Hamas, Fatah und weitere zwölf Palästinenserorganisationen finden eine gemeinsame Linie – und eingefädelt hat diese Einigung offenbar China. Ein bemerkenswerter Erfolg für Peking schreibt Michael Radunski in seiner Analyse. Sollte die “Pekinger Erklärung” halten, könnte sie auch weltweit weitreichende Folgen haben: Denn China gewinnt als Vermittler offenbar immer mehr an Ansehen und Einfluss – zum Leidwesen des Westens. Nur: Ganz so weit ist es dann doch noch nicht. Fatah und Hamas haben auch in der Vergangenheit schon mal ihre Einigkeit beschworen – sich aber trotzdem weiter gezankt.
Keine Frage: Chinas grünes Wachstum ist immens. Die Chinesen haben allein im vergangenen Jahr so viel in Solar- und Windkraft investiert wie der Rest der Welt zusammen. Und doch bleibt das Land der mit Abstand größte Emittent von klimaschädlichem CO₂.
Und obwohl vergangene Woche die Führung in Peking auf ihrem so wichtigem “Dritten Plenum” noch mal betont hat, wie wichtig ihr der Klimaschutz ist und einen neuen Klimaplan vorgestellt hat: Die gesetzten Ziele reichen bei weitem nicht aus, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, analysiert Nico Beckert.
Um dieses Ziel zu erreichen, müsste das Riesenreich in den nächsten zehn Jahren seinen Ausstoß um fast 60 Prozent senken. Unwahrscheinlich, solange China nicht bereit ist, den ökologischen Umbau seiner Industrie anzugehen. Das könnte schließlich Wachstum kosten.
Neue Erkenntnisse beim Lesen wünsche ich Ihnen,
Palästinensische Gruppierungen haben sich am Dienstag in Peking auf eine “nationale Interimsregierung der Versöhnung” geeinigt. Insgesamt 14 Gruppen – darunter auch die erbittert verfeindeten Hamas und Fatah – waren in Peking zusammengekommen, um unter der Führung Chinas eine Lösung zu finden.
Chinas Außenminister Wang Yi sprach von einem “historischen Moment für die Sache der Befreiung Palästinas”. Und tatsächlich: Sollte die “Pekinger Erklärung” halten, könnte sie zwei weitreichende Konsequenzen für die internationale Politik haben:
Chinas Außenminister ließ es sich denn auch nicht nehmen, das Ergebnis persönlich vorzustellen. “Der herausragende Höhepunkt ist der Konsens über die Einrichtung einer Übergangsregierung zur nationalen Versöhnung, die Gaza nach dem Krieg verwalten soll”, sagte Wang. “Das Kernergebnis ist, dass die PLO der einzige legitime Vertreter des gesamten palästinensischen Volkes ist.“
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ist eine Koalition von Parteien, die 1993 einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet und eine neue Regierung in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gebildet hat.
Fatah und Hamas blicken auf Jahre der erbitterten Feindschaft. Die Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kontrolliert die palästinensische Autonomiebehörde und regiert im von Israel besetzten Westjordanland. Dort verfügt sie jedoch nur über beschränkte Macht. Im Gazastreifen hingegen hat die islamistische Hamas die alleinige Kontrolle – seit 2007, als man die Fatah-Partei gewaltsam verdrängte.
Beide hatten schon mehrfach versucht, eine Einigung zu erzielen, um die beiden getrennten palästinensischen Gebiete unter einer Regierungsstruktur zu vereinen. 2017 schien der Moment der Einigkeit gekommen: Das damalige Abkommen scheiterte jedoch schon kurz nach der Unterzeichnung.
Und so gilt es festzuhalten: Es handelt sich tatsächlich um einen historischen Erfolg. China ist es offensichtlich gelungen, die verfeindeten Hamas und Fatah in Peking an einen Tisch zu bringen. Mehr noch: Es konnte sogar eine Einigung erzielt werden. Es war auch für China nicht ganz einfach. Im April hatte es schon mal ein Treffen ranghoher Vertreter gegeben – damals jedoch ohne konkrete Ergebnisse.
Wangs Ausführungen lassen allerdings einigen Interpretationsspielraum offen. So wird nicht klar, welche Rolle die Hamas – die nicht Teil der PLO ist – in einer zukünftigen Regierung der Versöhnung spielen wird. Zudem spricht Wang von der Zeit “nach dem Gaza-Krieg“. Es bleibt damit offen, welche direkten Auswirkungen die Einigung auf die aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten hat.
Hinzu kommen Akteure wie die USA oder auch Israel. Denn die Hamas fordert in ihrer Charta die Zerstörung des Staates Israel und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer. Zudem steht auch der “Pekinger Erklärung” die Überprüfung in der komplizierten und gewaltsamen Realität des Nahen Ostens noch bevor. Schon oft glaubte man im Nahen Osten, vor einem Durchbruch zu stehen.
Entsprechend vorsichtig gab sich denn auch Chinas Außenminister am Dienstag in Peking. Die Versöhnung sei “eine innere Angelegenheit der palästinensischen Gruppierungen“. Sie könne jedoch nicht ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erreicht werden.
Und an diesem Punkt kommt China ins Spiel – und der mögliche wirtschaftliche und diplomatische Gewinn. China hat in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Nahen Osten immens vergrößert – in einer Region, in der traditionell bislang die USA als Ordnungsmacht galten. Wirtschaftlich entwickelt sich die Region zum wichtigen Knotenpunkt für Projekte der “Neuen Seidenstraße”. Man baut Häfen, Eisenbahnlinien, Flughäfen und Industrieparks aus. Mit einer neuen Friedensmacht schließt es sich leichter Verträge.
Aber auch diplomatisch ist die “Pekinger Erklärung” ein Erfolg. Wang sagte, sein Land wolle eine konstruktive Rolle bei der Sicherung von Frieden und Stabilität im Nahen Osten spielen. Was er an diesem Dienstag nicht sagte – sonst aber gerne: China stehe damit im Gegensatz zu den USA, die in die Brandherde der Welt immerzu frisches Öl gießen würden.
Nun will China nicht die USA für sich gewinnen, sondern Länder, die seit einer Weile unter dem Begriff “Globaler Süden” zusammengefasst werden. Und dort kommt Chinas Einsatz für die palästinensische Sache sehr gut an. Dazu gehört auch, dass Peking bis heute nicht den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober verurteilt hat.
