Table.Briefing: China

Putins Besuch in Peking + Chef von Alibaba-Tochter Visable im Interview

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wladimir Putin reist diese Woche erneut nach China. In keinem anderen Land ist er so willkommen wie beim Autokraten-Kollegen Xi Jinping. Dabei äußern sich zahlreiche chinesische Wissenschaftler zuletzt ausgesprochen kritisch über Russland und seine langfristigen Erfolgsaussichten. Christiane Kühl löst in ihrer Analyse den Widerspruch auf: Unterm Strich überwiegen aus Sicht Xis eben die Vorteile, wenn Russland sich selbst und den Westen schwächt. Und ein Wort Xis bedeutet in China: Ende der Debatte.

Peter Schmid ist Chef von Visable, einem Internetunternehmen, in das der Internetgigant Alibaba eingestiegen ist. Visable betreibt die Plattformen “Wer liefert was” und “Europages für europäische KMUs” für Firmen, die mit Firmen in Kontakt treten wollen (B2B). Im Interview mit Amelie Richter erzählt Schmid davon, was sich seit der Übernahme durch das chinesische Unternehmen geändert hat – und wie groß und klein doch noch zusammenpassen.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Warum Chinas Forschende Russland kritisch sehen und trotzdem auf Kooperation setzen

Bald ist es wieder soweit: Xi und Putin beim Handshake im Oktober 2023 auf dem Belt and Road-Forum in Peking.

Wladimir Putin reist nach China – wieder einmal. Nur wenige Tage nach seiner Europa-Reise trifft sich Staatschef Xi Jinping also mit jenem Mann, von dem ihn die Europäer – zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – gern loseisen würden. Bislang ohne Erfolg.

Chinas offizielle Äußerungen zu Russland verändern sich nicht. Trotzdem läuft zumindest in akademischen Kreisen weiter eine Debatte über Russlands Angriff auf die Ukraine und die chinesische Haltung dazu. Kürzlich überraschte einer der schärfsten Russland-Kritiker mit einem Gastbeitrag für das britische Magazin Economist: Der Pekinger Politikprofessor Feng Yujun prognostizierte darin eine Niederlage Russlands. Die anhaltende westliche Unterstützung und der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Ukraine würden dazu führen, dass Russland “zu gegebener Zeit” alle besetzten Gebiete werde räumen müssen.

Von Beginn der Invasion an hatte Feng immer wieder argumentiert, dass Russlands Einmarsch in die Ukraine ungerechtfertigt und von imperialer Gier motiviert sei – und dass eine zu enge Zusammenarbeit mit Moskau in dieser Frage ein strategischer Fehler für China sei. “Die Beziehungen Chinas zu Russland sind nicht festgelegt”, so Feng. China habe sich bereits von der ‘No Limits’-Freundschaft zu Russland verabschiedet und sei zu traditionellen Grundsätzen der Blockfreiheit und Nicht-Konfrontation zurückgekehrt.

Chinas Akademiker: Misstrauen und Kritik an Moskau

Der Forscher ist mit seiner Kritik an Russland kein Einzelfall. “Fengs Misstrauen und seine Kritik an Moskau sind in den meisten meiner Gespräche mit chinesischen Wissenschaftlern deutlich geworden, wenn auch in milderer Form”, meint Thomas des Garets Geddes, der ausgewählte Aufsätze chinesischer Wissenschaftler übersetzen lässt und in seinem Newsletter Sinification publiziert.

Auch Mark Leonard vom European Council of Foreign Relations (ECFR) war Ende 2022 auf einer Konferenz in Peking mit mehreren Wissenschaftlern ins vertrauliche Gespräch gekommen. “Die ambivalenten Gefühle der Chinesen gegenüber den Russen waren sehr auffällig“, erzählte er im vergangenen Juli auf einem Webinar zur Vorstellung einer damals erschienenen ECFR- Studie zum Thema. Teilweise sei gar eine gewisse Verachtung deutlich geworden.

Nur sollte das dem Westen nicht allzu viel Hoffnung machen. Feng Yujun gibt mit seiner Warnung vor einem engen Verhältnis zu Russland nicht die Mehrheitsmeinung unter chinesischen Politologen wieder. “Es ist durchaus üblich, dass chinesische Analysten Kritik und Misstrauen gegenüber Moskau äußern und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung enger Beziehungen zum Kreml plädieren“, sagte Geddes zu Table.Briefings. “Dies mag auf den ersten Blick etwas widersprüchlich erscheinen, spiegelt aber lediglich wider, dass Chinas nationale Interessen Vorrang vor allem anderen haben.”

Chinas Falken fordern engere Allianz mit Russland

Dazu gehört, dass Peking weiter glaubt, Russland als Verbündeten gegen die ungeliebte westlich dominierte Weltordnung zu brauchen. Manche Akademiker stehen daher zu Russland ohne Wenn und Aber. Wang Xiushui etwa von der Luftfahrt-Universität in Peking und ehemaliger Oberst der Luftwaffe fordert in einem aktuellen von Geddes übersetzten Text: “Die Beziehungen Pekings zu Moskau müssen im Zentrum von Chinas diplomatischer Strategie bleiben.” In einer Welt, in der das Gesetz des Dschungels gelte, müssten China und Russland zu “unschlagbaren Gegnern” der USA werden. Nur dann würden sie den Respekt des Westens gewinnen.

Wang sieht den Ukraine-Krieg als “Kampf der Kulturen” (文明的冲突), der in einem längerfristigen Rahmen betrachtet werden müsse: “Aus der Perspektive der entstehenden globalen Landschaft betrachte glaube ich, dass der russisch-ukrainische Konflikt die Eröffnungsschlacht für eine multipolare Welt ist” (多极世界的揭幕之战). Das Wort “Krieg” verwendet er in seinem Beitrag nicht. Die vorherrschende Meinung unter Chinas etablierten Intellektuellen liege irgendwo zwischen Feng Yujun und Wang Xiushui, sagt Geddes.

Komersant vermutet chinesische Distanz

Interessant ist ein kurzer Blick auf Russland. Denn Maxim Jusin, Kolumnist der russischen Wirtschaftszeitung Komersant, hält Fengs Economist-Gasteitrag nämlich durchaus für ein Signal. “Wenn man weiß, wie die chinesische Gesellschaft organisiert ist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass der Professor, der diesen Artikel verfasst hat, auf eigenes Risiko und ohne die Unterstützung der verantwortlichen Genossen in Peking gehandelt hat”, schreibt er. Eine Antwort darauf gibt es nicht.

Chinas Friedensinitiativen zur Lösung des Ukraine-Konflikts aber stimmen laut Jusin “überhaupt nicht” mit den Maximalforderungen der russischen Seite überein. Peking fordere eine Einstellung der Feindseligkeiten, ja sogar ein Einfrieren des Konflikts, so Jusin, “erwähnt aber mit keinem Wort die Entmilitarisierung der Ukraine, die Entnazifizierung oder einen Regimewechsel in Kiew.” Das alles aber sind zentrale Forderungen des Kreml, und deshalb sieht Jusin eine größere Distanz Chinas zu Russland, als sie im Westen wahrgenommen wird.

Chinas Akademiker: Vielschichtiger als die Regierung

Über lautstarke Forderungen chinesischer Akademiker etwa nach Waffenlieferungen oder gar eine militärische Unterstützung Russlands ist derweil nichts bekannt. Der China-Experte Thomas Eder vom Austrian Institute for International Affairs hat sich mehrere chinesische Plattformen für Expertendiskussionen zur Außenpolitik angesehen (aisixiang.com, cfisnet.com und cn.chinausfocus.com) und festgestellt, dass die Akademiker dort generell zu Vorsicht, Ausgewogenheit und Kontinuität raten. Diese Zurückhaltung der außenpolitischen Eliten mäßige auch die Regierung, meint er.

Chinesische Wissenschaftler bezeichneten auf den Plattformen “die Zusammenarbeit mit Moskau in internationalen Organisationen als wichtig und Russland als Schlüssel für ein ‘globales strategisches Gleichgewicht'”. Viele argumentierten aber auch, dass Russlands Vorgehen den Interessen Chinas schade, so Eder. “Sie beschreiben Russland als ein potenziell größeres Problem für die Beziehungen zwischen China und der EU als die USA.”

Auch werde auf den Plattformen die strategische Bedeutung der EU für China im Kontext des Wettbewerbs mit den USA als “nicht geringer als die von Russland” bezeichnet. Wenn das stimmt, sollte die Regierung auf Feng Yujun hören: “Peking muss verhindern, dass der Westen und andere Teile der Welt ihre Unzufriedenheit mit Russland auf China abwälzen”, schreibt er im Economist. Denn das droht derzeit vor allem in Europa.

