Table.Briefing: China

Protestwelle + Wahl in Taiwan

  • Heftige Proteste gegen Null-Covid
  • Bericht von der Wulumuqi-Road
  • Taiwans Präsidentin Tsai verliert Midterms
  • Bundeswehr-Munition hängt von China ab
  • USA verbieten Huawei und ZTE
  • Kris Wu zu 13 Jahren Haft verurteilt
  • Ermittlungen gegen Ex-Nationaltrainer
  • Brüssel verhandelt zu Anti-coercion
  • Im Portrait: Technik-Vermittler Jeff Zhou
  • Zur Sprache: Pärchen knuspern
Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Feuer in Urumqi hat einen politischen Flächenbrand in China entzündet. In den Großstädten protestieren junge Menschen offen gegen die Partei. Die Sprechchöre setzten sich auch in der Nacht von Sonntag auf Montag fort. Vor allem die Unruhe an den Hochschulen in Peking und Shanghai ist der Stoff, aus dem die Albträume der KP sind. Der Mut der Leute ist dabei bewundernswert. Wer den Abtritt Xi Jinpings fordert, setzt sich höchster Gefahr aus.

Xi hat elementare Fehler gemacht, die man der Partei noch vor wenigen Jahren kaum zugetraut hätte: Er hat zugelassen, dass der Druck im Kessel bis ins Unerträgliche steigt. Während der Rest der Welt in den vergangenen Monaten den Weg aus der Pandemie gefunden hat, ließ Chinas Führung die Unterdrückung noch verdoppeln. Xi hat seiner Lust an der Macht freien Lauf gelassen und das Virus nur durch politische Kontrolle bekämpft, statt mit den zur Verfügung stehenden medizinischen Mitteln. Die chinesischen Bürger haben diesen Unterschied trotz aller Propaganda verstanden. Das macht auch den großen Unterschied zu 2020 aus, als sie die Maßnahmen noch akzeptiert haben.

Unsere Autoren fassen die dramatischen Ereignisse der vergangenen drei Tage zusammen. Zudem liefern wir authentische Augenzeugenberichte vom Brennpunkt der Demo in Shanghai. Die Ereignisse rollen damit jedoch gerade erst an. Denn sobald die Studenten und die jungen Angestellten einmal auf der Straße sind und sich zu Demos zusammentun, gibt es keine richtige Reaktion der Staatsmacht mehr. Lässt sie die Zusammenkünfte laufen, wird aller Ärger der vergangenen Jahre und Jahrzehnte auf der Straße laut. Die Partei wird die Proteste daher früh unterdrücken wollen. Damit zeigt sie jedoch unweigerlich ihr wahres Gesicht.

Was uns jetzt auch umtreibt, ist die steigende Sorge um Taiwan. Denn wie stellt ein Diktator die nationale Einheit wieder her, wenn ihm der Rückhalt im Volk entgleitet? Durch den Fokus auf einen gemeinsamen Feind. Eine Aggression gegen Taiwan (in KP-Darstellung dann: eine “Spezialoperation” in einem “ureigenen Landesteil”) würde viele Länder gegen China aufbringen und könnte das Volk zusammenschweißen. Das Kalkül wäre zynisch, aber genau so denken Machthaber.

Angesichts der steigenden Bedrohungslage verwundert aus der Ferne gesehen das Wahlergebnis in Taiwan vom Wochenende. Die Kuomintang, der man größere Nähe zu Peking nachsagt, hat gewonnen. Präsidentin Tsai Ing-wen ist sogar vom Posten als Vorsitzende der Demokratisch-Progressiven Partei zurückgetreten. Was es damit auf sich hat, erklärt die Analyse von David Demes.

Die Woche wird politisch aufregend.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Protest gegen Null-Covid: Der Funke springt über

Protest in China: Mahnwache in Peking für die Opfer des Brandes in Urumqi, XInjiang.
Mahnwache für die Opfer eines Wohnungshausbrands in Urumqi: Ausgangspunkt für landesweite Demos.

Straßen und Plätze voller Demonstranten in einem Dutzend Städten – so viel Courage gegen die Regierung hat es in China seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Selbst den Rücktritt des allmächtigen Staats- und Parteichefs forderten einige der Protestierenden. In Shanghai in der Wulumuqi Road im Zentrum der Stadt, die nach der westchinesischen Stadt Urumqi benannt ist, riefen die Demonstranten im Chor: “Xi Jinping, xiatai, Gongchangdang, xiatai”“Nieder mit Xi Jinping, nieder mit der Kommunistischen Partei.” Und: “Wir wollen keine Diktatur. Wir wollen Demokratie.” Die Polizei reagierte zunächst zurückhaltend, setzte aber schließlich Pfefferspray ein, um die Demonstrationen aufzulösen und führte einige von ihnen ab. Ein BBC-Korrespondent wurde verhaftet.

Bei einem Wohnhaus-Brand in Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, hatte es am Donnerstag zehn Tote gegeben. Aus dem Gedenken an die Toten hat sich über das Wochenende eine beispiellose Protest-Welle gegen die Corona-Politik der Regierung gebildet. Zuerst fluteten die Menschen die sozialen Netzwerke mit einer so gewaltigen Anzahl an wütenden Kommentaren, dass die Zensoren kaum noch mit dem Löschen hinterherkamen. Es folgten die Proteste in gleich mehreren Großstädten, die sich in der Nacht von Sonntag auf Montag fortsetzten. Typisch ist dabei die Konfrontation von Mittelschicht-Chinesen mit rabiaten Sicherheitskräften in weißen Schutzanzügen.

Proteste in China: Demonstranten halten in Peking weiße Blätter hoch - als Symbol für Zensur.
Demonstranten halten in Peking weiße Blätter hoch – als Symbol für Zensur.

Nicht nur aus Shanghai gab es Bilder, die selbst langjährige China-Beobachter erstaunen. In Peking, ausgerechnet an der renommierten Tsinghua Universität, an der auch Xi Jinping und viele andere KP-Führer studierten, versammelten sich am Sonntag Hunderte zum Protest. “Wenn wir uns aus Angst vor dem dunklen Regime nicht zu Wort melden, wird unser Volk enttäuscht sein”, rief ein Student durchs Megafon. “Als Tsinghua-Student würde ich das für den Rest meines Lebens bereuen.” Die Menschenmenge antwortete im Chor: “Keine Angst! Keine Angst!” Das Singapurer Digitalmedium Initium News zählt landesweit 79 Unis, an denen Proteste stattgefunden haben.

Proteste in China: An der Tsinghua Universität kommt es bei den Protesten der Studenten zu Rangeleien mit Sicherheitskräften.
An der Tsinghua Universität kommt es bei den Protesten der Studenten zu Rangeleien mit Sicherheitskräften.

In Peking versammelten sich die Bürger auch am Liangma-Kanal am Nordrand des Diplomatenviertels Sanlitun. Sie marschierten dann die Xinyuan-Straße entlang, die vom “deutschen Eck” aus Lufthansa-Center und Kempinski-Hotel nach Westen verläuft.

China Proteste: Am Liangma-Kanal in Peking sammeln sich Menschen mit weißen Blättern zum Covid-Protest.
Der Liangma-he in Peking war ein Zentrum der Proteste.

In Chengdu versammelten sich ebenfalls Hunderte zu einer öffentlichen Mahnwache mit Teelichtern für die Opfer des Feuers. Sie forderten Presse- und Meinungsfreiheit. Straßenproteste gab es auch in Wuhan, Nanjing, Xi’an, Guangzhou und weiteren Städten. In den sozialen Medien teilten die User Hunderte von Bilder aus dem ganzen Land von Menschen, die unbeschriebene Papierbögen in die Höhe hielten, um ihre Machtlosigkeit und ihren Ärger über die Zensur zum Ausdruck zu bringenAn der Pekinger Filmakademie wurden, laut Aufnahmen in sozialen Medien, mit roter Farbe beschmierte Gesichtsmasken an einem Geländer angebracht. 

Was passierte beim Brand in Xinjiang?

Aufgerüttelt wurden die Demonstranten durch die Umstände des Brandes in Urumqi. Auf Videos von dem Feuer am Donnerstagabend ist zu sehen, dass das Wasser aus dem Löschfahrzeug zunächst nicht bis zu den Flammen reichte. Offenbar, weil die Feuerwehr nicht nah genug an das Gebäude herankam. Vorwürfe wurden laut, dass Lockdown-Maßnahmen die Tragödie ausgelöst haben.  

Parallel machten Bilder aus verschiedenen Städten Xinjiangs die Runde, auf denen mit Stangen und Drähten verrammelte Türen zu sehen waren. Offenbar setzen die Behörden auf diese Weise die Ausgangssperren durch. In Urumqi selbst versammelte sich laut Video-Aufnahmen eine große Menschenmenge, um vor der Stadtverwaltung zu demonstrieren. Auf Sozialmedien löste die Identität der Opfers besondere Betroffenheit aus. Es handelt sich beispielsweise um eine uigurische Mutter mit vier Kindern; der Vater und der älteste Sohn sind seit 2017 grundlos in Haft wie so viele uigurische Männer.

Protest erreicht die Mittelschicht

Vielen Protestierenden in Peking, Shanghai und den anderen Städten geht es jedoch nicht nur um das Feuer in Urumqi. Sie sind nicht mehr bereit, der seit Monaten von der KP-Führung geradezu fanatisch verfolgten Null-Covid-Strategie zu folgen. Wegen der landesweit zuletzt rasant steigenden Infektionszahlen hatten die Behörden in den vergangenen Tagen in zahlreichen Städten immer mehr Wohnanlagen mit Ausgangssperren belegt. Anwohner teilten über das Wochenende Videos von hitzigen Diskussionen vor verschlossenen Zugangstoren. In Peking rissen wütende Bürger Barrikaden nieder, um ihren Wohnblock eigenhändig aus dem Lockdown zu befreien. In anderen Fällen trugen Anwohner auch einfach nur sachlich die aus ihrer Sicht eindeutige Rechtslage vor, wonach die Ausgangssperren illegal seien. 

Protest in China: Die Polizei in Peking hält Demonstranten mit Straßensperren auf.
Die Polizei in Peking hält Demonstranten mit Straßensperren auf.

Schon in den vergangenen Wochen hatte es vereinzelte Bilder von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gegeben. Doch hatten sich die Demonstrationen und Ausschreitungen vor allem auf Wanderarbeiter beschränkt. Sie waren sowohl am Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in Zhengzhou als auch in Guangzhou gegen Absperrungen der Behörden vorgegangen. Nun protestiert auch die Mittelschicht in den Metropolen.

