wer sich mit China beschäftigt, muss Ambivalenzen und scheinbare Widersprüche aushalten. Schwarzweißmalerei ist auf der Suche nach Erklärungen meist nicht zielführend. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch das heutige Briefing.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine geht in seinen dritten Winter und noch immer wird über Pekings Rolle gesprochen: Friedensvermittler oder Kriegsunterstützer? Die Pläne chinesischer Firmen, Langstreckendrohnen mit russischen Partnern zu produzieren, sprechen eine eindeutige Sprache. Warum lässt die chinesische Regierung das also zu, wenn sie sich der Welt gerne als Friedensmacht präsentiert? Angela Köckritz hat die strategischen Gründe Pekings für eine Unterstützung Putins anhand der Drohnen-Thematik analysiert.
Auch deutsche Firmen stehen in China vor einer komplexen Realität. Sie befinden sich in einem historischen Stimmungstief. Das zeigt die jährliche Umfrage der Deutschen Handelskammer. Und dennoch hält es die überwältigende Mehrheit der Befragten für notwendig, in China zu bleiben. Manche wollen sogar noch mehr investieren. Wie ist das miteinander vereinbar? Jörn Petring hat die Ergebnisse ausgewertet.
Lateinamerikanische Länder kooperieren mit China intensiv, wie Xi Jinpings Besuch zuletzt gezeigt hat. Investitionen schaffen nicht nur neue Handelswege, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeiten. Doch Europäer müssen darin keine böswilligen Absichten Chinas sehen, meint Benjamin Creutzfeldt im heutigen Standpunkt. Vielmehr argumentiert der Leiter des Konfuzius-Instituts in Leipzig dafür, von Lateinamerika zu lernen.
Ich wünsche Ihnen einen informierten Start in den Tag.
China möchte sich der Welt gerne als Friedensmacht präsentieren. Warum aber lässt die chinesische Regierung dann zu, dass chinesische und russische Firmen gemeinsam Langstreckendrohnen für Russlands Feldzug produzieren? Ihre traditionelle Reaktion auf derartige Vorwürfe ist, dass sie davon nichts wisse. Man werde die Firmen untersuchen, das brauche Zeit. Sehr viel Zeit.
Es dürfte so gut wie ausgeschlossen sein, dass es sich dabei um ein staatlich gelenktes Drohnenprogramm handelt. Genauso undenkbar ist, dass die Führung darüber nicht unterrichtet ist. Laut europäischen Geheimdienstinformationen handelt es sich hier nicht etwa um ein beliebiges Kleinunternehmen, das ein paar Minidrohnen herstellen wollte.
Die Langstreckendrohne Garpiya 3, die Russland mithilfe chinesischer Experten in China produzieren lassen möchte, soll in einer monatlichen Stückzahl von 300 bis 400 Drohnen produziert werden. Das wären bis zu 4.800 Stück im Jahr, etwa ein Fünftel der gesamten russischen Drohnenproduktion. Sollte dieses Projekt Realität werden, würden chinesische Firmen den russischen Angriffskrieg massiv unterstützen.
Schon zuvor hatte dasselbe russische Rüstungsunternehmen, die IEMZ Kupol, mehr als 2.500 Stück des Vorgängermodells Garpiya 1 produziert, bei dem es sich um gewaltige Kamikazedrohnen handelt. Sie verfügen über einen chinesischen Motor und weitere chinesische Komponenten und kosteten zahlreiche Ukrainer das Leben. Die Garpiya 3 kann sogar Sprengladungen von bis zu 80 Kilogramm über eine Entfernung von mehr als 2.000 Kilometer tragen.
IEMZ Kupol ist eine Tochterfirma des staatseigenen russischen Rüstungsunternehmens Almaz-Antey. In Dokumenten, die europäischen Geheimdiensten vorliegen, berichtet Kupol dem russischen Verteidigungsministerium von den Fortschritten des Programms. Zudem wollen Kupol und dessen chinesische Geschäftspartner ihr Drohnenforschungs- und Entwicklungszentrum ausgerechnet im hyperüberwachten Kashgar in der Provinz Xinjiang entwickeln. Und natürlich hat die chinesische Regierung strengste Auflagen über die Produktion und den Export von Drohnen erlassen.
Wenn die Führung aber davon wusste, warum hat sie dieses Programm dann nicht sofort gestoppt? Schließlich hat sie doch nach außen stets betont, in diesem Konflikt neutraler Vermittler zu sein (wenngleich sie Putin politisch, wirtschaftlich und technologisch nach Kräften unterstützt). Fürchtet sie nicht, dass dadurch ihr sorgsam gepflegtes Image der neutralen Friedensmacht auf fundamentale Weise zerstört werden könnte?
“Die chinesische Regierung möchte zwar nicht, dass Putin in großem Stil gewinnt”, sagt ein britischer Sicherheitsberater, “weil ihr an territorialer Integrität doch etwas liegt.” Dass der Krieg China jedoch politischen und wirtschaftlichen Nutzen bringt, ist unbestritten. Erst durch ihn wurde Putin zum Juniorpartner Xis, erhält China russische Energie zu Discountpreisen, konnte China seine Exporte nach Russland um 60 Prozent steigern. Während Russland und der Westen in diesen Krieg verstrickt sind, nutzt China den Imagegewinn als scheinbar neutraler Vermittler.
Vor allem hält der Krieg Europäer und Amerikaner beschäftigt, bindet Aufmerksamkeit und Ressourcen, die sich sonst anderswohin richten könnten. Zum Beispiel auf Taiwan und das südchinesische Meer. Schon Barack Obama hatte im Jahr 2012 den Pivot – die strategische Ausrichtung nach Asien – erklärt, und damit programmatisch den Blick auf die geopolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts gerichtet. Zuvor hatten sich die USA 20 Jahre lang auf die Terroristenjagd konzentriert. Der Krieg gegen den Terror aber, schreibt der in Taipeh lebende Schriftsteller Stefan Thome, “verlangte andere Waffentypen, Strategien und Kompetenzen als die Konfrontation mit der Volksbefreiungsarmee, die sich im selben Zeitraum konsequent darauf vorbereitet hat”, nämlich “eine schlagkräftige Marine mit gut gefüllten Raketenarsenal.”
