die sozial-ökologische Transformation kann nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn alle Akteure konsequent neue Wege einschlagen. Im Fall der deutschen Automobilkonzerne VW, BMW und Mercedes-Benz stellt sich die Frage: Können sie in der Region Xinjiang in China tätig sein und gleichzeitig das Risiko der Zwangsarbeit von Uiguren in ihren Lieferketten ausschließen?
Eine Antwort darauf liefern könnte nun die Beschwerde der Menschenrechtsorganisation ECCHR gegen die drei Autobauer beim BAFA, mit der sich Caspar Dohmen gemeinsam mit den Kollegen von Report Mainz exklusiv beschäftige. Dazu hat Dohmen auch ein Interview mit dem Juristen Markus Krajewski geführt, unter anderem zu der wichtigen Frage, wann sich deutsche Unternehmen aus einer Region zurückziehen müssten.
Derweil befasst sich unsere Kolumne “Blick aus China” mit der Unberechenbarkeit der Volksrepublik. Es werde immer schwieriger, das Land zu verstehen. Dabei steht so viel auf dem Spiel. Der Umgang mit China gleiche einem Glücksspiel, sei es bei Investitionen oder bei der Szenario-Planung für Taiwan.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sieht für Betroffene oder stellvertretend für Organisationen explizit die Möglichkeit von Beschwerden beim BAFA als zuständiger Behörde vor, um auf mögliche Verstöße aufmerksam zu machen. Die Möglichkeit nutzt nun das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und legt Beschwerden gegen BMW, Mercedes-Benz und VW ein, weil die drei Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten aus dem LkSG mit Blick auf mögliche Zwangsarbeit in ihren Lieferketten in der chinesischen Region Xinjiang nur unzureichend nachgekommen sein sollen. “Wir können nicht erkennen, dass die Unternehmen dieses Risiko ausreichend ernst nehmen“, sagt Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR.
Zentrales Argument der Beschwerden: Die Maßnahmen, die die Unternehmen in ihren öffentlichen Unterlagen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht beschrieben, seien “nicht angemessen, um die bekannten Risiken uigurischer Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu erkennen, zu verhindern und zu minimieren“, heißt es beim ECCHR. Die Unternehmen verließen sich “nur auf Überprüfungen vor Ort und vertragliche Zusicherungen, um die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu überprüfen”.
Solche Überprüfungen durch Auditunternehmen können schon unter normalen Verhältnissen schwierig sein. In autoritären Staaten wie China stößt die Methode an Grenzen, weil sie nur funktioniert, wenn sich Beschäftigte zumindest ansatzweise frei äußern können. Davon kann in Xinjiang keine Rede sein. Unter anderem deshalb zogen sich fünf führende Auditunternehmen Ende 2020 aus der Region zurück. Andere Auditunternehmen sind dort aber weiter tätig. Das ECCHR ist der Meinung, dass die einzige angemessene Sorgfaltspflicht darin bestehen würde, den Empfehlungen des von über 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützten Aktionsaufrufs zur Beendigung der uigurischen Zwangsarbeit zu folgen und “dringend Maßnahmen zu ergreifen, um sich von Lieferanten zu trennen“, die in der Region ansässig seien oder von dort beziehen.
“Die drei Autohersteller konnten bis jetzt nicht glaubhaft belegen, dass sie uigurische Zwangsarbeit in ihren Lieferketten ausschließen können”, sagt der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, gegenüber Table.Media. “Sie nehmen damit das Risiko in Kauf, dass sie zum Unterstützer des Genozids an den Uigur*innen werden”. In der Region geht die kommunistische Regierung brutal gegen die muslimische Volksgruppe der Uiguren vor. Einige Parlamente, darunter das französische und britische, sprechen von Völkermord.
Der ECCHR hat die Beschwerde gegen die drei deutschen Autobauer ex officio, also im Namen der Betroffenen, eingelegt, entsprechend § 14 des LkSG. Wegen der “äußerst repressiven Situation in der uigurischen Region“, könnten einzelne Arbeitnehmer, die von Zwangsarbeit betroffen seien, “unmöglich” selbst eine Beschwerde als “betroffene Person” einreichen, heißt es zur Begründung. Deswegen sei dieser Weg, die einzige rechtliche Möglichkeit, um Maßnahmen im Rahmen des Gesetzes einzuleiten.
Auf jeweils rund 30 Seiten untermauert die NGO ihre Beschwerde. Es ist die zweite Beschwerde im Rahmen des Gesetzes, die erste Beschwerde hatte das ECCHR mit der Organisation Femnet gegen Amazon und Ikea eingereicht (Table.Media berichtete). Das LkSG trat Anfang des Jahres in Kraft und gilt für Unternehmen mit hierzulande mehr als 3.000 Beschäftigten.
VW wollte sich in der Sache der Beschwerde nicht äußern: “Wir haben bislang keine Kenntnis von der von ihnen zitierten Beschwerde”, teilte ein Sprecher mit. Deswegen können “wir uns zu den Inhalten und den etwaigen Gründen der Beschwerde zurzeit inhaltlich nicht äußern”. Mercedes-Benz verweist ebenfalls darauf, dass die Beschwerde nicht vorliege und “dass wir uns deswegen nicht dazu äußern können”. Auch BMW trifft keine Aussage in der Sache, “da uns selbst bisher weder von besagter NGO noch seitens BAFA diesbezüglich Informationen übermittelt wurden”. Alle drei Unternehmen betonen aber die generelle Bedeutung von Menschenrechten. Volkswagen schreibt beispielsweise, Geschäftspartner müssten jeden bewussten Einsatz von Zwangs- und Pflichtarbeit sowie alle Formen der modernen Sklaverei ablehnen. BMW und Mercedes verweisen darauf, Lieferanten seien vertraglich zur Einhaltung von Standards verpflichtet. Mercedes schrieb außerdem, man sei mit seinen Geschäftspartnern in Kontakt und dränge auf eine Klärung der Vorwürfe.
Eine wichtige Rolle bei dieser und künftiger Beschwerden dürfte die Frage spielen, ob die drei Unternehmen “begründete Kenntnis” davon haben müssten, dass es in ihren Lieferketten in Xinjiang zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein könnte. Denn darauf müssten sie laut dem LkSG reagieren, bei direkten und indirekten Lieferanten. Das BAFA muss im Falle von Beschwerden prüfen, ob sie dies ausreichend getan haben. Zu den drei Beschwerden erklärte die Behörde: Sie könne zu “etwaigen Beschwerden gegen einzelne Unternehmen grundsätzlich keine Angaben machen”. Das LkSG verpflichtet Unternehmen, in der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten zu sorgen. Wenn sie dies nicht tun, drohen empfindliche Strafzahlungen, ein erheblicher Reputationsschaden und möglicherweise der weitere Rückzug von Investoren.
Das ECCHR argumentiert bei den Beschwerden wesentlich mit den Erkenntnissen der Studie “Driving Forces” der Universität Sheffield und der NGO NomoGaia von Ende 2022. Demnach haben mehr als hundert internationale Automobilzulieferer oder Automobilhersteller in gewissem Maße mit Waren aus uigurischer Zwangsarbeit zu tun. Auch BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sollen demnach direkte und indirekte Beziehungen zu Zulieferern haben, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß sei, dass sie uigurische Arbeitskräfte eingesetzt haben, die zur Arbeit gezwungen würden, schreibt der ECCHR.
Demnach könne man davon ausgehen, dass die Autohersteller angesichts umfangreicher Medienberichterstattung über die Menschenrechtslage in der Region sowie direkter Mitteilungen der internationalen Zivilgesellschaft von den Risiken begründete Kenntnis haben müssen. Erstmals hatten Medien in großem Umfang über die Zwangsarbeitsthematik in der Region mit der Veröffentlichung der China Cables Ende 2019 berichtet.
