Table.Briefing: China

Pistorius im Indopazifik + Interview mit Michael Kahn-Ackermann

Liebe Leserin, lieber Leser,

Deng Hongbo 邓洪波 soll Chinas neuer Botschafter in Deutschland werden. Offiziell verkündet wurde die Personalie bisher noch nicht. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern besitzt Deng keinen Deutschland-Hintergrund, wechselt dafür aber von einem Posten, der außenpolitisch sehr einflussreich ist. Er ist aktuell einer der stellvertretenden Direktoren des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Mehr zu der Personalie finden Sie in unseren News.

Deutschland wird sich im Indopazifik künftig stärker militärisch engagieren. Das hat Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seiner Reise nach Korea, Hawaii und auf die Philippinen deutlich gemacht. Die Vereinbarungen, die er dabei unterzeichnete, sehen zum Beispiel eine Zusammenarbeit der deutschen mit den philippinischen Streitkräften vor.

Das vorrangige Ziel ist Deeskalation, doch ein Land dürfte die Initiative eher negativ auffassen: China. Selbst wenn Pistorius betont, dass Deutschlands Engagement nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet ist – der Elefant steht nun einmal im Raum. Die Philippinen, Südkorea und die USA blicken mit Sorge darauf, wie China seine Ziele verfolgt. Michael Radunski analysiert Pistorius’ Pläne.

Die Erfahrungen der Corona-Politik haben Risse zwischen Chinas urbaner Bevölkerung und der Regierung verursacht – das Vertrauen in Weisheit, Allmacht und Klugheit der politischen Führung hat gelitten. Das konstatiert Michael Kahn-Ackermann im Interview mit Finn Mayer-Kuckuk, betont aber zugleich, dass der chinesische Staat deswegen noch lange nicht ins Wanken gerät.

Kahn-Ackermann ist einer der einflussreichsten Kulturmittler zwischen China und Deutschland mit knapp 50 Jahren Erfahrung. Auch die Corona-Zeit hat er vor Ort erlebt. Das Interview fand im Rahmen unserer Veranstaltung China.Table Toolbox statt, die wir vergangenen Donnerstag gemeinsam mit dem China-Netzwerk Baden-Württemberg ausgerichtet haben. Vielleicht sind Sie das nächste Mal ja mit dabei?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in die Woche.

Ihre
Julia Fiedler
Bild von Julia  Fiedler

Analyse

Pistorius im Indopazifik: Wie sich Deutschland künftig militärisch einbringt

Verteidigungsminister Boris Pistorius am Sonntag mit seinem philippinischen Amtskollegen Gilberto Teodoro in Manila.

Deutschland will eine größere Rolle im Indopazifik spielen – und Verteidigungsminister Boris Pistorius hat auf seiner am Wochenende zu Ende gegangenen Reise in die Region diesem Anspruch auch Taten folgen lassen. Die wichtigsten Übereinkünfte sind:

  • Philippinen: Vereinbarung über eine Verteidigungskooperation. Geplant ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den deutschen und philippinischen Streitkräften.
  • Südkorea: Beitritt zum United Nations Command. Um den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, will Deutschland zukünftig Personal auf die koreanische Halbinsel entsenden.
  • USA: Stationierung eines Verbindungsoffiziers im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA im US-Bundesstaat Hawaii.

Immer auch China im Blick

Pistorius betonte am Sonntag in Manila: Das deutsche Engagement in der Region sei nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet. Vielmehr wolle man zur Deeskalation beitragen. Es gehe darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu gewährleisten, die Freiheit der Schifffahrt zu sichern und Handelsrouten zu schützen. Das alles stimmt – und ist auch wichtig.

Dennoch steht auf allen Stationen der Pistorius-Reise immer auch der sprichwörtliche Elefant im Raum: China. Die Volksrepublik rüstet auf und verfolgt zunehmend robust seine Ziele. Gerade die Philippinen, Südkorea und vor allem die USA blicken besorgt auf China. Die Spannungen in der wirtschaftlich auch für Deutschland wichtigen Region nehmen immer weiter zu.

Auch das Verhältnis zwischen China und Deutschland gestaltet sich zunehmend schwieriger – erst vergangene Woche wurde chinesische Cyberspionage zum Thema. Auf die wachsenden Spannungen hatte Berlin 2023 mit einer eigenen China-Strategie reagiert, die unter anderem die Stärkung von Partnerschaften in Ostasien vorsieht.

Und so wird Pistorius nicht zuletzt auch dem Strategiepapier seiner Regierung gerecht. Man will China mehr als Partner, Wettbewerber und Rivale ansehen. Und man will Diversifizieren.

Pistorius setzt wichtige Akzente

Pistorius hat auf seiner Reise denn auch wichtige Akzente gesetzt:

  • Präsenz zeigen – nicht nur temporär, sondern dauerhaft,
  • Allianzen stärken – nicht nur durch Worte, sondern durch Aufgaben,
  • Partner unterstützen – Stichwort “Burden Sharing”.

Angesichts des Zustandes der Bundeswehr wird es aber im militärischen Bereich auf absehbare Zeit wohl bei Akzenten bleiben. Aber diese Punkte senden dennoch bereits wichtige Signale an die deutschen Partner in der Region.

Philippinen: Engere militärische Zusammenarbeit

Am Sonntag vereinbarten Pistorius und sein philippinischer Amtskollege Gilberto Teodoro eine engere militärische Zusammenarbeit. Das Ziel: gemeinsame Übungen, mehr bilateraler Austausch im Verteidigungsbereich, eventuell auch Rüstungskooperation. Ein entsprechendes Abkommen soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. Das ist auch wirtschaftlich wichtig: Deutsche Rüstungskonzerne könnten große Aufträge erhalten. Sie könnten bei der Modernisierung des philippinischen Militärs eine wichtige Rolle spielen.

Die Philippinen sehen sich vor allem von China massiv unter Druck gesetzt. Es geht um Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Die Philippinen haben deshalb zuletzt auch mit den USA ihre militärische Zusammenarbeit verstärkt und mit Japan ein Verteidigungsabkommen geschlossen.

Südkorea: Sicherung gegenüber Nordkorea

Bei seinem Stopp in Südkorea kündigte Pistorius am Freitag an, dass Deutschland dem United Nations Command beitreten werde. Das Kommando ist nicht den Vereinten Nationen unterstellt, sondern wird von den USA geführt. Es soll die Grenze und den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea überwachen. Wie der deutsche Beitrag konkret aussehen wird, soll in den nächsten Wochen und Monaten entschieden werden.

Auch Südkoreas Beziehungen mit China sind angespannt. Der Hauptfokus liegt hier jedoch auf Nordkorea. Machthaber Kim Jong-un treibt sein Raketen- und Atomwaffenprogramm intensiv voran. Immer wieder droht er dem Süden. Und so ist es wichtig, dass Deutschland seinen Partner Südkorea in Fragen der nationalen Sicherheit unterstützt.

Zudem haben Russland und Nordkorea ihre Zusammenarbeit zuletzt ausgebaut. Neben Munitionslieferungen gibt es erste Berichte, wonach auch nordkoreanische Waffen im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen. Spätestens hier sind dann auch die deutsche und europäische Sicherheit direkt betroffen. Pistorius stellte in Südkorea denn auch klar: “Putin und Kim rüsten auf und pfeifen gleichzeitig auf die regelbasierte internationale Ordnung, auf das internationale Völkerrecht.”

USA: Kriegsschiffe und Verbindungsoffizier

Zum Auftakt seiner Indopazifik-Reise hatte Verteidigungsminister Pistorius angekündigt, dass die Bundeswehr dauerhaft einen Verbindungsoffizier im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA (Indopacom) im US-Bundesstaat Hawaii stationieren werde. Zudem schaute er sich die Militärübung Rimpac2024 an.

Seit 1971 treffen sich alle zwei Jahre unter US-Führung die Militäreinheiten von Pazifik-Anrainern und anderer am Indopazifik interessierter Staaten. Dadurch soll die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Einheiten verbessert werden.

Die Bundeswehr schickt erstmals zwei Kampfschiffe in das gewaltige Manöver: die Fregatte “Baden-Württemberg” und den Einsatzgruppenversorger “Frankfurt am Main”. Hinzu kommen drei Eurofighter und zwei A400M zur Luftbetankung. Hier geht es vor allem darum, ein Signal an den wichtigen Partner USA zu senden: Deutschland ist bereit, sich an gemeinsamen Aufgaben zu beteiligen und mehr Präsenz im Indopazifik zu zeigen.

