ist es nicht erstaunlich, dass sich die Volksrepublik China 75 Jahre nach ihrer Gründung in manchen Aspekten zurückentwickelt? Die Kommunistische Partei hatte nach dem Tod von Mao Zedong die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass kein Nachfolger eine solche Machtfülle mehr erhalten würde. Doch was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist, konterkariert all diese Mühen.
Heute steht mit Xi Jinping ein neuer Steuermann am Ruder, der einem 1,4-Milliarden-Volk mit harter Hand und massiver Hilfe durch technologische Entwicklungen die eigenen Gedanken als Leitfaden für politisches Handeln und gesellschaftliches Denken vorgibt. Mal schauen, was das für Konsequenzen hat. Dass selbst der große Mao nicht alles richtig gemacht hat, sondern einiges auch ziemlich falsch, gestehen heutzutage sogar die ideologischen Hardliner in der Partei ein. Fabian Kretschmer hat sich für uns mit der Frage beschäftigt, wie es nach dem Jubiläum weitergeht.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Volksrepublik ihr diplomatisches Augenmerk verstärkt auf Afrika richten wird. Dort gibt es Rohstoffe, Märkte und eine gewaltige Zahl von Staaten, deren Gunst im geopolitischen Gezerre der Zukunft noch ziemlich wertvoll werden wird. Deswegen steht China dort im Wettbewerb mit der Europäischen Union, die ihrerseits versucht, Einfluss auf afrikanische Staaten zu gewinnen.
Belt-&-Road-Initiative vs Global Gateway – zwei Infrastrukturprogramme mit nicht uneigennützigen Absichten. Vorteil China: Die Volksrepublik war früher dran und achtet nicht gerade penibel darauf, ob ihre Partner von Grund auf integer sind. Europas Global Gateway muss dagegen aufpassen, von den Afrikanern nicht ausschließlich als Mittel zum Zweck verstanden zu werden, urteilt eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung. Amelie Richter hat sich das Papier angeschaut.
Als Mao Zedong am 1. Oktober 1949 um genau drei Uhr nachmittags die Volksrepublik China ausrief, war kaum vorstellbar, dass auch 75 Jahre später sein überlebensgroßes Porträt über den Platz des Himmlischen Friedens wachen würde. Tatsächlich aber prägt Mao auch Jahrzehnte nach seinem Tod das Land und die ideologische Ausrichtung der Kommunistischen Partei.
Heute lenkt wieder ein Parteichef mit absoluter Machtfülle die Geschicke der KP – so wie Mao es einst tat. Und so, wie es Maos Erben eigentlich verhindern wollten. Xi Jinping ist es gelungen, konkurrierende Fraktionen in der Partei gefügig zu machen und dem Land seine Gedanken als Leitfaden für politisches Handeln und gesellschaftliches Denken zu verordnen. Sein Ziel ist es, Chinas psychologischen Ballast der vergangenen Jahrhunderte abzuwerfen und auf Augenhöhe mit den USA um die Führungsrolle in der Welt zu konkurrieren. Das Rezept dazu hat er von seinen Vorgängern übernommen: Die Kommunistische Partei soll ewiger Herrscher der chinesischen Nation sein.
Doch wenn die Volksrepublik am Dienstag ihren 75. Geburtstag begeht, beschert die Aussicht auf mehr geopolitische Macht und weitere 75 Jahre KP-Herrschaft wenig Feierlaune bei den meisten der 1,4 Milliarden Chinesen. Die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordhoch, die soziale Schere trennt Gewinner und Verlierer, die Immobilienkrise hat innerhalb der Mittelschicht zu einem empfindlichen Wohlstandsverlust geführt. Die Jahre des wirtschaftlichen Booms sind vorüber und reißen den uneingeschränkten Grundoptimismus der vergangenen Jahre mit in die Tiefe.
Wohin steuert die Volksrepublik 75 Jahre nach jenem schicksalhaften Tag im Oktober 1949? Für Xi hat die Transformation seines Heimatlandes wohl gerade erst angefangen. In seiner dritten Amtszeit arbeitet der 71-Jährige daran, den jahrzehntelang gültigen Gesellschaftsvertrag grundlegend zu verändern.
Seit Deng Xiaoping (1904-92) das Land mithilfe marktwirtschaftlicher Reformen auf einen beispiellosen Entwicklungspfad brachte, legitimierte sich die KP vor allem durch ihre pragmatische Politik. Das chinesische Versprechen lautete: Solange die Partei für stetig wachsenden Wohlstand sorgt, würde die Masse auf ihr Recht auf politische Mitbestimmung freiwillig verzichten. Und die KP lieferte: Der Wohlstand kam, wenn auch höchst ungleich verteilt, in rasanter Geschwindigkeit beim Volk an. Von 1980 bis 2010 wuchs das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik im Schnitt um knapp 10 Prozent – jedes Jahr.
Doch die Zeiten des Booms sind vorbei. Das Wachstum verlangsamt sich. Die Menschen konsumieren viel zu wenig, das Sozialnetz ist zu schwach, die Bevölkerung altert zu schnell. Chinesische Unternehmer zieht es zu Hunderttausenden ins Ausland, um dort statt in der Heimat zu produzieren. Ökonomen warnen dieser Tage vor einer langwierigen konjunkturellen Talfahrt. Allerdings scheint Xi bereit zu sein, diese wirtschaftliche Schwäche als Preis zu bezahlen, um die Kontrolle über Land und Volk bewahren zu können.
Dem Parteichef geht es vor allem um zweierlei: ideologische Treue und nationale Sicherheit. Statt Wohlstand verspricht er seinem Volk patriotisches Selbstbewusstsein. In seiner Vision des “chinesischen Traums” soll die “verweichlichte” Jugend den Gürtel enger schnallen, um für einen erstarkten, sozialistischen Staat zu arbeiten, der zwar technologische Errungenschaften hervorbringt und selbstbewusst auf der diplomatischen Bühne auftritt, jedoch für das Individuum nicht mehr das Versprechen auf Reichtum verheißt. Ganz im Gegenteil: Xi hat in seinen Reden immer wieder deutlich gemacht, dass er einen “dekadenten” Sozialstaat nach europäischem Vorbild ablehnt. Dieser würde die “Arbeitsmoral” des Volkes schwächen.
Wie die Chinesinnen und Chinesen wirklich über den Kurs ihrer Parteiführung denken, lässt sich kaum erfassen. Öffentliche Kritik an der Zentralregierung wird mit harten Repressionen geahndet. Wer den Mund hält, lebt weniger gefährlich. Indizien erkennt man aber in den Ausprägungen von Subkulturen oder in den Kommentaren in sozialen Medien. Teile der Jugend sind frustriert angesichts sinkender wirtschaftlicher Aussichten und einer Partei, die sich mit ihren Wertvorstellungen in ihren Alltag einmischt.