In der Beschwerde gegen Volkswagen geht es um das Joint Venture SAIC-Volkswagen sowie einen direkten Zulieferer und acht indirekte Zulieferer, bei BMW um drei direkte Zulieferer und vier indirekte Zulieferer, bei Mercedes um einen direkten Zulieferer und vier indirekte Zulieferer. Auffällig ist ein direkter Zulieferer, der Airbags, Sicherheitsgurte, Lenkräder und deren Komponenten herstellt. Er soll laut der Beschwerden alle drei deutschen Unternehmen beliefern. In diesem Fall gibt es laut dem China-Wissenschaftler Björn Alpermann “ein hohes Risiko von Zwangsarbeit“. Er forscht seit vielen Jahren an der Universität Würzburg zur Situation in Xinjiang und hat die Beschwerde analysiert.
“Die Hinweise auf Zwangsarbeit bei Zulieferern sind ausreichend in dem Maße, dass die Behörde eigentlich eine Untersuchung nach dem LkSG einleiten müsste.” Für eine solche Beschwerde einer NGO genüge grundsätzlich ein begründeter Verdacht und der sei gegeben. (siehe auch das Interview mit dem Völkerrechtler Markus Krajewski in diesem Briefing). Allerdings sieht Alpermann auch Schwächen der Studie der Universität Sheffield. Manches sei “ungenügend belegt” oder “unzulässig miteinander vermischt”.
Die Unternehmen stecken nach Ansicht von China-Wissenschaftler Björn Alpermann in einem Reputationsdilemma: “Sie können eigentlich nur verlieren, egal, ob sie sich jetzt lauthals distanzieren und groß an die Glocke hängen, dass sie jetzt versuchten, Audits durchzuführen und zu publizieren. Wenn dies nicht funktioniere, dann verscherzen sie es sich mit einem ihrer wichtigsten Märkte. Oder sie machen gar nichts und wiegeln ab. Dann bleiben sie weiter im Kreuzfeuer der Kritik bei uns im Westen”, sagt Alpermann, der es für wahrscheinlich hält, dass die Unternehmen nun lavieren und versuchen, den Schaden auf beiden Seiten zu begrenzen, was dazu führe, “dass man eigentlich immer irgendwie schlecht aussieht”. Unter Druck steht vor allem VW wegen der Thematik – auch durch Investoren.
Unterstützt werden die Beschwerden vom Dachverband der Kritischen Aktionäre, was deren Co-Geschäftsführer Tilman Massa auch mit einer unzureichenden Transparenz der Autokonzerne begründet. “Über das Auskunftsrecht als Aktionär*innen haben wir bisher keine konkreten Auskünfte erhalten, etwa, welche Zulieferer geprüft wurden oder ob Verträge mit Zuliefern gekündigt wurden.” Vor allem Volkswagen verfange sich “immer mehr in dem Widerspruch”, zum einen auf die angeblich nicht gegebenen Einflussmöglichkeiten auf den Joint-Venture-Partner SAIC und damit das Werk in Ürümqi zu haben, zum anderen aber stets zu betonen, die Situation vor Ort genau geprüft zu haben”. Doch der konkrete Vorwurf der Beschwerde richte sich nicht gegen dieses Werk, sondern gegen Zulieferer.
Bei der Frage des aktuellen Umfangs des Problems von Zwangsarbeit in der Region, verweist der Weltkongress der Uiguren, der die Beschwerde ebenfalls unterstützt, auf die Berichte von Journalisten, die die Region jüngst besucht hätten, demnach “geht die Zahl der Internierungslager zurück”. Dagegen nähmen Haftstrafen und Zwangsarbeit zu. “Viele Uiguri*nnen, die aus den Internierungslagern entlassen wurden, wurden direkt zur Zwangsarbeit transferiert”, sagt Dolkun Isa. China könne diese staatlich verordnete Zwangsarbeit “nur mit der stillschweigenden Hilfe der internationalen Gesellschaft aufrechterhalten”. Die derzeitigen Schlupflöcher in den nationalen und internationalen Rechtsvorschriften ermöglichten es, “dass Produkte, die mit uigurischer Zwangsarbeit hergestellt wurden, ungehindert in den globalen Lieferketten zirkulieren können”.
Was ist der Stellenwert der Beschwerde des ECCHR beim BAFA?
Sie weisen im Grunde genommen das BAFA darauf hin, dass die Unternehmen ihren gesetzlichen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen sind. Dafür stellt das BAFA ja sogar eine Webseite zur Verfügung. Das ist wie ein Hinweis an eine Verwaltungsbehörde. Sie könnten auch zum Ordnungsamt gehen und sagen, ich glaube, mein Nachbar kippt immer Farbe in den Gulli. Dann muss das Ordnungsamt überlegen, ob es dem Hinweis nachgeht oder nicht. Und genauso muss das BAFA nun überlegen, ob es den jetzigen Hinweisen der Beschwerde nachgehen will.
In der Beschwerde nennt der ECCHR keine konkreten Betroffenen. Kann man dann trotzdem eine solche Beschwerde beim BAFA einreichen?
Ja, man muss keine konkreten Beschwerdeführer nennen, es muss aber klar zum Ausdruck gebracht werden, welche Arten von Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen könnten. Später könnte dies dann wichtig werden, wenn das BAFA nicht tätig wird oder in den Augen der Beschwerdeführer nicht ausreichend tätig wird. Dann haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das BAFA zu erheben. Das könnte ein nächster Schritt sein.
Die Beschwerde wird maßgeblich damit begründet, dass die bisherigen Informationen der deutschen Autobauer nicht ausreichen, um beurteilen zu können, inwiefern sie sich entsprechend der Vorgaben des Lieferkettengesetzes mit dem Risiko der Zwangsarbeit in der Region Xinjiang auseinandergesetzt haben. Bedeutet das Lieferkettengesetz, dass Unternehmen mehr Transparenz an dieser Stelle zeigen müssen?
Das ist der Gedanke des Gesetzes. Sie sind verpflichtet, darüber zu berichten, was sie jetzt konkret gemacht haben. Die Praxis wird erst noch zeigen müssen, wie das jetzt genau läuft und was das BAFA für notwendig hält. Aber ich würde schon sagen, wenn Unternehmen auf irgendein menschenrechtliches Risiko hingewiesen worden sind, dann haben sie Nachtforschungspflichten und müssen transparent berichten, was sie getan haben. Das Gesetz sieht in jedem Fall deutlich erhöhte Berichts- und Transparenzpflichten gegenüber dem vor, was wir bislang hatten. Bislang gab es im Grunde genommen nur eine Pflicht auf der Grundlage der CSR-Berichterstattungsaufträge.
Muss das BAFA jetzt prüfen, ob die Unternehmen plausibel ihren Verpflichtungen nachgekommen sind?
Ja, es muss aktiv prüfen, was die Unternehmen gemacht haben. Dazu muss es selbst zu einer Bewertung kommen. Dazu hat es auch die Kompetenz, um die Sachlage selbst zu bewerten. Aber es muss nicht in jedem Fall tätig werden. Wenn jetzt jemand eine Beschwerde gegen ein Unternehmen wegen möglicher Zwangsarbeit in der Oberpfalz erhebt und das betroffene Unternehmen sagt nachvollziehbar, dass das Nonsens ist, dann muss die Behörde da nicht vorgehen. Es muss schon klare Belege für das Risiko in der Region geben.
