Table.Briefing: China

Jagd auf Banker + Exterritoriale Gesetze

  • Bankenchefs im Visier der Ermittler
  • Pekings Gesetze sollen überall gelten
  • Nur Nordkoreas Presse weniger frei als in China
  • Hongkongs Bezirksräte weniger demokratisch
  • “Enge Freundschaft” mit Myanmars Generälen
  • China verbietet zunehmend die Ausreise
  • Uiguren appellieren an BASF-Vorstand
  • EU-Parlament fürchtet chinesische Desinformation
  • Standpunkt: Loyalitätsdruck und digitale Indoktrination
Liebe Leserin, lieber Leser,

auf der Strecke bleibt derzeit die Hoffnung vieler westlicher Investoren, dass die Zeit regulatorischer Crackdowns nach der Pandemie in China vorbei sein könnte. Unter dem Mantel seiner Anti-Korruptionskampagne hält Xi Jinping die Zügel jedoch weiter straff: Nach dem Tech-Sektor ist nun die Welt der Banken ins Visier der gefürchteten Zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei (CCDI) geraten, Pekings Vollstrecker in Sachen Korruption.

So viele Strafen für hochrangige Regierungsbeamte und Manager habe es in China in so kurzer Zeit noch nicht gegeben, schreibt Jörn Petring. Allein im März wurden Ermittlungen gegen acht führende Manager staatlicher Finanzinstitute eingeleitet. Dass es dabei immer schön rechtsstaatlich zugeht, wie China behauptet, darf man getrost ins Reich der Fabeln verweisen.

Wie gewohnt, schwingt bei dem Vorstoß auch eine ideologische Komponente mit. Die Disziplinarkommission wirft den Bankern unter anderem “Hedonismus” und einen unangemessen “luxuriösen Lebensstil” vor. Damit widersprechen sie dem Geist vom “allgemeinen Wohlstand”, den sich Xi Jinping nach wie vor wie kaum etwas anderes auf die Fahnen geschrieben hat.

Vergangene Woche war derweil bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird, schreibt Marcel Grzanna. Die Anklage zeigt: Peking will seine Interessen im Ausland durch seine Gesetze im Inland wahren.

Ihr
Fabian Peltsch
Bild von Fabian  Peltsch

Analyse

Die Partei geht gegen Finanzelite vor

Liu Liange – bis März Vorstandsvorsitzender der Bank of China (BOC) – ist der bekannteste Manager, gegen den die Disziplinarkommission der KP derzeit ermittelt.

Chinas Finanzbranche ist in Alarmstimmung. Die Regierung hat zuletzt gleich mehrere Top-Manager von Banken und anderen Instituten ins Visier genommen. Pekings Vollstrecker ist die gefürchtete Zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei (CCDI). Sie hat eine Kampagne gestartet, um Fehlverhalten in der Branche “entschlossen” zu bekämpfen. 

Laut CCDI wurde kürzlich eine Rekordzahl von Inspektionen bei mehr als 30 staatlichen Konzernen in Sektoren wie Finanzen, Verteidigung und Energie eingeleitet. Es geht vor allem um die Finanzinstitute. Chinesische Staatsmedien berichteten, dass vor dem Hintergrund einer “intensivierten Antikorruptionskampagne” allein im März Ermittlungen gegen acht führende Manager staatlicher Banken eingeleitet worden seien. Laut Financial Times wurden seit Februar sogar mehr als ein Dutzend Manager untersucht oder bestraft. 

So viele Strafen wie noch nie

Der Kampf gegen Korruption ist unter Präsident Xi Jinping freilich nicht neu. Seit Jahren verhängen die Behörden immer wieder harte Strafen gegen hochrangige Regierungsbeamte und Manager. Doch so viele in so kurzer Zeit hat es im Bankensektor noch nicht gegeben.

Der bekannteste Manager, gegen den die CCDI nun ermittelt, ist Liu Liange. Der 61-Jährige war bis März Vorstandsvorsitzender der Bank of China (BOC). Auch gegen Wang Jianhong, den ehemaligen Leiter der Pekinger BOC-Niederlassung, ermittelt die CCDI. Zudem ist Zhao Zhiran, der bisher für die China Construction Bank in Shenzhen verantwortlich war, ins Visier der Behörden geraten. Bereits angeklagt ist Li Li, der ehemalige Präsident der Export-Import Bank of China. Ihm wird vorgeworfen, Bestechungsgelder angenommen zu haben. 

Investoren werden skeptisch

Für Aufsehen sorgte im Februar auch das Verschwinden von Bao Fan. Der chinesische Milliardär und Chef des an der Hongkonger Börse notierten Finanzunternehmens Renaissance ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Bao Fans Familie sei informiert worden, dass der 53-Jährige in eine Untersuchung verwickelt sei, berichtete Bloomberg.

Branchenkenner vermuten, dass Baos Verschwinden mit den Problemen eines anderen Renaissance-Managers namens Cong Lin zusammenhängt. Dieser war im September verhaftet worden. Gegen ihn werde im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit für den Finanzleasingarm der staatlichen Industrial and Commercial Bank (ICBC) ermittelt, berichtete das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin.

Ausländische Investoren beobachten das Geschehen im chinesischen Finanzsektor sehr genau. Sie haben gerade erst mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass der gut zweijährige regulatorische Crackdown gegen den Technologiesektor beendet wurde. Generell ist die Hoffnung groß, dass Peking nach der Corona-Eröffnung endlich die Zügel lockert und dem Pragmatismus den Vorzug gibt. 

Reiche und Privatwirtschaft verunsichert

Zwar argumentiert etwa die staatliche Global Times, dass der aktuelle Crackdown notwendig sei, um Finanzrisiken wie zuletzt bei den US-Regionalbanken zu vermeiden. Allerdings schwingt auch viel Ideologie mit. So kritisiert die Disziplinarkommission den “Hedonismus” und den unangemessenen “luxuriösen Lebensstil” der Branche. Eine Wortwahl also, die an Xi Jinpings “allgemeinen Wohlstand” erinnert. 

Diesen Slogan, der auf eine gerechtere Umverteilung des Reichtums abzielt, hatte der Präsident auf dem Parteikongress im vergangenen Herbst gleich viermal verwendet und damit für große Verunsicherung bei reichen Chinesen und in der Privatwirtschaft gesorgt. Viele chinesische Banken reagierten bereits damals mit Gehalts- und Bonuskürzungen für ihre Spitzenmanager. 

  • Finanzen
  • KP Chinas

Pekings Justiz greift nach Taiwanern

Die Nachrichten von zwei Festnahmen beunruhigen Taiwan. Seit mehreren Monaten schon befinden sich ein taiwanischer Verleger und ein Aktivist in chinesischer Haft. Erst jetzt wurden Einzelheiten der Fälle publik, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich sind sie Ausdruck eines Selbstverständnisses der chinesischen Justiz, über taiwanische Staatsbürger Recht sprechen zu dürfen wie über die eigenen Bürger.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird.

Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt

Wenige Tage zuvor hatte zudem die Familie des Verlegers Li Yanhe darüber informiert, dass der in Taiwan eingebürgerte Festland-Chinese ebenfalls seit Monaten in China in Haft sitzt. Li, der auch unter dem Namen Fu Cha bekannt ist, hat Bücher publiziert zu Themen, die in China zensiert werden: zum Schicksal der Uiguren in Xinjiang, zu chinesischer Propaganda oder zum blutigen Ende der Demokratie-Bewegung von 1989.