Zeichen an Partner – und an China

So setzt Pistorius mit seiner Reise und den getroffenen Vereinbarungen klare Zeichen: Deutschland hat die Wichtigkeit des Indopazifiks erkannt. Mehr noch: Man ist auch bereit, Präsenz zu zeigen, Aufgaben zu übernehmen und so die Partner vor Ort zu unterstützen. Auch, wenn der Indopazifik geografisch weit entfernt ist, sind Deutschlands Interessen eng mit der Region verwoben – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

Die USA haben unmissverständlich klargemacht, dass ihr zukünftiger Fokus nicht mehr auf Europa, sondern auf dem Indopazifik liegen wird. Hier sieht Washington den großen Herausforderer der Zukunft: China. Und das wird unabhängig von Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl im November auch so bleiben. Wollen Deutschland und Europa weiterhin Gehör in Washington finden, müssen sie sich mehr einbringen.

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Interview

“Seit Corona hat die Überwachung noch zugenommen”

Michael Kahn-Ackermann, langjähriger Leiter des Goethe-Institus Peking, auf der Veranstaltung von CNBW und Table.Briefings zu Veränderungen in Chinas Gesellschaft nach Corona.

Inwiefern hat die Pandemie das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung geschädigt? 

Ich würde nicht von “der Bevölkerung” oder gar von “den Chinesen” reden, sondern immer nur von betroffenen Teilen der Bevölkerung. Und Corona hat auf unterschiedliche Orte in China sehr unterschiedlich gewirkt. Insgesamt kann man sagen, dass die Erfahrungen der Corona-Politik in großen Teilen der urbanen Bevölkerung Risse im Vertrauen in die Weisheit, Allmacht und Klugheit der politischen Führung hinterlassen hat. 

Risse – das bedeutet keine großangelegte Destabilisierung, sondern nur eine Verringerung des Vertrauens.

Wir müssen unterscheiden zwischen einer aktuellen Verringerung des Vertrauens und der Systemfrage. Corona hat nicht im systemischen Sinne eine Destabilisierung bewirkt. Bei uns wird ja oft gleich die Systemfrage gestellt, wenn in China Schwierigkeiten auftreten. Das halte ich für unrealistisch, für Wunschdenken. Das gegenwärtige politische System in China steht beim überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht in Frage. Aber das Ansehen und das Verhältnis zur politischen Führung haben unter den Lockdowns ohne Frage gelitten.

Die hohe Stabilität liegt auch an der digitalen Kontrolle, und da hat Corona eine Perfektionierung der Instrumente ermöglicht. Ist die Überwachung insgesamt engmaschiger geworden?

Die zunehmende soziale Kontrolle funktioniert zwar mithilfe digitaler Techniken, aber nicht ausschließlich, ein guter Teil ist ganz einfach physische Kontrolle. Sie ist keine Erfindung der Corona-Zeit, sondern schon lange Teil der politischen Strategie. Corona hat diesen Prozess aber verstärkt und beschleunigt. Man kann allgemein sagen: Die Überwachung hat zugenommen in den vergangenen drei, vier Jahren seit Corona.

Können Sie ein Beispiel für die Zunahme der nicht-digitalen Überwachung nennen? 

Ich nenne jetzt ein Beispiel, das so abwegig ist – es klingt schon fast komisch. Sämtliche gedruckten Erzeugnisse durchlaufen bekanntlich die Zensur. Das gilt auch für Theaterstücke, die vor Veröffentlichung zensiert werden, die armen Autoren müssen sie zum Teil umschreiben. Das Problem mit physischem Theater ist aber nun, dass jeder Abend neu ist. Die Zensurbehörden haben nun Angst, dass die Schauspieler vom genehmigten Text abweichen. Daher werden ältere Damen beauftragt, mit dem Textbuch in der Hand Zeile für Zeile mitzulesen, ob der gesprochene Text mit dem von der Zensur abgesegneten Text übereinstimmt.

Da gibt sich jemand viel Mühe damit, jede unerwünschte Äußerung abzufangen.

Heute werden auch zum Beispiel an den Universitäten sämtliche Vorlesungen mitgefilmt. 

Nicht nur einfach bespitzelt, sondern gleich aufgenommen?

Und zusätzlich bespitzelt durch die sogenannten Xinxiyuan 信息員, also Informanten. Wir haben das erlebt, als wir selbst an einer chinesischen Universität einen Workshop durchgeführt haben. Da haben uns Mitarbeiter der Universität unter der Hand gewarnt: Seid ein bisschen vorsichtig, in jeder solchen Gruppe sitzt mindestens ein Spitzel, aber wir wissen nicht, wer das ist. Das hat für die, die sich dazu bereit erklären, gewisse Karrierevorteile.

Herrscht dann nicht Misstrauen im Seminarraum?

Ja, es entsteht eine Atmosphäre des Misstrauens und der Angst. Das ist in den Sozialwissenschaften und in geisteswissenschaftlichen Fächern besonders der Fall. Ich kenne eine Reihe von Akademikern, die deshalb unter Depressionen leiden. 

Hier stellt sich wieder die Frage, wie typisch diese Bevölkerungsgruppen für das Land sind. Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt, zu wissen, was in China genau läuft?

Es gibt hier zwei Aspekte, zwischen denen wir unterscheiden müssen. Das eine sind Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen, wie Urbanisierung, Arbeitslosigkeit, Geburtenrate. Das andere ist die gesellschaftliche Wahrnehmung, also die Wahrnehmung durch die Gesellschaft. Bei den strukturellen Veränderungen sehen wir vor allem eine Fortsetzung vorhandener Trends. Corona hatte zwar Auswirkungen darauf, hat den Entwicklungen aber keine völlig neue Richtung gegeben.

Und bei dem zweiten Bereich, der gesellschaftlichen Wahrnehmung?

Hier geht es um Ansichten, Meinungen, Werte. Darüber gesicherte Aussagen zu machen, ist nahezu unmöglich. Wir sind da auf sehr beschränkte Zugangswege angewiesen wie persönliche Bekanntschaften oder den Blick in die Internetforen.

Das Internet ist hysterisch und die persönlichen Nachforschungen finden häufig nur in bestimmten sozialen Kreisen statt.

Ausländer wie ich, die permanent in China leben und professionell dort tätig sind, haben vor allem persönliche Kontakte zu Menschen aus der urbanen Mittelschicht, häufig mit akademischem Hintergrund. In meinem Fall sind es zumeist Intellektuelle, Personen aus der Kulturszene und aus den Medien. Ausländer, die in der Wirtschaft tätig sind, haben wiederum vor allem Kontakte mit chinesischen Kollegen, Unternehmern oder leitenden Angestellten. Alle diese Gruppen sind wichtig, aber nur bedingt repräsentativ für das, was in der Bevölkerung an Haltungen und Meinungen vorherrscht. Das Internet ist tatsächlich hysterisch, in China aber vor allem immer gelenkt und zensiert.

Michael Kahn-Ackermann ist einer der einflussreichsten Kulturmittler zwischen China und Deutschland. Noch während die Kulturrevolution tobte, hat er Sinologie unter anderem in München und Peking studiert. 1988 gründete er als Direktor das Goethe-Institut in Peking, dessen Direktor er nach einigen Zwischenstationen dann nochmals von 2006 bis 2011 war. Leserinnen und Lesern chinesischer Literatur ist er als produktiver Übersetzer bekannt. Seit 2012 berät er die Stiftung Mercator in China. Er lebt in Nanjing und Berlin.

Dieses Interview basiert auf der Veranstaltung “Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft nach Corona” von CNBW Berlin Nähkästle und China.Table Toolbox.

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  • Pandemie
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News

Neuer Botschafter: Deng Hongbo soll nach Berlin kommen

Deng Hongbo 邓洪波 soll Chinas neuer Botschafter in Deutschland werden und damit auf Wu Ken folgen, berichtet die South China Morning Post unter Berufung auf mit der Situation vertraute Quellen. Offiziell verkündet wurde die Personalie bisher noch nicht.

Deng ist seit 2018 einer der stellvertretenden Direktoren des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Bei der Kommission handelt sich um die zentrale Institution für die Koordinierung der chinesischen Außenpolitik auf Parteiebene. Sie ist eng verzahnt mit dem Außenministerium.