Erinnerungen an 1989

Einige Beobachter sprachen im Zusammenhang mit den Bildern aus Shanghai und Peking von den sichtbarsten Anti-Regierungs-Protesten seit der Niederschlagung der Studentenbewegung am Platz des Himmlischen Friedens 1989 in Peking. “Ich lebe seit 30 Jahren in China, und ich habe noch nie einen so unverfroren offenen und anhaltenden Ausdruck der Wut gegen die Regierung erlebt”, kommentierte der Sinologe David Moser auf Twitter. Er sprach von einem “ernsthaften Test” für die Kommunistische Partei. Kristin Shi-Kupfer, Politikwissenschaftlerin und Sinologie-Professorin an der Uni Trier, weist in einem Twitter-Threat auf drei Aspekte hin, die sie für bemerkenswert hält und die eine neue Qualität darstellten:

  • Es gebe mehrere Protest-Orte, bei denen Studierende um Top-Universitäten eine zentrale Rolle spielten.
  • Diese Unis, an denen die Proteste entfacht sind, verfügten traditionell über enge Verbindungen zur politischen Elite.
  • Die angesammelte Covid-Lockdown-Unzufriedenheit werde ganz klar auf die Zentralregierung projiziert und nicht wie bisher bei den vereinzelten Protesten, die sich gegen die Lokalregierungen wandten.

“Dies macht es für die chinesische Regierung brisant” schreibt Shi-Kupfer. Auch wenn es gelingen sollte, die Protest-Welle zu brechen, bleibe das Problem für die Regierung bestehen, wie sie weiter mit Covid umgeht. Xis Machtfülle könnte infrage gestellt werden.

Neue Rekord-Infektionszahlen in Peking

Andere China-Kenner befürchten, dass mit einer harten Reaktion der Behörden zu rechnen sei. Nicht die Anti-Corona-Proteste, jedoch die expliziten Anti-Regierung-Slogans in Shanghai und Urumqi könnten eine “qualitativ andere Reaktion” der Parteiführung zur Folge haben, befürchtet Yale-Professor Taisu Zhang auf Twitter. Trotz der Unruhen am Wochenende sei laut Zhang jedoch klar, wer am Ende am längeren Hebel sitze. “Was auch immer sonst noch in China als Folge dieser Proteste passieren könnte. Ein Regimewechsel ist ausgeschlossen.”

Vielen Pekinger und Shanghaiern würde es wahrscheinlich tatsächlich schon reichen, wenn ihnen ein chaotischer Corona-Winter erspart bleiben würde. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Vor allem in Peking stiegen die Fallzahlen erneut deutlich an. Die Pekinger Gesundheitskommission meldete am Sonntag einen neuen Tages-Rekordwert von 4.307 Infektionen. Jörn Petring, Mitarbeit: Felix Lee, Finn Mayer-Kuckuk

Augenzeuge in Shanghai: “Alles passierte spontan”

Ein Paar stellt sich an der Urumqi-Straße in Shanghai den Ordnungskräften entgegen.
Zwei Protestierende stellen sich an der Urumqi-Straße in Shanghai den Ordnungskräften entgegen.

Ich lebe ganz in der Nähe der Wulumuqi Road (Urumqi-Straße – Anm. des Übersetzers). Auf Wechat habe ich gesehen, dass viele meiner Freunde auf die Straße gingen. Ich wollte nicht an irgendeinem “Spaß” teilhaben oder so etwas. Ich ging hin, weil ich mir Sorgen machte. Ich wollte eine Hilfe sein, sollte etwas schiefgehen.

Alles passierte spontan. Die Menschen haben zunächst getrauert und weiße Papierblätter hochgehalten. Dann haben immer mehr Leute Slogans gerufen. Die Menge bewegte sich an den Enden der Kreuzung vor und zurück. Wenn sie auf eine Polizeikette stießen, forderten sie die Polizisten auf, nach Hause zu gehen.

Die Gesänge dauerten immer länger

Die Slogans, die gerufen wurden, kamen ebenfalls spontan. Wenn sie in der Menge auf Zustimmung stießen, stimmten mehr Menschen mit ein. Die Gesänge dauerten immer länger. Einige Leute waren so aufgeregt, dass sie sie den Polizisten direkt ins Gesicht brüllten. Viele Slogans drehten sich um die Pandemie, von “keine Masken” bis zu “Gebt mir meine Jugend zurück”. Es gab aber auch Ausweitungen des Themas mit Kraftausdrücken, und sehr oft: “Caonima” (“Fick deine Mutter” – Anm. des Übersetzers). Am meisten Wirkung entfaltete jedoch die Nationalhymne, die immer wieder angestimmt wurde.

Ich habe die Slogans nicht mitgerufen, und ich stimme mit vielen auch nicht überein. Aber ich wollte die Menschen dort unterstützen. Die Unterdrückung musste ein Ventil finden. Und es waren viele Menschen vor Ort, wodurch ich mich sicherer fühlte. Aber es gab auch Leute in der Menge, die betrunken und außer Kontrolle waren, die lachten und jederzeit bereit waren, abzuhauen. Es gab auch einige Ausländer, die ganz offensichtlich aus dem Häuschen waren über all das Drama und die Action.

Emotionaler Ausbruch

Ich hatte Angst in Anbetracht der vielen Kameras und der Erwartung, dass sich jemand nach mir umdreht. Aber ich trug auch keine Maske und war bereit, mich der Verantwortung zu stellen. Aus nächster Nähe wurde deutlich, dass die Polizisten nur Befehle befolgten. Sie sollten den Schauplatz kontrollieren und eine Möglichkeit finden, die Menge zu evakuieren. Die Taktik war, so lange auszuharren und die Menge zu beobachten, bis ihre Energie aufgebraucht ist. Gegen drei Uhr sollte der Pulk dann durch eine menschliche Mauer in verschiedene Straßen abgedrängt werden, die von der Kreuzung abzweigen. Die letzte Strategie war, die Menschen einfach wegzuschieben oder sie davon zu überzeugen, schlafen zu gehen. Gewalttätigere Methoden wurden bei Einzelnen angewandt, die stärkere Reaktionen zeigten. Gegen vier Uhr war ich so müde, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Als ich den Schauplatz verließ, hat mich niemand aufgehalten.

Da es in Shanghai im Moment nicht allzu viele Corona-Risikogebiete gibt, war es vor allem ein emotionaler Ausbruch über frühere Lockdowns und die Epidemie an sich. Ich bin besorgt, dass diese Art von Protest ohne klare Forderungen kein rationales Ergebnis finden wird. Ich hoffe, dass das schlimmste Szenario so weit wie möglich vermieden werden kann.

“Seid auf die Konsequenzen vorbereitet”

Ich war Zeuge von “Black Lives Matter” und “Occupy Wall Street” in den Vereinigten Staaten. Ich weiß, dass diese Art von Protesten und Machtspielen an denselben Dingen scheitern. Junge Menschen stellen sich in die vorderste Reihe, weil sie am wenigsten Lasten zu tragen haben und weil sie emotionaler reagieren. Sie haben aber auch kaum Erfahrung und tun Dinge ohne Vorbereitung.

Ich fühle mich körperlich und geistig nicht mehr dieser Gruppe junger Menschen zugehörig. Aber ich möchte meine Erfahrung nutzen, um sie zu beschützen, in dem Land, dessen Staatsbürger ich bin. Zu allen Freunden, die die Proteste beobachten und sich anschließen wollen, möchte ich sagen: Ihr habt die Freiheit, nach euren Idealen und Bedürfnissen zu handeln. Nehmt jede Position ein, die ihr möchtet, aber versucht auch das große Ganze zu sehen und so weit wie möglich über den Tellerrand eurer persönlichen Erfahrung hinauszublicken. Und dann seid darauf vorbereitet, die Verantwortung für jede der Konsequenzen zu tragen. Aufgezeichnet von rz und fpe.

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Herbe Niederlage für Tsai Ing-wens DPP

Wahlen in Taiwan: Zehntausende KMT-Anhänger versammelten sich am Abend vor der Wahl in Taipeh, um für ihren Kandidaten Chiang Wan-an zu werben. Tsai Ying-wen trat nach dem schwachen Wahlergebnis für die DPP als Parteivorsitzende zurück.
Zehntausende KMT-Anhänger versammelten sich am Abend vor der Wahl in Taipeh, um für ihren Kandidaten Chiang Wan-an zu werben

Noch am Samstagabend trat Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen im Hauptquartier der Demokratischen Fortschrittspartei DPP in Taipeh vor die Presse und übernahm die politische Verantwortung für die Niederlage ihrer Partei. Bei den sogenannten 9-in-1-Wahlen (九合一選舉) stimmten die Bürger über 21 Bürgermeister-, Landrats- und rund 11.000 Gemeinderatsposten ab. Die Kommunal-Wahlen zeigen aber auch, wie zufrieden die Bevölkerung mit der Regierung ist – ein bisschen wie bei den Midterms in den USA. “Die Ergebnisse haben unsere Erwartungen nicht erfüllt”, räumte Tsai ein und erklärte ihren sofortigen Rücktritt vom Amt der Parteivorsitzenden. Ein Rücktrittsgesuch ihres Regierungschefs Su Tseng-chang (蘇貞昌) hatte sie abgelehnt. In 13 der 21 Kreise und Städte hatten KMT-Kandidaten eine Mehrheit der Stimmen erzielt – Tsais DPP dagegen nur in fünf.

Obwohl die konservative KMT bereits von einer “Blauen Welle” spricht, haben sowohl KMT als auch DPP effektiv Stimmen verloren. Mit 59,86 Prozent war die Wahlbeteiligung in den regierungsunmittelbaren Städten so niedrig wie seit 14 Jahren nicht. Soziologe Lin Thung-hong (林宗弘) von der staatlichen Forschungsakademie Academia Sinica erklärt sich das mit der Abschreckung vieler Wähler. “Der KMT ist es gelungen, die Wähler des grünen Lagers zu demobilisieren und die Wahlbeteiligung mithilfe eines negativen Wahlkampfes wirksam zu senken”, sagt Lin im Gespräch mit China.Table. Insgesamt habe es der DPP an einem zentralen Wahlkampfthema gefehlt, das junge Leute und Wechselwähler dazu animiert hätte, extra für die Wahl nach Hause zu fahren. Denn in Taiwan gibt es keine Briefwahl und vor allem junge Leute sind oft noch in ihren Heimatorten gemeldet.

Skandale verschreckten die Wähler

Tatsächlich war der Wahlkampf seit Monaten von Skandalen und Anfeindungen geprägt gewesen. Am meisten hat der DPP wohl der Plagiatsfall ihres aufstrebenden Stars Lin Chih-chien (林智堅) geschadet. Lin hatte acht Jahre in der Halbleiter-Hochburg Hsinchu regiert und war mit starken Umfragewerten in den Wahlkampf in der wachsenden Millionenstadt Taoyuan eingestiegen. Nach Plagiatsvorwürfen hatte Lin trotz der Unterstützung seiner Partei seine Kandidatur aufgegeben und dem DPP-Wahlkampf damit in Hsinchu und Taoyuan, aber auch landesweit massiv geschadet.

