dieser Tage ist Chinas Sondergesandter Zhai Jun in der Nahost-Region unterwegs. Die Hoffnungen auf einen Vermittlungserfolg im Krieg zwischen Israel und der Hamas sind allerdings überschaubar. Was auch an Chinas eher pro-palästinenschen Haltung liegt. So sieht der renommierte China-Experte Gedaliah Afterman der Reichman University in Herzliya die Beziehungen zwischen Israel und der Volksrepublik schwer beschädigt. “Israel wird China viel weniger als Partner ansehen”, sagt Afterman im Interview mit Michael Radunski. “Ich denke, China hat die Bedeutung dieses Ereignisses für die israelische Psyche nicht verstanden. Dies ist keine weitere Auseinandersetzung mit der Hamas. Das ist unser 11. September”, so Afterman.
Die Bundesregierung hat in ihren Strategiepapieren die Wichtigkeit von mehr China-Kompetenz immer wieder betont. Doch es werden nicht mehr entsprechende Programme geschaffen. Ganz im Gegenteil: Regierung und Stiftungen kappen Geld und Personal. So geht eher China-Kompetenz verloren. Zumal selbst die einst so engagierten Privatstiftungen viele Programme eingestellt haben, wie Felix Lee analysiert.
Jener Felix Lee hat am Freitag eine wichtige Auszeichnung erhalten: den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2023. Unser Redakteur hat in seinem Buch “China, mein Vater und ich” über Chinas Aufstieg geschrieben, aber auch über seine Familie – und über die Ursprünge des langjährigen Erfolgs sowie der heutigen Leiden der Autoindustrie auf dem großen Markt. Themen, die Sie vom gleichen Autor auch weithin in China.Table finden werden.
“Ruhe bewahren und Gewalt stoppen” – so lässt sich Chinas erste Reaktion auf den Hamas-Angriff auf Israel zusammenfassen. Das klingt nach einem ziemlich guten Vermittler. Warum ist Israel dennoch enttäuscht?
Viele Israelis sind enttäuscht davon, dass China die Hamas nicht verurteilt hat. Ich denke, China hat die Bedeutung dieses Ereignisses für die israelische Psyche nicht verstanden. Dies ist keine weitere Auseinandersetzung mit der Hamas. Das ist unser 11. September. Vor einigen Jahren nannten die Chinesen einen Terroranschlag am Bahnhof in Kunming ihren 11. September. Bei diesem Angriff wurden etwa 30 Menschen getötet. In Israel wurden an einem Tag etwa 1.100 Zivilisten getötet. Wenn man das übertragen würde auf China, wären es etwa 150.000 Tote. Aber ich muss hinzufügen: Ich persönlich bin nicht sonderlich überrascht über die chinesische Reaktion.
Warum?
Lassen wir mal unsere Emotionen und Erwartungen beiseite, dann denke ich, dass es bei Chinas Reaktion nicht um Israel geht. Wenn China diese Situation betrachtet, nimmt es zunächst eine regionale Perspektive ein und schließlich den Blick aus einer geopolitischen Konkurrenz zweier Supermächte. In den vergangenen Jahren hat China den israelisch-palästinensischen Konflikt genutzt, um die Vereinigten Staaten verbal zu attackieren. China versucht den Angriff auf Israel zu nutzen, um die USA zu diskreditieren und Unterstützung zu bekommen aus der arabischen und muslimischen Welt für seine eigene Politik – unter anderem auch in Xinjiang.
Im vergangenen Juni hat Chinas Präsident Xi Jinping angeboten, bei der Förderung von Friedensgesprächen mit Israel zu helfen. Klingt nicht sonderlich egoistisch, aber es das denn überhaupt realistisch?
Tatsächlich ist China zu einem wichtigen Akteur im Nahen Osten geworden, vermittelte überraschenderweise erfolgreich zwischen Iran und Saudi-Arabien – obwohl China erst auf den letzten hundert Metern des Marathons dabei war. Aber keine andere Macht konnte das schaffen. Es ist allerdings unrealistisch zu erwarten, dass China Frieden zwischen Israelis und Palästinensern vermitteln wird. Im Fall von Saudi-Arabien und Iran hatten beide Seiten bereits daran gearbeitet. Im israelisch-palästinensischen Konflikt sind wir leider weit davon entfernt. Aber die Chinesen könnten bei konkreten Themen helfen, zum Beispiel bei humanitären Fragen oder bei der Freilassung der Geiseln. Hier könnte China sein eigenes Netzwerk in der Region nutzen und gleichzeitig zeigen, dass es eine positive Rolle spielten kann.
In der Tat könnte China einer der wenigen Akteure sein, die Druck auf Iran ausüben können. Teheran ist einer der Hauptunterstützer der Hamas. Das könnte ein Vorteil sein. Leider fällt mir hier eine Parallele ein: Im Ukraine-Krieg könnte China Russland unter Druck setzen – hat es aber bislang nicht getan.
Die Situation hier ist anders als im Russland-Ukraine-Krieg. Hier bietet sich China die Chance, eine positivere und substanziellere Rolle zu spielen, und sogar bei den Vereinigten Staaten Boden gutzumachen. China hat die strategische Chance, sich bei allen Staaten gut zu positionieren. Allerdings wissen wir aus der Vergangenheit, dass Peking nicht viel unternehmen wird.
Mir fällt noch eine Parallele ein: Peking verurteilt nicht den Terror der Hamas, wohl aber den Terror der Uiguren in China. Wie passt das zusammen?
Auch hier geht es vor allem um den Wettbewerb der Supermächte. Indem China die Hamas nicht ausdrücklich verurteilt, will es sich innerhalb der arabischen und muslimischen Welt positionieren. Aus arabischer Sicht sind die Palästinenser Freiheitskämpfer. Hamas wird nicht als Terrorgruppe angesehen. China übernimmt diese Perspektive, weil es hilft, seine eigene Position in der arabischen und muslimischen Welt zu festigen. China will diese Unterstützung, um den USA – und auch deren Kritik an Chinas Menschenrechtsbilanz – entgegenzutreten.
Ist das nicht Doppelmoral – etwas, wofür China die USA immerzu kritisiert?
Natürlich ist es das. Wir können lange darüber sprechen, wie sehr China Israel enttäuscht hat. Aus israelischer Sicht ist klar, dass China heuchlerisch ist und Israel nicht genug Empathie gezeigt hat. Allerdings haben wir in Israel derzeit mit einer dramatischen Situation zu kämpfen, wir befinden uns mitten im Krieg. Diese Diskussionen jetzt zu führen, ist nicht produktiv.
Zurück zu den Beziehungen zwischen China und Israel. Es schien, als hätten sie sich in letzter Zeit ziemlich gut entwickelt. War das eine Fehleinschätzung?
In jüngster Zeit gab es in Israel sogar Gedanken über ein Gleichgewicht zwischen den Supermächten und eine Diversifizierung der Außenbeziehungen ein Stück weit weg von den USA und hin zu China. Netanjahu sollte diesen Monat nach Peking reisen – noch bevor Biden ihn ins Weiße Haus eingeladen hat. Doch nun wird es zu einer grundlegenden Neukalibrierung kommen. Es gibt viel Wut und Enttäuschung in Israel. Biden hat echte Maßnahmen ergriffen, indem er Flugzeugträger der Ford-Gruppe in die Region schickte, er ist sogar nach Israel gekommen. Das zeigt, dass die Vereinigten Staaten auf der Seite Israels stehen, während China die Ereignisse nicht einmal als Terroranschlag auf Israel bezeichnet hat.
Was werden die Konsequenzen sein?
Wir brauchen ein klareres Verständnis darüber, wie eine Beziehung zu China aussehen könnte. Es wurde zuletzt bereits holpriger, aber wenn sich die Lage beruhigt hat, wird Chinas Verhalten weitere Konsequenzen haben. Ich denke, es ist klar, dass Israel wieder viel näher an die USA heranrücken und China viel weniger als Partner ansehen wird. Eine der klaren Botschaften Pekings ist, dass Israel für China nicht sonderlich wichtig ist. Für China scheint es, dass die Beschädigung der bilateralen Beziehungen zu Israel lediglich ein Kollateralschaden ist von Chinas regionalen und geopolitischen Bestrebungen.
Wie wirkt sich das auf Chinas Ambitionen im Nahen Osten aus?