Diese aufzubauen, benötigt Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass etliche Kreuzer der US-Marine veraltet sind und ausgemustert werden müssen. Im Jahr 2021 erklärte deshalb ein amerikanischer Marinekommandeur in einer Senatsanhörung im Hinblick auf die Möglichkeit einer chinesischen Invasion Taiwans. “Meiner Einschätzung nach könnte Mitte bis Ende der 2020er-Jahre die Zeitspanne sein, in der ein Scheitern der Abschreckung in der Region am wahrscheinlichsten ist.” Auch für den ehemaligen australischen Premierminister und renommierten Sinologen Kevin Rudd ist das Jahrzehnt bis 2032 die “Dekade, in der man gefährlich lebt.” 2032 würde die vierte Amtszeit Xi Jinpings enden, die dieser voraussichtlich im Jahr 2027 mit dann 74 Jahren antreten wird. Xi hofft, dass sein Land bis dahin die USA als größte Volkswirtschaft abgelöst hat und zur herausragenden Militärmacht der Region aufgestiegen sein wird.
Es gibt also genug strategische Gründe, aus denen die chinesische Regierung ein chinesisch-russisches Drohnenprogramm einfach laufen lassen könnte. Sie mag darauf hoffen, dass die Nachricht einfach untergeht – das könnte im Westen schwieriger sein als im Globalen Süden, wo die chinesische Regierung in den vergangenen Jahren viel Geld in Satellitenanbieter, Medienkooperationen und Journalistenprogramme investiert hat, um einen freundlichen Resonanzraum aufzubauen. Doch wird der Globale Süden für China politisch und wirtschaftlich immer wichtiger. Die Europäer wollen genau das verhindern. Sie hoffen, China durch den drohenden Reputationsverlust zum Einlenken zu bewegen.
Garpiya, der Name der Drohne, bezieht sich übrigens auf den russischen Namen der Harpyie. Die Harpyien sind griechische Fabelwesen, halb Frau, halb Vogel, um die sich viele unheimliche Mythen ranken. Sie wohnen in einer Höhle auf Kreta und müssen auf Geheiß des Zeugs die Seelen der Toten in die Unterwelt tragen oder Leute töten, die seinen Zorn erregen.
Die Stimmung deutscher Unternehmen in China hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die diesjährige Geschäftsklima-Umfrage der Deutschen Handelskammer in China, die am Mittwoch in Shanghai präsentiert wurde, zeigt deutlicher denn je die komplexe Realität, mit der die Firmen auf dem chinesischen Markt konfrontiert sind. Denn trotz der schlechten Stimmung will eine überwältigende Mehrheit der Volksrepublik nicht den Rücken kehren.
Clas Neumann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Handelskammer in Ostchina, sagt: “Dieses Jahr war für die Mehrheit der deutschen Unternehmen schwierig, was zu einer Korrektur ihrer Geschäftserwartungen nach unten führte.” Dennoch, so Neumann, würden 92 Prozent der Firmen planen, ihre Geschäfte fortzusetzen. Und nicht nur das. Viele wollten die derzeitigen Gegebenheiten nutzen, um sich neu zu positionieren und “Chancen im Markt zu nutzen”, so Neumann.
Zunächst hatte die Kammer eine ganze Reihe negativer Ergebnisse zu verkünden:
Allerdings scheint all das für die deutschen Firmen kein Grund zum Aufgeben zu sein. Jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) plant, die Investitionen innerhalb der nächsten zwei Jahre zu erhöhen. Davon nennen 87 Prozent die Notwendigkeit, wettbewerbsfähig zu bleiben, als Hauptgrund – ein Anstieg um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr.
Laut Neumann und seinem Kollegen Maximilian Butek, dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Ostchina, setzen dabei immer mehr Firmen darauf, “mit dem Mindset eines chinesischen Unternehmens” zu arbeiten. Konkret heiße das etwa, dass immer weniger Entscheidungen zum China-Geschäft in der Zentrale daheim in Deutschland getroffen werden. Um dem hohen Tempo in China Rechnung zu tragen, werde direkt vor Ort entschieden. Zusätzlich würden Unternehmen versuchen, aus China direkt globale Märkte zu bedienen, und verfolgen so den Ansatz “in China für China, plus in China für die Welt”.
Die Kammer hat für diesen Trend noch einen weiteren neuen Begriff ersonnen. Von “Lokalisierung 3.0” als einer “bedeutenden strategischen Verschiebung” ist die Rede. Lokalisierung 1.0 habe noch darauf abgezielt, Marktzugangsbeschränkungen zu überwinden, wie etwa die Anforderung, Joint Ventures mit Partnern zu gründen. 2021 prägte die Kammer dann den Begriff Lokalisierung 2.0, um zu beschreiben, wie sich Unternehmen auf Chinas Streben nach lokaler Innovation und eine immer strengere Regulierungen einstellten.
Die Umfrage beinhaltete auch ein an die Bundesregierung gerichtetes politisches Statement. Deutlich wird dabei die Unzufriedenheit der Unternehmen mit der Arbeit Berlins. Dieser Teil war der Handelskammer so wichtig, dass sie ihn bereits am Montag – pünktlich zum Besuch von Annalena Baerbock in Peking – veröffentlichte. 73 Prozent der befragten Unternehmen wünschten sich demnach von der deutschen Regierung eine stärkere Betonung Chinas als Partner. 58 Prozent der befragten deutschen Unternehmen sehen die negative Wahrnehmung Chinas in Deutschland und der EU als besondere Herausforderung für ihr China-Geschäft.
“Das Engagement deutscher Unternehmen in China stärkt ihre Innovationskraft und globale Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Aspekt wird im öffentlichen Diskurs oft übersehen”, erklärte Oliver Oehms, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina. Die deutsche Wirtschaft erwarte von der Politik mehr Unterstützung, etwa durch gezielte Kooperationsformate, die deutsche Unternehmen in ihren Partnerschaften stärken.
US-Autobauer General Motors (GM) hat seine Aktionäre auf Belastungen im China-Geschäft von mehr als fünf Milliarden US-Dollar eingestimmt – umgerechnet rund 4,8 Milliarden Euro. Dabei geht es um Restrukturierungskosten des Joint Ventures mit SAIC Motors, die mit 2,6 bis 2,9 Milliarden Dollar zu Buche schlagen würden, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Die dadurch notwendigen Abschreibungen beliefen sich auf 2,7 Milliarden Dollar. Beide Summen seien nicht zahlungswirksam. Details nannte GM nicht.