  • Geopolitik
  • Russland
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Interview

CEO des Alibaba-Tochterunternehmens Visable: “China ist hardcore marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert”

Peter Schmid ist Chef von Visable, einer Tochter des Internetgiganten Alibaba.

Seit gut sechs Monaten ist Visable jetzt unter dem Dach von Alibaba. Wie ist Ihr bisheriger Eindruck? 

Alibaba ist, verglichen mit uns, natürlich ein riesiges Unternehmen. Wir haben 500 Mitarbeiter und sind im Vergleich doch eine kleine Firma. Wenn Großkonzern und Mittelstand aufeinandertreffen, dann gibt es schon interessante Situationen. 

Und zwar? 

Alibaba hätte gerne 20 unserer Mitarbeiter in China gehabt, für zwei Wochen. Das kostet mit Flugtickets und Unterkunft mehrere hunderttausend Euro. Als Mittelständler ist das finanziell nicht so einfach zu stemmen wie für einen großen Konzern. Da müssen sich das Große und das Kleine noch etwas aneinander gewöhnen. Auch bei neuen Ideen: Wenn Alibaba für unsere Zusammenarbeit zehn neue Ideen hat, müssen wir oft sagen ‘Super, das ist total gut, wir können in unseren Teams aber erstmal nur drei Ideen angehen’. Ich würde sagen, das ist aber alles nicht China-spezifisch, sondern eher der unterschiedlichen Größe der Unternehmen geschuldet.  

Wie läuft die Zusammenarbeit bei Know-how und Technologie?

Der europäische Markt ist ein völlig anderer als der chinesische. Man muss zunächst ganz klar sagen: Dass Alibaba bei uns eingestiegen ist, liegt auch daran, dass sie es selbst mit einer Plattform probiert haben in Europa und diese noch nicht erfolgreich war. Wir kennen uns auf dem europäischen Markt aus und sind etabliert. Alibaba hat aber technologisches Know-how, das einige unserer Vorgänge nochmal beschleunigen und Services verbessern kann. Auch beim Thema Onlinemarketing lernen wir dazu, etwa wie KI in den Abläufen eingesetzt werden kann. 

Gab es denn etwas, dass Sie bei der chinesischen Herangehensweise überrascht hat? 

Das ist weniger Alibaba-spezifisch, sondern generell: Wie gehe ich mit der Deadline bei Projekten um? In der Tech-Welt arbeiten wir agil, mit dynamischen Zielen, das finde ich einerseits toll. Bei der Einhaltung von Deadlines sehe ich bei der chinesischen Seite allerdings etwas mehr Commitment. Ich muss sagen, das beeindruckt mich. Die chinesische Seite ist da sehr diszipliniert und präzise. Andererseits finden selten Termine mit weniger als zehn Teilnehmer statt. Das ist dann weniger effizient. Was ich ebenfalls interessant finde, wie wettbewerbsgetrieben dieses Land im Bereich Internet ist und auch wie innovativ: hardcore marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert. Und dabei ist ja eigentlich Europa der marktwirtschaftliche Kontinent.

Visable baut ja auch in China auf. Wie ist da der Stand?

Ich möchte betonen, dass wir in China wegen des Know-hows und der Talente sind, nicht um Kosten zu sparen. In Deutschland denken viele immer noch, China bedeute Outsourcing. Die Gehälter in Hangzhou, wo Alibaba sitzt, oder auch Shanghai liegen bei den gut ausgebildeten Leuten, die wir brauchen, mindestens auf deutschem Niveau, wenn nicht sogar darüber. Wir haben dort Softwareentwickler, aber wir planen nicht, dort ein Geschäft aufzubauen. Was wir schon planen, ist ein europäischer Champion, mit Mitarbeitern in ganz Europa, nun auch in Italien und Spanien, die an die Größe von Alibaba in China herankommt. Wir wollen auf unseren Plattformen Einkäufer aus der ganzen Welt für europäische Mittelständler, das ist schon unsere Zielsetzung.

Die Bundesregierung hat die Übernahme von Visable gut sechs Monate geprüft. Gibt es jetzt bestimmte Regeln, an die Sie sich halten müssen bei der Zusammenarbeit?

Das wurde sehr intensiv geprüft, auch in der Anhörung. Ich war selbst vor Ort im Wirtschaftsministerium und es war klar, dass es Einschränkungen auf der Datenseite geben wird. Diese müssen bei uns bleiben. Das haben wir natürlich von Anfang an zugesichert, schon aus Eigeninteresse. Das zweite war die Art der Zusammenarbeit: Wir erlauben den Leuten von Alibaba keinen Zugriff auf unseren Code, weil das natürlich unser Eigentum ist. Andersrum ist das auch so. Man muss zugleich sagen: Alibaba ist selbst extrem sensibel. 

Was steht auf der Agenda für die nächsten sechs Monate? 

Wir wollen unsere chinesische Firma ausbauen. Wir haben dort jetzt 25 Mitarbeiter, da wollen wir bis Ende des Jahres 40 sein. Wir haben ins Managementteam einen chinesischen Kollegen aufgenommen, der bisher als CTO bei Miravia in Madrid arbeitete und der jetzt mit seiner Familie nach Hamburg ziehen wird. Wenn wir so viele Mitarbeiter in China haben, ist es wichtig, jemanden im Management zu haben, der die Sprache spricht. Wir werden außerdem ein Büro in Italien eröffnen und planen ein weiteres in Madrid. Auf Produktseite wollen wir die Software auf ein ganz neues Level und neue Produkte auf die Plattform bringen. Ich werde im Sommer wieder nach China reisen, die Zusammenarbeit vor Ort intensivieren und neue Eindrücke vor Ort sammeln. Diese sind sehr wichtig. Denn das Bild von China in Deutschland ist nicht falsch, aber es ist auch nicht vollständig.

Peter F. Schmid ist seit August 2012 CEO und geschäftsführender Gesellschafter bei Visable (davor “Wer liefert was”). Nach seinem BWL-Studium an der LMU in München arbeitete er zunächst als Brandmanager bei Procter & Gamble. Anfang 1999 wechselte er dann kurz nach der Gründung zum Internetfahrzeugmarkt Autoscout24, später zu eBay Classifieds und dann zu mobile.de. Zwischenzeitlich war der Geschäftsführer der Online-Partnervermittlung Parship. 

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  • Technologie

News

Warum BYD ein zweites Werk in Europa plant

Der chinesische Elektroautobauer BYD erwägt den Bau eines zweiten Montagewerks in Europa. Europa-Chef Michael Shu sagte bei einer Veranstaltung in London, das sei ein Thema für das kommende Jahr. Bis Ende des Jahrzehnts wolle BYD ein führender Elektroautoanbieter in Europa sein. Ein Grund für den Schritt dürfte sein, die von der EU-Kommission angestrebten Strafzölle auf E-Auto-Importe aus der Volksrepublik zu umgehen. Denn wenn BYD in Europa produziert, fallen diese Strafzölle nicht an.

Wo genau das zweite Werk entstehen soll, teilte Shu nicht mit. BYD hat erst im Dezember den Bau eines Werkes in Ungarn angekündigt und ist damit der erste große chinesische Elektroautobauer mit einer eigenen Produktionsstätte in Europa.

Zugleich kündigte Shu an, das Modell Seagull auf den europäischen Markt zu bringen. Die europäische Version des Fahrzeugs solle für weniger als 20.000 Euro erhältlich sein. Elektroautos kosten im Schnitt ungefähr ein Drittel mehr als vergleichbare Verbrennerfahrzeuge, vor allem wegen der hohen Kosten für die Batterie – was es schwierig macht, entsprechend günstige Fahrzeuge zu produzieren. rtr/flee

  • Autoindustrie
  • BYD
  • EU

Wird Biden kommende Woche Zölle auf chinesische Elektroautos verhängen?

US-Präsident Joe Biden könnte Insidern zufolge kommende Woche neue Zölle auf Elektroautos und andere Produkte aus China verhängen. Das “Wall Street Journal” berichtete am Freitag, Biden werde die Zölle auf chinesische E-Fahrzeuge von 27,5 Prozent auf etwa 100 Prozent fast vervierfachen. Stellungnahmen der Regierungen in Washington und Peking lagen zunächst nicht vor.