Kann China sich tatsächlich international als neuer Friedensvermittler positionieren? Verbal versuchte es Wang Yi in München. Faktisch gelang es im vergangenen Jahr, als man eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien ermöglichte – und die USA damit in die missliche Lage brachte, ein wichtiges Nahost-Abkommen zu begrüßen, welches ausgerechnet der größte geopolitische Rivale ausgehandelt hatte.
Pekings Versuche, ähnlich erfolgreich im Ukraine-Krieg zu vermitteln, sind bislang hingegen sehr überschaubar: ein loser 12-Punkte-Vorschlag und das Fernbleiben von der Friedenskonferenz in der Schweiz. Doch vielleicht wird die Zeit noch kommen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist am Dienstag nach Peking gereist. Es wäre ein diplomatischer Erfolg, den jeder China von Herzen gönnen würde.
Chinas neuer Klimaplan (Nationally Determined Contributions – NDC) ist gerade in Arbeit, aber er wird das Land nach Meinung von Experten kaum auf den 1,5-Grad-Pfad bringen. Zwar hat die Regierung gerade im Abschlussdokument des sogenannten “Dritten Plenums” erstmals die Reduktion der CO₂-Emissionen als wichtiges Ziel genannt. Laut Analysten ist das ein wichtiges Zeichen und “hebt Chinas Bekämpfung des Klimawandels auf ein neues Niveau”. Doch das Dokument gibt keine neuen politischen Ziele und Maßnahmen vor. Chinas Klimapolitik wird ausgebremst durch:
Damit die Weltgemeinschaft die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen kann, müsste China seine Emissionen bis zum Jahr 2035 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 und um 59 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015 senken. Das würde eine drastische Kehrtwende bei den Emissionen und bisher ungekannte Anstrengungen erfordern. Der Boom bei den erneuerbaren Energien und ein möglicher Höchststand bei den CO₂-Emissionen sollten nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, vor denen China steht. Für ein 1,5-Grad-kompatibles NDC müsste die Volksrepublik den Kohleausstieg immens beschleunigen und große Anstrengungen im Industriesektor umsetzen.
Das neue NDC muss China bis zum 10. Februar 2025 an die UN übermitteln. Die Regierung organisiert gerade ein Ministertreffen mit mehr als 14 Ministerien, um das NDC zu entwickeln. Laut Guoguang Wu von der Asia Society deuten viele politische Entwicklungen der letzten Jahre auf eine eher schwächere Klimapolitik für die nächsten Jahre hin:
Auch Chinas immenses Wachstum bei der Solar- und Windkraft darf nicht über die Herausforderungen hinwegtäuschen. Chinas Wachstumsraten bei den Erneuerbaren übertreffen die anderer Staaten zwar bei weitem. Aber die Volksrepublik verbraucht auch gut 30 Prozent des weltweiten Stroms. Die Elektrifizierung des Industrie- und Verkehrssektors wird die Stromnachfrage weiter ansteigen lassen. Kohlestrom wird derzeit trotz Fortschritten zu langsam aus dem Strommix verdrängt.
Um seinen Anteil zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten, müsste China den Anteil des Kohlestroms am Strommix bis zum Jahr 2035 von derzeit 53 auf zwei bis drei Prozent senken. Doch “die Provinzregierungen und Staatsunternehmen in Chinas Kohleprovinzen bremsen den Kohleausstieg aus“, sagt Martin Voß, China-Experte der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zu Table.Briefings. “Sie argumentieren teils mit Annahmen, die in Deutschland seit 20 Jahren überholt sind: Das Stromnetz werde instabil, wenn zu viel Erneuerbare zugebaut werden, und Kohle könne sowohl für Grundlast als auch Flexibilität sorgen.” Zudem bietet der Kohlesektor Jobs für Millionen geringqualifizierter Arbeitskräfte und macht in manchen Provinzen einen großen Teil der Wirtschaftsleistung aus.
Derzeit deutet wenig darauf hin, dass China den Kohleausstieg bald einleiten wird. Allerdings hat die politische Führung Mitte Juli einen Aktionsplan verabschiedet, um die CO₂-Emissionen von Kohlekraftwerken zu senken. In Pilotkraftwerken soll bald auch Biomasse und grüner Ammoniak verfeuert werden und CCS zur Anwendung kommen, um den CO₂-Ausstoß der Kraftwerke auf das Niveau von Gaskraftwerken zu senken. Allerdings sind diese Maßnahme teuer und teils ungeprüft. Expertinnen wie Xinyi Shen vom Centre for Research on Energy and Clean Air bezweifeln auch, dass es genug hochwertige Biomasse gibt.
In den kommenden Jahren wird China die Emissionen deshalb wohl senken, aber noch nicht ausreichend, um das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Laut Martin Voß “traut sich die chinesische Regierung noch nicht, im nächsten NDC den entscheidenden Schub zu bringen, um die Emissionen schnell zu senken. Das droht, ins übernächste NDC zu rutschen”.
Deutliche Reduktionen könnten realisiert werden, wenn “bestehende politische Maßnahmen weiter verschärft werden”, rechnet Analyst Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air vor. Das wäre möglich:
Dann könnte China seine CO₂-Emissionen laut Myllyvirta bis 2035 um 30 Prozent im Vergleich zu 2020 senken. Zudem könnten die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan um 20 Prozent reduziert werden.
Voß fordert, “die EU müsste China drängen, gemeinsam möglichst zum Beginn der COP29 ein ambitioniertes NDC zu veröffentlichen“. Das hieße idealerweise: “Die Emissionen bis 2035 absolut um bis zu 30 Prozent zu senken. Das würde dem COP-Prozess neuen Schwung verleihen.” Und auch andere Schwellenländer unter Druck setzen, sich konkret zu verpflichten.
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
Der chinesische Autokonzern SAIC hat das Vorgehen der EU-Kommission bei ihrer Untersuchung zu Subventionen bei chinesischen E-Auto-Herstellern kritisiert. Die Brüsseler Behörde habe bei ihrer Untersuchung Fehler gemacht und laut SAIC beispielsweise ein ausländisches Joint Venture zur Kauffinanzierung fälschlicherweise als eine Tochtergesellschaft in ihre Berechnung einbezogen, schrieb das Unternehmen in einem am Montag veröffentlichten Statement auf seiner Website. Außerdem warf SAIC der EU-Kommission vor, vorgelegte Dokumente ignoriert zu haben. SAIC widerspricht damit indirekt der EU-Kommission, die in ihrer Begründung zum Zusatzzollsatz für die chinesische Firma erklärt hatte, dass diese sich nicht an der Untersuchung beteiligt habe.