In der Hauptstadt Taipeh hatte die DPP ihren Corona-bewährten Gesundheitsminister Chen Shih-chung (陳時中) ins Rennen geschickt. Chen galt in der Partei als aussichtsreichster Kandidat im traditionell von KMT-loyalen Wählergruppen dominierten Taipeh. Sein erfolgreiches Pandemie-Management wurde im Wahlkampf aber schnell zu seiner größten Belastung. Von haltlosen Vorwürfen, er habe den Ankauf von ausländischen Vakzinen behindert, um sich persönlich zu bereichern, über die Lockerung der Quarantäneregeln für Flugpersonal – Chen musste sich praktisch täglich rechtfertigen und schaffte es kaum, eigene Themen zu setzen.

Wahlsieger Chiang Wan-an (蔣萬安) von der KMT hatte seinen Anhängern versprochen, Taipeh vor “bösen Kräften” zu schützen und nicht zuzulassen, dass Chen “sich etwas nimmt, was ihm nicht zusteht”. Kritiker sahen in Chiangs Äußerungen einen Versuch, alte Vorurteile gegenüber angestammten Taiwanern und ein Gefühl der Überlegenheit der chinesischen Zuwanderer anzuzapfen. Chiang hat seinen Erfolg vor allem seinem Familiennamen zu verdanken: Sein Vater Chiang Hsiao-yen (蔣孝嚴) war selbst ein hochrangiger KMT-Funktionär und ist nach eigener Aussage der uneheliche Sohn des ehemaligen Präsidenten Chiang Ching-kuo (蔣經國). Außer scharfer Kritik an Chen und der Regierungspartei hatte Chiang Wan-an allerdings nicht viel zu bieten. Während einer Fernsehdebatte ließ er ganze fünf Minuten Redezeit ungenutzt, in denen er sein Wahlprogramm hätte vorstellen können.

Medien sprechen von “Post-Tsai-Ära”

Dennoch kommen die Erfolge der KMT bei dieser Wahl laut dem Soziologen Lin Thung-hong nicht überraschend. Auch bei den letzten Lokalwahlen im Jahr 2018 hatte die KMT schon große Erfolge erzielt. “Die KMT verfügt traditionell über eine starke örtliche Aufstellung, Organisationen und Netzwerke, und in der Regel ist sie umso dominanter, je basisorientierter die Wahlen sind.” Die in den letzten Jahren häufig von internen Streitigkeiten geprägte Partei habe in diesem Wahlkampf außerdem eine ungewohnte Einigkeit an den Tag gelegt, so Lin.

In den taiwanischen Medien ist bereits vom Beginn einer “Post-Tsai-Ing-wen-Ära” die Rede. Ob Tsai wirklich an Einfluss in der Partei verlieren wird, bleibt aber noch abzuwarten. Immerhin hatte sie den Parteivorsitz auch 2012 und 2018 nach Wahlniederlagen abgegeben, nur um kurze Zeit später erneut anzutreten. Innerhalb der Partei gibt es Stimmen, die Tsai für die Wahlpleite verantwortlich machen. Erst etwa drei Wochen vor der Wahl hatte die Präsidentin vergeblich versucht, den Wahlkampf zu einer Abstimmung über ihre Politik zu machen und das Thema “China widerstehen, Taiwan schützen” (抗中保台) in das Zentrum der Kampagne zu rücken.

Welche Auswirkungen die Wahl auf Taiwans politische Zukunft hat, ist noch ungewiss. Hou You-yi (侯友宜), Bürgermeister von New Taipei City, geht gestärkt aus der Wahl hervor und wird aktuell als der aussichtsreichste KMT-Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2024 gehandelt. Derweil ist zu erwarten, dass viele der KMT-Bürgermeister nach einer Entspannung der Corona-Situation in China wieder verstärkt Austausch mit der Volksrepublik anstreben werden.

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News

Kanzler sorgt sich um Abhängigkeit bei Munitions-Herstellung

Am Montagabend findet im Kanzleramt ein Krisentreffen zum Thema Munitionsbeschaffung statt. Denn unentbehrliche Vorprodukte für Treibladungen kommen aus China – und der Nachschub stockt. Das berichtet Security.Table, eine Schwesterpublikation des China.Table. Es werden dem Bericht zufolge hochrangige Beamte des Kanzleramts und Industrievertreter anwesend sein.

Viele Zulieferer der deutschen Munitionshersteller befinden sich Industriekreisen zufolge direkt oder indirekt in chinesischer Hand. Seit gut einem halben Jahr liefern diese Firmen nicht mehr an westliche Munitionshersteller. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Das erhöht die Lieferzeiten, weil die verbliebenen europäischen Hersteller nicht mit der Herstellung hinterherkommen. Nach Recherchen von Security.Table müssen deutsche Munitionshersteller mit einer Lieferzeit für Sprengstoff von zwei bis drei Jahren rechnen. Die Vorräte der Bundeswehr sind derweil erschreckend klein.

Im Zentrum des Interesses steht die intelligente Artilleriemunition vom Typ SMArt 155. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Bundeswehr bräuchten dringend Nachschub davon. Der Hersteller, ein Gemeinschaftsunternehmen von Diehl und Rheinmetall, hat die Produktion in Deutschland inzwischen eingestellt. Nach Recherchen von Security.Table dauert es gut zwei Jahre, sie wieder aufzubauen. Kanzler Olaf Scholz will die Munitionsbeschaffung nun zur Chefsache machen. Marco Seliger/fin

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USA verbieten Verkauf von Huawei- und ZTE-Technik

US-Behörden haben ein Import- und Verkaufsverbot von Kommunikationstechnologie der chinesischen Smartphone-Hersteller und Netzwerkausrüster Huawei und ZTE angekündigt. Diese stellten ein “inakzeptables Risiko für die nationale Sicherheit” dar, teilte die Telekommunikationsaufsicht FCC am Freitag mit und veröffentlichte eine Liste mit entsprechenden Unternehmen. Die FCC wolle sicherstellen, “dass nicht vertrauenswürdige Kommunikationsgeräte nicht für den Gebrauch innerhalb unserer Grenzen zugelassen werden”, erklärte die FCC-Leiterin Jessica Rosenworcel. Die Anordnung betrifft auch Firmen für Überwachungstechnologie wie Hangzhou Hikvision und Dahua Technology. 

Washington hatte zuvor bereits den Einsatz von Huawei-Produkten in Regierungsbehörden verboten und von der Privatnutzung abgeraten. Die USA befürchten, Huawei-Technik könnte ein Einfallstor für chinesische Spionage oder Sabotage sein (China.Table berichtete). Der Konzern steht in den USA seit 2019 auf einer schwarzen Liste, die es US-Unternehmen verbietet, Geschäfte mit Huawei zu machen. Seit Januar 2019 läuft in den USA eine Klage gegen den weltgrößten Anbieter von 5G-Netzwerkausrüstung. Das US-Justizministerium wirft Huawei und zwei Tochterunternehmen vor, gegen US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen zu haben. rtr/ari

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Popstar Kris Wu zu Haftstrafe verurteilt

Ein Gericht in Peking hat den kanadisch-chinesischen Sänger Kris Wu wegen Vergewaltigung zu insgesamt 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Absitzen der Strafe soll der 32-Jährige nach Kanada abgeschoben werden. Der Sänger habe im November und Dezember 2020 in seiner Wohnung drei Frauen zum Sex gezwungen, als diese “betrunken waren und nicht in der Lage waren, sich zu wehren”, hieß es in dem Urteil.

Öffentlich gemacht hatte den Vorwurf die Studentin Du Meizhun, die nach ihren Angaben zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt war. Anschließend meldeten sich weitere mutmaßliche Opfer mit ähnlichen Vorwürfen zu Wort. Wu erhielt eine Haftstrafe in Höhe von elfeinhalb Jahren wegen Vergewaltigung. Eineinhalb weitere Jahre kommen “wegen des Verbrechens der Versammlung von Menschen zum Ehebruch” hinzu.

Kris Wu ist einer der bekanntesten Popstars Asiens. Als Mitglied der südkoreanischen K-Pop-Band EXO erlangte er 2012 Berühmtheit. Zwei Jahre später startete er eine Solokarriere in China als Sänger und Schauspieler. Außerdem war er als Werbefigur für insgesamt 15 Marken unterwegs. Darunter Bulgari, Porsche und Louis Vuitton. Wu ist kanadischer Staatsbürger, wurde aber in China geboren. Bei der Urteilsverkündung waren auch Vertreter der kanadischen Botschaft anwesend. Ob das Urteil ein diplomatisches Nachspiel hat, ist noch offen. rtr/cds

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Ermittlungen gegen Ex-Fußballtrainer Li Tie

Die chinesischen Behörden haben Ermittlungen gegen den früheren Trainer der chinesischen Fußball-Nationalmannschaft, Li Tie, eingeleitet. Wie aus einer Erklärung auf der Website einer Provinzregierung in Zentralchina hervorgeht, werden Li “schwere Verstöße gegen das Gesetz” vorgeworfen, genauere Angaben zu den Vorwürfen werden aber nicht gemacht, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Li ist einer der bekanntesten chinesischen Fußballspieler.

Der 45-Jährige hatte zwischen 2002 und 2006 für den englischen Fußballverein Everton gespielt. Für die chinesische Nationalmannschaft lief er 92 Mal auf, unter anderem nahm er an der WM 2002 in Japan und Südkorea teil. Anfang 2020 wurde Li Nationaltrainer, trat jedoch im vergangenen Jahr zurück, nachdem China sich nicht für die Fußball-WM in Katar qualifiziert hatte.

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich seit seinem Amtsantritt vor einem Jahrzehnt einer Kampagne gegen Korruption verschrieben. Kritiker werfen Xi jedoch vor, diese zu missbrauchen, um politische Rivalen auszuschalten. ari

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EU-Verhandlungen zu Anti-Coercion-Instrument beginnen

Das Europaparlament, der EU-Rat und die EU-Kommission beginnen am heutigen Montag ihre Verhandlungsgespräche zum geplanten Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang. Auf dem “Anti-coercion instrument” (ACI) liegen große Hoffnungen: Es soll der Europäischen Union die Möglichkeit geben, sich besser gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten – allen voran von China– wehren zu können.

Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments, erwartet keine einfachen Verhandlungen. “Ich hoffe, dass alle Beteiligten das genügende Maß an Kompromissbereitschaft zeigen.” Unmut gibt es derzeit wegen der EU-internen Debatte um die Entscheidungshoheit für das ACI (China.Table berichtete). “Dieses Instrument wird dringend benötigt”, sagte Lange zu China.Table.