Unternehmen sagen häufig, sie selbst oder auch Dritte, wie Auditoren, könnten die Situation in Xinjiang eigentlich gar nicht unabhängig menschenrechtlich bewerten. Und nun hat China auch noch ein Anti-Spionage-Gesetz beschlossen, was die Beschaffung von Informationen erschwert. Bleibt den Unternehmen am Ende des Tages nur noch die Möglichkeit, sich aus der Region zurückzuziehen, wenn sie im Einklang mit dem deutschen Lieferkettengesetz handeln wollen?
Da muss man deutlich sein. Es gibt genügend gut belegte Berichte über die menschenrechtliche Lage und Zwangsarbeit in der Region Xinjiang, was die automobilen Lieferketten anbelangt. Wenn man jetzt mal strafrechtlich sprechen würde, so gäbe es einen Anfangsverdacht. Wenn Unternehmen diesen Verdacht nicht entkräften können oder sagen, wir können unsere Risiken nicht angemessen bewerten, dann müssen sie diese Geschäftstätigkeit aufgeben. Denn man darf nach dem Gesetz keine Bereiche in seiner Zuliefererkette haben, wo man überhaupt nicht in der Lage ist, die menschenrechtlichen Risiken zu bewerten.
Für ihre Entscheidung, bei dem Pressetermin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang am Dienstag, keine Fragen von Journalisten zuzulassen, müssen Scholz und sein Regierungssprecher Steffen Hebestreit nun jede Menge Kritik einstecken.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand, Sprecher für Menschenrechte der CDU/CSU, sprach von einer “Schande für eine Demokratie”, wenn der Regierungschef wegen der Intervention einer Diktatur den eigenen Medien einen Maulkorb verpasst und keine Fragen zulässt. Er sei “entsetzt vom Kotau von Bundeskanzler Scholz vor der chinesischen Führung und seinem Maulkorb für deutsche Medien“.
Scholz habe einen “schweren Fehler” begangen und “Deutschland vor der ganzen freien Welt blamiert, nur um chinesischen Diktatoren die Nerven zu schonen”. Brand kündigte an, dieses “in dieser Form einzigartige Verhalten eines deutschen Bundeskanzlers in geeigneter Form im Deutschen Bundestag zu thematisieren“.
Kritik kam auch aus der eigenen Ampelkoalition. “Der chinesische Premierminister Li Qiang kann sehr zufrieden nach Hause fahren”, schreibt der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer von den Grünen. “Das wichtigste Land der EU hat sich gegenüber der immer aggressiveren Großmacht China als Schmusekätzchen aufgeführt.” Scholz habe bewusst Worte wie “Pressefreiheit” oder “systemische Rivalität” vermieden, an denen sich der chinesische Gast hätte stören können. “So, als müsse man sich gegenüber Chinas Hegemonialanspruch um besonders ehrerbietige Sprache bemühen.”
Die FDP teilt die kritische Haltung. “Die Tatsache, dass der deutsche Bundeskanzler zulässt, dass dem chinesischen Ministerpräsidenten keine Fragen gestellt werden dürfen? In einem freien Land? Das finde ich schon bemerkenswert”, sagte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der ARD-Sendung Maischberger. Bei derartigen Bedingungen für eine Pressekonferenz hätte Scholz “zumindest sagen müssen, da machen wir gar keine”.
Hebestreit verteidigte am Mittwoch die Entscheidung. Die deutsche Seite habe sich für eine Pressekonferenz eingesetzt, bei der auch Fragen der Journalisten und Journalisten zugelassen werden. Die chinesische Seite sei aber dagegen gewesen. Premier Li hätte in dem Fall gänzlich auf eine Pressebegegnung verzichten wollen. Die Alternative, dass Scholz dann allein vor die Presse trete, habe Hebestreit wiederum für falsch gehalten. Er räumte ein, dass die Situation “ungut” gewesen sei.
Der Umgang mit westlichen Medien war auch bei den vielen Peking-Besuchen unter Kanzlerin Angela Merkel regelmäßiger Streitpunkt. Doch Merkel konnte stets erreichen, dass Journalisten von beiden Ländern jeweils mindestens zwei Fragen stellen durften. flee
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bezeichnet China in seinem neuen Verfassungsschutzbericht für 2022 als “größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage sowie ausländische Direktinvestitionen in Deutschland”. Der am Dienstag vorgelegte Bericht nennt zudem Russland, Iran, Nordkorea und die Türkei als wichtige Spionageakteure. Die geopolitischen Umbrüche infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und das Weltmachtstreben Chinas führen demnach zu verstärkten nachrichtendienstlichen Aktivitäten.
China nutze für die Realisierung seiner ambitionierten Industriepolitik Spionage in Wirtschaft und Wissenschaft und versuche, deutsche Unternehmen der Spitzentechnologie ganz oder teilweise zu kaufen. Es werbe zudem gezielt Wissensträger an, heißt es in dem Bericht. Staatliche chinesische Akteure versuchten zudem, “führende Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft unter Ausnutzung der Abhängigkeit einzelner deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt” für die Durchsetzung der Interessen der Kommunistischen Partei Chinas zu instrumentalisieren.
China will bis 2049 eine Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA werden. Um dieses Ziel zu erreichen, spielen Geheimdienste eine wesentliche Rolle. Dem Bericht zufolge stehen Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie das Militär im Fokus chinesischer Geheimdienste. Bei letzterem gehe es um Erkenntnisse zu Struktur, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr ebenso wie um die Beschaffung moderner Waffentechnik aus der deutschen Verteidigungsindustrie.
Deutschland war 2022 eines der wichtigsten Ziele chinesischer Investitionen. Diese sind ein legaler Weg, auf Technologien, Knowhow und geistiges Eigentum zuzugreifen und technologische Rückstände auszugleichen. Dem Bericht zufolge ermöglichen sie in manchen Fällen aber auch politische Einflussnahme. Bei sensiblen Technologien und kritischen Infrastrukturen sieht das BfV Risiken für die öffentliche Sicherheit in Deutschland. Auch die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie- und Technologiestandorts Deutschland sei in Gefahr. jul
Die Jugendarbeitslosigkeit in China ist weiter gestiegen und hat im Mai einen neuen Rekordwert erreicht. Die Quote, die 16- bis 24-Jährige in städtischen Gebieten berücksichtigt, stieg von 20,4 Prozent im April auf 20,8 Prozent im Mai. Damit ist sie viermal so hoch wie die Arbeitslosigkeit in der Gesamtbevölkerung, die unverändert bei 5,2 Prozent liegt. Das geht aus den am Donnerstag veröffentlichten Daten des Nationalen Statistikamtes hervor, berichtet Bloomberg.
Mehr als 33 Millionen junge Menschen seien neu in den Arbeitsmarkt eingetreten, und mehr als sechs Millionen derzeit arbeitslos, sagte NBS-Sprecher Fu Linghui am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Insgesamt gibt es in China etwa 96 Millionen 16- bis 24-Jährige. Viele von ihnen seien nicht auf Arbeitssuche, weil sie noch zur Schule gingen, sagte Fu.
Nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten von Goldman Sachs ist die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen heute um drei Millionen höher als vor der Pandemie. Sie ist seit Anfang 2022 auf hohem Niveau, da die Pandemie und der Einbruch am Immobilienmarkt die bereits bestehenden strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt noch verschärft haben. cyb
Der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen will ein Büro in China eröffnen. Volker Turk, der im vergangenen Jahr seinen Posten angetreten hat, rief am Montag zum Auftakt der 53. Session des UN-Menschenrechtsrats in Genf zu finanzieller Unterstützung für seinen Plan auf. Auch in Indien will Turk eine Repräsentanz eröffnen. Das nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete UN-Menschenrechtsbüro ist bislang in 95 Ländern vertreten.