SAIC erhielt bei den vorläufigen Zusatzzöllen aus Brüssel den höchsten Satz von 38,1 Prozent. Nach Gesprächen wurde dieser leicht gesenkt auf 37,6 Prozent. SAIC hatte nach eigenen Angaben bei einer Anhörung in Brüssel in der vergangenen Woche erklärt, dass die Untersuchung “über den Rahmen normaler Ermittlungen hinausgegangen” sei, indem man von ihnen die Herausgabe “kommerziell sensibler Informationen” wie etwa “chemischer Formeln für Batterien” verlangt habe. Die EU-Kommission äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorwurf. ari
VW-Markenchef Thomas Schäfer nennt Afrika den letzten Wachstumsmarkt, der für die Automobilindustrie von großer Bedeutung sei. Das sagte Schäfer, der neben seiner Rolle bei Volkswagen zugleich Vorsitzender der Subsahara-Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft (SAFRI) ist, bei einem Besuch in der Redaktion von Table.Briefings.
Schäfer sagte, er begrüße die wachsende Konkurrenz mit chinesischen Herstellern auf dem Kontinent und nannte den Wettbewerb positiv: “Wir stellen uns dieser Herausforderung”, sagte er. Zugleich riet er davon ab, den chinesischen Ansatz schlechtzureden: “China hat sich dank politischem Willen und industriellem Mut entwickelt. Das braucht es in Afrika auch.” Dass China in Afrika mit großen Infrastrukturprojekten punkte, während deutsche und europäische Unternehmen abgehängt würden, könne man nicht China anlasten. Dies zu ändern, liege vielmehr an den relevanten Akteuren in Europa.
Neben einem Werk in Südafrika und Montagewerken in Kenia, Ghana und Ruanda hat Volkswagen vor kurzem eine Absichtserklärung mit Ägypten über ein Montagewerk unterzeichnet. Afrika ist für Volkswagen vor allem als zu erschließender Absatzmarkt interessant, auch aufgrund der angekündigten Verbrennerverbote im globalen Norden. Zudem bräuchten große Länder wie Ägypten, Äthiopien und Nigeria eine eigene Autoindustrie. ajs
Tiktok plant, seine In-App-Shopping-Plattform bereits im Oktober in Spanien und Irland zu starten. Das zu Bytedance gehörende Social-Media-Unternehmen habe seine Partner, darunter Händler und Kreativagenturen, in den letzten Wochen aufgefordert, sich auf den Start des Tiktok-Shops in den beiden Ländern vorzubereiten, berichtet Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Tiktok-Shop habe ein Team von etwa 40 Mitarbeitern in Spanien eingestellt, was es zu einem der größten E-Commerce-Außenposten des Unternehmens in Europa macht.
Die Einführung der Shopping-Plattform soll den Berichten zufolge kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. Gleichzeitig würden Vorbereitungen getroffen, das Portal im nächsten Jahr auch in anderen Teilen Europas einzuführen. Ein Sprecher von Tiktok äußerte sich nicht zu den Plänen. Tiktok wollte die Shop-Funktion ursprünglich Anfang des Jahres in Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich und Irland einführen, verschob die Expansion aber, um sich auf die USA zu konzentrieren. Tiktok-Shop ist die am schnellsten wachsende Funktion der App.
Der Plan für den kleineren Aufschlag in Europa könnte darauf hindeuten, dass das Unternehmen versucht, bei seiner Expansion keine weiteren behördlichen Untersuchungen zu verursachen. Erst vor wenigen Tagen war Tiktok vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) mit einer Klage gegen eine stärkere Regulierung gescheitert: Mit Einführung des Digital Markets Act (DMA) in der EU sollten Online-Riesen stärker reguliert werden. Große Unternehmen, die nach dem DMA als sogenannte “Gatekeeper” eingestuft werden, unterliegen speziellen Vorgaben. Dazu zählt die EU-Kommission auch Tiktok, gerichtlich konnte das Unternehmen dagegen nichts ausrichten. cyb
Im Mai beschuldigte die Regierung von US-Präsident Joe Biden China, “die Weltmärkte mit künstlich verbilligten Exporten zu überschwemmen”. Diese Anschuldigungen sind nicht neu und werden wahrscheinlich so schnell auch nicht aufhören. Doch übersehen viele, die sich über chinesische Überkapazitäten beschweren, eine entscheidende Tatsache: Chinas Nettoexporte sind seit 2008 im Verhältnis zum BIP gesunken, und sein Handelsüberschuss bei Waren ist auf unter 2 Prozent vom BIP geschrumpft.
China ist schon seit Jahren bestrebt, seine Wirtschaft umzustrukturieren und seine Abhängigkeit vom Export zu verringern, indem es die Inlandsnachfrage stärkt – und zwar nicht durch erhöhte Investitionen, die es zu verhindern sucht, sondern durch Erhöhung des privaten Konsums. Doch trotz steigender Arbeitseinkommen, die den Großteil des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte ausmachen und heute etwa 56 Prozent betragen (gegenüber 48 Prozent im Jahr 2007), bleibt der private Konsum hartnäckig niedrig. Laut offiziellen Zahlen entfallen nur 38 Prozent vom BIP auf den gesamten privaten Konsum, verglichen mit 60 bis 70 Prozent in den meisten entwickelten Ländern.
Aber wie jeder, der Chinas Wirtschaft studiert hat, bestätigen kann, können internationale Vergleiche unter Verwendung offizieller Zahlen irreführend sein. Zum Beispiel stellten Tian Zhu und ich in einer Studie aus dem Jahre 2015 fest, dass die offiziellen Zahlen die Konsumausgaben chinesischer Haushalte für Wohnraum (als Anteil am BIP) um mindestens sechs Prozentpunkte zu niedrig einschätzen.