Das strategische Bild hat sich dramatisch verändert. China hat in den vergangenen Jahren von der Annahme profitiert, dass die USA die Region verlassen und ihre Versprechen nicht einhalten werden. Jetzt bekräftigen die USA wieder ihre Präsenz in der Region. Und dabei geht es nicht nur um Israel. Ich denke, die Amerikaner werden versuchen, die aktuelle Dynamik zu nutzen, um weiter voranzuschreiten. Saudi-Arabien verhandelt zum Beispiel mit den USA über Sicherheitsgarantien und wird denken: Das ist genau das, was ich brauche.
Und China?
China befindet sich an einem kritischen Punkt. Es wird weiterhin ein relevanter Akteur sein, wenn es um Infrastruktur, Energie und Technologie geht. Aber wenn Peking politisch nichts unternimmt, werden die Leute sagen: Die ganze Aufregung, die wir darüber hatten, dass China ein verantwortungsvoller Akteur wird, ist doch nicht so relevant. Dann könnte China zwar weiter seine wirtschaftlichen Interessen verfolgen, aber der eigentliche Machtfaktor werden die USA sein.
Sie sagten, die Reaktion der USA betreffe nicht nur Israel.
Ja, das ist ein geopolitischer Schachzug. Es ist auch ein deutliches Signal für Russland in der Ukraine und noch mehr für China in Bezug auf Taiwan. China hat in den vergangenen fünf bis zehn Jahren recht effektiv das vermeintliche US-Vakuum gefüllt. Aber wenn es den Amerikanern gelingt zu zeigen, dass US-Allianzen weiterhin zählen und dass Washington bereit ist, die Sicherheit seiner Partner zu garantieren, wird das meiner Meinung nach ein wirksamer Schlag gegen China sein. Wenn die Situation jedoch außer Kontrolle gerät, werden die Auswirkungen nicht nur in der Region, sondern weltweit spürbar sein.
Gedaliah Afterman ist Leiter des Asia Policy Program am “Abba Eban Institute for Diplomacy & Foreign Relations” der Reichman University in Herzliya.
Die Ampel-Regierung hatte die Stärkung der China-Kompetenz explizit in den Koalitionsvertrag geschrieben. “Asien- und China-Kompetenz wollen wir deutlich ausbauen”, heißt es darin auf Seite 24. In ihrer China-Strategie, die sie im Juli der Öffentlichkeit vorgestellt hat, wird der “Chinapolitischen Koordinierung und China-Kompetenz” gar ein ganzes Kapitel gewidmet. Durch die zunehmende Bedeutung Chinas wachse der Bedarf an Menschen mit entsprechender Expertise, heißt es darin. Diese gelte es zu fördern.
In der Realität scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Immer mehr China-Programmen werden die Gelder gestrichen, oder sie werden gar komplett gekappt. Das Auswärtige Amt fördert nach eigenen Angaben zwar weiter Projekte, wie etwa das “Bildungsnetzwerk China”. Doch die privat-staatliche Zusammenarbeit in dem Netzwerk fährt derzeit herunter.
Das “Bildungsnetzwerk China” ist eine Gründung der Privatstiftung Mercator zusammen mit den Goethe-Instituten, die dem Auswärtigem Amt unterstellt sind. Das Bildungsnetzwerk will die Vermittlung von China-Kompetenzen an deutschen Schulen ausbauen. Auch Austauschprogramme unterstützt das Netzwerk. Seit 2014 sind sich nach eigenen Angaben durch den auch vom Goethe-Institut in Peking unterstütztem Schulpartnerschaftsfonds “fast 2.000 deutsche und chinesische Jugendliche begegnet”.
Doch diese Schulpartnerschaftsfonds laufen 2024 aus. Wie das Netzwerk auf seiner Webseite mitteilt, können “ab sofort keine neuen Anträge auf Förderung schulischer Austauschbegegnungen eingereicht werden”. Zur Begründung weist es lediglich darauf hin, dass die Stiftung Mercator als Mittelgeber “sich mit Blick auf außenpolitische Herausforderungen und die Rolle Europas in der Welt” neu ausrichte. Ersatz ist nicht in Sicht.
Immerhin: Standorte von Goethe-Instituten in China sind von der aktuellen Neuausrichtung nicht betroffen. Das Auswärtige Amt ist für den Betrieb der weltweiten Goethe-Institute zuständig, mit Deutschkursen und Kulturvermittlung. Es will im Zuge der neuen Ausrichtung einige Standorte, etwa in Frankreich, schließen. Das Goethe-Institut in Peking mit seinen Zweigstellen in anderen Städten des Landes bleiben also bestehen.
Was Hoffnung macht: Im Forschungsbereich will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stärker den sogenannten regionalen Ausbau der China-Kompetenz ausbauen. Seit Mitte 2021 gibt es “Regio-China”. Über dieses Förderprogramm sollen die Akteure in Deutschland, die in den vergangenen Jahren viel China-Kompetenz aufgebaut haben, ihr Wissen durch den Austausch untereinander stärker vertiefen und neue Formate aufbauen. “Wo bisher noch Wissen und Erfahrungen fehlen, sollen diese gemeinsam aufgebaut werden”, heißt es in der Förderbeschreibung.
Auf der Streichliste steht dagegen das Manager-Fortbildungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei handelt es sich um ein Instrument der Außenwirtschaftsförderung, das vor allem kleine und mittlere deutsche Unternehmen bei der Erschließung von Auslandsmärkten unterstützt. Auch dieses Programm werde generell “im Zuge der Neuausrichtung aller außenwirtschaftlichen Förderinstrumente neu aufgelegt”, bestätigte ein Ministeriumssprecher. Es werde künftig vor allem um Markterschließung mit dem Ziel der Diversifizierung und der Resilienz gehen: “Für das Zielland China wurde das Programm eingestellt”.
Das Auswärtige Amt verweist auf das BMBF, das künftig die China-Programme stärker bündeln soll. Dort beteuert man, dass zwar sehr wohl auch künftig Forschungskooperationen mit chinesischen Einrichtungen eingegangen werden sollen. Gleichzeitig wolle das Bundesforschungsministerium die Unterstützung von Kooperationen “mit besonderen Dual-Use-Risiken oder bei Kooperation mit Bereich Künstlicher Intelligenz, die womöglich zu Überwachungszwecken und Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden”, einstellen.
Beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gibt es in der Projektförderung und bei den Stipendien speziell zu China zwar bislang keine Streichungen. Aufgrund der restriktiven Corona-Politik war in den vergangenen Jahren die Vergabe von Stipendien nach China aber deutlich zurückgegangen.
2018, also vor der Pandemie, förderte der DAAD rund 3.200 Stipendien und Projekte. Im Jahr 2022 lag die Zahl bei nur noch bei 1.800. “Das betrifft aber die Umsetzung und nicht das grundsätzliche Angebot”, heißt es vom DAAD. Nachdem die Corona-Regeln auch in China ausgelaufen sind, gebe es eine leichte Erholung. “Das Interesse der deutschen Hochschulen an Kooperationen mit China ist weiterhin groß”, sagte DAAD-Sprecher Michael Flacke.
Laut dem DAAD gibt es allerdings bei den Hochschulen mit Blick auf China “eine gestiegene Unsicherheit”. Mit Geldern des Bundesforschungsministeriums werde daher das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) ausgebaut. Das BMBF unterstützt den Ausbau des Zentrums mit zusätzlich rund einer Million Euro pro Jahr.
Sorge bereitet dem DAAD die drastisch gesunkene Zahl an deutschen Studierenden in China im Zuge der Pandemie. 2019 zählte das chinesische Bildungsministerium noch 8.108 Studierende aus Deutschland, Ende 2022 waren der DAAD-Außenstelle Peking nur einige Handvoll deutscher Studierender in China bekannt. “Zwar konnte die Lehre mit Onlinekursen oftmals aufrechterhalten werden, aber der Aufenthalt im Gastland ist das Herzstück jedes Studierendenaustauschs”, sagt DAAD-Sprecher Flacke. Seit August 2022 können zwar wieder Visa für einen langfristigen Studienaufenthalt in China beantragt werden. Doch die Flüge sind weiterhin sehr teuer. Immerhin nimmt der DAAD in diesem Jahr wieder einen Anstieg der an China interessierten Studierenden wahr.
Besonders drastisch fallen die Streichungen des China-Engagements bei den Privatstiftungen aus. Robert-Bosch-Stiftung, Bertelsmann-Stiftung, Körber-Stiftung, Stiftung Mercator – sie alle hatten in den 2010er-Jahren umfangreiche China-Programme. Die Bosch-Stiftung war mit speziellen Austauschprogrammen für Journalisten, Lehrern und Juristen besonders engagiert. “Wir haben seit dem 2019 beendeten Strategieprozess all unsere Regionalprojekte auslaufen lassen“, teilte die Bosch-Stiftung auf Anfrage mit.