Musterfall dafür ist das De-Facto-Handelsembargo Chinas gegen Litauen (China.Table berichtete), nachdem Taiwan in Vilnius eine offizielle Vertretung mit Namen “Taiwan” eröffnen durfte. Ob die Verhandlungen bis Ende des Jahres beendet werden können, ist offen. Das Parlament sei bereit, möglichst schnell voranzugehen, versicherte Lange. ari

Korrektur

In unserer Analyse “Chinas unrühmliche Rolle auf der COP27” vom 25.11.2022 haben wir geschrieben, die USA hätten sich kein offizielles Zieldatum für die Klimaneutralität gesetzt. Tatsächlich hat US-Präsident Joe Biden kurz nach seinem Amtsantritt 2021 erklärt, die USA wolle bis 2050 klimaneutral werden.

Presseschau

Proteste in China: Sie rufen “Nieder mit Xi Jinping, nieder mit der Partei!” WELT
Blank sheets of paper become symbol of defiance in China protests REUTERS
Kommentar: Moment der Wahrheit SUEDDEUTSCHE
Foxconn: Apple muss sich zu Chaos-Fabrik in China erklären FAZ
Bilder aus Katar geschnitten: China zensiert Stadionbesucher ohne Maske N-TV
Lokalwahlen in Taiwan: Ur-Enkel von Chiang Kai-shek ist neuer Bürgermeister von Taipei – Präsidentin gibt Parteivorsitz ab NZZ
Verkaufsverbote für Huawei & Co: USA verschärfen Kurs gegen China FAZ
China: Deutschlands zögerlicher Abschied von der Fern-Ost-Politik WELT
Chinese takeovers become a geopolitical frontline FT
Kardinal Joseph Zen: Menschenrechtler in Hongkong verurteilt TAGESSCHAU
(Medikamenten-) Abhängigkeit von China: Wir müssen uns davon befreien! WIWO
TSMC – Geheime Supermacht hinter Apples Erfolg COMPUTERWOCHE
China baut Hyperschalltriebwerk – mit Kerosin in 1 Stunde von Peking nach Mallorca TRENDSDERZUKUNFT
China stands to win a transatlantic trade war, EU minister says POLITICO
China spendet 100 Millionen Dollar an Kuba ZEIT

Heads

Jeff Zhou – Verfechter der Globalisierung

Jeff Zhou ist Managing Director Europe Operations bei der Intron Technology GmbH.
Jeff Zhou ist Managing Director Europe Operations bei der Intron Technology GmbH.

Jeff Zhou hat sich gegen Cambridge und für Aachen entschieden. Im Nachhinein war das die richtige Wahl. Heute vernetzt er nicht nur China und Deutschland, er bringt auch Teams aus den Bereichen E-Mobilität und Autonomes Fahren zusammen, um daraus ein Geschäft zu entwickeln.

Zhou wuchs in den 1970er-Jahren in Shanghai auf. Während sich China unter Deng Xiaopings Reformpolitik der Welt öffnete, ging auch für Zhou das Tor zur Welt auf. 1983 schloss er sein Physikstudium an der renommierten Fudan-Universität ab und wurde für ein internationales Forschungsprogramm ausgewählt. Die RWTH Aachen lud ihn ein und er folgte dem Ruf. Auch als parallel noch eine Zusage vom MIT in Cambridge kam, hielt er an seiner Entscheidung für Aachen fest. “Ich habe spontan zugesagt, obwohl ich wenig über Deutschland wusste. Aber ich habe es nicht bereut”, sagt Zhou heute.

In Aachen beendete er seine Promotion in Elementarteilchenphysik mit Auszeichnung. Über die Jahre lernte er Deutschland gründlich kennen – und auch Deutschland und China rückten näher zusammen. Chinas riesiger Markt wurde zu einer Goldgrube für die deutsche Industrie. Eine Errungenschaft für beide Seiten, sagt Zhou und betont, wie wichtig die Freiheit der Privatwirtschaft in China war. “Daraus ging ein enormer Impetus aus. Die Menschen wurden ermutigt, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.”

Automobilindustrie in tiefgreifendem Wandel

Nach der Promotion forschte Zhou einige Jahre an den Teilchenbeschleunigern Cern in der Schweiz und am Desy in Hamburg. Mitte der 1990er-Jahre wechselte er in die Privatwirtschaft. Er wagte als Strategieberater den Sprung ins kalte Wasser und sammelte anschließend operative Erfahrungen in deutschen Unternehmen, bevor er bei Elektrobit, Siemens und Maxwell Managementaufgaben wahrnahm. Dort baute er das China- und Asiengeschäft auf und aus. Sein Spezialgebiet wurde die Automobilbranche und dort die E-Mobilität und Software.

“Ich habe das Wachstum der chinesischen Automobilindustrie und den damit verbundenen Erfolg der deutschen Automobilbauer miterlebt”, erinnert er sich. Dass chinesische Unternehmen so schnell eine bedeutende Position im Markt für E-Mobilität einnehmen, habe ihn erstaunt. Deutschland hingegen ruhte sich zu lange auf den Erfolgen beim Verbrennungsmotor aus und verschlief die E-Mobilität, urteilt der Branchenkenner.

Abhängigkeit besteht gegenseitig

Zhou ist seit 2020 Niederlassungsleiter der Intron-Gruppe für Europa. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt unter anderem elektronische Komponenten für die Automobilindustrie. In seiner Funktion ist Zhou verantwortlich für die Kooperation zwischen europäischen Zulieferern und der Intron-Gruppe. Wenn er in die Zukunft schaut, ist er optimistisch, denn “der chinesische Markt wächst weiter.” Dabei hat sich gezeigt, dass die Abhängigkeit nicht einseitig, sondern gegenseitig ist. Während China einen der größten Märkte für E-Mobilität darstellt, sind die in China gebauten Elektrofahrzeuge von Schlüsselkomponenten aus Europa und den USA abhängig, zum Beispiel von Halbleiterprodukten in der Fahrzeugelektronik.

Die aktuelle Debatte über Entkopplung und Deglobalisierung bereiten ihm daher Sorge. “Man spürt mittlerweile, wie fragil die Weltwirtschaft ist, wenn die Lieferkette aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert”, sagt er. Die Welt sei darauf angewiesen, enger zusammenzurücken, um die großen Herausforderungen, etwa den Klimawandel, zu meistern. Zhou hofft, dass die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und der offene Austausch, der für eine funktionierende Weltwirtschaft wichtig ist, auch dazu dienen, Konfrontation abzubauen und weitere Konflikte zu verhindern. “Die Welt wird besser, wenn man zusammenarbeitet”, ist er überzeugt. Jonathan Kaspar Lehrer

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Personalien

Roland Eckert ist seit Anfang Oktober Visiting Professor an der Ningbo University of Technology. Eckert hält bereits seit 2019 eine Honorarprofessur an der Business School der Wenzhou University.

Kevin Khani ist seit Beginn des Monats Partner Manager bei der Alibaba Group in München. Khani hatte zuvor für Google in verschiedenen Positionen gearbeitet.

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Zur Sprache

Pärchen knabbern

嗑cp – kè cp – Pärchen knabbern

Was knabbern Sie so zu Netflix, Apple TV, Amazon Prime und Co.? Chips, Nüsschen oder Fruchtgummi? In China werden neuerdings mit Vorliebe Pärchen “geknuspert”. 嗑cp – gesprochen “kè si-pi” – heißt das auf Neuchinesisch. Wobei “cp” als Abkürzung für das englische “couple” (Liebespärchen) oder “coupling” (Verkupplung) steht. 嗑 kè bedeutet “mit den Zähnen aufknacken”. Knabbercracks in China kennen das Verb vor allem im Zusammenhang mit der Knusperakrobatik 嗑瓜子 kè guāzǐ – “Sonnenblumenkerne knabbern/aufknacken”.

Aber wie zum Kuckuck knuspert man Turteltäubchen? Ganz einfach: Indem man sich als Fan entweder am Liebesglück prominenter Pärchen (情侣 qínglǚ “Liebespaar”) weidet. Oder zwei Promis beziehungsweise wahlweise auch Serien-, Film-, Roman- oder Manga-Charaktere einfach selbst gedanklich verkuppelt. Mit 嗑 kè ist hier also im übertragenen Sinne “sich weiden, schwelgen, schwärmen” gemeint.

In Chinas Fanszene hat sich dieses Verkuppelungsvergnügen in einen regelrechten Volkssport verwandelt. Verrückte Hardcore-Fans dichten ihren Idolen in Onlineforen freudig Verbandlungen mit anderen Promis an, denen sie ebenfalls zugeneigt sind oder die ihrer Meinung nach eine gute Figur neben dem Herzenspromi abgegeben würden. Oder sie stricken kurzerhand ihren eigenen Matchmaking-Plot um bestimmte Serien- und Filmcharaktere. cp粉 (“si-pi fěn”), sprich “cp-Fans” nennt man solche Follower, angelehnt an das chinesische Wort für Fan (粉丝 fěnsī). Die Verkupplungsphantasien kennen dabei kaum Grenzen und reichen bis in die Queer-Ecke. Neben Männlein und Weiblein werden nämlich auch gerne Frauen- und Männerpärchen “geknabbert”. Selbst vor Tieren und Cartoon-Charakteren machen die Pärchenknusperer keinen Halt.

Auch das Englische kennt übrigens eine – ebenfalls zunächst etwas nebulös anmutende – Bezeichnung für derartige Beziehungsspekulationen. Im englischen Sprachraum ist die mentale Verkupplungsmasche unter “shipping” bekannt. Wer jetzt an Schiffe oder Verschiffen denkt, ist auf dem falschen Dampfer. Das Slangwort leitet sich nämlich von “relationship” ab und ist schon seit Mitte der 1990er im Oxford English Dictionary zu finden.

Zwei englisch-chinesische Verwendungsbeispiele zur Illustration:

  • “I ship Tom and Jerry.” – “我嗑汤姆和杰瑞的cp。” – Wǒ kè Tāngmǔ hé Jiéruì de CP.
  • “I am a Tom and Jerry shipper.”  – “我是汤姆和杰瑞的CP粉。” – Wǒ shì Tāngmǔ hé Jiéruì de CP-fěn.

Übrings ist 嗑 kè nicht das einzige chinesische Knabberverb mit Hang zur Doppeldeutigkeit. Auch das Wörtchen 啃 kěn “(ab)nagen, (ab)knabbern” darf man als Sprachenlerner nicht immer allzu wörtlich nehmen. Denn auf Chinesisch wird auch an Eltern (啃父母 kěn fùmǔ), Schwiegereltern (啃公婆 kěn gōngpó), der älteren Generation ganz generell (啃老族 kěn lǎozú) oder an Ehemann oder -frau (啃老公 kěn lǎogōng und 啃老婆 kěn lǎopó) “geknabbert”. Gemeint ist damit “sich durchfüttern lassen”. Statt am Hungertuch nagen die Chinesen also lieber an der Verwandtschaft.