Die urbane Jugend bezeichnet die Gegenwart gar als “historische Müll-Zeit” – eine Anspielung auf den Ausspruch “garbage time”, der die bedeutungslose Schlussphase eines frühzeitig entschiedenen Sportwettkampfes beschreibt, in dem eine Mannschaft eine Niederlage trotz aller Anstrengung nicht mehr abwenden kann.
In den Provinzen aber schmücken nach wie vor Mao-Porträts die Wände. Die Leute wiederholen stolz die Propaganda der dominanten Staatsmedien: China sei dank der schützenden Hand der Partei das sicherste Land der Welt, während im Ausland Krieg und Chaos herrsche. Und Xi Jinping wird wegen seiner rigiden Anti-Korruptions-Kampagne gepriesen.
Der Blick auf den Rest der Welt hat sich unter Xi gewandelt. Herrschte in den Nullerjahren eine Weltoffenheit und Neugierde vor, dominieren nun Misstrauen bis Feindseligkeit die Wahrnehmung. Ein Indiz dafür: Touristen sind nach den Jahren der “Null Covid”-Politik zurück, doch die Expats werden immer weniger.
Vom Westen entfernt sich das Land zunehmend. Spannungen überschatten die Zusammenarbeit. Die USA sind der große Gegenspieler, und Europa umgarnt China nur solange, wie es als attraktiver Markt für chinesische Exporte dient. Doch sobald die EU den transatlantischen Schulterschluss wagt, wartet Peking mit ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen auf.
Chinas diplomatische Bemühungen konzentrieren sich auf den globalen Süden. Von Afrika über Nahost bis nach Zentralasien präsentiert sich das Reich der Mitte als alternative Weltmacht, die den Hegemon USA ablösen möchte. Systematisch versucht China, die Institutionen der liberalen Weltordnung nach eigenen Wertevorstellungen umzugestalten. In den vergangenen Jahren hat kein Land derart viele Führungspositionen innerhalb der Vereinten Nationen besetzen können wie China.
All dies erfordert auch ein Umdenken für heimische Firmen, die in China nach wie vor ihre Geschäfte machen wollen. Der Markt ist politischer geworden, stärker staatlich gelenkt. Privatkonzerne florieren praktisch nur dann, wenn sie sich strategisch den staatlichen Fünfjahresplänen fügen. Tiefgreifende Reformen sind in weite Ferne gerückt. In den Kernindustrien, die Xi Jinping mit flächendeckenden Subventionen zur Staatssache erklärt hat, haben ausländische Betriebe zwangsläufig das Nachsehen.
Für eine wachsende Zahl von Unternehmen sei deshalb ein Wendepunkt erreicht, bilanziert die EU-Handelskammer in Peking. Sie nehmen ihre China-Geschäfte nun genauer unter die Lupe, da die Herausforderungen die Erträge zu überwiegen beginnen. Der wirtschaftlichen Entwicklung und der internationalen Integration Chinas hilft all das nicht weiter.
75 Jahre nach der Staatsgründung hat die Volksrepublik ihren Fußabdruck in der Geschichte hinterlassen. Ihr Aufstieg vom Armenhaus der Welt zur zweitgrößten Volkswirtschaft in atemberaubendem Tempo wird Wissenschaftler noch in Hunderten Jahren faszinieren. Welches Urteil sie über Xi Jinping fällen, wird stark davon abhängen, ob es ihm gelingt, seinen Landsleuten patriotisches Selbstbewusstsein schmackhafter zu machen als den Wohlstand. Fabian Kretschmer/ Mitarbeit: Marcel Grzanna
Die EU hat nach Ansicht von Analysten noch einigen Nachholbedarf bei der Strategie zur Infrastrukturinitiative Global Gateway (GG). Mit dem Start des neuen EU-Kabinetts müsse unter anderem die Kommunikation rund um GG transparenter werden, um das volle Potenzial auszuschöpfen und die bereits existierenden Partnerschaften stärken zu können, vor allem in Afrika.
Das ist das Ergebnis einer am Dienstag erscheinenden gemeinsamen Analyse von Merics, dem German Marshall Fund, dem afrikanischen Thinktank Nkafu Politics Institute und der britischen Denkfabrik Institute of Economic Affairs, herausgegeben von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Das Papier lag Table.Briefings vorab vor.
Afrika ist 2024 der Kontinent mit den meisten Global-Gateway-Projekten. Ein großes Problem sei derzeit noch die Kommunikation und Wahrnehmung der EU-Infrastrukturinitiative in den afrikanischen Ländern, heißt es in der Analyse.
Seit der Einführung hat GG Vergleiche mit Chinas Belt and Road Initiative (BRI) hervorgerufen – nicht zuletzt, weil EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Initiative selbst als Alternative zur BRI vorgestellt hat. Die EU müsse ihre Ziele und den Wert von GG klar kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden und ein positives Bild zu schaffen, schreiben die Analysten.
Denn bisher gibt es der Analyse zufolge mehrere Probleme bei der Eigenpositionierung und der Außenwahrnehmung der Initiative – nicht nur in Afrika, sondern auch in China: Der Rückgang gemeinsamer Investitionsziele zwischen der EU und der Volksrepublik zeige, dass GG in Peking durchaus als direkte Konkurrenz zur BRI wahrgenommen werde.
Darum werde von chinesischer Seite versucht, die Bedeutung der EU-Initiative zu schmälern und GG als Ergänzung zur BRI zu präsentieren: “China hat ein Narrativ entwickelt, das GG als komplementär zur BRI darstellt, während die EU klarer ihre Wettbewerbsrolle betonen sollte”, heißt es in dem Bericht. Es liege “in der Verantwortung Europas, auch die chinesische Darstellung und Wahrnehmung hinsichtlich der europäischen Unterstützung der Belt and Road-Initiative und ihres Synergiepotenzials mit GG zu korrigieren”.
Die Krux dabei: In Afrika kommt das Konkurrenz-Narrativ weniger gut an: Die EU sollte vermeiden, Afrika als Schachbrett im Wettbewerb mit China zu sehen, schreiben die Analysten. Stattdessen sollte der Fokus auf den realen Entwicklungsbedürfnissen Afrikas liegen.