Neben Elektroautos dürften auch Halbleiter, Stahl und Solaranlagen betroffen sein. Das Niveau der Abgaben werde sich im Großen und Ganzen allerdings nicht ändern, hieß es. Insidern zufolge werden die US-Handelseinschränkungen gegen China auch medizinische Güter betreffen. Dazu gehörten Spritzen und Schutzausrüstung, wie die Nachrichtenagentur Reuters von zwei mit der Sache vertrauten Personen erfuhr.

Die Maßnahmen seien Teil einer Strategie, um die USA vor Lieferengpässen zu schützen, hieß es. Diese waren während der Covid-Pandemie aufgetreten. Die Einfuhren von Spritzen aus China hatten 2021 mit 348 Millionen Dollar ihren Höhepunkt erreicht, wie aus Daten des US-Statistikamtes hervorgeht. Seitdem sind sie auf etwa 167 Millionen Dollar im vergangenen Jahr gefallen.

Der Demokrat Biden hat öffentlich beteuert, keinen Handelskrieg mit China zu wollen, und lehnt Zölle auf breiter Basis ab, wie sie sein republikanischer Vorgänger Donald Trump fordert. Vertreter des Präsidialamts befürchten, dass ein derartiges Vorgehen zu holzschnittartig sei und lediglich die Inflation nach oben treibe. Das Präsidialamt und das Büro des Handelsbeauftragten lehnten eine Stellungnahme ab. Als Erstes hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg über die Zollpläne berichtet. rtr

  • Autoindustrie
  • Handel
  • USA

Immobilienblase: So rettet sich Country Garden vor seinen Gläubigern

Der verschuldete chinesische Immobilienentwickler Country Garden hat mit leichter Verspätung wichtige Zinszahlungen geleistet. Couponzahlungen von umgerechnet 8,5 Millionen Euro auf Anleihen seien innerhalb einer fünftägigen Nachfrist geleistet worden, erklärte das Unternehmen. Die fraglichen Inlandsanleihen wurden im Mai 2023 begeben, wenige Monate später geriet Country Garden bei Auslandsanleihen in Höhe von zehn Milliarden Euro in Verzug.

Der überhitzte Immobilienmarkt, der für ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts steht, ist seit Jahren in der Krise. Ein Gericht in Hongkong hatte Ende Januar die Abwicklung von China Evergrande angeordnet, der am höchsten verschuldeten Immobiliengesellschaft der Welt.

Country Garden ist gemessen an der Zahl seiner Immobilienprojekte in China fast viermal so groß wie China Evergrande, hat aber weniger Schulden: Ende Juni 2023 standen Verbindlichkeiten von umgerechnet rund 180 Milliarden Euro in den Büchern, von denen gut 14 Milliarden Euro in den nächsten zwölf Monaten zur Rückzahlung anstehen. rtr

  • Immobilienkrise
  • Schulden

Billigmode: Darum strebt Shein ausgerechnet in London an die Börse

Die USA hatten sich noch bei einem Börsengang des Mode-Versenders Shein in New York quergestellt: Der Verdacht von Zwangsarbeit stand im Raum. Jetzt intensiviert der chinesische Billigmode-Spezialist Insidern zufolge seine Bemühungen um eine Notierung in London. Der für günstige und schnell wechselnde Kollektionen bekannte Online-Händler wolle noch in diesem Monat die chinesischen Behörden über die Planänderung informieren und den Antrag bei der Londoner Börse LSE einreichen, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Nach früheren Aussagen anderer Insider hatte Shein Ende 2023 vertraulich einen Börsengang in den USA beantragt. Die in China gegründete und nun in Singapur ansässige Firma steht allerdings im Verdacht, für die Produktion ihrer Modeartikel auch auf Zwangsarbeit zu setzen. Kritik erntet sie außerdem für die Praxis, die Waren direkt aus China an ausländische Kunden zu versenden. Dadurch umgeht das Unternehmen Importzölle.

Für die LSE wäre ein Shein-IPO ein großer Erfolg, nachdem zuletzt mehrere Börsenaspiranten dem Finanzplatz London die kalte Schulter gezeigt hatten. Shein, einer der größten Player im viel kritisierten Fast-Fashion-Markt, wird früheren Aussagen von Insidern zufolge mit mehr als 66 Milliarden Dollar bewertet. rtr

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Presseschau

USA-China: Biden läutet nächste Phase des Handelskrieges ein FAZ
USA wollen 100-Prozent-Zoll auf chinesische Elektroautos FAZ
EVP-Fraktionsvorsitzender Weber fordert Schutzzölle auf chinesische Produkte UNTERNEHMEN HEUTE
Chinas Präsident Xi in Europa: Ein Erfolg, der keiner war DW
US-Zerstörer kreuzt Südchinesisches Meer: China reagiert scharf DIE PRESSE
US-Geheimdienste alarmiert: Russland könnte China bei einer Taiwan-Invasion unterstützen MERKUR
Malediven wagen den Balanceakt: Der Inselstaat sucht einen Mittelweg zwischen China und Indien NZZ
Der bedenkliche Einfluss Chinas und der USA auf die europäische Energiewirtschaft TELEPOLIS
Chinese companies win more bids to explore for Iraq oil and gas REUTERS
China-First-Strategie bereitet Sorgen – Krisenstimmung bei EU-Firmen: China-Flaute sorgt für Pessimismus auf Rekordniveau RND
Europäische Unternehmen verlieren Vertrauen in China als Investitionsziel TELEPOLIS
Chinas Gen Z fehlt die Gewissheit auf eine bessere Zukunft ZEIT
Santorinis Doppelgänger: China kopiert Griechen-Insel T-ONLINE
Deepfakes von Verstorbenen sind der Renner in China GOLEM

Standpunkt

Konfuzius-Institute sind unser Trainingsfeld für Chinakompetenz 

Von Linus Schlüter
Linus Schlüter ist Projektkoordinator zum Aufbau regionaler Chinakompetenz in Thüringen.

Nach der Publikation der FES-Studie “Kommunen: Kernstück deutscher China-Politik” und dem Standpunkt “China ist offener, als es den Anschein hat” von Benjamin Creutzfeldt entbricht wieder der Streit: Darf man mit China zusammen arbeiten? Wie repressiv sind staatliche Akteure in der VR China und wie halten wir die akademische Freiheit offen? Als Paradebeispiel von Abhängigkeit und Einflussnahme werden die Konfuzius-Institute gerne genannt. 

Creutzfeldt als Geschäftsführer des Konfuzius-Instituts Leipzigs plädiert für einen Austausch mit China – “Cancel Culture” bringe nichts. Auch in der FES-Studie (S. 27) werden die Konfuzius-Institute als unterschätzte Chance hervorgehoben, die einen gesellschaftlichen Bedarf decken, der sonst nicht bedient wird. 

Denn China-Kompetenzen fallen ja nicht vom Himmel und müssen trainiert und erprobt werden. Und diese Funktion können an unseren Hochschulen die Konfuzius-Institute übernehmen.

Beste Trainingslager

Wo sind denn unsere Trainingslager für Chinakompetenz? Für die “Vollsinologen” ist es das Studienfach und der Aufenthalt im chinesischsprachigen Ausland. Wir werden aber nun nicht Spitzenforschende aus den MINT-Fächern für einen mehrjährigen Aufenthalt in China gewinnen. Statt gleich in einem Hochtechnologiefeld eine Kooperation einzufädeln, bieten Konfuzius-Institute ein Trainingsfeld hier in Deutschland in unkritischen Bereichen: Es geht “nur” um Spracherwerb, kulturelle Veranstaltungen, Austauschformate und Vortragsreihen. In den Instituten können wir uns auf deutschem Boden unter deutschem Recht ausprobieren und testen: 

  • Was passiert, wenn ich an rote Linien der chinesischen Seite stoße?
  • Zu welchem Preis hält man Gesprächs- und Austauschkanäle offen?
  • Welche Argumente bringt die chinesische Seite und wie gehe ich mit diesen um?
  • Wie gelingt es in einer Kooperation mit China “unsere” Werte zu wahren? 

Die chinesischen Partner an den Konfuzius-Instituten, in der Regel renommierte Hochschulen, mit denen wir ja im Austausch sein wollen, können sich nicht einfach zurückziehen, wenn es schwierig wird. Die Entwicklungen an den Instituten Düsseldorf, Erfurt und Frankfurt/Main zeigen den Willen auf chinesischer Seite, möglichst kein Institut zu schließen. Sitzen wir nicht am längeren Hebel und können uns in Chinakompetenz üben?