Fühlen Sie sich beim Griff in den Knabbervorrat vor dem nächsten Fernsehabend also gerne daran erinnert, auch mal wieder an ein paar Chinesisch-Vokabelkärtchen zu knabbern. Das verspricht nämlich ganz offensichtlich unterhaltsame Einblicke, und zwar ganz frei von Kalorien.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

  • Zur Sprache

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Heftige Proteste gegen Null-Covid
    • Bericht von der Wulumuqi-Road
    • Taiwans Präsidentin Tsai verliert Midterms
    • Bundeswehr-Munition hängt von China ab
    • USA verbieten Huawei und ZTE
    • Kris Wu zu 13 Jahren Haft verurteilt
    • Ermittlungen gegen Ex-Nationaltrainer
    • Brüssel verhandelt zu Anti-coercion
    • Im Portrait: Technik-Vermittler Jeff Zhou
    • Zur Sprache: Pärchen knuspern
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ein Feuer in Urumqi hat einen politischen Flächenbrand in China entzündet. In den Großstädten protestieren junge Menschen offen gegen die Partei. Die Sprechchöre setzten sich auch in der Nacht von Sonntag auf Montag fort. Vor allem die Unruhe an den Hochschulen in Peking und Shanghai ist der Stoff, aus dem die Albträume der KP sind. Der Mut der Leute ist dabei bewundernswert. Wer den Abtritt Xi Jinpings fordert, setzt sich höchster Gefahr aus.

    Xi hat elementare Fehler gemacht, die man der Partei noch vor wenigen Jahren kaum zugetraut hätte: Er hat zugelassen, dass der Druck im Kessel bis ins Unerträgliche steigt. Während der Rest der Welt in den vergangenen Monaten den Weg aus der Pandemie gefunden hat, ließ Chinas Führung die Unterdrückung noch verdoppeln. Xi hat seiner Lust an der Macht freien Lauf gelassen und das Virus nur durch politische Kontrolle bekämpft, statt mit den zur Verfügung stehenden medizinischen Mitteln. Die chinesischen Bürger haben diesen Unterschied trotz aller Propaganda verstanden. Das macht auch den großen Unterschied zu 2020 aus, als sie die Maßnahmen noch akzeptiert haben.

    Unsere Autoren fassen die dramatischen Ereignisse der vergangenen drei Tage zusammen. Zudem liefern wir authentische Augenzeugenberichte vom Brennpunkt der Demo in Shanghai. Die Ereignisse rollen damit jedoch gerade erst an. Denn sobald die Studenten und die jungen Angestellten einmal auf der Straße sind und sich zu Demos zusammentun, gibt es keine richtige Reaktion der Staatsmacht mehr. Lässt sie die Zusammenkünfte laufen, wird aller Ärger der vergangenen Jahre und Jahrzehnte auf der Straße laut. Die Partei wird die Proteste daher früh unterdrücken wollen. Damit zeigt sie jedoch unweigerlich ihr wahres Gesicht.

    Was uns jetzt auch umtreibt, ist die steigende Sorge um Taiwan. Denn wie stellt ein Diktator die nationale Einheit wieder her, wenn ihm der Rückhalt im Volk entgleitet? Durch den Fokus auf einen gemeinsamen Feind. Eine Aggression gegen Taiwan (in KP-Darstellung dann: eine “Spezialoperation” in einem “ureigenen Landesteil”) würde viele Länder gegen China aufbringen und könnte das Volk zusammenschweißen. Das Kalkül wäre zynisch, aber genau so denken Machthaber.

    Angesichts der steigenden Bedrohungslage verwundert aus der Ferne gesehen das Wahlergebnis in Taiwan vom Wochenende. Die Kuomintang, der man größere Nähe zu Peking nachsagt, hat gewonnen. Präsidentin Tsai Ing-wen ist sogar vom Posten als Vorsitzende der Demokratisch-Progressiven Partei zurückgetreten. Was es damit auf sich hat, erklärt die Analyse von David Demes.

    Die Woche wird politisch aufregend.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    Protest gegen Null-Covid: Der Funke springt über

    Protest in China: Mahnwache in Peking für die Opfer des Brandes in Urumqi, XInjiang.
    Mahnwache für die Opfer eines Wohnungshausbrands in Urumqi: Ausgangspunkt für landesweite Demos.

    Straßen und Plätze voller Demonstranten in einem Dutzend Städten – so viel Courage gegen die Regierung hat es in China seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Selbst den Rücktritt des allmächtigen Staats- und Parteichefs forderten einige der Protestierenden. In Shanghai in der Wulumuqi Road im Zentrum der Stadt, die nach der westchinesischen Stadt Urumqi benannt ist, riefen die Demonstranten im Chor: “Xi Jinping, xiatai, Gongchangdang, xiatai”“Nieder mit Xi Jinping, nieder mit der Kommunistischen Partei.” Und: “Wir wollen keine Diktatur. Wir wollen Demokratie.” Die Polizei reagierte zunächst zurückhaltend, setzte aber schließlich Pfefferspray ein, um die Demonstrationen aufzulösen und führte einige von ihnen ab. Ein BBC-Korrespondent wurde verhaftet.

    Bei einem Wohnhaus-Brand in Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, hatte es am Donnerstag zehn Tote gegeben. Aus dem Gedenken an die Toten hat sich über das Wochenende eine beispiellose Protest-Welle gegen die Corona-Politik der Regierung gebildet. Zuerst fluteten die Menschen die sozialen Netzwerke mit einer so gewaltigen Anzahl an wütenden Kommentaren, dass die Zensoren kaum noch mit dem Löschen hinterherkamen. Es folgten die Proteste in gleich mehreren Großstädten, die sich in der Nacht von Sonntag auf Montag fortsetzten. Typisch ist dabei die Konfrontation von Mittelschicht-Chinesen mit rabiaten Sicherheitskräften in weißen Schutzanzügen.

    Proteste in China: Demonstranten halten in Peking weiße Blätter hoch - als Symbol für Zensur.
    Demonstranten halten in Peking weiße Blätter hoch – als Symbol für Zensur.

    Nicht nur aus Shanghai gab es Bilder, die selbst langjährige China-Beobachter erstaunen. In Peking, ausgerechnet an der renommierten Tsinghua Universität, an der auch Xi Jinping und viele andere KP-Führer studierten, versammelten sich am Sonntag Hunderte zum Protest. “Wenn wir uns aus Angst vor dem dunklen Regime nicht zu Wort melden, wird unser Volk enttäuscht sein”, rief ein Student durchs Megafon. “Als Tsinghua-Student würde ich das für den Rest meines Lebens bereuen.” Die Menschenmenge antwortete im Chor: “Keine Angst! Keine Angst!” Das Singapurer Digitalmedium Initium News zählt landesweit 79 Unis, an denen Proteste stattgefunden haben.

    Proteste in China: An der Tsinghua Universität kommt es bei den Protesten der Studenten zu Rangeleien mit Sicherheitskräften.
    An der Tsinghua Universität kommt es bei den Protesten der Studenten zu Rangeleien mit Sicherheitskräften.

    In Peking versammelten sich die Bürger auch am Liangma-Kanal am Nordrand des Diplomatenviertels Sanlitun. Sie marschierten dann die Xinyuan-Straße entlang, die vom “deutschen Eck” aus Lufthansa-Center und Kempinski-Hotel nach Westen verläuft.

    China Proteste: Am Liangma-Kanal in Peking sammeln sich Menschen mit weißen Blättern zum Covid-Protest.
    Der Liangma-he in Peking war ein Zentrum der Proteste.

    In Chengdu versammelten sich ebenfalls Hunderte zu einer öffentlichen Mahnwache mit Teelichtern für die Opfer des Feuers. Sie forderten Presse- und Meinungsfreiheit. Straßenproteste gab es auch in Wuhan, Nanjing, Xi’an, Guangzhou und weiteren Städten. In den sozialen Medien teilten die User Hunderte von Bilder aus dem ganzen Land von Menschen, die unbeschriebene Papierbögen in die Höhe hielten, um ihre Machtlosigkeit und ihren Ärger über die Zensur zum Ausdruck zu bringenAn der Pekinger Filmakademie wurden, laut Aufnahmen in sozialen Medien, mit roter Farbe beschmierte Gesichtsmasken an einem Geländer angebracht. 

    Was passierte beim Brand in Xinjiang?

    Aufgerüttelt wurden die Demonstranten durch die Umstände des Brandes in Urumqi. Auf Videos von dem Feuer am Donnerstagabend ist zu sehen, dass das Wasser aus dem Löschfahrzeug zunächst nicht bis zu den Flammen reichte. Offenbar, weil die Feuerwehr nicht nah genug an das Gebäude herankam. Vorwürfe wurden laut, dass Lockdown-Maßnahmen die Tragödie ausgelöst haben.  

    Parallel machten Bilder aus verschiedenen Städten Xinjiangs die Runde, auf denen mit Stangen und Drähten verrammelte Türen zu sehen waren. Offenbar setzen die Behörden auf diese Weise die Ausgangssperren durch. In Urumqi selbst versammelte sich laut Video-Aufnahmen eine große Menschenmenge, um vor der Stadtverwaltung zu demonstrieren. Auf Sozialmedien löste die Identität der Opfers besondere Betroffenheit aus. Es handelt sich beispielsweise um eine uigurische Mutter mit vier Kindern; der Vater und der älteste Sohn sind seit 2017 grundlos in Haft wie so viele uigurische Männer.

    Protest erreicht die Mittelschicht

    Vielen Protestierenden in Peking, Shanghai und den anderen Städten geht es jedoch nicht nur um das Feuer in Urumqi. Sie sind nicht mehr bereit, der seit Monaten von der KP-Führung geradezu fanatisch verfolgten Null-Covid-Strategie zu folgen. Wegen der landesweit zuletzt rasant steigenden Infektionszahlen hatten die Behörden in den vergangenen Tagen in zahlreichen Städten immer mehr Wohnanlagen mit Ausgangssperren belegt. Anwohner teilten über das Wochenende Videos von hitzigen Diskussionen vor verschlossenen Zugangstoren. In Peking rissen wütende Bürger Barrikaden nieder, um ihren Wohnblock eigenhändig aus dem Lockdown zu befreien. In anderen Fällen trugen Anwohner auch einfach nur sachlich die aus ihrer Sicht eindeutige Rechtslage vor, wonach die Ausgangssperren illegal seien. 

    Protest in China: Die Polizei in Peking hält Demonstranten mit Straßensperren auf.
    Die Polizei in Peking hält Demonstranten mit Straßensperren auf.