Im Thema Klimawandel habe die Stiftung zunächst noch eine chinesische NGO unterstützt. Aber auch diese Förderung sei beendet. Aktuell fördere die Bosch-Stiftung Programme nach Themen (Frieden, Demokratie, Einwanderungsgesellschaft, Migration, Klimawandel und Ungleichheit), aber nicht mehr nach Regionen, lautet die Begründung.
Die Stiftung Mercator, die unter anderem das berühmte China-Institut Merics maßgeblich finanziert, hat zwar zugesichert, einen Großteil der Finanzierung ab 2024 für weitere fünf Jahre zu übernehmen. Auslaufen wird aber die Förderung, für das dreimal durchgeführte, aber äußerst erfolgreiche Stipendium-Programm für 25 Studierende und Auszubildende aus den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Das Programm hat der ehrenamtlich geführte Verein Bildungsbrücke China-Deutschland e.V. entwickelt. Am 3. November findet zum vorläufigen Abschluss dieses Programms in Düsseldorf eine Tagung statt zu der Frage: Wege zu mehr Chinakompetenz im MINT-Bereich. Die Ergebnisse dieser Tagung sollen als Handlungsempfehlungen an die Politik weitergeleitet werden.
Und auch die Bertelsmann-Stiftung hat ihr China-Programm deutlich zurückgefahren. Sämtliche China- und asienbezogenen Aktivitäten der Stiftung wurden 2021 ins Programm “Souveränes Europa – Strategisches Management Globaler Verflechtung” eingegliedert. Ein eigenes Asien-Programm gibt es nicht mehr. Gab es vorher fünf Personen, die explizit zu Asien gearbeitet haben, davon zwei zu China, ist heute nur noch eine Person für die ganze Region zuständig.
Indre Bermann vom Verein Bildungsbrücke China-Deutschland e.V. und Initiatorin des MINT-Programms hat den Eindruck: Es werde wieder mehr über China gelernt als mit China. Der People-To-People-Ansatz gehe dabei verloren. “Das halte ich für sehr bedauerlich.”
Im Südchinesischen Meer sind am Sonntag erneut Schiffe aus China und den Philippinen zusammengestoßen. Beide Länder sich gegenseitig die Schuld. Manila warf Peking “gefährliche Blockademanöver” vor, während China die philippinischen Boote beschuldigte, “mutwillig” Unruhe zu stiften.
Die Nachrichtenagentur AFP zitiert die philippinische Regierung. Ihr zufolge führten die Manöver eines Schiffes der chinesischen Küstenwache zum Zusammenstoß mit einem von den philippinischen Streitkräften unter Vertrag genommenen Versorgungsboot. Der Vorfall ereignete sich demnach etwa 25 Kilometer vom Atoll Second Thomas Shoal der Spratly-Inseln entfernt.
Der chinesische Staatssender CCTV zitierte hingegen das Außenministerium in Peking, wonach es zu einem “leichten Zusammenstoß” gekommen sei, nachdem das Versorgungsboot “mehrere Warnungen” ignoriert habe und “absichtlich auf unprofessionelle und gefährliche Weise” die chinesischen Fahrtwege gekreuzt habe.
Bei einem zweiten Vorfall sei ein Schiff der philippinischen Küstenwache von einem “Schiff der chinesischen Seemiliz” gestoßen worden, wie es von philippinischer Seite hieß. Die Philippinen betreiben Außenposten auf neun Riffen und Inseln in den Spratly-Inseln. Das Gebiet liegt etwa 200 Kilometer von der philippinischen Insel Palawan und mehr als 1.000 Kilometer von Chinas nächstgelegener Landmasse, den Hainan-Inseln, entfernt. flee
EU und USA haben weiter Schwierigkeiten, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen China zu einigen. Zwar teilten beide Seiten nach ihrem Gipfel am Freitag mit, dass man im Umgang mit China ein einheitliches Vorgehen anstrebe. Doch im Detail hakte es wie so oft. So verständigten sich beide Seiten auf die Formulierung, dass China den globalen Stahlmarkt verzerre. Doch das erwartete Abkommen für nachhaltige Stahl- und Aluminium-Produktion, das auch eine EU-Untersuchung zu Antidumping-Zöllen gegen chinesische Metallprodukte beinhalten sollte, kam nicht zustande.
Die EU-Seite hatte Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geäußert. Auch die von den USA gewünschte Einbindung einer Snapback-Klausel, die die Wiedereinführung von US-Zöllen gegen EU-Metallprodukte ermöglichen würde, soll letztendlich dazu geführt haben, dass die Gespräche ohne eine Einigung endeten. Diese Zölle stammen aus der Trump-Zeit und sind derzeit ausgesetzt. Die EU hofft auf eine dauerhafte Abschaffung. USA und EU wollen ihre Gespräche dazu der gemeinsamen Erklärung zufolge vor Ablauf einer Frist zum Jahresende fortsetzen.
Auch die Verhandlungen um ein Abkommen zu kritischen Rohstoffen führten nicht zu einem Abschluss. Sie ziehen sich bereits seit etlichen Monaten hin. Ein Deal etwa zu den Batterierohstoffen würde besonders der Autoindustrie helfen: Die EU würde als gleichberechtigter Freihandelspartner im Inflation Reduction Act anerkannt, sodass die Hersteller leichter die Förderbedingungen in den USA erfüllen könnten.
Einig ist man sich indessen über die Probleme. “Wir teilen die Besorgnis über die Herausforderungen, die unter anderem durch wirtschaftlichen Zwang, durch die Nutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten als Waffe sowie nicht marktorientierte Politiken und Praktiken entstehen”, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Die EU betonte erneut die genauere Betrachtung eines möglichen Outbound Investment Screenings: “Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten prüfen ebenfalls auf der Grundlage einer Risikobewertung, ob Auslandsinvestitionsmaßnahmen ihr bestehendes Instrumentarium ergänzen könnten.”ari
China verschärft die Ausfuhrkontrollen für einige Kategorien von Graphit, einem Schlüsselmaterial für Elektroauto-Batterien. Dies sei notwendig, um “die nationale Sicherheit und Interessen zu schützen”, teilte das Handelsministerium am Freitag mit. Zwei hochsensible Graphit-Arten mit besonders hohem Reinheits- und Härtegrad fallen demnach ab dem 1. Dezember unter die Ausfuhrkontrollen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (“dual use”). Der Exporte wird damit genehmigungspflichtig.
Graphit ist ein wesentlicher Bestandteil der Anoden von Elektroauto-Batterien. Nutzbar ist sowohl natürlicher aus auch synthetischer Graphit – der in der Regel teurer ist, aber länger hält, schneller lädt und die Sicherheit verbessert. Drei Arten von Graphitartikeln unterliegen bereits vorübergehenden Kontrollen und sind auch in der neuen Liste aufgeführt. Zugleich wurden die Kontrollen für fünf weniger empfindliche Graphitprodukte, die etwa in der Stahl-, Metall- und Chemieindustrie verwendet werden, aufgehoben.
Die Maßnahme kommt nur wenige Tage, nachdem die USA am Dienstag neue Restriktionen für den Export modernster Chips nach China angekündigt hatten. Das chinesische Handelsministerium erklärte dennoch, dass es sich um eine ganz normale Anpassung handele, die sich nicht gegen ein bestimmtes Land richte. China exportiert Graphit in Länder wie die USA, Japan und Südkorea. “Wir werden versuchen, eine alternative Quelle zu finden, und wir werden im Wesentlichen das tun, was wir bisher vorbereitet haben”, sagte der südkoreanische Handelsminister Ahn Duk-geun am Freitag in einer ersten Reaktion. Japan will nach den Worten eines Regierungssprechers “geeignete Schritte” unternehmen, falls die Maßnahmen gegen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen.
China verfügt laut Bloomberg über 60 Prozent der Produktionskapazität für Naturgraphit und sogar 90 Prozent für die synthetische Variante. Seit August kontrolliert China zudem die Ausfuhr der Industriemetalle Gallium und Germanium, die für Komponenten der Halbleiter-, Telekommunikations- und Elektroauto-Branchen wichtig sind. ck/rtr
In dem seit Jahren angespannten Verhältnis zwischen Australien und China kündigt sich Tauwetter an. Der australische Ministerpräsident Anthony Albanese gab am Sonntag bekannt, Anfang November zu Gesprächen nach China zu reisen. Dabei will er sich im Dialog mit Präsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Qiang um eine Stabilisierung der Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner seines Landes bemühen. Die Ankündigung der Reise nach Peking und Shanghai kam einen Tag, nachdem Australien einen Durchbruch im Streit mit China über Weinzölle erzielt hatte.