“Wir möchten jetzt unser Engagement verstärken”, sagte Turk zum Auftakt der vierwöchigen Sitzung des Rates. 75 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte befinde sich die Welt an einem “kritischen Punkt”. “Ich glaube auch, dass es für uns wichtig ist, zum ersten Mal in China und Indien präsent zu sein”, sagte Turk. Er würde das Budget seines Büros gerne verdoppeln, um die globale Überwachung zu verstärken.
Ein Sprecher der UN-Menschenrechtsorganisation fügte hinzu, dass Turk die Idee für die beiden neuen Büros bei Treffen mit den Regierungen erörtert habe, ohne jedoch näher auf deren Reaktion einzugehen. Viele Länder würden sich aus Gründen der Souveränität einer weiteren Überwachung jedoch widersetzen. grz
Der Umgang mit China gleicht einem Glücksspiel, sei es bei Investitionen oder bei der Szenario-Planung für Taiwan. In unserer unberechenbaren Welt ist China besonders unberechenbar.
Unter der kommunistischen Herrschaft war China noch nie wirklich transparent. Unter Jiang Zemin (von 1989 bis 2002 an der Macht) und Hu Jintao (2002 bis 2012) hatten Beobachter jedoch einige wenige Möglichkeiten, kleine Einblicke in die Abläufe der zentralen Führung zu erhaschen, da verschiedene Fraktionen von Zeit zu Zeit Informationen aus verschiedenen politischen Gründen durchsickern ließen.
Nachdem der starke Mann Xi eine absolute Diktatur errichtet hatte, ließ er die Schlupflöcher stopfen. Niemand in der zentralen Führung scheint es mehr zu wagen, Außenstehende mit Informationen zu versorgen, was zu einer nahezu vollständigen Undurchsichtigkeit geführt hat.
Ebenso schwierig ist es, die öffentliche Meinung einzuschätzen und vorherzusagen, wie sie auf verschiedene Situationen reagieren würde.
Auf den gängigsten Social-Media-Plattformen sind die Kommentare überwiegend regierungstreu. Beiträge, die sich gegen die Regierung richten, werden gelöscht oder können gar nicht erst veröffentlicht werden. Es ist also unmöglich, zu sagen, wie stark die abweichenden Stimmen sind.
Einigen Forschern, die mit akademischen Institutionen außerhalb Chinas in Verbindung stehen, ist es gelungen, Umfragen über die politische Meinung der chinesischen Bürger und ihre Bewertungen der Regierungspolitik durchzuführen. Aber in einem derart komplexen Land mit einer enormen Bevölkerung – von der sich die Mehrheit schon automatisch selbst zensieren würde – ist die Glaubwürdigkeit solcher Umfrage äußerst fragwürdig.
In einem Klima, das der Außenwelt zunehmend feindselig gegenübersteht, haben einige Datenanbieter in China kürzlich damit begonnen, den Zugang zu ihren Websites für ausländische Nutzer einzuschränken. Dazu gehören Wind (万德), eine große chinesische Finanzdaten-Serviceplattform, und CNKI (知网), die führende Datenbank für chinesische wissenschaftliche Fachzeitschriften und Publikationen. Eine Provinzbehörde ging noch einen Schritt weiter: Das Statistikamt der wohlhabenden Provinz Fujian hat jeglichen Zugriff auf seine Webseite aus dem Ausland gesperrt.
Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dürfte es noch schwieriger werden, das Land zu verstehen.
Die Frage, ob und wann die chinesische Wirtschaft zusammenbrechen wird, beschäftigt die Menschen seit Jahrzehnten. Mit der wirtschaftlichen Abschwächung der letzten Jahre sind verschiedene Variationen dieser Frage wieder aufgetaucht: Wie viel Geld lässt sich in und mit China noch verdienen? Wie schlimm würde es die Ärmsten treffen und wann würden sie es sich nicht mehr gefallen lassen und sich massiv gegen die kommunistische Regierung erheben?
Und Xi Jinpings offensichtliche Besessenheit mit Taiwan macht die Situation noch komplizierter. Wie realistisch ist die weit verbreitete Annahme, dass 2027 das Jahr der Invasion sein könnte? Wie verheerend wären die Folgen für die chinesische Innenpolitik, sollte es dazu kommen?
Nur wenige Menschen können diese Fragen mit Überzeugung beantworten.
Eigentlich sollte man sich vielleicht auch überlegen, ob man die richtigen Fragen stellt. Und gibt es noch andere, die man stellen sollte?
Bei einem Zusammenbruch der Wirtschaft könnten die Menschen an der Basis die ersten sein, die ausfallen werden. Aber es gibt noch viele andere Variablen, die das Regime auf die Probe stellen könnten, selbst wenn die Wirtschaft nicht akut bedroht ist.
Die letztjährigen Weißblatt-Proteste in den Metropolen und der gewaltsame Widerstand gegen den langen Lockdown in der Stadt Wuhan, der weit weniger bekannt ist als die friedlichen Demonstrationen, überraschte.
Derartige Aktionen galten als nahezu undenkbar, da die gesamte Gesellschaft, insbesondere die Bevölkerung der Großstädte ohnehin schon streng überwacht wird und jedes rebellische Verhalten hart bestraft wird.
Aber es geschah einfach. Und die meisten Protestteilnehmer gehörten nicht zu den Unterprivilegierten.
Viele Schichten der chinesischen Gesellschaft bleiben für Beobachter einfach unsichtbar.
Es wird vermutet, dass die Falun-Gong-Bewegung noch immer in China existiert. Nachdem Mitglieder der Bewegung im Jahr 1999 die oberste Führung mit einer Versammlung vor dem Gelände der Zentralregierung in Peking in Aufruhr versetzt hatten, wurde die Bewegung jahrelang mit aller Härte verfolgt. Welchen Schaden Falun Gong und andere religiöse Untergrundorganisationen anrichten könnten, ist unbekannt.
Innerhalb des Regimes ist es selbstverständlich, dass die Partei und Xi selbst ihr Bestes tun, um das Militär und die Politik unter strikter Kontrolle zu halten. Doch wie erfolgreich sie damit genau sind, wissen vermutlich nicht einmal die militärischen Geheimdienste der USA.
Und dann ist da noch die politische Führung selbst. Im Moment scheint Xi, umgeben von seinen treuen Anhängern, so mächtig wie der Vorsitzende Mao. Aber wenn wir uns an Maos letzte Jahre erinnern, fällt auf, dass es ausgerechnet sein handverlesener Nachfolger Lin Biao (林彪1907-1971) war, der einen Umsturz plante. Obwohl der Plan scheiterte, versetzte er Mao einen schweren Schlag.
Xi scheint nicht daran interessiert zu sein, einen Nachfolger zu wählen. Das heißt aber nicht, dass sich nicht jemand oder eine Gruppe von Leuten wie Lin Biao hervortreten wird.
Nachdem der ehemalige KPCh-Führer Hu Jintao im Oktober letzten Jahres öffentlich aus der Abschlusssitzung des 20. Parteikongresses geleitet wurde, löste dies eine Welle verzweifelter, aber vergeblicher Interpretationsversuche aus. Journalisten und Beobachter mussten erneut auf die pathetische Kunst der Sowjetologie zurückgreifen.
Es mag im Digitalen-Zeitalter unglaublich erscheinen, doch es ist die traurige Realität. Diplomaten, Investoren und Wissenschaftler müssen immer noch auf alle möglichen Mittel zurückgreifen, um China zu verstehen. Doch wird dies von Tag zu Tag schwerer.