Die Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt. Die beiden Fälle werfen Fragen auf. Wie sicher sind Reisen in die Volksrepublik für Bürger des Inselstaates? Und auf welcher rechtlichen Grundlage klagt die chinesische Strafverfolgung Taiwaner an, die lediglich die Bürgerrechte ihres eigenen Landes ausüben?

Der Aktivist Lee Ming-che, der bis zum April vergangenen Jahres seinerseits fünf Jahre in chinesischer Haft gesessen hat und inzwischen zurück in seiner Heimat ist, warnt seine Mitbürger vor Übergriffen der chinesischen Regierung: “Chinas Unterdrückung des taiwanischen Selbstbewusstseins wird nicht aufhören, und Chefredakteur Fu Cha ist erst der Anfang. In der Vergangenheit war es impliziter Druck, aber jetzt ist es unverhohlene Verhaftung”, hatte er am Wochenende über soziale Medien kommentiert. Da wusste er noch nichts von der Inhaftierung von Aktivist Yang.

Chinas Interesse an einem extraterritorialen Rechtssystem

In der Volksrepublik sind beide Männer nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht straffällig geworden. Die Festnahmen deuten darauf hin, dass China die eigene Rechtssprechung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als legitim betrachtet. “Als aufstrebende Weltmacht liegt es im Interesse Chinas, ein Rechtssystem der Extraterritorialität zu schaffen, um seine eigenen nationalen Interessen, die sich auf die ganze Welt erstrecken, zu schützen“, bilanzieren die Autoren Huo Zhengxin und Yip Man in einem Beitrag für das Chinese Journal of Comparative Law der Universität Oxford.

In Hongkong, dessen Autonomie die chinesische Regierung trotz gegenteiliger Zusagen abgewürgt hat, erhebt das Nationale Sicherheitsgesetz seit Mitte 2020 einen solchen extraterritorialen Anspruch. Nicht nur Hongkonger Staatsbürger, die im Exil leben, können sich demnach strafbar machen, sondern auch ausländische Bürger im Ausland, deren Handeln staatlichen Hongkonger Interessen zuwiderläuft.

Beide Inhaftierte wähnten sich wohl sicher

Einer der ersten Ausländer, die aufgrund des Sicherheitsgesetzes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben waren, war der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek. Der Parlamentarier hatte einem Hongkonger Politiker mit einer Einladung zu einer getürkten Konferenz in Kopenhagen zur Flucht aus Hongkong verholfen und ihn somit vor einem Gerichtsprozess bewahrt.

Die Fälle Li Yanhe und Yang Chih-yuan sind ein starkes Warnsignal für alle Taiwaner, die die Absicht haben, in die Volksrepublik zu reisen. Beide Inhaftierten waren in dem sicheren Glauben nach China eingereist, dass ihnen trotz ihrer Tätigkeiten nichts passieren würde. Li soll 2020 bereits in der Volksrepublik gewesen sein und konnte seinerzeit noch mühelos nach Taiwan zurückkehren. Dieses Mal habe er Familienmitglieder besuchen wollen, schrieb der chinesische Dichter Bei Ling in Sozialmedien. Bei hatte nach Rücksprache mit Lis Familie dessen Festnahme öffentlich gemacht.

Aktivist Yang droht eine lange Haftstrafe

Weshalb sein erneuter Besuch zur Festnahme führte, ist unklar. Tatsache ist nur, dass die geopolitischen Spannungen um Taiwan in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Jeder taiwanische Staatsbürger in den Händen der chinesischen Justiz ist ein Trumpf in möglichen Verhandlungen zwischen beiden Regierungen.

Dazu gehört nun auch der Aktivist Yang. Der 33-Jährige wurde kurz nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan festgenommen und zunächst für sechs Monate ohne Anklage festgehalten. Nach chinesischem Strafrecht droht ihm als Mitglied einer Partei, die sich für Taiwans Unabhängigkeit einsetzt, eine lange Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslang.

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News

Pressefreiheit: Nur noch Nordkorea hinter China

China ist im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 179, den vorletzten Platz vor Nordkorea, abgerutscht. In keinem Land der Welt sitzen laut der Menschenrechtsorganisation mehr Journalisten im Gefängnis als in China. Vor allem seit der Machtübernahme von Xi Jinping habe die Regierung einen regelrechten Feldzug gegen die freie Presse unternommen. Derzeit seien in China mehr als 100 Medienschaffende inhaftiert. Aufgrund ihrer Arbeit wirft der Staat ihnen unter anderem Spionage, Umsturzversuche oder Provokation von Streit vor. Vor allem die medizinische Versorgung in den Haftanstalten sei vielerorts äußerst mangelhaft.

Zuletzt habe sich vor allem in Hongkong die Situation für Journalisten verschärft. Seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes seien dort zahlreiche Journalisten verhaftet und Medienhäuser zur Schließung gedrängt worden. Dem Gründer der inzwischen geschlossenen Zeitung Apple Daily, Jimmy Lai, droht etwa lebenslange Haft. Auch die ehemaligen Chefredakteure der ebenfalls geschlossenen Nachrichtenseite Stand News stehen vor Gericht. Hongkong befindet sich aufgrund seiner “schwierigen Lage” im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen nur noch auf Platz 140. fpe 

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  • Nationales Sicherheitsgesetz
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Hongkong beschränkt Direktwahl der Bezirkskandidaten

Hongkong plant, die Zahl der direkt gewählten Sitze bei den Bezirksratswahlen zu verringern. Wie Hongkongs Verwaltungschef John Lee bei einer Pressekonferenz am Dienstag mitteilte, sollen zukünftig nur noch rund zwanzig Prozent der Bezirksratssitze direkt gewählt werden. Bisher waren es mehr als neunzig Prozent.

Lee selbst soll dann etwa 40 Prozent der Sitze ernennen, während der Rest indirekt über Gemeindeorganisationen gewählt würde. Der Bezirksrat war lange die einzige überwiegend vom Volk gewählte politischen Vertretung in der ehemaligen Kronkolonie. Lees Regierung arbeitet derzeit einen Gesetzentwurf aus, um die vorgeschlagenen Änderungen umzusetzen. Die nächsten Bezirksratswahlen sind für Ende des Jahres geplant.

Alle Kandidaten müssen zudem vor einem Komitee ihre politische Loyalität unter Beweis stellen. Damit soll sichergestellt werden, dass “nur Patrioten Hongkong regieren”. Bei der letzten Wahl des Stadtrats im Jahr 2019 hatten pro-demokratische Kandidaten 85 Prozent der 452 zur Wahl stehenden Sitze gewonnen und damit die pekingtreue Regierung Hongkongs in die Schranken verwiesen. “Wir müssen verhindern, dass diejenigen, die gegen China sind und in Hongkong Chaos stiften, die Bezirksräte kapern, manipulieren und lahmlegen”, sagte Lee am Dienstag. Er war als damaliger Sicherheitschef der Sonderverwaltungszone an der Zerschlagung der Protestbewegung maßgeblich beteiligt. fpe

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  • Hongkong
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Peking stellt sich hinter Myanmars Militärregierung

Peking hat der Militärregierung in Myanmar “enge Freundschaft” zugesichert. China unterstütze den politischen Übergangsprozess in Myanmar sowie die relevanten Kräfte, erklärte Außenminister Qin Gang nach einem Treffen mit Armee-Chef Min Aung Hlaing in Myanmars Hauptstadt Naypyitaw am Dienstag. China werde zudem seine Investitionen in Myanmar ausweiten und Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung und Gesundheitswesen unterstützen. China ist bereits ein wichtiger Abnehmer von Rohstoffen aus Myanmar, darunter Jade, Zinn und Holz. Umgekehrt verkauft China auch Militärtechnik an Myanmar.

