Chinas hoch konzentrierte Sitzungswochen beginnen. Am heutigen Montag beginnen die alljählichen “Zwei Sitzungen” zunächst mit dem Beratergremium, der Politischen Konsultativkonferenz. Wesentlich wichtigere Signale gehen vom Nationalen Volkskongress aus, dem Parlament der Volksrepublik.
Premier Li Qiang hat gerade erst wieder betont, dass er und seine Regierung sich vor allem als ausführendes Organ für die Beschlüsse der Kommunistischen Partei begreifen. Doch dadurch, dass der NVK in Hinterzimmern getroffene Entscheidungen in offizieller Form nach außen trägt, ist er eines der wenigen Fenster zur intransparenten chinesischen Politik.
Im Zentrum des NVK steht auch dieses Jahr einmal mehr die Wirtschaft. Diese schwächelt, und trotzdem erwarten Experten vom NVK eher ein Weiter-so als ein riesiges Konjunkturprogramm. Xi hat demnach einen Plan, wie er die Wirtschaft umbauen und stärker an machtpolitischen Anforderungen ausrichten will. Und an diesem Plan hält er fest.
Das Thema Sicherheit in der Wirtschaft treibt aber nicht nur Xi Jinping um, sondern ist global. Und so hat die EU-Kommission ein Paket für wirtschaftliche Sicherheit geschnürt und damit erstmals die Themen Handel und Sicherheit verbunden. Die neue Strategie ist der Versuch Brüssels, dem Einfluss Chinas und anderer Länder auf die europäische Wirtschaft entgegenzutreten.
Doch bisher gebe es zu wenig konkrete Pläne, sagt Tobias Gehrke, Forscher beim European Council on Foreign Relations (ECFR), im Gespräch mit Amelie Richter. Es braucht laut Gehrke eine klare Zielsetzung und eine Agenda für eine umfassende Industrie- und Handelspolitik, vor allem für Rohstoffe.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Knapp 3.000 Delegierte werden am Dienstag zum alljährlichen Nationalen Volkskongress (NVK) zusammenkommen. Die schwierige Lage der Wirtschaft wird dabei im Zentrum stehen. Große Reformschübe oder Stimulusprogramme erwartet allerdings kaum jemand. Es gibt vor dem NVK so wenig klare Signale wie lange nicht mehr – und nach dem, was bekannt ist, stehen die Zeichen auf Kontinuität. Die Vorgaben für den NVK dürften sich direkt von den Ideen von Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich speisen.
Denn Xi lenkt in China alles selbst, was er für wichtig hält. Chinas Ökonomie muss sich dabei derzeit seinen sicherheitspolitischen Schwerpunkten unterordnen. “Die Prioritäten, die Xi und die Führung festgelegt haben, werden sich nicht ändern”, sagte Jacob Gunter, Wirtschaftsexperte vom Chinaforschungsinstitut Merics am Freitag bei einem Webinar des Instituts zum NVK.
Xi zeige sich “von den jüngsten Marktproblemen in China relativ unbeeindruckt und beharrt in der Wirtschaftspolitik auf seinem Standpunkt”, schreiben auch Neil Thomas und Jing Qian vom Asia Society Policy Institute.
Gunter erwartet zum Beispiel kein größeres Paket etwa zur Ankurbelung des Konsums. Es werde einige kleinere Maßnahmen in Steuerpolitik, Geldpolitik oder zur Entlastung von einkommensschwachen Familien geben – “aber nur am Rande, um die wirtschaftliche Basis zu stützen und zu untermauern.” Das Staatsgeld fließe derzeit weniger zu Haushalten, Infrastruktur und Immobilien – sondern auf die Angebotsseite der Wirtschaft, so Gunter: In die Modernisierung und Expansion der Industrie. Xi sei entschlossen, die Wirtschaft neu auszurichten, “weg von einem Wachstumsmodell, das auf riskanten Schulden beruht und im Immobilienmarkt verwurzelt ist”, sind Thomas und Qian überzeugt.
Erste Signale über die künftige Richtung dürfte am Dienstag der Arbeitsbericht von Ministerpräsident Li Qiang geben, der wie immer ein Wachstumsziel ausrufen wird. Es wird vermutlich sehr ähnlich lauten wie 2023. Die Staatszeitung China Daily bestätigte am Sonntag die allgemeinen Erwartungen: “Es wird immer wahrscheinlicher, dass das Wachstum auf ‘rund 5 Prozent’ festgelegt wird.” Es leitet sich aus den Zielen der Provinzen ab, die für 2024 zumeist ebenfalls wieder bei rund fünf Prozent liegen. Nur Peking, Liaoning, Tianjin und Zhejiang haben für 2024 höhere Wachstumsziele formuliert als 2023.
“Ein höheres Ziel von etwa 5,5 Prozent würde die Erwartungen an ein Stimulusprogramm erhöhen”, schreiben Thomas und Qian. Doch sie rechnen nicht mit so einem Schritt. Laut China Daily wird sich auch an Indikatoren wie dem Inflationsziel (drei Prozent) und dem Haushaltsdefizit (drei Prozent des BIP) nichts gegenüber 2023 ändern. Das spricht alles gegen aggressive Stimuluspolitik.
Eines der wenigen konkreten Themensignale vor dem NVK kam von Zhang Shanjie, dem Vorsitzenden der wichtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission: Zhang forderte nach Besuchen von KI-Firmen und Forschungsinstituten, “die hochwertige Entwicklung der Industrie für künstliche Intelligenz in unserem Land zu beschleunigen.” KI dürfte also zu den Prioritäten gehören – ebenso wie generell ein Fokus auf die technologische Entwicklung.
Die China Daily erwartete in ihrem Text derweil ein “Comeback des sozialen Wohnungsbaus in 2024″ als Teil der Unterstützung für den strauchelnden Immobiliensektor. Einzelheiten könnte es auf dem NVK zudem zu Konsumanreizen wie einer Förderung des Tausches alter gegen neue Produkte oder die Förderung einer “groß angelegten Ausrüstungsmodernisierung” im verarbeitenden Gewerbe geben.
Die ebenfalls staatliche Global Times berichtete vergangene Woche, dass Vorschläge zur Anhebung des Renteneintrittsalters voraussichtlich ein heißes Thema werden. Angesichts der Alterung der Gesellschaft ist das nachvollziehbar, zumal Chinesinnen und Chinesen vergleichsweise früh in Rente gehen.
Ausländische Beobachtende schauen beim Haushalt stets aufmerksam auf das Verteidigungsbudget. “In dieser Zeit, in der es der chinesischen Wirtschaft nicht so gut geht, werden uns die Verteidigungsausgaben eine Menge über die Prioritäten der Führung verraten”, sagt Merics-Außenpolitik-Analystin Legarda. Eine erneute Steigerung zwischen sechs und sieben Prozent trotz schlechter Konjunktur wäre ein Zeichen der Besorgnis über geopolitische Risiken.
Legarda erwartet ein erneutes Bekenntnis zur Stabilität als Hauptfokus in der Außenpolitik. Ob der NVK die Rhetorik gegenüber Taiwan verschärft, ist offen. Das Plenum könnte einen neuen Außenminister ernennen, der den neuen alten Interims-Minister Wang Yi ablöst.
Unter Beobachtenden zirkuliert der Name Liu Jianchao, derzeit Vorsitzender der internationalen Abteilung des ZK der KP. Seine Wahl könnte den Willen zur Entspannung signalisieren, denn Liu ist laut Legarda kein Wolfskrieger: “Peking wird seine Offenheit, Freundlichkeit und Kompetenz nutzen, um die Beziehungen zu Ländern im Westen zu stabilisieren.”