Und es steht vieles auf dem Spiel.
die sozial-ökologische Transformation kann nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn alle Akteure konsequent neue Wege einschlagen. Im Fall der deutschen Automobilkonzerne VW, BMW und Mercedes-Benz stellt sich die Frage: Können sie in der Region Xinjiang in China tätig sein und gleichzeitig das Risiko der Zwangsarbeit von Uiguren in ihren Lieferketten ausschließen?
Eine Antwort darauf liefern könnte nun die Beschwerde der Menschenrechtsorganisation ECCHR gegen die drei Autobauer beim BAFA, mit der sich Caspar Dohmen gemeinsam mit den Kollegen von Report Mainz exklusiv beschäftige. Dazu hat Dohmen auch ein Interview mit dem Juristen Markus Krajewski geführt, unter anderem zu der wichtigen Frage, wann sich deutsche Unternehmen aus einer Region zurückziehen müssten.
Derweil befasst sich unsere Kolumne “Blick aus China” mit der Unberechenbarkeit der Volksrepublik. Es werde immer schwieriger, das Land zu verstehen. Dabei steht so viel auf dem Spiel. Der Umgang mit China gleiche einem Glücksspiel, sei es bei Investitionen oder bei der Szenario-Planung für Taiwan.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sieht für Betroffene oder stellvertretend für Organisationen explizit die Möglichkeit von Beschwerden beim BAFA als zuständiger Behörde vor, um auf mögliche Verstöße aufmerksam zu machen. Die Möglichkeit nutzt nun das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und legt Beschwerden gegen BMW, Mercedes-Benz und VW ein, weil die drei Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten aus dem LkSG mit Blick auf mögliche Zwangsarbeit in ihren Lieferketten in der chinesischen Region Xinjiang nur unzureichend nachgekommen sein sollen. “Wir können nicht erkennen, dass die Unternehmen dieses Risiko ausreichend ernst nehmen“, sagt Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR.
Zentrales Argument der Beschwerden: Die Maßnahmen, die die Unternehmen in ihren öffentlichen Unterlagen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht beschrieben, seien “nicht angemessen, um die bekannten Risiken uigurischer Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu erkennen, zu verhindern und zu minimieren“, heißt es beim ECCHR. Die Unternehmen verließen sich “nur auf Überprüfungen vor Ort und vertragliche Zusicherungen, um die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu überprüfen”.
Solche Überprüfungen durch Auditunternehmen können schon unter normalen Verhältnissen schwierig sein. In autoritären Staaten wie China stößt die Methode an Grenzen, weil sie nur funktioniert, wenn sich Beschäftigte zumindest ansatzweise frei äußern können. Davon kann in Xinjiang keine Rede sein. Unter anderem deshalb zogen sich fünf führende Auditunternehmen Ende 2020 aus der Region zurück. Andere Auditunternehmen sind dort aber weiter tätig. Das ECCHR ist der Meinung, dass die einzige angemessene Sorgfaltspflicht darin bestehen würde, den Empfehlungen des von über 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützten Aktionsaufrufs zur Beendigung der uigurischen Zwangsarbeit zu folgen und “dringend Maßnahmen zu ergreifen, um sich von Lieferanten zu trennen“, die in der Region ansässig seien oder von dort beziehen.
“Die drei Autohersteller konnten bis jetzt nicht glaubhaft belegen, dass sie uigurische Zwangsarbeit in ihren Lieferketten ausschließen können”, sagt der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, gegenüber Table.Media. “Sie nehmen damit das Risiko in Kauf, dass sie zum Unterstützer des Genozids an den Uigur*innen werden”. In der Region geht die kommunistische Regierung brutal gegen die muslimische Volksgruppe der Uiguren vor. Einige Parlamente, darunter das französische und britische, sprechen von Völkermord.
Der ECCHR hat die Beschwerde gegen die drei deutschen Autobauer ex officio, also im Namen der Betroffenen, eingelegt, entsprechend § 14 des LkSG. Wegen der “äußerst repressiven Situation in der uigurischen Region“, könnten einzelne Arbeitnehmer, die von Zwangsarbeit betroffen seien, “unmöglich” selbst eine Beschwerde als “betroffene Person” einreichen, heißt es zur Begründung. Deswegen sei dieser Weg, die einzige rechtliche Möglichkeit, um Maßnahmen im Rahmen des Gesetzes einzuleiten.
Auf jeweils rund 30 Seiten untermauert die NGO ihre Beschwerde. Es ist die zweite Beschwerde im Rahmen des Gesetzes, die erste Beschwerde hatte das ECCHR mit der Organisation Femnet gegen Amazon und Ikea eingereicht (Table.Media berichtete). Das LkSG trat Anfang des Jahres in Kraft und gilt für Unternehmen mit hierzulande mehr als 3.000 Beschäftigten.
VW wollte sich in der Sache der Beschwerde nicht äußern: “Wir haben bislang keine Kenntnis von der von ihnen zitierten Beschwerde”, teilte ein Sprecher mit. Deswegen können “wir uns zu den Inhalten und den etwaigen Gründen der Beschwerde zurzeit inhaltlich nicht äußern”. Mercedes-Benz verweist ebenfalls darauf, dass die Beschwerde nicht vorliege und “dass wir uns deswegen nicht dazu äußern können”. Auch BMW trifft keine Aussage in der Sache, “da uns selbst bisher weder von besagter NGO noch seitens BAFA diesbezüglich Informationen übermittelt wurden”. Alle drei Unternehmen betonen aber die generelle Bedeutung von Menschenrechten. Volkswagen schreibt beispielsweise, Geschäftspartner müssten jeden bewussten Einsatz von Zwangs- und Pflichtarbeit sowie alle Formen der modernen Sklaverei ablehnen. BMW und Mercedes verweisen darauf, Lieferanten seien vertraglich zur Einhaltung von Standards verpflichtet. Mercedes schrieb außerdem, man sei mit seinen Geschäftspartnern in Kontakt und dränge auf eine Klärung der Vorwürfe.
Eine wichtige Rolle bei dieser und künftiger Beschwerden dürfte die Frage spielen, ob die drei Unternehmen “begründete Kenntnis” davon haben müssten, dass es in ihren Lieferketten in Xinjiang zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein könnte. Denn darauf müssten sie laut dem LkSG reagieren, bei direkten und indirekten Lieferanten. Das BAFA muss im Falle von Beschwerden prüfen, ob sie dies ausreichend getan haben. Zu den drei Beschwerden erklärte die Behörde: Sie könne zu “etwaigen Beschwerden gegen einzelne Unternehmen grundsätzlich keine Angaben machen”. Das LkSG verpflichtet Unternehmen, in der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten zu sorgen. Wenn sie dies nicht tun, drohen empfindliche Strafzahlungen, ein erheblicher Reputationsschaden und möglicherweise der weitere Rückzug von Investoren.
Das ECCHR argumentiert bei den Beschwerden wesentlich mit den Erkenntnissen der Studie “Driving Forces” der Universität Sheffield und der NGO NomoGaia von Ende 2022. Demnach haben mehr als hundert internationale Automobilzulieferer oder Automobilhersteller in gewissem Maße mit Waren aus uigurischer Zwangsarbeit zu tun. Auch BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sollen demnach direkte und indirekte Beziehungen zu Zulieferern haben, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß sei, dass sie uigurische Arbeitskräfte eingesetzt haben, die zur Arbeit gezwungen würden, schreibt der ECCHR.
Demnach könne man davon ausgehen, dass die Autohersteller angesichts umfangreicher Medienberichterstattung über die Menschenrechtslage in der Region sowie direkter Mitteilungen der internationalen Zivilgesellschaft von den Risiken begründete Kenntnis haben müssen. Erstmals hatten Medien in großem Umfang über die Zwangsarbeitsthematik in der Region mit der Veröffentlichung der China Cables Ende 2019 berichtet.