Deng wurde in Sichuan geboren und studierte an der Beijing Foreign Studies University, Chinas Diplomatenschmiede. Der 59-Jährige besitzt keinen Deutschland-Hintergrund – im Gegensatz zu seinen Vorgängern in der Berliner Botschaft. Er war dagegen lange in den USA: Von 1999 bis 2005 arbeitete er in verschiedenen Positionen an der chinesischen Botschaft in Washington, 2010 kehrte er für drei Jahre als Gesandter zurück. Hinzu kommen verschiedene Positionen im Außenministerium und eine knapp einjährige Tätigkeit als chinesischer Botschafter in Kenia. jul

  • Diplomatie
  • Wu Ken

Papier des Staatsrates: Diese Rolle sollen Dienstleistungen fürs Wachstum spielen

Mit einer Reihe neuer Maßnahmen will China seinen Dienstleistungssektor ankurbeln und dadurch die schwächelnde Wirtschaft beleben. Der Staatsrat veröffentlichte am Wochenende ein entsprechendes Papier mit 20 Punkten

Unter anderem sieht es vor, Kultur und Tourismus zu fördern. So sollen Transportmittel und Unterkünfte verbessert werden, sowie neue Attraktionen für Touristen entstehen. Es könnte zudem auch eine Ausweitung der visafreien Einreise geben. Ebenfalls genannt wird die sogenannte “Silver Economy”. Aufgrund der alternden Bevölkerung Chinas wird ein großes Wachstumspotential bei Angeboten wie Pflegeeinrichtungen und in der Smart Health-Industrie gesehen. Der Bereich Bildung soll dem Papier zufolge zum Wachstum beitragen, indem die Zusammenarbeit mit internationalen Bildungseinrichtungen gefördert und der Ausbau öffentlicher Bildungsangebote unterstützt wird.

Zahlen des nationalen Statistikamtes zufolge stiegen die Umsätze mit Dienstleistungen im ersten Halbjahr mit 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fast doppelt so schnell wie die Einzelhandelsumsätze mit Waren im gleichen Zeitraum. jul

  • Konsumklima
  • Wirtschaftsentwicklung

Audi: Warum der Hersteller Autos ohne Vier-Ringe-Logo plant

Die Volkswagen-Tochter Audi bringt Insidern zufolge die gemeinsam mit dem chinesischen Partner SAIC entwickelten Autos ohne das Logo mit den vier Ringen auf den Markt. Die Fahrzeuge sollten im November vorgestellt werden, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Der Verzicht auf das bekannte Logo sei Teil des Versuchs, die in China entwickelten Elektroautos vom bestehenden Modellprogramm abzusetzen, das in Deutschland entwickelt worden sei. SAIC erklärte, die gemeinsam entwickelten Elektroautos seien “echte Audis mit einer authentischen Audi-DNA”.

Die beiden Autobauer hatten sich im Mai auf eine weitreichende Zusammenarbeit geeinigt. Die Ingolstädter versprechen sich von der Partnerschaft schnellere Entwicklungszeiten: Bereits im kommenden Jahr sollen die ersten Fahrzeuge auf den Markt kommen. Geplant sind zunächst drei Modelle im B- und C-Segment, also kleinere Fahrzeuge. Bis 2030 könnten es einer mit dem Vorgang vertrauten Person zufolge neun Fahrzeuge werden.

Die Fahrzeuge mit dem Codenamen “Purple” werden Insidern zufolge auf einer gemeinsam entwickelten Plattform gebaut und nutzen Komponenten und Software von chinesischen Zulieferern wie CATL, oder das System für automatisiertes Fahren des Start-ups Momenta. Audi und auch Volkswagen sind vom raschen Aufstieg der Elektromobilität in China zunächst kalt erwischt worden und wollen gemeinsam mit Partnern nun wieder Marktanteile zurückgewinnen. rtr

  • Audi
  • Autoindustrie
  • Elektromobilität
  • SAIC
  • Technologie

Sozialpolitik: So erhalten jetzt auch Wanderarbeiter eine Krankenversicherung

Alle chinesischen Städte müssen nun auch Einwohner ohne lokale Haushaltsregistrierung (Hukou) in die öffentliche Krankenversicherung vor Ort aufnehmen. Wie der Staatsrat mitteilte, müssen nun auch Metropolen wie Peking und Shanghai etwa Wanderarbeitern und ihren Kindern Zugang zu einer Basiskrankenversicherung gewähren – ebenso wie ihren städtischen Mitbürgern. Die größten Städte waren die letzten, für die diese Vorschrift noch nicht gegolten hatte.

Vor Beginn der Ausweitung hatten Wanderarbeiter nur am Heimatort – also dort, wo ihr Hukou lag – Anspruch auf Krankenversicherung. Im Krankheitsfall mussten sie also nach Hause reisen, um Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten zu haben.

Die Reform ist ein Durchbruch für Wanderarbeiter und wird die Zahl der Krankenversicherten deutlich erhöhen – und damit eine der großen Sorgen vieler Menschen lindern. Sie haben bisher für den gesundheitlichen Ernstfall viel Geld gespart. In Shanghai waren nach Angaben der Beratungsagentur Trivium China 2022 nur rund 79 Prozent der Einwohner im Basisversicherungssystem der Stadt eingeschrieben – das seien 16 Prozentpunkte weniger als im Landesdurchschnitt. “Das bedeutet, dass im Rahmen der neuen Politik rund vier Millionen Menschen in das Shanghaier System aufgenommen werden.”

Zu den neuen Maßnahmen gehört laut Trivium auch eine Senkung der Gesundheitskosten für Versicherte, so soll die Erstattungen für ambulante Ausgaben erhöht werden. Die Maßnahmen könnten sich positiv auf den schwächelnden privaten Konsum auswirken. “Diese Ausweitung des sozialen Sicherheitsnetzes wird die Nachfrage nicht so schnell ankurbeln wie es direkte Vermögenstransfers an die Haushalte täten”, kommentieren die Trivium-Analysten. “Dennoch sollte es mittelfristig die Zurückhaltung der Menschen senken, ihre Geldbeutel zu öffnen.” ck

  • Gesellschaft
  • Gesundheit

Unwetter: Tote und Vermisste nach Starkregen in Sichuan

Bei einer Sturzflut und Erdrutschen in der südwestchinesischen Provinz Sichuan sind mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. 19 weitere Menschen werden vermisst, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Samstag berichtete. In der Bergregion Kangding im westlichen Hochland der Provinz rissen Schlammlawinen mehrere Häuser eines Dorfes mit sich. Zudem sei am Morgen eine Brücke zwischen zwei Tunneln einer Schnellstraße eingestürzt. Drei Fahrzeuge seien von der Straße gestürzt. Ein Insasse sei gerettet worden, fünf weitere werden noch vermisst.

China leidet in diesem Sommer unter Rekordregenfällen und Rekordhitzewellen, für die Experten auch den Klimawandel verantwortlich machen. In der südlichen Provinz Hunan waren beim Taifun “Gaemi” Ende Juli mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen. Mitte Juli waren beim Einsturz einer Autobahnbrücke im Zuge starker Regenfälle und Überflutungen in der nordwestlichen Provinz Shaanxi mindestens 38 Menschen getötet worden. rtr/jul

  • Klimawandel
  • Unwetter
  • Xinhua

Presseschau

Machtkampf auf dem Meer: China rüstet auf – und droht den Nachbarn TAGESSCHAU
Pistorius plant Militärabkommen mit den Philippinen TAGESSCHAU
Olympia 2024: Warum das IOC die Konfrontation mit China vermeidet – Es fürchtet einen Pakt mit den verbannten Russen DEUTSCHLANDFUNK
“Schwarze Liste” für Drohnen: China stoppt wegen Ukraine-Konflikt die Lieferung bestimmter Güter an Russland MERKUR
Verdacht auf politische Einflussnahme: China-Fest in Frankfurt – Verbindungen zur Kommunistischen Partei HESSENSCHAU
China-Dumping überschwemmt Biodiesel-Markt – Europa reagiert mit Sonderzöllen MERKUR
1300 Kilometer Eisenbahn gegen China: Der Westen versucht Pekings Einfluss in Afrika mit einem Milliardenprojekt zurückzudrängen NZZ
Pensionierung in China: Tiefes Renteneintrittsalter macht Peking zunehmend zu schaffen SRF
Photovoltaik und Windkraft überholen die Kohle in China PV-MAGAZINE
Das China-Geschäft bremst den Technologiekonzern Siemens FAZ
“Sklavenhalter”: Temu auch in China in der Kritik HEISE
Zwei Tote und mehrere Vermisste: Erdrutsch in China reißt Häuser und Autobrücke mit N-TV
Taiwan verurteilt Zwischenfall mit Fan bei Olympia ZEIT
Hongkong hat an Olympia eine eigene Delegation – “«Die Hongkonger wollen bei Sportveranstaltungen unabhängig vertreten sein” WATSON
Oktoberfest made in China: Wie sich die Kopie vom Original unterscheidet SÜDDEUTSCHE

Personalien

Zhu Jiang wird neuer China-CEO von Genesis, der Luxusmarke des südkoreanischen Autobauers Hyundai. Zhu arbeitete zuvor für die chinesische Niederlassung des US-Luxus-Elektrofahrzeugherstellers Lucid Group. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie, unter anderem bei Start-ups wie Nio, aber auch im China-Geschäft globaler Marken wie BMW, Mini, Lexus und Ford.