Die Beziehungen zwischen beiden Staaten waren unter der Vorgängerregierung seit Jahren durch verschiedene Konflikte belastet. Albanese hatte sein Amt 2022 mit der erklärten Absicht angetreten, das Verhältnis zu China zu verbessern. China hat im Zuge der sich abzeichnenden Entspannung bereits die Beschränkungen für die Einfuhr von Kohle, Holz und Gerste aus Australien aufgehoben. Australien ist für China zudem ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen wie Eisenerz. rtr/ck
Die brutalen Bilder aus China waren für den 17-jährigen Björn Alpermann schwer zu begreifen. Auf dem Fernsehbildschirm verfolgte er im Sommer 1989, wie die friedlichen Proteste von Studierenden auf dem Tian’anmen-Platz von der Pekinger Regierung niedergeschlagen wurden. In dieser politisch höchst aufgeladenen Zeit, die ganz im Zeichen des Kampfes für die Demokratie stand – in Osteuropa wie in China – entdeckte der junge Björn Alpermann sein Interesse für ein Land, in dem dieser Kampf keinen Erfolg hatte.
Zwischen dem Westen und China entstand nach den Geschehnissen im Juni 1989 eine politische Eiszeit. Für Sinologie-Studierende war es kaum möglich, das Land zu bereisen, die Studienanfängerzahlen gering. Alpermann beschloss 1991 dennoch, in Köln Regionalwissenschaften China mit einem Schwerpunkt auf Politik und VWL zu studieren – ohne jemals in China gewesen zu sein.
Erst nach drei Jahren, 1994, ging er für ein Jahr an die Uni in Tianjin. Seine Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen: Das Leben auf dem Campus war eine Blase, aus der man nur schwer ausbrechen konnte. Erst bei seinem zweiten China-Aufenthalt und einem Praktikum in einem chinesischen Staatsbetrieb macht es Klick: Alpermann entdeckte durch Gespräche mit seinen chinesischen Kollegen ganz andere Lebenswelten.
Dieser zweite Aufenthalt war die Initialzündung, wie er es selbst beschreibt. Es gab viele unterschiedliche Chinas zu entdecken, stellte er fest. Darunter auch Xinjiang, das er bei einer Reise kennenlernte. Die kulturell völlig andere Welt im gleichen Staat faszinierte ihn. Auch, wenn er damals noch nicht plante, seinen Fokus auf diese Region zu legen.
Nach seinem Abschluss 1998 arbeitete Alpermann zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Köln. 2006 folgte die Promotion und nach einem halbjährigen Aufenthalt an der UC Berkeley in Kalifornien eine Junior-Professur in Würzburg. Seit 2013 füllt Alpermann dort den Lehrstuhl für Contemporary Chinese Studies. In seinen Vorlesungen beschäftigt er sich unter anderem mit Studierendenprotesten und der Demokratiebewegung, mit der politischen Kultur Chinas, sowie mit sozialem Wandel und Modernisierung.
Seine Forschung teile sich im Moment etwa 50/50 in zwei Bereiche, erzählt Alpermann. Ein Fokus liegt auf dem Thema “Worldmaking” in China, das ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das sich mit den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung auf Chinas Städte beschäftigt. Es geht um den urbanen Wandel, der Sozialstrukturen und das Community Building beeinflusst.
Das zweite Thema, dem er einen Großteil seiner Arbeit widmet, ist Xinjiang. Als 2017 und 2018 Berichte über Masseninhaftierungen in der nordwestlichen Provinz aufkamen, klangen diese für Alpermann so drastisch, dass er begann, sich intensiv mit der Region auseinanderzusetzen. Er wollte eine Vorlesung zu Xinjiang anbieten; seine umfangreichen Recherchen für das Vorlesungsskript wurden die Basis für sein Buch “Xinjiang: China und die Uiguren”, das 2021 erschien.
Es ist ein Buch, das auch bei Kollegen in der Forschungswelt Aufmerksamkeit erregte. Rune Steenberg, ein dänischer Anthropologe, der sich auf Xinjiang und die Uiguren spezialisiert hat, lud Alpermann ein, bei dem von der EU geförderten Forschungsprojekt “Remote Ethnography of Xinjiang Uyghur Autonomous Region” mitzuarbeiten. So wurde seine Beschäftigung mit dem Thema noch intensiver.
“Remote Ethnography” ist der Versuch, möglichst objektive Informationen über eine Region zu gewinnen, die so stark kontrolliert wird wie kaum eine andere der Welt. Für Forschende und Journalisten ist es nicht nur schwierig, nach Xinjiang zu reisen und sich dort frei zu bewegen – die Forschung birgt auch ein moralisches Problem. Denn Uiguren, die dort über ihre Situation Auskunft geben würden, könnten in Gefahr geraten.
Die Forscher um Steenberg, zu denen neben Alpermann auch Vanessa Frangville gehört, wollen die Xinjiang-Forschung in Europa trotz dieser Umstände stärken. Ihr Ziel ist es, eine bestmögliche Methodik zu entwickeln und Xinjiang-Forscher durch Fortbildungen zu stärken, damit in Europa mehr Expertise entsteht – unabhängig von den bisher führenden Forschungsstandorten USA und Australien.
Doch wie forscht man, wenn man die Region selbst nicht bereisen kann? Möglich sind Diskurs- und Dokumentenanalysen; die Forscher arbeiten aber auch mit sozialen Medien auf Chinesisch und Uigurisch, die zum Teil ungefilterte Eindrücke vermitteln. Hinzu kommt die Auswertung von Satellitenaufnahmen. Augenzeugenberichte sind zudem durchaus möglich, nur eben nicht in Xinjiang selbst. Die Forscher führen stattdessen Interviews mit der Diaspora. Steenberg ist zudem viel in Zentralasien unterwegs, wo er Menschen trifft, die aus der Region kommen.
Es ist wichtig, nicht nur geflüchtete Menschen zu befragen, sagt Björn Alpermann, denn diese Menschen sind meist auch die, die sich am stärksten unterdrückt fühlen. So könnte eine verzerrte Darstellung entstehen. In Kasachstan und Kirgisistan trifft Steenberg Menschen, die wieder zurückgehen wollen und etwas zu verlieren haben. Ihre Aussagen sind besonders wertvoll. All diese unterschiedlichen Quellen bringen die Forscher zusammen, eine Methodik, die neben der Forschung selbst auch ein Ergebnis ihrer Arbeit sein soll.
Xinjiang sei ein brennendes Thema mit hoher Politikrelevanz, dem sich die deutsche China-Wissenschaft unbedingt widmen müsse, sagt Alpermann – trotz aller Schwierigkeiten, die die Auseinandersetzungen für Forscher bedeutet. In die Debatte um die Forschung zu dem Thema bringt er sich aktiv ein.
Wie auch in die Debatte um die China-Kompetenz allgemein. Für Alpermann ist klar, dass Deutschland sich hier besser aufstellen muss. Es gibt zu wenig Lehrstühle, die sich mit China beschäftigen, und viele der Kollegen fokussieren sich vor allem auf den Bereich Politik. Wirtschaft und Soziologie seien in der China-Forschung dagegen unterrepräsentiert. Hier muss die Forschung aus seiner Sicht gestärkt werden.
Alpermann selbst wünscht sich mehr Stunden am Tag, vielleicht könnte er sich dann noch mehr mit dem Thema Alterung und Altenversorgung in China beschäftigen. Noch ein weiteres, ganz anderes Thema, aber es entspricht Alpermanns Leitmotiv: China ist vielschichtig, spannend, und sehr relevant. Julia Fiedler
Sean Green wird neuer CEO und Präsident des China-Geschäfts bei BMW. Er folgt damit Jochen Goller nach. Green war bisher Senior Vice President für Vertrieb und Marketing bei BMW Brilliance Automotive, dem Joint Venture von BMW und Brilliance China Automotive Holdings.
Steven Shao, bisher Präsident von BMW China Automobile Trading, wird als SVP von BMW Brilliance einspringen. Goller wird als Vorstand für Kunde, Marken und Vertrieb in die BMW-Zentrale in München zurückkehren.