In der Beschwerde gegen Volkswagen geht es um das Joint Venture SAIC-Volkswagen sowie einen direkten Zulieferer und acht indirekte Zulieferer, bei BMW um drei direkte Zulieferer und vier indirekte Zulieferer, bei Mercedes um einen direkten Zulieferer und vier indirekte Zulieferer. Auffällig ist ein direkter Zulieferer, der Airbags, Sicherheitsgurte, Lenkräder und deren Komponenten herstellt. Er soll laut der Beschwerden alle drei deutschen Unternehmen beliefern. In diesem Fall gibt es laut dem China-Wissenschaftler Björn Alpermann “ein hohes Risiko von Zwangsarbeit“. Er forscht seit vielen Jahren an der Universität Würzburg zur Situation in Xinjiang und hat die Beschwerde analysiert.
“Die Hinweise auf Zwangsarbeit bei Zulieferern sind ausreichend in dem Maße, dass die Behörde eigentlich eine Untersuchung nach dem LkSG einleiten müsste.” Für eine solche Beschwerde einer NGO genüge grundsätzlich ein begründeter Verdacht und der sei gegeben. (siehe auch das Interview mit dem Völkerrechtler Markus Krajewski in diesem Briefing). Allerdings sieht Alpermann auch Schwächen der Studie der Universität Sheffield. Manches sei “ungenügend belegt” oder “unzulässig miteinander vermischt”.
Die Unternehmen stecken nach Ansicht von China-Wissenschaftler Björn Alpermann in einem Reputationsdilemma: “Sie können eigentlich nur verlieren, egal, ob sie sich jetzt lauthals distanzieren und groß an die Glocke hängen, dass sie jetzt versuchten, Audits durchzuführen und zu publizieren. Wenn dies nicht funktioniere, dann verscherzen sie es sich mit einem ihrer wichtigsten Märkte. Oder sie machen gar nichts und wiegeln ab. Dann bleiben sie weiter im Kreuzfeuer der Kritik bei uns im Westen”, sagt Alpermann, der es für wahrscheinlich hält, dass die Unternehmen nun lavieren und versuchen, den Schaden auf beiden Seiten zu begrenzen, was dazu führe, “dass man eigentlich immer irgendwie schlecht aussieht”. Unter Druck steht vor allem VW wegen der Thematik – auch durch Investoren.
Unterstützt werden die Beschwerden vom Dachverband der Kritischen Aktionäre, was deren Co-Geschäftsführer Tilman Massa auch mit einer unzureichenden Transparenz der Autokonzerne begründet. “Über das Auskunftsrecht als Aktionär*innen haben wir bisher keine konkreten Auskünfte erhalten, etwa, welche Zulieferer geprüft wurden oder ob Verträge mit Zuliefern gekündigt wurden.” Vor allem Volkswagen verfange sich “immer mehr in dem Widerspruch”, zum einen auf die angeblich nicht gegebenen Einflussmöglichkeiten auf den Joint-Venture-Partner SAIC und damit das Werk in Ürümqi zu haben, zum anderen aber stets zu betonen, die Situation vor Ort genau geprüft zu haben”. Doch der konkrete Vorwurf der Beschwerde richte sich nicht gegen dieses Werk, sondern gegen Zulieferer.
Bei der Frage des aktuellen Umfangs des Problems von Zwangsarbeit in der Region, verweist der Weltkongress der Uiguren, der die Beschwerde ebenfalls unterstützt, auf die Berichte von Journalisten, die die Region jüngst besucht hätten, demnach “geht die Zahl der Internierungslager zurück”. Dagegen nähmen Haftstrafen und Zwangsarbeit zu. “Viele Uiguri*nnen, die aus den Internierungslagern entlassen wurden, wurden direkt zur Zwangsarbeit transferiert”, sagt Dolkun Isa. China könne diese staatlich verordnete Zwangsarbeit “nur mit der stillschweigenden Hilfe der internationalen Gesellschaft aufrechterhalten”. Die derzeitigen Schlupflöcher in den nationalen und internationalen Rechtsvorschriften ermöglichten es, “dass Produkte, die mit uigurischer Zwangsarbeit hergestellt wurden, ungehindert in den globalen Lieferketten zirkulieren können”.
Was ist der Stellenwert der Beschwerde des ECCHR beim BAFA?
Sie weisen im Grunde genommen das BAFA darauf hin, dass die Unternehmen ihren gesetzlichen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen sind. Dafür stellt das BAFA ja sogar eine Webseite zur Verfügung. Das ist wie ein Hinweis an eine Verwaltungsbehörde. Sie könnten auch zum Ordnungsamt gehen und sagen, ich glaube, mein Nachbar kippt immer Farbe in den Gulli. Dann muss das Ordnungsamt überlegen, ob es dem Hinweis nachgeht oder nicht. Und genauso muss das BAFA nun überlegen, ob es den jetzigen Hinweisen der Beschwerde nachgehen will.
In der Beschwerde nennt der ECCHR keine konkreten Betroffenen. Kann man dann trotzdem eine solche Beschwerde beim BAFA einreichen?
Ja, man muss keine konkreten Beschwerdeführer nennen, es muss aber klar zum Ausdruck gebracht werden, welche Arten von Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen könnten. Später könnte dies dann wichtig werden, wenn das BAFA nicht tätig wird oder in den Augen der Beschwerdeführer nicht ausreichend tätig wird. Dann haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das BAFA zu erheben. Das könnte ein nächster Schritt sein.
Die Beschwerde wird maßgeblich damit begründet, dass die bisherigen Informationen der deutschen Autobauer nicht ausreichen, um beurteilen zu können, inwiefern sie sich entsprechend der Vorgaben des Lieferkettengesetzes mit dem Risiko der Zwangsarbeit in der Region Xinjiang auseinandergesetzt haben. Bedeutet das Lieferkettengesetz, dass Unternehmen mehr Transparenz an dieser Stelle zeigen müssen?
Das ist der Gedanke des Gesetzes. Sie sind verpflichtet, darüber zu berichten, was sie jetzt konkret gemacht haben. Die Praxis wird erst noch zeigen müssen, wie das jetzt genau läuft und was das BAFA für notwendig hält. Aber ich würde schon sagen, wenn Unternehmen auf irgendein menschenrechtliches Risiko hingewiesen worden sind, dann haben sie Nachtforschungspflichten und müssen transparent berichten, was sie getan haben. Das Gesetz sieht in jedem Fall deutlich erhöhte Berichts- und Transparenzpflichten gegenüber dem vor, was wir bislang hatten. Bislang gab es im Grunde genommen nur eine Pflicht auf der Grundlage der CSR-Berichterstattungsaufträge.
Muss das BAFA jetzt prüfen, ob die Unternehmen plausibel ihren Verpflichtungen nachgekommen sind?
Ja, es muss aktiv prüfen, was die Unternehmen gemacht haben. Dazu muss es selbst zu einer Bewertung kommen. Dazu hat es auch die Kompetenz, um die Sachlage selbst zu bewerten. Aber es muss nicht in jedem Fall tätig werden. Wenn jetzt jemand eine Beschwerde gegen ein Unternehmen wegen möglicher Zwangsarbeit in der Oberpfalz erhebt und das betroffene Unternehmen sagt nachvollziehbar, dass das Nonsens ist, dann muss die Behörde da nicht vorgehen. Es muss schon klare Belege für das Risiko in der Region geben.
