwuchsen, verloren die Verbindungen zu ihrer Sippschaft, lernten nicht einmal, wie sie entfernte Verwandte traditionell richtig anzureden hatten, um sie nicht zu beleidigen. Im Chinesischen ist es mit Onkel, Tante, Nichte oder Neffe nicht getan. Anreden 称谓 unterscheiden sich in hunderten Varianten. Selbst für jüngere oder ältere Brüder und Schwestern gibt es unterschiedliche Namen.
Tabellen oder Apps lösten die Nöte der Einzelkinder, vor allem bei ländlichen Besuchen zum Frühlingsfest. Innerhalb einer Generation veränderte Pekings Ein-Kind- Politik die Gesellschaft radikaler als es Maos Kulturrevolution konnte. Wie es Pekings Führung gelang, ihre dirigistische Geburtenkontrolle mitten im Reformaufbruch nach 1980 durchzusetzen, ist ein noch unaufgearbeitetes und ungesühntes Kapitel der Parteigeschichte Chinas.
Bauernfamilien leisteten vereinzelt Widerstand. Im Volksmund wurden sie Geburtenguerillas 超生游击队genannt. Unangemeldet schwanger gewordene Frauen entkamen Zwangsabtreibungen durch die Flucht zu Verwandten in Nachbarprovinzen, um dort heimlich ihr Kind zu bekommen. In Pekinger Dörfern verrieten mir die Kose- und Rufnamen von Kindern wie Sanjian oder Wujian (3000 oder 5000), mit wie viel Geld ihre Eltern Bevölkerungsbeamte bestochen hatten, damit ihr Kind auf die Welt kommen konnte. In späteren Jahren trieben die Behörden als Strafe für Zweit- oder Drittgeburten extreme Bußgelder ein, oft in Höhe von Jahreseinkommen.
Weil Jungen als Stammhalter traditionell “wertvoller” als Mädchen waren, wurden diese vor der Geburt abgetrieben oder sogar als Neugeborene umgebracht. Verzerrte Relationen in Jahresstatistiken zur Bevölkerung von 118 Jungen- auf 100 Mädchengeburten verraten millionenfache Tragödien. Ab 2015 hob Peking die zu erfolgreich gewordene Ein-Kind-Politik schrittweise auf, erlaubte zuerst die Geburt von zwei und ab 2021 dann von drei Kindern. Offiziell behaupteten verantwortliche Familienplaner, mit ihrer Kontrolle Chinas Wohlstand erst ermöglicht zu haben. Rechnerisch seien in den 35 Jahren 400 Millionen Babys weniger geboren worden.
Die Partei will den Schwund an Neugeburten, fallendes Wachstum und Überalterung durch Roboterisierung und Automatisierung wettmachen, setzt auf Treiber wie neuartige Produktivkräfte, künstliche Intelligenz und Innovation, um weiter zur Weltmacht wachsen zu können.
Doch dafür wird gemeinhin eine junge Bevölkerung gebraucht. Wenn Chinas Kommunisten am 1. Oktober den 75. Jahrestag der sozialistischen Volksrepublik feiern, ist ihr Milliardenvolk auf dem Weg, sich auf den Stand der Anfangsjahre Chinas zu halbieren. Die Partei selbst aber wächst und wächst. Am 1. Oktober hat sie einen neuen Rekord zu vermelden, mit erstmals mehr als 100 Millionen Mitgliedern als größte KP der Welt.
Christian Röttinger ist seit August Project Lead Vehicle Data Collector bei Audi China. Der Diplom-Ingenieur im Feld der Elektro- und Informationstechnik war zuvor im Software Development Charging Systems für VW in Suzhou tätig.
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Besucher des Hunan Museum in Changsha bewundern ein Kleidungsstück aus den Han-Gräbern von Mawangdui. “Dünn wie der Flügel einer Zikade” sei das 48 Gramm schwere Textil, laut Museum das dünnste und leichteste vollständige Kleidungsstück, das jemals bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurde.
Die zwischen 1972 und 1974 freigelegten Grabanlagen von Mawangdui gehören mit Sicherheit zu den bedeutendsten archäologischen Funden Chinas im 20. Jahrhundert. Durch die tiefe Lage und den hermetischen Verschluss blieben nicht nur Kleidungsstücke, sondern ganze Menschenkörper erstaunlich gut erhalten. So fand man dort auch die in Seide gehüllte Mumie der Adeligen Xin Zhui, die um das Jahr 160 v. Chr. im Alter von etwa 50 Jahren an den Folgen von Übergewicht starb. Sie war so gut konserviert, dass die Haut noch elastisch war und Wissenschaftler Blut aus ihren Adern extrahieren konnten.