Der Bericht empfiehlt mehrere Schritte:
Die Analysten geben sich beim Erfolgspotenzial allerdings realistisch: “Einige der Umsetzungsschwierigkeiten der EU mit GG hängen mit der einfachen Tatsache zusammen, dass es viele Empfängerländer gibt, die kein Interesse daran haben, die grundlegenden EU-Kriterien im Rahmen des GG zu erfüllen“, heißt es in dem Papier. Das betreffe insbesondere die mit Transparenz und demokratischen Standards verbundenen Vorgaben. “Eine schnellere Bereitstellung von BRI-Krediten mit weniger Kriterien für eine verantwortungsvolle Regierungsführung wird vielen weiterhin attraktiver erscheinen.”
Die Komplexität der EU-Entscheidungsprozesse und Finanzierungsprobleme mindere die Wettbewerbsfähigkeit von GG generell. Chinesische Analysten seien deshalb in der Betrachtung der Initiative oft skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit, heißt es. In den chinesischen Medien werde die Erzählung um GG häufig durch die Linse des strategischen Wettbewerbs zwischen den USA und China betrachtet. Dabei gebe es Skepsis hinsichtlich der geopolitischen Motive der EU.
Die Analysten schreiben noch weitere Punkte auf die To-do-Liste des designierten EU-Kommissars für internationale Partnerschaften, Jozef Síkela, der künftig für GG verantwortlich sein wird. Auch dabei: Auf die “wahllose Verwendung” der Marke Global Gateway müsse verzichtet werden. Es sei “inflationär”, einfach alle Arten von Entwicklungshilfeprojekten unter GG zu bündeln, kritisieren die Analysten – “möglicherweise, um bis 2027 die globale Mobilisierungssumme von 300 Milliarden Euro zu erreichen”. So verliere GG an Glaubwürdigkeit.
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
Der Verkauf chinesischer E-Autos in Europa geht zurück. Chinesische Hersteller haben auf dem Kontinent die wenigsten Elektroautos seit 18 Monaten abgesetzt. Im August brachen die Zulassungen im Vergleich zum Vorjahr auf fast die Hälfte ein. Das berichtet Bloomberg am Montag. Der Rückgang belaufe sich demnach auf 48 Prozent und bedeute einen zweiten Monat in Folge mit sinkenden Marktanteilen chinesischer Marken. Bloomberg beruft sich in dem Bericht auf Zahlen des Marktforschungsunternehmens Dataforce.
Die Marke MG, die inzwischen Teil von SAIC Motor Corp. ist, verlor dabei ihren Spitzenplatz unter den chinesischen Anbietern in Europa an den Konkurrenten BYD. Der MG-Absatz ging um satte 65 Prozent zurück.
Experten verweisen in diesem Zusammenhang auf die vorläufigen Zölle der Europäischen Union auf chinesische Elektroautoimporte. Hier wurde die staatliche Muttergesellschaft SAIC im Juli mit zusätzlichen EU-Abgaben von 38 Prozent auf ihre Elektroautos belegt, der höchsten Bewertung von allen. Bislang nutzte das Unternehmen seinen britischen Ruf, um die Marke wieder aufzubauen und sich gleichzeitig auf Elektroautos zu konzentrieren. Neue Nummer 1 aus China in Europa ist BYD. Das Unternehmen aus Shenzhen legte im August abermals kräftig zu: im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent. rad
Über die von der EU-Kommission geplanten Sonderzölle auf E-Autos aus China soll am Freitag abgestimmt werden. Die Kommission wolle die Verhandlungen mit China allerdings auch nach der Abstimmung fortsetzen, berichtete Reuters. Ihren Vorschlag für endgültige Zölle auf chinesische E-Autos habe die Kommission an die 27 Mitgliedstaaten der EU geschickt und dabei die von ihr im September berechneten Sätze befürwortet.
Gleichzeitig fügte sie den Insidern zufolge einen zusätzlichen Text, einen sogenannten Erwägungsgrund, hinzu. Darin heißt es, dass die bisherigen Gespräche mit China den Streit über mutmaßliche chinesische Subventionen nicht gelöst hätten, Verhandlungen über einen möglichen Kompromiss jedoch auch nach Zustimmung der EU-Länder zu den Zollsätzen fortgesetzt werden könnten.
Während einer Debatte des Handelsauschusses des Europäischen Parlaments bestätigte Martin Lukas, Direktor für Trade Defence des Generaldirektorats für Handel der Kommission, dass die EU-Kommission weiter verhandeln wird. Die Deadline für das Ende der Untersuchung vom 30. Oktober werde eingehalten, aber auch danach könne die Kommission noch mit China über Preisverpflichtungen verhandeln.
Das chinesische Handelsministerium hatte am vergangenen Donnerstag bekanntgegeben, über ein flexibles Preissystem zu verhandeln, um die Zölle noch abzuwenden. Die Kommission hatte mitgeteilt, sie könne eine Preisvereinbarung abermals prüfen. Diese umfasst einen Mindesteinfuhrpreis und in der Regel eine Mengenbegrenzung. Die vorgeschlagenen Zölle reichen von 7,8 Prozent für E-Autos von Tesla, die in China gebaut wurden, bis hin zu 35,3 Prozent für die vom chinesischen Autokonzern SAIC und anderen Unternehmen. Sie kommen zu den üblichen EU-Importzöllen von zehn Prozent für Autos hinzu.
Die EU-Mitglieder werden am Freitag darüber abstimmen, ob sie die endgültigen Zölle für die nächsten fünf Jahre befürworten. Die Zölle würden dann ab Ende Oktober greifen, wenn nicht noch eine qualifizierte Mehrheit dagegen votiert. Dies müssten mindestens 15 Länder sein, die zusammen auch 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen. rtr/jaa
China schafft im Konflikt um das Scarborough Shoal im Südchinesischen Meer Fakten. Das Riff sei “vollständig umzingelt” von chinesischen Küstenwachen- und Milizschiffen, berichtet Leonardo Cuaresma, Präsident der New Masinloc Fisherman’s Association, der Zeitung South China Morning Post.
Dabei nutzt Peking ein viermonatiges Fischereiverbot aus, das man jedes Jahr im Südchinesischen Meer ausspricht. Das unilaterale Moratorium gilt laut Nachrichtenagentur Xinhua als Maßnahme zum “Schutz der Rechte und Interessen der Meeresfischerei und zum Schutz der ökologischen Meeresumwelt“. Allerdings wurde es in der Vergangenheit bislang nicht strikt angewandt. Zudem war es vor wenigen Tagen eigentlich abgelaufen. Doch die chinesischen Schiffe halten die Sperre weiter aufrecht und drängen philippinische Boote zurück.