Xi selbst gab zudem ein Signal dafür, dass der Klimaschutz auf seiner Prioritätenliste wieder klettert. So hob er auf der letzten Studiensitzung des Politbüros vor dem NVK am vergangenen Donnerstag das Thema deutlich hervor und betonte die Chancen, die der neue Wirtschaftssektor um erneuerbare Energien oder Elektroautos für Chinas Wirtschaft biete. “Wir sollten uns bemühen, an der Spitze der Energiewissenschaft und -technologie in der Welt zu stehen”, sagte Xi laut Xinhua.
Xi sende damit “ein sehr wichtiges Signal”, sagt Nis Grünberg, Politik-Analyst von Merics. Er erwartet auf dem NVK etwa Ermahnungen an Kader, die Klimapolitik ernst zu nehmen – aber noch keinen Fahrplan zum Kohleausstieg. Konkrete Ziele für die Rückführung der Kohle werde es erst im Fünfjahresplan 2026-2030 geben.
Generell werden die Kader aller Ebenen auf dem NVK nach Signalen Ausschau halten, die ihnen ein Gefühl dafür geben, wo Xis Prioritäten liegen, glaubt Gunter. “Wenn man sich die Ergebnisse etwa der zentralen Arbeitskonferenzen anschaut, wurden dabei alle möglichen Themen zusammengefasst, und alles scheint vorrangig zu sein. Das bedeutet aber, dass die Kader nicht wissen, was sie eigentlich priorisieren sollen.”
Die EU-Kommission hat in ihrem Paket für wirtschaftliche Sicherheit erstmals die Themen Handel und Sicherheit verbunden. Das gab es so davor nie. Aber ist die EU nicht schon zu spät dran?
Ich würde sagen, es ist spät, aber immer noch rechtzeitig. Viele Länder wachen gerade auf. Es ist ganz klar, dass die globale Wirtschaft immer mehr über Sicherheitsinteressen definiert wird. Konkret heißt das, dass vor allem die Großmächte USA und China sich zunehmend darauf fokussieren, wer innoviert, wer produziert, wer handelt mit welchen strategischen Kapazitäten. Das ist nicht nur eine Frage von “Wer macht mehr Geld? “, sondern das ist eine klare Sicherheitsfrage. In den letzten Jahren war die Liste der strategischen Kapazitäten sehr eng definiert. Wir haben über Dual-Use-Güter primär für Waffenproduktion gesprochen. Die Liste der strategischen Güter wächst. China definiert für sich sehr offen und weitläufig strategische Industrien, in denen sie führen wollen. Für China sind solche Führungspositionen von nationalem Sicherheitsinteresse.
Es geht also schlichtweg um Kontrolle?
Ja, vor allem von bestimmten Technologien und Lieferketten. Wer kontrolliert und wer hat Zugang dazu? Das wird immer mehr als Kern der nationalen Sicherheit verstanden. Hier geht es mittlerweile um pharmazeutische Güter, um gewisse Energietechnologien. Es kommen ständig weitere Sektoren dazu. Da können wir uns als Europa nicht heraushalten. Die EU-Kommission hat mit der wirtschaftlichen Sicherheit schon zentral diesen Industrie- und Technologie-Kampf im Auge. Vielleicht mehr als manche Mitgliedstaaten.
Und was ist dabei herausgekommen bisher?
Die EU-Kommission hat die Strategie im vergangenen Juni definiert und ist damit geradezu vorgeprescht. Der Stab um Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat das Thema sehr an sich gerissen, sehr transatlantisch definiert. Die umfassend aufgesetzte Strategie aus dem vergangenen Jahr hatte viel Ambition. Dann ist aber nicht viel passiert. Im Januar gab es ein Update und White Paper dazu. Im letzten Jahr hatte die Kommission noch von großen wirtschaftlichen Sicherheitsrisiken gesprochen und der Fragmentierung globaler Handelsketten. Im Update zentriert sich die Strategie nun aber sehr stark auf eng definierte Risiken einiger Technologien und wie diese drohen, abzufließen.
Hätten Sie sich denn mehr erhofft als das, was jetzt vorgestellt wurde?
Ja, definitiv. Wir sind in vielen Bereichen leider vulnerabel – oft aus der Realität heraus, dass viele dieser Bereiche unter nationale Kompetenzen fallen. In der Wirtschaftssicherheit ist Europa nur so stark wie das schwächste Glied. Aktuell ist das zum Beispiel bei den Exportkontrollen der Fall. Der Druck auf Europa, dazu eine gemeinsame Position zu finden, ist groß. Wir schaffen es hier nicht, die nationalen Kompetenzen wirklich grundlegend mal infrage zu stellen. Es fehlen Grundfragen darüber, wie wir eigentlich generell zusammenarbeiten als Mitgliedstaat und Kommission in diesem Thema. Es werden ad hoc irgendwelche Plattformen aus dem Boden gestampft, wo dann die Unternehmen und die Mitgliedsstaaten versuchen, sich auszutauschen. Es gibt aber keine ambitionierte Agenda, um wirklich grundlegend neue Strukturen zu schaffen.
Gab es den Druck, wegen der anstehenden Europawahl noch etwas zu liefern?
Ich denke, der Druck war ziemlich hoch. Auch von Anfang an im Kabinett selbst. Die Mitgliedsstaaten und die Unternehmen hatten aber auch von Beginn an gewarnt, dass die Zeit zu kurz ist. Ich denke auf jeden Fall, dass es den politischen Druck gab, dass die jetzige Kommission einerseits noch etwas liefert vor der Wahl. Andererseits wollte man aber auch nicht alles in die Waagschale werfen in dem Super-Wahljahr.
Was ist nötig zur Umsetzung der Strategie? Zum großen Teil besteht diese bisher aus Vorschlägen, die ja nicht unbedingt umgesetzt werden müssen.
Es fehlt Geld, vor allem fehlen europäische Ressourcen. Außerdem haben wir uns irgendwo De-Risking auf die Kappe geschrieben. Das klingt sehr gut und das können alle unterschreiben. Aber momentan ist das auch extrem undefiniert. Was bedeutet das genau? Es muss eine klare Zielsetzung geben. Welche Risiken haben Priorität? Dafür brauchen wir eine Agenda für eine umfassende Industrie- und Handelspolitik, gerade auch im Bereich der Rohstoffe.
Wie sieht es beim Critical Raw Materials Act aus, der den Zugang zu wichtigen Ausgangsstoffen wie Kupfer oder Seltenen Erden sichern soll?
Auch der Critical Raw Materials Act hat große Ambitionen, aber keinen Plan, wie man das eigentlich machen möchte. Es gibt keine klaren EU-Instrumente, die darauf einwirken könnten, zum Beispiel einen Fonds auf europäischer Ebene. Das spiegelt auch das Problem wider, dass die industriepolitischen Instrumente alle auf der nationalstaatlichen Ebene angelegt sind – die Ziele aber eigentlich alle europäisch definiert werden. Meiner Ansicht nach braucht es klar europäische Mittel und strategische Fonds. Denn ohne diese kann die EU-Kommission nur an den existierenden Regulierungen rumfummeln, wie eben Exportkontrollen oder das FDI Screening. Das ist einfach sehr wenig.
Das einst prominent genannte Outbound Investment Screening wird es nun erstmal nicht geben. Wie erklären Sie sich das?
Das Outbound Investment Screening war erst mal eine US-amerikanische Agenda. Ursula von der Leyen hat ihre Sicherheitsstrategie sehr transatlantisch definiert. Sie ist nach Washington gefahren zum Treffen mit Joe Biden und kam mit einem Joint Statement zurück, in dem Exportkontrolle, Outbound Investment Screening und Research Security eigentlich zentral waren. Aber gerade beim Thema Outbound hat die Kommission es dann nicht geschafft, in dieser kurzen Zeit klar zu definieren, was Europas Risiko ist. Denn das Risiko, das die US-Amerikaner bei Outbound definiert haben, ist womöglich ein anderes als unseres.
Wo liegen die Unterschiede?