    Schon in den vergangenen Wochen hatte es vereinzelte Bilder von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gegeben. Doch hatten sich die Demonstrationen und Ausschreitungen vor allem auf Wanderarbeiter beschränkt. Sie waren sowohl am Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in Zhengzhou als auch in Guangzhou gegen Absperrungen der Behörden vorgegangen. Nun protestiert auch die Mittelschicht in den Metropolen.

    Erinnerungen an 1989

    Einige Beobachter sprachen im Zusammenhang mit den Bildern aus Shanghai und Peking von den sichtbarsten Anti-Regierungs-Protesten seit der Niederschlagung der Studentenbewegung am Platz des Himmlischen Friedens 1989 in Peking. “Ich lebe seit 30 Jahren in China, und ich habe noch nie einen so unverfroren offenen und anhaltenden Ausdruck der Wut gegen die Regierung erlebt”, kommentierte der Sinologe David Moser auf Twitter. Er sprach von einem “ernsthaften Test” für die Kommunistische Partei. Kristin Shi-Kupfer, Politikwissenschaftlerin und Sinologie-Professorin an der Uni Trier, weist in einem Twitter-Threat auf drei Aspekte hin, die sie für bemerkenswert hält und die eine neue Qualität darstellten:

    • Es gebe mehrere Protest-Orte, bei denen Studierende um Top-Universitäten eine zentrale Rolle spielten.
    • Diese Unis, an denen die Proteste entfacht sind, verfügten traditionell über enge Verbindungen zur politischen Elite.
    • Die angesammelte Covid-Lockdown-Unzufriedenheit werde ganz klar auf die Zentralregierung projiziert und nicht wie bisher bei den vereinzelten Protesten, die sich gegen die Lokalregierungen wandten.

    “Dies macht es für die chinesische Regierung brisant” schreibt Shi-Kupfer. Auch wenn es gelingen sollte, die Protest-Welle zu brechen, bleibe das Problem für die Regierung bestehen, wie sie weiter mit Covid umgeht. Xis Machtfülle könnte infrage gestellt werden.

    Neue Rekord-Infektionszahlen in Peking

    Andere China-Kenner befürchten, dass mit einer harten Reaktion der Behörden zu rechnen sei. Nicht die Anti-Corona-Proteste, jedoch die expliziten Anti-Regierung-Slogans in Shanghai und Urumqi könnten eine “qualitativ andere Reaktion” der Parteiführung zur Folge haben, befürchtet Yale-Professor Taisu Zhang auf Twitter. Trotz der Unruhen am Wochenende sei laut Zhang jedoch klar, wer am Ende am längeren Hebel sitze. “Was auch immer sonst noch in China als Folge dieser Proteste passieren könnte. Ein Regimewechsel ist ausgeschlossen.”

    Vielen Pekinger und Shanghaiern würde es wahrscheinlich tatsächlich schon reichen, wenn ihnen ein chaotischer Corona-Winter erspart bleiben würde. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Vor allem in Peking stiegen die Fallzahlen erneut deutlich an. Die Pekinger Gesundheitskommission meldete am Sonntag einen neuen Tages-Rekordwert von 4.307 Infektionen. Jörn Petring, Mitarbeit: Felix Lee, Finn Mayer-Kuckuk

    Augenzeuge in Shanghai: “Alles passierte spontan”

    Ein Paar stellt sich an der Urumqi-Straße in Shanghai den Ordnungskräften entgegen.
    Zwei Protestierende stellen sich an der Urumqi-Straße in Shanghai den Ordnungskräften entgegen.

    Ich lebe ganz in der Nähe der Wulumuqi Road (Urumqi-Straße – Anm. des Übersetzers). Auf Wechat habe ich gesehen, dass viele meiner Freunde auf die Straße gingen. Ich wollte nicht an irgendeinem “Spaß” teilhaben oder so etwas. Ich ging hin, weil ich mir Sorgen machte. Ich wollte eine Hilfe sein, sollte etwas schiefgehen.

    Alles passierte spontan. Die Menschen haben zunächst getrauert und weiße Papierblätter hochgehalten. Dann haben immer mehr Leute Slogans gerufen. Die Menge bewegte sich an den Enden der Kreuzung vor und zurück. Wenn sie auf eine Polizeikette stießen, forderten sie die Polizisten auf, nach Hause zu gehen.

    Die Gesänge dauerten immer länger

    Die Slogans, die gerufen wurden, kamen ebenfalls spontan. Wenn sie in der Menge auf Zustimmung stießen, stimmten mehr Menschen mit ein. Die Gesänge dauerten immer länger. Einige Leute waren so aufgeregt, dass sie sie den Polizisten direkt ins Gesicht brüllten. Viele Slogans drehten sich um die Pandemie, von “keine Masken” bis zu “Gebt mir meine Jugend zurück”. Es gab aber auch Ausweitungen des Themas mit Kraftausdrücken, und sehr oft: “Caonima” (“Fick deine Mutter” – Anm. des Übersetzers). Am meisten Wirkung entfaltete jedoch die Nationalhymne, die immer wieder angestimmt wurde.

    Ich habe die Slogans nicht mitgerufen, und ich stimme mit vielen auch nicht überein. Aber ich wollte die Menschen dort unterstützen. Die Unterdrückung musste ein Ventil finden. Und es waren viele Menschen vor Ort, wodurch ich mich sicherer fühlte. Aber es gab auch Leute in der Menge, die betrunken und außer Kontrolle waren, die lachten und jederzeit bereit waren, abzuhauen. Es gab auch einige Ausländer, die ganz offensichtlich aus dem Häuschen waren über all das Drama und die Action.

    Emotionaler Ausbruch

    Ich hatte Angst in Anbetracht der vielen Kameras und der Erwartung, dass sich jemand nach mir umdreht. Aber ich trug auch keine Maske und war bereit, mich der Verantwortung zu stellen. Aus nächster Nähe wurde deutlich, dass die Polizisten nur Befehle befolgten. Sie sollten den Schauplatz kontrollieren und eine Möglichkeit finden, die Menge zu evakuieren. Die Taktik war, so lange auszuharren und die Menge zu beobachten, bis ihre Energie aufgebraucht ist. Gegen drei Uhr sollte der Pulk dann durch eine menschliche Mauer in verschiedene Straßen abgedrängt werden, die von der Kreuzung abzweigen. Die letzte Strategie war, die Menschen einfach wegzuschieben oder sie davon zu überzeugen, schlafen zu gehen. Gewalttätigere Methoden wurden bei Einzelnen angewandt, die stärkere Reaktionen zeigten. Gegen vier Uhr war ich so müde, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Als ich den Schauplatz verließ, hat mich niemand aufgehalten.

    Da es in Shanghai im Moment nicht allzu viele Corona-Risikogebiete gibt, war es vor allem ein emotionaler Ausbruch über frühere Lockdowns und die Epidemie an sich. Ich bin besorgt, dass diese Art von Protest ohne klare Forderungen kein rationales Ergebnis finden wird. Ich hoffe, dass das schlimmste Szenario so weit wie möglich vermieden werden kann.

    “Seid auf die Konsequenzen vorbereitet”

    Ich war Zeuge von “Black Lives Matter” und “Occupy Wall Street” in den Vereinigten Staaten. Ich weiß, dass diese Art von Protesten und Machtspielen an denselben Dingen scheitern. Junge Menschen stellen sich in die vorderste Reihe, weil sie am wenigsten Lasten zu tragen haben und weil sie emotionaler reagieren. Sie haben aber auch kaum Erfahrung und tun Dinge ohne Vorbereitung.

    Ich fühle mich körperlich und geistig nicht mehr dieser Gruppe junger Menschen zugehörig. Aber ich möchte meine Erfahrung nutzen, um sie zu beschützen, in dem Land, dessen Staatsbürger ich bin. Zu allen Freunden, die die Proteste beobachten und sich anschließen wollen, möchte ich sagen: Ihr habt die Freiheit, nach euren Idealen und Bedürfnissen zu handeln. Nehmt jede Position ein, die ihr möchtet, aber versucht auch das große Ganze zu sehen und so weit wie möglich über den Tellerrand eurer persönlichen Erfahrung hinauszublicken. Und dann seid darauf vorbereitet, die Verantwortung für jede der Konsequenzen zu tragen. Aufgezeichnet von rz und fpe.

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    Herbe Niederlage für Tsai Ing-wens DPP

    Wahlen in Taiwan: Zehntausende KMT-Anhänger versammelten sich am Abend vor der Wahl in Taipeh, um für ihren Kandidaten Chiang Wan-an zu werben. Tsai Ying-wen trat nach dem schwachen Wahlergebnis für die DPP als Parteivorsitzende zurück.
    Zehntausende KMT-Anhänger versammelten sich am Abend vor der Wahl in Taipeh, um für ihren Kandidaten Chiang Wan-an zu werben

    Noch am Samstagabend trat Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen im Hauptquartier der Demokratischen Fortschrittspartei DPP in Taipeh vor die Presse und übernahm die politische Verantwortung für die Niederlage ihrer Partei. Bei den sogenannten 9-in-1-Wahlen (九合一選舉) stimmten die Bürger über 21 Bürgermeister-, Landrats- und rund 11.000 Gemeinderatsposten ab. Die Kommunal-Wahlen zeigen aber auch, wie zufrieden die Bevölkerung mit der Regierung ist – ein bisschen wie bei den Midterms in den USA. “Die Ergebnisse haben unsere Erwartungen nicht erfüllt”, räumte Tsai ein und erklärte ihren sofortigen Rücktritt vom Amt der Parteivorsitzenden. Ein Rücktrittsgesuch ihres Regierungschefs Su Tseng-chang (蘇貞昌) hatte sie abgelehnt. In 13 der 21 Kreise und Städte hatten KMT-Kandidaten eine Mehrheit der Stimmen erzielt – Tsais DPP dagegen nur in fünf.

    Obwohl die konservative KMT bereits von einer “Blauen Welle” spricht, haben sowohl KMT als auch DPP effektiv Stimmen verloren. Mit 59,86 Prozent war die Wahlbeteiligung in den regierungsunmittelbaren Städten so niedrig wie seit 14 Jahren nicht. Soziologe Lin Thung-hong (林宗弘) von der staatlichen Forschungsakademie Academia Sinica erklärt sich das mit der Abschreckung vieler Wähler. “Der KMT ist es gelungen, die Wähler des grünen Lagers zu demobilisieren und die Wahlbeteiligung mithilfe eines negativen Wahlkampfes wirksam zu senken”, sagt Lin im Gespräch mit China.Table. Insgesamt habe es der DPP an einem zentralen Wahlkampfthema gefehlt, das junge Leute und Wechselwähler dazu animiert hätte, extra für die Wahl nach Hause zu fahren. Denn in Taiwan gibt es keine Briefwahl und vor allem junge Leute sind oft noch in ihren Heimatorten gemeldet.