Elisabetta Fassina ist seit Juni Senior Business Analyst China Business Unit bei Moncler. Das italienische Modeunternehmen mit französischen Wurzeln ist stark in China investiert und unterhält unter anderem einen 130 Quadratmeter großen Flagship-Store in Shanghai.  

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

Rettich-Recruitment 

萝卜坑 – luóbokēng – Rettich-Recruitment

Sie wollen sich beruflich umorientieren? Dann passen Sie auf, dass Sie beim Durchackern der Stellenangebote in ihrem Berufsfeld nicht über ein Rettich-Recruitment stolpern. Der chinesische Volksmund weiß: 一个萝卜一个坑 yí gè luóbo yí gè kēng. Frei übersetzt: Jede Rübe hat ihre Ritze. Und das will heißen: Jeder hat, was die Arbeit angeht, seinen festen Platz und die für ihn bestimmte Aufgabe, auf die es sich zu konzentrieren gilt. Eine Quintessenz aus Jahrtausende langer Feldarbeit eben. Doch manchmal wird die Agrarwelt auch auf den Kopf gestellt. Dann nämlich, wenn zuerst die Rübe da ist und erst danach die passende Ritze. Klingt nach einer verrückten Variante des Henne-Ei-Problems? Stimmt! 

Bevor Sie sich jetzt lange die Rübe zerbrechen, was zum Rettich damit gemeint sein soll, will ich Ihnen nicht lange die Karotte vor der Nase baumeln lassen. Rettich-Mulde – 萝卜坑 luóbokēng – ist der chinesische Bio-Begriff für ein “Scheinstellenangebot”. Also eine Position, die nur pro forma ausgeschrieben wird, für die aber intern schon längst ein passgenauer Rettich in den Startlöchern steht, der nur darauf wartet, sich ins gemachte Beet zu pflanzen. 

坑 kēng heißt auf Chinesisch “Mulde, Grube, Loch” oder auch “Höhle”. Mit 萝卜 luóbo ist der Gartenrettich oder Radi gemeint. Manch Chinesischlerner kennt das Wort vor allem aus der Gemüse-Einsteigervokabel 胡萝卜 húluóbo – also “Karotte”. Manchmal wird ein Posten für einen Radi-Kandidaten auch überhaupt erst aus dem Boden gestampft. Als maßgeschneiderte Beschäftigungsmulde quasi. Solche Tailor-Made-Arbeitsplätze schimpfen sich in China dann “Rettich-Posten” (萝卜岗位 luóbo gǎngwèi). 

Sprachliche Reaktion auf das alte Problem der Vetternwirtschaft

Die sprachlichen Neuschöpfungen sind Reaktionen auf ein altes Problem: Nämlich Vetternwirtschaft und Gemauschel, wie sie gelegentlich noch immer in chinesischen Staatsbetrieben, öffentlichen Institutionen oder Hochschulen vorkommen, wenn es um die Vergabe lukrativer und krisensicherer Posten geht. In staatlichen Danwei-Arbeitseinheiten reicht man die eiserne Reisschale (铁饭碗 tiěfànwǎn) eben gerne hin und wieder intern über Beziehungen weiter und lässt damit die guanxi-gebeutelten Normalo-Rettiche auf dem freien Arbeitsmarkt alt aussehen. Bewerbungsverfahren verkommen bei solch abgekarteten Spielchen natürlich zur Farce. Schließlich steht längst fest, welche Rübe am Ende das Rennen macht. Für den Wunschkandidaten ist die Bewerbungsprozedur also nur noch Formsache, oder wie man in China sagen würde: 走流程 zǒu liúchéng, wörtlich “das Prozedere wird durchlaufen”. 

Im Reich der Mitte werden aber nicht nur Jobmulden gebuddelt, sondern manchmal auch richtige Gruben gegraben. Denn das Wörtchen 坑 kēng bedeutet umgangssprachlich eben auch “Grube” im Sinne von “Falle”. 挖坑 wā kēng heißt entsprechend “jemandem eine Grube graben”. Kommt uns im Deutschen ja bekannt vor. Allerdings braucht die deutsche Redensart “Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein” im Mandarin ein Update. Denn in China schaufelt man sich die Grube direkt selbst, bevor man freudig hineinhopst. 给自己挖坑 gěi zìjǐ wā kēng “sich selbst eine Grube graben” heißt das im Jugendsprech. Gemeint ist, aus freien Stücken Dingen mit Suchtfaktor auf den Leim gehen, von denen man am Ende nicht mehr loskommt. 

Allen voran zählt dazu das schwarze Loch des Internets. In das werden über YouTube, TikTok, Netflix und Co. nämlich nicht nur westliche Quadrat-Augen gesogen. Auch die Chinesen verschwinden Tag für Tag im Kaninchenbau des World Wide Web. 入坑 rù kēng “in eine Grube geraten, in eine Höhle eintreten” heißt es in China folgerichtig, wenn man von etwas angefixt wird, das einem die Zeit oder den Inhalt des Geldbeutels auffrisst. Ein Beispiel wären hier spannende Streamingserien, deren Konsum schon mal in Binge-Watching-Wochenenden ausarten kann. Ein weiterer typischer Hype unter jungen Chinesen ist zudem die Euphorie um die Sammelfiguren von Pop Mart (auf Chinesisch 泡泡玛特 pàopao mǎté), mit denen das Unternehmen in China Milliarden scheffelt. Es scheint, als krabbelt man auch aus dieser Grubenfalle nur schwer wieder heraus. Oder wie Chinas Jugend es formuliert: man wurde erfolgreich “gehöhlt” oder “abgegrubelt” (被坑了 bèi kēng le). 

Streaming in der Grube

Im Falle von Streaming führt solches Grubenplumpsen schlimmstenfalls sogar soweit, dass man das Handy gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Selbst am stillen Örtchen. Dieses heißt im Chinesischen übrigens umgangssprachlich auch 坑 kēng, zumindest wenn es sich um eine stilechte Hocktoilette (蹲坑 dūnkēng) handelt. 

Exzessive Streaming-Sitzungen auf dem Donnerbalken sollte man sich aber natürlich besser nicht am Arbeitsplatz gönnen. Es sei denn, man wähnt sich auf bombensicherem Posten, weil man eine Rettichritze besetzt (Sie sehen: hier schließt sich der Rübenkreis). Doch langfristig dürfte man so seine Gemüsepflänzchen nicht ins Trockene bringen. Schließlich sind Rüben, die nicht Rackern, am Ende nirgends gerne gesehen, auch nicht in China. Schon Deng Xiaoping mahnte in diesem Zusammenhang mit erhobenem Zeigefinger seine Kaderriegen, man solle nicht – pardon! – “Das Klo belegen ohne zu kacken” (占着茅坑不拉屎 zhànzhe máokēng bù lāshǐ), also einen Posten besetzen, ohne seine Arbeit zu machen. Manchmal hilft es scheinbar, die Dinge bildhaft beim Namen zu nennen. An unterhaltsamen Metaphern hierfür mangelt es dem Mandarin jedenfalls nicht. Das hat diese sprachliche Feldstudie ja wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. 

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

  • Zur Sprache

Dessert

Lei Jun, der CEO von Xiaomi, ist einer der beliebtesten Unternehmer Chinas. Das liegt auch an seiner Präsenz im Netz. Seine öffentlichen Präsentationen werden dort von Millionen Zuschauern verfolgt, seine Zitate wie konfuzianische Weisheiten geteilt. Lei Jun ist aber auch oft Ziel von spöttischen Memes und Kommentaren. Seit kurzem hat der Milliardär einen Account auf Douyin, dem chinesischen Tiktok, wo er sich volksnah im Alltag präsentiert, etwa auf Paris-Reise oder beim chinesischen Allerwelts-Frühstück in Form von Sojamilch und Toutiao. “Und was esst ihr so zum Frühstück?”, fragte er in einem seiner Videos seine Follower. “Wir essen Bitternis zum Frühstück” (吃苦), antwortete ein User und bekam dafür hundertfach Likes und Lacher.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Deng Hongbo 邓洪波 soll Chinas neuer Botschafter in Deutschland werden. Offiziell verkündet wurde die Personalie bisher noch nicht. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern besitzt Deng keinen Deutschland-Hintergrund, wechselt dafür aber von einem Posten, der außenpolitisch sehr einflussreich ist. Er ist aktuell einer der stellvertretenden Direktoren des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Mehr zu der Personalie finden Sie in unseren News.