In Washington geht es vor allem um Venture Capital, welches vor allem Know-how an chinesische Technologiefirmen ableitet. Wir haben andere Investmentbeziehungen mit China, und deshalb muss das Risiko für uns auch anders definiert werden. Und die zweite Frage ist: Wie groß ist das Risiko tatsächlich? Und können unsere existierenden Instrumente für Exportkontrolle prinzipiell nicht das Gleiche erreichen? Das sind Fragen, die ungeklärt geblieben sind. Die Mitgliedsstaaten waren bei dem Thema ohnehin sehr skeptisch und haben das erstmal auf die lange Bank geschoben. Die Thematik ist ja aber nicht tot. Ich denke, man möchte auch abwarten, um zu sehen, wie die US-Amerikaner das nun weiter angehen, auch nach der US-Wahl.
Ist das dann nicht die bessere Entscheidung gewesen, abzuwarten, als das übers Knie zu brechen?
Ja, das kann man sagen. Wir brauchen auf jeden Fall eine klare Risikodefinition und Analyse. Wir müssen uns besser vorbereiten und unsere Standards für Risikoinvestments definieren. Wir lassen uns jetzt ein bisschen mehr Zeit und das ist reflektiert in dem Papier vom Januar.
Was erwarten Sie denn an Auswirkungen für europäische Unternehmen?
Unternehmen haben natürlich immer Angst, dass restriktive Maßnahmen wie Exportkontrollen das Geschäft verderben. Aber die Gefahr ist eher, dass wir unsere Exportkontrollen in Europa fragmentieren und es unterschiedliche Standards gibt. Das wollen ja auch die Unternehmen nicht. Ein Beispiel sind die Halbleiter-Maschinen aus den Niederlanden, die nun anderen Auflagen unterliegen als die der deutschen Zulieferer. Oder im Bereich der Quantentechnologie, wo neue nationale Exportkontrollen in Spanien, Finnland, oder Frankreich das Risiko der Europäischen Fragmentierung erhöhen. Es sollte durchaus ein Interesse auf Unternehmensseite geben, dass das europäisch geregelt wird. Offen sind natürlich noch Fragen zur Balance von Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Green Transition – und hier fängt die Debatte zum Beispiel über Solarpaneele und E-Autos aus China gerade erst an.
Wie sieht China das alles?
China hat bisher nicht die besten Erfahrungen damit gemacht, solche Handelskonflikte zu führen und sie dann politisch zu eskalieren. Die Sanktionen auf europäische Parlamentarier zum Beispiel waren wirklich, denke ich, schädlich für China. Sie haben sehr negative Folgen für das Image Chinas gehabt.
Was könnte die Schlussfolgerung daraus sein?
Peking wird sich eher auf altbewährte Praxis berufen: Unternehmen, die politisch wichtig und politisch gut vernetzt sind, in die Mangel nehmen. Zum Beispiel französische Weinexporteure oder europäische Autobauer in der Volksrepublik. Oder mit eigenen gezielten Exportkontrollen, wie letztes Jahr die Maßnahmen gegen Gallium- und Germanium-Exporte. Aber ich denke nicht, dass China momentan ein Interesse hat, das zu eskalieren. Wir haben auch ein bisschen Spielraum, denn China braucht uns als Exportmarkt.
Tobias Gehrke ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) in Brüssel. Er befasst sich mit Geoökonomie, der wirtschaftlichen Sicherheit der EU und der europäischen Wirtschaftsstrategie. Zuvor war Gehrke von 2017 bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Egmont Royal Institute in Brüssel. Er war außerdem Gastwissenschaftler an der National University of Singapore, der University of Nottingham und dem American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University, Washington DC. Er hält einen Doktortitel in Politikwissenschaft von der Universität Gent.
Kurz vor der am heutigen Monat beginnenden Tagung von Chinas oberstem Beratergremium Chinese People’s Political Consultative Conference (CPPCC) wurde dessen stellvertretender Generalsekretär Zhang Xiaoming überraschend abgesetzt. Das berichtete der Staatssender CCTV am Sonntag ohne Angabe von Details. Er hatte das Amt seit 2022 inne. Der Wechsel gehöre zu einer “Reihe normaler Umbesetzungen”, sagte ein Hongkonger Delegierter des Nationalen Volkskongresses (NVK) der South China Morning Post. Zhang ist 60 Jahre alt; seine Absetzung kann daher allerdings nicht aus Altersgründen erfolgt sein.
Zhang hatte mehr als drei Jahrzehnte als Vertreter Pekings in Hongkong verbracht und dort stets eine harte Haltung gegenüber den Dissidenten der Stadt eingenommen. Während der großen Proteste in der Sonderverwaltungszone im Jahr 2019 und der erdrutschartigen Wahlniederlage für Kandidaten der Pro-Peking-Parteien war er Direktor des Hongkong and Macau Affairs Office (HKMAO) der Zentralregierung. Infolge dieser Ereignisse war er 2020 zum Vize degradiert worden; sein Amt übernahm der heutige Direktor Xia Baolong. ck
Vizepräsident Han Zheng hat zugesagt, weiterhin mehr Branchen für ausländische Investitionen zu öffnen und ein marktorientiertes und auf Gesetzen basiertes internationales Geschäftsumfeld schaffen zu wollen. “Chinas Entwicklungserfolge wurden durch die Öffnung erzielt”, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur AP am Freitag auf einem Bankett der amerikanischen Handelskammer in China (AmCham). “Wir werden unbeirrt an einem hohen Maß an Öffnung gegenüber dem Ausland festhalten.”
Vertreter der Kammer werteten Hans Auftritt beim jährlichen Abendessen als positives Signal dafür, dass die Regierung es ernst meint mit den Sorgen amerikanischer und anderer ausländischer Unternehmen über operative Unsicherheiten und andere Herausforderungen auf dem chinesischen Markt.
Vergangene Woche hatten Premierminister Li Qiang und Handelsminister Wang Wentao eine angereiste Delegation der US-Handelskammer in Washington empfangen. Er habe den Eindruck, dass die chinesische Seite habe versichern wollen, dass noch einige Dinge auf der To-Do-Liste stehen, die sie erledigen werden, sagte Sean Stein, Vorsitzender der AmCham in China. In einigen Bereichen seien Fortschritte erzielt worden, in anderen jedoch nicht, sagte Stein. ck
BYD ist dabei, den europäischen Markt zu erschließen – und plant zugleich eine Offensive in Japan. Bis 2026 wolle BYD in Japan drei weitere Elektrofahrzeugmodelle auf den Markt bringen, kündigte Chinas Elektro-Marktführer am Freitag an. “Unsere Marktteilnahme verändert die Autoindustrie des Landes”, sagte Liu Xueliang, BYD-Vertriebschef Asien-Pazifik der japanischen Zeitung Nikkei Asia.
Japan ist der viertgrößte Automarkt der Welt und wird derzeit noch von traditionellen Autobauern dominiert. Japan, und dabei allen voran Toyota, hatte zu Beginn der Transformation des Sektors eher auf Hybride gesetzt als auf reine Elektroautos. Die Japaner wählen vor allem einheimische Automarken.
BYD war erst 2023 in den japanischen Automarkt eingetreten, und zwar bisher ausschließlich mit Elektro-Modellen. Zunächst brachte es den Elektro-Crossover Atto 3 auf den Markt – der auch in Europa zu haben ist. Es folgte die kompakte E-Schräghecklimousine Dolphin. Im Juni soll mit dem Seal das erste elektrische Premiummodell von BYD auf den japanischen Markt kommen. “Wir wollen in diesem Jahr die Dynamik weiter beschleunigen und unser Geschäft ausbauen”, sagte Atsuki Tofukuji, Präsident von BYD Japan vor Journalisten in Tokio. Noch sind die Umsätze eher gering. 1.700 BYD-Autos seien bisher in Japan angemeldet, sagte Tofukuji. Das sei “eine anständige Zahl, wenn man bedenkt, dass wir bei null angefangen haben.” Außerdem verkauft BYD seine Elektrobusse in Japan.