Juzhong Zhuang, leitender Ökonom bei der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), hat darüber hinaus vor kurzem gezeigt, dass Chinas private Konsumausgaben (als Anteil am BIP) im Vergleich zu denen hoch entwickelter Volkswirtschaften hauptsächlich wegen der Unterschiede beim Dienstleistungskonsum deutlich kleiner erscheinen. Anhand von der OECD und der ADB erstellten Input-Output-Daten stellte er fest, dass der Dienstleistungskonsum in China 2018-19 nur 67 Prozent der gesamten Endkonsumausgaben der privaten Haushalte ausmachte, was etwa 26 Prozent vom BIP entspricht. Man vergleiche das mit dem Anteil des Dienstleistungskonsums in den USA (mehr als 80 Prozent oder etwa 55 Prozent des BIP), der Europäischen Union (72 Prozent oder 38 Prozent vom BIP) und durchschnittlich 75 Prozent in den drei hoch entwickelten ostasiatischen Volkswirtschaften Taiwan, Japan und Südkorea (etwa 38 bis 39 Prozent vom BIP). Selbst in den fünf großen Entwicklungsländern Asiens – Indien, Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen – entfielen im Schnitt mehr als 54 Prozent der gesamten Endkonsumausgaben der Haushalte auf den Dienstleistungskonsum, was 33 Prozent vom BIP entspricht.
Die Unterbewertung des Dienstleistungskonsums in China wird durch große Preisverzerrungen bei Dienstleistungen weiter verstärkt. Laut dem internationalen Vergleichsprogramm der Weltbank sind die Dienstleistungspreise in China nach Kaufkraftparität im Schnitt niedriger als die Gesamtpreise. Anders ausgedrückt: Wenn chinesische Haushalte Dienstleistungen kaufen, erscheinen ihre Ausgaben dafür niedriger, was länderübergreifende Vergleiche erschwert.
Weitere Unterschiede könnten sich dadurch ergeben, dass die chinesische Regierung viele Dienstleistungen erbringt, die Haushalte anderswo selbst kaufen müssen. Ein erheblicher Teil des jüngsten Anstiegs der öffentlichen Ausgaben in China stellt Sachtransfers an die privaten Haushalte dar; hierzu gehören unter anderem höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Renten und soziale Dienstleistungen, zum Beispiel Kultureinrichtungen. Daher könnte es sich lohnen, bei länderübergreifenden Vergleichen der Konsumausgaben der Haushalte die staatlichen Konsumausgaben, die in China etwa 16 Prozent des BIP ausmachen, in die Berechnung einzubeziehen.
Das verfügbare Einkommen der chinesischen Haushalte ohne Berücksichtigung der staatlichen Transfers an die Haushalte beträgt etwa 60 Prozent des Nationaleinkommens. Das sind 10 bis 15 Prozentpunkte weniger als in den meisten hoch entwickelten Ländern, wo Sachtransfers in das verfügbare Einkommen der Haushalte einbezogen werden. Ohne diese Transferleistungen jedoch sinkt das Niveau des verfügbaren Einkommens in Japan, Südkorea, Deutschland und dem Euroraum insgesamt auf das Niveau Chinas. In Dänemark war das verfügbare Einkommen der Haushalte 2020 sogar niedriger als in China.
Der tatsächliche Anteil der Konsumausgaben der privaten Haushalte vom BIP liegt daher in China vermutlich weniger weit unter dem anderer großer Volkswirtschaften, als es den Anschein hat. Nichtsdestotrotz muss die Politik angesichts der abnehmenden relativen Bedeutung der Kapitalakkumulation und weiter sinkender Kapitalrenditen mehr tun, um die Konsumausgaben zu unterstützen. Für die politischen Entscheidungsträger bedeutet dies, dass sie nicht nur mehr Einkommen und Transferleistungen in Richtung der Haushalte lenken müssen, sondern auch die subventionierten oder kostenlosen Sachtransfers an diese erhöhen müssen.
Ein starkes soziales Netz ist in China besonders wichtig, da die jahrzehntelange Familienplanungspolitik die Haushalte – teils in der Erwartung, dass irgendwann die Eltern unterstützt werden müssen, und letztlich auch zur eigenen Alterssicherung – zu außergewöhnlich hohen Sparquoten ermutigt hat. Wenn sich die privaten Haushalte starker familiengestützter Unterstützungs- und Sozialprogramme seitens der Regierungen sicher sein können und deswegen heute nicht so viel sparen müssen, werden sie wahrscheinlich mehr konsumieren und vielleicht sogar mehr Kinder bekommen. Dadurch könnte Chinas demografischer Rückgang aufgehalten werden. (Die derzeitige Geburtenrate – etwa 1,1 Geburten pro Frau – liegt weit unter der Reproduktionsrate.)
Letztendlich muss China auf ein Wachstumsmodell umstellen, das einen Anstieg des verfügbaren Einkommens der Haushalte unterstützt, statt auf dem Weg der übermäßigen Kapitalakkumulation fortzufahren. Hierzu muss die Regierung besser entlohnte wirtschaftliche Aktivitäten wie im Dienstleistungssektor fördern und das Geschäftsumfeld stärken, und zwar nicht zuletzt durch Ausweitung der entscheidenden Rolle der Marktkräfte bei der Ressourcenallokation. Aus dem Englischen von Jan Doolan
Zhang Jun ist Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Fudan und Direktor des China Center for Economic Studies, einem Thinktank mit Sitz in Shanghai.
Copyright: Project Syndicate, 2024.
www.project-syndicate.org
Sakti Ranjan Ghatuari ist seit Juni Head of Body Electronics & Systems bei Zeekr Technology Europe. Ghatuari arbeitet bereits seit vier Jahren für den chinesischen Autobauer. Davor war er unter anderem Senior Lead Engineer für Mercedes in Indien. Sein Einsatzort ist Göteborg.
Hao Yu ist seit Juli Project Director China bei Axinom. Das Fürther Software-Unternehmen bietet Informations- und Kommunikationstechnologie für die Luft-, Raumfahrt- und Medienindustrie an. Hao Yu war zuvor fünf Jahre bei Henkel tätig.
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Der französische Luxuswarenhersteller Louis Vuitton gibt sich schon lange nicht mehr damit zufrieden, Mode- und Lederwaren anzubieten. Schmuck, Uhren, Parfüm – und seit dem Zusammenschluss mit dem Spirituosenhersteller Moët Hennessy in den 1980ern bietet LVMH auch Champagner und Branntwein. Warum also nicht Schokolade?
In Shanghai hat der Konzern folgerichtig seine erste Schokoboutique eröffnet. Präsentiert werden die Pralinen und Tafeln in den Tresen wie Schmuckstücke – zu entsprechend saftigen Preisen. Optik ist eben wichtiger als Geschmack.