Das Scarborough Shoal befindet sich lediglich 120 Seemeilen von der philippinischen Küste entfernt und ist seit langem Fischereigebiet für philippinische Fischer. Nun werden sie weit zurückgedrängt – bis auf fast 40 Seemeilen vor der eigenen Küste. Chinesische Schiffe würden sie aggressiv verjagen, wenn sie sich nähern, berichtet Cuaresma.
Laut Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen fällt das Scarborough-Riff in die 200 Seemeilen umfassende “ausschließliche Wirtschaftszone” der Philippinen. China beansprucht ebenfalls “unbestreitbare Souveränität” über das Gebiet.
Vor wenigen Wochen war es China gelungen, eine Vorentscheidung am Sabina-Riff herbei zu führen. Dort nutze man den Umstand, dass die philippinische Seite ihr Schiff nach einer Auseinandersetzung abziehen musste. Die “Teresa Magbanua” war nach einer Kollision mit der chinesischen Küstenwache schwer beschädigt, die philippinische Besatzung mit ihren Kräften am Ende. rad
Wenn China dieser Tage den 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik feiert, führt an Frank Dikötter eigentlich kein Weg vorbei. Der niederländische Historiker ist einer der renommiertesten Chronisten der Volksrepublik – sehr kritisch und überaus detail- und kenntnisreich. Um zu verstehen, was China gerade feiert, lohnt es sich, Dikötters aktuelles Buch zur Hand zu nehmen: “China nach Mao – Der Aufstieg zur Supermacht”. Es beschreibt einen unglaublichen Aufstieg, den Dikötter am eigenen Leib miterlebt hat.
Das Buch beginnt im Sommer 1985. Damals reiste Dikötter als junger Student nach China. Das chinesische Außenministerium teilte ihm einen Platz an der Nankai-Universität in Tianjin zu, und ein Freund schrieb ihm eine Postkarte, adressiert an “Frank aus Holland, Tianjin, China”. Es wirkt wie ein Vorgang aus einer längst vergangenen Zeit – nicht nur wegen der Postkarte, sondern vor allem auch im Hinblickt auf das heutige China: Wie will man in Tianjin mit seinem rund 14 Millionen Einwohnern einen Frank finden? Geradezu absurd.
Doch damals befand sich China nicht nur kalendarisch in einem anderen Jahrhundert, sondern auch politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Und so kam die Postkarte tatsächlich bei Dikötter an. Der Sinologe erinnert sich, dass damals in der Hafenstadt nahe Peking lediglich 80 Ausländer lebten, davon sieben Niederländer – und ein Frank.
Frank Dikötter wurde 1961 in Kerensheide in den Niederlanden geboren. Er studierte an der Universität Genf Geschichtswissenschaft und Russisch, ehe er in besagtem Sommer 1985 nach China ging. Seither sind nicht einmal 40 Jahre vergangen, in der Entwicklung Chinas ist das aber eine Ewigkeit. Es folgten Jahrzehnte mit einem wirtschaftlichen Wachstum von durchschnittlich mehr als zehn Prozent – jedes Jahr! Längst ist die Volksrepublik zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Zu einer Supermacht, die sich anschickt, das 21. Jahrhundert maßgeblich mitzuprägen und die USA in ihrer globalen Führungsposition herauszufordern.
Frank ist immer noch da. Inzwischen ist der 63-jährige von Tianjin nach Hongkong gezogen, hat eine Chinesin geheiratet und ist seit 2006 Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Und während die Führung in Peking vor allem ihre Reform- und Öffnungspolitik lobt, stellt Dikötter in seinem Buch geradezu ketzerische Fragen: Hat es überhaupt eine “Reform und Öffnung” gegeben – wenn in China doch weniger eine Million Ausländer leben, also kaum 0,07 Prozent der Bevölkerung? Wenn fertige Produkte im Massen das Land verlassen und die Märkte weltweit überschwemmen, vergleichsweise aber nur wenig importiert werden darf? Oder wenn ein Fünftel der Menschheit in den Kinos des Landes pro Jahr gerade einmal 36 ausländische Filme sehen dürfen? Und: “Kapital kann ins Land kommen, aber es ist schwierig, es wieder abzuziehen.”
Damit steht Dikötter in scharfem Kontrast zu den aktuellen Feierlichkeiten, zu all den Lobeshymnen auf Reform und Öffnung und kollektiver Führung einer Diktatur des Volkes. Und doch sind es allesamt berechtigte Fragen, die im Grunde zweierlei zeigen: Frank Dikötter ist ein kenntnisreicher Sinologe. Und: China blickt auf eine Entwicklung voller Widersprüche zurück. Es gibt unterschiedliche Erzählungen: offizielle von oben und alltägliche von unten. Es ist eine atemberaubende Entwicklung, die aber eben auch dunkle Kapitel beinhaltet – die dieser Tage in den Pekinger Festreden aber keinerlei Erwähnung finden.
Dafür aber bei Frank Dikötter in seiner beeindruckenden Volks-Trilogie: Maos große Hungersnot (2010), Die Tragödie der Befreiung (2013) und Die Kulturrevolution (2016). Die Bücher gehören längst zum Standard der China-Studien und zeigen eindrucksvoll, welchen Einfluss die Herrschaft der Kommunistischen Partei auf das Leben und den Alltag der Menschen in China hat. Sie wurden gelobt – mit Preisen und Nominierungen. Und auch scharf kritisiert. Denn Dikötter lässt die Geschichte der KP-Erzählung nicht dominieren. Statt lediglich über Direktiven von oben zu berichtet, richtet er den Blick auf die Menschen und deren Alltag. Das birgt Spannungen, die Dikötter aber selbstbewusst angeht, denn der Niederländer kennt seine Materie. Für seine Recherchen durchstöbert er chinesische Stadt- und Provinzarchive und liest unzählige Originaldokumente.
Zu den aktuellen Feierlichkeiten will Dikötter sich nicht äußern und verweist auf die angespannte Lage im Land. Auch damit ist er ein wichtiger China-Chronist – abseits der Direktiven. Michael Radunski
Frank Dikötter: China nach Mao – Der Aufstieg zur Supermacht, Klett-Cotta, Stuttgart 2023, 464 Seiten, 30 Euro. (Foto: Klett-Cotta Verlag)
Simon Henderson ist neuer Asia Deputy Director der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Henderson wird sich aus Tokio unter anderem für Belange in Japan, Südkorea und China einsetzen.