    Deutschland wird sich im Indopazifik künftig stärker militärisch engagieren. Das hat Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seiner Reise nach Korea, Hawaii und auf die Philippinen deutlich gemacht. Die Vereinbarungen, die er dabei unterzeichnete, sehen zum Beispiel eine Zusammenarbeit der deutschen mit den philippinischen Streitkräften vor.

    Das vorrangige Ziel ist Deeskalation, doch ein Land dürfte die Initiative eher negativ auffassen: China. Selbst wenn Pistorius betont, dass Deutschlands Engagement nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet ist – der Elefant steht nun einmal im Raum. Die Philippinen, Südkorea und die USA blicken mit Sorge darauf, wie China seine Ziele verfolgt. Michael Radunski analysiert Pistorius’ Pläne.

    Die Erfahrungen der Corona-Politik haben Risse zwischen Chinas urbaner Bevölkerung und der Regierung verursacht – das Vertrauen in Weisheit, Allmacht und Klugheit der politischen Führung hat gelitten. Das konstatiert Michael Kahn-Ackermann im Interview mit Finn Mayer-Kuckuk, betont aber zugleich, dass der chinesische Staat deswegen noch lange nicht ins Wanken gerät.

    Kahn-Ackermann ist einer der einflussreichsten Kulturmittler zwischen China und Deutschland mit knapp 50 Jahren Erfahrung. Auch die Corona-Zeit hat er vor Ort erlebt. Das Interview fand im Rahmen unserer Veranstaltung China.Table Toolbox statt, die wir vergangenen Donnerstag gemeinsam mit dem China-Netzwerk Baden-Württemberg ausgerichtet haben. Vielleicht sind Sie das nächste Mal ja mit dabei?

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    Pistorius im Indopazifik: Wie sich Deutschland künftig militärisch einbringt

    Verteidigungsminister Boris Pistorius am Sonntag mit seinem philippinischen Amtskollegen Gilberto Teodoro in Manila.

    Deutschland will eine größere Rolle im Indopazifik spielen – und Verteidigungsminister Boris Pistorius hat auf seiner am Wochenende zu Ende gegangenen Reise in die Region diesem Anspruch auch Taten folgen lassen. Die wichtigsten Übereinkünfte sind:

    • Philippinen: Vereinbarung über eine Verteidigungskooperation. Geplant ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den deutschen und philippinischen Streitkräften.
    • Südkorea: Beitritt zum United Nations Command. Um den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, will Deutschland zukünftig Personal auf die koreanische Halbinsel entsenden.
    • USA: Stationierung eines Verbindungsoffiziers im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA im US-Bundesstaat Hawaii.

    Immer auch China im Blick

    Pistorius betonte am Sonntag in Manila: Das deutsche Engagement in der Region sei nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet. Vielmehr wolle man zur Deeskalation beitragen. Es gehe darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu gewährleisten, die Freiheit der Schifffahrt zu sichern und Handelsrouten zu schützen. Das alles stimmt – und ist auch wichtig.

    Dennoch steht auf allen Stationen der Pistorius-Reise immer auch der sprichwörtliche Elefant im Raum: China. Die Volksrepublik rüstet auf und verfolgt zunehmend robust seine Ziele. Gerade die Philippinen, Südkorea und vor allem die USA blicken besorgt auf China. Die Spannungen in der wirtschaftlich auch für Deutschland wichtigen Region nehmen immer weiter zu.

    Auch das Verhältnis zwischen China und Deutschland gestaltet sich zunehmend schwieriger – erst vergangene Woche wurde chinesische Cyberspionage zum Thema. Auf die wachsenden Spannungen hatte Berlin 2023 mit einer eigenen China-Strategie reagiert, die unter anderem die Stärkung von Partnerschaften in Ostasien vorsieht.

    Und so wird Pistorius nicht zuletzt auch dem Strategiepapier seiner Regierung gerecht. Man will China mehr als Partner, Wettbewerber und Rivale ansehen. Und man will Diversifizieren.

    Pistorius setzt wichtige Akzente

    Pistorius hat auf seiner Reise denn auch wichtige Akzente gesetzt:

    • Präsenz zeigen – nicht nur temporär, sondern dauerhaft,
    • Allianzen stärken – nicht nur durch Worte, sondern durch Aufgaben,
    • Partner unterstützen – Stichwort “Burden Sharing”.

    Angesichts des Zustandes der Bundeswehr wird es aber im militärischen Bereich auf absehbare Zeit wohl bei Akzenten bleiben. Aber diese Punkte senden dennoch bereits wichtige Signale an die deutschen Partner in der Region.

    Philippinen: Engere militärische Zusammenarbeit

    Am Sonntag vereinbarten Pistorius und sein philippinischer Amtskollege Gilberto Teodoro eine engere militärische Zusammenarbeit. Das Ziel: gemeinsame Übungen, mehr bilateraler Austausch im Verteidigungsbereich, eventuell auch Rüstungskooperation. Ein entsprechendes Abkommen soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. Das ist auch wirtschaftlich wichtig: Deutsche Rüstungskonzerne könnten große Aufträge erhalten. Sie könnten bei der Modernisierung des philippinischen Militärs eine wichtige Rolle spielen.

    Die Philippinen sehen sich vor allem von China massiv unter Druck gesetzt. Es geht um Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Die Philippinen haben deshalb zuletzt auch mit den USA ihre militärische Zusammenarbeit verstärkt und mit Japan ein Verteidigungsabkommen geschlossen.

    Südkorea: Sicherung gegenüber Nordkorea

    Bei seinem Stopp in Südkorea kündigte Pistorius am Freitag an, dass Deutschland dem United Nations Command beitreten werde. Das Kommando ist nicht den Vereinten Nationen unterstellt, sondern wird von den USA geführt. Es soll die Grenze und den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea überwachen. Wie der deutsche Beitrag konkret aussehen wird, soll in den nächsten Wochen und Monaten entschieden werden.

    Auch Südkoreas Beziehungen mit China sind angespannt. Der Hauptfokus liegt hier jedoch auf Nordkorea. Machthaber Kim Jong-un treibt sein Raketen- und Atomwaffenprogramm intensiv voran. Immer wieder droht er dem Süden. Und so ist es wichtig, dass Deutschland seinen Partner Südkorea in Fragen der nationalen Sicherheit unterstützt.

    Zudem haben Russland und Nordkorea ihre Zusammenarbeit zuletzt ausgebaut. Neben Munitionslieferungen gibt es erste Berichte, wonach auch nordkoreanische Waffen im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen. Spätestens hier sind dann auch die deutsche und europäische Sicherheit direkt betroffen. Pistorius stellte in Südkorea denn auch klar: “Putin und Kim rüsten auf und pfeifen gleichzeitig auf die regelbasierte internationale Ordnung, auf das internationale Völkerrecht.”

    USA: Kriegsschiffe und Verbindungsoffizier

    Zum Auftakt seiner Indopazifik-Reise hatte Verteidigungsminister Pistorius angekündigt, dass die Bundeswehr dauerhaft einen Verbindungsoffizier im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA (Indopacom) im US-Bundesstaat Hawaii stationieren werde. Zudem schaute er sich die Militärübung Rimpac2024 an.

    Seit 1971 treffen sich alle zwei Jahre unter US-Führung die Militäreinheiten von Pazifik-Anrainern und anderer am Indopazifik interessierter Staaten. Dadurch soll die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Einheiten verbessert werden.

    Die Bundeswehr schickt erstmals zwei Kampfschiffe in das gewaltige Manöver: die Fregatte “Baden-Württemberg” und den Einsatzgruppenversorger “Frankfurt am Main”. Hinzu kommen drei Eurofighter und zwei A400M zur Luftbetankung. Hier geht es vor allem darum, ein Signal an den wichtigen Partner USA zu senden: Deutschland ist bereit, sich an gemeinsamen Aufgaben zu beteiligen und mehr Präsenz im Indopazifik zu zeigen.