In den politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten gehe es nun darum, bestehende Differenzen auf angebrachte Weise beizulegen und eine Aussöhnung innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu suchen, teilte das Außenministerium in Peking am Mittwoch mit. Qin Gang ist der ranghöchste chinesische Beamte, der Myanmars Seniorgeneral Min Aung Hlaing seit dessen Machtübernahme vor zwei Jahren getroffen hat.

Das Militär in Myanmar hatte 2021 die demokratisch gewählte Regierung gestürzt und deren faktische Chefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi festgenommen. Bei Protesten wurden Hunderte Menschen getötet und Tausende festgenommen. Das Militär weist den Vorwurf von Gräueltaten gegen Zivilisten zurück und rechtfertigt sein Vorgehen mit einem Kampf gegen “Terroristen”.

Im Westen ist die Militärregierung deshalb weitgehend isoliert. Auch in Staaten der Region ist die jüngste Entwicklung auf Kritik gestoßen. “China setzt sich dafür ein, dass die internationale Gemeinschaft die Souveränität Myanmars respektiert und eine konstruktive Rolle bei der Verwirklichung von Frieden und Versöhnung spielt”, sagte Qin laut der Erklärung des chinesischen Außenministeriums weiter. rtr/fpe

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Safeguard Defenders sehen zunehmende Ausreise-Verbote

China hindert zunehmend Menschen daran, das Land zu verlassen, darunter auch ausländische Führungskräfte. Einem neuen Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zufolge sind Dutzende von Chinesen und Ausländern von Ausreiseverboten betroffen. Zudem zeigt eine Reuters-Analyse von Aufzeichnungen über Ausreiseverbote aus der Datenbank des Obersten Gerichtshofs Chinas einen achtfachen Anstieg solcher Fälle zwischen 2016 und 2022. Bei den meisten in der Datenbank handelt es sich um zivilrechtliche, nicht um strafrechtliche Fälle. Europa und die USA hindern in aller Regel Menschen nur auf Basis strafrechtlicher Ermittlungen an einer Ausreise.

“Seit der Machtübernahme von Xi Jinping im Jahr 2012 hat China die rechtlichen Möglichkeiten für Ausreiseverbote erweitert und sie zunehmend eingesetzt, manchmal ohne rechtliche Begründung”, heißt es im Bericht von Safeguard Defenders. “Zwischen 2018 und Juli dieses Jahres sehen nicht weniger als fünf neue oder geänderte (chinesische) Gesetze die Anwendung von Ausreiseverboten vor, so dass es heute insgesamt 15 Gesetze sind”, sagte Laura Harth, die Kampagnen-Leiterin der Gruppe.

Ein Manager aus Singapur bei der amerikanischen Due-Diligence-Firma Mintz Group wurde dieses Jahr an der Ausreise gehindert, wie drei mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten. In der chinesischen Niederlassung des Unternehmens hatte es Ende März eine Razzia mit mehreren Festnahmen gegeben. Das Außenministerium erklärte damals, Mintz stehe im Verdacht, unrechtmäßige Geschäfte zu tätigen.

Vergangene Woche verschärfte China zudem sein Gesetz zur Bekämpfung von Spionage, so dass Ausreiseverbote gegen alle Personen verhängt werden können, die “der nationalen Sicherheit oder den nationalen Interessen erheblichen Schaden zufügen”. Ausländische Firmen zeigten sich besorgt über die vagen Formulierungen des Gesetzes. “Die Unsicherheit ist groß”, sagte Jörg Wuttke, Leiter der Handelskammer der Europäischen Union in China. “Kann man eine Sorgfaltsprüfung durchführen? Es muss Klarheit herrschen.” rtr/ck

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Kritik an China-Strategie von BASF

BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller hat bei der Aktionärsversammlung des DAX-Konzerns harte Kritik für seine China-Strategie einstecken müssen. Im Fokus steht eine Zehn-Milliarden-Investition in einen neuen Verbundstandort in China.

Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Investment, die als Großaktionär die Interessen von 5,8 Millionen Anlegern vertritt, verwies auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Dieser habe gezeigt, “wie schnell geopolitische Albträume” Realität werden könnten. An Brudermüller gerichtet sagte er: “Doch Sie halten unbeirrt an Ihrer China-Strategie fest, die am Kapitalmarkt als Hochrisikostrategie gesehen wird, da ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan zu einem Totalverlust des China-Geschäfts führen könnte.

Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren (WUC) verwies auf die Menschenrechtslage in der autonomen Region Xinjiang und die Gefahr einer Verstrickung von BASF in dortige Zwangsarbeitsysteme. “Die BASF hat wiederholt versichert, dass es in ihren Joint Ventures zu keiner Zwangsarbeit käme und dass Überprüfungen durchgeführt worden seien. Allerdings schließt die Ethnical Trading Initiative eine unabhängige Überprüfung der Arbeitsbedingungen aufgrund der weitreichenden Repression aus”, sagte Kuerban. BASF verwies auf interne Prüfungen und auf “konkrete Gespräche” mit einem externen Prüfer über Audits in der Zukunft.

Brudermüller verteidigt sein Vorgehen

BASF betreibt in der Industriezone der Stadt Korla zwei Joint Ventures. Laut offiziellen chinesischen Dokumenten wurden tausende uigurische Arbeiter unfreiwillig dorthin transferiert, um dort unter Bedingungen arbeiten zu müssen, die im Verdacht der Zwangsarbeit stehen. “Nach unserem Kenntnisstand”, hieß es seitens des Vorstandes, seien in keinem der beiden Gemeinschaftsunternehmen Uiguren beschäftigt. Der für China zuständige Vorstand Markus Kamieth betonte, das Unternehmen vertrete “sehr hohe ethische Standards”. Das gelte für alle Niederlassungen, auch jene in Xinjiang.

Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren hingegen äußerte weitere Bedenken. “Zudem besorgt uns, dass der BASF Joint-Venture-Partner Xinjang Markor Chemikal indirekt im Besitz der Xinjiang Zhongtai Group ist. Diese ist aktiv an den uigurischen Arbeitstransfers der chinesischen Regierung beteiligt sowie an Indoktrinierung und Überwachung von uigurischen Arbeitern”.

Mögliche Konsequenzen an den Finanzmärkten

Ungeachtet der Kritik sagte Brudermüller, dass BASF in China weiterhin wachsen wolle. In der Volksrepublik erwirtschafte die Chemieindustrie die Hälfte ihrer Umsätze. Bei BASF steht China jedoch für weniger als 15 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens. China ist so gesehen für das Unternehmen noch untergewichtet.

Tilman Massa vom Dachverband Kritische Aktionäre zeigte sich enttäuscht von Brudermüller. “Er hat zu den großen geopolitischen Risiken des China-Engagements keine Stellung bezogen. Eine mögliche militärische Eskalation wegen Taiwan hat er als rein hypothetisch abgetan“, sagte Massa.

Mögliche Konsequenzen drohen BASF an den Finanzmärkten. Beispielsweise, wenn Union Investment und andere Großinvestoren BASF-Titel aus ihren Nachhaltigkeitsfonds nehmen sollten. Sie könnten damit eine mögliche Lawine lostreten, wenn Aktionäre auf breiter Front über die Investierbarkeit von Wertpapieren des Unternehmens unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nachdenken.