BYD hatte im vierten Quartal erstmals Tesla als weltgrößten Verkäufer von Elektroautos überholt. Um die Logistik zu vereinfachen, will es seine Autos künftig mit eigenen Schiffen transportieren. Am vergangenen Montag landeten Container mit 3000 BYD-Autos in Bremerhaven an. ck
Tesla hat am Freitag neue Kaufanreize für potenzielle Kunden seiner Elektroautos in China vorgestellt. Wer bis Ende März eine Model 3-Limousine oder ein Model Y-SUV kauft, könne bis zu 34.600 Yuan (gut 4.400 Euro) geltend machen, teilte Tesla auf Weibo mit. Zu den Anreizen gehören auch ein Rabatt von 8.000 Yuan bei Autoversicherungen, die mit Tesla zusammenarbeiten, und ein Rabatt von 10.000 Yuan, wenn sich der Käufer für eine neue Lackierung entscheidet. Tesla bietet außerdem zeitlich begrenzte Vorzugsfinanzierungspläne an, mit denen man beim Kauf des Model Y bis zu 16.600 Yuan sparen kann.
Auf Chinas Automarkt tobt angesichts unbefriedigender Absatzzahlen ein gnadenloser Preiskampf, den nicht zuletzt Tesla selbst angestoßen hatte. Dabei stiegen die Verkäufe von Elektroautos in China 2023 um immerhin ein Fünftel auf gut fünf Millionen Fahrzeuge. Ihr Anteil an Chinas Gesamtmarkt stieg dadurch von 21 Prozent im Jahr 2022 auf 24 Prozent im Jahr 2023. Zum Vergleich: In Europa lag der E-Auto-Anteil bei 15 Prozent. rtr/ck
Wer einen Blick auf das frühere Schaffen Chai Jings richtet, bekommt eine Ahnung davon, wie grundlegend sich die Nachrichtenwelt in China in den letzten Jahren verändert hat. Die Nullerjahre gelten für viele rückblickend als goldene Ära des chinesischen Journalismus. Chai Jing war damals Moderatorin der Reportagesendung “Xīnwén diàochá” (新闻调查 – Investigative Untersuchung) und einer Reihe weiterer Formate im chinesischen Staatsfernsehen CCTV. Dort berichtete sie über soziale Missstände in der sich rasant entwickelnden chinesischen Gesellschaft.
Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in der Provinz Shanxi, moderierte Chai Jing mit 19 Jahren ihre erste Show bei einem lokalen Nachrichtensender. Während des Studiums in Peking bekam sie von Chen Meng, Redakteur im chinesischen Staatsfernsehen CCTV, das Angebot, ihre eigene Reportagesendung zu gestalten – unter im Vergleich zum heutigen Propagandafernsehen bedeutend freieren Rahmenbedingungen.
Eine von Chai Jings ersten Sendungen beschäftigte sich mit dem SARS-Ausbruch im Jahr 2002. Sie recherchierte auch zur Verdrängung von Anwohnern im Zuge von Chinas Urbanisierungsschub, zu den über Jahre totgeschwiegenen verheerenden Aidserkrankungen in Dörfern der Provinz Henan und zum Umgang der Behörden mit dem schweren Erdbeben 2008 in Sichuan.
Einige ihrer Reportagen hatten überraschende Berührungspunkte mit Deutschland. Von den Schicksalen einer Generation an Kindern, die kaum Kontakt zu ihren Wanderarbeiter-Eltern hatten, erzählte Chai Jing anhand des Augenzeugenberichts eines deutschen Freiwilligen. Dieser hatte Jahre in einer Gemeinschaft der sogenannten liúshǒu értóng (留守儿童 – zurückgelassene Kinder) verbracht.
Und während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking berichtete Chai Jing unter anderem über die persönliche Geschichte von Matthias Steiner, der für Deutschland Olympiasieger im Gewichtheben wurde. Durch Chai Jings investigative Reportagen wie auch durch ihre persönlichen Porträts zieht sich ein empathischer Blick für individuelle Schicksale, die meist auf übergeordnete soziale Probleme verweisen.
2012 veröffentlichte Chai Jing ihr autobiografisches Buch “Kànjiàn” (看見 – wörtlich “Sehen”), eine Sammlung ihrer Reportagen. “Die Grundlage des Verstehens ist das Erleben”, schreibt sie darin über ihre journalistische Haltung. Das Buch erlangte als kritische Gesellschaftsstudie große Aufmerksamkeit.
Bald darauf verließ Chai Jing CCTV und produzierte 2015 auf eigene Rechnung den Dokumentarfilm “Under the Dome” über die grassierende Luftverschmutzung in China. Um dem Thema auf den Grund zu gehen, reiste Chai zu Baustellen, Kraftwerken und Stahlwerken, besuchte Krankenhäuser, Tankstellen und Behörden in ganz China. Der Film wurde binnen einer Woche mehr als 300 Millionen Mal im Internet aufgerufen und anschließend durch die Behörden entfernt.
Chai Jings Bruch mit der chinesischen Nachrichtenwelt fiel in die Anfangszeit der Regierung unter Xi Jinping. Nach zunehmenden Anfeindungen – unter anderem dem Vorwurf, dass sie für die Geburt ihrer Tochter in die USA geflogen sei – zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Ihre Werke wurden nicht vollständig zensiert, sie selbst aber von offizieller Seite als unpatriotisch kritisiert. Kurz nach der Entfernung ihres Dokumentarfilms zog Chai Jing mit ihrer Familie nach Barcelona.
Lange war es danach still um Chai Jing. Doch im August 2023 erschien ihr Buch unter dem Titel “Seeing” erstmals in englischer Übersetzung. Zudem veröffentlichte sie auf ihrem Youtube-Kanal eine Reihe von Kurzreportagen zum radikalen Islamismus in Europa, motiviert durch ihr Erleben der dschihadistischen Terroranschläge 2017 in Barcelona.
Seit einigen Monaten kommentiert Chai Jing zunehmend auch wieder das Zeitgeschehen in China, etwa den Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Keqiang. Mit ihren chinesischsprachigen Videos (teils mit englischen Untertiteln) erreicht sie regelmäßig Hunderttausende.
Der Kreis chinesischer Medienschaffender außerhalb der Kontrolle des kommunistischen Parteistaats ist in den letzten Jahren gewachsen. Dieser Kreis umfasst ebenso Exil-Aktivisten wie Vertreter historisch gewachsener chinesischer Gemeinschaften im Ausland. Sie eint der Wunsch, unabhängige Informationsquellen zu schaffen und angesichts zunehmender staatlicher Repression das Ideal freier Berichterstattung in der chinesischen Öffentlichkeit am Leben zu halten. Chai Jing ist nun eine ihrer bedeutendsten Stimmen. Leonardo Pape
Veerle Nouwens wird Exekutivdirektorin beim International Institute for Strategic Studies Asia (IISS-Asia). Auf ihrem neuen Posten soll sie eine Schlüsselrolle bei der Asien-Pazifik-Forschung und der Organisation des IISS Shangri-La Dialogue spielen.
Melanie Miller ist seit Februar Senior Managerin Greater China, Japan und Korea bei der IHK in Frankfurt am Main. Miller hält einen Masterabschluss in China-Business and Economics von der Universität Würzburg und hat in Qingdao und Peking studiert.
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Wie aus einem Science-Fiction-Film mutet dieses Bild aus dem Beijing Aerospace Control Center an. Zu sehen ist der Shenzhou-17-Astronaut Tang Hongbo. Die dreiköpfige Besatzung an Bord der chinesischen Raumstation hat am Samstag ihre zweite Einheit von Außenbordaktivitäten im Orbit abgeschlossen. Dabei führten die Astronauten unter anderem Reparaturarbeiten an den Solarzellen der Station durch. Insgesamt hielten sie sich dabei acht Stunden außerhalb der Station auf.