    Skandale verschreckten die Wähler

    Tatsächlich war der Wahlkampf seit Monaten von Skandalen und Anfeindungen geprägt gewesen. Am meisten hat der DPP wohl der Plagiatsfall ihres aufstrebenden Stars Lin Chih-chien (林智堅) geschadet. Lin hatte acht Jahre in der Halbleiter-Hochburg Hsinchu regiert und war mit starken Umfragewerten in den Wahlkampf in der wachsenden Millionenstadt Taoyuan eingestiegen. Nach Plagiatsvorwürfen hatte Lin trotz der Unterstützung seiner Partei seine Kandidatur aufgegeben und dem DPP-Wahlkampf damit in Hsinchu und Taoyuan, aber auch landesweit massiv geschadet.

    In der Hauptstadt Taipeh hatte die DPP ihren Corona-bewährten Gesundheitsminister Chen Shih-chung (陳時中) ins Rennen geschickt. Chen galt in der Partei als aussichtsreichster Kandidat im traditionell von KMT-loyalen Wählergruppen dominierten Taipeh. Sein erfolgreiches Pandemie-Management wurde im Wahlkampf aber schnell zu seiner größten Belastung. Von haltlosen Vorwürfen, er habe den Ankauf von ausländischen Vakzinen behindert, um sich persönlich zu bereichern, über die Lockerung der Quarantäneregeln für Flugpersonal – Chen musste sich praktisch täglich rechtfertigen und schaffte es kaum, eigene Themen zu setzen.

    Wahlsieger Chiang Wan-an (蔣萬安) von der KMT hatte seinen Anhängern versprochen, Taipeh vor “bösen Kräften” zu schützen und nicht zuzulassen, dass Chen “sich etwas nimmt, was ihm nicht zusteht”. Kritiker sahen in Chiangs Äußerungen einen Versuch, alte Vorurteile gegenüber angestammten Taiwanern und ein Gefühl der Überlegenheit der chinesischen Zuwanderer anzuzapfen. Chiang hat seinen Erfolg vor allem seinem Familiennamen zu verdanken: Sein Vater Chiang Hsiao-yen (蔣孝嚴) war selbst ein hochrangiger KMT-Funktionär und ist nach eigener Aussage der uneheliche Sohn des ehemaligen Präsidenten Chiang Ching-kuo (蔣經國). Außer scharfer Kritik an Chen und der Regierungspartei hatte Chiang Wan-an allerdings nicht viel zu bieten. Während einer Fernsehdebatte ließ er ganze fünf Minuten Redezeit ungenutzt, in denen er sein Wahlprogramm hätte vorstellen können.

    Medien sprechen von “Post-Tsai-Ära”

    Dennoch kommen die Erfolge der KMT bei dieser Wahl laut dem Soziologen Lin Thung-hong nicht überraschend. Auch bei den letzten Lokalwahlen im Jahr 2018 hatte die KMT schon große Erfolge erzielt. “Die KMT verfügt traditionell über eine starke örtliche Aufstellung, Organisationen und Netzwerke, und in der Regel ist sie umso dominanter, je basisorientierter die Wahlen sind.” Die in den letzten Jahren häufig von internen Streitigkeiten geprägte Partei habe in diesem Wahlkampf außerdem eine ungewohnte Einigkeit an den Tag gelegt, so Lin.

    In den taiwanischen Medien ist bereits vom Beginn einer “Post-Tsai-Ing-wen-Ära” die Rede. Ob Tsai wirklich an Einfluss in der Partei verlieren wird, bleibt aber noch abzuwarten. Immerhin hatte sie den Parteivorsitz auch 2012 und 2018 nach Wahlniederlagen abgegeben, nur um kurze Zeit später erneut anzutreten. Innerhalb der Partei gibt es Stimmen, die Tsai für die Wahlpleite verantwortlich machen. Erst etwa drei Wochen vor der Wahl hatte die Präsidentin vergeblich versucht, den Wahlkampf zu einer Abstimmung über ihre Politik zu machen und das Thema “China widerstehen, Taiwan schützen” (抗中保台) in das Zentrum der Kampagne zu rücken.

    Welche Auswirkungen die Wahl auf Taiwans politische Zukunft hat, ist noch ungewiss. Hou You-yi (侯友宜), Bürgermeister von New Taipei City, geht gestärkt aus der Wahl hervor und wird aktuell als der aussichtsreichste KMT-Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2024 gehandelt. Derweil ist zu erwarten, dass viele der KMT-Bürgermeister nach einer Entspannung der Corona-Situation in China wieder verstärkt Austausch mit der Volksrepublik anstreben werden.

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    News

    Kanzler sorgt sich um Abhängigkeit bei Munitions-Herstellung

    Am Montagabend findet im Kanzleramt ein Krisentreffen zum Thema Munitionsbeschaffung statt. Denn unentbehrliche Vorprodukte für Treibladungen kommen aus China – und der Nachschub stockt. Das berichtet Security.Table, eine Schwesterpublikation des China.Table. Es werden dem Bericht zufolge hochrangige Beamte des Kanzleramts und Industrievertreter anwesend sein.

    Viele Zulieferer der deutschen Munitionshersteller befinden sich Industriekreisen zufolge direkt oder indirekt in chinesischer Hand. Seit gut einem halben Jahr liefern diese Firmen nicht mehr an westliche Munitionshersteller. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Das erhöht die Lieferzeiten, weil die verbliebenen europäischen Hersteller nicht mit der Herstellung hinterherkommen. Nach Recherchen von Security.Table müssen deutsche Munitionshersteller mit einer Lieferzeit für Sprengstoff von zwei bis drei Jahren rechnen. Die Vorräte der Bundeswehr sind derweil erschreckend klein.

    Im Zentrum des Interesses steht die intelligente Artilleriemunition vom Typ SMArt 155. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Bundeswehr bräuchten dringend Nachschub davon. Der Hersteller, ein Gemeinschaftsunternehmen von Diehl und Rheinmetall, hat die Produktion in Deutschland inzwischen eingestellt. Nach Recherchen von Security.Table dauert es gut zwei Jahre, sie wieder aufzubauen. Kanzler Olaf Scholz will die Munitionsbeschaffung nun zur Chefsache machen. Marco Seliger/fin

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    USA verbieten Verkauf von Huawei- und ZTE-Technik

    US-Behörden haben ein Import- und Verkaufsverbot von Kommunikationstechnologie der chinesischen Smartphone-Hersteller und Netzwerkausrüster Huawei und ZTE angekündigt. Diese stellten ein “inakzeptables Risiko für die nationale Sicherheit” dar, teilte die Telekommunikationsaufsicht FCC am Freitag mit und veröffentlichte eine Liste mit entsprechenden Unternehmen. Die FCC wolle sicherstellen, “dass nicht vertrauenswürdige Kommunikationsgeräte nicht für den Gebrauch innerhalb unserer Grenzen zugelassen werden”, erklärte die FCC-Leiterin Jessica Rosenworcel. Die Anordnung betrifft auch Firmen für Überwachungstechnologie wie Hangzhou Hikvision und Dahua Technology. 

    Washington hatte zuvor bereits den Einsatz von Huawei-Produkten in Regierungsbehörden verboten und von der Privatnutzung abgeraten. Die USA befürchten, Huawei-Technik könnte ein Einfallstor für chinesische Spionage oder Sabotage sein (China.Table berichtete). Der Konzern steht in den USA seit 2019 auf einer schwarzen Liste, die es US-Unternehmen verbietet, Geschäfte mit Huawei zu machen. Seit Januar 2019 läuft in den USA eine Klage gegen den weltgrößten Anbieter von 5G-Netzwerkausrüstung. Das US-Justizministerium wirft Huawei und zwei Tochterunternehmen vor, gegen US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen zu haben. rtr/ari

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    Popstar Kris Wu zu Haftstrafe verurteilt

    Ein Gericht in Peking hat den kanadisch-chinesischen Sänger Kris Wu wegen Vergewaltigung zu insgesamt 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Absitzen der Strafe soll der 32-Jährige nach Kanada abgeschoben werden. Der Sänger habe im November und Dezember 2020 in seiner Wohnung drei Frauen zum Sex gezwungen, als diese “betrunken waren und nicht in der Lage waren, sich zu wehren”, hieß es in dem Urteil.

    Öffentlich gemacht hatte den Vorwurf die Studentin Du Meizhun, die nach ihren Angaben zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt war. Anschließend meldeten sich weitere mutmaßliche Opfer mit ähnlichen Vorwürfen zu Wort. Wu erhielt eine Haftstrafe in Höhe von elfeinhalb Jahren wegen Vergewaltigung. Eineinhalb weitere Jahre kommen “wegen des Verbrechens der Versammlung von Menschen zum Ehebruch” hinzu.

    Kris Wu ist einer der bekanntesten Popstars Asiens. Als Mitglied der südkoreanischen K-Pop-Band EXO erlangte er 2012 Berühmtheit. Zwei Jahre später startete er eine Solokarriere in China als Sänger und Schauspieler. Außerdem war er als Werbefigur für insgesamt 15 Marken unterwegs. Darunter Bulgari, Porsche und Louis Vuitton. Wu ist kanadischer Staatsbürger, wurde aber in China geboren. Bei der Urteilsverkündung waren auch Vertreter der kanadischen Botschaft anwesend. Ob das Urteil ein diplomatisches Nachspiel hat, ist noch offen. rtr/cds

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    • Musik

    Ermittlungen gegen Ex-Fußballtrainer Li Tie

    Die chinesischen Behörden haben Ermittlungen gegen den früheren Trainer der chinesischen Fußball-Nationalmannschaft, Li Tie, eingeleitet. Wie aus einer Erklärung auf der Website einer Provinzregierung in Zentralchina hervorgeht, werden Li “schwere Verstöße gegen das Gesetz” vorgeworfen, genauere Angaben zu den Vorwürfen werden aber nicht gemacht, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Li ist einer der bekanntesten chinesischen Fußballspieler.

    Der 45-Jährige hatte zwischen 2002 und 2006 für den englischen Fußballverein Everton gespielt. Für die chinesische Nationalmannschaft lief er 92 Mal auf, unter anderem nahm er an der WM 2002 in Japan und Südkorea teil. Anfang 2020 wurde Li Nationaltrainer, trat jedoch im vergangenen Jahr zurück, nachdem China sich nicht für die Fußball-WM in Katar qualifiziert hatte.

    Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich seit seinem Amtsantritt vor einem Jahrzehnt einer Kampagne gegen Korruption verschrieben. Kritiker werfen Xi jedoch vor, diese zu missbrauchen, um politische Rivalen auszuschalten. ari

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    • Gesellschaft
    • Korruption
    • KP Chinas
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    EU-Verhandlungen zu Anti-Coercion-Instrument beginnen

    Das Europaparlament, der EU-Rat und die EU-Kommission beginnen am heutigen Montag ihre Verhandlungsgespräche zum geplanten Handelsinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang. Auf dem “Anti-coercion instrument” (ACI) liegen große Hoffnungen: Es soll der Europäischen Union die Möglichkeit geben, sich besser gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten – allen voran von China– wehren zu können.

    Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments, erwartet keine einfachen Verhandlungen. “Ich hoffe, dass alle Beteiligten das genügende Maß an Kompromissbereitschaft zeigen.” Unmut gibt es derzeit wegen der EU-internen Debatte um die Entscheidungshoheit für das ACI (China.Table berichtete). “Dieses Instrument wird dringend benötigt”, sagte Lange zu China.Table.

    Musterfall dafür ist das De-Facto-Handelsembargo Chinas gegen Litauen (China.Table berichtete), nachdem Taiwan in Vilnius eine offizielle Vertretung mit Namen “Taiwan” eröffnen durfte. Ob die Verhandlungen bis Ende des Jahres beendet werden können, ist offen. Das Parlament sei bereit, möglichst schnell voranzugehen, versicherte Lange. ari

    Korrektur

    In unserer Analyse “Chinas unrühmliche Rolle auf der COP27” vom 25.11.2022 haben wir geschrieben, die USA hätten sich kein offizielles Zieldatum für die Klimaneutralität gesetzt. Tatsächlich hat US-Präsident Joe Biden kurz nach seinem Amtsantritt 2021 erklärt, die USA wolle bis 2050 klimaneutral werden.

    Presseschau

    Proteste in China: Sie rufen “Nieder mit Xi Jinping, nieder mit der Partei!” WELT
    Blank sheets of paper become symbol of defiance in China protests REUTERS
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    Jeff Zhou – Verfechter der Globalisierung

    Jeff Zhou ist Managing Director Europe Operations bei der Intron Technology GmbH.
    Jeff Zhou ist Managing Director Europe Operations bei der Intron Technology GmbH.

    Jeff Zhou hat sich gegen Cambridge und für Aachen entschieden. Im Nachhinein war das die richtige Wahl. Heute vernetzt er nicht nur China und Deutschland, er bringt auch Teams aus den Bereichen E-Mobilität und Autonomes Fahren zusammen, um daraus ein Geschäft zu entwickeln.

    Zhou wuchs in den 1970er-Jahren in Shanghai auf. Während sich China unter Deng Xiaopings Reformpolitik der Welt öffnete, ging auch für Zhou das Tor zur Welt auf. 1983 schloss er sein Physikstudium an der renommierten Fudan-Universität ab und wurde für ein internationales Forschungsprogramm ausgewählt. Die RWTH Aachen lud ihn ein und er folgte dem Ruf. Auch als parallel noch eine Zusage vom MIT in Cambridge kam, hielt er an seiner Entscheidung für Aachen fest. “Ich habe spontan zugesagt, obwohl ich wenig über Deutschland wusste. Aber ich habe es nicht bereut”, sagt Zhou heute.

    In Aachen beendete er seine Promotion in Elementarteilchenphysik mit Auszeichnung. Über die Jahre lernte er Deutschland gründlich kennen – und auch Deutschland und China rückten näher zusammen. Chinas riesiger Markt wurde zu einer Goldgrube für die deutsche Industrie. Eine Errungenschaft für beide Seiten, sagt Zhou und betont, wie wichtig die Freiheit der Privatwirtschaft in China war. “Daraus ging ein enormer Impetus aus. Die Menschen wurden ermutigt, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.”

    Automobilindustrie in tiefgreifendem Wandel

    Nach der Promotion forschte Zhou einige Jahre an den Teilchenbeschleunigern Cern in der Schweiz und am Desy in Hamburg. Mitte der 1990er-Jahre wechselte er in die Privatwirtschaft. Er wagte als Strategieberater den Sprung ins kalte Wasser und sammelte anschließend operative Erfahrungen in deutschen Unternehmen, bevor er bei Elektrobit, Siemens und Maxwell Managementaufgaben wahrnahm. Dort baute er das China- und Asiengeschäft auf und aus. Sein Spezialgebiet wurde die Automobilbranche und dort die E-Mobilität und Software.

    “Ich habe das Wachstum der chinesischen Automobilindustrie und den damit verbundenen Erfolg der deutschen Automobilbauer miterlebt”, erinnert er sich. Dass chinesische Unternehmen so schnell eine bedeutende Position im Markt für E-Mobilität einnehmen, habe ihn erstaunt. Deutschland hingegen ruhte sich zu lange auf den Erfolgen beim Verbrennungsmotor aus und verschlief die E-Mobilität, urteilt der Branchenkenner.

    Abhängigkeit besteht gegenseitig

    Zhou ist seit 2020 Niederlassungsleiter der Intron-Gruppe für Europa. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt unter anderem elektronische Komponenten für die Automobilindustrie. In seiner Funktion ist Zhou verantwortlich für die Kooperation zwischen europäischen Zulieferern und der Intron-Gruppe. Wenn er in die Zukunft schaut, ist er optimistisch, denn “der chinesische Markt wächst weiter.” Dabei hat sich gezeigt, dass die Abhängigkeit nicht einseitig, sondern gegenseitig ist. Während China einen der größten Märkte für E-Mobilität darstellt, sind die in China gebauten Elektrofahrzeuge von Schlüsselkomponenten aus Europa und den USA abhängig, zum Beispiel von Halbleiterprodukten in der Fahrzeugelektronik.

    Die aktuelle Debatte über Entkopplung und Deglobalisierung bereiten ihm daher Sorge. “Man spürt mittlerweile, wie fragil die Weltwirtschaft ist, wenn die Lieferkette aus welchen Gründen auch immer nicht funktioniert”, sagt er. Die Welt sei darauf angewiesen, enger zusammenzurücken, um die großen Herausforderungen, etwa den Klimawandel, zu meistern. Zhou hofft, dass die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und der offene Austausch, der für eine funktionierende Weltwirtschaft wichtig ist, auch dazu dienen, Konfrontation abzubauen und weitere Konflikte zu verhindern. “Die Welt wird besser, wenn man zusammenarbeitet”, ist er überzeugt. Jonathan Kaspar Lehrer

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    Personalien

    Roland Eckert ist seit Anfang Oktober Visiting Professor an der Ningbo University of Technology. Eckert hält bereits seit 2019 eine Honorarprofessur an der Business School der Wenzhou University.

    Kevin Khani ist seit Beginn des Monats Partner Manager bei der Alibaba Group in München. Khani hatte zuvor für Google in verschiedenen Positionen gearbeitet.

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    Pärchen knabbern

    嗑cp – kè cp – Pärchen knabbern

    Was knabbern Sie so zu Netflix, Apple TV, Amazon Prime und Co.? Chips, Nüsschen oder Fruchtgummi? In China werden neuerdings mit Vorliebe Pärchen “geknuspert”. 嗑cp – gesprochen “kè si-pi” – heißt das auf Neuchinesisch. Wobei “cp” als Abkürzung für das englische “couple” (Liebespärchen) oder “coupling” (Verkupplung) steht. 嗑 kè bedeutet “mit den Zähnen aufknacken”. Knabbercracks in China kennen das Verb vor allem im Zusammenhang mit der Knusperakrobatik 嗑瓜子 kè guāzǐ – “Sonnenblumenkerne knabbern/aufknacken”.

    Aber wie zum Kuckuck knuspert man Turteltäubchen? Ganz einfach: Indem man sich als Fan entweder am Liebesglück prominenter Pärchen (情侣 qínglǚ “Liebespaar”) weidet. Oder zwei Promis beziehungsweise wahlweise auch Serien-, Film-, Roman- oder Manga-Charaktere einfach selbst gedanklich verkuppelt. Mit 嗑 kè ist hier also im übertragenen Sinne “sich weiden, schwelgen, schwärmen” gemeint.

    In Chinas Fanszene hat sich dieses Verkuppelungsvergnügen in einen regelrechten Volkssport verwandelt. Verrückte Hardcore-Fans dichten ihren Idolen in Onlineforen freudig Verbandlungen mit anderen Promis an, denen sie ebenfalls zugeneigt sind oder die ihrer Meinung nach eine gute Figur neben dem Herzenspromi abgegeben würden. Oder sie stricken kurzerhand ihren eigenen Matchmaking-Plot um bestimmte Serien- und Filmcharaktere. cp粉 (“si-pi fěn”), sprich “cp-Fans” nennt man solche Follower, angelehnt an das chinesische Wort für Fan (粉丝 fěnsī). Die Verkupplungsphantasien kennen dabei kaum Grenzen und reichen bis in die Queer-Ecke. Neben Männlein und Weiblein werden nämlich auch gerne Frauen- und Männerpärchen “geknabbert”. Selbst vor Tieren und Cartoon-Charakteren machen die Pärchenknusperer keinen Halt.

    Auch das Englische kennt übrigens eine – ebenfalls zunächst etwas nebulös anmutende – Bezeichnung für derartige Beziehungsspekulationen. Im englischen Sprachraum ist die mentale Verkupplungsmasche unter “shipping” bekannt. Wer jetzt an Schiffe oder Verschiffen denkt, ist auf dem falschen Dampfer. Das Slangwort leitet sich nämlich von “relationship” ab und ist schon seit Mitte der 1990er im Oxford English Dictionary zu finden.

    Zwei englisch-chinesische Verwendungsbeispiele zur Illustration:

    • “I ship Tom and Jerry.” – “我嗑汤姆和杰瑞的cp。” – Wǒ kè Tāngmǔ hé Jiéruì de CP.
    • “I am a Tom and Jerry shipper.”  – “我是汤姆和杰瑞的CP粉。” – Wǒ shì Tāngmǔ hé Jiéruì de CP-fěn.

    Übrings ist 嗑 kè nicht das einzige chinesische Knabberverb mit Hang zur Doppeldeutigkeit. Auch das Wörtchen 啃 kěn “(ab)nagen, (ab)knabbern” darf man als Sprachenlerner nicht immer allzu wörtlich nehmen. Denn auf Chinesisch wird auch an Eltern (啃父母 kěn fùmǔ), Schwiegereltern (啃公婆 kěn gōngpó), der älteren Generation ganz generell (啃老族 kěn lǎozú) oder an Ehemann oder -frau (啃老公 kěn lǎogōng und 啃老婆 kěn lǎopó) “geknabbert”. Gemeint ist damit “sich durchfüttern lassen”. Statt am Hungertuch nagen die Chinesen also lieber an der Verwandtschaft.

    Fühlen Sie sich beim Griff in den Knabbervorrat vor dem nächsten Fernsehabend also gerne daran erinnert, auch mal wieder an ein paar Chinesisch-Vokabelkärtchen zu knabbern. Das verspricht nämlich ganz offensichtlich unterhaltsame Einblicke, und zwar ganz frei von Kalorien.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

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