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Letztes Üben vor dem großen Tag: Die rund 7.000 Lehrer und Schüler der Hongxiang Education Group in Suqian (Provinz Jiangsu) proben am Montag die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag. Am heutigen Dienstag vor 75 Jahren wurde die Volksrepublik China gegründet.
ist es nicht erstaunlich, dass sich die Volksrepublik China 75 Jahre nach ihrer Gründung in manchen Aspekten zurückentwickelt? Die Kommunistische Partei hatte nach dem Tod von Mao Zedong die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass kein Nachfolger eine solche Machtfülle mehr erhalten würde. Doch was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist, konterkariert all diese Mühen.
Heute steht mit Xi Jinping ein neuer Steuermann am Ruder, der einem 1,4-Milliarden-Volk mit harter Hand und massiver Hilfe durch technologische Entwicklungen die eigenen Gedanken als Leitfaden für politisches Handeln und gesellschaftliches Denken vorgibt. Mal schauen, was das für Konsequenzen hat. Dass selbst der große Mao nicht alles richtig gemacht hat, sondern einiges auch ziemlich falsch, gestehen heutzutage sogar die ideologischen Hardliner in der Partei ein. Fabian Kretschmer hat sich für uns mit der Frage beschäftigt, wie es nach dem Jubiläum weitergeht.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Volksrepublik ihr diplomatisches Augenmerk verstärkt auf Afrika richten wird. Dort gibt es Rohstoffe, Märkte und eine gewaltige Zahl von Staaten, deren Gunst im geopolitischen Gezerre der Zukunft noch ziemlich wertvoll werden wird. Deswegen steht China dort im Wettbewerb mit der Europäischen Union, die ihrerseits versucht, Einfluss auf afrikanische Staaten zu gewinnen.
Belt-&-Road-Initiative vs Global Gateway – zwei Infrastrukturprogramme mit nicht uneigennützigen Absichten. Vorteil China: Die Volksrepublik war früher dran und achtet nicht gerade penibel darauf, ob ihre Partner von Grund auf integer sind. Europas Global Gateway muss dagegen aufpassen, von den Afrikanern nicht ausschließlich als Mittel zum Zweck verstanden zu werden, urteilt eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung. Amelie Richter hat sich das Papier angeschaut.
Als Mao Zedong am 1. Oktober 1949 um genau drei Uhr nachmittags die Volksrepublik China ausrief, war kaum vorstellbar, dass auch 75 Jahre später sein überlebensgroßes Porträt über den Platz des Himmlischen Friedens wachen würde. Tatsächlich aber prägt Mao auch Jahrzehnte nach seinem Tod das Land und die ideologische Ausrichtung der Kommunistischen Partei.
Heute lenkt wieder ein Parteichef mit absoluter Machtfülle die Geschicke der KP – so wie Mao es einst tat. Und so, wie es Maos Erben eigentlich verhindern wollten. Xi Jinping ist es gelungen, konkurrierende Fraktionen in der Partei gefügig zu machen und dem Land seine Gedanken als Leitfaden für politisches Handeln und gesellschaftliches Denken zu verordnen. Sein Ziel ist es, Chinas psychologischen Ballast der vergangenen Jahrhunderte abzuwerfen und auf Augenhöhe mit den USA um die Führungsrolle in der Welt zu konkurrieren. Das Rezept dazu hat er von seinen Vorgängern übernommen: Die Kommunistische Partei soll ewiger Herrscher der chinesischen Nation sein.
Doch wenn die Volksrepublik am Dienstag ihren 75. Geburtstag begeht, beschert die Aussicht auf mehr geopolitische Macht und weitere 75 Jahre KP-Herrschaft wenig Feierlaune bei den meisten der 1,4 Milliarden Chinesen. Die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordhoch, die soziale Schere trennt Gewinner und Verlierer, die Immobilienkrise hat innerhalb der Mittelschicht zu einem empfindlichen Wohlstandsverlust geführt. Die Jahre des wirtschaftlichen Booms sind vorüber und reißen den uneingeschränkten Grundoptimismus der vergangenen Jahre mit in die Tiefe.
Wohin steuert die Volksrepublik 75 Jahre nach jenem schicksalhaften Tag im Oktober 1949? Für Xi hat die Transformation seines Heimatlandes wohl gerade erst angefangen. In seiner dritten Amtszeit arbeitet der 71-Jährige daran, den jahrzehntelang gültigen Gesellschaftsvertrag grundlegend zu verändern.
Seit Deng Xiaoping (1904-92) das Land mithilfe marktwirtschaftlicher Reformen auf einen beispiellosen Entwicklungspfad brachte, legitimierte sich die KP vor allem durch ihre pragmatische Politik. Das chinesische Versprechen lautete: Solange die Partei für stetig wachsenden Wohlstand sorgt, würde die Masse auf ihr Recht auf politische Mitbestimmung freiwillig verzichten. Und die KP lieferte: Der Wohlstand kam, wenn auch höchst ungleich verteilt, in rasanter Geschwindigkeit beim Volk an. Von 1980 bis 2010 wuchs das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik im Schnitt um knapp 10 Prozent – jedes Jahr.
Doch die Zeiten des Booms sind vorbei. Das Wachstum verlangsamt sich. Die Menschen konsumieren viel zu wenig, das Sozialnetz ist zu schwach, die Bevölkerung altert zu schnell. Chinesische Unternehmer zieht es zu Hunderttausenden ins Ausland, um dort statt in der Heimat zu produzieren. Ökonomen warnen dieser Tage vor einer langwierigen konjunkturellen Talfahrt. Allerdings scheint Xi bereit zu sein, diese wirtschaftliche Schwäche als Preis zu bezahlen, um die Kontrolle über Land und Volk bewahren zu können.
Dem Parteichef geht es vor allem um zweierlei: ideologische Treue und nationale Sicherheit. Statt Wohlstand verspricht er seinem Volk patriotisches Selbstbewusstsein. In seiner Vision des “chinesischen Traums” soll die “verweichlichte” Jugend den Gürtel enger schnallen, um für einen erstarkten, sozialistischen Staat zu arbeiten, der zwar technologische Errungenschaften hervorbringt und selbstbewusst auf der diplomatischen Bühne auftritt, jedoch für das Individuum nicht mehr das Versprechen auf Reichtum verheißt. Ganz im Gegenteil: Xi hat in seinen Reden immer wieder deutlich gemacht, dass er einen “dekadenten” Sozialstaat nach europäischem Vorbild ablehnt. Dieser würde die “Arbeitsmoral” des Volkes schwächen.
Wie die Chinesinnen und Chinesen wirklich über den Kurs ihrer Parteiführung denken, lässt sich kaum erfassen. Öffentliche Kritik an der Zentralregierung wird mit harten Repressionen geahndet. Wer den Mund hält, lebt weniger gefährlich. Indizien erkennt man aber in den Ausprägungen von Subkulturen oder in den Kommentaren in sozialen Medien. Teile der Jugend sind frustriert angesichts sinkender wirtschaftlicher Aussichten und einer Partei, die sich mit ihren Wertvorstellungen in ihren Alltag einmischt.