Chinas hoch konzentrierte Sitzungswochen beginnen. Am heutigen Montag beginnen die alljählichen “Zwei Sitzungen” zunächst mit dem Beratergremium, der Politischen Konsultativkonferenz. Wesentlich wichtigere Signale gehen vom Nationalen Volkskongress aus, dem Parlament der Volksrepublik.
Premier Li Qiang hat gerade erst wieder betont, dass er und seine Regierung sich vor allem als ausführendes Organ für die Beschlüsse der Kommunistischen Partei begreifen. Doch dadurch, dass der NVK in Hinterzimmern getroffene Entscheidungen in offizieller Form nach außen trägt, ist er eines der wenigen Fenster zur intransparenten chinesischen Politik.
Im Zentrum des NVK steht auch dieses Jahr einmal mehr die Wirtschaft. Diese schwächelt, und trotzdem erwarten Experten vom NVK eher ein Weiter-so als ein riesiges Konjunkturprogramm. Xi hat demnach einen Plan, wie er die Wirtschaft umbauen und stärker an machtpolitischen Anforderungen ausrichten will. Und an diesem Plan hält er fest.
Das Thema Sicherheit in der Wirtschaft treibt aber nicht nur Xi Jinping um, sondern ist global. Und so hat die EU-Kommission ein Paket für wirtschaftliche Sicherheit geschnürt und damit erstmals die Themen Handel und Sicherheit verbunden. Die neue Strategie ist der Versuch Brüssels, dem Einfluss Chinas und anderer Länder auf die europäische Wirtschaft entgegenzutreten.
Doch bisher gebe es zu wenig konkrete Pläne, sagt Tobias Gehrke, Forscher beim European Council on Foreign Relations (ECFR), im Gespräch mit Amelie Richter. Es braucht laut Gehrke eine klare Zielsetzung und eine Agenda für eine umfassende Industrie- und Handelspolitik, vor allem für Rohstoffe.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Knapp 3.000 Delegierte werden am Dienstag zum alljährlichen Nationalen Volkskongress (NVK) zusammenkommen. Die schwierige Lage der Wirtschaft wird dabei im Zentrum stehen. Große Reformschübe oder Stimulusprogramme erwartet allerdings kaum jemand. Es gibt vor dem NVK so wenig klare Signale wie lange nicht mehr – und nach dem, was bekannt ist, stehen die Zeichen auf Kontinuität. Die Vorgaben für den NVK dürften sich direkt von den Ideen von Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich speisen.
Denn Xi lenkt in China alles selbst, was er für wichtig hält. Chinas Ökonomie muss sich dabei derzeit seinen sicherheitspolitischen Schwerpunkten unterordnen. “Die Prioritäten, die Xi und die Führung festgelegt haben, werden sich nicht ändern”, sagte Jacob Gunter, Wirtschaftsexperte vom Chinaforschungsinstitut Merics am Freitag bei einem Webinar des Instituts zum NVK.
Xi zeige sich “von den jüngsten Marktproblemen in China relativ unbeeindruckt und beharrt in der Wirtschaftspolitik auf seinem Standpunkt”, schreiben auch Neil Thomas und Jing Qian vom Asia Society Policy Institute.
Gunter erwartet zum Beispiel kein größeres Paket etwa zur Ankurbelung des Konsums. Es werde einige kleinere Maßnahmen in Steuerpolitik, Geldpolitik oder zur Entlastung von einkommensschwachen Familien geben – “aber nur am Rande, um die wirtschaftliche Basis zu stützen und zu untermauern.” Das Staatsgeld fließe derzeit weniger zu Haushalten, Infrastruktur und Immobilien – sondern auf die Angebotsseite der Wirtschaft, so Gunter: In die Modernisierung und Expansion der Industrie. Xi sei entschlossen, die Wirtschaft neu auszurichten, “weg von einem Wachstumsmodell, das auf riskanten Schulden beruht und im Immobilienmarkt verwurzelt ist”, sind Thomas und Qian überzeugt.
Erste Signale über die künftige Richtung dürfte am Dienstag der Arbeitsbericht von Ministerpräsident Li Qiang geben, der wie immer ein Wachstumsziel ausrufen wird. Es wird vermutlich sehr ähnlich lauten wie 2023. Die Staatszeitung China Daily bestätigte am Sonntag die allgemeinen Erwartungen: “Es wird immer wahrscheinlicher, dass das Wachstum auf ‘rund 5 Prozent’ festgelegt wird.” Es leitet sich aus den Zielen der Provinzen ab, die für 2024 zumeist ebenfalls wieder bei rund fünf Prozent liegen. Nur Peking, Liaoning, Tianjin und Zhejiang haben für 2024 höhere Wachstumsziele formuliert als 2023.
“Ein höheres Ziel von etwa 5,5 Prozent würde die Erwartungen an ein Stimulusprogramm erhöhen”, schreiben Thomas und Qian. Doch sie rechnen nicht mit so einem Schritt. Laut China Daily wird sich auch an Indikatoren wie dem Inflationsziel (drei Prozent) und dem Haushaltsdefizit (drei Prozent des BIP) nichts gegenüber 2023 ändern. Das spricht alles gegen aggressive Stimuluspolitik.
Eines der wenigen konkreten Themensignale vor dem NVK kam von Zhang Shanjie, dem Vorsitzenden der wichtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission: Zhang forderte nach Besuchen von KI-Firmen und Forschungsinstituten, “die hochwertige Entwicklung der Industrie für künstliche Intelligenz in unserem Land zu beschleunigen.” KI dürfte also zu den Prioritäten gehören – ebenso wie generell ein Fokus auf die technologische Entwicklung.
Die China Daily erwartete in ihrem Text derweil ein “Comeback des sozialen Wohnungsbaus in 2024″ als Teil der Unterstützung für den strauchelnden Immobiliensektor. Einzelheiten könnte es auf dem NVK zudem zu Konsumanreizen wie einer Förderung des Tausches alter gegen neue Produkte oder die Förderung einer “groß angelegten Ausrüstungsmodernisierung” im verarbeitenden Gewerbe geben.
Die ebenfalls staatliche Global Times berichtete vergangene Woche, dass Vorschläge zur Anhebung des Renteneintrittsalters voraussichtlich ein heißes Thema werden. Angesichts der Alterung der Gesellschaft ist das nachvollziehbar, zumal Chinesinnen und Chinesen vergleichsweise früh in Rente gehen.
Ausländische Beobachtende schauen beim Haushalt stets aufmerksam auf das Verteidigungsbudget. “In dieser Zeit, in der es der chinesischen Wirtschaft nicht so gut geht, werden uns die Verteidigungsausgaben eine Menge über die Prioritäten der Führung verraten”, sagt Merics-Außenpolitik-Analystin Legarda. Eine erneute Steigerung zwischen sechs und sieben Prozent trotz schlechter Konjunktur wäre ein Zeichen der Besorgnis über geopolitische Risiken.
Legarda erwartet ein erneutes Bekenntnis zur Stabilität als Hauptfokus in der Außenpolitik. Ob der NVK die Rhetorik gegenüber Taiwan verschärft, ist offen. Das Plenum könnte einen neuen Außenminister ernennen, der den neuen alten Interims-Minister Wang Yi ablöst.
Unter Beobachtenden zirkuliert der Name Liu Jianchao, derzeit Vorsitzender der internationalen Abteilung des ZK der KP. Seine Wahl könnte den Willen zur Entspannung signalisieren, denn Liu ist laut Legarda kein Wolfskrieger: “Peking wird seine Offenheit, Freundlichkeit und Kompetenz nutzen, um die Beziehungen zu Ländern im Westen zu stabilisieren.”