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Wie geschaffen als Motiv für einen Bildschirmschoner: In Hangzhou haben am Sonntag mit der Eröffnungsfeier die Asia Para Games begonnen. Gastgeberland China tritt dabei mit mehr als 400 Athleten und Athletinnen an. Die Para Games dauern bis zum 28. Oktober.
dieser Tage ist Chinas Sondergesandter Zhai Jun in der Nahost-Region unterwegs. Die Hoffnungen auf einen Vermittlungserfolg im Krieg zwischen Israel und der Hamas sind allerdings überschaubar. Was auch an Chinas eher pro-palästinenschen Haltung liegt. So sieht der renommierte China-Experte Gedaliah Afterman der Reichman University in Herzliya die Beziehungen zwischen Israel und der Volksrepublik schwer beschädigt. “Israel wird China viel weniger als Partner ansehen”, sagt Afterman im Interview mit Michael Radunski. “Ich denke, China hat die Bedeutung dieses Ereignisses für die israelische Psyche nicht verstanden. Dies ist keine weitere Auseinandersetzung mit der Hamas. Das ist unser 11. September”, so Afterman.
Die Bundesregierung hat in ihren Strategiepapieren die Wichtigkeit von mehr China-Kompetenz immer wieder betont. Doch es werden nicht mehr entsprechende Programme geschaffen. Ganz im Gegenteil: Regierung und Stiftungen kappen Geld und Personal. So geht eher China-Kompetenz verloren. Zumal selbst die einst so engagierten Privatstiftungen viele Programme eingestellt haben, wie Felix Lee analysiert.
Jener Felix Lee hat am Freitag eine wichtige Auszeichnung erhalten: den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2023. Unser Redakteur hat in seinem Buch “China, mein Vater und ich” über Chinas Aufstieg geschrieben, aber auch über seine Familie – und über die Ursprünge des langjährigen Erfolgs sowie der heutigen Leiden der Autoindustrie auf dem großen Markt. Themen, die Sie vom gleichen Autor auch weithin in China.Table finden werden.
“Ruhe bewahren und Gewalt stoppen” – so lässt sich Chinas erste Reaktion auf den Hamas-Angriff auf Israel zusammenfassen. Das klingt nach einem ziemlich guten Vermittler. Warum ist Israel dennoch enttäuscht?
Viele Israelis sind enttäuscht davon, dass China die Hamas nicht verurteilt hat. Ich denke, China hat die Bedeutung dieses Ereignisses für die israelische Psyche nicht verstanden. Dies ist keine weitere Auseinandersetzung mit der Hamas. Das ist unser 11. September. Vor einigen Jahren nannten die Chinesen einen Terroranschlag am Bahnhof in Kunming ihren 11. September. Bei diesem Angriff wurden etwa 30 Menschen getötet. In Israel wurden an einem Tag etwa 1.100 Zivilisten getötet. Wenn man das übertragen würde auf China, wären es etwa 150.000 Tote. Aber ich muss hinzufügen: Ich persönlich bin nicht sonderlich überrascht über die chinesische Reaktion.
Warum?
Lassen wir mal unsere Emotionen und Erwartungen beiseite, dann denke ich, dass es bei Chinas Reaktion nicht um Israel geht. Wenn China diese Situation betrachtet, nimmt es zunächst eine regionale Perspektive ein und schließlich den Blick aus einer geopolitischen Konkurrenz zweier Supermächte. In den vergangenen Jahren hat China den israelisch-palästinensischen Konflikt genutzt, um die Vereinigten Staaten verbal zu attackieren. China versucht den Angriff auf Israel zu nutzen, um die USA zu diskreditieren und Unterstützung zu bekommen aus der arabischen und muslimischen Welt für seine eigene Politik – unter anderem auch in Xinjiang.
Im vergangenen Juni hat Chinas Präsident Xi Jinping angeboten, bei der Förderung von Friedensgesprächen mit Israel zu helfen. Klingt nicht sonderlich egoistisch, aber es das denn überhaupt realistisch?
Tatsächlich ist China zu einem wichtigen Akteur im Nahen Osten geworden, vermittelte überraschenderweise erfolgreich zwischen Iran und Saudi-Arabien – obwohl China erst auf den letzten hundert Metern des Marathons dabei war. Aber keine andere Macht konnte das schaffen. Es ist allerdings unrealistisch zu erwarten, dass China Frieden zwischen Israelis und Palästinensern vermitteln wird. Im Fall von Saudi-Arabien und Iran hatten beide Seiten bereits daran gearbeitet. Im israelisch-palästinensischen Konflikt sind wir leider weit davon entfernt. Aber die Chinesen könnten bei konkreten Themen helfen, zum Beispiel bei humanitären Fragen oder bei der Freilassung der Geiseln. Hier könnte China sein eigenes Netzwerk in der Region nutzen und gleichzeitig zeigen, dass es eine positive Rolle spielten kann.
In der Tat könnte China einer der wenigen Akteure sein, die Druck auf Iran ausüben können. Teheran ist einer der Hauptunterstützer der Hamas. Das könnte ein Vorteil sein. Leider fällt mir hier eine Parallele ein: Im Ukraine-Krieg könnte China Russland unter Druck setzen – hat es aber bislang nicht getan.
Die Situation hier ist anders als im Russland-Ukraine-Krieg. Hier bietet sich China die Chance, eine positivere und substanziellere Rolle zu spielen, und sogar bei den Vereinigten Staaten Boden gutzumachen. China hat die strategische Chance, sich bei allen Staaten gut zu positionieren. Allerdings wissen wir aus der Vergangenheit, dass Peking nicht viel unternehmen wird.
Mir fällt noch eine Parallele ein: Peking verurteilt nicht den Terror der Hamas, wohl aber den Terror der Uiguren in China. Wie passt das zusammen?
Auch hier geht es vor allem um den Wettbewerb der Supermächte. Indem China die Hamas nicht ausdrücklich verurteilt, will es sich innerhalb der arabischen und muslimischen Welt positionieren. Aus arabischer Sicht sind die Palästinenser Freiheitskämpfer. Hamas wird nicht als Terrorgruppe angesehen. China übernimmt diese Perspektive, weil es hilft, seine eigene Position in der arabischen und muslimischen Welt zu festigen. China will diese Unterstützung, um den USA – und auch deren Kritik an Chinas Menschenrechtsbilanz – entgegenzutreten.
Ist das nicht Doppelmoral – etwas, wofür China die USA immerzu kritisiert?
Natürlich ist es das. Wir können lange darüber sprechen, wie sehr China Israel enttäuscht hat. Aus israelischer Sicht ist klar, dass China heuchlerisch ist und Israel nicht genug Empathie gezeigt hat. Allerdings haben wir in Israel derzeit mit einer dramatischen Situation zu kämpfen, wir befinden uns mitten im Krieg. Diese Diskussionen jetzt zu führen, ist nicht produktiv.
Zurück zu den Beziehungen zwischen China und Israel. Es schien, als hätten sie sich in letzter Zeit ziemlich gut entwickelt. War das eine Fehleinschätzung?
In jüngster Zeit gab es in Israel sogar Gedanken über ein Gleichgewicht zwischen den Supermächten und eine Diversifizierung der Außenbeziehungen ein Stück weit weg von den USA und hin zu China. Netanjahu sollte diesen Monat nach Peking reisen – noch bevor Biden ihn ins Weiße Haus eingeladen hat. Doch nun wird es zu einer grundlegenden Neukalibrierung kommen. Es gibt viel Wut und Enttäuschung in Israel. Biden hat echte Maßnahmen ergriffen, indem er Flugzeugträger der Ford-Gruppe in die Region schickte, er ist sogar nach Israel gekommen. Das zeigt, dass die Vereinigten Staaten auf der Seite Israels stehen, während China die Ereignisse nicht einmal als Terroranschlag auf Israel bezeichnet hat.
Was werden die Konsequenzen sein?
Wir brauchen ein klareres Verständnis darüber, wie eine Beziehung zu China aussehen könnte. Es wurde zuletzt bereits holpriger, aber wenn sich die Lage beruhigt hat, wird Chinas Verhalten weitere Konsequenzen haben. Ich denke, es ist klar, dass Israel wieder viel näher an die USA heranrücken und China viel weniger als Partner ansehen wird. Eine der klaren Botschaften Pekings ist, dass Israel für China nicht sonderlich wichtig ist. Für China scheint es, dass die Beschädigung der bilateralen Beziehungen zu Israel lediglich ein Kollateralschaden ist von Chinas regionalen und geopolitischen Bestrebungen.
Wie wirkt sich das auf Chinas Ambitionen im Nahen Osten aus?