    Zeichen an Partner – und an China

    So setzt Pistorius mit seiner Reise und den getroffenen Vereinbarungen klare Zeichen: Deutschland hat die Wichtigkeit des Indopazifiks erkannt. Mehr noch: Man ist auch bereit, Präsenz zu zeigen, Aufgaben zu übernehmen und so die Partner vor Ort zu unterstützen. Auch, wenn der Indopazifik geografisch weit entfernt ist, sind Deutschlands Interessen eng mit der Region verwoben – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

    Die USA haben unmissverständlich klargemacht, dass ihr zukünftiger Fokus nicht mehr auf Europa, sondern auf dem Indopazifik liegen wird. Hier sieht Washington den großen Herausforderer der Zukunft: China. Und das wird unabhängig von Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl im November auch so bleiben. Wollen Deutschland und Europa weiterhin Gehör in Washington finden, müssen sie sich mehr einbringen.

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    Interview

    “Seit Corona hat die Überwachung noch zugenommen”

    Michael Kahn-Ackermann, langjähriger Leiter des Goethe-Institus Peking, auf der Veranstaltung von CNBW und Table.Briefings zu Veränderungen in Chinas Gesellschaft nach Corona.

    Inwiefern hat die Pandemie das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung geschädigt? 

    Ich würde nicht von “der Bevölkerung” oder gar von “den Chinesen” reden, sondern immer nur von betroffenen Teilen der Bevölkerung. Und Corona hat auf unterschiedliche Orte in China sehr unterschiedlich gewirkt. Insgesamt kann man sagen, dass die Erfahrungen der Corona-Politik in großen Teilen der urbanen Bevölkerung Risse im Vertrauen in die Weisheit, Allmacht und Klugheit der politischen Führung hinterlassen hat. 

    Risse – das bedeutet keine großangelegte Destabilisierung, sondern nur eine Verringerung des Vertrauens.

    Wir müssen unterscheiden zwischen einer aktuellen Verringerung des Vertrauens und der Systemfrage. Corona hat nicht im systemischen Sinne eine Destabilisierung bewirkt. Bei uns wird ja oft gleich die Systemfrage gestellt, wenn in China Schwierigkeiten auftreten. Das halte ich für unrealistisch, für Wunschdenken. Das gegenwärtige politische System in China steht beim überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht in Frage. Aber das Ansehen und das Verhältnis zur politischen Führung haben unter den Lockdowns ohne Frage gelitten.

    Die hohe Stabilität liegt auch an der digitalen Kontrolle, und da hat Corona eine Perfektionierung der Instrumente ermöglicht. Ist die Überwachung insgesamt engmaschiger geworden?

    Die zunehmende soziale Kontrolle funktioniert zwar mithilfe digitaler Techniken, aber nicht ausschließlich, ein guter Teil ist ganz einfach physische Kontrolle. Sie ist keine Erfindung der Corona-Zeit, sondern schon lange Teil der politischen Strategie. Corona hat diesen Prozess aber verstärkt und beschleunigt. Man kann allgemein sagen: Die Überwachung hat zugenommen in den vergangenen drei, vier Jahren seit Corona.

    Können Sie ein Beispiel für die Zunahme der nicht-digitalen Überwachung nennen? 

    Ich nenne jetzt ein Beispiel, das so abwegig ist – es klingt schon fast komisch. Sämtliche gedruckten Erzeugnisse durchlaufen bekanntlich die Zensur. Das gilt auch für Theaterstücke, die vor Veröffentlichung zensiert werden, die armen Autoren müssen sie zum Teil umschreiben. Das Problem mit physischem Theater ist aber nun, dass jeder Abend neu ist. Die Zensurbehörden haben nun Angst, dass die Schauspieler vom genehmigten Text abweichen. Daher werden ältere Damen beauftragt, mit dem Textbuch in der Hand Zeile für Zeile mitzulesen, ob der gesprochene Text mit dem von der Zensur abgesegneten Text übereinstimmt.

    Da gibt sich jemand viel Mühe damit, jede unerwünschte Äußerung abzufangen.

    Heute werden auch zum Beispiel an den Universitäten sämtliche Vorlesungen mitgefilmt. 

    Nicht nur einfach bespitzelt, sondern gleich aufgenommen?

    Und zusätzlich bespitzelt durch die sogenannten Xinxiyuan 信息員, also Informanten. Wir haben das erlebt, als wir selbst an einer chinesischen Universität einen Workshop durchgeführt haben. Da haben uns Mitarbeiter der Universität unter der Hand gewarnt: Seid ein bisschen vorsichtig, in jeder solchen Gruppe sitzt mindestens ein Spitzel, aber wir wissen nicht, wer das ist. Das hat für die, die sich dazu bereit erklären, gewisse Karrierevorteile.

    Herrscht dann nicht Misstrauen im Seminarraum?

    Ja, es entsteht eine Atmosphäre des Misstrauens und der Angst. Das ist in den Sozialwissenschaften und in geisteswissenschaftlichen Fächern besonders der Fall. Ich kenne eine Reihe von Akademikern, die deshalb unter Depressionen leiden. 

    Hier stellt sich wieder die Frage, wie typisch diese Bevölkerungsgruppen für das Land sind. Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt, zu wissen, was in China genau läuft?

    Es gibt hier zwei Aspekte, zwischen denen wir unterscheiden müssen. Das eine sind Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen, wie Urbanisierung, Arbeitslosigkeit, Geburtenrate. Das andere ist die gesellschaftliche Wahrnehmung, also die Wahrnehmung durch die Gesellschaft. Bei den strukturellen Veränderungen sehen wir vor allem eine Fortsetzung vorhandener Trends. Corona hatte zwar Auswirkungen darauf, hat den Entwicklungen aber keine völlig neue Richtung gegeben.

    Und bei dem zweiten Bereich, der gesellschaftlichen Wahrnehmung?

    Hier geht es um Ansichten, Meinungen, Werte. Darüber gesicherte Aussagen zu machen, ist nahezu unmöglich. Wir sind da auf sehr beschränkte Zugangswege angewiesen wie persönliche Bekanntschaften oder den Blick in die Internetforen.

    Das Internet ist hysterisch und die persönlichen Nachforschungen finden häufig nur in bestimmten sozialen Kreisen statt.

    Ausländer wie ich, die permanent in China leben und professionell dort tätig sind, haben vor allem persönliche Kontakte zu Menschen aus der urbanen Mittelschicht, häufig mit akademischem Hintergrund. In meinem Fall sind es zumeist Intellektuelle, Personen aus der Kulturszene und aus den Medien. Ausländer, die in der Wirtschaft tätig sind, haben wiederum vor allem Kontakte mit chinesischen Kollegen, Unternehmern oder leitenden Angestellten. Alle diese Gruppen sind wichtig, aber nur bedingt repräsentativ für das, was in der Bevölkerung an Haltungen und Meinungen vorherrscht. Das Internet ist tatsächlich hysterisch, in China aber vor allem immer gelenkt und zensiert.

    Michael Kahn-Ackermann ist einer der einflussreichsten Kulturmittler zwischen China und Deutschland. Noch während die Kulturrevolution tobte, hat er Sinologie unter anderem in München und Peking studiert. 1988 gründete er als Direktor das Goethe-Institut in Peking, dessen Direktor er nach einigen Zwischenstationen dann nochmals von 2006 bis 2011 war. Leserinnen und Lesern chinesischer Literatur ist er als produktiver Übersetzer bekannt. Seit 2012 berät er die Stiftung Mercator in China. Er lebt in Nanjing und Berlin.

    Dieses Interview basiert auf der Veranstaltung “Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft nach Corona” von CNBW Berlin Nähkästle und China.Table Toolbox.

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    News

    Neuer Botschafter: Deng Hongbo soll nach Berlin kommen

    Deng Hongbo 邓洪波 soll Chinas neuer Botschafter in Deutschland werden und damit auf Wu Ken folgen, berichtet die South China Morning Post unter Berufung auf mit der Situation vertraute Quellen. Offiziell verkündet wurde die Personalie bisher noch nicht.

    Deng ist seit 2018 einer der stellvertretenden Direktoren des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Bei der Kommission handelt sich um die zentrale Institution für die Koordinierung der chinesischen Außenpolitik auf Parteiebene. Sie ist eng verzahnt mit dem Außenministerium.