Hamas, Fatah und weitere zwölf Palästinenserorganisationen finden eine gemeinsame Linie – und eingefädelt hat diese Einigung offenbar China. Ein bemerkenswerter Erfolg für Peking schreibt Michael Radunski in seiner Analyse. Sollte die “Pekinger Erklärung” halten, könnte sie auch weltweit weitreichende Folgen haben: Denn China gewinnt als Vermittler offenbar immer mehr an Ansehen und Einfluss – zum Leidwesen des Westens. Nur: Ganz so weit ist es dann doch noch nicht. Fatah und Hamas haben auch in der Vergangenheit schon mal ihre Einigkeit beschworen – sich aber trotzdem weiter gezankt.
Keine Frage: Chinas grünes Wachstum ist immens. Die Chinesen haben allein im vergangenen Jahr so viel in Solar- und Windkraft investiert wie der Rest der Welt zusammen. Und doch bleibt das Land der mit Abstand größte Emittent von klimaschädlichem CO₂.
Und obwohl vergangene Woche die Führung in Peking auf ihrem so wichtigem “Dritten Plenum” noch mal betont hat, wie wichtig ihr der Klimaschutz ist und einen neuen Klimaplan vorgestellt hat: Die gesetzten Ziele reichen bei weitem nicht aus, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, analysiert Nico Beckert.
Um dieses Ziel zu erreichen, müsste das Riesenreich in den nächsten zehn Jahren seinen Ausstoß um fast 60 Prozent senken. Unwahrscheinlich, solange China nicht bereit ist, den ökologischen Umbau seiner Industrie anzugehen. Das könnte schließlich Wachstum kosten.
Neue Erkenntnisse beim Lesen wünsche ich Ihnen,
Palästinensische Gruppierungen haben sich am Dienstag in Peking auf eine “nationale Interimsregierung der Versöhnung” geeinigt. Insgesamt 14 Gruppen – darunter auch die erbittert verfeindeten Hamas und Fatah – waren in Peking zusammengekommen, um unter der Führung Chinas eine Lösung zu finden.
Chinas Außenminister Wang Yi sprach von einem “historischen Moment für die Sache der Befreiung Palästinas”. Und tatsächlich: Sollte die “Pekinger Erklärung” halten, könnte sie zwei weitreichende Konsequenzen für die internationale Politik haben:
Chinas Außenminister ließ es sich denn auch nicht nehmen, das Ergebnis persönlich vorzustellen. “Der herausragende Höhepunkt ist der Konsens über die Einrichtung einer Übergangsregierung zur nationalen Versöhnung, die Gaza nach dem Krieg verwalten soll”, sagte Wang. “Das Kernergebnis ist, dass die PLO der einzige legitime Vertreter des gesamten palästinensischen Volkes ist.“
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ist eine Koalition von Parteien, die 1993 einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet und eine neue Regierung in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gebildet hat.
Fatah und Hamas blicken auf Jahre der erbitterten Feindschaft. Die Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kontrolliert die palästinensische Autonomiebehörde und regiert im von Israel besetzten Westjordanland. Dort verfügt sie jedoch nur über beschränkte Macht. Im Gazastreifen hingegen hat die islamistische Hamas die alleinige Kontrolle – seit 2007, als man die Fatah-Partei gewaltsam verdrängte.
Beide hatten schon mehrfach versucht, eine Einigung zu erzielen, um die beiden getrennten palästinensischen Gebiete unter einer Regierungsstruktur zu vereinen. 2017 schien der Moment der Einigkeit gekommen: Das damalige Abkommen scheiterte jedoch schon kurz nach der Unterzeichnung.
Und so gilt es festzuhalten: Es handelt sich tatsächlich um einen historischen Erfolg. China ist es offensichtlich gelungen, die verfeindeten Hamas und Fatah in Peking an einen Tisch zu bringen. Mehr noch: Es konnte sogar eine Einigung erzielt werden. Es war auch für China nicht ganz einfach. Im April hatte es schon mal ein Treffen ranghoher Vertreter gegeben – damals jedoch ohne konkrete Ergebnisse.
Wangs Ausführungen lassen allerdings einigen Interpretationsspielraum offen. So wird nicht klar, welche Rolle die Hamas – die nicht Teil der PLO ist – in einer zukünftigen Regierung der Versöhnung spielen wird. Zudem spricht Wang von der Zeit “nach dem Gaza-Krieg“. Es bleibt damit offen, welche direkten Auswirkungen die Einigung auf die aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten hat.
Hinzu kommen Akteure wie die USA oder auch Israel. Denn die Hamas fordert in ihrer Charta die Zerstörung des Staates Israel und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer. Zudem steht auch der “Pekinger Erklärung” die Überprüfung in der komplizierten und gewaltsamen Realität des Nahen Ostens noch bevor. Schon oft glaubte man im Nahen Osten, vor einem Durchbruch zu stehen.
Entsprechend vorsichtig gab sich denn auch Chinas Außenminister am Dienstag in Peking. Die Versöhnung sei “eine innere Angelegenheit der palästinensischen Gruppierungen“. Sie könne jedoch nicht ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erreicht werden.
Und an diesem Punkt kommt China ins Spiel – und der mögliche wirtschaftliche und diplomatische Gewinn. China hat in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Nahen Osten immens vergrößert – in einer Region, in der traditionell bislang die USA als Ordnungsmacht galten. Wirtschaftlich entwickelt sich die Region zum wichtigen Knotenpunkt für Projekte der “Neuen Seidenstraße”. Man baut Häfen, Eisenbahnlinien, Flughäfen und Industrieparks aus. Mit einer neuen Friedensmacht schließt es sich leichter Verträge.
Aber auch diplomatisch ist die “Pekinger Erklärung” ein Erfolg. Wang sagte, sein Land wolle eine konstruktive Rolle bei der Sicherung von Frieden und Stabilität im Nahen Osten spielen. Was er an diesem Dienstag nicht sagte – sonst aber gerne: China stehe damit im Gegensatz zu den USA, die in die Brandherde der Welt immerzu frisches Öl gießen würden.
Nun will China nicht die USA für sich gewinnen, sondern Länder, die seit einer Weile unter dem Begriff “Globaler Süden” zusammengefasst werden. Und dort kommt Chinas Einsatz für die palästinensische Sache sehr gut an. Dazu gehört auch, dass Peking bis heute nicht den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober verurteilt hat.