Xi selbst gab zudem ein Signal dafür, dass der Klimaschutz auf seiner Prioritätenliste wieder klettert. So hob er auf der letzten Studiensitzung des Politbüros vor dem NVK am vergangenen Donnerstag das Thema deutlich hervor und betonte die Chancen, die der neue Wirtschaftssektor um erneuerbare Energien oder Elektroautos für Chinas Wirtschaft biete. “Wir sollten uns bemühen, an der Spitze der Energiewissenschaft und -technologie in der Welt zu stehen”, sagte Xi laut Xinhua.
Xi sende damit “ein sehr wichtiges Signal”, sagt Nis Grünberg, Politik-Analyst von Merics. Er erwartet auf dem NVK etwa Ermahnungen an Kader, die Klimapolitik ernst zu nehmen – aber noch keinen Fahrplan zum Kohleausstieg. Konkrete Ziele für die Rückführung der Kohle werde es erst im Fünfjahresplan 2026-2030 geben.
Generell werden die Kader aller Ebenen auf dem NVK nach Signalen Ausschau halten, die ihnen ein Gefühl dafür geben, wo Xis Prioritäten liegen, glaubt Gunter. “Wenn man sich die Ergebnisse etwa der zentralen Arbeitskonferenzen anschaut, wurden dabei alle möglichen Themen zusammengefasst, und alles scheint vorrangig zu sein. Das bedeutet aber, dass die Kader nicht wissen, was sie eigentlich priorisieren sollen.”
Die EU-Kommission hat in ihrem Paket für wirtschaftliche Sicherheit erstmals die Themen Handel und Sicherheit verbunden. Das gab es so davor nie. Aber ist die EU nicht schon zu spät dran?
Ich würde sagen, es ist spät, aber immer noch rechtzeitig. Viele Länder wachen gerade auf. Es ist ganz klar, dass die globale Wirtschaft immer mehr über Sicherheitsinteressen definiert wird. Konkret heißt das, dass vor allem die Großmächte USA und China sich zunehmend darauf fokussieren, wer innoviert, wer produziert, wer handelt mit welchen strategischen Kapazitäten. Das ist nicht nur eine Frage von “Wer macht mehr Geld? “, sondern das ist eine klare Sicherheitsfrage. In den letzten Jahren war die Liste der strategischen Kapazitäten sehr eng definiert. Wir haben über Dual-Use-Güter primär für Waffenproduktion gesprochen. Die Liste der strategischen Güter wächst. China definiert für sich sehr offen und weitläufig strategische Industrien, in denen sie führen wollen. Für China sind solche Führungspositionen von nationalem Sicherheitsinteresse.
Es geht also schlichtweg um Kontrolle?
Ja, vor allem von bestimmten Technologien und Lieferketten. Wer kontrolliert und wer hat Zugang dazu? Das wird immer mehr als Kern der nationalen Sicherheit verstanden. Hier geht es mittlerweile um pharmazeutische Güter, um gewisse Energietechnologien. Es kommen ständig weitere Sektoren dazu. Da können wir uns als Europa nicht heraushalten. Die EU-Kommission hat mit der wirtschaftlichen Sicherheit schon zentral diesen Industrie- und Technologie-Kampf im Auge. Vielleicht mehr als manche Mitgliedstaaten.
Und was ist dabei herausgekommen bisher?
Die EU-Kommission hat die Strategie im vergangenen Juni definiert und ist damit geradezu vorgeprescht. Der Stab um Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat das Thema sehr an sich gerissen, sehr transatlantisch definiert. Die umfassend aufgesetzte Strategie aus dem vergangenen Jahr hatte viel Ambition. Dann ist aber nicht viel passiert. Im Januar gab es ein Update und White Paper dazu. Im letzten Jahr hatte die Kommission noch von großen wirtschaftlichen Sicherheitsrisiken gesprochen und der Fragmentierung globaler Handelsketten. Im Update zentriert sich die Strategie nun aber sehr stark auf eng definierte Risiken einiger Technologien und wie diese drohen, abzufließen.
Hätten Sie sich denn mehr erhofft als das, was jetzt vorgestellt wurde?
Ja, definitiv. Wir sind in vielen Bereichen leider vulnerabel – oft aus der Realität heraus, dass viele dieser Bereiche unter nationale Kompetenzen fallen. In der Wirtschaftssicherheit ist Europa nur so stark wie das schwächste Glied. Aktuell ist das zum Beispiel bei den Exportkontrollen der Fall. Der Druck auf Europa, dazu eine gemeinsame Position zu finden, ist groß. Wir schaffen es hier nicht, die nationalen Kompetenzen wirklich grundlegend mal infrage zu stellen. Es fehlen Grundfragen darüber, wie wir eigentlich generell zusammenarbeiten als Mitgliedstaat und Kommission in diesem Thema. Es werden ad hoc irgendwelche Plattformen aus dem Boden gestampft, wo dann die Unternehmen und die Mitgliedsstaaten versuchen, sich auszutauschen. Es gibt aber keine ambitionierte Agenda, um wirklich grundlegend neue Strukturen zu schaffen.
Gab es den Druck, wegen der anstehenden Europawahl noch etwas zu liefern?
Ich denke, der Druck war ziemlich hoch. Auch von Anfang an im Kabinett selbst. Die Mitgliedsstaaten und die Unternehmen hatten aber auch von Beginn an gewarnt, dass die Zeit zu kurz ist. Ich denke auf jeden Fall, dass es den politischen Druck gab, dass die jetzige Kommission einerseits noch etwas liefert vor der Wahl. Andererseits wollte man aber auch nicht alles in die Waagschale werfen in dem Super-Wahljahr.
Was ist nötig zur Umsetzung der Strategie? Zum großen Teil besteht diese bisher aus Vorschlägen, die ja nicht unbedingt umgesetzt werden müssen.
Es fehlt Geld, vor allem fehlen europäische Ressourcen. Außerdem haben wir uns irgendwo De-Risking auf die Kappe geschrieben. Das klingt sehr gut und das können alle unterschreiben. Aber momentan ist das auch extrem undefiniert. Was bedeutet das genau? Es muss eine klare Zielsetzung geben. Welche Risiken haben Priorität? Dafür brauchen wir eine Agenda für eine umfassende Industrie- und Handelspolitik, gerade auch im Bereich der Rohstoffe.
Wie sieht es beim Critical Raw Materials Act aus, der den Zugang zu wichtigen Ausgangsstoffen wie Kupfer oder Seltenen Erden sichern soll?
Auch der Critical Raw Materials Act hat große Ambitionen, aber keinen Plan, wie man das eigentlich machen möchte. Es gibt keine klaren EU-Instrumente, die darauf einwirken könnten, zum Beispiel einen Fonds auf europäischer Ebene. Das spiegelt auch das Problem wider, dass die industriepolitischen Instrumente alle auf der nationalstaatlichen Ebene angelegt sind – die Ziele aber eigentlich alle europäisch definiert werden. Meiner Ansicht nach braucht es klar europäische Mittel und strategische Fonds. Denn ohne diese kann die EU-Kommission nur an den existierenden Regulierungen rumfummeln, wie eben Exportkontrollen oder das FDI Screening. Das ist einfach sehr wenig.
Das einst prominent genannte Outbound Investment Screening wird es nun erstmal nicht geben. Wie erklären Sie sich das?
Das Outbound Investment Screening war erst mal eine US-amerikanische Agenda. Ursula von der Leyen hat ihre Sicherheitsstrategie sehr transatlantisch definiert. Sie ist nach Washington gefahren zum Treffen mit Joe Biden und kam mit einem Joint Statement zurück, in dem Exportkontrolle, Outbound Investment Screening und Research Security eigentlich zentral waren. Aber gerade beim Thema Outbound hat die Kommission es dann nicht geschafft, in dieser kurzen Zeit klar zu definieren, was Europas Risiko ist. Denn das Risiko, das die US-Amerikaner bei Outbound definiert haben, ist womöglich ein anderes als unseres.
Wo liegen die Unterschiede?