    Deng wurde in Sichuan geboren und studierte an der Beijing Foreign Studies University, Chinas Diplomatenschmiede. Der 59-Jährige besitzt keinen Deutschland-Hintergrund – im Gegensatz zu seinen Vorgängern in der Berliner Botschaft. Er war dagegen lange in den USA: Von 1999 bis 2005 arbeitete er in verschiedenen Positionen an der chinesischen Botschaft in Washington, 2010 kehrte er für drei Jahre als Gesandter zurück. Hinzu kommen verschiedene Positionen im Außenministerium und eine knapp einjährige Tätigkeit als chinesischer Botschafter in Kenia. jul

    • Diplomatie
    • Wu Ken

    Papier des Staatsrates: Diese Rolle sollen Dienstleistungen fürs Wachstum spielen

    Mit einer Reihe neuer Maßnahmen will China seinen Dienstleistungssektor ankurbeln und dadurch die schwächelnde Wirtschaft beleben. Der Staatsrat veröffentlichte am Wochenende ein entsprechendes Papier mit 20 Punkten

    Unter anderem sieht es vor, Kultur und Tourismus zu fördern. So sollen Transportmittel und Unterkünfte verbessert werden, sowie neue Attraktionen für Touristen entstehen. Es könnte zudem auch eine Ausweitung der visafreien Einreise geben. Ebenfalls genannt wird die sogenannte “Silver Economy”. Aufgrund der alternden Bevölkerung Chinas wird ein großes Wachstumspotential bei Angeboten wie Pflegeeinrichtungen und in der Smart Health-Industrie gesehen. Der Bereich Bildung soll dem Papier zufolge zum Wachstum beitragen, indem die Zusammenarbeit mit internationalen Bildungseinrichtungen gefördert und der Ausbau öffentlicher Bildungsangebote unterstützt wird.

    Zahlen des nationalen Statistikamtes zufolge stiegen die Umsätze mit Dienstleistungen im ersten Halbjahr mit 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fast doppelt so schnell wie die Einzelhandelsumsätze mit Waren im gleichen Zeitraum. jul

    • Konsumklima
    • Wirtschaftsentwicklung

    Audi: Warum der Hersteller Autos ohne Vier-Ringe-Logo plant

    Die Volkswagen-Tochter Audi bringt Insidern zufolge die gemeinsam mit dem chinesischen Partner SAIC entwickelten Autos ohne das Logo mit den vier Ringen auf den Markt. Die Fahrzeuge sollten im November vorgestellt werden, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Der Verzicht auf das bekannte Logo sei Teil des Versuchs, die in China entwickelten Elektroautos vom bestehenden Modellprogramm abzusetzen, das in Deutschland entwickelt worden sei. SAIC erklärte, die gemeinsam entwickelten Elektroautos seien “echte Audis mit einer authentischen Audi-DNA”.

    Die beiden Autobauer hatten sich im Mai auf eine weitreichende Zusammenarbeit geeinigt. Die Ingolstädter versprechen sich von der Partnerschaft schnellere Entwicklungszeiten: Bereits im kommenden Jahr sollen die ersten Fahrzeuge auf den Markt kommen. Geplant sind zunächst drei Modelle im B- und C-Segment, also kleinere Fahrzeuge. Bis 2030 könnten es einer mit dem Vorgang vertrauten Person zufolge neun Fahrzeuge werden.

    Die Fahrzeuge mit dem Codenamen “Purple” werden Insidern zufolge auf einer gemeinsam entwickelten Plattform gebaut und nutzen Komponenten und Software von chinesischen Zulieferern wie CATL, oder das System für automatisiertes Fahren des Start-ups Momenta. Audi und auch Volkswagen sind vom raschen Aufstieg der Elektromobilität in China zunächst kalt erwischt worden und wollen gemeinsam mit Partnern nun wieder Marktanteile zurückgewinnen. rtr

    • Audi
    • Autoindustrie
    • Elektromobilität
    • SAIC
    • Technologie

    Sozialpolitik: So erhalten jetzt auch Wanderarbeiter eine Krankenversicherung

    Alle chinesischen Städte müssen nun auch Einwohner ohne lokale Haushaltsregistrierung (Hukou) in die öffentliche Krankenversicherung vor Ort aufnehmen. Wie der Staatsrat mitteilte, müssen nun auch Metropolen wie Peking und Shanghai etwa Wanderarbeitern und ihren Kindern Zugang zu einer Basiskrankenversicherung gewähren – ebenso wie ihren städtischen Mitbürgern. Die größten Städte waren die letzten, für die diese Vorschrift noch nicht gegolten hatte.

    Vor Beginn der Ausweitung hatten Wanderarbeiter nur am Heimatort – also dort, wo ihr Hukou lag – Anspruch auf Krankenversicherung. Im Krankheitsfall mussten sie also nach Hause reisen, um Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten zu haben.

    Die Reform ist ein Durchbruch für Wanderarbeiter und wird die Zahl der Krankenversicherten deutlich erhöhen – und damit eine der großen Sorgen vieler Menschen lindern. Sie haben bisher für den gesundheitlichen Ernstfall viel Geld gespart. In Shanghai waren nach Angaben der Beratungsagentur Trivium China 2022 nur rund 79 Prozent der Einwohner im Basisversicherungssystem der Stadt eingeschrieben – das seien 16 Prozentpunkte weniger als im Landesdurchschnitt. “Das bedeutet, dass im Rahmen der neuen Politik rund vier Millionen Menschen in das Shanghaier System aufgenommen werden.”

    Zu den neuen Maßnahmen gehört laut Trivium auch eine Senkung der Gesundheitskosten für Versicherte, so soll die Erstattungen für ambulante Ausgaben erhöht werden. Die Maßnahmen könnten sich positiv auf den schwächelnden privaten Konsum auswirken. “Diese Ausweitung des sozialen Sicherheitsnetzes wird die Nachfrage nicht so schnell ankurbeln wie es direkte Vermögenstransfers an die Haushalte täten”, kommentieren die Trivium-Analysten. “Dennoch sollte es mittelfristig die Zurückhaltung der Menschen senken, ihre Geldbeutel zu öffnen.” ck

    • Gesellschaft
    • Gesundheit

    Unwetter: Tote und Vermisste nach Starkregen in Sichuan

    Bei einer Sturzflut und Erdrutschen in der südwestchinesischen Provinz Sichuan sind mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. 19 weitere Menschen werden vermisst, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Samstag berichtete. In der Bergregion Kangding im westlichen Hochland der Provinz rissen Schlammlawinen mehrere Häuser eines Dorfes mit sich. Zudem sei am Morgen eine Brücke zwischen zwei Tunneln einer Schnellstraße eingestürzt. Drei Fahrzeuge seien von der Straße gestürzt. Ein Insasse sei gerettet worden, fünf weitere werden noch vermisst.

    China leidet in diesem Sommer unter Rekordregenfällen und Rekordhitzewellen, für die Experten auch den Klimawandel verantwortlich machen. In der südlichen Provinz Hunan waren beim Taifun “Gaemi” Ende Juli mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen. Mitte Juli waren beim Einsturz einer Autobahnbrücke im Zuge starker Regenfälle und Überflutungen in der nordwestlichen Provinz Shaanxi mindestens 38 Menschen getötet worden. rtr/jul

    • Klimawandel
    • Unwetter
    • Xinhua

    Presseschau

    Machtkampf auf dem Meer: China rüstet auf – und droht den Nachbarn TAGESSCHAU
    Pistorius plant Militärabkommen mit den Philippinen TAGESSCHAU
    Olympia 2024: Warum das IOC die Konfrontation mit China vermeidet – Es fürchtet einen Pakt mit den verbannten Russen DEUTSCHLANDFUNK
    “Schwarze Liste” für Drohnen: China stoppt wegen Ukraine-Konflikt die Lieferung bestimmter Güter an Russland MERKUR
    Verdacht auf politische Einflussnahme: China-Fest in Frankfurt – Verbindungen zur Kommunistischen Partei HESSENSCHAU
    China-Dumping überschwemmt Biodiesel-Markt – Europa reagiert mit Sonderzöllen MERKUR
    1300 Kilometer Eisenbahn gegen China: Der Westen versucht Pekings Einfluss in Afrika mit einem Milliardenprojekt zurückzudrängen NZZ
    Pensionierung in China: Tiefes Renteneintrittsalter macht Peking zunehmend zu schaffen SRF
    Photovoltaik und Windkraft überholen die Kohle in China PV-MAGAZINE
    Das China-Geschäft bremst den Technologiekonzern Siemens FAZ
    “Sklavenhalter”: Temu auch in China in der Kritik HEISE
    Zwei Tote und mehrere Vermisste: Erdrutsch in China reißt Häuser und Autobrücke mit N-TV
    Taiwan verurteilt Zwischenfall mit Fan bei Olympia ZEIT
    Hongkong hat an Olympia eine eigene Delegation – “«Die Hongkonger wollen bei Sportveranstaltungen unabhängig vertreten sein” WATSON
    Oktoberfest made in China: Wie sich die Kopie vom Original unterscheidet SÜDDEUTSCHE

    Personalien

    Zhu Jiang wird neuer China-CEO von Genesis, der Luxusmarke des südkoreanischen Autobauers Hyundai. Zhu arbeitete zuvor für die chinesische Niederlassung des US-Luxus-Elektrofahrzeugherstellers Lucid Group. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie, unter anderem bei Start-ups wie Nio, aber auch im China-Geschäft globaler Marken wie BMW, Mini, Lexus und Ford.