Vieles ist möglich

Am Konfuzius-Institut Leipzig haben trotz Sanktionen Merics-Referenten vorgetragen. Im Chai-Filmfestival werden Dokumentarfilme mit sozialkritischen Inhalten gezeigt und auch eine Lesung zu Xi Jinping hat stattgefunden. Vieles ist möglich, ohne den Partner zu verärgern. Aber in jeder Partnerschaft gilt es Optionen auszuloten und Kompromisse, die für beide Seiten tragbar sind, auszuhandeln. 

Selbstverständlich dürfen wir die bodenständige sinologische Ausbildung und Lehre nicht an die Konfuzius-Institute auslagern – dann sind wir in einer Abhängigkeit; sie sollten und dürfen nur Zusatz und institutionalisiertes Trainingslager sein! 

Wenn wir es im Trainingslager “Konfuzius-Institut” nicht schaffen, eine Kooperation auf Augenhöhe und eine Strategie für die Bewahrung “unserer Werte” zu entwickeln – dann erst müsste als Quintessenz folgen: Keine Kooperationen und keinen Austausch an irgendeiner Hochschule mehr mit China! 

Linus Schlüter ist Projektkoordinator zum Aufbau regionaler Chinakompetenz in Thüringen (ChinaKooP) und ehemals Geschäftsführer Konfuzius-Institut Leipzig.

  • China-Kompetenz
  • Deutschland
  • Konfuzius-Institute
  • MINT

Personalien

Nell Shi ist seit April für das Supply Chain Management China, Asia and Europe beim Reifenhersteller Zhongce Europe verantwortlich. Die gebürtige Shanghaierin ist seit 15 Jahren im Lieferketten-Management tätig. Ihr neuer Einsatzort ist Karlsruhe.  

Hannah Davis ist seit April bei Merck zuständig für die Bereiche Business Operations Support, Healthcare China & International. Davis arbeitet seit fast 20 Jahren für das Pharma-Unternehmen aus Darmstadt. Sie bleibt zusätzlich in ihrer bisherigen Rolle als Executive Assistant des Regional Vice President Europe. 

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

Hüllenlose Staatsdiener

裸官 – luǒguān – “Nackte Beamte”

China hat ein Problem mit nackten Kadern! Sollten Sie jetzt spontan an FKK im NVK denken (um Himmelswillen!), muss ich Sie mental zackig zurückpfeifen. Denn bei den hüllenlosen Staatsdienern, von denen hier die Rede ist, handelt es sich allenfalls um Einzelfälle, keine nudistische Massenbewegung also. Außerdem ziehen in diesem Szenario natürlich auch nicht wirklich reihenweise Beamte blank. Es geht vielmehr um Adams- und Evakostümchen im übertragenen Sinne.

Um Licht ins Textildunkel zu bringen: 裸官 luǒguān (von 裸 luǒ wie in 裸体 luǒtǐ “nackt” + 官 guān “Beamter, Staatsbediensteter, Kader”) ist das spöttische Sprachlabel, das sich im Mandarin für einen bestimmten Schlag von Staatsdienern durchgesetzt hat. Gemeint sind windige Funktionäre, die Familie und Vermögen vorsorglich im Ausland parken, um Kind und Kegel dem potenziellen Zugriff von Behörden zu entziehen und sich im Bedarfsfall reibungslos ins Ausland abseilen zu können. Während Partner(in) und Sprösslinge teils sogar eine ausländische Staatsangehörigkeit annehmen, halten die Amtsträger in der Heimat wacker die Stellung. Natürlich auf lukrativem Posten, etwa in Regierungsbehörden, Staatsunternehmen oder beim Militär. Grund für den Strip im Inland: Nacktkader haben meist keine weiße Weste, sprich sind in krumme Geschäfte und Korruption verstrickt.  

Nackte Hochzeit

Natürlich sind solche finanziell frivolen FKK-Funktionäre der kommunistischen Führung ein Dorn im Auge, weil sie den Unmut der Bevölkerung auf sich ziehen. Man versucht daher dieser falsch verstandenen Freizügigkeit vor allem auf den unteren Ebenen einen Riegel vorzuschieben, zum Beispiel durch eine verstärkte Kontrolle von Geldströmen ins Ausland und Reiseaktivitäten.

Der Nacktkader ist allerdings längst nicht das einzige textilfreie Trendwort, das sich im chinesischen Alltagswortschatz räkelt. Vor einigen Jahren brachte es schon die “Nackthochzeit” zu sprachlicher Berühmtheit. Während man sich in manchen Teilen der Welt (zum Beispiel in Österreich, wie eine rasche Google-Recherche verrät) tatsächlich schon nackig das Jawort gab, führt das chinesische Schlagwort schon wieder auf eine falsche Fährte. Denn in China heißt Nacktheirat (裸婚 luǒhūn) lediglich, ohne die übliche finanzielle Grundausstattung in den Bund der Ehe zu stolpern (sprich ohne 房子、车子、票子 fángzi, chēzi, piàozi – Bude, Karre und Moneten).

Unbekleidet durch den Alltag

In Deutschland leistete übrigens Autor Sven Hänke schon 2015 linguistische Aufklärungsarbeit durch sein Buch “Nackte Hochzeit”. In der humorvollen, autobiografischen Erzählung schildert der “nackte Bräutigam” aus der Bundesrepublik augenzwinkernd seine Erfahrungen im Umgang mit der angeheirateten chinesischen Großfamilie.

Einige weitere verschämte Vokabeln mit dem Zeichen 裸 luǒ, die unbekleidet durch die Alltags- und Internetsprache huschen, sind:

  • 裸奔 luǒbēn – nacktrennen (= flitzen / blitzen / nackt durch die Öffentlichkeit rennen)
  • 裸岩 luǒyán – nackte Felsen (= blanke / karge Felsen)
  • 裸线 luǒxiàn – nackte Kabel (= nicht isolierte / blanke Kabel)
  • 裸机 luǒjī – nackte Geräte (z.B. Computer ohne jegliche Software oder ein Handy ohne Vertrag)
  • 裸贷 luǒdài – Nacktkredit (= ein Kredit ohne Sicherheiten)
  • 裸辞 luǒcí – nackte Kündigung (= Kündigung ohne Anschlussjob in Aussicht)
  • 裸退 luǒtuì – Nacktrücktritt (= völliger Rückzug aus einem Amt ohne Folgeposition)
  • 裸聊 luǒliáo – Nacktquatschen (= schlüpfriger Videochat)

Keine Freikörperkultur

Freikörperkultur, erst recht im Geschlechtermix, wird man in China dagegen vergeblich suchen. Splitterfasernackte Tatsachen (赤裸裸 chìluǒluǒ  “splitternackt”)  gehören in China nämlich nicht in den öffentlichen Raum. Bezeichnend, dass auch das Zeichen für “nackt” selbst äußerst verklausuliert daherkommt. Es ist eine blumige Kombination aus dem Bedeutungshinweis 衤 für “Kleidung / Bedeckung / Haut” und der lautlichen Komponente 果 guǒ für “Frucht, Resultat”. Nacktheit also als das, was bleibt, wenn man eine Frucht aus der Schale gepellt hat.

Wenn Sie als Frau im chinesischen Alltag übrigens etikettenmäßig auf der sicheren Seite sein wollen, hilft beim Griff in den Kleiderschrank die Faustregel “Beinfreiheit statt Brustfreiheit”. Denn während es in China durchaus üblich ist, dass frau in U-Bahn und Fußgängerzone lässig Bein zeigt (露腿 lòutuǐ – Bein zeigen), sorgen tiefe Ausschnitte, rückenfreie Tops und blanke Schultern in der Rushhour wohl für Blicktumulte. Denn: Chinas Beinfreiheit umfasst eben keine Schlüsselbeine.

Alternativ taugt hier als kleine Eselsbrücke vielleicht auch eine Gegenüberstellung von deutschem Dirndl (traditionell bekanntlich mit üppigem Dekolleté, dafür aber knielangem Rock) und chinesischem Qipao-Etuikleid (mit hoch auslaufendem, seitlichem Beinschlitz, nach oben hin aber sehr zugeknöpft). Wer sich keine Blöße geben will, für den gilt eben auch in Sachen Kleiderwahl: “In Rome do as the Romans do” – oder auf Chinesisch 入乡​随俗 (rùxiāng-suísú).