Das strategische Bild hat sich dramatisch verändert. China hat in den vergangenen Jahren von der Annahme profitiert, dass die USA die Region verlassen und ihre Versprechen nicht einhalten werden. Jetzt bekräftigen die USA wieder ihre Präsenz in der Region. Und dabei geht es nicht nur um Israel. Ich denke, die Amerikaner werden versuchen, die aktuelle Dynamik zu nutzen, um weiter voranzuschreiten. Saudi-Arabien verhandelt zum Beispiel mit den USA über Sicherheitsgarantien und wird denken: Das ist genau das, was ich brauche.
Und China?
China befindet sich an einem kritischen Punkt. Es wird weiterhin ein relevanter Akteur sein, wenn es um Infrastruktur, Energie und Technologie geht. Aber wenn Peking politisch nichts unternimmt, werden die Leute sagen: Die ganze Aufregung, die wir darüber hatten, dass China ein verantwortungsvoller Akteur wird, ist doch nicht so relevant. Dann könnte China zwar weiter seine wirtschaftlichen Interessen verfolgen, aber der eigentliche Machtfaktor werden die USA sein.
Sie sagten, die Reaktion der USA betreffe nicht nur Israel.
Ja, das ist ein geopolitischer Schachzug. Es ist auch ein deutliches Signal für Russland in der Ukraine und noch mehr für China in Bezug auf Taiwan. China hat in den vergangenen fünf bis zehn Jahren recht effektiv das vermeintliche US-Vakuum gefüllt. Aber wenn es den Amerikanern gelingt zu zeigen, dass US-Allianzen weiterhin zählen und dass Washington bereit ist, die Sicherheit seiner Partner zu garantieren, wird das meiner Meinung nach ein wirksamer Schlag gegen China sein. Wenn die Situation jedoch außer Kontrolle gerät, werden die Auswirkungen nicht nur in der Region, sondern weltweit spürbar sein.
Gedaliah Afterman ist Leiter des Asia Policy Program am “Abba Eban Institute for Diplomacy & Foreign Relations” der Reichman University in Herzliya.
Die Ampel-Regierung hatte die Stärkung der China-Kompetenz explizit in den Koalitionsvertrag geschrieben. “Asien- und China-Kompetenz wollen wir deutlich ausbauen”, heißt es darin auf Seite 24. In ihrer China-Strategie, die sie im Juli der Öffentlichkeit vorgestellt hat, wird der “Chinapolitischen Koordinierung und China-Kompetenz” gar ein ganzes Kapitel gewidmet. Durch die zunehmende Bedeutung Chinas wachse der Bedarf an Menschen mit entsprechender Expertise, heißt es darin. Diese gelte es zu fördern.
In der Realität scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Immer mehr China-Programmen werden die Gelder gestrichen, oder sie werden gar komplett gekappt. Das Auswärtige Amt fördert nach eigenen Angaben zwar weiter Projekte, wie etwa das “Bildungsnetzwerk China”. Doch die privat-staatliche Zusammenarbeit in dem Netzwerk fährt derzeit herunter.
Das “Bildungsnetzwerk China” ist eine Gründung der Privatstiftung Mercator zusammen mit den Goethe-Instituten, die dem Auswärtigem Amt unterstellt sind. Das Bildungsnetzwerk will die Vermittlung von China-Kompetenzen an deutschen Schulen ausbauen. Auch Austauschprogramme unterstützt das Netzwerk. Seit 2014 sind sich nach eigenen Angaben durch den auch vom Goethe-Institut in Peking unterstütztem Schulpartnerschaftsfonds “fast 2.000 deutsche und chinesische Jugendliche begegnet”.
Doch diese Schulpartnerschaftsfonds laufen 2024 aus. Wie das Netzwerk auf seiner Webseite mitteilt, können “ab sofort keine neuen Anträge auf Förderung schulischer Austauschbegegnungen eingereicht werden”. Zur Begründung weist es lediglich darauf hin, dass die Stiftung Mercator als Mittelgeber “sich mit Blick auf außenpolitische Herausforderungen und die Rolle Europas in der Welt” neu ausrichte. Ersatz ist nicht in Sicht.
Immerhin: Standorte von Goethe-Instituten in China sind von der aktuellen Neuausrichtung nicht betroffen. Das Auswärtige Amt ist für den Betrieb der weltweiten Goethe-Institute zuständig, mit Deutschkursen und Kulturvermittlung. Es will im Zuge der neuen Ausrichtung einige Standorte, etwa in Frankreich, schließen. Das Goethe-Institut in Peking mit seinen Zweigstellen in anderen Städten des Landes bleiben also bestehen.
Was Hoffnung macht: Im Forschungsbereich will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stärker den sogenannten regionalen Ausbau der China-Kompetenz ausbauen. Seit Mitte 2021 gibt es “Regio-China”. Über dieses Förderprogramm sollen die Akteure in Deutschland, die in den vergangenen Jahren viel China-Kompetenz aufgebaut haben, ihr Wissen durch den Austausch untereinander stärker vertiefen und neue Formate aufbauen. “Wo bisher noch Wissen und Erfahrungen fehlen, sollen diese gemeinsam aufgebaut werden”, heißt es in der Förderbeschreibung.
Auf der Streichliste steht dagegen das Manager-Fortbildungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei handelt es sich um ein Instrument der Außenwirtschaftsförderung, das vor allem kleine und mittlere deutsche Unternehmen bei der Erschließung von Auslandsmärkten unterstützt. Auch dieses Programm werde generell “im Zuge der Neuausrichtung aller außenwirtschaftlichen Förderinstrumente neu aufgelegt”, bestätigte ein Ministeriumssprecher. Es werde künftig vor allem um Markterschließung mit dem Ziel der Diversifizierung und der Resilienz gehen: “Für das Zielland China wurde das Programm eingestellt”.
Das Auswärtige Amt verweist auf das BMBF, das künftig die China-Programme stärker bündeln soll. Dort beteuert man, dass zwar sehr wohl auch künftig Forschungskooperationen mit chinesischen Einrichtungen eingegangen werden sollen. Gleichzeitig wolle das Bundesforschungsministerium die Unterstützung von Kooperationen “mit besonderen Dual-Use-Risiken oder bei Kooperation mit Bereich Künstlicher Intelligenz, die womöglich zu Überwachungszwecken und Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden”, einstellen.
Beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gibt es in der Projektförderung und bei den Stipendien speziell zu China zwar bislang keine Streichungen. Aufgrund der restriktiven Corona-Politik war in den vergangenen Jahren die Vergabe von Stipendien nach China aber deutlich zurückgegangen.
2018, also vor der Pandemie, förderte der DAAD rund 3.200 Stipendien und Projekte. Im Jahr 2022 lag die Zahl bei nur noch bei 1.800. “Das betrifft aber die Umsetzung und nicht das grundsätzliche Angebot”, heißt es vom DAAD. Nachdem die Corona-Regeln auch in China ausgelaufen sind, gebe es eine leichte Erholung. “Das Interesse der deutschen Hochschulen an Kooperationen mit China ist weiterhin groß”, sagte DAAD-Sprecher Michael Flacke.
Laut dem DAAD gibt es allerdings bei den Hochschulen mit Blick auf China “eine gestiegene Unsicherheit”. Mit Geldern des Bundesforschungsministeriums werde daher das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) ausgebaut. Das BMBF unterstützt den Ausbau des Zentrums mit zusätzlich rund einer Million Euro pro Jahr.
Sorge bereitet dem DAAD die drastisch gesunkene Zahl an deutschen Studierenden in China im Zuge der Pandemie. 2019 zählte das chinesische Bildungsministerium noch 8.108 Studierende aus Deutschland, Ende 2022 waren der DAAD-Außenstelle Peking nur einige Handvoll deutscher Studierender in China bekannt. “Zwar konnte die Lehre mit Onlinekursen oftmals aufrechterhalten werden, aber der Aufenthalt im Gastland ist das Herzstück jedes Studierendenaustauschs”, sagt DAAD-Sprecher Flacke. Seit August 2022 können zwar wieder Visa für einen langfristigen Studienaufenthalt in China beantragt werden. Doch die Flüge sind weiterhin sehr teuer. Immerhin nimmt der DAAD in diesem Jahr wieder einen Anstieg der an China interessierten Studierenden wahr.
Besonders drastisch fallen die Streichungen des China-Engagements bei den Privatstiftungen aus. Robert-Bosch-Stiftung, Bertelsmann-Stiftung, Körber-Stiftung, Stiftung Mercator – sie alle hatten in den 2010er-Jahren umfangreiche China-Programme. Die Bosch-Stiftung war mit speziellen Austauschprogrammen für Journalisten, Lehrern und Juristen besonders engagiert. “Wir haben seit dem 2019 beendeten Strategieprozess all unsere Regionalprojekte auslaufen lassen“, teilte die Bosch-Stiftung auf Anfrage mit.