Die urbane Jugend bezeichnet die Gegenwart gar als “historische Müll-Zeit” – eine Anspielung auf den Ausspruch “garbage time”, der die bedeutungslose Schlussphase eines frühzeitig entschiedenen Sportwettkampfes beschreibt, in dem eine Mannschaft eine Niederlage trotz aller Anstrengung nicht mehr abwenden kann.
In den Provinzen aber schmücken nach wie vor Mao-Porträts die Wände. Die Leute wiederholen stolz die Propaganda der dominanten Staatsmedien: China sei dank der schützenden Hand der Partei das sicherste Land der Welt, während im Ausland Krieg und Chaos herrsche. Und Xi Jinping wird wegen seiner rigiden Anti-Korruptions-Kampagne gepriesen.
Der Blick auf den Rest der Welt hat sich unter Xi gewandelt. Herrschte in den Nullerjahren eine Weltoffenheit und Neugierde vor, dominieren nun Misstrauen bis Feindseligkeit die Wahrnehmung. Ein Indiz dafür: Touristen sind nach den Jahren der “Null Covid”-Politik zurück, doch die Expats werden immer weniger.
Vom Westen entfernt sich das Land zunehmend. Spannungen überschatten die Zusammenarbeit. Die USA sind der große Gegenspieler, und Europa umgarnt China nur solange, wie es als attraktiver Markt für chinesische Exporte dient. Doch sobald die EU den transatlantischen Schulterschluss wagt, wartet Peking mit ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen auf.
Chinas diplomatische Bemühungen konzentrieren sich auf den globalen Süden. Von Afrika über Nahost bis nach Zentralasien präsentiert sich das Reich der Mitte als alternative Weltmacht, die den Hegemon USA ablösen möchte. Systematisch versucht China, die Institutionen der liberalen Weltordnung nach eigenen Wertevorstellungen umzugestalten. In den vergangenen Jahren hat kein Land derart viele Führungspositionen innerhalb der Vereinten Nationen besetzen können wie China.
All dies erfordert auch ein Umdenken für heimische Firmen, die in China nach wie vor ihre Geschäfte machen wollen. Der Markt ist politischer geworden, stärker staatlich gelenkt. Privatkonzerne florieren praktisch nur dann, wenn sie sich strategisch den staatlichen Fünfjahresplänen fügen. Tiefgreifende Reformen sind in weite Ferne gerückt. In den Kernindustrien, die Xi Jinping mit flächendeckenden Subventionen zur Staatssache erklärt hat, haben ausländische Betriebe zwangsläufig das Nachsehen.
Für eine wachsende Zahl von Unternehmen sei deshalb ein Wendepunkt erreicht, bilanziert die EU-Handelskammer in Peking. Sie nehmen ihre China-Geschäfte nun genauer unter die Lupe, da die Herausforderungen die Erträge zu überwiegen beginnen. Der wirtschaftlichen Entwicklung und der internationalen Integration Chinas hilft all das nicht weiter.
75 Jahre nach der Staatsgründung hat die Volksrepublik ihren Fußabdruck in der Geschichte hinterlassen. Ihr Aufstieg vom Armenhaus der Welt zur zweitgrößten Volkswirtschaft in atemberaubendem Tempo wird Wissenschaftler noch in Hunderten Jahren faszinieren. Welches Urteil sie über Xi Jinping fällen, wird stark davon abhängen, ob es ihm gelingt, seinen Landsleuten patriotisches Selbstbewusstsein schmackhafter zu machen als den Wohlstand. Fabian Kretschmer/ Mitarbeit: Marcel Grzanna
Die EU hat nach Ansicht von Analysten noch einigen Nachholbedarf bei der Strategie zur Infrastrukturinitiative Global Gateway (GG). Mit dem Start des neuen EU-Kabinetts müsse unter anderem die Kommunikation rund um GG transparenter werden, um das volle Potenzial auszuschöpfen und die bereits existierenden Partnerschaften stärken zu können, vor allem in Afrika.
Das ist das Ergebnis einer am Dienstag erscheinenden gemeinsamen Analyse von Merics, dem German Marshall Fund, dem afrikanischen Thinktank Nkafu Politics Institute und der britischen Denkfabrik Institute of Economic Affairs, herausgegeben von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Das Papier lag Table.Briefings vorab vor.
Afrika ist 2024 der Kontinent mit den meisten Global-Gateway-Projekten. Ein großes Problem sei derzeit noch die Kommunikation und Wahrnehmung der EU-Infrastrukturinitiative in den afrikanischen Ländern, heißt es in der Analyse.
Seit der Einführung hat GG Vergleiche mit Chinas Belt and Road Initiative (BRI) hervorgerufen – nicht zuletzt, weil EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Initiative selbst als Alternative zur BRI vorgestellt hat. Die EU müsse ihre Ziele und den Wert von GG klar kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden und ein positives Bild zu schaffen, schreiben die Analysten.
Denn bisher gibt es der Analyse zufolge mehrere Probleme bei der Eigenpositionierung und der Außenwahrnehmung der Initiative – nicht nur in Afrika, sondern auch in China: Der Rückgang gemeinsamer Investitionsziele zwischen der EU und der Volksrepublik zeige, dass GG in Peking durchaus als direkte Konkurrenz zur BRI wahrgenommen werde.
Darum werde von chinesischer Seite versucht, die Bedeutung der EU-Initiative zu schmälern und GG als Ergänzung zur BRI zu präsentieren: “China hat ein Narrativ entwickelt, das GG als komplementär zur BRI darstellt, während die EU klarer ihre Wettbewerbsrolle betonen sollte”, heißt es in dem Bericht. Es liege “in der Verantwortung Europas, auch die chinesische Darstellung und Wahrnehmung hinsichtlich der europäischen Unterstützung der Belt and Road-Initiative und ihres Synergiepotenzials mit GG zu korrigieren”.
Die Krux dabei: In Afrika kommt das Konkurrenz-Narrativ weniger gut an: Die EU sollte vermeiden, Afrika als Schachbrett im Wettbewerb mit China zu sehen, schreiben die Analysten. Stattdessen sollte der Fokus auf den realen Entwicklungsbedürfnissen Afrikas liegen.