Der US-Konzern und SAIC Motors produzieren in ihrem 1997 gegründeten Joint Venture Fahrzeuge der Marken Buick, Chevrolet und Cadillac. China war zwischen 2010 und 2013 GMs größter Absatzmarkt, in den letzten Jahren hatte der Hersteller allerdings Mühe, seine Verkäufe zu steigern. Der Marktanteil stürzte von einem Spitzenwert von fast 15 Prozent im Jahr 2015 auf 8,6 Prozent im Jahr 2023. Der chinesische Markt hat sich für GM von einem Gewinnbringer zu einem Verlustgeschäft gewandelt. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres fuhr GM in der Region Verluste von rund 350 Millionen Dollar ein.
Wie viele der etablierten Autohersteller leidet auch GM unter dem harten Preiskrieg, der auf dem chinesischen Automarkt tobt, und unter der scharfen einheimischen Konkurrenz im Segment der Elektroautos, das rapide wächst und mittlerweile 52 Prozent der Neuwagenverkäufe ausmacht. Im November wurden in China rund 1,3 Millionen NEVs (Elektroautos und Hybride) verkauft und damit im vierten Monat in Folge die Millionen-Marke geknackt. Ein Großteil dieser Fahrzeuge kommt von chinesischen Herstellern. Während BYD im November mit 504.003 Fahrzeugen wie gewohnt an der Spitze lag, gefolgt von Geely mit 122.453 Fahrzeugen, konnte das SAIC-GM-Wuling Joint Venture noch 113.998 Fahrzeuge absetzen, SAIC General Motors aber nur 6.651. rtr / jul
Die EU-Kommission bereitet eine schärfere Regulierung von Paketsendungen aus asiatischen Online-Shops wie Temu und Shein vor. Der Financial Times zufolge werden angesichts der Paketflut eine neue Steuer auf die Einnahmen von E-Commerce-Plattformen und eine Verwaltungsgebühr für Versandartikel diskutiert. Besprochen werde auch die Abschaffung der Zollfreigrenze, um Zollbehörden zu entlasten. Die Zeitung beruft sich auf fünf anonyme Quellen, die mit den Diskussionen vertraut seien.
Ziel sei es, die Wettbewerbsverzerrung für europäische Händler und die Einfuhr gefährlicher Produkte zu reduzieren. Nach Angaben von EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič werden im laufenden Jahr rund vier Milliarden Pakete mit geringem Warenwert in die EU importiert – fast dreimal so viele wie 2022.
EuroCommerce, ein Verband, der europäische Einzelhändler vertritt, begrüßte die Pläne grundsätzlich, warnte jedoch, dass eine Verwaltungsgebühr mit den Regeln der Welthandelsorganisation schwer zu vereinbaren sei. Vielmehr sollte die EU bestehende Vorschriften stärker durchsetzen, hieß es von EuroCommerce, anstatt neue Regelungen zu diskutieren, die vielleicht erst in Jahren in Kraft treten. mcl
China und Nepal bauen ihre bilateralen Beziehungen aus. Nepals Premierminister KP Sharma Oli unterzeichnete am Mittwoch in Peking eine Rahmenvereinbarung, um Kooperationen entlang der Neuen Seidenstraße zu fördern, teilte das Außenministerium mit. Zuvor hatte er mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping neun weitere Vereinbarungen unterzeichnet, die Nepal unter anderem Hilfsgelder in Höhe von umgerechnet knapp 40 Millionen Euro zusichern.
Mit seinem viertägigen Besuch in Peking, der am Donnerstag endet, bricht K.P. Sharma Oli mit der Tradition, dass nepalische Regierungschefs zunächst nach Indien reisen, ehe sie andere Staaten besuchen. Für ihn genoss die Volksrepublik Vorrang. Der Premierminister ist seit Juli 2024 im Amt.
Nepal ist seit 2017 Mitglied der Belt and Road-Initiative, doch bislang sind wenig Kooperationen entstanden. Chinesische Banken haben Nepal allerdings 216 Millionen US-Dollar für den Bau eines internationalen Flughafens in Pokhara, der zweitgrößten Stadt des Landes, 125 Kilometer westlich von Kathmandu, geliehen. Im vergangenen Jahr wurde der Betrieb aufgenommen. mcl
Der EU-Botschafter in Peking geht nicht von einem Ende der Rivalitäten mit China durch Trumps Rückkehr als US-Präsident aus. Jorge Toledo erwarte keine Änderung von Europas Sichtweise auf China als Partner, wirtschaftlichen Konkurrenten und systemischen Rivalen, sagte er in einer Rede auf dem China Global Think Tank Innovation Forum. Zuletzt hatte es Andeutungen gegeben, dass Trump durch die Verhängung von Zöllen gegen die EU den Block näher an China heranführen könnte. “Was auch immer im Weißen Haus geschieht, bedeutet nicht, dass sich unsere unfairen Handels- und Investitionsbeziehungen von selbst ändern werden”, sagte Toledo.
Im Handelsstreit zwischen der EU und China sieht Toledo den Handlungsbedarf bei Peking. Die EU sei “eindeutig” der Meinung, “dass wir nicht fair miteinander konkurrieren”. Das habe zu Handelsmaßnahmen gegen China geführt. Daher gäbe es nur dann Veränderungen in den Handels- und Investitionsbeziehungen, wenn China “Fortschritte” mache. mcl
Am 14. November eröffnete Chinas Staatschef Xi Jinping im Rahmen des APEC-Gipfels in Peru den mit 3,5 Milliarden US-Dollar finanzierten Chancay-Hafen. Dieses Projekt wird ein Katalysator für den weltweiten Handel, und insbesondere eine Schlüsselverbindung zwischen Lateinamerika und Ostasien. Peruanische Stimmen betonen, das Land habe großes Interesse an der Ausweitung chinesischer Investitionen – insbesondere in Sektoren mit hoher Wertschöpfung, die eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben können. Das klingt nicht nach “Schuldenfalle”, das ist zukunftsträchtige Anbindung.