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese, wo es jetzt ein ganz neues Kursformat für Einsteiger gibt – für alle, die endlich mit Spaß und Struktur Chinesisch lernen wollen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Wladimir Putin reist diese Woche erneut nach China. In keinem anderen Land ist er so willkommen wie beim Autokraten-Kollegen Xi Jinping. Dabei äußern sich zahlreiche chinesische Wissenschaftler zuletzt ausgesprochen kritisch über Russland und seine langfristigen Erfolgsaussichten. Christiane Kühl löst in ihrer Analyse den Widerspruch auf: Unterm Strich überwiegen aus Sicht Xis eben die Vorteile, wenn Russland sich selbst und den Westen schwächt. Und ein Wort Xis bedeutet in China: Ende der Debatte.

    Peter Schmid ist Chef von Visable, einem Internetunternehmen, in das der Internetgigant Alibaba eingestiegen ist. Visable betreibt die Plattformen “Wer liefert was” und “Europages für europäische KMUs” für Firmen, die mit Firmen in Kontakt treten wollen (B2B). Im Interview mit Amelie Richter erzählt Schmid davon, was sich seit der Übernahme durch das chinesische Unternehmen geändert hat – und wie groß und klein doch noch zusammenpassen.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    Warum Chinas Forschende Russland kritisch sehen und trotzdem auf Kooperation setzen

    Bald ist es wieder soweit: Xi und Putin beim Handshake im Oktober 2023 auf dem Belt and Road-Forum in Peking.

    Wladimir Putin reist nach China – wieder einmal. Nur wenige Tage nach seiner Europa-Reise trifft sich Staatschef Xi Jinping also mit jenem Mann, von dem ihn die Europäer – zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – gern loseisen würden. Bislang ohne Erfolg.

    Chinas offizielle Äußerungen zu Russland verändern sich nicht. Trotzdem läuft zumindest in akademischen Kreisen weiter eine Debatte über Russlands Angriff auf die Ukraine und die chinesische Haltung dazu. Kürzlich überraschte einer der schärfsten Russland-Kritiker mit einem Gastbeitrag für das britische Magazin Economist: Der Pekinger Politikprofessor Feng Yujun prognostizierte darin eine Niederlage Russlands. Die anhaltende westliche Unterstützung und der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Ukraine würden dazu führen, dass Russland “zu gegebener Zeit” alle besetzten Gebiete werde räumen müssen.

    Von Beginn der Invasion an hatte Feng immer wieder argumentiert, dass Russlands Einmarsch in die Ukraine ungerechtfertigt und von imperialer Gier motiviert sei – und dass eine zu enge Zusammenarbeit mit Moskau in dieser Frage ein strategischer Fehler für China sei. “Die Beziehungen Chinas zu Russland sind nicht festgelegt”, so Feng. China habe sich bereits von der ‘No Limits’-Freundschaft zu Russland verabschiedet und sei zu traditionellen Grundsätzen der Blockfreiheit und Nicht-Konfrontation zurückgekehrt.

    Chinas Akademiker: Misstrauen und Kritik an Moskau

    Der Forscher ist mit seiner Kritik an Russland kein Einzelfall. “Fengs Misstrauen und seine Kritik an Moskau sind in den meisten meiner Gespräche mit chinesischen Wissenschaftlern deutlich geworden, wenn auch in milderer Form”, meint Thomas des Garets Geddes, der ausgewählte Aufsätze chinesischer Wissenschaftler übersetzen lässt und in seinem Newsletter Sinification publiziert.

    Auch Mark Leonard vom European Council of Foreign Relations (ECFR) war Ende 2022 auf einer Konferenz in Peking mit mehreren Wissenschaftlern ins vertrauliche Gespräch gekommen. “Die ambivalenten Gefühle der Chinesen gegenüber den Russen waren sehr auffällig“, erzählte er im vergangenen Juli auf einem Webinar zur Vorstellung einer damals erschienenen ECFR- Studie zum Thema. Teilweise sei gar eine gewisse Verachtung deutlich geworden.

    Nur sollte das dem Westen nicht allzu viel Hoffnung machen. Feng Yujun gibt mit seiner Warnung vor einem engen Verhältnis zu Russland nicht die Mehrheitsmeinung unter chinesischen Politologen wieder. “Es ist durchaus üblich, dass chinesische Analysten Kritik und Misstrauen gegenüber Moskau äußern und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung enger Beziehungen zum Kreml plädieren“, sagte Geddes zu Table.Briefings. “Dies mag auf den ersten Blick etwas widersprüchlich erscheinen, spiegelt aber lediglich wider, dass Chinas nationale Interessen Vorrang vor allem anderen haben.”

    Chinas Falken fordern engere Allianz mit Russland

    Dazu gehört, dass Peking weiter glaubt, Russland als Verbündeten gegen die ungeliebte westlich dominierte Weltordnung zu brauchen. Manche Akademiker stehen daher zu Russland ohne Wenn und Aber. Wang Xiushui etwa von der Luftfahrt-Universität in Peking und ehemaliger Oberst der Luftwaffe fordert in einem aktuellen von Geddes übersetzten Text: “Die Beziehungen Pekings zu Moskau müssen im Zentrum von Chinas diplomatischer Strategie bleiben.” In einer Welt, in der das Gesetz des Dschungels gelte, müssten China und Russland zu “unschlagbaren Gegnern” der USA werden. Nur dann würden sie den Respekt des Westens gewinnen.

    Wang sieht den Ukraine-Krieg als “Kampf der Kulturen” (文明的冲突), der in einem längerfristigen Rahmen betrachtet werden müsse: “Aus der Perspektive der entstehenden globalen Landschaft betrachte glaube ich, dass der russisch-ukrainische Konflikt die Eröffnungsschlacht für eine multipolare Welt ist” (多极世界的揭幕之战). Das Wort “Krieg” verwendet er in seinem Beitrag nicht. Die vorherrschende Meinung unter Chinas etablierten Intellektuellen liege irgendwo zwischen Feng Yujun und Wang Xiushui, sagt Geddes.

    Komersant vermutet chinesische Distanz

    Interessant ist ein kurzer Blick auf Russland. Denn Maxim Jusin, Kolumnist der russischen Wirtschaftszeitung Komersant, hält Fengs Economist-Gasteitrag nämlich durchaus für ein Signal. “Wenn man weiß, wie die chinesische Gesellschaft organisiert ist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass der Professor, der diesen Artikel verfasst hat, auf eigenes Risiko und ohne die Unterstützung der verantwortlichen Genossen in Peking gehandelt hat”, schreibt er. Eine Antwort darauf gibt es nicht.

    Chinas Friedensinitiativen zur Lösung des Ukraine-Konflikts aber stimmen laut Jusin “überhaupt nicht” mit den Maximalforderungen der russischen Seite überein. Peking fordere eine Einstellung der Feindseligkeiten, ja sogar ein Einfrieren des Konflikts, so Jusin, “erwähnt aber mit keinem Wort die Entmilitarisierung der Ukraine, die Entnazifizierung oder einen Regimewechsel in Kiew.” Das alles aber sind zentrale Forderungen des Kreml, und deshalb sieht Jusin eine größere Distanz Chinas zu Russland, als sie im Westen wahrgenommen wird.

    Chinas Akademiker: Vielschichtiger als die Regierung

    Über lautstarke Forderungen chinesischer Akademiker etwa nach Waffenlieferungen oder gar eine militärische Unterstützung Russlands ist derweil nichts bekannt. Der China-Experte Thomas Eder vom Austrian Institute for International Affairs hat sich mehrere chinesische Plattformen für Expertendiskussionen zur Außenpolitik angesehen (aisixiang.com, cfisnet.com und cn.chinausfocus.com) und festgestellt, dass die Akademiker dort generell zu Vorsicht, Ausgewogenheit und Kontinuität raten. Diese Zurückhaltung der außenpolitischen Eliten mäßige auch die Regierung, meint er.

    Chinesische Wissenschaftler bezeichneten auf den Plattformen “die Zusammenarbeit mit Moskau in internationalen Organisationen als wichtig und Russland als Schlüssel für ein ‘globales strategisches Gleichgewicht'”. Viele argumentierten aber auch, dass Russlands Vorgehen den Interessen Chinas schade, so Eder. “Sie beschreiben Russland als ein potenziell größeres Problem für die Beziehungen zwischen China und der EU als die USA.”

    Auch werde auf den Plattformen die strategische Bedeutung der EU für China im Kontext des Wettbewerbs mit den USA als “nicht geringer als die von Russland” bezeichnet. Wenn das stimmt, sollte die Regierung auf Feng Yujun hören: “Peking muss verhindern, dass der Westen und andere Teile der Welt ihre Unzufriedenheit mit Russland auf China abwälzen”, schreibt er im Economist. Denn das droht derzeit vor allem in Europa.