Der Bericht empfiehlt mehrere Schritte:
Die Analysten geben sich beim Erfolgspotenzial allerdings realistisch: “Einige der Umsetzungsschwierigkeiten der EU mit GG hängen mit der einfachen Tatsache zusammen, dass es viele Empfängerländer gibt, die kein Interesse daran haben, die grundlegenden EU-Kriterien im Rahmen des GG zu erfüllen“, heißt es in dem Papier. Das betreffe insbesondere die mit Transparenz und demokratischen Standards verbundenen Vorgaben. “Eine schnellere Bereitstellung von BRI-Krediten mit weniger Kriterien für eine verantwortungsvolle Regierungsführung wird vielen weiterhin attraktiver erscheinen.”
Die Komplexität der EU-Entscheidungsprozesse und Finanzierungsprobleme mindere die Wettbewerbsfähigkeit von GG generell. Chinesische Analysten seien deshalb in der Betrachtung der Initiative oft skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit, heißt es. In den chinesischen Medien werde die Erzählung um GG häufig durch die Linse des strategischen Wettbewerbs zwischen den USA und China betrachtet. Dabei gebe es Skepsis hinsichtlich der geopolitischen Motive der EU.
Die Analysten schreiben noch weitere Punkte auf die To-do-Liste des designierten EU-Kommissars für internationale Partnerschaften, Jozef Síkela, der künftig für GG verantwortlich sein wird. Auch dabei: Auf die “wahllose Verwendung” der Marke Global Gateway müsse verzichtet werden. Es sei “inflationär”, einfach alle Arten von Entwicklungshilfeprojekten unter GG zu bündeln, kritisieren die Analysten – “möglicherweise, um bis 2027 die globale Mobilisierungssumme von 300 Milliarden Euro zu erreichen”. So verliere GG an Glaubwürdigkeit.
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
Der Verkauf chinesischer E-Autos in Europa geht zurück. Chinesische Hersteller haben auf dem Kontinent die wenigsten Elektroautos seit 18 Monaten abgesetzt. Im August brachen die Zulassungen im Vergleich zum Vorjahr auf fast die Hälfte ein. Das berichtet Bloomberg am Montag. Der Rückgang belaufe sich demnach auf 48 Prozent und bedeute einen zweiten Monat in Folge mit sinkenden Marktanteilen chinesischer Marken. Bloomberg beruft sich in dem Bericht auf Zahlen des Marktforschungsunternehmens Dataforce.
Die Marke MG, die inzwischen Teil von SAIC Motor Corp. ist, verlor dabei ihren Spitzenplatz unter den chinesischen Anbietern in Europa an den Konkurrenten BYD. Der MG-Absatz ging um satte 65 Prozent zurück.
Experten verweisen in diesem Zusammenhang auf die vorläufigen Zölle der Europäischen Union auf chinesische Elektroautoimporte. Hier wurde die staatliche Muttergesellschaft SAIC im Juli mit zusätzlichen EU-Abgaben von 38 Prozent auf ihre Elektroautos belegt, der höchsten Bewertung von allen. Bislang nutzte das Unternehmen seinen britischen Ruf, um die Marke wieder aufzubauen und sich gleichzeitig auf Elektroautos zu konzentrieren. Neue Nummer 1 aus China in Europa ist BYD. Das Unternehmen aus Shenzhen legte im August abermals kräftig zu: im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent. rad
Über die von der EU-Kommission geplanten Sonderzölle auf E-Autos aus China soll am Freitag abgestimmt werden. Die Kommission wolle die Verhandlungen mit China allerdings auch nach der Abstimmung fortsetzen, berichtete Reuters. Ihren Vorschlag für endgültige Zölle auf chinesische E-Autos habe die Kommission an die 27 Mitgliedstaaten der EU geschickt und dabei die von ihr im September berechneten Sätze befürwortet.
Gleichzeitig fügte sie den Insidern zufolge einen zusätzlichen Text, einen sogenannten Erwägungsgrund, hinzu. Darin heißt es, dass die bisherigen Gespräche mit China den Streit über mutmaßliche chinesische Subventionen nicht gelöst hätten, Verhandlungen über einen möglichen Kompromiss jedoch auch nach Zustimmung der EU-Länder zu den Zollsätzen fortgesetzt werden könnten.
Während einer Debatte des Handelsauschusses des Europäischen Parlaments bestätigte Martin Lukas, Direktor für Trade Defence des Generaldirektorats für Handel der Kommission, dass die EU-Kommission weiter verhandeln wird. Die Deadline für das Ende der Untersuchung vom 30. Oktober werde eingehalten, aber auch danach könne die Kommission noch mit China über Preisverpflichtungen verhandeln.
Das chinesische Handelsministerium hatte am vergangenen Donnerstag bekanntgegeben, über ein flexibles Preissystem zu verhandeln, um die Zölle noch abzuwenden. Die Kommission hatte mitgeteilt, sie könne eine Preisvereinbarung abermals prüfen. Diese umfasst einen Mindesteinfuhrpreis und in der Regel eine Mengenbegrenzung. Die vorgeschlagenen Zölle reichen von 7,8 Prozent für E-Autos von Tesla, die in China gebaut wurden, bis hin zu 35,3 Prozent für die vom chinesischen Autokonzern SAIC und anderen Unternehmen. Sie kommen zu den üblichen EU-Importzöllen von zehn Prozent für Autos hinzu.
Die EU-Mitglieder werden am Freitag darüber abstimmen, ob sie die endgültigen Zölle für die nächsten fünf Jahre befürworten. Die Zölle würden dann ab Ende Oktober greifen, wenn nicht noch eine qualifizierte Mehrheit dagegen votiert. Dies müssten mindestens 15 Länder sein, die zusammen auch 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen. rtr/jaa
China schafft im Konflikt um das Scarborough Shoal im Südchinesischen Meer Fakten. Das Riff sei “vollständig umzingelt” von chinesischen Küstenwachen- und Milizschiffen, berichtet Leonardo Cuaresma, Präsident der New Masinloc Fisherman’s Association, der Zeitung South China Morning Post.
Dabei nutzt Peking ein viermonatiges Fischereiverbot aus, das man jedes Jahr im Südchinesischen Meer ausspricht. Das unilaterale Moratorium gilt laut Nachrichtenagentur Xinhua als Maßnahme zum “Schutz der Rechte und Interessen der Meeresfischerei und zum Schutz der ökologischen Meeresumwelt“. Allerdings wurde es in der Vergangenheit bislang nicht strikt angewandt. Zudem war es vor wenigen Tagen eigentlich abgelaufen. Doch die chinesischen Schiffe halten die Sperre weiter aufrecht und drängen philippinische Boote zurück.