Kann China sich tatsächlich international als neuer Friedensvermittler positionieren? Verbal versuchte es Wang Yi in München. Faktisch gelang es im vergangenen Jahr, als man eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien ermöglichte – und die USA damit in die missliche Lage brachte, ein wichtiges Nahost-Abkommen zu begrüßen, welches ausgerechnet der größte geopolitische Rivale ausgehandelt hatte.
Pekings Versuche, ähnlich erfolgreich im Ukraine-Krieg zu vermitteln, sind bislang hingegen sehr überschaubar: ein loser 12-Punkte-Vorschlag und das Fernbleiben von der Friedenskonferenz in der Schweiz. Doch vielleicht wird die Zeit noch kommen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist am Dienstag nach Peking gereist. Es wäre ein diplomatischer Erfolg, den jeder China von Herzen gönnen würde.
Chinas neuer Klimaplan (Nationally Determined Contributions – NDC) ist gerade in Arbeit, aber er wird das Land nach Meinung von Experten kaum auf den 1,5-Grad-Pfad bringen. Zwar hat die Regierung gerade im Abschlussdokument des sogenannten “Dritten Plenums” erstmals die Reduktion der CO₂-Emissionen als wichtiges Ziel genannt. Laut Analysten ist das ein wichtiges Zeichen und “hebt Chinas Bekämpfung des Klimawandels auf ein neues Niveau”. Doch das Dokument gibt keine neuen politischen Ziele und Maßnahmen vor. Chinas Klimapolitik wird ausgebremst durch:
Damit die Weltgemeinschaft die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen kann, müsste China seine Emissionen bis zum Jahr 2035 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 und um 59 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015 senken. Das würde eine drastische Kehrtwende bei den Emissionen und bisher ungekannte Anstrengungen erfordern. Der Boom bei den erneuerbaren Energien und ein möglicher Höchststand bei den CO₂-Emissionen sollten nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, vor denen China steht. Für ein 1,5-Grad-kompatibles NDC müsste die Volksrepublik den Kohleausstieg immens beschleunigen und große Anstrengungen im Industriesektor umsetzen.
Das neue NDC muss China bis zum 10. Februar 2025 an die UN übermitteln. Die Regierung organisiert gerade ein Ministertreffen mit mehr als 14 Ministerien, um das NDC zu entwickeln. Laut Guoguang Wu von der Asia Society deuten viele politische Entwicklungen der letzten Jahre auf eine eher schwächere Klimapolitik für die nächsten Jahre hin:
Auch Chinas immenses Wachstum bei der Solar- und Windkraft darf nicht über die Herausforderungen hinwegtäuschen. Chinas Wachstumsraten bei den Erneuerbaren übertreffen die anderer Staaten zwar bei weitem. Aber die Volksrepublik verbraucht auch gut 30 Prozent des weltweiten Stroms. Die Elektrifizierung des Industrie- und Verkehrssektors wird die Stromnachfrage weiter ansteigen lassen. Kohlestrom wird derzeit trotz Fortschritten zu langsam aus dem Strommix verdrängt.
Um seinen Anteil zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten, müsste China den Anteil des Kohlestroms am Strommix bis zum Jahr 2035 von derzeit 53 auf zwei bis drei Prozent senken. Doch “die Provinzregierungen und Staatsunternehmen in Chinas Kohleprovinzen bremsen den Kohleausstieg aus“, sagt Martin Voß, China-Experte der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zu Table.Briefings. “Sie argumentieren teils mit Annahmen, die in Deutschland seit 20 Jahren überholt sind: Das Stromnetz werde instabil, wenn zu viel Erneuerbare zugebaut werden, und Kohle könne sowohl für Grundlast als auch Flexibilität sorgen.” Zudem bietet der Kohlesektor Jobs für Millionen geringqualifizierter Arbeitskräfte und macht in manchen Provinzen einen großen Teil der Wirtschaftsleistung aus.
Derzeit deutet wenig darauf hin, dass China den Kohleausstieg bald einleiten wird. Allerdings hat die politische Führung Mitte Juli einen Aktionsplan verabschiedet, um die CO₂-Emissionen von Kohlekraftwerken zu senken. In Pilotkraftwerken soll bald auch Biomasse und grüner Ammoniak verfeuert werden und CCS zur Anwendung kommen, um den CO₂-Ausstoß der Kraftwerke auf das Niveau von Gaskraftwerken zu senken. Allerdings sind diese Maßnahme teuer und teils ungeprüft. Expertinnen wie Xinyi Shen vom Centre for Research on Energy and Clean Air bezweifeln auch, dass es genug hochwertige Biomasse gibt.
In den kommenden Jahren wird China die Emissionen deshalb wohl senken, aber noch nicht ausreichend, um das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Laut Martin Voß “traut sich die chinesische Regierung noch nicht, im nächsten NDC den entscheidenden Schub zu bringen, um die Emissionen schnell zu senken. Das droht, ins übernächste NDC zu rutschen”.
Deutliche Reduktionen könnten realisiert werden, wenn “bestehende politische Maßnahmen weiter verschärft werden”, rechnet Analyst Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air vor. Das wäre möglich:
Dann könnte China seine CO₂-Emissionen laut Myllyvirta bis 2035 um 30 Prozent im Vergleich zu 2020 senken. Zudem könnten die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan um 20 Prozent reduziert werden.
Voß fordert, “die EU müsste China drängen, gemeinsam möglichst zum Beginn der COP29 ein ambitioniertes NDC zu veröffentlichen“. Das hieße idealerweise: “Die Emissionen bis 2035 absolut um bis zu 30 Prozent zu senken. Das würde dem COP-Prozess neuen Schwung verleihen.” Und auch andere Schwellenländer unter Druck setzen, sich konkret zu verpflichten.
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
Der chinesische Autokonzern SAIC hat das Vorgehen der EU-Kommission bei ihrer Untersuchung zu Subventionen bei chinesischen E-Auto-Herstellern kritisiert. Die Brüsseler Behörde habe bei ihrer Untersuchung Fehler gemacht und laut SAIC beispielsweise ein ausländisches Joint Venture zur Kauffinanzierung fälschlicherweise als eine Tochtergesellschaft in ihre Berechnung einbezogen, schrieb das Unternehmen in einem am Montag veröffentlichten Statement auf seiner Website. Außerdem warf SAIC der EU-Kommission vor, vorgelegte Dokumente ignoriert zu haben. SAIC widerspricht damit indirekt der EU-Kommission, die in ihrer Begründung zum Zusatzzollsatz für die chinesische Firma erklärt hatte, dass diese sich nicht an der Untersuchung beteiligt habe.