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    Interview

    CEO des Alibaba-Tochterunternehmens Visable: “China ist hardcore marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert”

    Peter Schmid ist Chef von Visable, einer Tochter des Internetgiganten Alibaba.

    Seit gut sechs Monaten ist Visable jetzt unter dem Dach von Alibaba. Wie ist Ihr bisheriger Eindruck? 

    Alibaba ist, verglichen mit uns, natürlich ein riesiges Unternehmen. Wir haben 500 Mitarbeiter und sind im Vergleich doch eine kleine Firma. Wenn Großkonzern und Mittelstand aufeinandertreffen, dann gibt es schon interessante Situationen. 

    Und zwar? 

    Alibaba hätte gerne 20 unserer Mitarbeiter in China gehabt, für zwei Wochen. Das kostet mit Flugtickets und Unterkunft mehrere hunderttausend Euro. Als Mittelständler ist das finanziell nicht so einfach zu stemmen wie für einen großen Konzern. Da müssen sich das Große und das Kleine noch etwas aneinander gewöhnen. Auch bei neuen Ideen: Wenn Alibaba für unsere Zusammenarbeit zehn neue Ideen hat, müssen wir oft sagen ‘Super, das ist total gut, wir können in unseren Teams aber erstmal nur drei Ideen angehen’. Ich würde sagen, das ist aber alles nicht China-spezifisch, sondern eher der unterschiedlichen Größe der Unternehmen geschuldet.  

    Wie läuft die Zusammenarbeit bei Know-how und Technologie?

    Der europäische Markt ist ein völlig anderer als der chinesische. Man muss zunächst ganz klar sagen: Dass Alibaba bei uns eingestiegen ist, liegt auch daran, dass sie es selbst mit einer Plattform probiert haben in Europa und diese noch nicht erfolgreich war. Wir kennen uns auf dem europäischen Markt aus und sind etabliert. Alibaba hat aber technologisches Know-how, das einige unserer Vorgänge nochmal beschleunigen und Services verbessern kann. Auch beim Thema Onlinemarketing lernen wir dazu, etwa wie KI in den Abläufen eingesetzt werden kann. 

    Gab es denn etwas, dass Sie bei der chinesischen Herangehensweise überrascht hat? 

    Das ist weniger Alibaba-spezifisch, sondern generell: Wie gehe ich mit der Deadline bei Projekten um? In der Tech-Welt arbeiten wir agil, mit dynamischen Zielen, das finde ich einerseits toll. Bei der Einhaltung von Deadlines sehe ich bei der chinesischen Seite allerdings etwas mehr Commitment. Ich muss sagen, das beeindruckt mich. Die chinesische Seite ist da sehr diszipliniert und präzise. Andererseits finden selten Termine mit weniger als zehn Teilnehmer statt. Das ist dann weniger effizient. Was ich ebenfalls interessant finde, wie wettbewerbsgetrieben dieses Land im Bereich Internet ist und auch wie innovativ: hardcore marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert. Und dabei ist ja eigentlich Europa der marktwirtschaftliche Kontinent.

    Visable baut ja auch in China auf. Wie ist da der Stand?

    Ich möchte betonen, dass wir in China wegen des Know-hows und der Talente sind, nicht um Kosten zu sparen. In Deutschland denken viele immer noch, China bedeute Outsourcing. Die Gehälter in Hangzhou, wo Alibaba sitzt, oder auch Shanghai liegen bei den gut ausgebildeten Leuten, die wir brauchen, mindestens auf deutschem Niveau, wenn nicht sogar darüber. Wir haben dort Softwareentwickler, aber wir planen nicht, dort ein Geschäft aufzubauen. Was wir schon planen, ist ein europäischer Champion, mit Mitarbeitern in ganz Europa, nun auch in Italien und Spanien, die an die Größe von Alibaba in China herankommt. Wir wollen auf unseren Plattformen Einkäufer aus der ganzen Welt für europäische Mittelständler, das ist schon unsere Zielsetzung.

    Die Bundesregierung hat die Übernahme von Visable gut sechs Monate geprüft. Gibt es jetzt bestimmte Regeln, an die Sie sich halten müssen bei der Zusammenarbeit?

    Das wurde sehr intensiv geprüft, auch in der Anhörung. Ich war selbst vor Ort im Wirtschaftsministerium und es war klar, dass es Einschränkungen auf der Datenseite geben wird. Diese müssen bei uns bleiben. Das haben wir natürlich von Anfang an zugesichert, schon aus Eigeninteresse. Das zweite war die Art der Zusammenarbeit: Wir erlauben den Leuten von Alibaba keinen Zugriff auf unseren Code, weil das natürlich unser Eigentum ist. Andersrum ist das auch so. Man muss zugleich sagen: Alibaba ist selbst extrem sensibel. 

    Was steht auf der Agenda für die nächsten sechs Monate? 

    Wir wollen unsere chinesische Firma ausbauen. Wir haben dort jetzt 25 Mitarbeiter, da wollen wir bis Ende des Jahres 40 sein. Wir haben ins Managementteam einen chinesischen Kollegen aufgenommen, der bisher als CTO bei Miravia in Madrid arbeitete und der jetzt mit seiner Familie nach Hamburg ziehen wird. Wenn wir so viele Mitarbeiter in China haben, ist es wichtig, jemanden im Management zu haben, der die Sprache spricht. Wir werden außerdem ein Büro in Italien eröffnen und planen ein weiteres in Madrid. Auf Produktseite wollen wir die Software auf ein ganz neues Level und neue Produkte auf die Plattform bringen. Ich werde im Sommer wieder nach China reisen, die Zusammenarbeit vor Ort intensivieren und neue Eindrücke vor Ort sammeln. Diese sind sehr wichtig. Denn das Bild von China in Deutschland ist nicht falsch, aber es ist auch nicht vollständig.

    Peter F. Schmid ist seit August 2012 CEO und geschäftsführender Gesellschafter bei Visable (davor “Wer liefert was”). Nach seinem BWL-Studium an der LMU in München arbeitete er zunächst als Brandmanager bei Procter & Gamble. Anfang 1999 wechselte er dann kurz nach der Gründung zum Internetfahrzeugmarkt Autoscout24, später zu eBay Classifieds und dann zu mobile.de. Zwischenzeitlich war der Geschäftsführer der Online-Partnervermittlung Parship. 

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    News

    Warum BYD ein zweites Werk in Europa plant

    Der chinesische Elektroautobauer BYD erwägt den Bau eines zweiten Montagewerks in Europa. Europa-Chef Michael Shu sagte bei einer Veranstaltung in London, das sei ein Thema für das kommende Jahr. Bis Ende des Jahrzehnts wolle BYD ein führender Elektroautoanbieter in Europa sein. Ein Grund für den Schritt dürfte sein, die von der EU-Kommission angestrebten Strafzölle auf E-Auto-Importe aus der Volksrepublik zu umgehen. Denn wenn BYD in Europa produziert, fallen diese Strafzölle nicht an.

    Wo genau das zweite Werk entstehen soll, teilte Shu nicht mit. BYD hat erst im Dezember den Bau eines Werkes in Ungarn angekündigt und ist damit der erste große chinesische Elektroautobauer mit einer eigenen Produktionsstätte in Europa.

    Zugleich kündigte Shu an, das Modell Seagull auf den europäischen Markt zu bringen. Die europäische Version des Fahrzeugs solle für weniger als 20.000 Euro erhältlich sein. Elektroautos kosten im Schnitt ungefähr ein Drittel mehr als vergleichbare Verbrennerfahrzeuge, vor allem wegen der hohen Kosten für die Batterie – was es schwierig macht, entsprechend günstige Fahrzeuge zu produzieren. rtr/flee

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    Wird Biden kommende Woche Zölle auf chinesische Elektroautos verhängen?

    US-Präsident Joe Biden könnte Insidern zufolge kommende Woche neue Zölle auf Elektroautos und andere Produkte aus China verhängen. Das “Wall Street Journal” berichtete am Freitag, Biden werde die Zölle auf chinesische E-Fahrzeuge von 27,5 Prozent auf etwa 100 Prozent fast vervierfachen. Stellungnahmen der Regierungen in Washington und Peking lagen zunächst nicht vor.