Das Scarborough Shoal befindet sich lediglich 120 Seemeilen von der philippinischen Küste entfernt und ist seit langem Fischereigebiet für philippinische Fischer. Nun werden sie weit zurückgedrängt – bis auf fast 40 Seemeilen vor der eigenen Küste. Chinesische Schiffe würden sie aggressiv verjagen, wenn sie sich nähern, berichtet Cuaresma.
Laut Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen fällt das Scarborough-Riff in die 200 Seemeilen umfassende “ausschließliche Wirtschaftszone” der Philippinen. China beansprucht ebenfalls “unbestreitbare Souveränität” über das Gebiet.
Vor wenigen Wochen war es China gelungen, eine Vorentscheidung am Sabina-Riff herbei zu führen. Dort nutze man den Umstand, dass die philippinische Seite ihr Schiff nach einer Auseinandersetzung abziehen musste. Die “Teresa Magbanua” war nach einer Kollision mit der chinesischen Küstenwache schwer beschädigt, die philippinische Besatzung mit ihren Kräften am Ende. rad
Wenn China dieser Tage den 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik feiert, führt an Frank Dikötter eigentlich kein Weg vorbei. Der niederländische Historiker ist einer der renommiertesten Chronisten der Volksrepublik – sehr kritisch und überaus detail- und kenntnisreich. Um zu verstehen, was China gerade feiert, lohnt es sich, Dikötters aktuelles Buch zur Hand zu nehmen: “China nach Mao – Der Aufstieg zur Supermacht”. Es beschreibt einen unglaublichen Aufstieg, den Dikötter am eigenen Leib miterlebt hat.
Das Buch beginnt im Sommer 1985. Damals reiste Dikötter als junger Student nach China. Das chinesische Außenministerium teilte ihm einen Platz an der Nankai-Universität in Tianjin zu, und ein Freund schrieb ihm eine Postkarte, adressiert an “Frank aus Holland, Tianjin, China”. Es wirkt wie ein Vorgang aus einer längst vergangenen Zeit – nicht nur wegen der Postkarte, sondern vor allem auch im Hinblickt auf das heutige China: Wie will man in Tianjin mit seinem rund 14 Millionen Einwohnern einen Frank finden? Geradezu absurd.
Doch damals befand sich China nicht nur kalendarisch in einem anderen Jahrhundert, sondern auch politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Und so kam die Postkarte tatsächlich bei Dikötter an. Der Sinologe erinnert sich, dass damals in der Hafenstadt nahe Peking lediglich 80 Ausländer lebten, davon sieben Niederländer – und ein Frank.
Frank Dikötter wurde 1961 in Kerensheide in den Niederlanden geboren. Er studierte an der Universität Genf Geschichtswissenschaft und Russisch, ehe er in besagtem Sommer 1985 nach China ging. Seither sind nicht einmal 40 Jahre vergangen, in der Entwicklung Chinas ist das aber eine Ewigkeit. Es folgten Jahrzehnte mit einem wirtschaftlichen Wachstum von durchschnittlich mehr als zehn Prozent – jedes Jahr! Längst ist die Volksrepublik zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Zu einer Supermacht, die sich anschickt, das 21. Jahrhundert maßgeblich mitzuprägen und die USA in ihrer globalen Führungsposition herauszufordern.
Frank ist immer noch da. Inzwischen ist der 63-jährige von Tianjin nach Hongkong gezogen, hat eine Chinesin geheiratet und ist seit 2006 Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Und während die Führung in Peking vor allem ihre Reform- und Öffnungspolitik lobt, stellt Dikötter in seinem Buch geradezu ketzerische Fragen: Hat es überhaupt eine “Reform und Öffnung” gegeben – wenn in China doch weniger eine Million Ausländer leben, also kaum 0,07 Prozent der Bevölkerung? Wenn fertige Produkte im Massen das Land verlassen und die Märkte weltweit überschwemmen, vergleichsweise aber nur wenig importiert werden darf? Oder wenn ein Fünftel der Menschheit in den Kinos des Landes pro Jahr gerade einmal 36 ausländische Filme sehen dürfen? Und: “Kapital kann ins Land kommen, aber es ist schwierig, es wieder abzuziehen.”
Damit steht Dikötter in scharfem Kontrast zu den aktuellen Feierlichkeiten, zu all den Lobeshymnen auf Reform und Öffnung und kollektiver Führung einer Diktatur des Volkes. Und doch sind es allesamt berechtigte Fragen, die im Grunde zweierlei zeigen: Frank Dikötter ist ein kenntnisreicher Sinologe. Und: China blickt auf eine Entwicklung voller Widersprüche zurück. Es gibt unterschiedliche Erzählungen: offizielle von oben und alltägliche von unten. Es ist eine atemberaubende Entwicklung, die aber eben auch dunkle Kapitel beinhaltet – die dieser Tage in den Pekinger Festreden aber keinerlei Erwähnung finden.
Dafür aber bei Frank Dikötter in seiner beeindruckenden Volks-Trilogie: Maos große Hungersnot (2010), Die Tragödie der Befreiung (2013) und Die Kulturrevolution (2016). Die Bücher gehören längst zum Standard der China-Studien und zeigen eindrucksvoll, welchen Einfluss die Herrschaft der Kommunistischen Partei auf das Leben und den Alltag der Menschen in China hat. Sie wurden gelobt – mit Preisen und Nominierungen. Und auch scharf kritisiert. Denn Dikötter lässt die Geschichte der KP-Erzählung nicht dominieren. Statt lediglich über Direktiven von oben zu berichtet, richtet er den Blick auf die Menschen und deren Alltag. Das birgt Spannungen, die Dikötter aber selbstbewusst angeht, denn der Niederländer kennt seine Materie. Für seine Recherchen durchstöbert er chinesische Stadt- und Provinzarchive und liest unzählige Originaldokumente.
Zu den aktuellen Feierlichkeiten will Dikötter sich nicht äußern und verweist auf die angespannte Lage im Land. Auch damit ist er ein wichtiger China-Chronist – abseits der Direktiven. Michael Radunski
Frank Dikötter: China nach Mao – Der Aufstieg zur Supermacht, Klett-Cotta, Stuttgart 2023, 464 Seiten, 30 Euro. (Foto: Klett-Cotta Verlag)
Simon Henderson ist neuer Asia Deputy Director der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Henderson wird sich aus Tokio unter anderem für Belange in Japan, Südkorea und China einsetzen.
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Letztes Üben vor dem großen Tag: Die rund 7.000 Lehrer und Schüler der Hongxiang Education Group in Suqian (Provinz Jiangsu) proben am Montag die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag. Am heutigen Dienstag vor 75 Jahren wurde die Volksrepublik China gegründet.