Im Thema Klimawandel habe die Stiftung zunächst noch eine chinesische NGO unterstützt. Aber auch diese Förderung sei beendet. Aktuell fördere die Bosch-Stiftung Programme nach Themen (Frieden, Demokratie, Einwanderungsgesellschaft, Migration, Klimawandel und Ungleichheit), aber nicht mehr nach Regionen, lautet die Begründung.
Die Stiftung Mercator, die unter anderem das berühmte China-Institut Merics maßgeblich finanziert, hat zwar zugesichert, einen Großteil der Finanzierung ab 2024 für weitere fünf Jahre zu übernehmen. Auslaufen wird aber die Förderung, für das dreimal durchgeführte, aber äußerst erfolgreiche Stipendium-Programm für 25 Studierende und Auszubildende aus den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Das Programm hat der ehrenamtlich geführte Verein Bildungsbrücke China-Deutschland e.V. entwickelt. Am 3. November findet zum vorläufigen Abschluss dieses Programms in Düsseldorf eine Tagung statt zu der Frage: Wege zu mehr Chinakompetenz im MINT-Bereich. Die Ergebnisse dieser Tagung sollen als Handlungsempfehlungen an die Politik weitergeleitet werden.
Und auch die Bertelsmann-Stiftung hat ihr China-Programm deutlich zurückgefahren. Sämtliche China- und asienbezogenen Aktivitäten der Stiftung wurden 2021 ins Programm “Souveränes Europa – Strategisches Management Globaler Verflechtung” eingegliedert. Ein eigenes Asien-Programm gibt es nicht mehr. Gab es vorher fünf Personen, die explizit zu Asien gearbeitet haben, davon zwei zu China, ist heute nur noch eine Person für die ganze Region zuständig.
Indre Bermann vom Verein Bildungsbrücke China-Deutschland e.V. und Initiatorin des MINT-Programms hat den Eindruck: Es werde wieder mehr über China gelernt als mit China. Der People-To-People-Ansatz gehe dabei verloren. “Das halte ich für sehr bedauerlich.”
Im Südchinesischen Meer sind am Sonntag erneut Schiffe aus China und den Philippinen zusammengestoßen. Beide Länder sich gegenseitig die Schuld. Manila warf Peking “gefährliche Blockademanöver” vor, während China die philippinischen Boote beschuldigte, “mutwillig” Unruhe zu stiften.
Die Nachrichtenagentur AFP zitiert die philippinische Regierung. Ihr zufolge führten die Manöver eines Schiffes der chinesischen Küstenwache zum Zusammenstoß mit einem von den philippinischen Streitkräften unter Vertrag genommenen Versorgungsboot. Der Vorfall ereignete sich demnach etwa 25 Kilometer vom Atoll Second Thomas Shoal der Spratly-Inseln entfernt.
Der chinesische Staatssender CCTV zitierte hingegen das Außenministerium in Peking, wonach es zu einem “leichten Zusammenstoß” gekommen sei, nachdem das Versorgungsboot “mehrere Warnungen” ignoriert habe und “absichtlich auf unprofessionelle und gefährliche Weise” die chinesischen Fahrtwege gekreuzt habe.
Bei einem zweiten Vorfall sei ein Schiff der philippinischen Küstenwache von einem “Schiff der chinesischen Seemiliz” gestoßen worden, wie es von philippinischer Seite hieß. Die Philippinen betreiben Außenposten auf neun Riffen und Inseln in den Spratly-Inseln. Das Gebiet liegt etwa 200 Kilometer von der philippinischen Insel Palawan und mehr als 1.000 Kilometer von Chinas nächstgelegener Landmasse, den Hainan-Inseln, entfernt. flee
EU und USA haben weiter Schwierigkeiten, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen China zu einigen. Zwar teilten beide Seiten nach ihrem Gipfel am Freitag mit, dass man im Umgang mit China ein einheitliches Vorgehen anstrebe. Doch im Detail hakte es wie so oft. So verständigten sich beide Seiten auf die Formulierung, dass China den globalen Stahlmarkt verzerre. Doch das erwartete Abkommen für nachhaltige Stahl- und Aluminium-Produktion, das auch eine EU-Untersuchung zu Antidumping-Zöllen gegen chinesische Metallprodukte beinhalten sollte, kam nicht zustande.
Die EU-Seite hatte Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geäußert. Auch die von den USA gewünschte Einbindung einer Snapback-Klausel, die die Wiedereinführung von US-Zöllen gegen EU-Metallprodukte ermöglichen würde, soll letztendlich dazu geführt haben, dass die Gespräche ohne eine Einigung endeten. Diese Zölle stammen aus der Trump-Zeit und sind derzeit ausgesetzt. Die EU hofft auf eine dauerhafte Abschaffung. USA und EU wollen ihre Gespräche dazu der gemeinsamen Erklärung zufolge vor Ablauf einer Frist zum Jahresende fortsetzen.
Auch die Verhandlungen um ein Abkommen zu kritischen Rohstoffen führten nicht zu einem Abschluss. Sie ziehen sich bereits seit etlichen Monaten hin. Ein Deal etwa zu den Batterierohstoffen würde besonders der Autoindustrie helfen: Die EU würde als gleichberechtigter Freihandelspartner im Inflation Reduction Act anerkannt, sodass die Hersteller leichter die Förderbedingungen in den USA erfüllen könnten.
Einig ist man sich indessen über die Probleme. “Wir teilen die Besorgnis über die Herausforderungen, die unter anderem durch wirtschaftlichen Zwang, durch die Nutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten als Waffe sowie nicht marktorientierte Politiken und Praktiken entstehen”, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Die EU betonte erneut die genauere Betrachtung eines möglichen Outbound Investment Screenings: “Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten prüfen ebenfalls auf der Grundlage einer Risikobewertung, ob Auslandsinvestitionsmaßnahmen ihr bestehendes Instrumentarium ergänzen könnten.”ari
China verschärft die Ausfuhrkontrollen für einige Kategorien von Graphit, einem Schlüsselmaterial für Elektroauto-Batterien. Dies sei notwendig, um “die nationale Sicherheit und Interessen zu schützen”, teilte das Handelsministerium am Freitag mit. Zwei hochsensible Graphit-Arten mit besonders hohem Reinheits- und Härtegrad fallen demnach ab dem 1. Dezember unter die Ausfuhrkontrollen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (“dual use”). Der Exporte wird damit genehmigungspflichtig.
Graphit ist ein wesentlicher Bestandteil der Anoden von Elektroauto-Batterien. Nutzbar ist sowohl natürlicher aus auch synthetischer Graphit – der in der Regel teurer ist, aber länger hält, schneller lädt und die Sicherheit verbessert. Drei Arten von Graphitartikeln unterliegen bereits vorübergehenden Kontrollen und sind auch in der neuen Liste aufgeführt. Zugleich wurden die Kontrollen für fünf weniger empfindliche Graphitprodukte, die etwa in der Stahl-, Metall- und Chemieindustrie verwendet werden, aufgehoben.
Die Maßnahme kommt nur wenige Tage, nachdem die USA am Dienstag neue Restriktionen für den Export modernster Chips nach China angekündigt hatten. Das chinesische Handelsministerium erklärte dennoch, dass es sich um eine ganz normale Anpassung handele, die sich nicht gegen ein bestimmtes Land richte. China exportiert Graphit in Länder wie die USA, Japan und Südkorea. “Wir werden versuchen, eine alternative Quelle zu finden, und wir werden im Wesentlichen das tun, was wir bisher vorbereitet haben”, sagte der südkoreanische Handelsminister Ahn Duk-geun am Freitag in einer ersten Reaktion. Japan will nach den Worten eines Regierungssprechers “geeignete Schritte” unternehmen, falls die Maßnahmen gegen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen.
China verfügt laut Bloomberg über 60 Prozent der Produktionskapazität für Naturgraphit und sogar 90 Prozent für die synthetische Variante. Seit August kontrolliert China zudem die Ausfuhr der Industriemetalle Gallium und Germanium, die für Komponenten der Halbleiter-, Telekommunikations- und Elektroauto-Branchen wichtig sind. ck/rtr
In dem seit Jahren angespannten Verhältnis zwischen Australien und China kündigt sich Tauwetter an. Der australische Ministerpräsident Anthony Albanese gab am Sonntag bekannt, Anfang November zu Gesprächen nach China zu reisen. Dabei will er sich im Dialog mit Präsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Qiang um eine Stabilisierung der Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner seines Landes bemühen. Die Ankündigung der Reise nach Peking und Shanghai kam einen Tag, nachdem Australien einen Durchbruch im Streit mit China über Weinzölle erzielt hatte.