SAIC erhielt bei den vorläufigen Zusatzzöllen aus Brüssel den höchsten Satz von 38,1 Prozent. Nach Gesprächen wurde dieser leicht gesenkt auf 37,6 Prozent. SAIC hatte nach eigenen Angaben bei einer Anhörung in Brüssel in der vergangenen Woche erklärt, dass die Untersuchung “über den Rahmen normaler Ermittlungen hinausgegangen” sei, indem man von ihnen die Herausgabe “kommerziell sensibler Informationen” wie etwa “chemischer Formeln für Batterien” verlangt habe. Die EU-Kommission äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorwurf. ari
VW-Markenchef Thomas Schäfer nennt Afrika den letzten Wachstumsmarkt, der für die Automobilindustrie von großer Bedeutung sei. Das sagte Schäfer, der neben seiner Rolle bei Volkswagen zugleich Vorsitzender der Subsahara-Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft (SAFRI) ist, bei einem Besuch in der Redaktion von Table.Briefings.
Schäfer sagte, er begrüße die wachsende Konkurrenz mit chinesischen Herstellern auf dem Kontinent und nannte den Wettbewerb positiv: “Wir stellen uns dieser Herausforderung”, sagte er. Zugleich riet er davon ab, den chinesischen Ansatz schlechtzureden: “China hat sich dank politischem Willen und industriellem Mut entwickelt. Das braucht es in Afrika auch.” Dass China in Afrika mit großen Infrastrukturprojekten punkte, während deutsche und europäische Unternehmen abgehängt würden, könne man nicht China anlasten. Dies zu ändern, liege vielmehr an den relevanten Akteuren in Europa.
Neben einem Werk in Südafrika und Montagewerken in Kenia, Ghana und Ruanda hat Volkswagen vor kurzem eine Absichtserklärung mit Ägypten über ein Montagewerk unterzeichnet. Afrika ist für Volkswagen vor allem als zu erschließender Absatzmarkt interessant, auch aufgrund der angekündigten Verbrennerverbote im globalen Norden. Zudem bräuchten große Länder wie Ägypten, Äthiopien und Nigeria eine eigene Autoindustrie. ajs
Tiktok plant, seine In-App-Shopping-Plattform bereits im Oktober in Spanien und Irland zu starten. Das zu Bytedance gehörende Social-Media-Unternehmen habe seine Partner, darunter Händler und Kreativagenturen, in den letzten Wochen aufgefordert, sich auf den Start des Tiktok-Shops in den beiden Ländern vorzubereiten, berichtet Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Tiktok-Shop habe ein Team von etwa 40 Mitarbeitern in Spanien eingestellt, was es zu einem der größten E-Commerce-Außenposten des Unternehmens in Europa macht.
Die Einführung der Shopping-Plattform soll den Berichten zufolge kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. Gleichzeitig würden Vorbereitungen getroffen, das Portal im nächsten Jahr auch in anderen Teilen Europas einzuführen. Ein Sprecher von Tiktok äußerte sich nicht zu den Plänen. Tiktok wollte die Shop-Funktion ursprünglich Anfang des Jahres in Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich und Irland einführen, verschob die Expansion aber, um sich auf die USA zu konzentrieren. Tiktok-Shop ist die am schnellsten wachsende Funktion der App.
Der Plan für den kleineren Aufschlag in Europa könnte darauf hindeuten, dass das Unternehmen versucht, bei seiner Expansion keine weiteren behördlichen Untersuchungen zu verursachen. Erst vor wenigen Tagen war Tiktok vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) mit einer Klage gegen eine stärkere Regulierung gescheitert: Mit Einführung des Digital Markets Act (DMA) in der EU sollten Online-Riesen stärker reguliert werden. Große Unternehmen, die nach dem DMA als sogenannte “Gatekeeper” eingestuft werden, unterliegen speziellen Vorgaben. Dazu zählt die EU-Kommission auch Tiktok, gerichtlich konnte das Unternehmen dagegen nichts ausrichten. cyb
Im Mai beschuldigte die Regierung von US-Präsident Joe Biden China, “die Weltmärkte mit künstlich verbilligten Exporten zu überschwemmen”. Diese Anschuldigungen sind nicht neu und werden wahrscheinlich so schnell auch nicht aufhören. Doch übersehen viele, die sich über chinesische Überkapazitäten beschweren, eine entscheidende Tatsache: Chinas Nettoexporte sind seit 2008 im Verhältnis zum BIP gesunken, und sein Handelsüberschuss bei Waren ist auf unter 2 Prozent vom BIP geschrumpft.
China ist schon seit Jahren bestrebt, seine Wirtschaft umzustrukturieren und seine Abhängigkeit vom Export zu verringern, indem es die Inlandsnachfrage stärkt – und zwar nicht durch erhöhte Investitionen, die es zu verhindern sucht, sondern durch Erhöhung des privaten Konsums. Doch trotz steigender Arbeitseinkommen, die den Großteil des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte ausmachen und heute etwa 56 Prozent betragen (gegenüber 48 Prozent im Jahr 2007), bleibt der private Konsum hartnäckig niedrig. Laut offiziellen Zahlen entfallen nur 38 Prozent vom BIP auf den gesamten privaten Konsum, verglichen mit 60 bis 70 Prozent in den meisten entwickelten Ländern.
Aber wie jeder, der Chinas Wirtschaft studiert hat, bestätigen kann, können internationale Vergleiche unter Verwendung offizieller Zahlen irreführend sein. Zum Beispiel stellten Tian Zhu und ich in einer Studie aus dem Jahre 2015 fest, dass die offiziellen Zahlen die Konsumausgaben chinesischer Haushalte für Wohnraum (als Anteil am BIP) um mindestens sechs Prozentpunkte zu niedrig einschätzen.