In Washington geht es vor allem um Venture Capital, welches vor allem Know-how an chinesische Technologiefirmen ableitet. Wir haben andere Investmentbeziehungen mit China, und deshalb muss das Risiko für uns auch anders definiert werden. Und die zweite Frage ist: Wie groß ist das Risiko tatsächlich? Und können unsere existierenden Instrumente für Exportkontrolle prinzipiell nicht das Gleiche erreichen? Das sind Fragen, die ungeklärt geblieben sind. Die Mitgliedsstaaten waren bei dem Thema ohnehin sehr skeptisch und haben das erstmal auf die lange Bank geschoben. Die Thematik ist ja aber nicht tot. Ich denke, man möchte auch abwarten, um zu sehen, wie die US-Amerikaner das nun weiter angehen, auch nach der US-Wahl.
Ist das dann nicht die bessere Entscheidung gewesen, abzuwarten, als das übers Knie zu brechen?
Ja, das kann man sagen. Wir brauchen auf jeden Fall eine klare Risikodefinition und Analyse. Wir müssen uns besser vorbereiten und unsere Standards für Risikoinvestments definieren. Wir lassen uns jetzt ein bisschen mehr Zeit und das ist reflektiert in dem Papier vom Januar.
Was erwarten Sie denn an Auswirkungen für europäische Unternehmen?
Unternehmen haben natürlich immer Angst, dass restriktive Maßnahmen wie Exportkontrollen das Geschäft verderben. Aber die Gefahr ist eher, dass wir unsere Exportkontrollen in Europa fragmentieren und es unterschiedliche Standards gibt. Das wollen ja auch die Unternehmen nicht. Ein Beispiel sind die Halbleiter-Maschinen aus den Niederlanden, die nun anderen Auflagen unterliegen als die der deutschen Zulieferer. Oder im Bereich der Quantentechnologie, wo neue nationale Exportkontrollen in Spanien, Finnland, oder Frankreich das Risiko der Europäischen Fragmentierung erhöhen. Es sollte durchaus ein Interesse auf Unternehmensseite geben, dass das europäisch geregelt wird. Offen sind natürlich noch Fragen zur Balance von Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Green Transition – und hier fängt die Debatte zum Beispiel über Solarpaneele und E-Autos aus China gerade erst an.
Wie sieht China das alles?
China hat bisher nicht die besten Erfahrungen damit gemacht, solche Handelskonflikte zu führen und sie dann politisch zu eskalieren. Die Sanktionen auf europäische Parlamentarier zum Beispiel waren wirklich, denke ich, schädlich für China. Sie haben sehr negative Folgen für das Image Chinas gehabt.
Was könnte die Schlussfolgerung daraus sein?
Peking wird sich eher auf altbewährte Praxis berufen: Unternehmen, die politisch wichtig und politisch gut vernetzt sind, in die Mangel nehmen. Zum Beispiel französische Weinexporteure oder europäische Autobauer in der Volksrepublik. Oder mit eigenen gezielten Exportkontrollen, wie letztes Jahr die Maßnahmen gegen Gallium- und Germanium-Exporte. Aber ich denke nicht, dass China momentan ein Interesse hat, das zu eskalieren. Wir haben auch ein bisschen Spielraum, denn China braucht uns als Exportmarkt.
Tobias Gehrke ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) in Brüssel. Er befasst sich mit Geoökonomie, der wirtschaftlichen Sicherheit der EU und der europäischen Wirtschaftsstrategie. Zuvor war Gehrke von 2017 bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Egmont Royal Institute in Brüssel. Er war außerdem Gastwissenschaftler an der National University of Singapore, der University of Nottingham und dem American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University, Washington DC. Er hält einen Doktortitel in Politikwissenschaft von der Universität Gent.
Kurz vor der am heutigen Monat beginnenden Tagung von Chinas oberstem Beratergremium Chinese People’s Political Consultative Conference (CPPCC) wurde dessen stellvertretender Generalsekretär Zhang Xiaoming überraschend abgesetzt. Das berichtete der Staatssender CCTV am Sonntag ohne Angabe von Details. Er hatte das Amt seit 2022 inne. Der Wechsel gehöre zu einer “Reihe normaler Umbesetzungen”, sagte ein Hongkonger Delegierter des Nationalen Volkskongresses (NVK) der South China Morning Post. Zhang ist 60 Jahre alt; seine Absetzung kann daher allerdings nicht aus Altersgründen erfolgt sein.
Zhang hatte mehr als drei Jahrzehnte als Vertreter Pekings in Hongkong verbracht und dort stets eine harte Haltung gegenüber den Dissidenten der Stadt eingenommen. Während der großen Proteste in der Sonderverwaltungszone im Jahr 2019 und der erdrutschartigen Wahlniederlage für Kandidaten der Pro-Peking-Parteien war er Direktor des Hongkong and Macau Affairs Office (HKMAO) der Zentralregierung. Infolge dieser Ereignisse war er 2020 zum Vize degradiert worden; sein Amt übernahm der heutige Direktor Xia Baolong. ck
Vizepräsident Han Zheng hat zugesagt, weiterhin mehr Branchen für ausländische Investitionen zu öffnen und ein marktorientiertes und auf Gesetzen basiertes internationales Geschäftsumfeld schaffen zu wollen. “Chinas Entwicklungserfolge wurden durch die Öffnung erzielt”, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur AP am Freitag auf einem Bankett der amerikanischen Handelskammer in China (AmCham). “Wir werden unbeirrt an einem hohen Maß an Öffnung gegenüber dem Ausland festhalten.”
Vertreter der Kammer werteten Hans Auftritt beim jährlichen Abendessen als positives Signal dafür, dass die Regierung es ernst meint mit den Sorgen amerikanischer und anderer ausländischer Unternehmen über operative Unsicherheiten und andere Herausforderungen auf dem chinesischen Markt.
Vergangene Woche hatten Premierminister Li Qiang und Handelsminister Wang Wentao eine angereiste Delegation der US-Handelskammer in Washington empfangen. Er habe den Eindruck, dass die chinesische Seite habe versichern wollen, dass noch einige Dinge auf der To-Do-Liste stehen, die sie erledigen werden, sagte Sean Stein, Vorsitzender der AmCham in China. In einigen Bereichen seien Fortschritte erzielt worden, in anderen jedoch nicht, sagte Stein. ck
BYD ist dabei, den europäischen Markt zu erschließen – und plant zugleich eine Offensive in Japan. Bis 2026 wolle BYD in Japan drei weitere Elektrofahrzeugmodelle auf den Markt bringen, kündigte Chinas Elektro-Marktführer am Freitag an. “Unsere Marktteilnahme verändert die Autoindustrie des Landes”, sagte Liu Xueliang, BYD-Vertriebschef Asien-Pazifik der japanischen Zeitung Nikkei Asia.
Japan ist der viertgrößte Automarkt der Welt und wird derzeit noch von traditionellen Autobauern dominiert. Japan, und dabei allen voran Toyota, hatte zu Beginn der Transformation des Sektors eher auf Hybride gesetzt als auf reine Elektroautos. Die Japaner wählen vor allem einheimische Automarken.
BYD war erst 2023 in den japanischen Automarkt eingetreten, und zwar bisher ausschließlich mit Elektro-Modellen. Zunächst brachte es den Elektro-Crossover Atto 3 auf den Markt – der auch in Europa zu haben ist. Es folgte die kompakte E-Schräghecklimousine Dolphin. Im Juni soll mit dem Seal das erste elektrische Premiummodell von BYD auf den japanischen Markt kommen. “Wir wollen in diesem Jahr die Dynamik weiter beschleunigen und unser Geschäft ausbauen”, sagte Atsuki Tofukuji, Präsident von BYD Japan vor Journalisten in Tokio. Noch sind die Umsätze eher gering. 1.700 BYD-Autos seien bisher in Japan angemeldet, sagte Tofukuji. Das sei “eine anständige Zahl, wenn man bedenkt, dass wir bei null angefangen haben.” Außerdem verkauft BYD seine Elektrobusse in Japan.