Mit einer solchen Entwicklung muss sich möglicherweise auch der Autobauer Volkswagen auseinandersetzen. Die Fondsgesellschaft Deka hat die Aktie von VW wegen seines Engagements in Xinjiang bereits aus dem Nachhaltigkeitssegment geworfen. grz

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EU-Ausschuss fordert Vorgehen gegen Desinformation

Abgeordnete des Europaparlaments drängen auf eine gemeinsame EU-Strategie gegen Desinformation aus China über die anstehenden Europa-Wahlen. Die EU-Parlamentarier des Sonderausschusses zu ausländischer Einflussnahme forderten EU-Kommission und -Rat auf, die Nutzung von Ausrüstung und Software von TikTok, ByteDance, Huawei, ZTE, Nuctech zu unterbinden.

Der Ausschuss arbeitet an einem neuen Bericht zur ausländischen Einflussnahme, neben China auch aus Russland. Der Bericht, der Empfehlungen für die anderen EU-Institutionen enthält, befindet sich noch in der Abstimmung. Auch “die sofortige Beendigung bestehender Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, die direkt vom chinesischen Militär finanziert werden oder Beziehungen zu diesem haben” soll in dem Bericht gefordert werden. ari

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Standpunkt

(K)eine neue Parteiideologie in der Kommunistischen Partei

Von Carolin Kautz
Dr. Carolin Kautz, China-Expertin, lehrt an der Universität Göttingen.
Dr. Carolin Kautz lehrt an der Universität Göttingen.

Lange wurde angenommen, dass Ideologie in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) keine Rolle mehr spiele. Seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen Ende der 1970er Jahre war vor allem in westlichen Staaten die Annahme verbreitet, dass die KPCh ideologische Erwägungen aufgegeben habe und vor allem von pragmatischen Annahmen geleitet werde.

Diese Annahme veränderte sich zunehmend seit dem Amtsantritt von Xi Jinping im Jahr 2012. Zunehmend wird argumentiert, dass die KPCh sich re-ideologisiere. Hierzu trug in Bezug auf die Partei selbst vor allem Xis massive Antikorruptions- und Erziehungskampagne für Parteimitglieder und -kader bei. Gleichzeitig werden die stärkeren Eingriffe des Parteistaates in die chinesische Wirtschaft und auch die stärkere Rolle der Partei in der Kontrolle gesellschaftlicher Strukturen als Beleg für die Re-Ideologisierung der Partei angeführt.

Diese Annahmen sind auf zwei Ebenen problematisch. Zunächst gehen sie von einem Ideologieverständnis aus, dass Ideologie implizit als irrational und nicht praktisch oder pragmatisch versteht. Zweitens wird angenommen, dass Ideologie in China automatisch Marxismus bedeute – und die Einführung von Wirtschaftsreformen somit auch das Ende von Ideologie bedeuten müssten.

Um Ideologie jedoch als analytisch hilfreiches Konzept zu verwenden, bietet es sich an, sie breiter zu fassen. In diesem Sinne kann Ideologie verstanden werden als ein Denk- und Kommunikationsschema, dessen Aufgabe es ist, sozio-politische und ökonomische Zusammenhange einzuordnen und zu interpretieren. Ein solches analytisches Verständnis von Ideologie erlaubt es uns auch, die Annahme zu hinterfragen, dass Ideologie in China mit dem Bedeutungsverlust des Marxismus keine Rolle mehr spielt.

Die Partei mythologisiert sich selbst

Parteiideologie seit Beginn der Reform- und Öffnungsperiode ist nicht primär marxistisch. Bereits unter Mao galt das Credo einer Anpassung des Marxismus an die chinesischen Bedingungen, und somit die Veränderung marxistischen Gedankenguts im Sinne der chinesischen Revolution. Mit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik war die Partei dann mit massiven politischen und sozio-ökonomischen Veränderungen konfrontiert, die sie ideologisch neu einbetten musste.

Das auffälligste Merkmal in dieser Parteiideologie nach 1978 ist die zentrale Stellung der Partei selbst. Die Partei mythologisiert sich selbst in der Darstellung ihrer eigenen Geschichte und ihrer historischen Leistungen. Sie sichert sich die alleinige Interpretationshoheit über ihre ideologischen Konzepte, inklusive rhetorischer Versatzstücke marxistischen Gedankenguts. Dies beinhaltet auch ein Monopol über die Definition und Implementation von Zukunftsszenarien. Gleichzeitig signalisiert die Partei rhetorisch allen ihren Mitgliedern und Kadern, dass sie allgegenwärtig ist und das alleinige Bestrafungs- und Belobigungspotential der Partei obliegt. Somit ist die hauptsächliche Botschaft von Parteiideologie die Partei selbst.

Diese zentrale Botschaft von Parteiideologie ist weder neu, noch ist sie charakteristisch für Xi Jinping. Bereits seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik lässt sich dieses Merkmal beobachten. Die Hauptaufgabe von Parteiideologie ist die Definition und Rechtfertigung der Zentralität der Partei. Unter Xi Jinping beobachten wir lediglich eine verstärkte Hervorhebung dieses zentralen Merkmals von Ideologie.

Digitale Indoktrination und Überwachung

Gleichzeitig verändern sich die Mittel, die der Partei zur Verfügung stehen, um ihre zentrale Stellung zu unterstreichen. Im Rahmen der Antikorruptions- und Erziehungskampagne stützt sich die Partei zunehmend auf digitale Möglichkeiten der Indoktrination und Überwachung. Dazu gehören Studienapps und die Möglichkeit zur digitalen Anzeige von Fehlverhalten. Auch hier gilt: Das Prinzip von Indoktrination und Überwachung ist nicht neu und findet sich auch schon vor Xi Jinping in Parteidokumenten. Lediglich die Implementierung wird zunehmend umfassender.

Auch in Zusammenarbeit mit – vor allem internationalen – Akteuren im wirtschaftlichen und internationalen politischen System verändern sich die Mittel der Partei. Die zunehmende Stärke Chinas erlaubt es der Partei, diese wirtschaftlich und international zur Durchsetzung eigener Interessen auszuspielen. Wenn die Partei veränderte politische und wirtschaftliche Maßnahmen als im Interesse Chinas – und damit auch im eigenen Interesse – erachtet, dann ist sie zunehmend in der Position, diese auch gegenüber internationalen Akteuren durchzusetzen.

Die Partei wieder ernstnehmen

Zusammengenommen bedeutet dies, dass vor allem internationale Akteure wieder lernen müssen, die Partei ernst zu nehmen. Wirtschaftliche Reformen und die zunehmende Pluralisierung in China haben dazu verleitet, die Partei als Akteur zu vernachlässigen. In ihren eigenen ideologischen Verlautbarungen hat die Partei jedoch immer eine zentrale Stelle eingenommen. Das bedeutet auch, dass ihr politisches Handeln vollständig auf ihr hauptsächliches ideologisches Ziel ausgerichtet ist: Die Sicherung der Herrschaft und der zentralen Stellung der Kommunistischen Partei.

Für Parteimitglieder und Kader aber auch für Staatsangestellte bedeutet das einen verschärften Loyalitätsdruck. Für wirtschaftliche aber auch für gesellschaftliche Akteure bedeutet es, die Partei wieder ernst zu nehmen und ideologische Verlautbarungen nicht als irrational oder unbedeutend abzutun. Denn Parteiideologie erinnert daran, wer eigentlich die Zügel in der Hand hält – die Kommunistische Partei Chinas.

Dieser Beitrag steht im Kontext der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, dem 26. Januar 2023 (12:00 Uhr MEZ) diskutieren Autorin Carolin Kautz und Jörg Wuttke (Europäische Handelskammer in China) über das Thema: “Ideologie vor Wirtschaft: Vor welchen Herausforderungen stehen europäische Unternehmen in China?”. China.Table ist der Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

Dr. Carolin Kautz forscht zur Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas und schloss im vergangenen Jahr ihre Dissertation zur sozialen Identität der Partei und der Bedeutung der Ideologie für die Kommunistische Partei Chinas an der Universität Göttingen ab. Gegenwärtig ist sie dort als Lehrbeauftragte tätig.