Juzhong Zhuang, leitender Ökonom bei der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), hat darüber hinaus vor kurzem gezeigt, dass Chinas private Konsumausgaben (als Anteil am BIP) im Vergleich zu denen hoch entwickelter Volkswirtschaften hauptsächlich wegen der Unterschiede beim Dienstleistungskonsum deutlich kleiner erscheinen. Anhand von der OECD und der ADB erstellten Input-Output-Daten stellte er fest, dass der Dienstleistungskonsum in China 2018-19 nur 67 Prozent der gesamten Endkonsumausgaben der privaten Haushalte ausmachte, was etwa 26 Prozent vom BIP entspricht. Man vergleiche das mit dem Anteil des Dienstleistungskonsums in den USA (mehr als 80 Prozent oder etwa 55 Prozent des BIP), der Europäischen Union (72 Prozent oder 38 Prozent vom BIP) und durchschnittlich 75 Prozent in den drei hoch entwickelten ostasiatischen Volkswirtschaften Taiwan, Japan und Südkorea (etwa 38 bis 39 Prozent vom BIP). Selbst in den fünf großen Entwicklungsländern Asiens – Indien, Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen – entfielen im Schnitt mehr als 54 Prozent der gesamten Endkonsumausgaben der Haushalte auf den Dienstleistungskonsum, was 33 Prozent vom BIP entspricht.
Die Unterbewertung des Dienstleistungskonsums in China wird durch große Preisverzerrungen bei Dienstleistungen weiter verstärkt. Laut dem internationalen Vergleichsprogramm der Weltbank sind die Dienstleistungspreise in China nach Kaufkraftparität im Schnitt niedriger als die Gesamtpreise. Anders ausgedrückt: Wenn chinesische Haushalte Dienstleistungen kaufen, erscheinen ihre Ausgaben dafür niedriger, was länderübergreifende Vergleiche erschwert.
Weitere Unterschiede könnten sich dadurch ergeben, dass die chinesische Regierung viele Dienstleistungen erbringt, die Haushalte anderswo selbst kaufen müssen. Ein erheblicher Teil des jüngsten Anstiegs der öffentlichen Ausgaben in China stellt Sachtransfers an die privaten Haushalte dar; hierzu gehören unter anderem höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Renten und soziale Dienstleistungen, zum Beispiel Kultureinrichtungen. Daher könnte es sich lohnen, bei länderübergreifenden Vergleichen der Konsumausgaben der Haushalte die staatlichen Konsumausgaben, die in China etwa 16 Prozent des BIP ausmachen, in die Berechnung einzubeziehen.
Das verfügbare Einkommen der chinesischen Haushalte ohne Berücksichtigung der staatlichen Transfers an die Haushalte beträgt etwa 60 Prozent des Nationaleinkommens. Das sind 10 bis 15 Prozentpunkte weniger als in den meisten hoch entwickelten Ländern, wo Sachtransfers in das verfügbare Einkommen der Haushalte einbezogen werden. Ohne diese Transferleistungen jedoch sinkt das Niveau des verfügbaren Einkommens in Japan, Südkorea, Deutschland und dem Euroraum insgesamt auf das Niveau Chinas. In Dänemark war das verfügbare Einkommen der Haushalte 2020 sogar niedriger als in China.
Der tatsächliche Anteil der Konsumausgaben der privaten Haushalte vom BIP liegt daher in China vermutlich weniger weit unter dem anderer großer Volkswirtschaften, als es den Anschein hat. Nichtsdestotrotz muss die Politik angesichts der abnehmenden relativen Bedeutung der Kapitalakkumulation und weiter sinkender Kapitalrenditen mehr tun, um die Konsumausgaben zu unterstützen. Für die politischen Entscheidungsträger bedeutet dies, dass sie nicht nur mehr Einkommen und Transferleistungen in Richtung der Haushalte lenken müssen, sondern auch die subventionierten oder kostenlosen Sachtransfers an diese erhöhen müssen.
Ein starkes soziales Netz ist in China besonders wichtig, da die jahrzehntelange Familienplanungspolitik die Haushalte – teils in der Erwartung, dass irgendwann die Eltern unterstützt werden müssen, und letztlich auch zur eigenen Alterssicherung – zu außergewöhnlich hohen Sparquoten ermutigt hat. Wenn sich die privaten Haushalte starker familiengestützter Unterstützungs- und Sozialprogramme seitens der Regierungen sicher sein können und deswegen heute nicht so viel sparen müssen, werden sie wahrscheinlich mehr konsumieren und vielleicht sogar mehr Kinder bekommen. Dadurch könnte Chinas demografischer Rückgang aufgehalten werden. (Die derzeitige Geburtenrate – etwa 1,1 Geburten pro Frau – liegt weit unter der Reproduktionsrate.)
Letztendlich muss China auf ein Wachstumsmodell umstellen, das einen Anstieg des verfügbaren Einkommens der Haushalte unterstützt, statt auf dem Weg der übermäßigen Kapitalakkumulation fortzufahren. Hierzu muss die Regierung besser entlohnte wirtschaftliche Aktivitäten wie im Dienstleistungssektor fördern und das Geschäftsumfeld stärken, und zwar nicht zuletzt durch Ausweitung der entscheidenden Rolle der Marktkräfte bei der Ressourcenallokation. Aus dem Englischen von Jan Doolan
Zhang Jun ist Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Fudan und Direktor des China Center for Economic Studies, einem Thinktank mit Sitz in Shanghai.
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Sakti Ranjan Ghatuari ist seit Juni Head of Body Electronics & Systems bei Zeekr Technology Europe. Ghatuari arbeitet bereits seit vier Jahren für den chinesischen Autobauer. Davor war er unter anderem Senior Lead Engineer für Mercedes in Indien. Sein Einsatzort ist Göteborg.
Hao Yu ist seit Juli Project Director China bei Axinom. Das Fürther Software-Unternehmen bietet Informations- und Kommunikationstechnologie für die Luft-, Raumfahrt- und Medienindustrie an. Hao Yu war zuvor fünf Jahre bei Henkel tätig.
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Der französische Luxuswarenhersteller Louis Vuitton gibt sich schon lange nicht mehr damit zufrieden, Mode- und Lederwaren anzubieten. Schmuck, Uhren, Parfüm – und seit dem Zusammenschluss mit dem Spirituosenhersteller Moët Hennessy in den 1980ern bietet LVMH auch Champagner und Branntwein. Warum also nicht Schokolade?
In Shanghai hat der Konzern folgerichtig seine erste Schokoboutique eröffnet. Präsentiert werden die Pralinen und Tafeln in den Tresen wie Schmuckstücke – zu entsprechend saftigen Preisen. Optik ist eben wichtiger als Geschmack.