Während Xi in Peru einen “intelligenten” Hightech-Hafen eröffnete, übersah US-Außenminister Antony Blinken nur wenige Kilometer entfernt eine Zeremonie, bei der dem Andenstaat gebrauchte Diesellokomotiven aus den 1980er-Jahren im Wert von sechs Millionen Dollar überstellt wurden. Für die Transportkosten in Höhe von 24 Millionen Dollar musste der Andenstaat selbst aufkommen.
Der Kontrast könnte kaum markanter sein. Er zeigt auf, wie Peking aktiv den geopolitischen und wirtschaftlichen Raum in Lateinamerika neu gestaltet – einer Region, die lange Zeit als “Hinterhof” der USA galt.
Kurz darauf – zum Gipfel der G20 in Brasilien – unterstrich Xi Jinping die Bedeutung der Belt and Road Initiative (BRI), die auf die Diversifizierung von Handelsrouten abzielt und gleichzeitig als Plattform für gemeinsame Entwicklung positioniert wird. Obwohl Brasilien selbst nicht formeller Teilnehmer der BRI ist, zieht das Land dennoch erhebliche chinesische Investitionen in Bereichen wie erneuerbaren Energien und der Produktion von Elektrofahrzeugen an.
Es ist wahr, dass diese Investitionen nicht nur neue Handelswege schaffen, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeiten, die Chinas Einfluss in der Region stärken. Und trotz vieler Erfolge Chinas sind nicht alle Projekte reibungslos verlaufen: Infrastrukturprojekte wie ein Wasserkraftwerk in Ecuador litten unter Qualitätsproblemen und versprochene Investitionen wurden nicht immer in vollem Umfang realisiert. Dennoch bleibt China eine attraktive Option für Länder, die nach Alternativen zur traditionellen Abhängigkeit von den USA suchen.
Doch die USA fühlen sich auf den Schlips getreten: Chinas wachsender Einfluss wird als Bedrohung für die US-Hegemonie wahrgenommen. Während Washington auf protektionistische Maßnahmen und Zolltarife setzt, erweitert Peking sein Netzwerk durch Investitionen und Partnerschaften. China positioniert sich als Fürsprecher von Globalisierung und Handelsliberalisierung, ein Narrativ, das insbesondere in Zeiten von US-Protektionismus und Trumps “America First”-Politik an Attraktivität gewinnt. In Peru sprach Xi von der Notwendigkeit, wirtschaftliche Kooperation zu fördern und protektionistische Tendenzen zu überwinden.
Was bedeutet das für Europa? Wenn man es mit dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides hält, dann steigern sich Spannungen zwischen dem Hegemon und der aufsteigenden Macht unweigerlich zu einem Krieg, und Drittstaaten werden gezwungen, Partei zu ergreifen. Doch griechische Geschichte lässt sich nicht 1:1 auf den Rest der Welt übertragen. China sucht keinen Krieg. Und wenn westliche Staaten dieses Grundprinzip akzeptieren würden, könnten sie weniger Böswilligkeit hinter jeder chinesischen Investition auf dem Kontinent vermuten.
Ein ganz anderes Szenario ergibt sich, wenn wir uns in die Zeit der Drei Reiche am Ende der Han-Dynastie zurückversetzen: Als Alternativtheorie zur “Thukydides-Falle” spricht das “Yizhou Dilemma” von Symboldiplomatie, um direkte Konfrontationen zu vermeiden, und empfiehlt Drittstaaten aktive Blockfreiheit. Das bedeutet für Lateinamerika, sich nicht eindeutig zuzuordnen, die Welt nicht auf ein simplistisches Schwarz-Weiß zu reduzieren, auf demokratische und autoritäre Kontrahenten.
Diversität gibt es nicht nur auf gesellschaftlichem Niveau, sondern im globalen Geschehen noch viel mehr! Zu den Krisen in Gaza und der Ukraine vertreten lateinamerikanischen Länder unterschiedliche Ansichten, was die Diversität der politischen Landschaften und Prioritäten der Region widerspiegelt. Deshalb ist es für Europa so wichtig, mit den einzelnen Akteuren sehr individuelle Beziehungen aufzubauen.
Den Weg zu einem transformativen Wandel in der globalen Ordnung zu beschreiten und dabei die unterschiedlichen Standpunkte und komplexen Realitäten dieser Länder zu respektieren, bleibt eine Herausforderung. Da kann Europa viel von Lateinamerika lernen, und jenen Ländern zugleich helfen, ihre strategische Unabhängigkeit zu wahren und auszubauen.
Benjamin Creutzfeldt leitet das Konfuzius-Institut in Leipzig. Er promovierte an der Universidad Externado de Colombia in Bogotá zu den Beziehungen Chinas zu Lateinamerika und war Postdoctoral Fellow an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington. Neben seiner akademischen Karriere arbeitete er außerdem für das Auktionshaus Christies als Kunstexperte und Versteigerer für chinesisches Porzellan.
Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute – mehr denn je – kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.
Lukas Dlugajczyk ist seit Oktober Manager im Produktmanagement Strategy and Operations bei FAW-Volkswagen. Dlugajczyk war zuvor drei Jahre bei Volkswagen in Anhui als Manager of Quality für Elektrik und Elektronikteile tätig. Sein neuer Einsatzort ist Changchun, Jilin.
Stefan Jaeger ist seit November General Manager beim bayerischen Photovoltaikanbieter Schletter in Shanghai. Der Chemieingenieur war zuvor sechs Jahre beim österreichischen Elektronik-Konzern AT&S tätig, zuletzt als Senior Director Technology Development and Industrialisation.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Wir kennen Papiertiger und Stubentiger, in China kann man auch auf “Wandtiger” treffen (壁 bì “Mauer, Wand, Felswand”; 虎 hǔ wie in 老虎 Lǎohǔ “Tiger”). Keine Angst aber: Anders als das Wort vielleicht mutmaßen lässt, handelt es sich eher um harmlose “Tigerchen”, gemeint sind nämlich Geckos bzw. Salamander.