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • China verbietet zunehmend die Ausreise
    • Uiguren appellieren an BASF-Vorstand
    • EU-Parlament fürchtet chinesische Desinformation
    • Standpunkt: Loyalitätsdruck und digitale Indoktrination
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf der Strecke bleibt derzeit die Hoffnung vieler westlicher Investoren, dass die Zeit regulatorischer Crackdowns nach der Pandemie in China vorbei sein könnte. Unter dem Mantel seiner Anti-Korruptionskampagne hält Xi Jinping die Zügel jedoch weiter straff: Nach dem Tech-Sektor ist nun die Welt der Banken ins Visier der gefürchteten Zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei (CCDI) geraten, Pekings Vollstrecker in Sachen Korruption.

    So viele Strafen für hochrangige Regierungsbeamte und Manager habe es in China in so kurzer Zeit noch nicht gegeben, schreibt Jörn Petring. Allein im März wurden Ermittlungen gegen acht führende Manager staatlicher Finanzinstitute eingeleitet. Dass es dabei immer schön rechtsstaatlich zugeht, wie China behauptet, darf man getrost ins Reich der Fabeln verweisen.

    Wie gewohnt, schwingt bei dem Vorstoß auch eine ideologische Komponente mit. Die Disziplinarkommission wirft den Bankern unter anderem “Hedonismus” und einen unangemessen “luxuriösen Lebensstil” vor. Damit widersprechen sie dem Geist vom “allgemeinen Wohlstand”, den sich Xi Jinping nach wie vor wie kaum etwas anderes auf die Fahnen geschrieben hat.

    Vergangene Woche war derweil bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird, schreibt Marcel Grzanna. Die Anklage zeigt: Peking will seine Interessen im Ausland durch seine Gesetze im Inland wahren.

    Ihr
    Fabian Peltsch
    Bild von Fabian  Peltsch

    Analyse

    Die Partei geht gegen Finanzelite vor

    Liu Liange – bis März Vorstandsvorsitzender der Bank of China (BOC) – ist der bekannteste Manager, gegen den die Disziplinarkommission der KP derzeit ermittelt.

    Chinas Finanzbranche ist in Alarmstimmung. Die Regierung hat zuletzt gleich mehrere Top-Manager von Banken und anderen Instituten ins Visier genommen. Pekings Vollstrecker ist die gefürchtete Zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei (CCDI). Sie hat eine Kampagne gestartet, um Fehlverhalten in der Branche “entschlossen” zu bekämpfen. 

    Laut CCDI wurde kürzlich eine Rekordzahl von Inspektionen bei mehr als 30 staatlichen Konzernen in Sektoren wie Finanzen, Verteidigung und Energie eingeleitet. Es geht vor allem um die Finanzinstitute. Chinesische Staatsmedien berichteten, dass vor dem Hintergrund einer “intensivierten Antikorruptionskampagne” allein im März Ermittlungen gegen acht führende Manager staatlicher Banken eingeleitet worden seien. Laut Financial Times wurden seit Februar sogar mehr als ein Dutzend Manager untersucht oder bestraft. 

    So viele Strafen wie noch nie

    Der Kampf gegen Korruption ist unter Präsident Xi Jinping freilich nicht neu. Seit Jahren verhängen die Behörden immer wieder harte Strafen gegen hochrangige Regierungsbeamte und Manager. Doch so viele in so kurzer Zeit hat es im Bankensektor noch nicht gegeben.

    Der bekannteste Manager, gegen den die CCDI nun ermittelt, ist Liu Liange. Der 61-Jährige war bis März Vorstandsvorsitzender der Bank of China (BOC). Auch gegen Wang Jianhong, den ehemaligen Leiter der Pekinger BOC-Niederlassung, ermittelt die CCDI. Zudem ist Zhao Zhiran, der bisher für die China Construction Bank in Shenzhen verantwortlich war, ins Visier der Behörden geraten. Bereits angeklagt ist Li Li, der ehemalige Präsident der Export-Import Bank of China. Ihm wird vorgeworfen, Bestechungsgelder angenommen zu haben. 

    Investoren werden skeptisch

    Für Aufsehen sorgte im Februar auch das Verschwinden von Bao Fan. Der chinesische Milliardär und Chef des an der Hongkonger Börse notierten Finanzunternehmens Renaissance ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Bao Fans Familie sei informiert worden, dass der 53-Jährige in eine Untersuchung verwickelt sei, berichtete Bloomberg.

    Branchenkenner vermuten, dass Baos Verschwinden mit den Problemen eines anderen Renaissance-Managers namens Cong Lin zusammenhängt. Dieser war im September verhaftet worden. Gegen ihn werde im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit für den Finanzleasingarm der staatlichen Industrial and Commercial Bank (ICBC) ermittelt, berichtete das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin.

    Ausländische Investoren beobachten das Geschehen im chinesischen Finanzsektor sehr genau. Sie haben gerade erst mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass der gut zweijährige regulatorische Crackdown gegen den Technologiesektor beendet wurde. Generell ist die Hoffnung groß, dass Peking nach der Corona-Eröffnung endlich die Zügel lockert und dem Pragmatismus den Vorzug gibt. 

    Reiche und Privatwirtschaft verunsichert

    Zwar argumentiert etwa die staatliche Global Times, dass der aktuelle Crackdown notwendig sei, um Finanzrisiken wie zuletzt bei den US-Regionalbanken zu vermeiden. Allerdings schwingt auch viel Ideologie mit. So kritisiert die Disziplinarkommission den “Hedonismus” und den unangemessenen “luxuriösen Lebensstil” der Branche. Eine Wortwahl also, die an Xi Jinpings “allgemeinen Wohlstand” erinnert. 

    Diesen Slogan, der auf eine gerechtere Umverteilung des Reichtums abzielt, hatte der Präsident auf dem Parteikongress im vergangenen Herbst gleich viermal verwendet und damit für große Verunsicherung bei reichen Chinesen und in der Privatwirtschaft gesorgt. Viele chinesische Banken reagierten bereits damals mit Gehalts- und Bonuskürzungen für ihre Spitzenmanager. 

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    Pekings Justiz greift nach Taiwanern

    Die Nachrichten von zwei Festnahmen beunruhigen Taiwan. Seit mehreren Monaten schon befinden sich ein taiwanischer Verleger und ein Aktivist in chinesischer Haft. Erst jetzt wurden Einzelheiten der Fälle publik, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich sind sie Ausdruck eines Selbstverständnisses der chinesischen Justiz, über taiwanische Staatsbürger Recht sprechen zu dürfen wie über die eigenen Bürger.

    Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird.

    Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt

    Wenige Tage zuvor hatte zudem die Familie des Verlegers Li Yanhe darüber informiert, dass der in Taiwan eingebürgerte Festland-Chinese ebenfalls seit Monaten in China in Haft sitzt. Li, der auch unter dem Namen Fu Cha bekannt ist, hat Bücher publiziert zu Themen, die in China zensiert werden: zum Schicksal der Uiguren in Xinjiang, zu chinesischer Propaganda oder zum blutigen Ende der Demokratie-Bewegung von 1989.

    Die Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt. Die beiden Fälle werfen Fragen auf. Wie sicher sind Reisen in die Volksrepublik für Bürger des Inselstaates? Und auf welcher rechtlichen Grundlage klagt die chinesische Strafverfolgung Taiwaner an, die lediglich die Bürgerrechte ihres eigenen Landes ausüben?