Unternehmen sagen häufig, sie selbst oder auch Dritte, wie Auditoren, könnten die Situation in Xinjiang eigentlich gar nicht unabhängig menschenrechtlich bewerten. Und nun hat China auch noch ein Anti-Spionage-Gesetz beschlossen, was die Beschaffung von Informationen erschwert. Bleibt den Unternehmen am Ende des Tages nur noch die Möglichkeit, sich aus der Region zurückzuziehen, wenn sie im Einklang mit dem deutschen Lieferkettengesetz handeln wollen?
Da muss man deutlich sein. Es gibt genügend gut belegte Berichte über die menschenrechtliche Lage und Zwangsarbeit in der Region Xinjiang, was die automobilen Lieferketten anbelangt. Wenn man jetzt mal strafrechtlich sprechen würde, so gäbe es einen Anfangsverdacht. Wenn Unternehmen diesen Verdacht nicht entkräften können oder sagen, wir können unsere Risiken nicht angemessen bewerten, dann müssen sie diese Geschäftstätigkeit aufgeben. Denn man darf nach dem Gesetz keine Bereiche in seiner Zuliefererkette haben, wo man überhaupt nicht in der Lage ist, die menschenrechtlichen Risiken zu bewerten.
Für ihre Entscheidung, bei dem Pressetermin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang am Dienstag, keine Fragen von Journalisten zuzulassen, müssen Scholz und sein Regierungssprecher Steffen Hebestreit nun jede Menge Kritik einstecken.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand, Sprecher für Menschenrechte der CDU/CSU, sprach von einer “Schande für eine Demokratie”, wenn der Regierungschef wegen der Intervention einer Diktatur den eigenen Medien einen Maulkorb verpasst und keine Fragen zulässt. Er sei “entsetzt vom Kotau von Bundeskanzler Scholz vor der chinesischen Führung und seinem Maulkorb für deutsche Medien“.
Scholz habe einen “schweren Fehler” begangen und “Deutschland vor der ganzen freien Welt blamiert, nur um chinesischen Diktatoren die Nerven zu schonen”. Brand kündigte an, dieses “in dieser Form einzigartige Verhalten eines deutschen Bundeskanzlers in geeigneter Form im Deutschen Bundestag zu thematisieren“.
Kritik kam auch aus der eigenen Ampelkoalition. “Der chinesische Premierminister Li Qiang kann sehr zufrieden nach Hause fahren”, schreibt der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer von den Grünen. “Das wichtigste Land der EU hat sich gegenüber der immer aggressiveren Großmacht China als Schmusekätzchen aufgeführt.” Scholz habe bewusst Worte wie “Pressefreiheit” oder “systemische Rivalität” vermieden, an denen sich der chinesische Gast hätte stören können. “So, als müsse man sich gegenüber Chinas Hegemonialanspruch um besonders ehrerbietige Sprache bemühen.”
Die FDP teilt die kritische Haltung. “Die Tatsache, dass der deutsche Bundeskanzler zulässt, dass dem chinesischen Ministerpräsidenten keine Fragen gestellt werden dürfen? In einem freien Land? Das finde ich schon bemerkenswert”, sagte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der ARD-Sendung Maischberger. Bei derartigen Bedingungen für eine Pressekonferenz hätte Scholz “zumindest sagen müssen, da machen wir gar keine”.
Hebestreit verteidigte am Mittwoch die Entscheidung. Die deutsche Seite habe sich für eine Pressekonferenz eingesetzt, bei der auch Fragen der Journalisten und Journalisten zugelassen werden. Die chinesische Seite sei aber dagegen gewesen. Premier Li hätte in dem Fall gänzlich auf eine Pressebegegnung verzichten wollen. Die Alternative, dass Scholz dann allein vor die Presse trete, habe Hebestreit wiederum für falsch gehalten. Er räumte ein, dass die Situation “ungut” gewesen sei.
Der Umgang mit westlichen Medien war auch bei den vielen Peking-Besuchen unter Kanzlerin Angela Merkel regelmäßiger Streitpunkt. Doch Merkel konnte stets erreichen, dass Journalisten von beiden Ländern jeweils mindestens zwei Fragen stellen durften. flee
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bezeichnet China in seinem neuen Verfassungsschutzbericht für 2022 als “größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage sowie ausländische Direktinvestitionen in Deutschland”. Der am Dienstag vorgelegte Bericht nennt zudem Russland, Iran, Nordkorea und die Türkei als wichtige Spionageakteure. Die geopolitischen Umbrüche infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und das Weltmachtstreben Chinas führen demnach zu verstärkten nachrichtendienstlichen Aktivitäten.
China nutze für die Realisierung seiner ambitionierten Industriepolitik Spionage in Wirtschaft und Wissenschaft und versuche, deutsche Unternehmen der Spitzentechnologie ganz oder teilweise zu kaufen. Es werbe zudem gezielt Wissensträger an, heißt es in dem Bericht. Staatliche chinesische Akteure versuchten zudem, “führende Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft unter Ausnutzung der Abhängigkeit einzelner deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt” für die Durchsetzung der Interessen der Kommunistischen Partei Chinas zu instrumentalisieren.
China will bis 2049 eine Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA werden. Um dieses Ziel zu erreichen, spielen Geheimdienste eine wesentliche Rolle. Dem Bericht zufolge stehen Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie das Militär im Fokus chinesischer Geheimdienste. Bei letzterem gehe es um Erkenntnisse zu Struktur, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr ebenso wie um die Beschaffung moderner Waffentechnik aus der deutschen Verteidigungsindustrie.
Deutschland war 2022 eines der wichtigsten Ziele chinesischer Investitionen. Diese sind ein legaler Weg, auf Technologien, Knowhow und geistiges Eigentum zuzugreifen und technologische Rückstände auszugleichen. Dem Bericht zufolge ermöglichen sie in manchen Fällen aber auch politische Einflussnahme. Bei sensiblen Technologien und kritischen Infrastrukturen sieht das BfV Risiken für die öffentliche Sicherheit in Deutschland. Auch die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie- und Technologiestandorts Deutschland sei in Gefahr. jul
Die Jugendarbeitslosigkeit in China ist weiter gestiegen und hat im Mai einen neuen Rekordwert erreicht. Die Quote, die 16- bis 24-Jährige in städtischen Gebieten berücksichtigt, stieg von 20,4 Prozent im April auf 20,8 Prozent im Mai. Damit ist sie viermal so hoch wie die Arbeitslosigkeit in der Gesamtbevölkerung, die unverändert bei 5,2 Prozent liegt. Das geht aus den am Donnerstag veröffentlichten Daten des Nationalen Statistikamtes hervor, berichtet Bloomberg.
Mehr als 33 Millionen junge Menschen seien neu in den Arbeitsmarkt eingetreten, und mehr als sechs Millionen derzeit arbeitslos, sagte NBS-Sprecher Fu Linghui am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Insgesamt gibt es in China etwa 96 Millionen 16- bis 24-Jährige. Viele von ihnen seien nicht auf Arbeitssuche, weil sie noch zur Schule gingen, sagte Fu.
Nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten von Goldman Sachs ist die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen heute um drei Millionen höher als vor der Pandemie. Sie ist seit Anfang 2022 auf hohem Niveau, da die Pandemie und der Einbruch am Immobilienmarkt die bereits bestehenden strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt noch verschärft haben. cyb
Der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen will ein Büro in China eröffnen. Volker Turk, der im vergangenen Jahr seinen Posten angetreten hat, rief am Montag zum Auftakt der 53. Session des UN-Menschenrechtsrats in Genf zu finanzieller Unterstützung für seinen Plan auf. Auch in Indien will Turk eine Repräsentanz eröffnen. Das nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete UN-Menschenrechtsbüro ist bislang in 95 Ländern vertreten.