Lust auf mehr? www.new-chinese.org
wer sich mit China beschäftigt, muss Ambivalenzen und scheinbare Widersprüche aushalten. Schwarzweißmalerei ist auf der Suche nach Erklärungen meist nicht zielführend. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch das heutige Briefing.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine geht in seinen dritten Winter und noch immer wird über Pekings Rolle gesprochen: Friedensvermittler oder Kriegsunterstützer? Die Pläne chinesischer Firmen, Langstreckendrohnen mit russischen Partnern zu produzieren, sprechen eine eindeutige Sprache. Warum lässt die chinesische Regierung das also zu, wenn sie sich der Welt gerne als Friedensmacht präsentiert? Angela Köckritz hat die strategischen Gründe Pekings für eine Unterstützung Putins anhand der Drohnen-Thematik analysiert.
Auch deutsche Firmen stehen in China vor einer komplexen Realität. Sie befinden sich in einem historischen Stimmungstief. Das zeigt die jährliche Umfrage der Deutschen Handelskammer. Und dennoch hält es die überwältigende Mehrheit der Befragten für notwendig, in China zu bleiben. Manche wollen sogar noch mehr investieren. Wie ist das miteinander vereinbar? Jörn Petring hat die Ergebnisse ausgewertet.
Lateinamerikanische Länder kooperieren mit China intensiv, wie Xi Jinpings Besuch zuletzt gezeigt hat. Investitionen schaffen nicht nur neue Handelswege, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeiten. Doch Europäer müssen darin keine böswilligen Absichten Chinas sehen, meint Benjamin Creutzfeldt im heutigen Standpunkt. Vielmehr argumentiert der Leiter des Konfuzius-Instituts in Leipzig dafür, von Lateinamerika zu lernen.
Ich wünsche Ihnen einen informierten Start in den Tag.
China möchte sich der Welt gerne als Friedensmacht präsentieren. Warum aber lässt die chinesische Regierung dann zu, dass chinesische und russische Firmen gemeinsam Langstreckendrohnen für Russlands Feldzug produzieren? Ihre traditionelle Reaktion auf derartige Vorwürfe ist, dass sie davon nichts wisse. Man werde die Firmen untersuchen, das brauche Zeit. Sehr viel Zeit.
Es dürfte so gut wie ausgeschlossen sein, dass es sich dabei um ein staatlich gelenktes Drohnenprogramm handelt. Genauso undenkbar ist, dass die Führung darüber nicht unterrichtet ist. Laut europäischen Geheimdienstinformationen handelt es sich hier nicht etwa um ein beliebiges Kleinunternehmen, das ein paar Minidrohnen herstellen wollte.
Die Langstreckendrohne Garpiya 3, die Russland mithilfe chinesischer Experten in China produzieren lassen möchte, soll in einer monatlichen Stückzahl von 300 bis 400 Drohnen produziert werden. Das wären bis zu 4.800 Stück im Jahr, etwa ein Fünftel der gesamten russischen Drohnenproduktion. Sollte dieses Projekt Realität werden, würden chinesische Firmen den russischen Angriffskrieg massiv unterstützen.
Schon zuvor hatte dasselbe russische Rüstungsunternehmen, die IEMZ Kupol, mehr als 2.500 Stück des Vorgängermodells Garpiya 1 produziert, bei dem es sich um gewaltige Kamikazedrohnen handelt. Sie verfügen über einen chinesischen Motor und weitere chinesische Komponenten und kosteten zahlreiche Ukrainer das Leben. Die Garpiya 3 kann sogar Sprengladungen von bis zu 80 Kilogramm über eine Entfernung von mehr als 2.000 Kilometer tragen.
IEMZ Kupol ist eine Tochterfirma des staatseigenen russischen Rüstungsunternehmens Almaz-Antey. In Dokumenten, die europäischen Geheimdiensten vorliegen, berichtet Kupol dem russischen Verteidigungsministerium von den Fortschritten des Programms. Zudem wollen Kupol und dessen chinesische Geschäftspartner ihr Drohnenforschungs- und Entwicklungszentrum ausgerechnet im hyperüberwachten Kashgar in der Provinz Xinjiang entwickeln. Und natürlich hat die chinesische Regierung strengste Auflagen über die Produktion und den Export von Drohnen erlassen.
Wenn die Führung aber davon wusste, warum hat sie dieses Programm dann nicht sofort gestoppt? Schließlich hat sie doch nach außen stets betont, in diesem Konflikt neutraler Vermittler zu sein (wenngleich sie Putin politisch, wirtschaftlich und technologisch nach Kräften unterstützt). Fürchtet sie nicht, dass dadurch ihr sorgsam gepflegtes Image der neutralen Friedensmacht auf fundamentale Weise zerstört werden könnte?
“Die chinesische Regierung möchte zwar nicht, dass Putin in großem Stil gewinnt”, sagt ein britischer Sicherheitsberater, “weil ihr an territorialer Integrität doch etwas liegt.” Dass der Krieg China jedoch politischen und wirtschaftlichen Nutzen bringt, ist unbestritten. Erst durch ihn wurde Putin zum Juniorpartner Xis, erhält China russische Energie zu Discountpreisen, konnte China seine Exporte nach Russland um 60 Prozent steigern. Während Russland und der Westen in diesen Krieg verstrickt sind, nutzt China den Imagegewinn als scheinbar neutraler Vermittler.
Vor allem hält der Krieg Europäer und Amerikaner beschäftigt, bindet Aufmerksamkeit und Ressourcen, die sich sonst anderswohin richten könnten. Zum Beispiel auf Taiwan und das südchinesische Meer. Schon Barack Obama hatte im Jahr 2012 den Pivot – die strategische Ausrichtung nach Asien – erklärt, und damit programmatisch den Blick auf die geopolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts gerichtet. Zuvor hatten sich die USA 20 Jahre lang auf die Terroristenjagd konzentriert. Der Krieg gegen den Terror aber, schreibt der in Taipeh lebende Schriftsteller Stefan Thome, “verlangte andere Waffentypen, Strategien und Kompetenzen als die Konfrontation mit der Volksbefreiungsarmee, die sich im selben Zeitraum konsequent darauf vorbereitet hat”, nämlich “eine schlagkräftige Marine mit gut gefüllten Raketenarsenal.”