    Neben Elektroautos dürften auch Halbleiter, Stahl und Solaranlagen betroffen sein. Das Niveau der Abgaben werde sich im Großen und Ganzen allerdings nicht ändern, hieß es. Insidern zufolge werden die US-Handelseinschränkungen gegen China auch medizinische Güter betreffen. Dazu gehörten Spritzen und Schutzausrüstung, wie die Nachrichtenagentur Reuters von zwei mit der Sache vertrauten Personen erfuhr.

    Die Maßnahmen seien Teil einer Strategie, um die USA vor Lieferengpässen zu schützen, hieß es. Diese waren während der Covid-Pandemie aufgetreten. Die Einfuhren von Spritzen aus China hatten 2021 mit 348 Millionen Dollar ihren Höhepunkt erreicht, wie aus Daten des US-Statistikamtes hervorgeht. Seitdem sind sie auf etwa 167 Millionen Dollar im vergangenen Jahr gefallen.

    Der Demokrat Biden hat öffentlich beteuert, keinen Handelskrieg mit China zu wollen, und lehnt Zölle auf breiter Basis ab, wie sie sein republikanischer Vorgänger Donald Trump fordert. Vertreter des Präsidialamts befürchten, dass ein derartiges Vorgehen zu holzschnittartig sei und lediglich die Inflation nach oben treibe. Das Präsidialamt und das Büro des Handelsbeauftragten lehnten eine Stellungnahme ab. Als Erstes hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg über die Zollpläne berichtet. rtr

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    Immobilienblase: So rettet sich Country Garden vor seinen Gläubigern

    Der verschuldete chinesische Immobilienentwickler Country Garden hat mit leichter Verspätung wichtige Zinszahlungen geleistet. Couponzahlungen von umgerechnet 8,5 Millionen Euro auf Anleihen seien innerhalb einer fünftägigen Nachfrist geleistet worden, erklärte das Unternehmen. Die fraglichen Inlandsanleihen wurden im Mai 2023 begeben, wenige Monate später geriet Country Garden bei Auslandsanleihen in Höhe von zehn Milliarden Euro in Verzug.

    Der überhitzte Immobilienmarkt, der für ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts steht, ist seit Jahren in der Krise. Ein Gericht in Hongkong hatte Ende Januar die Abwicklung von China Evergrande angeordnet, der am höchsten verschuldeten Immobiliengesellschaft der Welt.

    Country Garden ist gemessen an der Zahl seiner Immobilienprojekte in China fast viermal so groß wie China Evergrande, hat aber weniger Schulden: Ende Juni 2023 standen Verbindlichkeiten von umgerechnet rund 180 Milliarden Euro in den Büchern, von denen gut 14 Milliarden Euro in den nächsten zwölf Monaten zur Rückzahlung anstehen. rtr

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    Billigmode: Darum strebt Shein ausgerechnet in London an die Börse

    Die USA hatten sich noch bei einem Börsengang des Mode-Versenders Shein in New York quergestellt: Der Verdacht von Zwangsarbeit stand im Raum. Jetzt intensiviert der chinesische Billigmode-Spezialist Insidern zufolge seine Bemühungen um eine Notierung in London. Der für günstige und schnell wechselnde Kollektionen bekannte Online-Händler wolle noch in diesem Monat die chinesischen Behörden über die Planänderung informieren und den Antrag bei der Londoner Börse LSE einreichen, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen.

    Nach früheren Aussagen anderer Insider hatte Shein Ende 2023 vertraulich einen Börsengang in den USA beantragt. Die in China gegründete und nun in Singapur ansässige Firma steht allerdings im Verdacht, für die Produktion ihrer Modeartikel auch auf Zwangsarbeit zu setzen. Kritik erntet sie außerdem für die Praxis, die Waren direkt aus China an ausländische Kunden zu versenden. Dadurch umgeht das Unternehmen Importzölle.

    Für die LSE wäre ein Shein-IPO ein großer Erfolg, nachdem zuletzt mehrere Börsenaspiranten dem Finanzplatz London die kalte Schulter gezeigt hatten. Shein, einer der größten Player im viel kritisierten Fast-Fashion-Markt, wird früheren Aussagen von Insidern zufolge mit mehr als 66 Milliarden Dollar bewertet. rtr

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    Presseschau

    USA-China: Biden läutet nächste Phase des Handelskrieges ein FAZ
    USA wollen 100-Prozent-Zoll auf chinesische Elektroautos FAZ
    EVP-Fraktionsvorsitzender Weber fordert Schutzzölle auf chinesische Produkte UNTERNEHMEN HEUTE
    Chinas Präsident Xi in Europa: Ein Erfolg, der keiner war DW
    US-Zerstörer kreuzt Südchinesisches Meer: China reagiert scharf DIE PRESSE
    US-Geheimdienste alarmiert: Russland könnte China bei einer Taiwan-Invasion unterstützen MERKUR
    Malediven wagen den Balanceakt: Der Inselstaat sucht einen Mittelweg zwischen China und Indien NZZ
    Der bedenkliche Einfluss Chinas und der USA auf die europäische Energiewirtschaft TELEPOLIS
    Chinese companies win more bids to explore for Iraq oil and gas REUTERS
    China-First-Strategie bereitet Sorgen – Krisenstimmung bei EU-Firmen: China-Flaute sorgt für Pessimismus auf Rekordniveau RND
    Europäische Unternehmen verlieren Vertrauen in China als Investitionsziel TELEPOLIS
    Chinas Gen Z fehlt die Gewissheit auf eine bessere Zukunft ZEIT
    Santorinis Doppelgänger: China kopiert Griechen-Insel T-ONLINE
    Deepfakes von Verstorbenen sind der Renner in China GOLEM

    Standpunkt

    Konfuzius-Institute sind unser Trainingsfeld für Chinakompetenz 

    Von Linus Schlüter
    Linus Schlüter ist Projektkoordinator zum Aufbau regionaler Chinakompetenz in Thüringen.

    Nach der Publikation der FES-Studie “Kommunen: Kernstück deutscher China-Politik” und dem Standpunkt “China ist offener, als es den Anschein hat” von Benjamin Creutzfeldt entbricht wieder der Streit: Darf man mit China zusammen arbeiten? Wie repressiv sind staatliche Akteure in der VR China und wie halten wir die akademische Freiheit offen? Als Paradebeispiel von Abhängigkeit und Einflussnahme werden die Konfuzius-Institute gerne genannt. 

    Creutzfeldt als Geschäftsführer des Konfuzius-Instituts Leipzigs plädiert für einen Austausch mit China – “Cancel Culture” bringe nichts. Auch in der FES-Studie (S. 27) werden die Konfuzius-Institute als unterschätzte Chance hervorgehoben, die einen gesellschaftlichen Bedarf decken, der sonst nicht bedient wird. 

    Denn China-Kompetenzen fallen ja nicht vom Himmel und müssen trainiert und erprobt werden. Und diese Funktion können an unseren Hochschulen die Konfuzius-Institute übernehmen.

    Beste Trainingslager

    Wo sind denn unsere Trainingslager für Chinakompetenz? Für die “Vollsinologen” ist es das Studienfach und der Aufenthalt im chinesischsprachigen Ausland. Wir werden aber nun nicht Spitzenforschende aus den MINT-Fächern für einen mehrjährigen Aufenthalt in China gewinnen. Statt gleich in einem Hochtechnologiefeld eine Kooperation einzufädeln, bieten Konfuzius-Institute ein Trainingsfeld hier in Deutschland in unkritischen Bereichen: Es geht “nur” um Spracherwerb, kulturelle Veranstaltungen, Austauschformate und Vortragsreihen. In den Instituten können wir uns auf deutschem Boden unter deutschem Recht ausprobieren und testen: 

    • Was passiert, wenn ich an rote Linien der chinesischen Seite stoße?
    • Zu welchem Preis hält man Gesprächs- und Austauschkanäle offen?
    • Welche Argumente bringt die chinesische Seite und wie gehe ich mit diesen um?
    • Wie gelingt es in einer Kooperation mit China “unsere” Werte zu wahren? 

    Die chinesischen Partner an den Konfuzius-Instituten, in der Regel renommierte Hochschulen, mit denen wir ja im Austausch sein wollen, können sich nicht einfach zurückziehen, wenn es schwierig wird. Die Entwicklungen an den Instituten Düsseldorf, Erfurt und Frankfurt/Main zeigen den Willen auf chinesischer Seite, möglichst kein Institut zu schließen. Sitzen wir nicht am längeren Hebel und können uns in Chinakompetenz üben?