    Der Aktivist Lee Ming-che, der bis zum April vergangenen Jahres seinerseits fünf Jahre in chinesischer Haft gesessen hat und inzwischen zurück in seiner Heimat ist, warnt seine Mitbürger vor Übergriffen der chinesischen Regierung: “Chinas Unterdrückung des taiwanischen Selbstbewusstseins wird nicht aufhören, und Chefredakteur Fu Cha ist erst der Anfang. In der Vergangenheit war es impliziter Druck, aber jetzt ist es unverhohlene Verhaftung”, hatte er am Wochenende über soziale Medien kommentiert. Da wusste er noch nichts von der Inhaftierung von Aktivist Yang.

    Chinas Interesse an einem extraterritorialen Rechtssystem

    In der Volksrepublik sind beide Männer nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht straffällig geworden. Die Festnahmen deuten darauf hin, dass China die eigene Rechtssprechung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als legitim betrachtet. “Als aufstrebende Weltmacht liegt es im Interesse Chinas, ein Rechtssystem der Extraterritorialität zu schaffen, um seine eigenen nationalen Interessen, die sich auf die ganze Welt erstrecken, zu schützen“, bilanzieren die Autoren Huo Zhengxin und Yip Man in einem Beitrag für das Chinese Journal of Comparative Law der Universität Oxford.

    In Hongkong, dessen Autonomie die chinesische Regierung trotz gegenteiliger Zusagen abgewürgt hat, erhebt das Nationale Sicherheitsgesetz seit Mitte 2020 einen solchen extraterritorialen Anspruch. Nicht nur Hongkonger Staatsbürger, die im Exil leben, können sich demnach strafbar machen, sondern auch ausländische Bürger im Ausland, deren Handeln staatlichen Hongkonger Interessen zuwiderläuft.

    Beide Inhaftierte wähnten sich wohl sicher

    Einer der ersten Ausländer, die aufgrund des Sicherheitsgesetzes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben waren, war der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek. Der Parlamentarier hatte einem Hongkonger Politiker mit einer Einladung zu einer getürkten Konferenz in Kopenhagen zur Flucht aus Hongkong verholfen und ihn somit vor einem Gerichtsprozess bewahrt.

    Die Fälle Li Yanhe und Yang Chih-yuan sind ein starkes Warnsignal für alle Taiwaner, die die Absicht haben, in die Volksrepublik zu reisen. Beide Inhaftierten waren in dem sicheren Glauben nach China eingereist, dass ihnen trotz ihrer Tätigkeiten nichts passieren würde. Li soll 2020 bereits in der Volksrepublik gewesen sein und konnte seinerzeit noch mühelos nach Taiwan zurückkehren. Dieses Mal habe er Familienmitglieder besuchen wollen, schrieb der chinesische Dichter Bei Ling in Sozialmedien. Bei hatte nach Rücksprache mit Lis Familie dessen Festnahme öffentlich gemacht.

    Aktivist Yang droht eine lange Haftstrafe

    Weshalb sein erneuter Besuch zur Festnahme führte, ist unklar. Tatsache ist nur, dass die geopolitischen Spannungen um Taiwan in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Jeder taiwanische Staatsbürger in den Händen der chinesischen Justiz ist ein Trumpf in möglichen Verhandlungen zwischen beiden Regierungen.

    Dazu gehört nun auch der Aktivist Yang. Der 33-Jährige wurde kurz nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan festgenommen und zunächst für sechs Monate ohne Anklage festgehalten. Nach chinesischem Strafrecht droht ihm als Mitglied einer Partei, die sich für Taiwans Unabhängigkeit einsetzt, eine lange Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslang.

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    Pressefreiheit: Nur noch Nordkorea hinter China

    China ist im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 179, den vorletzten Platz vor Nordkorea, abgerutscht. In keinem Land der Welt sitzen laut der Menschenrechtsorganisation mehr Journalisten im Gefängnis als in China. Vor allem seit der Machtübernahme von Xi Jinping habe die Regierung einen regelrechten Feldzug gegen die freie Presse unternommen. Derzeit seien in China mehr als 100 Medienschaffende inhaftiert. Aufgrund ihrer Arbeit wirft der Staat ihnen unter anderem Spionage, Umsturzversuche oder Provokation von Streit vor. Vor allem die medizinische Versorgung in den Haftanstalten sei vielerorts äußerst mangelhaft.

    Zuletzt habe sich vor allem in Hongkong die Situation für Journalisten verschärft. Seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes seien dort zahlreiche Journalisten verhaftet und Medienhäuser zur Schließung gedrängt worden. Dem Gründer der inzwischen geschlossenen Zeitung Apple Daily, Jimmy Lai, droht etwa lebenslange Haft. Auch die ehemaligen Chefredakteure der ebenfalls geschlossenen Nachrichtenseite Stand News stehen vor Gericht. Hongkong befindet sich aufgrund seiner “schwierigen Lage” im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen nur noch auf Platz 140. fpe 

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    Hongkong beschränkt Direktwahl der Bezirkskandidaten

    Hongkong plant, die Zahl der direkt gewählten Sitze bei den Bezirksratswahlen zu verringern. Wie Hongkongs Verwaltungschef John Lee bei einer Pressekonferenz am Dienstag mitteilte, sollen zukünftig nur noch rund zwanzig Prozent der Bezirksratssitze direkt gewählt werden. Bisher waren es mehr als neunzig Prozent.

    Lee selbst soll dann etwa 40 Prozent der Sitze ernennen, während der Rest indirekt über Gemeindeorganisationen gewählt würde. Der Bezirksrat war lange die einzige überwiegend vom Volk gewählte politischen Vertretung in der ehemaligen Kronkolonie. Lees Regierung arbeitet derzeit einen Gesetzentwurf aus, um die vorgeschlagenen Änderungen umzusetzen. Die nächsten Bezirksratswahlen sind für Ende des Jahres geplant.

    Alle Kandidaten müssen zudem vor einem Komitee ihre politische Loyalität unter Beweis stellen. Damit soll sichergestellt werden, dass “nur Patrioten Hongkong regieren”. Bei der letzten Wahl des Stadtrats im Jahr 2019 hatten pro-demokratische Kandidaten 85 Prozent der 452 zur Wahl stehenden Sitze gewonnen und damit die pekingtreue Regierung Hongkongs in die Schranken verwiesen. “Wir müssen verhindern, dass diejenigen, die gegen China sind und in Hongkong Chaos stiften, die Bezirksräte kapern, manipulieren und lahmlegen”, sagte Lee am Dienstag. Er war als damaliger Sicherheitschef der Sonderverwaltungszone an der Zerschlagung der Protestbewegung maßgeblich beteiligt. fpe

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    Peking stellt sich hinter Myanmars Militärregierung

    Peking hat der Militärregierung in Myanmar “enge Freundschaft” zugesichert. China unterstütze den politischen Übergangsprozess in Myanmar sowie die relevanten Kräfte, erklärte Außenminister Qin Gang nach einem Treffen mit Armee-Chef Min Aung Hlaing in Myanmars Hauptstadt Naypyitaw am Dienstag. China werde zudem seine Investitionen in Myanmar ausweiten und Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung und Gesundheitswesen unterstützen. China ist bereits ein wichtiger Abnehmer von Rohstoffen aus Myanmar, darunter Jade, Zinn und Holz. Umgekehrt verkauft China auch Militärtechnik an Myanmar.

    In den politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten gehe es nun darum, bestehende Differenzen auf angebrachte Weise beizulegen und eine Aussöhnung innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu suchen, teilte das Außenministerium in Peking am Mittwoch mit. Qin Gang ist der ranghöchste chinesische Beamte, der Myanmars Seniorgeneral Min Aung Hlaing seit dessen Machtübernahme vor zwei Jahren getroffen hat.