“Wir möchten jetzt unser Engagement verstärken”, sagte Turk zum Auftakt der vierwöchigen Sitzung des Rates. 75 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte befinde sich die Welt an einem “kritischen Punkt”. “Ich glaube auch, dass es für uns wichtig ist, zum ersten Mal in China und Indien präsent zu sein”, sagte Turk. Er würde das Budget seines Büros gerne verdoppeln, um die globale Überwachung zu verstärken.
Ein Sprecher der UN-Menschenrechtsorganisation fügte hinzu, dass Turk die Idee für die beiden neuen Büros bei Treffen mit den Regierungen erörtert habe, ohne jedoch näher auf deren Reaktion einzugehen. Viele Länder würden sich aus Gründen der Souveränität einer weiteren Überwachung jedoch widersetzen. grz
Der Umgang mit China gleicht einem Glücksspiel, sei es bei Investitionen oder bei der Szenario-Planung für Taiwan. In unserer unberechenbaren Welt ist China besonders unberechenbar.
Unter der kommunistischen Herrschaft war China noch nie wirklich transparent. Unter Jiang Zemin (von 1989 bis 2002 an der Macht) und Hu Jintao (2002 bis 2012) hatten Beobachter jedoch einige wenige Möglichkeiten, kleine Einblicke in die Abläufe der zentralen Führung zu erhaschen, da verschiedene Fraktionen von Zeit zu Zeit Informationen aus verschiedenen politischen Gründen durchsickern ließen.
Nachdem der starke Mann Xi eine absolute Diktatur errichtet hatte, ließ er die Schlupflöcher stopfen. Niemand in der zentralen Führung scheint es mehr zu wagen, Außenstehende mit Informationen zu versorgen, was zu einer nahezu vollständigen Undurchsichtigkeit geführt hat.
Ebenso schwierig ist es, die öffentliche Meinung einzuschätzen und vorherzusagen, wie sie auf verschiedene Situationen reagieren würde.
Auf den gängigsten Social-Media-Plattformen sind die Kommentare überwiegend regierungstreu. Beiträge, die sich gegen die Regierung richten, werden gelöscht oder können gar nicht erst veröffentlicht werden. Es ist also unmöglich, zu sagen, wie stark die abweichenden Stimmen sind.
Einigen Forschern, die mit akademischen Institutionen außerhalb Chinas in Verbindung stehen, ist es gelungen, Umfragen über die politische Meinung der chinesischen Bürger und ihre Bewertungen der Regierungspolitik durchzuführen. Aber in einem derart komplexen Land mit einer enormen Bevölkerung – von der sich die Mehrheit schon automatisch selbst zensieren würde – ist die Glaubwürdigkeit solcher Umfrage äußerst fragwürdig.
In einem Klima, das der Außenwelt zunehmend feindselig gegenübersteht, haben einige Datenanbieter in China kürzlich damit begonnen, den Zugang zu ihren Websites für ausländische Nutzer einzuschränken. Dazu gehören Wind (万德), eine große chinesische Finanzdaten-Serviceplattform, und CNKI (知网), die führende Datenbank für chinesische wissenschaftliche Fachzeitschriften und Publikationen. Eine Provinzbehörde ging noch einen Schritt weiter: Das Statistikamt der wohlhabenden Provinz Fujian hat jeglichen Zugriff auf seine Webseite aus dem Ausland gesperrt.
Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dürfte es noch schwieriger werden, das Land zu verstehen.
Die Frage, ob und wann die chinesische Wirtschaft zusammenbrechen wird, beschäftigt die Menschen seit Jahrzehnten. Mit der wirtschaftlichen Abschwächung der letzten Jahre sind verschiedene Variationen dieser Frage wieder aufgetaucht: Wie viel Geld lässt sich in und mit China noch verdienen? Wie schlimm würde es die Ärmsten treffen und wann würden sie es sich nicht mehr gefallen lassen und sich massiv gegen die kommunistische Regierung erheben?
Und Xi Jinpings offensichtliche Besessenheit mit Taiwan macht die Situation noch komplizierter. Wie realistisch ist die weit verbreitete Annahme, dass 2027 das Jahr der Invasion sein könnte? Wie verheerend wären die Folgen für die chinesische Innenpolitik, sollte es dazu kommen?
Nur wenige Menschen können diese Fragen mit Überzeugung beantworten.
Eigentlich sollte man sich vielleicht auch überlegen, ob man die richtigen Fragen stellt. Und gibt es noch andere, die man stellen sollte?
Bei einem Zusammenbruch der Wirtschaft könnten die Menschen an der Basis die ersten sein, die ausfallen werden. Aber es gibt noch viele andere Variablen, die das Regime auf die Probe stellen könnten, selbst wenn die Wirtschaft nicht akut bedroht ist.
Die letztjährigen Weißblatt-Proteste in den Metropolen und der gewaltsame Widerstand gegen den langen Lockdown in der Stadt Wuhan, der weit weniger bekannt ist als die friedlichen Demonstrationen, überraschte.
Derartige Aktionen galten als nahezu undenkbar, da die gesamte Gesellschaft, insbesondere die Bevölkerung der Großstädte ohnehin schon streng überwacht wird und jedes rebellische Verhalten hart bestraft wird.
Aber es geschah einfach. Und die meisten Protestteilnehmer gehörten nicht zu den Unterprivilegierten.
Viele Schichten der chinesischen Gesellschaft bleiben für Beobachter einfach unsichtbar.
Es wird vermutet, dass die Falun-Gong-Bewegung noch immer in China existiert. Nachdem Mitglieder der Bewegung im Jahr 1999 die oberste Führung mit einer Versammlung vor dem Gelände der Zentralregierung in Peking in Aufruhr versetzt hatten, wurde die Bewegung jahrelang mit aller Härte verfolgt. Welchen Schaden Falun Gong und andere religiöse Untergrundorganisationen anrichten könnten, ist unbekannt.
Innerhalb des Regimes ist es selbstverständlich, dass die Partei und Xi selbst ihr Bestes tun, um das Militär und die Politik unter strikter Kontrolle zu halten. Doch wie erfolgreich sie damit genau sind, wissen vermutlich nicht einmal die militärischen Geheimdienste der USA.
Und dann ist da noch die politische Führung selbst. Im Moment scheint Xi, umgeben von seinen treuen Anhängern, so mächtig wie der Vorsitzende Mao. Aber wenn wir uns an Maos letzte Jahre erinnern, fällt auf, dass es ausgerechnet sein handverlesener Nachfolger Lin Biao (林彪1907-1971) war, der einen Umsturz plante. Obwohl der Plan scheiterte, versetzte er Mao einen schweren Schlag.
Xi scheint nicht daran interessiert zu sein, einen Nachfolger zu wählen. Das heißt aber nicht, dass sich nicht jemand oder eine Gruppe von Leuten wie Lin Biao hervortreten wird.
Nachdem der ehemalige KPCh-Führer Hu Jintao im Oktober letzten Jahres öffentlich aus der Abschlusssitzung des 20. Parteikongresses geleitet wurde, löste dies eine Welle verzweifelter, aber vergeblicher Interpretationsversuche aus. Journalisten und Beobachter mussten erneut auf die pathetische Kunst der Sowjetologie zurückgreifen.
Es mag im Digitalen-Zeitalter unglaublich erscheinen, doch es ist die traurige Realität. Diplomaten, Investoren und Wissenschaftler müssen immer noch auf alle möglichen Mittel zurückgreifen, um China zu verstehen. Doch wird dies von Tag zu Tag schwerer.
Und es steht vieles auf dem Spiel.