Diese aufzubauen, benötigt Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass etliche Kreuzer der US-Marine veraltet sind und ausgemustert werden müssen. Im Jahr 2021 erklärte deshalb ein amerikanischer Marinekommandeur in einer Senatsanhörung im Hinblick auf die Möglichkeit einer chinesischen Invasion Taiwans. “Meiner Einschätzung nach könnte Mitte bis Ende der 2020er-Jahre die Zeitspanne sein, in der ein Scheitern der Abschreckung in der Region am wahrscheinlichsten ist.” Auch für den ehemaligen australischen Premierminister und renommierten Sinologen Kevin Rudd ist das Jahrzehnt bis 2032 die “Dekade, in der man gefährlich lebt.” 2032 würde die vierte Amtszeit Xi Jinpings enden, die dieser voraussichtlich im Jahr 2027 mit dann 74 Jahren antreten wird. Xi hofft, dass sein Land bis dahin die USA als größte Volkswirtschaft abgelöst hat und zur herausragenden Militärmacht der Region aufgestiegen sein wird.
Es gibt also genug strategische Gründe, aus denen die chinesische Regierung ein chinesisch-russisches Drohnenprogramm einfach laufen lassen könnte. Sie mag darauf hoffen, dass die Nachricht einfach untergeht – das könnte im Westen schwieriger sein als im Globalen Süden, wo die chinesische Regierung in den vergangenen Jahren viel Geld in Satellitenanbieter, Medienkooperationen und Journalistenprogramme investiert hat, um einen freundlichen Resonanzraum aufzubauen. Doch wird der Globale Süden für China politisch und wirtschaftlich immer wichtiger. Die Europäer wollen genau das verhindern. Sie hoffen, China durch den drohenden Reputationsverlust zum Einlenken zu bewegen.
Garpiya, der Name der Drohne, bezieht sich übrigens auf den russischen Namen der Harpyie. Die Harpyien sind griechische Fabelwesen, halb Frau, halb Vogel, um die sich viele unheimliche Mythen ranken. Sie wohnen in einer Höhle auf Kreta und müssen auf Geheiß des Zeugs die Seelen der Toten in die Unterwelt tragen oder Leute töten, die seinen Zorn erregen.
Die Stimmung deutscher Unternehmen in China hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die diesjährige Geschäftsklima-Umfrage der Deutschen Handelskammer in China, die am Mittwoch in Shanghai präsentiert wurde, zeigt deutlicher denn je die komplexe Realität, mit der die Firmen auf dem chinesischen Markt konfrontiert sind. Denn trotz der schlechten Stimmung will eine überwältigende Mehrheit der Volksrepublik nicht den Rücken kehren.
Clas Neumann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Handelskammer in Ostchina, sagt: “Dieses Jahr war für die Mehrheit der deutschen Unternehmen schwierig, was zu einer Korrektur ihrer Geschäftserwartungen nach unten führte.” Dennoch, so Neumann, würden 92 Prozent der Firmen planen, ihre Geschäfte fortzusetzen. Und nicht nur das. Viele wollten die derzeitigen Gegebenheiten nutzen, um sich neu zu positionieren und “Chancen im Markt zu nutzen”, so Neumann.
Zunächst hatte die Kammer eine ganze Reihe negativer Ergebnisse zu verkünden:
Allerdings scheint all das für die deutschen Firmen kein Grund zum Aufgeben zu sein. Jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) plant, die Investitionen innerhalb der nächsten zwei Jahre zu erhöhen. Davon nennen 87 Prozent die Notwendigkeit, wettbewerbsfähig zu bleiben, als Hauptgrund – ein Anstieg um acht Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr.
Laut Neumann und seinem Kollegen Maximilian Butek, dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Ostchina, setzen dabei immer mehr Firmen darauf, “mit dem Mindset eines chinesischen Unternehmens” zu arbeiten. Konkret heiße das etwa, dass immer weniger Entscheidungen zum China-Geschäft in der Zentrale daheim in Deutschland getroffen werden. Um dem hohen Tempo in China Rechnung zu tragen, werde direkt vor Ort entschieden. Zusätzlich würden Unternehmen versuchen, aus China direkt globale Märkte zu bedienen, und verfolgen so den Ansatz “in China für China, plus in China für die Welt”.
Die Kammer hat für diesen Trend noch einen weiteren neuen Begriff ersonnen. Von “Lokalisierung 3.0” als einer “bedeutenden strategischen Verschiebung” ist die Rede. Lokalisierung 1.0 habe noch darauf abgezielt, Marktzugangsbeschränkungen zu überwinden, wie etwa die Anforderung, Joint Ventures mit Partnern zu gründen. 2021 prägte die Kammer dann den Begriff Lokalisierung 2.0, um zu beschreiben, wie sich Unternehmen auf Chinas Streben nach lokaler Innovation und eine immer strengere Regulierungen einstellten.
Die Umfrage beinhaltete auch ein an die Bundesregierung gerichtetes politisches Statement. Deutlich wird dabei die Unzufriedenheit der Unternehmen mit der Arbeit Berlins. Dieser Teil war der Handelskammer so wichtig, dass sie ihn bereits am Montag – pünktlich zum Besuch von Annalena Baerbock in Peking – veröffentlichte. 73 Prozent der befragten Unternehmen wünschten sich demnach von der deutschen Regierung eine stärkere Betonung Chinas als Partner. 58 Prozent der befragten deutschen Unternehmen sehen die negative Wahrnehmung Chinas in Deutschland und der EU als besondere Herausforderung für ihr China-Geschäft.
“Das Engagement deutscher Unternehmen in China stärkt ihre Innovationskraft und globale Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Aspekt wird im öffentlichen Diskurs oft übersehen”, erklärte Oliver Oehms, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina. Die deutsche Wirtschaft erwarte von der Politik mehr Unterstützung, etwa durch gezielte Kooperationsformate, die deutsche Unternehmen in ihren Partnerschaften stärken.
US-Autobauer General Motors (GM) hat seine Aktionäre auf Belastungen im China-Geschäft von mehr als fünf Milliarden US-Dollar eingestimmt – umgerechnet rund 4,8 Milliarden Euro. Dabei geht es um Restrukturierungskosten des Joint Ventures mit SAIC Motors, die mit 2,6 bis 2,9 Milliarden Dollar zu Buche schlagen würden, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Die dadurch notwendigen Abschreibungen beliefen sich auf 2,7 Milliarden Dollar. Beide Summen seien nicht zahlungswirksam. Details nannte GM nicht.