    Das Militär in Myanmar hatte 2021 die demokratisch gewählte Regierung gestürzt und deren faktische Chefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi festgenommen. Bei Protesten wurden Hunderte Menschen getötet und Tausende festgenommen. Das Militär weist den Vorwurf von Gräueltaten gegen Zivilisten zurück und rechtfertigt sein Vorgehen mit einem Kampf gegen “Terroristen”.

    Im Westen ist die Militärregierung deshalb weitgehend isoliert. Auch in Staaten der Region ist die jüngste Entwicklung auf Kritik gestoßen. “China setzt sich dafür ein, dass die internationale Gemeinschaft die Souveränität Myanmars respektiert und eine konstruktive Rolle bei der Verwirklichung von Frieden und Versöhnung spielt”, sagte Qin laut der Erklärung des chinesischen Außenministeriums weiter. rtr/fpe

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    Safeguard Defenders sehen zunehmende Ausreise-Verbote

    China hindert zunehmend Menschen daran, das Land zu verlassen, darunter auch ausländische Führungskräfte. Einem neuen Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zufolge sind Dutzende von Chinesen und Ausländern von Ausreiseverboten betroffen. Zudem zeigt eine Reuters-Analyse von Aufzeichnungen über Ausreiseverbote aus der Datenbank des Obersten Gerichtshofs Chinas einen achtfachen Anstieg solcher Fälle zwischen 2016 und 2022. Bei den meisten in der Datenbank handelt es sich um zivilrechtliche, nicht um strafrechtliche Fälle. Europa und die USA hindern in aller Regel Menschen nur auf Basis strafrechtlicher Ermittlungen an einer Ausreise.

    “Seit der Machtübernahme von Xi Jinping im Jahr 2012 hat China die rechtlichen Möglichkeiten für Ausreiseverbote erweitert und sie zunehmend eingesetzt, manchmal ohne rechtliche Begründung”, heißt es im Bericht von Safeguard Defenders. “Zwischen 2018 und Juli dieses Jahres sehen nicht weniger als fünf neue oder geänderte (chinesische) Gesetze die Anwendung von Ausreiseverboten vor, so dass es heute insgesamt 15 Gesetze sind”, sagte Laura Harth, die Kampagnen-Leiterin der Gruppe.

    Ein Manager aus Singapur bei der amerikanischen Due-Diligence-Firma Mintz Group wurde dieses Jahr an der Ausreise gehindert, wie drei mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten. In der chinesischen Niederlassung des Unternehmens hatte es Ende März eine Razzia mit mehreren Festnahmen gegeben. Das Außenministerium erklärte damals, Mintz stehe im Verdacht, unrechtmäßige Geschäfte zu tätigen.

    Vergangene Woche verschärfte China zudem sein Gesetz zur Bekämpfung von Spionage, so dass Ausreiseverbote gegen alle Personen verhängt werden können, die “der nationalen Sicherheit oder den nationalen Interessen erheblichen Schaden zufügen”. Ausländische Firmen zeigten sich besorgt über die vagen Formulierungen des Gesetzes. “Die Unsicherheit ist groß”, sagte Jörg Wuttke, Leiter der Handelskammer der Europäischen Union in China. “Kann man eine Sorgfaltsprüfung durchführen? Es muss Klarheit herrschen.” rtr/ck

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    Kritik an China-Strategie von BASF

    BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller hat bei der Aktionärsversammlung des DAX-Konzerns harte Kritik für seine China-Strategie einstecken müssen. Im Fokus steht eine Zehn-Milliarden-Investition in einen neuen Verbundstandort in China.

    Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Investment, die als Großaktionär die Interessen von 5,8 Millionen Anlegern vertritt, verwies auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Dieser habe gezeigt, “wie schnell geopolitische Albträume” Realität werden könnten. An Brudermüller gerichtet sagte er: “Doch Sie halten unbeirrt an Ihrer China-Strategie fest, die am Kapitalmarkt als Hochrisikostrategie gesehen wird, da ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan zu einem Totalverlust des China-Geschäfts führen könnte.

    Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren (WUC) verwies auf die Menschenrechtslage in der autonomen Region Xinjiang und die Gefahr einer Verstrickung von BASF in dortige Zwangsarbeitsysteme. “Die BASF hat wiederholt versichert, dass es in ihren Joint Ventures zu keiner Zwangsarbeit käme und dass Überprüfungen durchgeführt worden seien. Allerdings schließt die Ethnical Trading Initiative eine unabhängige Überprüfung der Arbeitsbedingungen aufgrund der weitreichenden Repression aus”, sagte Kuerban. BASF verwies auf interne Prüfungen und auf “konkrete Gespräche” mit einem externen Prüfer über Audits in der Zukunft.

    Brudermüller verteidigt sein Vorgehen

    BASF betreibt in der Industriezone der Stadt Korla zwei Joint Ventures. Laut offiziellen chinesischen Dokumenten wurden tausende uigurische Arbeiter unfreiwillig dorthin transferiert, um dort unter Bedingungen arbeiten zu müssen, die im Verdacht der Zwangsarbeit stehen. “Nach unserem Kenntnisstand”, hieß es seitens des Vorstandes, seien in keinem der beiden Gemeinschaftsunternehmen Uiguren beschäftigt. Der für China zuständige Vorstand Markus Kamieth betonte, das Unternehmen vertrete “sehr hohe ethische Standards”. Das gelte für alle Niederlassungen, auch jene in Xinjiang.

    Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren hingegen äußerte weitere Bedenken. “Zudem besorgt uns, dass der BASF Joint-Venture-Partner Xinjang Markor Chemikal indirekt im Besitz der Xinjiang Zhongtai Group ist. Diese ist aktiv an den uigurischen Arbeitstransfers der chinesischen Regierung beteiligt sowie an Indoktrinierung und Überwachung von uigurischen Arbeitern”.

    Mögliche Konsequenzen an den Finanzmärkten

    Ungeachtet der Kritik sagte Brudermüller, dass BASF in China weiterhin wachsen wolle. In der Volksrepublik erwirtschafte die Chemieindustrie die Hälfte ihrer Umsätze. Bei BASF steht China jedoch für weniger als 15 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens. China ist so gesehen für das Unternehmen noch untergewichtet.

    Tilman Massa vom Dachverband Kritische Aktionäre zeigte sich enttäuscht von Brudermüller. “Er hat zu den großen geopolitischen Risiken des China-Engagements keine Stellung bezogen. Eine mögliche militärische Eskalation wegen Taiwan hat er als rein hypothetisch abgetan“, sagte Massa.

    Mögliche Konsequenzen drohen BASF an den Finanzmärkten. Beispielsweise, wenn Union Investment und andere Großinvestoren BASF-Titel aus ihren Nachhaltigkeitsfonds nehmen sollten. Sie könnten damit eine mögliche Lawine lostreten, wenn Aktionäre auf breiter Front über die Investierbarkeit von Wertpapieren des Unternehmens unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nachdenken.

    Mit einer solchen Entwicklung muss sich möglicherweise auch der Autobauer Volkswagen auseinandersetzen. Die Fondsgesellschaft Deka hat die Aktie von VW wegen seines Engagements in Xinjiang bereits aus dem Nachhaltigkeitssegment geworfen. grz

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    EU-Ausschuss fordert Vorgehen gegen Desinformation

    Abgeordnete des Europaparlaments drängen auf eine gemeinsame EU-Strategie gegen Desinformation aus China über die anstehenden Europa-Wahlen. Die EU-Parlamentarier des Sonderausschusses zu ausländischer Einflussnahme forderten EU-Kommission und -Rat auf, die Nutzung von Ausrüstung und Software von TikTok, ByteDance, Huawei, ZTE, Nuctech zu unterbinden.