    Elisabetta Fassina ist seit Juni Senior Business Analyst China Business Unit bei Moncler. Das italienische Modeunternehmen mit französischen Wurzeln ist stark in China investiert und unterhält unter anderem einen 130 Quadratmeter großen Flagship-Store in Shanghai.  

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    Rettich-Recruitment 

    萝卜坑 – luóbokēng – Rettich-Recruitment

    Sie wollen sich beruflich umorientieren? Dann passen Sie auf, dass Sie beim Durchackern der Stellenangebote in ihrem Berufsfeld nicht über ein Rettich-Recruitment stolpern. Der chinesische Volksmund weiß: 一个萝卜一个坑 yí gè luóbo yí gè kēng. Frei übersetzt: Jede Rübe hat ihre Ritze. Und das will heißen: Jeder hat, was die Arbeit angeht, seinen festen Platz und die für ihn bestimmte Aufgabe, auf die es sich zu konzentrieren gilt. Eine Quintessenz aus Jahrtausende langer Feldarbeit eben. Doch manchmal wird die Agrarwelt auch auf den Kopf gestellt. Dann nämlich, wenn zuerst die Rübe da ist und erst danach die passende Ritze. Klingt nach einer verrückten Variante des Henne-Ei-Problems? Stimmt! 

    Bevor Sie sich jetzt lange die Rübe zerbrechen, was zum Rettich damit gemeint sein soll, will ich Ihnen nicht lange die Karotte vor der Nase baumeln lassen. Rettich-Mulde – 萝卜坑 luóbokēng – ist der chinesische Bio-Begriff für ein “Scheinstellenangebot”. Also eine Position, die nur pro forma ausgeschrieben wird, für die aber intern schon längst ein passgenauer Rettich in den Startlöchern steht, der nur darauf wartet, sich ins gemachte Beet zu pflanzen. 

    坑 kēng heißt auf Chinesisch “Mulde, Grube, Loch” oder auch “Höhle”. Mit 萝卜 luóbo ist der Gartenrettich oder Radi gemeint. Manch Chinesischlerner kennt das Wort vor allem aus der Gemüse-Einsteigervokabel 胡萝卜 húluóbo – also “Karotte”. Manchmal wird ein Posten für einen Radi-Kandidaten auch überhaupt erst aus dem Boden gestampft. Als maßgeschneiderte Beschäftigungsmulde quasi. Solche Tailor-Made-Arbeitsplätze schimpfen sich in China dann “Rettich-Posten” (萝卜岗位 luóbo gǎngwèi). 

    Sprachliche Reaktion auf das alte Problem der Vetternwirtschaft

    Die sprachlichen Neuschöpfungen sind Reaktionen auf ein altes Problem: Nämlich Vetternwirtschaft und Gemauschel, wie sie gelegentlich noch immer in chinesischen Staatsbetrieben, öffentlichen Institutionen oder Hochschulen vorkommen, wenn es um die Vergabe lukrativer und krisensicherer Posten geht. In staatlichen Danwei-Arbeitseinheiten reicht man die eiserne Reisschale (铁饭碗 tiěfànwǎn) eben gerne hin und wieder intern über Beziehungen weiter und lässt damit die guanxi-gebeutelten Normalo-Rettiche auf dem freien Arbeitsmarkt alt aussehen. Bewerbungsverfahren verkommen bei solch abgekarteten Spielchen natürlich zur Farce. Schließlich steht längst fest, welche Rübe am Ende das Rennen macht. Für den Wunschkandidaten ist die Bewerbungsprozedur also nur noch Formsache, oder wie man in China sagen würde: 走流程 zǒu liúchéng, wörtlich “das Prozedere wird durchlaufen”. 

    Im Reich der Mitte werden aber nicht nur Jobmulden gebuddelt, sondern manchmal auch richtige Gruben gegraben. Denn das Wörtchen 坑 kēng bedeutet umgangssprachlich eben auch “Grube” im Sinne von “Falle”. 挖坑 wā kēng heißt entsprechend “jemandem eine Grube graben”. Kommt uns im Deutschen ja bekannt vor. Allerdings braucht die deutsche Redensart “Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein” im Mandarin ein Update. Denn in China schaufelt man sich die Grube direkt selbst, bevor man freudig hineinhopst. 给自己挖坑 gěi zìjǐ wā kēng “sich selbst eine Grube graben” heißt das im Jugendsprech. Gemeint ist, aus freien Stücken Dingen mit Suchtfaktor auf den Leim gehen, von denen man am Ende nicht mehr loskommt. 

    Allen voran zählt dazu das schwarze Loch des Internets. In das werden über YouTube, TikTok, Netflix und Co. nämlich nicht nur westliche Quadrat-Augen gesogen. Auch die Chinesen verschwinden Tag für Tag im Kaninchenbau des World Wide Web. 入坑 rù kēng “in eine Grube geraten, in eine Höhle eintreten” heißt es in China folgerichtig, wenn man von etwas angefixt wird, das einem die Zeit oder den Inhalt des Geldbeutels auffrisst. Ein Beispiel wären hier spannende Streamingserien, deren Konsum schon mal in Binge-Watching-Wochenenden ausarten kann. Ein weiterer typischer Hype unter jungen Chinesen ist zudem die Euphorie um die Sammelfiguren von Pop Mart (auf Chinesisch 泡泡玛特 pàopao mǎté), mit denen das Unternehmen in China Milliarden scheffelt. Es scheint, als krabbelt man auch aus dieser Grubenfalle nur schwer wieder heraus. Oder wie Chinas Jugend es formuliert: man wurde erfolgreich “gehöhlt” oder “abgegrubelt” (被坑了 bèi kēng le). 

    Streaming in der Grube

    Im Falle von Streaming führt solches Grubenplumpsen schlimmstenfalls sogar soweit, dass man das Handy gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Selbst am stillen Örtchen. Dieses heißt im Chinesischen übrigens umgangssprachlich auch 坑 kēng, zumindest wenn es sich um eine stilechte Hocktoilette (蹲坑 dūnkēng) handelt. 

    Exzessive Streaming-Sitzungen auf dem Donnerbalken sollte man sich aber natürlich besser nicht am Arbeitsplatz gönnen. Es sei denn, man wähnt sich auf bombensicherem Posten, weil man eine Rettichritze besetzt (Sie sehen: hier schließt sich der Rübenkreis). Doch langfristig dürfte man so seine Gemüsepflänzchen nicht ins Trockene bringen. Schließlich sind Rüben, die nicht Rackern, am Ende nirgends gerne gesehen, auch nicht in China. Schon Deng Xiaoping mahnte in diesem Zusammenhang mit erhobenem Zeigefinger seine Kaderriegen, man solle nicht – pardon! – “Das Klo belegen ohne zu kacken” (占着茅坑不拉屎 zhànzhe máokēng bù lāshǐ), also einen Posten besetzen, ohne seine Arbeit zu machen. Manchmal hilft es scheinbar, die Dinge bildhaft beim Namen zu nennen. An unterhaltsamen Metaphern hierfür mangelt es dem Mandarin jedenfalls nicht. Das hat diese sprachliche Feldstudie ja wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. 

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    • Zur Sprache

    Dessert

    Lei Jun, der CEO von Xiaomi, ist einer der beliebtesten Unternehmer Chinas. Das liegt auch an seiner Präsenz im Netz. Seine öffentlichen Präsentationen werden dort von Millionen Zuschauern verfolgt, seine Zitate wie konfuzianische Weisheiten geteilt. Lei Jun ist aber auch oft Ziel von spöttischen Memes und Kommentaren. Seit kurzem hat der Milliardär einen Account auf Douyin, dem chinesischen Tiktok, wo er sich volksnah im Alltag präsentiert, etwa auf Paris-Reise oder beim chinesischen Allerwelts-Frühstück in Form von Sojamilch und Toutiao. “Und was esst ihr so zum Frühstück?”, fragte er in einem seiner Videos seine Follower. “Wir essen Bitternis zum Frühstück” (吃苦), antwortete ein User und bekam dafür hundertfach Likes und Lacher.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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