Der US-Konzern und SAIC Motors produzieren in ihrem 1997 gegründeten Joint Venture Fahrzeuge der Marken Buick, Chevrolet und Cadillac. China war zwischen 2010 und 2013 GMs größter Absatzmarkt, in den letzten Jahren hatte der Hersteller allerdings Mühe, seine Verkäufe zu steigern. Der Marktanteil stürzte von einem Spitzenwert von fast 15 Prozent im Jahr 2015 auf 8,6 Prozent im Jahr 2023. Der chinesische Markt hat sich für GM von einem Gewinnbringer zu einem Verlustgeschäft gewandelt. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres fuhr GM in der Region Verluste von rund 350 Millionen Dollar ein.
Wie viele der etablierten Autohersteller leidet auch GM unter dem harten Preiskrieg, der auf dem chinesischen Automarkt tobt, und unter der scharfen einheimischen Konkurrenz im Segment der Elektroautos, das rapide wächst und mittlerweile 52 Prozent der Neuwagenverkäufe ausmacht. Im November wurden in China rund 1,3 Millionen NEVs (Elektroautos und Hybride) verkauft und damit im vierten Monat in Folge die Millionen-Marke geknackt. Ein Großteil dieser Fahrzeuge kommt von chinesischen Herstellern. Während BYD im November mit 504.003 Fahrzeugen wie gewohnt an der Spitze lag, gefolgt von Geely mit 122.453 Fahrzeugen, konnte das SAIC-GM-Wuling Joint Venture noch 113.998 Fahrzeuge absetzen, SAIC General Motors aber nur 6.651. rtr / jul
Die EU-Kommission bereitet eine schärfere Regulierung von Paketsendungen aus asiatischen Online-Shops wie Temu und Shein vor. Der Financial Times zufolge werden angesichts der Paketflut eine neue Steuer auf die Einnahmen von E-Commerce-Plattformen und eine Verwaltungsgebühr für Versandartikel diskutiert. Besprochen werde auch die Abschaffung der Zollfreigrenze, um Zollbehörden zu entlasten. Die Zeitung beruft sich auf fünf anonyme Quellen, die mit den Diskussionen vertraut seien.
Ziel sei es, die Wettbewerbsverzerrung für europäische Händler und die Einfuhr gefährlicher Produkte zu reduzieren. Nach Angaben von EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič werden im laufenden Jahr rund vier Milliarden Pakete mit geringem Warenwert in die EU importiert – fast dreimal so viele wie 2022.
EuroCommerce, ein Verband, der europäische Einzelhändler vertritt, begrüßte die Pläne grundsätzlich, warnte jedoch, dass eine Verwaltungsgebühr mit den Regeln der Welthandelsorganisation schwer zu vereinbaren sei. Vielmehr sollte die EU bestehende Vorschriften stärker durchsetzen, hieß es von EuroCommerce, anstatt neue Regelungen zu diskutieren, die vielleicht erst in Jahren in Kraft treten. mcl
China und Nepal bauen ihre bilateralen Beziehungen aus. Nepals Premierminister KP Sharma Oli unterzeichnete am Mittwoch in Peking eine Rahmenvereinbarung, um Kooperationen entlang der Neuen Seidenstraße zu fördern, teilte das Außenministerium mit. Zuvor hatte er mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping neun weitere Vereinbarungen unterzeichnet, die Nepal unter anderem Hilfsgelder in Höhe von umgerechnet knapp 40 Millionen Euro zusichern.
Mit seinem viertägigen Besuch in Peking, der am Donnerstag endet, bricht K.P. Sharma Oli mit der Tradition, dass nepalische Regierungschefs zunächst nach Indien reisen, ehe sie andere Staaten besuchen. Für ihn genoss die Volksrepublik Vorrang. Der Premierminister ist seit Juli 2024 im Amt.
Nepal ist seit 2017 Mitglied der Belt and Road-Initiative, doch bislang sind wenig Kooperationen entstanden. Chinesische Banken haben Nepal allerdings 216 Millionen US-Dollar für den Bau eines internationalen Flughafens in Pokhara, der zweitgrößten Stadt des Landes, 125 Kilometer westlich von Kathmandu, geliehen. Im vergangenen Jahr wurde der Betrieb aufgenommen. mcl
Der EU-Botschafter in Peking geht nicht von einem Ende der Rivalitäten mit China durch Trumps Rückkehr als US-Präsident aus. Jorge Toledo erwarte keine Änderung von Europas Sichtweise auf China als Partner, wirtschaftlichen Konkurrenten und systemischen Rivalen, sagte er in einer Rede auf dem China Global Think Tank Innovation Forum. Zuletzt hatte es Andeutungen gegeben, dass Trump durch die Verhängung von Zöllen gegen die EU den Block näher an China heranführen könnte. “Was auch immer im Weißen Haus geschieht, bedeutet nicht, dass sich unsere unfairen Handels- und Investitionsbeziehungen von selbst ändern werden”, sagte Toledo.
Im Handelsstreit zwischen der EU und China sieht Toledo den Handlungsbedarf bei Peking. Die EU sei “eindeutig” der Meinung, “dass wir nicht fair miteinander konkurrieren”. Das habe zu Handelsmaßnahmen gegen China geführt. Daher gäbe es nur dann Veränderungen in den Handels- und Investitionsbeziehungen, wenn China “Fortschritte” mache. mcl
Am 14. November eröffnete Chinas Staatschef Xi Jinping im Rahmen des APEC-Gipfels in Peru den mit 3,5 Milliarden US-Dollar finanzierten Chancay-Hafen. Dieses Projekt wird ein Katalysator für den weltweiten Handel, und insbesondere eine Schlüsselverbindung zwischen Lateinamerika und Ostasien. Peruanische Stimmen betonen, das Land habe großes Interesse an der Ausweitung chinesischer Investitionen – insbesondere in Sektoren mit hoher Wertschöpfung, die eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben können. Das klingt nicht nach “Schuldenfalle”, das ist zukunftsträchtige Anbindung.