    Der Ausschuss arbeitet an einem neuen Bericht zur ausländischen Einflussnahme, neben China auch aus Russland. Der Bericht, der Empfehlungen für die anderen EU-Institutionen enthält, befindet sich noch in der Abstimmung. Auch “die sofortige Beendigung bestehender Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, die direkt vom chinesischen Militär finanziert werden oder Beziehungen zu diesem haben” soll in dem Bericht gefordert werden. ari

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    Standpunkt

    (K)eine neue Parteiideologie in der Kommunistischen Partei

    Von Carolin Kautz
    Dr. Carolin Kautz, China-Expertin, lehrt an der Universität Göttingen.
    Dr. Carolin Kautz lehrt an der Universität Göttingen.

    Lange wurde angenommen, dass Ideologie in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) keine Rolle mehr spiele. Seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen Ende der 1970er Jahre war vor allem in westlichen Staaten die Annahme verbreitet, dass die KPCh ideologische Erwägungen aufgegeben habe und vor allem von pragmatischen Annahmen geleitet werde.

    Diese Annahme veränderte sich zunehmend seit dem Amtsantritt von Xi Jinping im Jahr 2012. Zunehmend wird argumentiert, dass die KPCh sich re-ideologisiere. Hierzu trug in Bezug auf die Partei selbst vor allem Xis massive Antikorruptions- und Erziehungskampagne für Parteimitglieder und -kader bei. Gleichzeitig werden die stärkeren Eingriffe des Parteistaates in die chinesische Wirtschaft und auch die stärkere Rolle der Partei in der Kontrolle gesellschaftlicher Strukturen als Beleg für die Re-Ideologisierung der Partei angeführt.

    Diese Annahmen sind auf zwei Ebenen problematisch. Zunächst gehen sie von einem Ideologieverständnis aus, dass Ideologie implizit als irrational und nicht praktisch oder pragmatisch versteht. Zweitens wird angenommen, dass Ideologie in China automatisch Marxismus bedeute – und die Einführung von Wirtschaftsreformen somit auch das Ende von Ideologie bedeuten müssten.

    Um Ideologie jedoch als analytisch hilfreiches Konzept zu verwenden, bietet es sich an, sie breiter zu fassen. In diesem Sinne kann Ideologie verstanden werden als ein Denk- und Kommunikationsschema, dessen Aufgabe es ist, sozio-politische und ökonomische Zusammenhange einzuordnen und zu interpretieren. Ein solches analytisches Verständnis von Ideologie erlaubt es uns auch, die Annahme zu hinterfragen, dass Ideologie in China mit dem Bedeutungsverlust des Marxismus keine Rolle mehr spielt.

    Die Partei mythologisiert sich selbst

    Parteiideologie seit Beginn der Reform- und Öffnungsperiode ist nicht primär marxistisch. Bereits unter Mao galt das Credo einer Anpassung des Marxismus an die chinesischen Bedingungen, und somit die Veränderung marxistischen Gedankenguts im Sinne der chinesischen Revolution. Mit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik war die Partei dann mit massiven politischen und sozio-ökonomischen Veränderungen konfrontiert, die sie ideologisch neu einbetten musste.

    Das auffälligste Merkmal in dieser Parteiideologie nach 1978 ist die zentrale Stellung der Partei selbst. Die Partei mythologisiert sich selbst in der Darstellung ihrer eigenen Geschichte und ihrer historischen Leistungen. Sie sichert sich die alleinige Interpretationshoheit über ihre ideologischen Konzepte, inklusive rhetorischer Versatzstücke marxistischen Gedankenguts. Dies beinhaltet auch ein Monopol über die Definition und Implementation von Zukunftsszenarien. Gleichzeitig signalisiert die Partei rhetorisch allen ihren Mitgliedern und Kadern, dass sie allgegenwärtig ist und das alleinige Bestrafungs- und Belobigungspotential der Partei obliegt. Somit ist die hauptsächliche Botschaft von Parteiideologie die Partei selbst.

    Diese zentrale Botschaft von Parteiideologie ist weder neu, noch ist sie charakteristisch für Xi Jinping. Bereits seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik lässt sich dieses Merkmal beobachten. Die Hauptaufgabe von Parteiideologie ist die Definition und Rechtfertigung der Zentralität der Partei. Unter Xi Jinping beobachten wir lediglich eine verstärkte Hervorhebung dieses zentralen Merkmals von Ideologie.

    Digitale Indoktrination und Überwachung

    Gleichzeitig verändern sich die Mittel, die der Partei zur Verfügung stehen, um ihre zentrale Stellung zu unterstreichen. Im Rahmen der Antikorruptions- und Erziehungskampagne stützt sich die Partei zunehmend auf digitale Möglichkeiten der Indoktrination und Überwachung. Dazu gehören Studienapps und die Möglichkeit zur digitalen Anzeige von Fehlverhalten. Auch hier gilt: Das Prinzip von Indoktrination und Überwachung ist nicht neu und findet sich auch schon vor Xi Jinping in Parteidokumenten. Lediglich die Implementierung wird zunehmend umfassender.

    Auch in Zusammenarbeit mit – vor allem internationalen – Akteuren im wirtschaftlichen und internationalen politischen System verändern sich die Mittel der Partei. Die zunehmende Stärke Chinas erlaubt es der Partei, diese wirtschaftlich und international zur Durchsetzung eigener Interessen auszuspielen. Wenn die Partei veränderte politische und wirtschaftliche Maßnahmen als im Interesse Chinas – und damit auch im eigenen Interesse – erachtet, dann ist sie zunehmend in der Position, diese auch gegenüber internationalen Akteuren durchzusetzen.

    Die Partei wieder ernstnehmen

    Zusammengenommen bedeutet dies, dass vor allem internationale Akteure wieder lernen müssen, die Partei ernst zu nehmen. Wirtschaftliche Reformen und die zunehmende Pluralisierung in China haben dazu verleitet, die Partei als Akteur zu vernachlässigen. In ihren eigenen ideologischen Verlautbarungen hat die Partei jedoch immer eine zentrale Stelle eingenommen. Das bedeutet auch, dass ihr politisches Handeln vollständig auf ihr hauptsächliches ideologisches Ziel ausgerichtet ist: Die Sicherung der Herrschaft und der zentralen Stellung der Kommunistischen Partei.

    Für Parteimitglieder und Kader aber auch für Staatsangestellte bedeutet das einen verschärften Loyalitätsdruck. Für wirtschaftliche aber auch für gesellschaftliche Akteure bedeutet es, die Partei wieder ernst zu nehmen und ideologische Verlautbarungen nicht als irrational oder unbedeutend abzutun. Denn Parteiideologie erinnert daran, wer eigentlich die Zügel in der Hand hält – die Kommunistische Partei Chinas.

    Dieser Beitrag steht im Kontext der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations” des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, dem 26. Januar 2023 (12:00 Uhr MEZ) diskutieren Autorin Carolin Kautz und Jörg Wuttke (Europäische Handelskammer in China) über das Thema: “Ideologie vor Wirtschaft: Vor welchen Herausforderungen stehen europäische Unternehmen in China?”. China.Table ist der Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

    Dr. Carolin Kautz forscht zur Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas und schloss im vergangenen Jahr ihre Dissertation zur sozialen Identität der Partei und der Bedeutung der Ideologie für die Kommunistische Partei Chinas an der Universität Göttingen ab. Gegenwärtig ist sie dort als Lehrbeauftragte tätig.

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