Die Beziehungen zwischen beiden Staaten waren unter der Vorgängerregierung seit Jahren durch verschiedene Konflikte belastet. Albanese hatte sein Amt 2022 mit der erklärten Absicht angetreten, das Verhältnis zu China zu verbessern. China hat im Zuge der sich abzeichnenden Entspannung bereits die Beschränkungen für die Einfuhr von Kohle, Holz und Gerste aus Australien aufgehoben. Australien ist für China zudem ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen wie Eisenerz. rtr/ck
Die brutalen Bilder aus China waren für den 17-jährigen Björn Alpermann schwer zu begreifen. Auf dem Fernsehbildschirm verfolgte er im Sommer 1989, wie die friedlichen Proteste von Studierenden auf dem Tian’anmen-Platz von der Pekinger Regierung niedergeschlagen wurden. In dieser politisch höchst aufgeladenen Zeit, die ganz im Zeichen des Kampfes für die Demokratie stand – in Osteuropa wie in China – entdeckte der junge Björn Alpermann sein Interesse für ein Land, in dem dieser Kampf keinen Erfolg hatte.
Zwischen dem Westen und China entstand nach den Geschehnissen im Juni 1989 eine politische Eiszeit. Für Sinologie-Studierende war es kaum möglich, das Land zu bereisen, die Studienanfängerzahlen gering. Alpermann beschloss 1991 dennoch, in Köln Regionalwissenschaften China mit einem Schwerpunkt auf Politik und VWL zu studieren – ohne jemals in China gewesen zu sein.
Erst nach drei Jahren, 1994, ging er für ein Jahr an die Uni in Tianjin. Seine Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen: Das Leben auf dem Campus war eine Blase, aus der man nur schwer ausbrechen konnte. Erst bei seinem zweiten China-Aufenthalt und einem Praktikum in einem chinesischen Staatsbetrieb macht es Klick: Alpermann entdeckte durch Gespräche mit seinen chinesischen Kollegen ganz andere Lebenswelten.
Dieser zweite Aufenthalt war die Initialzündung, wie er es selbst beschreibt. Es gab viele unterschiedliche Chinas zu entdecken, stellte er fest. Darunter auch Xinjiang, das er bei einer Reise kennenlernte. Die kulturell völlig andere Welt im gleichen Staat faszinierte ihn. Auch, wenn er damals noch nicht plante, seinen Fokus auf diese Region zu legen.
Nach seinem Abschluss 1998 arbeitete Alpermann zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Köln. 2006 folgte die Promotion und nach einem halbjährigen Aufenthalt an der UC Berkeley in Kalifornien eine Junior-Professur in Würzburg. Seit 2013 füllt Alpermann dort den Lehrstuhl für Contemporary Chinese Studies. In seinen Vorlesungen beschäftigt er sich unter anderem mit Studierendenprotesten und der Demokratiebewegung, mit der politischen Kultur Chinas, sowie mit sozialem Wandel und Modernisierung.
Seine Forschung teile sich im Moment etwa 50/50 in zwei Bereiche, erzählt Alpermann. Ein Fokus liegt auf dem Thema “Worldmaking” in China, das ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das sich mit den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung auf Chinas Städte beschäftigt. Es geht um den urbanen Wandel, der Sozialstrukturen und das Community Building beeinflusst.
Das zweite Thema, dem er einen Großteil seiner Arbeit widmet, ist Xinjiang. Als 2017 und 2018 Berichte über Masseninhaftierungen in der nordwestlichen Provinz aufkamen, klangen diese für Alpermann so drastisch, dass er begann, sich intensiv mit der Region auseinanderzusetzen. Er wollte eine Vorlesung zu Xinjiang anbieten; seine umfangreichen Recherchen für das Vorlesungsskript wurden die Basis für sein Buch “Xinjiang: China und die Uiguren”, das 2021 erschien.
Es ist ein Buch, das auch bei Kollegen in der Forschungswelt Aufmerksamkeit erregte. Rune Steenberg, ein dänischer Anthropologe, der sich auf Xinjiang und die Uiguren spezialisiert hat, lud Alpermann ein, bei dem von der EU geförderten Forschungsprojekt “Remote Ethnography of Xinjiang Uyghur Autonomous Region” mitzuarbeiten. So wurde seine Beschäftigung mit dem Thema noch intensiver.
“Remote Ethnography” ist der Versuch, möglichst objektive Informationen über eine Region zu gewinnen, die so stark kontrolliert wird wie kaum eine andere der Welt. Für Forschende und Journalisten ist es nicht nur schwierig, nach Xinjiang zu reisen und sich dort frei zu bewegen – die Forschung birgt auch ein moralisches Problem. Denn Uiguren, die dort über ihre Situation Auskunft geben würden, könnten in Gefahr geraten.
Die Forscher um Steenberg, zu denen neben Alpermann auch Vanessa Frangville gehört, wollen die Xinjiang-Forschung in Europa trotz dieser Umstände stärken. Ihr Ziel ist es, eine bestmögliche Methodik zu entwickeln und Xinjiang-Forscher durch Fortbildungen zu stärken, damit in Europa mehr Expertise entsteht – unabhängig von den bisher führenden Forschungsstandorten USA und Australien.
Doch wie forscht man, wenn man die Region selbst nicht bereisen kann? Möglich sind Diskurs- und Dokumentenanalysen; die Forscher arbeiten aber auch mit sozialen Medien auf Chinesisch und Uigurisch, die zum Teil ungefilterte Eindrücke vermitteln. Hinzu kommt die Auswertung von Satellitenaufnahmen. Augenzeugenberichte sind zudem durchaus möglich, nur eben nicht in Xinjiang selbst. Die Forscher führen stattdessen Interviews mit der Diaspora. Steenberg ist zudem viel in Zentralasien unterwegs, wo er Menschen trifft, die aus der Region kommen.
Es ist wichtig, nicht nur geflüchtete Menschen zu befragen, sagt Björn Alpermann, denn diese Menschen sind meist auch die, die sich am stärksten unterdrückt fühlen. So könnte eine verzerrte Darstellung entstehen. In Kasachstan und Kirgisistan trifft Steenberg Menschen, die wieder zurückgehen wollen und etwas zu verlieren haben. Ihre Aussagen sind besonders wertvoll. All diese unterschiedlichen Quellen bringen die Forscher zusammen, eine Methodik, die neben der Forschung selbst auch ein Ergebnis ihrer Arbeit sein soll.
Xinjiang sei ein brennendes Thema mit hoher Politikrelevanz, dem sich die deutsche China-Wissenschaft unbedingt widmen müsse, sagt Alpermann – trotz aller Schwierigkeiten, die die Auseinandersetzungen für Forscher bedeutet. In die Debatte um die Forschung zu dem Thema bringt er sich aktiv ein.
Wie auch in die Debatte um die China-Kompetenz allgemein. Für Alpermann ist klar, dass Deutschland sich hier besser aufstellen muss. Es gibt zu wenig Lehrstühle, die sich mit China beschäftigen, und viele der Kollegen fokussieren sich vor allem auf den Bereich Politik. Wirtschaft und Soziologie seien in der China-Forschung dagegen unterrepräsentiert. Hier muss die Forschung aus seiner Sicht gestärkt werden.
Alpermann selbst wünscht sich mehr Stunden am Tag, vielleicht könnte er sich dann noch mehr mit dem Thema Alterung und Altenversorgung in China beschäftigen. Noch ein weiteres, ganz anderes Thema, aber es entspricht Alpermanns Leitmotiv: China ist vielschichtig, spannend, und sehr relevant. Julia Fiedler
Sean Green wird neuer CEO und Präsident des China-Geschäfts bei BMW. Er folgt damit Jochen Goller nach. Green war bisher Senior Vice President für Vertrieb und Marketing bei BMW Brilliance Automotive, dem Joint Venture von BMW und Brilliance China Automotive Holdings.
Steven Shao, bisher Präsident von BMW China Automobile Trading, wird als SVP von BMW Brilliance einspringen. Goller wird als Vorstand für Kunde, Marken und Vertrieb in die BMW-Zentrale in München zurückkehren.
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Wie geschaffen als Motiv für einen Bildschirmschoner: In Hangzhou haben am Sonntag mit der Eröffnungsfeier die Asia Para Games begonnen. Gastgeberland China tritt dabei mit mehr als 400 Athleten und Athletinnen an. Die Para Games dauern bis zum 28. Oktober.