Während Xi in Peru einen “intelligenten” Hightech-Hafen eröffnete, übersah US-Außenminister Antony Blinken nur wenige Kilometer entfernt eine Zeremonie, bei der dem Andenstaat gebrauchte Diesellokomotiven aus den 1980er-Jahren im Wert von sechs Millionen Dollar überstellt wurden. Für die Transportkosten in Höhe von 24 Millionen Dollar musste der Andenstaat selbst aufkommen.
Der Kontrast könnte kaum markanter sein. Er zeigt auf, wie Peking aktiv den geopolitischen und wirtschaftlichen Raum in Lateinamerika neu gestaltet – einer Region, die lange Zeit als “Hinterhof” der USA galt.
Kurz darauf – zum Gipfel der G20 in Brasilien – unterstrich Xi Jinping die Bedeutung der Belt and Road Initiative (BRI), die auf die Diversifizierung von Handelsrouten abzielt und gleichzeitig als Plattform für gemeinsame Entwicklung positioniert wird. Obwohl Brasilien selbst nicht formeller Teilnehmer der BRI ist, zieht das Land dennoch erhebliche chinesische Investitionen in Bereichen wie erneuerbaren Energien und der Produktion von Elektrofahrzeugen an.
Es ist wahr, dass diese Investitionen nicht nur neue Handelswege schaffen, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeiten, die Chinas Einfluss in der Region stärken. Und trotz vieler Erfolge Chinas sind nicht alle Projekte reibungslos verlaufen: Infrastrukturprojekte wie ein Wasserkraftwerk in Ecuador litten unter Qualitätsproblemen und versprochene Investitionen wurden nicht immer in vollem Umfang realisiert. Dennoch bleibt China eine attraktive Option für Länder, die nach Alternativen zur traditionellen Abhängigkeit von den USA suchen.
Doch die USA fühlen sich auf den Schlips getreten: Chinas wachsender Einfluss wird als Bedrohung für die US-Hegemonie wahrgenommen. Während Washington auf protektionistische Maßnahmen und Zolltarife setzt, erweitert Peking sein Netzwerk durch Investitionen und Partnerschaften. China positioniert sich als Fürsprecher von Globalisierung und Handelsliberalisierung, ein Narrativ, das insbesondere in Zeiten von US-Protektionismus und Trumps “America First”-Politik an Attraktivität gewinnt. In Peru sprach Xi von der Notwendigkeit, wirtschaftliche Kooperation zu fördern und protektionistische Tendenzen zu überwinden.
Was bedeutet das für Europa? Wenn man es mit dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides hält, dann steigern sich Spannungen zwischen dem Hegemon und der aufsteigenden Macht unweigerlich zu einem Krieg, und Drittstaaten werden gezwungen, Partei zu ergreifen. Doch griechische Geschichte lässt sich nicht 1:1 auf den Rest der Welt übertragen. China sucht keinen Krieg. Und wenn westliche Staaten dieses Grundprinzip akzeptieren würden, könnten sie weniger Böswilligkeit hinter jeder chinesischen Investition auf dem Kontinent vermuten.
Ein ganz anderes Szenario ergibt sich, wenn wir uns in die Zeit der Drei Reiche am Ende der Han-Dynastie zurückversetzen: Als Alternativtheorie zur “Thukydides-Falle” spricht das “Yizhou Dilemma” von Symboldiplomatie, um direkte Konfrontationen zu vermeiden, und empfiehlt Drittstaaten aktive Blockfreiheit. Das bedeutet für Lateinamerika, sich nicht eindeutig zuzuordnen, die Welt nicht auf ein simplistisches Schwarz-Weiß zu reduzieren, auf demokratische und autoritäre Kontrahenten.
Diversität gibt es nicht nur auf gesellschaftlichem Niveau, sondern im globalen Geschehen noch viel mehr! Zu den Krisen in Gaza und der Ukraine vertreten lateinamerikanischen Länder unterschiedliche Ansichten, was die Diversität der politischen Landschaften und Prioritäten der Region widerspiegelt. Deshalb ist es für Europa so wichtig, mit den einzelnen Akteuren sehr individuelle Beziehungen aufzubauen.
Den Weg zu einem transformativen Wandel in der globalen Ordnung zu beschreiten und dabei die unterschiedlichen Standpunkte und komplexen Realitäten dieser Länder zu respektieren, bleibt eine Herausforderung. Da kann Europa viel von Lateinamerika lernen, und jenen Ländern zugleich helfen, ihre strategische Unabhängigkeit zu wahren und auszubauen.
Benjamin Creutzfeldt leitet das Konfuzius-Institut in Leipzig. Er promovierte an der Universidad Externado de Colombia in Bogotá zu den Beziehungen Chinas zu Lateinamerika und war Postdoctoral Fellow an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington. Neben seiner akademischen Karriere arbeitete er außerdem für das Auktionshaus Christies als Kunstexperte und Versteigerer für chinesisches Porzellan.
Hinweis der Redaktion: Über China zu diskutieren heißt heute – mehr denn je – kontrovers debattieren. Wir möchten die Vielfalt der Standpunkte abbilden, damit Sie einen Einblick in die Breite der Debatte gewinnen können. Standpunkte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider.
Lukas Dlugajczyk ist seit Oktober Manager im Produktmanagement Strategy and Operations bei FAW-Volkswagen. Dlugajczyk war zuvor drei Jahre bei Volkswagen in Anhui als Manager of Quality für Elektrik und Elektronikteile tätig. Sein neuer Einsatzort ist Changchun, Jilin.
Stefan Jaeger ist seit November General Manager beim bayerischen Photovoltaikanbieter Schletter in Shanghai. Der Chemieingenieur war zuvor sechs Jahre beim österreichischen Elektronik-Konzern AT&S tätig, zuletzt als Senior Director Technology Development and Industrialisation.
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Wir kennen Papiertiger und Stubentiger, in China kann man auch auf “Wandtiger” treffen (壁 bì “Mauer, Wand, Felswand”; 虎 hǔ wie in 老虎 Lǎohǔ “Tiger”). Keine Angst aber: Anders als das Wort vielleicht mutmaßen lässt, handelt es sich eher um harmlose “Tigerchen”, gemeint sind nämlich Geckos bzw. Salamander.
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