    Vieles ist möglich

    Am Konfuzius-Institut Leipzig haben trotz Sanktionen Merics-Referenten vorgetragen. Im Chai-Filmfestival werden Dokumentarfilme mit sozialkritischen Inhalten gezeigt und auch eine Lesung zu Xi Jinping hat stattgefunden. Vieles ist möglich, ohne den Partner zu verärgern. Aber in jeder Partnerschaft gilt es Optionen auszuloten und Kompromisse, die für beide Seiten tragbar sind, auszuhandeln. 

    Selbstverständlich dürfen wir die bodenständige sinologische Ausbildung und Lehre nicht an die Konfuzius-Institute auslagern – dann sind wir in einer Abhängigkeit; sie sollten und dürfen nur Zusatz und institutionalisiertes Trainingslager sein! 

    Wenn wir es im Trainingslager “Konfuzius-Institut” nicht schaffen, eine Kooperation auf Augenhöhe und eine Strategie für die Bewahrung “unserer Werte” zu entwickeln – dann erst müsste als Quintessenz folgen: Keine Kooperationen und keinen Austausch an irgendeiner Hochschule mehr mit China! 

    Linus Schlüter ist Projektkoordinator zum Aufbau regionaler Chinakompetenz in Thüringen (ChinaKooP) und ehemals Geschäftsführer Konfuzius-Institut Leipzig.

    • China-Kompetenz
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    • Konfuzius-Institute
    • MINT

    Personalien

    Nell Shi ist seit April für das Supply Chain Management China, Asia and Europe beim Reifenhersteller Zhongce Europe verantwortlich. Die gebürtige Shanghaierin ist seit 15 Jahren im Lieferketten-Management tätig. Ihr neuer Einsatzort ist Karlsruhe.  

    Hannah Davis ist seit April bei Merck zuständig für die Bereiche Business Operations Support, Healthcare China & International. Davis arbeitet seit fast 20 Jahren für das Pharma-Unternehmen aus Darmstadt. Sie bleibt zusätzlich in ihrer bisherigen Rolle als Executive Assistant des Regional Vice President Europe. 

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Zur Sprache

    Hüllenlose Staatsdiener

    裸官 – luǒguān – “Nackte Beamte”

    China hat ein Problem mit nackten Kadern! Sollten Sie jetzt spontan an FKK im NVK denken (um Himmelswillen!), muss ich Sie mental zackig zurückpfeifen. Denn bei den hüllenlosen Staatsdienern, von denen hier die Rede ist, handelt es sich allenfalls um Einzelfälle, keine nudistische Massenbewegung also. Außerdem ziehen in diesem Szenario natürlich auch nicht wirklich reihenweise Beamte blank. Es geht vielmehr um Adams- und Evakostümchen im übertragenen Sinne.

    Um Licht ins Textildunkel zu bringen: 裸官 luǒguān (von 裸 luǒ wie in 裸体 luǒtǐ “nackt” + 官 guān “Beamter, Staatsbediensteter, Kader”) ist das spöttische Sprachlabel, das sich im Mandarin für einen bestimmten Schlag von Staatsdienern durchgesetzt hat. Gemeint sind windige Funktionäre, die Familie und Vermögen vorsorglich im Ausland parken, um Kind und Kegel dem potenziellen Zugriff von Behörden zu entziehen und sich im Bedarfsfall reibungslos ins Ausland abseilen zu können. Während Partner(in) und Sprösslinge teils sogar eine ausländische Staatsangehörigkeit annehmen, halten die Amtsträger in der Heimat wacker die Stellung. Natürlich auf lukrativem Posten, etwa in Regierungsbehörden, Staatsunternehmen oder beim Militär. Grund für den Strip im Inland: Nacktkader haben meist keine weiße Weste, sprich sind in krumme Geschäfte und Korruption verstrickt.  

    Nackte Hochzeit

    Natürlich sind solche finanziell frivolen FKK-Funktionäre der kommunistischen Führung ein Dorn im Auge, weil sie den Unmut der Bevölkerung auf sich ziehen. Man versucht daher dieser falsch verstandenen Freizügigkeit vor allem auf den unteren Ebenen einen Riegel vorzuschieben, zum Beispiel durch eine verstärkte Kontrolle von Geldströmen ins Ausland und Reiseaktivitäten.

    Der Nacktkader ist allerdings längst nicht das einzige textilfreie Trendwort, das sich im chinesischen Alltagswortschatz räkelt. Vor einigen Jahren brachte es schon die “Nackthochzeit” zu sprachlicher Berühmtheit. Während man sich in manchen Teilen der Welt (zum Beispiel in Österreich, wie eine rasche Google-Recherche verrät) tatsächlich schon nackig das Jawort gab, führt das chinesische Schlagwort schon wieder auf eine falsche Fährte. Denn in China heißt Nacktheirat (裸婚 luǒhūn) lediglich, ohne die übliche finanzielle Grundausstattung in den Bund der Ehe zu stolpern (sprich ohne 房子、车子、票子 fángzi, chēzi, piàozi – Bude, Karre und Moneten).

    Unbekleidet durch den Alltag

    In Deutschland leistete übrigens Autor Sven Hänke schon 2015 linguistische Aufklärungsarbeit durch sein Buch “Nackte Hochzeit”. In der humorvollen, autobiografischen Erzählung schildert der “nackte Bräutigam” aus der Bundesrepublik augenzwinkernd seine Erfahrungen im Umgang mit der angeheirateten chinesischen Großfamilie.

    Einige weitere verschämte Vokabeln mit dem Zeichen 裸 luǒ, die unbekleidet durch die Alltags- und Internetsprache huschen, sind:

    • 裸奔 luǒbēn – nacktrennen (= flitzen / blitzen / nackt durch die Öffentlichkeit rennen)
    • 裸岩 luǒyán – nackte Felsen (= blanke / karge Felsen)
    • 裸线 luǒxiàn – nackte Kabel (= nicht isolierte / blanke Kabel)
    • 裸机 luǒjī – nackte Geräte (z.B. Computer ohne jegliche Software oder ein Handy ohne Vertrag)
    • 裸贷 luǒdài – Nacktkredit (= ein Kredit ohne Sicherheiten)
    • 裸辞 luǒcí – nackte Kündigung (= Kündigung ohne Anschlussjob in Aussicht)
    • 裸退 luǒtuì – Nacktrücktritt (= völliger Rückzug aus einem Amt ohne Folgeposition)
    • 裸聊 luǒliáo – Nacktquatschen (= schlüpfriger Videochat)

    Keine Freikörperkultur

    Freikörperkultur, erst recht im Geschlechtermix, wird man in China dagegen vergeblich suchen. Splitterfasernackte Tatsachen (赤裸裸 chìluǒluǒ  “splitternackt”)  gehören in China nämlich nicht in den öffentlichen Raum. Bezeichnend, dass auch das Zeichen für “nackt” selbst äußerst verklausuliert daherkommt. Es ist eine blumige Kombination aus dem Bedeutungshinweis 衤 für “Kleidung / Bedeckung / Haut” und der lautlichen Komponente 果 guǒ für “Frucht, Resultat”. Nacktheit also als das, was bleibt, wenn man eine Frucht aus der Schale gepellt hat.

    Wenn Sie als Frau im chinesischen Alltag übrigens etikettenmäßig auf der sicheren Seite sein wollen, hilft beim Griff in den Kleiderschrank die Faustregel “Beinfreiheit statt Brustfreiheit”. Denn während es in China durchaus üblich ist, dass frau in U-Bahn und Fußgängerzone lässig Bein zeigt (露腿 lòutuǐ – Bein zeigen), sorgen tiefe Ausschnitte, rückenfreie Tops und blanke Schultern in der Rushhour wohl für Blicktumulte. Denn: Chinas Beinfreiheit umfasst eben keine Schlüsselbeine.

    Alternativ taugt hier als kleine Eselsbrücke vielleicht auch eine Gegenüberstellung von deutschem Dirndl (traditionell bekanntlich mit üppigem Dekolleté, dafür aber knielangem Rock) und chinesischem Qipao-Etuikleid (mit hoch auslaufendem, seitlichem Beinschlitz, nach oben hin aber sehr zugeknöpft). Wer sich keine Blöße geben will, für den gilt eben auch in Sachen Kleiderwahl: “In Rome do as the Romans do” – oder auf Chinesisch 入乡​随俗 (rùxiāng-suísú).

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese, wo es jetzt ein ganz neues Kursformat für Einsteiger gibt – für alle, die endlich mit Spaß und Struktur Chinesisch lernen wollen.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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