BYD hatte im vierten Quartal erstmals Tesla als weltgrößten Verkäufer von Elektroautos überholt. Um die Logistik zu vereinfachen, will es seine Autos künftig mit eigenen Schiffen transportieren. Am vergangenen Montag landeten Container mit 3000 BYD-Autos in Bremerhaven an. ck
Tesla hat am Freitag neue Kaufanreize für potenzielle Kunden seiner Elektroautos in China vorgestellt. Wer bis Ende März eine Model 3-Limousine oder ein Model Y-SUV kauft, könne bis zu 34.600 Yuan (gut 4.400 Euro) geltend machen, teilte Tesla auf Weibo mit. Zu den Anreizen gehören auch ein Rabatt von 8.000 Yuan bei Autoversicherungen, die mit Tesla zusammenarbeiten, und ein Rabatt von 10.000 Yuan, wenn sich der Käufer für eine neue Lackierung entscheidet. Tesla bietet außerdem zeitlich begrenzte Vorzugsfinanzierungspläne an, mit denen man beim Kauf des Model Y bis zu 16.600 Yuan sparen kann.
Auf Chinas Automarkt tobt angesichts unbefriedigender Absatzzahlen ein gnadenloser Preiskampf, den nicht zuletzt Tesla selbst angestoßen hatte. Dabei stiegen die Verkäufe von Elektroautos in China 2023 um immerhin ein Fünftel auf gut fünf Millionen Fahrzeuge. Ihr Anteil an Chinas Gesamtmarkt stieg dadurch von 21 Prozent im Jahr 2022 auf 24 Prozent im Jahr 2023. Zum Vergleich: In Europa lag der E-Auto-Anteil bei 15 Prozent. rtr/ck
Wer einen Blick auf das frühere Schaffen Chai Jings richtet, bekommt eine Ahnung davon, wie grundlegend sich die Nachrichtenwelt in China in den letzten Jahren verändert hat. Die Nullerjahre gelten für viele rückblickend als goldene Ära des chinesischen Journalismus. Chai Jing war damals Moderatorin der Reportagesendung “Xīnwén diàochá” (新闻调查 – Investigative Untersuchung) und einer Reihe weiterer Formate im chinesischen Staatsfernsehen CCTV. Dort berichtete sie über soziale Missstände in der sich rasant entwickelnden chinesischen Gesellschaft.
Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in der Provinz Shanxi, moderierte Chai Jing mit 19 Jahren ihre erste Show bei einem lokalen Nachrichtensender. Während des Studiums in Peking bekam sie von Chen Meng, Redakteur im chinesischen Staatsfernsehen CCTV, das Angebot, ihre eigene Reportagesendung zu gestalten – unter im Vergleich zum heutigen Propagandafernsehen bedeutend freieren Rahmenbedingungen.
Eine von Chai Jings ersten Sendungen beschäftigte sich mit dem SARS-Ausbruch im Jahr 2002. Sie recherchierte auch zur Verdrängung von Anwohnern im Zuge von Chinas Urbanisierungsschub, zu den über Jahre totgeschwiegenen verheerenden Aidserkrankungen in Dörfern der Provinz Henan und zum Umgang der Behörden mit dem schweren Erdbeben 2008 in Sichuan.
Einige ihrer Reportagen hatten überraschende Berührungspunkte mit Deutschland. Von den Schicksalen einer Generation an Kindern, die kaum Kontakt zu ihren Wanderarbeiter-Eltern hatten, erzählte Chai Jing anhand des Augenzeugenberichts eines deutschen Freiwilligen. Dieser hatte Jahre in einer Gemeinschaft der sogenannten liúshǒu értóng (留守儿童 – zurückgelassene Kinder) verbracht.
Und während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking berichtete Chai Jing unter anderem über die persönliche Geschichte von Matthias Steiner, der für Deutschland Olympiasieger im Gewichtheben wurde. Durch Chai Jings investigative Reportagen wie auch durch ihre persönlichen Porträts zieht sich ein empathischer Blick für individuelle Schicksale, die meist auf übergeordnete soziale Probleme verweisen.
2012 veröffentlichte Chai Jing ihr autobiografisches Buch “Kànjiàn” (看見 – wörtlich “Sehen”), eine Sammlung ihrer Reportagen. “Die Grundlage des Verstehens ist das Erleben”, schreibt sie darin über ihre journalistische Haltung. Das Buch erlangte als kritische Gesellschaftsstudie große Aufmerksamkeit.
Bald darauf verließ Chai Jing CCTV und produzierte 2015 auf eigene Rechnung den Dokumentarfilm “Under the Dome” über die grassierende Luftverschmutzung in China. Um dem Thema auf den Grund zu gehen, reiste Chai zu Baustellen, Kraftwerken und Stahlwerken, besuchte Krankenhäuser, Tankstellen und Behörden in ganz China. Der Film wurde binnen einer Woche mehr als 300 Millionen Mal im Internet aufgerufen und anschließend durch die Behörden entfernt.
Chai Jings Bruch mit der chinesischen Nachrichtenwelt fiel in die Anfangszeit der Regierung unter Xi Jinping. Nach zunehmenden Anfeindungen – unter anderem dem Vorwurf, dass sie für die Geburt ihrer Tochter in die USA geflogen sei – zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Ihre Werke wurden nicht vollständig zensiert, sie selbst aber von offizieller Seite als unpatriotisch kritisiert. Kurz nach der Entfernung ihres Dokumentarfilms zog Chai Jing mit ihrer Familie nach Barcelona.
Lange war es danach still um Chai Jing. Doch im August 2023 erschien ihr Buch unter dem Titel “Seeing” erstmals in englischer Übersetzung. Zudem veröffentlichte sie auf ihrem Youtube-Kanal eine Reihe von Kurzreportagen zum radikalen Islamismus in Europa, motiviert durch ihr Erleben der dschihadistischen Terroranschläge 2017 in Barcelona.
Seit einigen Monaten kommentiert Chai Jing zunehmend auch wieder das Zeitgeschehen in China, etwa den Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Keqiang. Mit ihren chinesischsprachigen Videos (teils mit englischen Untertiteln) erreicht sie regelmäßig Hunderttausende.
Der Kreis chinesischer Medienschaffender außerhalb der Kontrolle des kommunistischen Parteistaats ist in den letzten Jahren gewachsen. Dieser Kreis umfasst ebenso Exil-Aktivisten wie Vertreter historisch gewachsener chinesischer Gemeinschaften im Ausland. Sie eint der Wunsch, unabhängige Informationsquellen zu schaffen und angesichts zunehmender staatlicher Repression das Ideal freier Berichterstattung in der chinesischen Öffentlichkeit am Leben zu halten. Chai Jing ist nun eine ihrer bedeutendsten Stimmen. Leonardo Pape
Veerle Nouwens wird Exekutivdirektorin beim International Institute for Strategic Studies Asia (IISS-Asia). Auf ihrem neuen Posten soll sie eine Schlüsselrolle bei der Asien-Pazifik-Forschung und der Organisation des IISS Shangri-La Dialogue spielen.
Melanie Miller ist seit Februar Senior Managerin Greater China, Japan und Korea bei der IHK in Frankfurt am Main. Miller hält einen Masterabschluss in China-Business and Economics von der Universität Würzburg und hat in Qingdao und Peking studiert.
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Wie aus einem Science-Fiction-Film mutet dieses Bild aus dem Beijing Aerospace Control Center an. Zu sehen ist der Shenzhou-17-Astronaut Tang Hongbo. Die dreiköpfige Besatzung an Bord der chinesischen Raumstation hat am Samstag ihre zweite Einheit von Außenbordaktivitäten im Orbit abgeschlossen. Dabei führten die Astronauten unter anderem Reparaturarbeiten an den Solarzellen der Station durch. Insgesamt hielten sie sich dabei acht Stunden außerhalb der Station auf.